schon lange wollte ich dir ein paar Zeilen, einen Brief, zukommen lassen. Ich weiß nicht, wie oft ich in den letzten Jahren zu Stift und Papier gegriffen und angefangen habe dir zu schreiben. Ettliche Blätter flogen zerknüllt in hohem Bogen über meine Schulter nach hinten und fielen mit einem leisen Rascheln auf den Boden, wieder andere wurden zerrissen und landeten als Papierschnipsel in der grünen Tonne. Ich fand nie die richtigen Worte um das auszudrücken, was ich dir sagen wollte. Doch im Grunde schwangen nur drei Worte über dem ganzen Brief: "Wo bist du?"
Nun möchte ich es auf diesem Wege tun; in der Hoffnung, dass irgendwer der uns beide kennt, uns darin erkennt und dir Bescheid sagt; und in der Hoffnung, dass du vielleicht selbst irgendwie darüber stolperst.
Ich möchte hiermit einfach ein paar Erinnerungen aufleben lassen; in der Hoffnung, dass das Band, das unsere Freundschaft geflochten hat, wieder zusammenwächst.
Schon im Kindergarten haben wir zusammen gefunden. Wir haben gemeinsam gespielt, gebastelt, gesungen und gelacht, wir haben Blödsinn gemacht, im Sandkasten gebuddelt und uns gegenseitig Sandkuchen gebacken.
In der Grundschule drückten wir gemeinsam die Schulbank und als dann, zum Anfang des vierten Schuljahres der Schock kam, dass ich umziehen musste, hast du mich aufgemuntert. Zum Glück haben wir eine Wohnung nur ein paar Kilometer entfernt gefunden, so dass ich weiter in die gleiche Schule gehen konnte.
Als es dann weiter ging, auf die Realschule, haben wir uns vor dem Sekretariat getroffen und jeder beim Anmelden angegeben, dass uns egal ist mit wem wir in eine Klasse kommen, hauptsache wir zwei sind weiter zusammen. In schweren und auch in guten Zeiten waren wir füreinander da, haben uns getröstet oder auch mal vom "hohen Ross" herunter geholt. Und wir haben es der anderen nie übel genommen, wenn sie mal ihre Meinung gesagt hat.
Wir haben uns in der neuten und zehnten Klasse gegenseitig mit Spanischvokabeln gequält, in Drucken zusammen Texte und Zeichnungen entworfen und diese gemeinsam mit Lettern gesetzt.
Du warst für mich da wenn ich mal wieder an der Bushaltestelle von irgendwelchen Tussis blöde angemacht wurde, nur weil ich mir nichts aus Markenklamotten machte. Du warst es, die mich getröstet hat als meine "erste Liebe" einfach ohne ein Wort zu sagen mit seiner Mutter abgehauen ist. Du hast Daniel den Liebesbrief gegeben, den ich mit zitternden Fingern geschrieben hatte, und mich aufgebaut als er mir zwei Tage später über einen Umweg mitteilte, dass er den Brief "gelesen und verbrannt" hatte.
Nach der zehnten Klasse trennten sich unsere schulischen Wege, unser Kontakt hingegen blieb bestehen. Wir sahen uns zwar nicht mehr jeden Tag, doch telefonierten, simsten oder schrieben wir uns oft. Du hattest mittlerweile seit ein paar Jahren einen Freund, bei mir hatte sich noch niemand gefunden. Doch als es dann bei mir auch soweit war, dass ich endlich (!) einen Freund hatte, hast du dich mindestens genauso gefreut. Nach nur zwei Monaten war mein Glück aber schon wieder vorbei, nur ein paar Tage bevor ich meine Ausbildung begann, machte er Schluss. Und wer war für mich da? Du! Das Wochenende darauf haben wir in G. die Cocktailbar unsicher gemacht. C. und du hattet mich abgeholt, damit ich mir den "Frust überschütten" konnte und ich muss gestehen, ich habe es damals ausgenutzt. Ich weiß bis heute nicht genau, wann und wie ich ins Bett gekommen bin. Aber was soll man sich darüber groß Gedanken machen, wenn die beste Freundin ihren Freund nach Hause schickt um neben dem Bett der Freundin auf dem Boden zu schlafen und am nächsten Morgen wieder für sie da zu sein.
In den folgenden zwei Jahren hatte ich viele Auseinandersetzungen mit meinen Eltern, wäre oft am Liebsten einfach abgehauen und hätte alles stehen und liegen gelassen. Aber irgendwie hast du es immer wieder geschafft, einen Lichtschein in mein Leben zu bringen.
Und dann kam der Tag an dem sich unsere Wege bis heute trennten. Ich kann mir nach all den Jahren (und sechs oder sieben sind es gewiss schon) noch immer keinen Reim darauf machen, was damals passiert ist. Warum ist unser Band gerissen? Ich weiß nur noch, dass du damals dachtest ich sei eifersüchtig auf dich, weil du einen Freund hattest und es bei mir irgendwie nicht wirklich passen wollte. Vielleicht war ich das sogar. Aber niemals wäre es so weit gekommen, dass ich deswegen unsere Freundschaft aufs Spiel gesetzt hätte. Es war nur so, dass C. dich immer mehr in Beschlag nahm, du immer weniger Zeit für mich hattest. Vielleicht, ja vielleicht war ich wirklich eifersüchtig. Aber nicht auf dich, sondern viel mehr auf C., weil er nun mehr Zeit mit dir verbrachte als ich.
In den letzten Jahren hat sich auch mein Leben drastisch verändert. Ich bin quasi von einem Tag auf den anderen Mama geworden. Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen verwundert, aber ich weiß nicht, wie ich es anders ausdrücken soll. So ist das nun mal, wenn man jemanden kennenlernt, der aus einer alten Beziehung schon ein Kind mitbringt. Ich sag nur so viel: es war Rosenmontag, in B. in einer Kneipe als ich ihn kennenlernte. Er stand alleine da, ich war mit meiner Mama und meinen Großeltern eigentlich nur auf einen "Absacker" nach dem Zooch hineingekommen. Und meine Mama ist's auch irgendwie Schuld, dass ihr "Schwiegersohn" nur ein paar Jahre jünger ist als sie selbst, da sie mich mehr oder weniger auf ihn aufmerksam gemacht hat. Und so gab ein Kölsch das nächste, ein Lied folgte auf das andere und ganz zum Schluss hat er mich noch zu Fuß von B. den Berg rauf mitten in der Nacht heim gebracht, nur weil ich sture Nudel gesagt hab "Ich geh zu Fuß nach Hause." und er vorher meiner Mama versprochen hatte, dass er mich auf jeden Fall sicher heim bringt. Nur ein paar Tage später lernte ich seinen damals noch dreijährigen Sohn kennen und habe diesen auch sofort in mein Herz geschlossen. Und mittlerweile lebe ich schon seit über vier Jahren mit M. zusammen in D., F. ist jedes zweite Wochenende und die Hälfte der Schulferien bei uns. Und bei der Einschulung vor zwei Jahren war ich mindestens ebenso stolz wie seine "richtige" Mama.
Ein Leben ohne M. und F. sowie M.'s Familie kann ich mir absolut nicht mehr vorstellen! Wir haben schon so viel zusammen erlebt und für vor allem M. ist immer für mich da. Aber selbst der beste Partner kann keine beste Freundin ersetzen, so viel ist sicher!
Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie sehr ich mir wünsche, dass unsere Freundschaft ein neues Körnchen findet, dass wir wieder gemeinsam lachen, lästern und ausgehen können.
Vielleicht können wir einfach bei einer leckeren Tasse Kaffee oder sonst irgendwas zusammensitzen und dann gemeinsam über Sachen schmunzeln, die mit "weißt du noch..." anfangen.
Um es mal ganz plastisch auszudrücken:
Du warst für mich:
wie die Sonne, die den Tag erhellt,
wie der Milchschaum auf meinem Latte Macchiato,
wie die Nuss in der "Ich-tröste-dich-Schokolade",
wie der Regenbogen, der sich über den Himmel spannt,
wie die Sterne, die am Nachthimmel funkeln,
wie die Lampe, die den Weg in der Dunkelheit weist,
wie die Lösung in einem schwierigen Rätsel,
wie die Wärmflasche wenn's einem schlecht geht,
wie der Motor ohne den kein Auto fährt,
wie das beste Buch, das man niemals aus der Hand legen möchte,
und nicht zuletzt
die beste Freundin, die man sich wünschen kann!
Ich weiß leider nicht mehr, wie ich noch versuchen soll wieder Kontakt zu dir aufzunehmen. Auf Anfragen über Facebook oder wer-kennt-wen hast du leider nicht reagiert.
Und daher habe ich eine winzige Bitte: Wenn du diese Zeilen liest und sie etwas in dir aufwecken, dann melde dich bitte! Auch wenn es nur ist um mir zu sagen, dass du keine Zukunft für unsere alte Freundschaft siehst.
Vielleicht war dieses ganze "Auseinander" nur ein blödes Missverständnis und wir sitzen irgendwann zusammen und lachen darüber. Vielleicht wird aus diesem "Getrennt" wieder ein "Gemeinsam". Wir werden es nie herausfinden, wenn wir es nicht auf einen Versuch ankommen lassen.
Bitte, Julia, melde dich bei mir!
In ewiger Freundschaft
Jenny
Texte: Jen Kill
Bildmaterialien: Jen Kill
Tag der Veröffentlichung: 06.10.2014
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
für Julia K.
Ich hoffe, dass durch diesen Brief die alten Bande zwischen uns wieder neu gespannt werden können.