Die folgende Geschichte ist wahr.
Sie ist weder einem kranken Hirn entsprungen, noch stammt sie aus irgendeinem Schundroman-Heftchen.
Sie ist wahr, weil sie ein Teil meines eigenen Daseins ist.
Ich gebe zu, ich war zunächst der Meinung, dass sie besser unerzählt bleiben sollte. Doch meine Schwester hat mich davon überzeugt, dass es vermutlich niemandem schaden wird, wenn er etwas über diese ganz spezielle Seite der menschlichen Seele erfährt.
So fern Sie mir zuhören wollen, werden Sie feststellen, dass es eben nicht nur gute und böse Seelen gibt. Es gibt auch ... ganz andere.
Und es wäre ja immerhin möglich, dass diese neue Erkenntnis, einmal ihr eigenes, unbedeutendes Leben retten könnte.
Wie dem auch sei, Sie allein tragen die Verantwortung für das, was die Befriedigung Ihrer Neugier mit Ihnen anstellt.
Edith lag nackt auf dem Rücken und hatte ihre schlanken Beine um die Hüften des schwitzenden jungen Mannes geschlungen, der es ihr besorgte, so gut er konnte. Ihre Hände fassten nach seinen muskulösen Schultern. Dabei grub sie lustvoll mit ihren langen, dunkelrot lackierten Fingernägeln tiefe, hellrote Striemen in seine weiße Haut. An seinen immer heftiger werdenden Bewegungen und seinem kurzatmigen Stöhnen erkannte sie, dass er bereits auf der Zielgeraden war.
Sie selbst allerdings, hätte sich gerne noch fünf Minuten gegönnt.
Konrad, der die beiden, von dem jungen Mann unbemerkt, vom Fußende des Bettes aus beobachtete, umschloss den schweren 38er Schraubenschlüssel einen Tick fester. Als er den Schlussakkord vernahm, war er zur Stelle und schlug dem Burschen mit einem wohl dosierten Hieb auf den Hinterkopf. Er wusste ganz genau, mit welcher Wucht er wohin schlagen musste, um sein Opfer nicht gleich zu töten. Bisher hatte er dafür - von einer Ausnahme abgesehen - immer ein gutes Gespür.
Der junge Mann hatte zum letzten Mal in seinem kurzen Leben der fleischlichen Lust gefrönt. Sein erhitzter Oberkörper sackte, wie von einem Dampfhammer getroffen, auf Ediths knabenhafte Brüste. Ohne ein Wort zu sagen, legte Konrad sein Werkzeug auf den Nachttisch. Aus der Platzwunde am Kopf des jungen Mannes sickerte etwas Blut und rann durch die blonden Haare über seine Wange, als weine er eine einzelne rote Träne. Konrad nahm ein Taschentuch aus seiner schmutzigen Jeans und wischte das Blut weg. Dabei wanderte sein zufriedener Blick von den Schultern des Toten bis zu dessen wohl gerundeten Arschbacken.
"Nimm ihn runter", sagte Edith und schob den Kopf des Opfers, der schwer auf ihrem Hals lag, zur Seite. Mit einem Griff unter beide Achseln hob Konrad den Bewusstlosen, dessen Eltern ihn auf den Namen Torsten getauft hatten, aus dem Bett. Er ließ Beine und Hintern des Jungen auf die Dielen fallen, um ihn rückwärts durch die offene Tür aus dem Zimmer zu ziehen.
Edith schloss die Augen, legte eine Hand zwischen die noch immer gespreizten Beine und setzte alles daran, dass sie dieses, für den Sieger so einmalige Rennen, dank ihrer Fingerfertigkeit, wenigstens mit dem zweiten Platz beenden konnte.
Das Wohnhaus der Geschwister Edith und Konrad Armanth war ein zweieinhalbgeschossiger, ziemlich ramponierter Altbau aus den Fünfzigern. Es stand an der Landstraße, in der Mitte zwischen einem unbedeutenden Weiler und einer ebenso unbedeutenden Kleinstadt.
Was den Erbauer veranlasst haben könnte, dieses Gebäude ins Niemandsland zu stellen, blieb dessen Geheimnis. Er wird seine Gründe gehabt haben. Hätte er geahnt, welche absonderlichen Dinge sich viele Jahre nach dem Richtfest dort abspielen würden, er hätte es vermutlich niemals gebaut. Es sei denn, die Hölle hätte ihn mit den gleichen Genen ausgestattet, die auch im Blut der Armanth-Geschwister ihren Teufelstanz aufführten.
In der Dämmerung, erinnerte das Haus den Betrachter ein wenig an das Gemälde "Der Schrei" von Edvard Munch. Es schien, als schrie seine Seele ihre Ohnmacht gegenüber den Grausamkeiten, die sich unter dem morschen Dach abspielten, mit stummer Verzweiflung in eine gleichgültige Welt hinaus. In eine Welt, deren Schöpfer sich resignierend von ihr abzuwenden schien, um sie dem Grauen und der Düsternis zu überlassen.
Hinter dem Haus befand sich das, womit sich die Geschwister Armanth ihren Lebensunterhalt verdienten. Jedenfalls den zu versteuernden Teil davon. Eine Kfz-Werkstatt mit Auto-Waschanlage. Ein rechteckiger Flachbau, ebenso schmucklos wie effizient. Mit drei rostroten Rolltoren an der Vorderfront und vier blinden Fenstern an der Rückseite, die mehr Licht abhielten, als sie hinein ließen. Im rechten Drittel des Baues war die Waschanlage untergebracht. Die eigentliche Werkstatt mit den zwei Hebebühnen füllte den restlichen Raum. In der linken hinteren Ecke der Werkstatt befanden sich die Toilette und eine Dusche.
Im geschwisterlichen Betrieb herrschte eine exakte Aufgabentrennung: Konrad kümmerte sich um die Angestellten und die Kunden, um Werkzeuge, Arbeitsmaterialien und um die Versorgung der Opfer. Edith erledigte neben der Hausarbeit die Buchhaltung und alle Schreibarbeiten. Ihre Aufgabe war auch das Anlocken und die Bereithaltung der Opfer zwecks weiterer Verwertung.
Die einzige Arbeit, die beide gemeinsam erledigten, war das Auswählen der Bewerber, wenn wieder ein neuer Mechaniker benötigt wurde. Was in guten Jahren drei oder viermal der Fall sein konnte. Das war ganz davon abhängig, wie gut der Nebenerwerb der Armanths lief. Und das wiederum hing sehr von der Qualität des, bei den ganz speziellen Kunden begehrten und verständlicherweise sehr knappen, Angebotes der Geschwister ab. Deshalb war die Auswahl der Opfer so wichtig und bedurfte der fachlich qualifizierten Beurteilung beider Geschäftspartner.
Das handwerkliche Können der Bewerber war nebensächlich. Was man ihnen aus verständlichen Gründen verschwieg. Vielmehr von Bedeutung war ihr Alter, das möglichst zwischen zwanzig und achtundzwanzig Jahren liegen sollte und die davon ausgehende Vermutung, dass die Burschen gesund waren.
Eingestellt wurde nur derjenige, der die wirklich wichtigen Kriterien erfüllte. Und dazu gehörte auch - das soll nicht verschwiegen werden - eine altersgemäße Potenz, die mit primären Geschlechtsmerkmalen einherging, welche der allgemein gültigen, genauer gesagt der Edith-Armanthschen-Norm entsprachen.
Denn Edith hatte zweifelsfrei einen Blick dafür - und ein geschicktes Händchen.
Auch das jüngste Opfer der beiden, Torsten Kern, musste sich dieser Norm-Prüfung unterziehen. Nachdem er geduscht hatte, rief Edith den jungen Mann an einem nasskalten Oktobertag unter einem Vorwand in den kleinen Raum, der als Büro diente. Dort hatte man den Eindruck, als hätte es ein fehlsichtiger Tornado zwar geschafft, Aktenordner und Schnellhefter in grotesker Weise auf neun Quadratmetern Bodenfläche zu verteilen, dabei aber völlig übersehen, den überall präsenten Staub weg zu pusten.
"Deine Krankenkasse hat angerufen. Irgendwas mit deiner Mitgliedsnummer sei nicht in Ordnung. Gib mir mal dein Kärtchen", sagte Edith und fasste dabei prüfend an die armdicken Rippen des Heizkörpers Marke "Vorkriegsmodell".
Wegen der an vielen Stellen abgeplatzten Farbe, vermittelte er den Eindruck, als hätte an ihm ein durchgeknallter Waidmann die Schusskraft seiner Schrotflinte ausprobiert.
"Die spinnen doch!", ärgerte sich Torsten, der auf Sätze mit weniger als fünf Wörtern spezialisiert war, und begann damit, seinen Geldbeutel zu durchsuchen.
"Ich finde, die alte Heizung bringt's noch erstaunlich gut. Was meinst du, Torsten? Ist dir nicht auch warm?" Edith trug ein dezent gemustertes, kniefreies Kleid, das sich wie eine zweite Haut an ihren schlanken, zierlichen Körper schmiegte. Sie hatte die oberen Knöpfe bereits so weit geöffnet, dass Torsten gleich beim ersten Blick die rosige Haut der beiden zarten, kleinen Halbkugeln in ihrem Dekolletee aufgefallen war. Um zu zeigen, wie gut ihrer Meinung nach die Heizung arbeitete, wedelte sie so heftig mit dem Saum ihres Kleides auf und ab, dass Torsten das Portemonnaie fallen ließ, als er bemerkte, dass ihm zwischen Ediths Schenkeln ein dreieckiger dunkler Flaum entgegen lachte. Nach einer Schrecksekunde bückte er sich, um seine Geldbörse aufzuheben. Diese Geste wiederum hielt Edith für den geeigneten Zeitpunkt, um wieder ihr Kleidchen zu lüften und über den Kopf ihres überrumpelten Opfers zu streifen.
Mit beiden Händen drückte sie Torstens Nase sanft an ihr Dreieck. Dem jungen Mann schoss das Blut in den Kopf – jedenfalls ein Teil davon. Ein anderer Teil sammelte sich etwas tiefer. Ihm wurde heiß. Sehr heiß. Er musste, ohne Gegenwehr leisten zu können, feststellen, dass Edith mit ihrer Meinung über die Qualität der alten Heizung hundertprozentig richtig lag.
An diesem Nachmittag schaffte Torsten Kern mit Bravour den letzten Eignungstest, den er auf dieser Welt zu bestehen hatte. Dass ihn diese Meisterleistung, das Leben kosten könnte, daran dachte er nur einen winzigen Augenblick lang. Zu dem Zeitpunkt nämlich, als Edith, nach dem das Hauptgericht bereits drei Mal gereicht worden war, auch noch auf einem Dessert bestand.
Nachdem sie ihrem Bruder berichtet hatte, dass Torsten für ihr Vorhaben hinreichend geeignet war, beschlossen beide das Finale auf übermorgen, Freitagnachmittag, festzulegen. Konrad ging zum Telefon und einigte sich mit seinem Kunden auf einen Termin am Samstag.
Edith brauchte diesmal keinen Vorwand, um den jungen Mann dahin zu kriegen, wohin sie ihn haben wollte. Vor lauter Vorfreude bekam er weiche Knie, aber auf die kam es ja zum Glück nicht an. Pech für ihn, dass ihm ein paar Minuten später ein Schraubenschlüssel während des höchsten Taumels, ein Ticket für die Reise in eine unbekannte Dimension ausstellte.
Als ihn Konrad aus dem Zimmer seiner Schwester in die Diele gezogen hatte, hievte er ihn sich über die Schulter und trug ihn hinunter in den Keller. Er beförderte sein Opfer in das, für solche Fälle karg, aber ausreichend präparierte Verlies, wo er ihn auf einen selbst gezimmerten Tisch legte. Die Tischplatte war mit einer stabilen Folie ausgelegt, die gut einen halben Meter über die Tischkanten hinausragte. Konrad schob die Augenlider des Bewusstlosen hoch und prüfte dessen Puls. Wenn deine Ohnmacht vorüber ist, dachte Konrad, wirst du garantiert keine Kopfschmerzen haben. Das verspreche ich dir.
Aus einem Metallspind nahm Konrad mehrere transparente Kunststoffbeutel, an denen jeweils ein durchsichtiger, dünner Schlauch befestigt war. Er nahm eine sterile Kanüle aus der Verpackung und schob sie mit geübtem Griff in die Vene der rechten Armbeuge seines Patienten. Dann verband er den Schlauch mit der Kanüle und öffnete das kleine Ventil. Er ließ das Blut, das bald anderen, als den ursprünglich vorgesehenen Zwecken dienen würde, in den ersten Beutel laufen. Dieser war bereits mit einem Mittel präpariert, welches die Gerinnung des wertvollen Stoffes verhinderte.
Seelenruhig setzte sich Konrad auf einen Schemel, rauchte eine Zigarette und sah zu, wie sich der Beutel füllte. Dabei drehte er den schimmernden Ring an seiner linken Hand gedankenverloren hin und her. An dem Ring prangte ein goldener Totenkopf, in dessen Augenhöhlen zwei winzige Rubine eingearbeitet waren. Hinter dem schwarzen Schnauzbart in seinem hohlwangigen Gesicht, formten sich seine schmalen Lippen zu einem zufriedenen Lächeln.
Beim Ansetzen des vierten Beutels, stöhnte der unfreiwillige Spender leise auf, und versuchte schwerfällig den Kopf zu heben. Konrad stand ohne Eile auf und stellte den alten Zustand wieder her, in dem er so heftig auf Torstens Stirn schlug, dass dessen Hinterkopf hart auf die Tischplatte aufprallte. Kurz darauf entschwand Torstens Seele lautlos in höhere Gefilde.
Der Blutstrom versiegte, und Konrad legte den Beutel zu den anderen in den kleinen Kühlschrank neben dem Spind. Er zog die Kanüle aus Torstens Arm und warf sie mit dem Schlauch in den Mülleimer unter dem Tisch. Dann öffnete er den Spind und zog ein Paar, mit antibakteriellem Puder bestäubte Vinylhandschuhe aus einem Karton, und streifte sie über seine behaarten Hände. Neben der Handschuhschachtel lag ein Skalpell, welches er für den letzten Akt seines bizarren Tuns benötigte.
Über dem Tisch war an der Wand eine Lupenlampe befestigt. Er schaltete sie ein und platzierte die runde Lupe mit Hilfe des beweglichen Armes exakt über Torstens Geschlecht. Mit der linken Hand schob er den Penis zur Seite und begann mit geübten Händen das Abtrennen des Hodensackes.
Es dauerte keine zehn Minuten, dann hatte er sein Werk vollendet. Als Konrad hörte, dass seine Schwester die Kellertreppe herunter kam, legte er das Amputat auf den Tisch zwischen Torstens Knie, was dem Gesamtbild der Leiche einen grotesken Ausdruck verlieh, und ging zur Tür.
"Ich bin gleich soweit. Bring unser Kraftwerk schon mal auf Vordermann, damit unser Patient nicht mehr frieren muss", meldete er sich.
Ohne einen Blick durch die geöffnete Tür in die Schreckenskammer zu werfen, ging sie zu dem riesigen, uralten Holzofen in den Heizungsraum. Sie nahm einen Metallhaken von der Wand, mit dem sie mehrmals kräftig unter den klemmenden Riegel der Ofentür schlagen musste, ehe dieser nachgab, und sie die schwere gusseiserne Tür mit dem Haken aufziehen konnte. Sie musste einen Schritt zurückweichen, als das Höllenfeuer mit seinen heiß glühenden Klauen nach ihr zu greifen drohte.
Von dem Haufen Scheitholz, das mannshoch gestapelt über die ganze Breite des Raumes neben dem Ofen lag, nahm sie so viele Stücke, wie sie tragen konnte. Dann fütterte sie den hungrigen Drachen, damit ihr Opfer entsorgt werden konnte, möglichst ohne viele Rückstände zu hinterlassen.
In der Zwischenzeit hatte Konrad die beiden Hoden fein säuberlich aus ihrem runzligen Versteck herausgeschält und gewaschen. Danach legte er sie in eine Kunststoffbox und stellte sie zu den Blutkonserven in den Kühlschrank. Ohne Zeit zu verlieren machte er sich an die Entsorgungs- und Aufräumarbeiten. Torstens Leiche mit dem ausgeräumten Hodensack wickelte er in die Folie und trug das Paket zum Ofen. Der brauchte noch ein paar Minuten, bis er die geeignete Temperatur entwickelt hatte. Den Schlauch, die Kanüle und die Handschuhe legte er dazu. Das Skalpell reinigte er sorgfältig in dem ehemals weiß emaillierten Waschbecken seines Privat-OPs.
Als der Ofen genügend Höllenglut entfacht hatte, übergab Konrad die Leiche samt Folie und den restlichen Utensilien dem gierigen Feuergott, der seine Arbeit widerspruchslos aufnahm.
Da Konrad in aller Frühe aufbrechen wollte, um seinem Kunden die neue Ernte feilzubieten, ging er an diesem Abend frühzeitig ins Bett.
Edith dagegen leerte noch eine halbe Flasche Weinbrand vor der Glotze, und legte sich dabei die Worte zurecht, mit denen sie ihrem zweiten Angestellten und womöglich nächsten Opfer, das Verschwinden seines Kollegen erklären wollte.
Bei solchen Gelegenheiten zahlte es sich immer aus, dass bei der Auswahl der Mechaniker darauf geachtet wurde, dass diese nicht aus der näheren Umgebung stammten und möglichst ohne feste Bindung waren.
Am nächsten Morgen stand Konrad schon um halb acht unter der Dusche. Nachdem er im Heizungskeller den Ofen nochmals mit Holz gefüllt hatte, konnte er sicher sein, dass bis zu seiner Rückkehr am späten Nachmittag, von dem jungen Mann keine allzu sperrigen Teile mehr übrig sein würden.
Er nahm die Blutbeutel und die kleine Frischhalteschachtel aus dem Kühlschrank und verstaute alles in einer mit Kühlakkus ausgelegten Thermobox, als mache er sich auf den Weg zu einem Picknick. So etwas ähnliches würde es ja auch werden.
Auf den Seitentüren seines alten Mercedes-Kombis stand in gelben Lettern: Kfz-Meisterbetrieb Geschwister Armanth.
Hätte man dort lesen können: Geschwister Armanth Party-Service - Außergewöhnliche Delikatessen für außergewöhnliche Gourmets, hätte ihn ebenfalls niemand als Lügner beschimpfen können.
Als er seine Spezialitäten eingeladen hatte und losfuhr, schlief Edith noch. Der Werkstattbetrieb begann samstags erst um neun.
Konrad kam gegen Mittag am vereinbarten Treffpunkt an. Der kleine Rastplatz, auf den er seinen Kombi lenkte, lag auf einer dicht bewaldeten Anhöhe und war leer. Er schaute auf seine Armbanduhr und stellte fest, dass er gut zehn Minuten zu früh dran war. Er zupfte an seinem Schnauzer und überlegte, ob er trotz des leichten Nieselregens aussteigen sollte. Er nahm seine abgewetzte, hellbraune Lederjacke vom Beifahrersitz und stieg aus. An die Heckklappe seines Mercedes gelehnt, zündete er sich gerade eine Zigarette an, als er neben sich eine bekannte Stimme hörte:
„Rauchen tötet, mein Freund!"
Obwohl niemand, der ihn kannte, Konrad als schreckhaft bezeichnen würde, zuckte er zusammen. Denn er hatte weder ein Auto kommen hören, noch hatte er Schritte vernommen. Und dennoch stand der Mann im schwarzen Mantel, der Konrad um Haupteslänge überragte, keinen halben Meter neben ihm und lächelte ihn an. Genauer gesagt: dessen Mund lächelte. Zwei dünne, blutleere Lippen öffneten sich und gaben zwei Reihen schmaler, leicht rosa schimmernder Zähne frei. Aber die Augen des Mannes blieben kalt und dunkel.
Wenn es stimmt, dass die Augen der Spiegel der Seele sind, dann hatte er seine Seele sehr gut versteckt.
Nachdem in Konrads blassem Gesicht wieder Leben zu erkennen war, begrüßte er sein Gegenüber und öffnete die Heckklappe seines Wagens. Der Mann stand wortlos daneben und hatte seine Hände in den Manteltaschen vergraben. Bevor Konrad den Deckel der Kühlbox öffnete, schaute er sich auf dem Rastplatz um. Er war immer noch leer. Außer ihnen, war hier weit und breit niemand zu sehen. Da waren nur der kalte Wind, der über die Anhöhe pfiff und das Rauschen des vorbei brausenden Autobahnverkehrs.
Als Konrad noch darüber nachdachte, ob er seinen Kunden, mit dem er nicht zum ersten mal auf die immer gleiche Art und Weise den Tausch Ware gegen Bares abwickelte, fragen sollte, wo dessen Auto geparkt sei, deutete dieser auf die Box.
"Lass sehen!"
An seiner rechten Hand trug auch er einen goldenen Ring mit Totenkopf und Rubinaugen. Er hatte die seltene Gabe, wie ein Bauchredner sprechen zu können, so dass fast gar keine Lippenbewegung zu bemerken war.
Konrad wusste, dass sein Abnehmer zu einer besonderen Spezies gehörte, und jedes mal, wenn er ihn traf, hatte er ein flaues Gefühl in der Magengrube.
Doch was tut man nicht alles, wenn die Kohle stimmt?
"Ja, klar", sagte Konrad. Den Deckel der Box hatte er abgenommen. Der Mann beugte sich über die Ladefläche und griff in die Kiste. Mit geschlossenen Augen strich er mit der beringten Hand über einen der Beutel. Danach nahm er sich der kleinen Frischhaltebox an. Vorsichtig öffnete er diese und roch daran, während er noch halb im Wagen steckte. Er nickte bedächtig und legte sie wieder zurück. Dann ging er wortlos um das Fahrzeug herum und setzte sich auf den Beifahrersitz.
Jetzt würde der angenehmere Teil des Geschäftes beginnen, freute sich Konrad, und stieg hinters Lenkrad. Der Mann griff in die Innentasche seines Mantels und zog einen Umschlag heraus. Konrad bemerkte trotz seiner Vorfreude, dass die blassen Hände des Mannes mit den langen, dürren Fingern zitterten. Was ihn aber keineswegs beunruhigte, denn das war immer so, wenn sein Kunde mit der Qualität der Lieferung besonders zufrieden war.
Als Konrad nach dem Umschlag mit den vielen schönen Scheinen greifen wollte, spürte er einen eiskalten Luftzug in seinem Nacken. Er stoppte in seiner Bewegung und drehte sich um. Seine Nerven, die seit dem Eintreffen des Mannes doch leicht angespannt waren, wurden einer ziemlich heftigen Zerreißprobe unterzogen. Hinter ihm saß eine Frau, die er nie zuvor gesehen hatte. Ihm war völlig schleierhaft, wie sie unbemerkt in das Auto kommen konnte. Sie lächelte ihn an. Sie hatte die gleichen exotischen Gesichtszüge wie sein Kunde. Sie war ebenfalls schwarz gekleidet und ihre dunklen Haare bedeckten ihre Stirn bis zu den Augenbrauen.
"Eric! Du bist unhöflich!" hörte Konrad sie mit unbewegtem Mund sagen. "Willst du uns nicht vorstellen?"
"Verzeihung, Liebes", sagte der Mann. "Darf ich bekannt machen? Das ist Konrad. Konrad, das ist meine Schwester Tanja.“
Den Kopf immer noch zur Rückbank gedreht, brachte Konrad nur mühsam ein leichtes Nicken zustande. Der Blick der Frau verursachte in seinem verwirrten Hirn einen brennenden Schmerz, sodass er seinen ganzen Willen aufbieten musste, nicht wie ein angestochenes Stück Vieh laut aufzuschreien. Obwohl es in dem Wagen inzwischen eiskalt geworden war, traten Schweißperlen auf seine Stirn.
Du musst hier raus! Schoss es Konrad durch den Kopf. Er versuchte, mit der linken Hand die Tür zu öffnen, doch sein Körper gehorchte ihm nicht mehr und es schien, als wäre er am Sitz festgeklebt. Sein Blick fiel auf seinen Kunden, doch der lächelte nur stumm, als hätte er Gefallen an dem, was er sah.
Konrad fühlte die gleiche Panik in sich aufsteigen, wie damals, in diesem beschissenen Kindheitstraum, als das Monster hinter ihm her war und er weglaufen wollte. Trotz aller Anstrengungen kam er nicht von der Stelle. Wenn er dann den eisigen Atem seines gefräßigen Verfolgers im Nacken spürte, ließ ihn jedes mal ein gnädiger Gott mit einem Schrei aufwachen, und der Spuk war vorüber - wenigstens für diese Nacht. Doch hier und jetzt brachte er nicht einmal einen Schrei zustande.
Im Augenwinkel bemerkte er eine Bewegung. Die Frau hatte sich zu ihm vorgebeugt und ihre Arme um seine Schultern gelegt. Starr und steif, wie eine Lammkeule in der Gefriertruhe, musste Konrad zulassen, dass sie ihre bleichen Hände unter seiner Lederjacke auf seine Brust legte.
Sekunden später hatten seine Qualen ein Ende. Ihm wurde schwarz vor Augen und der Tod machte hinter Konrads Namen ein blutrotes Häkchen.
*
Jetzt, da ich Ihnen dieses fürchterliche Geheimnis offenbart habe, quälen mich wieder meine alten Bedenken. Vielleicht wäre es besser gewesen, ich hätte diese Wahrheit dort gelassen, wo sie war. In den toten Herzen der Beteiligten. Doch nun ist es zu spät, und ich denke, wir beide, Sie und ich, sollten den Mut aufbringen, um nach vorne zu schauen. Wenn Sie einverstanden sind, vertraue ich Ihnen auch noch den Rest der Geschichte an. Sofern Sie noch die Nerven dazu haben.
*
Die beiden Schwarzgekleideten legten den Leichnam Konrads auf die Ladefläche des Kombis und bedeckten ihn mit dem Mantel des Mannes. Der Rastplatz war immer noch leer. Niemand sah, dass sich beide je einen Blutbeutel aus der Box nahmen und den Inhalt gierig austranken. Wie zwei Verdurstende, die im letzten Moment doch noch die rettende Oase erreicht hatten.
Sie setzten sich wortlos in den Mercedes und fuhren zur Werkstatt, wo die ahnungslose Edith dabei war, das nächste Opfer ausgiebig zu testen. Deshalb bemerkte sie auch die Ankunft der beiden nicht. Sie bemerkte auch nicht, dass jemand den Höllenofen im Keller mit Holz befüllte, und dass Konrad auf den obersten Scheiten ein warmes Lager gefunden hatte.
Die beiden Fremden warteten, bis der recht ausgelaugt wirkende Mechaniker das Anwesen verlassen hatte, und begaben sich danach in Ediths Schlafzimmer. Edith lag nackt in den zerwühlten Daunen und war befriedigt eingeschlafen.
Es sollte ein Schlaf ohne Erwachen werden. Ein friedlicher Tod. So mancher wünscht sich, genau so in die andere Dimension überzutreten, wenn seine Zeit gekommen ist.
Konrad sollte nicht lange alleine bleiben. Edith folgte ihm im Abstand von ein paar Minuten.
Asche zu Asche - Staub zu Staub.
*
Nun kennen Sie auch das Ende der Geschichte. Wenn Sie der Meinung sind, dass ich mit meinen Skrupeln recht hatte, dann holen Sie sich jetzt eine Flasche Hochprozentigen aus Ihrer Bar und versuchen Sie, zu vergessen.
Wenn Sie aber glauben, das Ganze sei zu haarsträubend, um wahr zu sein, dann hoffe ich für Sie, dass Sie kein junger Kfz-Mechaniker sind, der sich bei einem Geschwisterpaar um einen Job bewerben will.
So, nun muss ich Sie mit Ihren Gedanken alleine lassen, denn meine Schwester Tanja und ich haben einen Termin mit einem jungen Mann, der sich um einen Arbeitsplatz in unserer neu erworbenen Autowerkstatt bemüht.
Ach, bevor ich es vergesse, noch ein kleiner Tipp:
Kennen Sie auch diese höllisch scharfen Chips aus frischen männlichen Keimdrüsen? Sie sind eine faszinierende Gaumenfreude, die sich jeder, der über ein wenig Kochkenntnisse verfügt, selbst zubereiten kann.
Aber bitte, verwenden Sie zum Rösten ausschließlich frische Butter!
Auf keinen Fall Olivenöl!
Tag der Veröffentlichung: 23.02.2016
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