Gevatter Nacht hatte sein Gewand bereits über die Welt geworfen und somit Schwester Sonne für den Rest des Tages bereits verdrängt, als Fredy durch das kleine Gattertor trat. Mit wenigen Schritten hatte er die Tür erreicht und war somit zu Hause angekommen. Schnell zog er noch die Stiefel aus, damit er seiner Frau nicht soviel Schmutz in der Hütte brachte. Mit zwei kurzen Schritten hatte er den kleinen Gang durchquert und war im so genannten Wohnzimmer angelangt.
„Oh Schatz, du hast ja doch noch einen Baum bekommen. Ich dachte schon, wir hätten dieses Jahr kein Glück mehr. Sieh nur, ich bin mit der Puppe für unsere kleine Anna schon fast fertig.“ sagte seine Frau und hielt dabei eine aus Stoffresten gefertigte Puppenhülle hoch. „Nun muss ich sie nur noch füllen, dann können wir auch das Auto für Marijetto anmalen.“ Fredy lächelte gezwungen, wie gerne hätte er seinen Kindern die gewünschten Spielsachen in einem Geschäft gekauft, aber wie immer hatten sie nicht genug Geld. Das wenige, was sie noch übrig hatten, war nun auch noch für den überteuerten Weihnachtsbaum, der mehr schlecht als recht aussah, drauf gegangen. Es würde wieder ein ziemlich karges Weihnachtsfest geben.
„Sollen wir gleich anfangen den Baum zu schmücken? Oder willst du erst noch essen, Schatz?“ Jennifer war aufgestanden und hatte die Stoffhülle hinter sich auf den alten Sessel gelegt. Langsam ging sie auf ihren Mann zu, umarmte ihn und küsste ihn auf die Wangen. „Schatz ... ich kann doch wieder als Näherin arbeiten. Wir werden es schon schaffen. Wir haben es doch immer geschafft, oder?“ Fredy drückte seine Frau mit dem freien Arm fest an sich. „Natürlich werden wir es wieder schaffen und nein, ich möchte nicht, dass du wieder damit anfängst. Du weißt, was ich von denen halte. Die wissen ganz genau, dass wir das Geld brauchen und deshalb .... Komm, wir schmücken den Baum.“
Während Fredy den Baum in die Halterung beförderte und zwanghaft versuchte, die beste Seite des Baumes zu finden, war Jennifer damit beschäftigt, die wenigen Utensilien aus dem Schrank zu holen, welche den Baum schmücken sollten. So wurden die selbst gemachten Strohsterne und die kleinen Holzmänner an die Zweige gehängt. Auch die in mühevoller Arbeit gebastelte Kette aus einzelnen goldenen Kreisen, welche in sich selbst verkettet waren, wurde um den Baum herum gehängt. Das Lametta, welches Jahr für Jahr weniger wurde, bekam auch seinen Platz auf dem Baum. Liebevoll wurde es in einzelnen Streifen über die kargen Äste gelegt. „Jetzt fehlt nur noch eins“ sagte Fredy und öffnete die Schranktür. Er holte ein kleines Kästchen heraus und drückte es ganz vorsichtig an sich. Sein Blick verfinsterte sich ein wenig und ein trauriger Gesichtsausdruck machte sich breit. Langsam drehte er sich um und schritt auf den Baum zu. Er öffnete den Deckel und holte einen Tannenzapfen heraus. „Schatz, willst du ihn wirklich aufhängen?“ fragte Jennifer. „Ja, dann weiß ich, dass Annalena bei uns ist. Sie hat ihn damals für mich zurück gelassen. Es wäre kein richtiges Weihnachten ohne ihn.“ Fredy streckte sich und hängte den Tannenzapfen an den obersten Zweig des Baumes. „Oh, Jennifer, wenn ich doch nur einmal Glück hätte, dann würde ich euch einen richtigen Baum aufstellen. Einen der funkelt und glitzert. Einen mit ganz viel Lametta. Einen mit einer Lichterkette, die wir im Laden gesehen haben. Einen, mit Lebkuchenmännern und Zuckerstangen und mit richtigen Geschenken für die Kinder. Ich wünschte ich könnte euch einmal so einen Baum kaufen.“
Jennifer trat zu ihrem Mann und umarmte ihn. „Schatz, das hast du doch gemacht. Du hast uns einen Baum gekauft, den Schönsten, den wir bis jetzt hatten. Sieh ihn dir doch nur einmal an.“
Fredy entfernte sich einige Schritte vom Baum und warf einen prüfenden Blick auf ihn. „Machen wir uns nichts vor Schatz, aber berauschend sieht er nun wirklich nicht aus. Komm, lass uns die Geschenke fertig machen sonst ist es Weihnachten und die Kinder haben nichts unter dem Baum“ So gingen Jennifer und Fredy aus dem Wohnzimmer in die Küche und setzten sich an den kleinen Tisch, auf dem bereits ein zusammen gezimmertes Auto und ein Farbtopf standen. Niemand beachtete den Baum weiterhin. So konnte auch niemand sehen, dass der Tannenzapfen anfing pulsierend zu leuchten.
„Darf ich jetzt?“
„Jetzt darfst du Engelchen, aber du weißt, nur die Wünsche, die er selbst genannt hat.“
„Darf ich nicht .... sie haben doch nicht viel ... Herr, bitte, darf ich vielleicht...?
„Nur die Wünsche Engelchen, nur die Wünsche“
Fredy hatte den Farbtopf bereits geöffnet und war gerade dabei das Auto komplett in rot anzustreichen, während Jennifer die Stoffhülle mit Watte und kleinen Stoffresten füllte. „Wenn die Farbe getrocknet ist, muss ich nur noch die Leiter schwarz anmalen, dann ist es fertig“ sagte Fredy und legte den Pinsel beiseite. „Hast du an die Knöpfe gedacht Schatz? Sonst erhält unsere kleine Puppe ja gar keine Augen.“ Jennifer war aufgestanden, um sich Nadel und Faden zu holen, als Fredy 2 schwarze Knöpfe aus seiner Hosentasche holte und sie seiner Frau auf den Tisch legte. „Die habe ich noch nicht einmal zahlen müssen. Frau Krosch hat sie mir geschenkt, weil ich ihr mit dem schweren Kleiderschrank geholfen habe. Dafür habe ich das hier gekauft.“ Dabei legte er ein kleines Knäuel Wolle auf den Tisch. „Dachte mir, du kannst es vielleicht für die Haare gebrauchen.“ „Oh Liebling, die werde ich gleich annähen. So sieht sie bestimmt noch besser aus.“
Wie auf magische Weise löste sich der Tannenzapfen vom obersten Zweig und schwebte herunter. Zwei kleine Mädchenhände ergriffen ihn und brachen einige Schuppen aus ihm heraus. Kaum waren sie ausgebrochen, als der Zapfen wieder auf seinen ursprünglichen Platz flog. Eine Schuppe wurde auf einen Zweig des Baumes gelegt und je eines auf die Geschenke unter dem Baum.
Als die Familie am nächsten Morgen erwachten war die Welt in ein weißes Gewand gehüllt und ein kalter Wind blies ihn in alle Richtungen über die Straße. So konnte man auch bald die kleinen Fußspuren, die von der Straße zum Haus führten, nicht mehr sehen. Der Wind hatte den feinen Schnee und somit die Spur einfach davon geweht.
Anna und Marijetto waren, wie sollte es auch anders sein, die ersten, die in die Stube stürmen wollten. Doch vor der Tür blieben sie wie versteinert stehen. Alles glitzerte und funkelte. Im Wohnzimmer stand der schönste und prachtvollste Baum, den sie je gesehen hatten. Eine große Tanne, geschmückt mit goldenen Girlanden, mit Zuckerstangen und Lebkuchenmänner. Über und über mit Lametta behängt. Mit einer funkelnden Lichterkette und an der Spitze mit einem goldenen Stern. Fredy und Jennifer waren ihren Kindern dicht gefolgt und selbst sie konnten einen erstaunten Aufschrei nicht unterdrücken.
Unter dem Baum, unter dem am Vorabend noch das selbst gebaute Auto und die Puppe fein säuberlich in Stoff eingeschlagen gelegen hatten, standen nun ein großes rotes Feuerwehrauto mit Drehleiter und eine dieser neuen Sissi-Jane-Puppen.
Tränen liefen Jennifer die Wangen herunter. Wie schön doch alles war. Aber wer sollte dies denn alles getan haben und warum hatten sie nichts gemerkt. Fredy schritt langsam an den Baum und griff nach dem Tannenzapfen.
„Annalena, bist du hier?“
„Herr, darf ich?“
„Nein, Engelchen, es ist doch schon schwer genug für ihn“
„Aber, er ruft mich doch.“
„Nein, Engelchen. Komm, es ist Zeit zum gehen. Du weißt, wir haben noch viel zu tun.“
„Ja, Herr.“
„Annalena. Ich weiß, dass du es bist. Oh, Annalena ... bitte, ich brauche dich doch.“
Das einzige, was Fredy hörte und sah, war das sich entfernende Lachen eines Mädchens und ein hell leuchtender Tannenzapfen in seiner Hand.
Tag der Veröffentlichung: 23.11.2008
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