oder: It's the final Countdown
Die zehnte Klasse begann mit einem Paukenschlag. Bereits ein paar Wochen nach Schuljahresbeginn hieß es "Holland, wir kommen!" und wir nahmen, nach einer etwa vierstündigen Busfahrt, fünf Bungalows (2x Jungs, 2x Mädels, 1x Lehrer) in einem Sportresort am Veluwemeer in Beschlag. Das Resort von LifetimeSport lag in der Nähe des Städtchens Elburg.
Zuerst waren wir damals nicht begeistert, dass es ausgerechnet eine Art Sportwoche werden sollte, aber als wir dann endlich dort waren und uns die unterschiedlichsten Möglichkeiten aufgezeigt wurden, änderte sich dies schlagartig.
Bereits am ersten Nachmittag wurden wir von Sven und Lars, zwei super freundlichen (und auch echt schnuckeligen) Teamern in zwei Gruppen eingeteilt. Die beiden waren für die fünf Tage vor Ort (neben unserer Klassenlehrerin und unserem Englischlehrer) unsere Ansprechpartner in allen Belangen und gleichzeitig auch unsere "Trainer".
Während eine Gruppe mit Kanadiern und Kajaks mehr oder weniger sofort das Wasser in Beschlag nahm, wurde die andere in die ersten Grundlagen des Windsurfens eingeweiht. Ich muss gestehen, ich war sofort total gefesselt ...
Als wir dann endlich ins Wasser durften (noch ohne Rigg, sondern nur mit dem Board) und erste Stehübungen auf dem Surfboard anstanden, da war dann selbst für einen Sportmuffel wie mich Fun pur angesagt. Wirklich stehen konnte am Anfang niemand von uns und so fielen wir, einer nach dem anderen, mit lautem Platschen ins etwa hüfthohe Wasser. Irgendwann gelang es uns dann aber doch und das bei jedem mit einem triumphalen Grinsen im Gesicht.
Da wir Selbstversorger waren, ging es gegen Abend noch nach Elburg, wo wir in einem Supermarkt die benötigten Lebensmittel kauften und später wurde in den Bungalows gemeinsam gekocht. Okay, kochen ist vielleicht etwas großspurig gesagt, aber es war alles essbar, was wir so fabrizierten ...
Die nächsten Tage waren mit sportlichen Aktivitäten gefüllt, aber auch die Freizeit kam nicht zu kurz.
Als es dienstags hieß, dass, wer wollte, am vorletzten Tag (also zwei Tage später) den Surfschein machen wollte, zögerten wir zu ein paar Leuten nur Sekunden, bevor wir begeistert zusagten. Das bedeutete dann zwar, neben dem praktischen Teil auf dem Wasser auch Theorie zu pauken (und das, während die anderen am Strand Beachvolleyball spielten oder sich im Gras aalten), aber das war uns egal. Ganz ehrlich, mit Lars und Sebastian machte sogar trockene Theorie Spaß.
Am Mittwoch bot Sebastian eine Mountainbike-Tour für Frühaufsteher an. Wirklich wach waren wir noch nicht, als wir gegen sieben Uhr früh losradelten, aber die Tour war es wert. Zuerst fuhren wir locker fröhlich und ganz gemütlich durch die Gegend. Dann ging es irgendwann in sandigere Gefilde über und wir mussten uns richtig abstrampeln, um in den Dünen vorwärts zu kommen. Auf dem Rückweg kamen wir an einem kleinen Häuschen mit total schön angelegtem Garten vorbei. Da gerade jemand im Garten war - und Sebastian ihn auch kannte - durften wir eine Pause an dem kleinen Teich machen und bekamen sogar jeder etwas zu trinken und frisches Obst aus dem Garten.
Abends "mussten" wir dann noch für unsere Theorieprüfung am nächsten Morgen lernen. Während die anderen sich ans Ufer des Veluwemeers verkrümelten, saßen wir auf der Terasse vor einem der Bungalows und paukten. Als Lars und Sebastian das mitbekamen, haben sie sich zu uns gesetzt und gemeint, dass wir uns keinen Kopf machen sollten, wir würden das schon packen. Im Endeffekt haben sie dann aber noch zwei Stunden mit uns unsere Fragen durchgekaut und uns danach ein Weiterlernverbot erteilt. Wir sollten doch den Rest des Abends bitte genießen.
Die Theorieprüfung am nächsten Morgen hatte es dann doch etwas in sich. Wir saßen zu zweit an kleinen Campingtischen, hatten Fragebögen vor uns liegen und teilweise plötzlich richtige Bretter vorm Kopf. Aber die Bretter waren nicht weiter tragisch. Entweder gab Lars uns einen kleinen Hinweis oder wir durften uns auch gegenseitig ein bisschen unterstützen. Wirklich streng sah das niemand. Und so entpuppte sich die Theorieprüfung dann doch zu einer relativ leichten Sache.
Anschließend ging es - schön in Neoprenanzüge gehüllt - aufs Board und mit diesem dann ins Wasser, wo wir einen kleinen Parcour absurfen mussten. Um ein paar Bojen herum, ein Stück aufs Meer raus und anschließend wieder zurück zum Strand.
Was soll ich groß sagen, bestanden haben wir am Ende alle und abends bekamen wir eine Urkunde und den Surfschein überreicht.
Leider habe ich es danach bis jetzt nicht noch mal geschafft, zum Surfen zu gehen, und ich glaube, wenn ich dann doch mal die Gelegenheit dazu haben sollte, muss ich doch noch mal von vorne anfangen ...
Die nächsten Wochen und Monate verflogen im Nu. Gespickt mit regulären Klassenarbeiten, kleineren und größeren Projekten und Refereraten, blieb kaum Zeit über den immer näher kommenden Abschluss nachzudenken. Und dennoch schwebte der Gedanke immer wie ein dunkler Schatten über uns.
Seien es die Vorbereitungen der Abschlusszeitung, die Gedanken für die letzte Schulwoche, die Überlegungen für den Abschlussgag und nicht zuletzt die Frage: Was zieh ich bei der Zeugnisübergabe an? - all das ging uns immer wieder durch den Kopf.
Als dann die Osterferien vorbei waren, wurde auch dem letzten bewusst, dass es nun wirklich nicht mehr lange bis zum Tag X war. Die ersten Gedanken an die "Zeit danach" wurden geschmiedet und Hoffnungen bekundet, dass man sich nach der Schulzeit nicht aus den Augen verlieren würde.
Und dann war sie da: die letzte Woche Schule, die jede 10. Klasse noch einmal individuell im Klassenverbund verbrachte.
Bei uns standen unter anderem zwei Fahrradtouren auf dem Programm. Eine kleinere am Montag und dann dienstags direkt eine größere, die wir dann mit grillen bei einer Klassenkameradin im Garten unterbrachen, bevor wir gegen Abend wieder zwischen 10 und 20 Kilometer zurückstrampeln mussten.
Was wir die letzten Tage sonst noch gemacht haben, weiß ich gar nicht mehr genau. Nur, dass mit jedem Tag unser Abschiedsgefühl größer wurde.
Am Tag des Abschlussgags zogen wir alle mit unseren Abschluss-T-Shirts durch die Schule. Alle in knatschorange, mit dem Jägermeisteremblem und einem Schriftzug "Zehnermeister" in schwarz. Wir unterschrieben uns gegenseitig mit netten Wünschen die T-Shirts und am Ende war fast mehr schwarz als orange zu erkennen - zumindest an "beliebten" Stellen ...
Morgens hatte unser Direx erstmal damit zu kämpfen, in sein Büro zu kommen, da wir dieses mit jeder Menge Puste in ein Meer aus Luftballons verwandelt hatten.
Der Pausengong war an diesem Tag durch die Melodie von "Final Countdown" ersetzt wurden und uns traten jedes Mal Tränen in die Augen und auch eine gewisse Gänsehaut war nicht zu verleugnen.
Wie genau unser Abschlussgag ablief, weiß ich nicht mehr, es lief alles wie ein Film an uns vorbei. Ein paar Lehrer - vor allem unsere Klassenlehrer und auch manche, die wir nach jahrelangem Triezen ihrerseits auch mal aufs Korn nehmen wollten - aber auch die fünfte und sechste Klasse bekamen ihr Fett weg.
Anschließend ging es zum Grillen in den Park nach Wiehl, wo wir den Grillplatz reserviert hatten. Bis in die Nacht hinein wurde gelacht, geweint, gegessen, getrunken ... Und dann hieß es erstmal vorläufig Abschied nehmen.
Dann kam der Freitag, der Tag der Zeugnisausgabe. Den Vormittag über trafen wir uns zu einigen in der Aula der Schule, bereiteten alles so weit vor und fuhren anschließend mit klopfenden Herzen wieder nach Hause.
Abends waren wir dann wieder alle vereint, fünf Klassen à ca. 30 Schülerinnen und Schülern plus Eltern, Großeltern, Geschwister, Lehrer und Direktor.
Nach einer Ansprache des Direktors gab es einen kleinen Gesangsbeitrag von einer aus meiner Klasse bevor anschließend einer der Jungs aus einer Parallelklasse mit seiner Tanzpartnerin die Bühne der Aula atemberaubend in Beschlag nahm.
Und dann kam er, unser großer Moment. Da ich in der 10a war, war ich mit in der ersten Gruppe, die auf die Bühne musste. Unsere Klasse war als erstes dran. Wir stellten uns - schön brav sortiert nach Nachnamen - auf der Bühne auf. Mein Blick suchte instinktiv nach dem meiner Eltern, die nicht weniger aufgeregt waren wie ich, und ich sah, wie meine Mutter sich in einem scheinbar unbemerkten Moment eine Träne aus dem Augenwinkel wischte. Nacheinander wurden wir aufgerufen, traten einen kleinen Schritt vor und bekamen unser Abschlusszeugnis überreicht; inklusive Gratulation von Direktor und Klassenlehrerin. Als wir dann dachten, wir hätten es geschafft, griff unsere Klassenlehrerin noch nach dem Mikrofon und bedankte sich vor versammelter Mannschaft bei den beiden Klassensprechern und den beiden Klassenbuchführern und wir vier (ich war eine der beiden Klassenbuchführer) bekamen jeder noch ein kleines Büchlein zugesteckt; zusätzlich zur Rose von Jericho, die wir alle bekamen.
Nachdem auch die anderen Klassen die selbe Prozedur durchlaufen hatten, ging es in den Bereich des Schülercafés, wo die Neuntklässler mit Sekt und kleinen Snacks auf uns warteten. Hier wurden dann auch noch mal ein paar Hände gedrückt, Gespräche geführt und auch Tränen flossen über nicht gerade wenige Gesichter, wenn sich dann noch mal umarmt und verabschiedet wurde.
Aber auch wenn an diesem Tag viele Tränen vergossen wurden, so bleibt er auf jeden Fall immer in guter Erinnerung. Es war ein Tag des Abschieds, aber gleichzeitg der Tag, an dem der erste Schritt ins neue Leben begann.
Texte: Jenna Killby
Bildmaterialien: Fotos: Jenna Killby; Motive (Hirsch und Kreis): Pixabay
Tag der Veröffentlichung: 06.07.2015
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