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Grabulski und Herrn Sielmanns teurer Tod

Die Gier der Menschen ist unersättlich.
Immer mehr haben zu wollen, scheint der einzige Lebenszweck mancher Zeitgenossen zu sein. Selbst wenn sie im Luxus schwelgen, finden sie Dinge, die andere besitzen, die sie ihnen aber nicht gönnen, weil sie selbst damit noch mehr Kohle machen können, oder sich ihr Ego damit noch größer aufblasen lässt.
Die folgende Begebenheit erzählt von einem dieser Raffkes, der seinen Hals nicht voll genug bekam.

Eines Morgens rief mich Rudi, ein ehemaliger Arbeitskollege an.
Rudi war einer von der Sorte Mensch, die nur redeten, wenn sie was zu sagen hatten.
Sehr sympathisch.
Sein Anliegen erklärte er mir in wenigen Worten. Eine Bekannte von ihm, eine ältere Dame, hatte ihr Haus verkauft und ihn gefragt, ob er ihr die Garage plus Gerätehaus räumen könnte. Beides wäre bis oben hin voll mit Plunder, den sie los werden wollte, bevor sie ins Altenheim umzieht. Rudi wollte wissen, ob ich ihm dabei helfe.
Ich war einverstanden. Drei Tage später gings los.

Garage und Geräteschuppen waren voll wie meine Hose beim Achterbahnfahren. Wir schufteten bis zum frühen Abend und hatten Glück, dass alles in die beiden bereitgestellten Sieben-Kubikmeter-Container passte. Neben verrosteten Gartenwerkzeugen, kaputten Rasenmähern, verschimmelten Matratzen, alten Fahrrädern und anderem unerwünschtem Hausrat, fanden wir einen erstaunlich gut erhaltenen Alukoffer mit doppeltem Zahlenschloss, der in einer wurmstichigen Holztruhe lag.
Was darin verborgen sein könnte, weckte Rudis Neugier.
Nachdem er eine halbe Stunde erfolglos damit verbrachte, die Kombination zu knacken, drückte er mir den Koffer entnervt in die Hand.
„Nimm ihn mit, wenn du willst. Kannst ja zu Hause dein Glück versuchen.“
Das tat ich, fragte aber vorsichtshalber Frau Bernhardt. Sie winkte ab.
„Nehmen Sie ihn. Im Seniorenstift habe ich dafür keine Verwendung.“

Später, in meiner Wohnung, brauchte ich keine Minute, um den ominösen Koffer zu öffnen. Ich stellte alle Zahlenschlösser auf Null, und der Kofferdeckel ließ sich so leicht wie eine Zigarrenkiste öffnen.
Ein modriger Geruch stieg mir in die Nase, als ich den Inhalt auf meinem Küchentisch ausbreitete.

Zwanzig lose, unterschiedlich große Bleistiftzeichnungen, drei Malblöcke, eine Ledermappe mit Bleistiften, Bleistiftspitzer und Radiergummis, ein Klappmesser, ein kleines Fernglas, ein Brillenetui mit einer altmodischen Brille und eine, in ein Baumwolltuch eingeschlagene, halbleere Flasche Cognac der Marke Martell XO.
Nun bin ich weder Kunstkenner noch Cognac-Freund. Die Bilder jedoch interessierten mich, und so nahm ich sie zur Hand.
Alle Werke zeigten unterschiedliche Landschaften, die, wie ich fand, sehr hübsch anzuschauen waren. Zwischen den Blättern fand ich aber auch noch etwas anderes. Einen handgeschriebenen Brief. Der Verfasser kündete darin seinen Freitod an, da er unheilbar krank sei.
Unterschrieben von Lukas Bernhardt im November 1999.

Richtig. Rudi hatte erwähnt, seine Bekannte hieße mit Familiennamen Bernhardt.
Somit war der frühere Besitzer ihr Mann, oder ein anderer Verwandter.
Was geht’s mich an?, dachte ich, legte die Zeichnungen zusammen mit dem anderen Krempel in den Koffer und stellte ihn in die Abstellkammer.

Drei Tage später rief Rudi wieder an.
„Mich hat ein gewisser Sielmann angerufen, ein Cousin der Frau Bernhardt.“

„Und?“

„Es geht um den Koffer. Die Bernhardt hat ihm gesagt, wer den Koffer hat und gab ihm meine Nummer, weil sie deine nicht kannte.“

„Sielmann stellt Ansprüche auf den Koffer?“

„Ich gab ihm deine Nummer. Hat er angerufen?“

„Nein.“

„Hast du ihn geknackt?“

„Ja.“

„Was war drin?“

„Zeichnungen und eine halbe Flasche Cognac. Vielleicht ist er ja scharf auf den Sprit.“

„Der ist scharf auf die Zeichnungen. Sielmann ist Kunstsammler und stinkreich.“

„Dann soll er mal was rüber wachsen lassen, wenn er den Koffer haben will. Wieso hat er sich den nicht längst gekrallt?“

„Zur Bernhardt hat er gesagt, dass er sich erst wieder an ihn erinnerte, als sie ihm erzählt hatte, dass sie den Plunder weggeworfen, und den Koffer verschenkt habe.“

Ich hatte gerade aufgelegt, da klingelte wieder das Telefon.

„Carsten Sielmann. Meine Cousine hat mir gesagt, dass Sie bei der Entrümpelung einen Alukoffer gefunden und an sich genommen haben.“

„Nachdem ich die Erlaubnis von ihr bekommen habe.“

„Gut. Könnte es sein, dass sich in diesem Koffer ein paar Zeichnungen meines Onkels Lukas Bernhardt befunden haben?“

„Sind die wertvoll?“

„Nein. Für mich haben die lediglich einen ideellen Wert. Eine Erinnerung an meinen geliebten Onkel.“

„Ja, da sind ein paar Zeichnungen drin.“

„Könnten Sie morgen Abend gegen 18 Uhr zu mir ins alte Forsthaus an der Ludwigshafener Straße kommen? Das gehört mir und ich wohne dort, wenn ich hier in meiner alten Heimat zu tun habe.
Leider ist mein Wagen in der Werkstatt. Bringen Sie den Koffer mit, und wir werden uns über eine angemessene Entschädigung einig.“

„Okay. Morgen 18 Uhr.“

Ich war sehr gespannt, was Sielmann unter einer angemessenen Entschädigung verstand, als ich tags darauf auf seinem dick gepolsterten, grünen Plüschsofa im Forsthaus Platz nahm.
Fünf Zeichnungen und den Abschiedsbrief hatte ich vorsichtshalber zu Hause gelassen.

Sielmann erinnerte mich an Christopher Lee. Er hatte zwar keine Draculazähne und trug keinen schwarzen Umhang. Aber er hatte in etwa dessen Körpergröße. Mit seinem hageren Gesicht, und den nach hinten gekämmten glatten Haaren, wäre er problemlos als Lees Double durchgegangen.

Ich öffnete den Koffer und beobachtete mein Gegenüber. Als Sielmann die Zeichnungen in die Hand nahm, blitzten seine Augen. Von wegen ideeller Wert, dachte ich.

„Wunderbar“, sagte er. „Alle von Lukas Bernhardt signiert. Onkel Lukas verbrachte viele Stunden damit, auf seinen Spaziergängen seinem Hobby zu frönen. Beinahe täglich.“

Ich nickte stumm.

„Und das sind alle?“, fragte er.

„Das sind alle“, behauptete ich.

Für den restlichen Inhalt des Koffers zeigt er wenig Interesse. Er legte die Zeichnungen auf einer kleinen Kommode ab, griff in sein Jackett und entnahm ihm eine rote Lederbrieftasche.
„Ich denke, es ging Ihnen vor allem um den gut erhaltenen Aluminiumkoffer. Als Entschädigung, finde ich, sind fünfhundert Euro angemessen.“
Mit diesen Worten hielt er mir einen fliederfarbenen Schein vor die Nase.

Sein Angebot ignorierend setzte mich wieder auf das Sofa. „Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich ein Kunstbanause bin. Aber wozu gibt es das Internet? Also habe ich gestern Abend noch ein wenig im Netz recherchiert.“

„Was soll das heißen?“ Er schaltete schnell und baute sich drohend vor mir auf.

„Das heißt“, fuhr ich ungerührt fort, „dass ich herausgefunden habe, dass die Werke Ihres Onkels allein im letzten Jahr bei internationalen Auktionen ihren bisherigen Wert mehr als verzwanzigfacht haben. Wobei Sie, Herr Sielmann, einige Milliönchen in Ihr Täschchen gesteckt haben. Weiß Ihre Cousine eigentlich davon?“

Sielmanns Augen sprühten Blitze. Ich erwartete, dass er mich am Kragen packt und handgreiflich wird. Doch dann drehte er sich von mir weg, atmete tief durch und sagte: „Wie viel?“

Ich dachte nach. Einer, der seine Tante um Millionen bescheißt, wird beim Finanzamt keine Ausnahme machen. Und wo sonst wären die Scheinchen vor Vater Staat besser geschützt, als hier in dieser abgelegenen Hütte?

„Eine Million Euro“, sagte ich.

„Sie sind verrückt.“ Wieder öffnete er seine Brieftasche. „Dreitausendfünfhundert. Mehr habe ich nicht.“

Ich stand auf und griff mir das Bündel. „Wir wollen doch mal nachschauen, was Sie in Ihrem Tresor vor Herrn Schäuble verstecken.“ Damit ging ich an dem verdutzten Sielmann vorbei in den Nebenraum, in dem mir beim Betreten des Hauses ein Stahlschrank älteren Baujahres aufgefallen war. „Und sagen Sie jetzt nicht, der wäre leer, oder Sie hätten den Schlüssel nicht dabei.“

Mit Schweißtropfen auf der Stirn kam er hinterher.
Seiner Hosentasche entnahm er einen Schlüssel und schloss den alten Tresor auf. Ich trat dicht an ihn heran. Da lag ein schwarzer Aktenkoffer aus Kunstleder, an dem er sich zu schaffen machte. Mit einem beherzten Griff riss ich ihm sein Sparschwein aus der Hand und öffnete es.
Volltreffer. Sielmann den Rücken zugewandt, schloss ich den Koffer, bevor er ihn mir entreißen konnte, und ging zurück zum Sofa.

„Was sonst noch im Tresor liegt, dürfen Sie behalten“, sagte ich und setzte mich.
Langsam betrat Sielmann den Raum. Er schien zu überlegen, ob er mich so davon kommen lassen sollte.
„Bedenken Sie“, sagte ich, „was Ihre Cousine nicht weiß, macht sie nicht heiß.“

„Das sind zweihunderttausend. Zufrieden?“, fragte er.

„Ich finde, wir sollten unser Geschäft mit einem guten Schluck besiegeln“, schlug ich vor.
„Was wäre passender, als der edle, alte Martell, den ihr Onkel so geliebt hatte?“

Er zögerte, sagte aber: „ Dann verschwinden Sie und treten mir nie wieder unter die Augen.“

„Versprochen.“

Ich stellte die Flasche aus dem Alukoffer auf den Tisch. Aus einer Vitrine nahm er zwei Gläser.
Er entkorkte die Flasche und schenkte, sichtlich aufgewühlt, die tief goldene Flüssigkeit ein.
Wir nahmen jeder ein Glas und beobachteten uns misstrauisch.
Hastig trank er den Cognac in einem Zuge aus.
Ich schaute ihm zu und wartete.

„Trinken Sie endlich und verschwinden Sie.“

Mir schien, als hätte er große Mühe, diese Worte klar auszusprechen.
Plötzlich ließ er sich kraftlos, mit aschfahlem Gesicht in seinen Sessel fallen.
Sein Glas fiel auf den Boden, als er Sekunden später in sich zusammen sackte.

Den Inhalt meines Glases schüttete ich in die Flasche zurück, steckte es in meine Jackentasche und verließ das Forsthaus.

Als ich zu meinem Auto ging, fiel mir ein Satz aus dem Abschiedsbrief von Onkel Lukas ein:
Die niederschmetternde Diagnose meines Arztes bewegt mich dazu, meinem Leben, mithilfe eines schnell wirkenden Giftes in diesem vorzüglichen Martell, ein schmerzloses Ende zu bereiten.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 05.03.2016

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