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Herrn Heistermanns nervtötende Schwerhörigkeit

Ich hatte es genau gehört.

Dieter Krebs fragte: „Wärst du nicht manchmal gerne ein Mann?“

Iris Berben antwortete: „Nein, und du?“

Dabei war es noch nicht einmal 9 Uhr morgens.

Mein Nachbar Kurt Heistermann saß mal wieder vor der Glotze. Die Lautsprecher waren so stark aufgedreht, wie die Stadionansage von Bayern München beim 3 zu 0 gegen Real Madrid.

 

Ich schenkte mir die vierte Tasse Kaffee an diesem Morgen ein und überlegte, ob ich ihn mit dem großen Küchenmesser erstechen, oder mit meinen bloßen Händen erwürgen sollte. Wie oft hatte ich ihm schon gesagt, dass ich kein Interesse daran habe, die Sendungen, die er sich anschaut, als Hörspiel mitzuerleben? Tausende Male. Es nützte alles nichts.

 

Wir wohnten in zwei aneinander gebauten, einstöckigen Häuschen am Waldrand. Aus welchem Grund die Erbauer die Trennwand zwischen den Häusern scheinbar in Papierstärke mauern ließen, war mir schleierhaft. Meine Küche lag direkt neben seinem Wohnzimmer. Wenn Heistermann eine leere Bierflasche umstieß und sie über seinen Steinfußboden Marke Estrich Wilhelm II rollte, bekam ich jedes Mal einen Hörsturz und mein Kanarie fiel ohnmächtig von seiner Stange. Es gab nur wenige Stunden am Tag, an dem ich meine Ruhe hatte. Mein Nachbar ging täglich spazieren. In den Wald, um den Baggersee herum. Das waren knapp zwei Stunden Paradies. Und nachts, wenn im Sportkanal die blanken Möpse hüpften bis das Frühstücksfernsehen begann.

 

Als ich ihm vor Kurzem vorschlug, er solle sich einen Kopfhörer zulegen, meinte er nur, so ein teures Gerät wäre bei seinem knappen Arbeitslosenbudget nicht drin.

Ich bin mir meiner sozialen Verantwortung bewusst, also machte ich mich auf die Suche nach einem gebrauchten Funkkopfhörer.

Auf dem Flohmarkt handelte ich den Preis von zwölf auf neun Euro herunter und hielt meinem Nachbarn das Schnäppchen stolz unter seinen geröteten Zinken.

Seine Freude hielt sich in Grenzen. „Das ist nett, Grabulski. Aber wie desinfiziert man einen Kopfhörer ohne dass die Technik leidet?“

„Du kannst die Schaumstoffteile abnehmen und kurz in ein Essigbad legen. Das müsste reichen“, sagte ich.

Während ich versuchte, meiner Stimme einen honigfarbenen Ton zu geben, hatte er bereits mit skeptischer Miene den Batteriedeckel geöffnet.

„Da fehlen die Akkus“, sagte er vorwurfsvoll.

„Die sind noch bei Varta zum aufladen“, brüllte ich und schlug meine Haustür zu.

Eine Minute später hörte ich die Nachrichten auf n-tv.

 

Tags darauf startete ich einen neuen Versuch.

„Warst du schon beim Ohrenarzt?“

„Hm“, brummte er.

„Und?“

„Er hat mir zwei Hörgeräte verschrieben.“

„Und?“

„Weißt du, was so was kostet?“

„Aber du kriegst doch bestimmt nen Zuschuss als Hartzer.“

„Kann sein. Aber ich kann so Dinger in meinen Ohren nicht haben.“

„Daran gewöhnt man sich.“

„Ich nicht“, sagte er und verschwand in seiner Hütte.

„Und ich habe endgültig die Schnauze voll!“, rief ich ihm hinterher und kaufte mir Ohropax.

Aber er hatte Recht, so Dinger in den Ohren sind nicht jedermanns Sache.

 

Mein Wohnzimmer war zum Glück der am weitesten von Heistermanns Raketenstartgelände entfernte Raum in meinem Haus. Wenn ich meine Küchen- und Wohnzimmertür geschlossen hielt, vernahm ich nur noch ein Raunen aus Nachbars Glotze, das in etwa so leise war, wie eine Horde Kinder auf einem Bolzplatz.

 

Am Samstag steckten mal wieder die üblichen Werbeblättchen in meinem Briefkasten, die mir jede Woche etwas Abwechslung in meinen tristen Alltag bringen.

Und da fand ich das Angebot eines Baumarktes über Schaumstoffplatten, mit

deren Hilfe man der Lärmbelästigung des Nachbarn Herr werden könnte.

Genau, dachte ich. Selbst ist der Mann und ratzfatz ist Ruhe. Aber als ich nachrechnete, was mich der Spaß kosten würde, verließ mich der Mut.

Wieso, fragte ich mich schließlich, sollte ich denn Geld für das Isolieren meiner Wohnung ausgeben, wenn die Quelle allen Übels beim Nachbarn lag? Und so versank ich wieder in meinen Kummer. Umhegt von den Klängen der Livereportage eines Wasserballländerspiels.

 

Nach einer schlaflosen Nacht, in der ich über weitere Tötungsvarianten, aber auch über humane Alternativen des Lärmschutzes nachdachte, verfestigte sich in meinem Kopf ein Plan, der beiden Seiten ohne Blutvergießen gerecht werden könnte.

Da ich fest damit rechnete, dass Heistermann nichts anderes übrig bleiben würde, als meiner genialen Idee zuzustimmen, setzte ich mich nach dem Frühstück, das durch die Wand von einer informativen Dokumentation über eine Darmspiegelung begleitet wurde, in mein Auto und fuhr zur „Kanne“, meiner Stammkneipe.

Es war Sonntag und ich musste ein paar Worte mit Ralle wechseln. Gegen 11 Uhr 30 kam er regelmäßig zum Frühschoppen. Ralle war wie ich in Rente und hatte Zeit „la mass die meng“, wie er meinte. Außerdem war er gelernter Maler und Tapezierer, und somit wie geschaffen für mein Vorhaben.

Er stand an der Theke neben dem Spielautomaten.

„Na, Ralle, verzockst du wieder deine Rente?“, scherzte ich und klopfte ihm auf die dürre Schulter.

„He, Grabulski, auch mal wieder hier?“

Ich bestellte für Ralle und mich zwei Kirschwasser zum aufwärmen. Es war aber auch wirklich frisch an jenem Morgen.

Nachdem wir die Gläser geleert hatten, sagte ich:

„Du, Ralle, ich habe ein Attentat auf dich vor.“

„Solange es nichts mit Arbeit zu tun hat.“

„Da ich weiß, dass dir deine Arbeit immer Spaß gemacht hat, dürfte es kein Problem für dich darstellen.“

„Dann schieß mal los.“

„Du kennst doch den Heistermann Kurt.“

„Das ist doch die arme Sau, die neben dir wohnt.“

„Die schwerhörige arme Sau.“

„Und?“

„Seine Schwerhörigkeit gepaart mit seiner Sturheit machen mir das Leben zur Hölle, und ich denke darüber nach, wie schön die Welt wohl ohne ihn aussehen könnte.“

„Ups. Man hat mich schon für alle denkbaren Arbeiten engagiert, aber als Killer war ich noch nie unterwegs. Wär mal was Neues.“

„Siehst du, da kommen wir der Sache schon näher.“

„Welcher Sache? Und wie nahe?“

„Ich finde es schön, dass du so unvoreingenommen und offen bist.“

Ich bestellte zwei weitere Obstsäfte und erklärte meinen Plan.

„Sein Wohnzimmer liegt direkt neben meiner Küche...“, begann ich.

Nach zwei Minuten sagte Ralle: „Und du willst diesem Idioten die Wohnung auf deine Kosten renovieren und die Zimmer um räumen?“

„Ja, überleg doch mal. Wenn er sein Wohnzimmer mit seinem Schlafzimmer tauscht, dann steht seine Glotze gegenüber an der Außenwand. Dann ist der neue Abstand zwischen mir und Baikonur mindestens zwölf Meter.“

„Was treibt dieser Mensch eigentlich den lieben langen Tag außer fernsehen?“

„Zwei Stunden täglich Spazierengehen, und er hat mal erwähnt, dass er gerne Kreuzworträtsel löst und ganz versessen auf Preisausschreiben ist.“

„Aha. Hat er mal was gewonnen?“

„Ja, nen DVD-Player.“

„Ich rekapituliere: Du willst ihm auf deine Kosten beide Zimmer neu tapezieren und die Möbel von einem Zimmer ins andere stellen.“

„Exakt. Ich bin mittlerweile soweit, dass ich lieber das Geld für Material und deine Arbeit investiere, als mir einen Herzinfarkt einzuhandeln.“

„Okay, wann solls losgehen?“

„So schnell wie möglich. Aber zuerst muss ich ihn davon überzeugen, dass er keine andere Wahl hat“

 

„Bist du jetzt völlig übergeschnappt, Grabulski“, geiferte Heistermann.

„Aber überleg doch mal“, wandte ich ein und sah meine Felle bereits davonschwimmen.

„Dein jetziges Schlafzimmer ist doch mindestens drei Quadratmeter größer, als dein Wohnzimmer. Da kommt doch dein TV viel mehr zur Geltung und du kriegst neue Tapeten und den Umzug für lau. Das könntest du dir doch sonst gar nicht leisten. Dann hättest du Ruhe vor mir. Und meine Ohren könnten auch in Rente.“

„Kommt nicht in die Tüte“, beharrte er und knallte mir die Haustür vor der Nase zu.

Mit dickem Hals raste ich in meine Wohnung und griff mir mein großes Küchenmesser.

Gerade als ich überlegte, was sicherer wäre, ihm die Kehle durchzuschneiden, oder ihm die Klinge hinterrücks ins Kreuz zu jagen, klingelte mein Telefon.

„Habs mir überlegt, Grabulski“, hörte ich ihn sagen. „Aber du kommst für alle Kosten auf, und Ralle und du, ihr macht die ganze Arbeit. Ich werde keinen Finger rühren.“

Endlich, dachte ich, meine Genialität ist eben nicht zu toppen.

Ich informierte Ralle umgehend.

 

Es war noch keine Woche vergangen und wir hatten meinen Plan umgesetzt.

Allerdings war Heistermann nicht davon abzubringen, dass der Estrich im neuen Schlafzimmer nicht zu dem neuen Wandschmuck passe. Und der vergammelte Bodenbelag im neuen Wohnzimmer schon gar nicht.

Meine Kosten stiegen parallel zu meinem Blutdruck. Aber es war für eine gute Sache, sagte ich mir, und überzog kurzfristig meinen Dispo.

 

Ich kann niemandem beschreiben, welch wohliges Gefühl den Körper durchfließt, wenn man beim Frühstück die Zeitung liest, und der einzige vernehmbare Laut das Trocknen der Tapeten des Nachbarn ist.

Mein Glückszustand hatte ganze zwei Tage Bestand. Dann hielt vorm Nachbarhaus ein gelber Lieferwagen. Ich stand am Fenster und sah, wie der Bote ein großes, flaches Paket aus dem Wagen zu Heistermanns Haustüre schleppte.

Oh, dachte ich nichtsahnend, mein Nachbar hat wohl gerade eine Glückssträhne und bei einem Preisausschreiben gewonnen. Eine Stunde später rief mich Heistermann an und sagte, ich solle mal rüber kommen, er wolle mir was zeigen. Ohne Argwohn kam ich seiner Bitte nach.

“Ein neuer Flachbildfernseher“, sagte ich.

„Ja, im Preisausschreiben gewonnen. Ist der nicht geil?“

„Das muss dir der Neid lassen. Das ist ein Prachtstück. Dann kannst du dein olles Röhrengerät ja entsorgen.“

Seine Antwort traf mich wie ein Donnerschlag.

„Bist du verrückt? Der kommt ins Schlafzimmer.“

 

Eine Woche nach diesem Tiefschlag, traf ich Ralle in der „Kanne“.

„Was hab ich gehört, dein Nachbar ist verschwunden?“

„Ach, ich denke, er ist zu seinem Bruder gefahren. Den wollte er schon immer mal besuchen.“

„Vielleicht ist er ja auch in den Baggersee geplumpst und in dem kalten Wasser ersoffen.“

„Mmh“, zweifelte ich, wo er doch den dicken Parka und die gefütterten Stiefel trug.

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Tag der Veröffentlichung: 02.02.2016

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