In einer Zeit, in der es noch quakende Fliegen und fliegende Frösche gab, trug sich einmal die folgende Geschichte zu.
Ungefähr in der Mitte eines kleinen Landes, das den Namen Jabbacheesy trug, gab es eine kleine grüne Weide. Ungefähr in der Mitte dieser kleinen grünen Weide stand an einem milchig trüben Tag eine schokobraune Kuh und ließ sich das saftig grüne Gras schmecken.
Bereits während des gesamten Vormittags dachte sie darüber nach, was der Bauer wohl mit ihrer Milch macht, die er ihr jeden Morgen stahl.
Sie wusste nicht genau, warum sie ausgerechnet heute nachdenken musste, und warum ihr ausgerechnet dieses Mysterium Kopfzerbrechen bereitete. Vielleicht lag es daran, dass sie gestern sieben Jahre alt geworden war, oder weil sie heute Morgen mit dem linken Bein zuerst aufgestanden war. Wer weiß das schon?
Als sie begriff, dass die Frage nach dem Warum sie vom eigentlichen Thema ihrer Studien ablenkte, schüttelte sie heftig den Kopf, in der Hoffnung, dass diese vollkommen nebensächliche Frage zu einem ihrer beiden Ohren heraus fliegen würde. Nachdem sie sich sicher war, nun weiter ungestört darüber nachdenken zu können, was wohl mit ihrer Milch geschehen könnte, tat sie es auch.
Am Ende ihrer Überlegungen kam sie zu dem Ergebnis, dass es das Beste sei, vom Bauern Auskunft zu verlangen, um endlich Klarheit zu haben. Sobald der Bauer morgen früh wieder mit seinem alten verbeulten Blecheimer zum Melken bei ihr aufkreuzte, würde sie ihn zur Rede stellen.
Als nun der Bauer am darauffolgenden Tag in aller Herrgottsfrühe in seinen Gummistiefeln über die Wiese gestapft kam, legte sich die Kuh in das taunasse Gras, drehte dem Bauern den Rücken zu, und tat so, als würde sie gerade nach dem nahen Kirchturm unten im Dorf Ausschau halten, um von der großen Uhr die Zeit abzulesen.
„He!“, rief der Bauer, als er beobachtete, wie sich die Kuh, entgegen aller Vernunft, aber augenscheinlich mit voller Absicht, zu Boden legte.
„He! Bist du verrückt geworden? Steh sofort auf, damit ich dich melken kann.“
„Guten Morgen Bauer“, antwortete die Kuh ruhig und ohne sich nach dem Bauern umzudrehen. „Bevor wir zum Geschäftlichen kommen, musst du mir zuerst eine Frage beantworten.“
Vor Schreck glitt dem Bauern der Eimer aus der Hand. Scheppernd fiel dieser zu Boden und rollte anschließend beleidigt aus dem Blickfeld der Beteiligten.
„Das sind ja ganz neue Methoden“, wetterte der Bauer, als er sich wieder gefasst hatte.
Er war an jenem Morgen nicht der allerbesten Laune. Am Abend zuvor war er mit dem Wirt seiner Stammkneipe aneinander geraten, als es um die Frage ging, ob es denn für das Königreich Jabbacheesy gut sei , dass Königin Jabbatha Die Allererste keine Anstalten machte abzudanken, um ihren Erstgeborenen, Prinz Jabbazack, die Thronfolge antreten zu lassen.
Der Wirt, der ein erzkonservativer Royalist war, und die Königin wie eine Heilige verehrte, hatte kein Verständnis dafür, dass der Bauer Jabbatha Die Allererste eine verknöcherte alte Kreuzschlitzschraube nannte. Deshalb nahm er seinen störrischen Gast kurzerhand an Kopf und Kragen und beförderte ihn unsanft auf die Straße, nicht ohne ihm vorher noch einen kräftigen Tritt in den Allerwertesten verpasst zu haben. Krakeelend erhob sich daraufhin der etwas derangierte Bauer und trat schwankend den Heimweg an. Als wenn der Rauswurf nicht schon genug Ärger für den geschundenen Lästerer bedeutete, musste er sich zuhause auch noch die Vorhaltungen seiner Gattin wegen seiner späten Heimkehr und seiner Trunkenheit anhören.
In Anbetracht dessen war seine miese Stimmung an diesem Morgen verständlich.
„Was heißt denn hier zum Geschäftlichen kommen?“, brüllte er.
„Wir beide haben keine Geschäftsbeziehung. Du bist meine Kuh und ich bin dein Bauer. Du stehst auf meiner Weide und frisst mein Gras. Dafür nehme ich mir von dir die Milch. So einfach ist das. Basta! Und du stehst sofort auf und lässt mich meine Arbeit machen.“
„Würde es dir etwas ausmachen, etwas leiser zu brüllen? Meine empfindlichen Ohren schmerzen bei deinem Geschrei. Wir wollen doch nicht, dass meine Milch sauer wird.“
Verärgert schnaubend machte sich der Bauer daran, den Melkeimer aufzuheben.
Seine Verwirrung ob des renitenten Viehs war ihm deutlich anzusehen. Und bevor er sich eine Antwort zu Recht legen konnte, drehte die Kuh ihren Kopf in seine Richtung und fuhr fort:
„Nun zu meiner Frage: Was machst du eigentlich mit meiner Milch, die du mir jeden Tag ungefragt abnimmst?“
„Das wird ja immer schöner“, antwortete der Bauer. Und dabei war seine Stimme um keinen Deut leiser als zuvor. Er brachte es noch nie fertig, wenn er verärgert war, dies zu verbergen. „Das geht dich überhaupt nichts an“, maulte er und ging energisch auf das Tier zu. „Du stehst jetzt sofort auf.“
Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, gab er der Kuh einen Klapps auf den Hintern.
Da der Kuh ein solcher Gewaltausbruch völlig fremd war, sprang sie erschrocken auf und starrte ihren Peiniger mit Entsetzen in den großen Augen an.
Als nun der Bauer wortlos und sichtlich zufrieden damit, den Disput für sich entschieden zu haben, daran ging, endlich sein Vorhaben in die Tat umzusetzen, dachte die Kuh darüber nach, ob sie nicht einen Fehler gemacht hätte und zu weit gegangen sei.
Gerade als sie zu dem Ergebnis kam, dass dies nicht der Fall war und sie jedes Recht der Welt hatte, dass der Bauer ihr gegenüber sehr wohl darüber Rechenschaft abzulegen hatte, was mit ihrer Milch geschieht, hörte sie zu ihrer Überraschung den Bauern mit ruhiger Stimme sagen: „Also gut, wenn du es unbedingt wissen willst, sollst du es auch wissen.“
Während er in gewohnter Manier die Euter bearbeitete, und sich der Eimer langsam füllte, schien sich sein Groll etwas gedämpft zu haben.
„Die Milch trage ich nach Hause, und meine Frau macht daraus Quark, den wir an die Hausfrauen im Dorf verkaufen.“
Nun war das Interesse der Kuh erst recht geweckt. „Aha“, sagte sie. „Und was machen die Hausfrauen dann mit dem Quark?“
Der Bauer spürte, wie der nur oberflächlich im Zaum gehaltene Zorn wieder neu entflammte. Trotzdem atmete er tief durch und sagte: „Die Frauen machen daraus herzhaften Kräuterquark, oder süßen Quarkkuchen, die Lieblingsspeise aller Bewohner von Jabbacheesy.“
Die Kuh verspürte plötzlich ein starkes Hungergefühl und wollte wissen: „Wie schmeckt denn…“
„Jetzt ist es aber genug“, fuhr ihr der Bauer plärrend und nun wieder völlig von der Rolle übers wiederkäuende Maul. „Schluss! Aus! Schluss! Du gehst mir mit deiner Fragerei tierisch auf den Senkel.“
Gerade fiel der letzte Tropfen Milch in den Eimer, als der Bauer sich wütend erhob, und der Kuh mit gehöriger Rage im Bauch nochmals kräftig auf den Hintern klopfte.
Dieser erneute Affront brachte bei der ansonsten friedfertigen Kuh nun doch das Fass zum überlaufen. Mit einer raschen Drehung ihres Kopfes brachte sie eines ihrer Hörner unter den Hosenträger der fleckigen, grauen Latzhose des Bauern und schleuderte den kaum mehr als einen Stapel Quarkkuchen wiegenden Hänfling samt dem gefüllten Milcheimer drei Manneslängen weit über die Wiese.
Dort landete der völlig verdutzte Bauer, zu allem Überfluss, mit einem satten Platsch, in einem noch recht frischen, dampfenden Kuhfladen.
Im selben Moment ergoss sich unmittelbar neben ihm die warme Milch über einen ebenso überraschten Frosch, der sich gerade über ein Fliegenfrühstück freuen wollte.
Quaaak!
Cover
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Hinweis
Es ist nicht überliefert, ob Königin Jabbatha Die Allererste jemals abdankte
und ihrem Sohn, Prinz Jabbazack, den Thron überließ.
Fakt dagegen ist, dass der Bauer seit jenem Tag,
seiner Kuh mit Respekt und angewärmten Händen
gegenüber trat.
Tag der Veröffentlichung: 28.02.2016
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