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Grabulski und Frau Grießmanns ungeeignetes Werkzeug

 

 

Trautes Heim, Glück allein.

Dieser dämliche Spruch, in grünen Buchstaben auf ein vergilbtes Leinentuch gestickt, hing im braunen Holzrahmen über dem Sofa meines Elternhauses an der Wohnzimmerwand.

Mir wird heute noch übel, wenn ich daran denke, wie oft sich meine Erzeuger unter diesem Sinnbild der Spießigkeit gezofft haben. Nicht selten hatte ich erwartet, dass dabei einer dem andern das Lebenslicht ausbläst.

Und nach dem Debakel mit meinem tauben Ex-Nachbarn Heistermann fand ich mich in meiner Ansicht bestätigt, dass es Frieden unter den Menschen niemals geben wird.

Es gibt eben nichts Schlimmeres als Leute.

Mir gefiel mein lautes Heim nicht mehr, obwohl es vielleicht nach dem plötzlichen Verschwinden Heistermanns wahrscheinlich leiser zugegangen wäre. Also ging ich auf die Suche nach einem Käufer für meine Hütte.

Jeden Morgen steht ein Doofer auf – und genau so einer zahlte mir fünf Riesen mehr, als ich für die schimmligen Mauern hingeblättert hatte.

Bei meiner Suche nach einem weit entfernt von nervenden Mitmenschen stehenden Gebäude, musste ich einsehen, dass es verdammt schwierig ist, so ein Refugium zu finden. Also ging ich wieder mal einen Kompromiss ein.

Meine Wahl fiel auf Häuschen, das auf seiner linken Seite wenigstens von einem zerfallenen Schuppen vom Nachbarhaus getrennt war, sodass knapp fünf Meter Abstand zwischen mir und einer alleinstehenden Frau namens Grießmann bestand.

Wobei ich mir bis heute nicht sicher bin, ob diese Frau nicht ein Kerl war, der gerne in Kittelschürze rumlief. Ihr Gesicht hatte mehr Falten, als mein Bettlaken nach einer unruhigen Nacht, und mit ihrer rauen, tiefen Stimme hätte sie ihren windschiefen Schuppen spielend zum Einsturz bringen können, auch ohne Posaunen. Sie trug sonntags wie werktags eine schwarz-weiß gemusterte Kittelschürze, die ihre zierliche Figur straff umhüllte, ohne dass sich weibliche Rundungen erkennen ließen. Auch ihre dunklen, von grauen Strähnen durchzogenen kurzen Haare, die aussahen, als hätte ihr Frisör dressierte Mäuse beschäftigt, bestärkten meinen Zweifel.

Einen rechten Nachbarn gab es zum Glück nicht. Mein Haus stand auf dieser Seite am Rande einer kleinen parkähnlichen Anlage mit niedrigen Bäumen, Büschen und Grasflächen, durchzogen von schmalen Spazierwegen.

 

Zu jener Zeit war ich für einen Bio-Bauern als Verkaufsfahrer tätig. Das war nicht mein Traumjob. Jede Woche war ich von Montag bis Samstag mit einem Kombi voller Eier und Milchprodukte in der Umgebung unterwegs. Das war ja an sich nicht schlimm. Nur leider verlangte mein Chef, dass ich diese Sachen an Menschen verkaufen sollte.

Nun, mit der Zeit fand ich heraus, wie ich meine Ohren auf Durchzug stellen konnte, sodass mir das Gelaber meiner Kunden mehr oder weniger wie das Rauschen des Windes, oder das Blubbern meiner Heizungsrohre erschien. Es tut nicht weh, lässt sich aber auch nicht ändern. Nach wenigen Wochen hatten sich die Käufer an meine Einsilbigkeit gewöhnt und schätzten vor allem meine Pünktlichkeit, und dass ich nicht wie mein Vorgänger versuchte, sie beim Wechselgeld zu bescheißen.

Ich kam sogar an einen Punkt, an dem ich erstaunt feststellte, dass mir der Job ein wenig Spaß machte. Dann allerdings kam der Januar, und mit ihm Schnee und vor allem eine Eiseskälte.

Eines Samstagmorgens stieg ich in meine alte Blechkiste, um zur Arbeit auf den Bio-Hof zu fahren. Dort stellte ich normalerweise mein Auto ab, um anschließend den Firmen-Kombi mit den Hinterlassenschaften von Huhn und Kuh zu beladen.

Als ich vor die Tür trat, sah ich, was die Winternacht mit meinem fahrbaren Untersatz angestellt hatte. Er war rundum vereist, sodass ich erst einmal nachdenken musste, wo ich meinen Eiskratzer finden könnte. Nachdem ich ihn erfolgreich in der hintersten Ecke meines Kellers entdeckt hatte, machte ich mich an die Arbeit.

Nach einer gefühlten Ewigkeit und mit steif gefrorenen Händen, stieg ich ins Auto und erlebte den nächsten Schock: die Batterie war in der Nacht still und leise gen Himmel gefahren.

Aber wozu ist man Mitglied im Automobil-Club? Zu meinem Unglück schien an diesem Tag vielen Batterien das Lebenslicht erloschen zu sein, und so trat ich erst mit fast zwei Stunden Verspätung meinen Dienst an.

Mein Chef brachte mich dann aber auf eine gut Idee:

„Mann, Grabulski“, flüsterte er mir so liebenswürdig zu, dass sich die Köpfe meiner Kollegen wie auf Kommando zu uns umdrehten.

 

„Sind sie vom Lemmes gepickt? Sie brauchen Ihre Schrottkiste jeden verdammten Tag, also kümmern Sie sich gefälligst auch um sie. Hören Sie keinen Wetterbericht, oder ist es Ihnen entgangen, dass wir Winter haben, verdammt noch mal? Ich will so was nicht noch mal erleben, ist das klar!“

 

Wo die gute Idee dabei war? Na, mir erschien bei seinen aufmunternden Worten Frau Grießmanns halbverfallener Schuppen vor meinem geistigen Auge. Das wäre doch der ideale Garagenplatz für meine Karre.

Bei der Heimfahrt sprang mein Wagen mit der neuen Batterie, die mir der Mechaniker vom Automobil-Club angedreht hatte, ohne Probleme an, sodass ich, trotz der kältebedingten Verzögerung vom Vormittag, noch rechtzeitig zur Regionalschau des dritten Fernsehprogramms zu Hause war. Die schaute ich täglich. Davon konnte mich nichts und niemand abhalten.

Tags darauf, es war Sonntag und ich hatte frei, waren es fünf Grad plus, die Sonne lachte zwischen weißen Wölkchen hindurch, und mein Auto stand eisfrei vor meiner Tür, als hätte es den gestrigen Vorfall nie gegeben. Ich schaute zum Himmel und zeigte Petrus den Stinkefinger, als ich vor Grießmanns Haustür stand und auf den Klingelknopf drückte. Denn sie war der Schlüssel zu der zukünftigen, winterfesten Heimstatt für meine Kutsche. Ihr gehörte nämlich nicht nur die Bretterbude, sondern auch das Grundstück darunter.

Die Tür ging auf und es schauten mich zwei rot unterlaufene, mausgraue Augen an.

„Guten Morgen, Frau Grießmann“, sagte ich lächelnd und versuchte, ihrem misstrauischen Mäuseblick stand zu halten. „Ich hätte Sie gerne einmal gesprochen.“

Dann tat die Maus in dem schwarz-weißen Kittel etwas, womit sie mich beinahe aus der Fassung brachte. Sie lächelte, trat einen Schritt zur Seite und sagte mit einer einladenden Handbewegung: „Das ist ja eine Überraschung, Herr Grabulski. Kommen Sie doch rein. Ich wollte mir gerade eine Tasse Kaffee machen. Möchten Sie auch einen?“

Und dabei erschienen hinter ihren blassen Lippen zwei blendend weiße, tadellose Kauleisten.

Nach einer kurzen Schrecksekunde antwortete ich: „Gerne. Da sage ich nicht nein.“

Sie führte mich in ihr kleines, aber picobello sauberes und aufgeräumtes Wohnzimmer.

Fünf Minuten später saßen wir am Tisch, tranken Kaffee und aßen selbstgebackenen Streuselkuchen. Ich fand, dass diese freundschaftliche Atmosphäre genau richtig, für ein erfolgreiches Gespräch sei. Als sie mir das zweite Stück Kuchen auf den Teller legte, fragte sie: „Über was wollten Sie denn mit mir reden, Herr Grabulski?“

„Ich hatte daran gedacht, Ihnen den Teil Ihres Grundstückes mit dem Schuppen drauf abzukaufen, weil ich für mein Auto eine Garage brauche.“

„Aber ich benutze den Schuppen als Unterstand für mein Moped und mein Fahrrad. Tut mir leid, aber da kommen wir nicht ins Geschäft.“

 

Es war wie immer im Leben. Lacht dir schon am Morgen die Sonne ins Gesicht, tut sie das nur, damit du die Augen schließt und nicht siehst, wie sie ausholt, um dir kräftig in den Arsch zu treten.

Hatte diese blöde Zicke mich doch voll auflaufen lassen. Ich wünschte ihr nichts Schlechtes, aber beim nächsten Mal, wenn sie in diesen morschen Bretterverschlag geht, soll ihr die Decke auf ihren Schädel knallen.

 

An einem Montag, zwei Wochen nach diesem Reinfall, bemerkte ich, dass die Grießmann in diesem Scheißschuppen mit Hammer und Fuchsschwanz zu Gange war.

Na klar, sie will mir nach ihrer Absage nur demonstrieren, wie nötig sie den Platz für ihre rostigen Vehikel braucht. Soll sie doch, dachte ich, hoffentlich bricht das Ding zusammen, wenn sie gerade drin ist.

 

Am Abend schaltete ich die Glotze an, um die Regionalschau nicht zu verpassen, und ich musste wieder mal feststellen, dass man sich auf nichts mehr verlassen kann. Da warnte der Verbraucherschutz vor dem Gebrauch einer bestimmten Handkreissäge, da man an den Metallteilen einen tödlichen elektrischen Schlag bekommen kann. Und ich hatte mir erst drei Tage zuvor genau dieses Modell gekauft. Noch nicht mal ausgepackt, musste ich sie nun wieder zurückbringen. Was war bloß aus dem guten alten „Made in Germany“ geworden?

 

Am Tag darauf kam ich von meiner Schicht und stieg gerade aus meinem Wagen, als ich Zeuge wurde, wie Frau Grießmann, wie ein Rohrspatz fluchend, in ihrer Bretterbude den Fuchsschwanz auf den Boden knallte.

„Aber liebe Nachbarin“, sagte ich und hob beruhigend die Hände. „Warum mühen Sie sich mit denn mit der rostigen Handsäge ab? Warten Sie, ich hab da was. Gerade erst gekauft und noch in der Originalverpackung.“

 

 

 

 

 

 

 

 

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Tag der Veröffentlichung: 08.02.2016

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