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Routiniert steckte ich die Dolche in meinen Gürtel und versteckte einen weiteren in meinem Stiefel. Das luftige Sommerkleid das ich darüber trug, verdeckte meine Kampfmontur und so sah ich unschuldig und süß aus- der perfekte Köder. Seit meinem vierzehnten Lebensjahr jagte ich nun schon Vampire und ich wusste, wo ihre Schwächen lagen und noch viel wichtiger- wie ich sie umbringen konnte. Ich entsprang einer alten Vampirjägerdynastie und meine Eltern hatten viel Wert auf mein Training gelegt. Ich war schon immer eine gute Jägerin gewesen, doch als ich mit ansehen musste, wie meine Eltern von Vampiren abgeschlachtet wurden, wurde ich tödlich. Ich lebte nur für den Kampf, schlief tagsüber und ging nachts auf die Jagd. Das Feuer des Hasses brannte in mir und machte mich gnadenlos, blitzschnell und eiskalt.

Ich verließ die kleine Wohnung, in der ich aß und schlief. Ich weigerte mich, sie Zuhause zu nennen. Mein Zuhause war zerstört, von Vampiren. Bei dem Gedanken daran entflammte meine Wut erneut und ich beschleunigte meine Schritte, ungeduldig mein Ziel zu erreichen. Diese Nacht würde ich ins “Fever” gehen, einem neuen Club in der Innenstadt. Nachtclubs waren ideal um Vampire zu finden, die dort auf Beutezug waren. Ich würde den Jaeger zum Gejagten machen.

Ich erinnerte mich noch gut an den Abend an dem meine Familie starb, obwohl ich vermutlich alles dafür geben würde, ihn zu vergessen. Der Tag war regnerisch und kalt und der frische Herbstwind wirbelte die feuchten Blätter auf und pfiff um unser Haus. Ich hatte mein Training geschwänzt und so musste ich auf mein Zimmer gehen ohne Abendessen und 'nachdenken', was ich getan hatte. So hörte ich nicht, wie die Haustür geöffnet wurde und Vampire in das Esszimmer traten, in dem meine Familie beim Essen saß. Der Wind übertönte ihre Todesschreie, anders kann ich es mir nicht erklären. Ich weiß nicht, warum die Vampire mich nicht getötet hatten. Hatten sie Mitleid? Nein, vermutlich nicht. Nach jahrelanger Überlegung bin ich zu dem Schluss gekommen, dass der starke Geruch von Thymian (ich hatte das Kraut für ein Schulprojekt in meinem Zimmer gehortet) meinen menschlichen Geruch überdeckt hatte. Meine kleine schlafende Gestalt unter der Bettdecke wurde so einfach übersehen.

Ich wunderte mich am nächsten Morgen, warum Mama mich nicht weckte, ich würde doch sonst zu spät zur Schule kommen. Die Sonne stand schon verräterisch hoch am Himmel und ich beeilte mich, da ich ja verschlafen hatte. In meiner Eile bemerkte ich nicht, dass es ruhig im Haus war; bemerkte nicht, dass es nicht so nach Kaffee duftete wie sonst. Ich hatte meine Schultasche schon in der Hand und rannte noch schnell ins Esszimmer um Mama einen kleinen Kuss zu geben und mich bei meinem Vater kleinlaut für das verpasste Training zu entschuldigen.

Das Bild das sich mir bot, war schrecklich. Mein Vater saß zusammengesackt auf einem Stuhl, den Oberköper über den Esstisch gelehnt. Ich ging zu ihm, wollte ihn wachrütteln. “Papa, schlaf doch nicht einfach so ein!” hätte ich ihm am liebsten zugerufen, “ich komme doch sonst zu spät zur Schule!” Ich zog ihn an der Schulter nach hinten, doch dann knickte sein Kopf in einem unnatürlichen Winkel nach vorne, wie ein letztes absurdes Nicken. Ihm war so brutal die Kehle aufgeschlitzt worden, dass sein Kopf fast abgetrennt wurde. Ich wich schockiert zurück. Noch immer konnte ich die Situation nicht begreifen und erwartete jeden Moment, dass mein Vater aufstehen und wieder lächeln würde. Beim Rückwärtsgehen stolperte ich über irgendwas. Es war der tote Körper meiner Mutter. Das Essenstablett lag neben ihrer Leiche und der Kartoffelbrei und die Würstchen befleckten den Teppich. Ihre so schönen blaufunkelnden Augen starrten leer an die Zimmerdecke und selbst mir fiel ihre unnatürliche Blässe auf. Sie war von Vampiren leer gesaugt worden, ich konnte die vielen kleinen Einstichlöcher, die sich über ihren Hals und ihre Arme erstreckten, erkennen.

Dann wurde es schwarz um mich herum. Das nächste woran ich mich erinnern konnte, war dass ich in der Zimmerecke kauerte, meine Schultasche fest umklammert. Ich schluchzte und konnte nicht mehr aufhören zu weinen. Als ich keine Tränen mehr hatte und der Schmerz sich in mein Inneres vorgebohrt hatte, fühlte ich mich taub und spürte nichts mehr. Nur eine Frage kehrte immer wieder: Warum waren sie tot und ich nicht? Warum? Warum hatte ich bloß so ungehorsam sein müssen? Wie ein Bumerang kehrte die Frage wieder und wieder. Doch auf einmal gab es eine kristallklare, eindeutige Antwort: Rache. Von nun an würde ich üben und üben bis ich die beste Vampirjägerin aller Zeiten werden würde und dann würde ich die Monster der Nacht besiegen. Mit diesem Schwur verschloss ich das kleine Mädchen in der Ecke tief in mir und mit ihr alle Gefühle, die Verwundbarkeit bedeuteten.

Wer sagt, dass die Zeit alle Wunden heilt, hatte definitiv Unrecht. Meine Wunde tat immer noch nach all den Jahren weh. Die ersten Vampire, die ich erledigte waren jung und schwach. Selbst als sie tot waren, stach ich immer noch wie besessen mit meinem Messer auf sie ein, von Rache und Blutdurst beseelt, bis meine Arme glänzend rot waren. Im nachhinein betrachtet war diese Aggressivität dumm und unnötig, aber so seltsam es auch klingen mag, in diesen Momenten konnte ich die Gesichter meiner Eltern klar und deutlich vor mir sehen. Mit der Zeit verbesserte ich meine Strategie und erlaubte es meinen Gefühlen nicht mehr, mit mir durchzugehen. Ich fing an, meinen Körper als Köder zu benutzen, an den Vampir nur zu gern anbissen (metaphorisch gesprochen, versteht sich). Ich lockte sie weg von Zeugen und dann tötete ich sie mit meinen Messern, schnell und geräuschlos. Die Leichen warf ich in den Fluss. Gelegentlich aufkeimende Angst erstickte ich in Sarkasmus und meinem noch immer ungelöschtem Wunsch nach Rache.

Es war eine laue Sommernacht und meine geschärften Sinne nahmen das Zirpen der Zikaden wahr, und als ich mich dem “Fever” näherte, auch lauter werdende Musik war zu hören. Zum Glück wohnte ich nahe dem Zentrum, nur einen zwanzig minütigen Fußmarsch entfernt, Vor dem Club hatte sich eine lange Schlange gebildet. Männer und Frauen hatten sich dort aufgereiht. Ich ignorierte sie alle und ging direkt zum Eingang. Der Türsteher, ein bulliger Mann mit Tätowierungen und Glatze, musterte mich von oben bis unten und ich sah, wie seine Augen sich weiteten. Ich wusste auch so, dass ich gut aussah. Mein Körper hatte sich in den letzten Jahren entwickelt und das Training verhalf mir zu einer guten Figur. Zudem hatte ich mir heute Mühe gegeben aufzufallen. Mein Haar trug ich offen und schulterlang und ich hatte mich gekonnt geschminkt, sodass meine Augen noch intensiver wirkten. Mein Aussehen war mir schon oft ein Hindernis gewesen und machte es mir schwer, irgendwo unterzutauchen, aber manchmal war es auch nützlich. Ich schmunzelte im Stillen, als ich sah wie der Türsteher mich kommentarlos durchwinkte und dabei die Protestrufe der Wartenden ignorierte.

Im Club war es heiß und stickig und eine Masse aus stinkenden Menschen wippte im Takt der dröhnenden Musik auf und ab. Ich bahnte mir so gut es ging einen Weg durch die Menge und wich geschickt den Händen von Männern aus, die meinen Hintern an grabschen wollten. Zielstrebig steuerte ich die Bar an und bestellte mir einen Drink. Ich nippte nur an dem Drink, schließlich musste ich später einen klaren Kopf bewahren, und ließ meinen Blick über die kleinen Sitznischen schweifen, die sich in Ausbuchtungen entlang der Wände versteckt waren und wohl den Anschein von Privatsphäre erwecken sollten. Dort hinten, ganz in der Ecke, war eine Gruppe von Frauen versammelt, doch sie schienen nicht miteinander zu reden, sondern alle in eine Richtung zu starren.

Das sah doch ganz vielversprechend aus, dachte ich mir. Mit einer eleganten Bewegung setzte ich mir meine Sonnenbrille auf, die sich bis dahin auf meinen Kopf befunden hatte. Ich erntete die erstaunten Blicke von ein paar Umstehenden, doch ich starrte sie alle der Reihe nach an, bis sie ihren Blick wieder senkten. Die 'Sonnenbrille' war eine Spezialanfertigung und ich konnte mit ihr die Temperatur um mich herum erkennen. Der ganze Raum war aufgeheizt und schien in einem tiefroten Licht zu erstrahlen. Ich drehte meinen Kopf, bis ich in die Ecke sehen konnte. Die Frauen waren als rote Figuren zu sehen, sogar noch röter als der Rest der Menschen. Anscheinend brachte der Vampir ihr Blut zur Wallung. Kein Wunder, denn Vampire waren nicht nur gefährlich, sondern auch gutaussehend. Sie übten eine unglaubliche sexuelle Anziehungskraft auf Frauen aus, aber ich befasste sich schon seit Jahren mit den Viechern und war fast immun dagegen. Eine der Frauen lehnte sich etwas zurück, um sich mit einer koketten Bewegung das Haar aus dem Gesicht zu streifen, und so konnte ich einen Blick auf die Person in der Ecke erhaschen. Ein Vampir, ganz eindeutig. Durch meine Brille erschien er in einem kalten Blau, da seine Körpertemperatur weit unter dem lag, was für Menschen normal war. Ich spürte, wie mein Herzschlag sich beschleunigte. Volltreffer! Ich war jetzt auf der Jagd und gönnte mir ein kurzes Gefühl der Zufriedenheit. Ich schob mir die Sonnenbrille wieder auf den Kopf und pirschte mich an meine Beute heran.

Der Vampir saß lässig in der Ecke und sein schwarzes Hemd war halb aufgeknöpft. Er hatte schwarze Haare und eine unheimliche Aura- eben das, worauf Frauen so abfuhren. Doch selbst ich musste zugeben, dass er selbst für einen Vampir außerordentlich gut aussah. Die Frauen, die ihn eingekesselt hatten, blickten mich bei meinem Näherkommen feindselig an. Sie sahen mich als ernst zu nehmende Konkurrenz an. Ich setzte mein bestes verführerisches Lächeln auf und fragte mit rauchiger Stimme: “Ist hier noch ein Plätzchen frei?” Billig, ich weiß. Aber dem Vampir schien es zu gefallen und er winkte mich näher heran. Ich beugte mich über den Tisch und er glotzte unverblümt in meinen Ausschnitt. Also wirklich! Aber ich verbarg meine Empörung und tat so, als wurde mir sein Interesse gefallen. Er leckte sich die Lippen an und sagte: “Ladies, ihr könnt jetzt gehen”. Murrend verzog sich sein Fanclub, aber er beachtete sie nicht und starrte mich weiterhin an. Mit Ekel in meinem Inneren und einem falschen Lächeln auf meinem Gesicht setzte ich mich zu ihm.

Ich rückte nah an ihn heran und flüsterte in sein Ohr: “Wollen wir nicht woanders hingehen?” Er schien keine Probleme zu haben, mich trotz der lauten Musik zu verstehen, aber er war ja auch ein Vampir. Um mein Angebot zu verdeutlichen, knabberte ich an seinem Ohrläppchen. Er grunzte und zog mich auf seinen Schoss, wo er versuchte mich zu küssen. Ich wich jedoch geschickt seinem Mund. Immer wieder tat ich das und ich merkte, dass es ihm gefiel und erregte. So ein Idiot! Doch ich spielte weiterhin auf sexy und stand auf, wobei ich meinen Zeigefinger, zum Zeichen das er mir folgen sollte, krümmte. Wie ein Hund an der Leine folgte mir der Vampir aus dem Club hinaus. Ich ging immer weiter und weiter. Langsam verebbten die Geräusche des Clubs, und nur das Klappern meiner Absätze auf der Pflasterstraße und seine leisen Schritte waren zu hören. Dann schien er es leid zu sein und stand plötzlich vor mir. Ich tat so, als wäre ich erschrocken, was ich in Wirklichkeit auch war. Immer wieder vergaß ich diese unglaubliche Vampirgeschwindigkeit! Der Vampir nahm meine Hand und zerrte mich in eine Gasse.

“Was tust du da?” Ich gab meiner Stimme einen Hauch von Panik und war stolz, wie gut es mir gelang. “An dir ist eine Schauspielerin verloren gegangen, Julia”, hatte meine Mutter immer gesagt. Der Gedanke an meine Mutter vertrieb alle anderen Emotionen und ließ nur noch Entschlossenheit übrig. Der Vampir drückt mich mit seinem Körper gegen die kalte Steinwand der Gasse. Ich wusste natürlich ganz genau, was er da tat. Er wollte mich aussaugen und mit mir Sex haben. Innerlich verdrehte ich die Augen. Und das in einer stinkenden Gasse! Der Vampir hatte ja wohl gar keinen Stil und es war einfach so lächerlich klischeehaft. Er gab natürlich keine Antwort auf meine Frage und hielt mich weiterhin fest. “Hilfe!” Ich fing an zu schreien und wie zu erwarten legte der Vampir mir eine Hand vor den Mund. Das war mein Einsatz mich zu wehren und ihn zu schlagen und sein Part, mir meine Arme festzuhalten. Er ließ seine Fangzähne ausfahren und seine Augen blitzten blutrot auf. Ich hatte meinen Gesichtsausdruck stundenlang vor dem Spiegel geübt und so zeigte ich eine perfekte Maske des Schockes. Der Vampir ließ meine Arme los und trat einen Schritt zurück, wohl um sich an meinem vermeintlichen Schrecken zu weiden.


So ein Hohlkopf. Doch immerhin hatte er meine Arme losgelassen, sodass ich wieder problemlos an meine Messer kam. Ich zog die Messer unauffällig und verbarg sie in meiner Hand, bereit jederzeit loszuschlagen. Er starrte mich noch immer aus rot funkelnden Augen an, so wie man eben sein exquisites Lieblingsessen anstarrt. “Du wirst nichts fühlen, ich versprech dir, dass es gar nicht weh tun wird.” Ach nein, wie melodramatisch. Ganz Berlin ist voll von Vampiren und ich musste ausgerechnet einen Gesprächigen erwischen. Stumm bombardierte ich ihn mit Beschimpfungen, aber ich schaffte trotzdem noch ein überzeugendes Wimmern aus meiner Kehle zu quetschen. Ich sah, wie er alle Muskeln anspannte. Gleich würde er mir an die Kehle springen. Meine Alarmglöckchen klingelten und ich drehte das Messer in seine Richtung. Der Adrenalinstoß schärfte meine Sinne und ich fühlte mich seit langem wieder lebendig. Das hier war der Grund, weshalb ich noch lebte. Rache. Der Vampir sprang los.

Ich wollte eine schnelle Drehung verwenden, um den Schwung meines Gegners auszunutzen und ihn zu Boden zu werfen und ihm anschließend das Messer ins Herz zu rammen. Aber der Vampir kam nie an. Verdutzt blinzelte ich in die Dunkelheit. Es war alles so schnell gegangen, dass ich ein paar Sekunden brauchte, um die Situation zu begreifen. Der Vampir hing in der Luft. Er strampelte und versuchte sich von der bleichen Hand, die sich um seine Kehle schloss, zu befreien. Mein Blick blieb an der bleichen Hand hängen und wanderte über dem Arm zu einem Gesicht. Es war wieder ein Vampir, doch dieser hier war blond und noch um einiges grösser als der schwarzhaarige Vampir. Mein Retter ignorierte das Keuchen und die flehenden Blicke seines Opfers und brach ihm mit bloßen Händen das Genick. Ich gratulierte ihm im Stillen und verharrte weiterhin in meiner Kauerstellung an der Wand, unschlüssig wie ich die neue Situation einzuschätzen hatte. Anscheinend war ich vom Regen in die Traufe geraten. Mein “Retter” sah sogar noch gefährlicher aus als sein Vorgänger und es würde um einiges schwieriger sein, ihn zu besiegen. Irgendwas in seinem eiskalten Blick verriet mir, dass er sich nicht wie ein Volltrottel im Blutrausch verlieren würde. Vermutlich war er einer der älteren Blutsauger, die sich vollkommen unter Kontrolle hatten selbst wenn ihnen das Blut bis zum Hals stand. Heute war ja echt mein Glückstag.

Ich überlegte ernsthaft, meine ängstliche-Mädchen-Rolle beizubehalten. Es würde mir viele Schwierigkeiten ersparen, das geschockte Opfer zu mimen, anstatt einen Kampf zu provozieren. Doch ehrlich gesagt war ich mit meinen Nerven am Ende und ich hatte einfach nicht die notwendige Konzentration dafür. Der Vampir strich sich die blonden Haare aus der Stirn. “Gibt es kein Dankeschön?” So, das war der coole Spruch des heldenhaften Retters und ich müsste jetzt eigentlich in Ohnmacht fallen, mich von ihm nach Hause tragen lassen und mich unsterblich in ihn verlieben. Denkste! Ich prüfte noch einmal meinen Griff um die Messer und schob mich langsam in die Mitte der Gasse, da ich bei dem Kampf Bewegungsfreiheit haben wollte. “Alles okay?” Er schien jetzt etwas irritiert zu sein, da ich keine Anzeichen von Schock zeigte. “Wunderbar.” Ich wischte alle gekünstelten Gefühle aus meinem Gesicht und nahm eine lässige Haltung ein. Ich hob langsam meine Messer und sah zu, wie der schwache Laternenschein von der Straße sich in der Klinge spiegelte.

“Denkst du ernsthaft du könntest mich mit diesem Spielzeug verletzen?” Ja, ich konnte es und die hundert Vampire die schon Bekanntschaft mit dieser Klinge gemacht hatten, hätten es bezeugen können- wenn sie noch auf der Erde wandeln würden. Anstatt ihm eine Antwort zu geben, machte ich einen Ausfall und stieß die Klinge in die Richtung seines Herzens. Ich war schnell, doch er war schneller. Kein normaler Vampir hätte es geschafft, meinem Überraschungsangriff auszuweichen, aber mein Gegenüber war -ich stieß einen leisen Fluch aus- anscheinend kein normaler Vampir. Dieser Kampf würde der schwerste werden, den ich je gehabt hatte. Wie zwei Raubtiere umkreisten wir uns, bereit jederzeit loszuschlagen.

Wir verharrten so eine lange Zeit, im stummen Kräftemessen, wer zuerst die Geduld verlor. Ich hatte bereits gesehen, dass ich mit einem Überraschungsangriff nichts ausrichten würde, also wartete ich darauf, dass er den Anfang machte. Als er es tat kam sein Angriff kam so schnell, dass seine Bewegungen fast verschwommen waren. Ich erahnte eine Faust von links und duckte mich instinktiv. Gleichzeitig führte ich eine halbe Drehung aus und stieß mit dem Messer in Richtung seiner Brust. Er blockte den Schlag problemlos und umklammerte mein Handgelenk mit hartem Griff und hob es in die Höhe. Mit der anderen Hand schlug er mit voller Wucht auf meine Hand, sodass ich mein zweites Messer fallen ließ. Ich war nun wehrlos und er entspannte sich kurz, was ein Fehler war. Man musste immer, immer die volle Konzentration auf den Gegner richten, ein Regel die mir vom Anfang meiner Ausbildung an eingebläut wurde. Mein Fuß schoss vor und ich trat ihm mit voller Wucht in die Weichteile. Er jaulte kurz auf und krümmte sich zusammen, wobei er meine Hand los ließ. Ich robbte so schnell es ging zu meinem Messer und umfasste es mit zitternden Händen. Ich machte eine kurze Bestandsaufnahme. Mein Handgelenk tat tierisch weh, vermutlich verstaucht oder angebrochen. Ich würde morgen wohl einige blaue Flecken bekommen, aber ansonsten ging es mir gut. Ich griff wieder an, um die Schwäche meines Gegners auszunutzen, aber er hatte sich auch schon wieder gefangen.

Diesmal änderte ich meine Strategie und reagierte nur auf seine Attacken, ohne einen Gegenangriff durchzuführen. Wenn er einen Schlag landen wollte, hieb ich nach seiner Hand und ich traf ihn auch einmal, allerdings verursachte ich nur eine tiefe Fleischwunde, die bei Vampiren im nu wieder heilen würde. Eine Zeit lang stand es unentschieden. Dann erhöhte der Vampir sein Tempo und ich musste mir Mühe geben, mich seiner Attacken zu erwehren. Langsam machte sich auch die Müdigkeit in meinen Armen breit. Die Zeit stand auf seiner Seite und er schien es zu wissen. Ich warf all meine Kraft in einen letzten Angriff. Ein vorgetäuschter Ausfall und dann stieß ich die Klinge in Richtung seiner Beine. Zu meiner großen Überraschung traf die Klinge auf Widerstand ohne wie vorher sinnlos die Luft zu durchschneiden. Der kalte Stahl bohrte sich in Fleisch und ich sah im schwachen Licht der Lampe den Griff meines Messers, das bis zum Ansatz im Oberschenkel meines Gegners steckte. Einen kurzen Jubelschrei ausstoßend trat ich ihm gegen das verletzte Bein, sodass es einknickte. Im Bruchteil einer Sekunde war ich bei ihm und hielt ihm mein zweites Messer an die Kehle.

Jetzt sah er nicht mehr so selbstsicher aus, stellte ich zufrieden fest. Er war vermutlich noch nie von einem kleinen Mädchen besiegt worden. Gleich würde er anfangen um sein Leben zu betteln. Meiner nicht unbescheidenen Erfahrung nach flehten selbst die stolzesten Vampire in Situationen wie dieser. Ich fühlte mich nicht besonders schuldig, Vampire waren ja noch nicht mal lebendig, ich beförderte sie schließlich nur in ihren ursprünglichen Zustand zurück. Wie aufs Stichwort fing der Vampir an zu reden:“Bitte lass mich am Leben!“ Das war ja wie erwartet. Gelangweilt antwortete ich „Nenn mir einen Grund weshalb ich es nicht tun sollte“ und übte ein wenig Druck auf die Klinge aus, sodass eine feine Spur aus Blutstropfen erschien. Jetzt würde er mir vermutlich Reichtum, Unsterblichkeit oder den besten Sex meines Lebens anbieten. Ich hatte alles drei nicht nötig. „Ich liefere dir den Mörder deiner Familie“. Ich fauchte und drehte ihn an den Haaren herum, sodass er gezwungen war mir in die Augen zu sehen. Was bildete dieser Dreckskerl sich eigentlich ein? Meine Eltern zu rächen war mein sehnlichster Wunsch und er nutzte das schamlos aus. Rache, die letzte übrig gebliebene Emotion war zugleich auch meine Schwäche. Mit betont ruhiger Stimme sprach ich leise:“Ich will einen Beweis“ Ich weiß das es das klügste gewesen wäre ihn sofort zu erledigen, aber ein kleiner verräterischer Hoffnungsfunke hielt mich davon ab.“Erst nimm das Messer weg“ Damit er gleich abhauen konnte? Ich nahm das Messer ganze fünf Zentimeter von seinem Hals weg, immer noch bereit zuzustechen. Er blickte mich kurz an und sah aber, dass ich keine Absicht hatte ihm mehr Freiraum zu gewähren. Schicksalsergeben fing er an zu sprechen. „Vor zehn Jahren, am 17. Oktober, überfiel ein Trupp Vampire eine Vampirjägerfamilie. Sie standen unter dem Kommando von… einem Vampirfürsten. Es ging um Revierstreitigkeiten und er sah die Jäger als eine Bedrohung an. Das Ehepaar starb, ihre kleine Tochter gilt seither als verschollen. Das kleine Mädchen, das warst du, oder?“ Mein Blick ging ins Leere, dann riss ich mich aber zusammen und konzentrierte mich auf den Vampir vor mir. „Ja“, flüsterte ich tonlos, „sag mir den Namen des Mörders“. „Damit du mich gleich danach tötest? Nein danke. Ich mach dir ein Angebot. Komm mit mir mit. Du brauchst Informationen, wenn du den Vampir töten willst, Informationen, die ich dir nicht in dieser stinkenden Seitengasse geben werde.“ „Was schlägst du vor?“ „Komm mit zu meinem Haus. Da besprechen wir alles Weitere.“ In meinem Kopf spielte es verrückt. Konnte ich diesem Vampir trauen? Wenn das, was er sagte richtig war, dann konnte er mit helfen an den Mörder meiner Eltern zu kommen. Es war komplett verrückt, eigentlich sogar ein Selbstmordkommando, aber es war so verlockend. Ich stand dem Ziel meines bisherigen Lebens näher als je zuvor und ich musste diese Chance einfach ergreifen. Statt ihm zu antworten ließ ich mein Messer sinken. Der Vampir rieb sich den Hals und rappelte sich hoch. „Mein Auto steht dort drüben“

Ich folgte ihm zu seinem Porsche. Warum waren Vampire allesamt reich und hatten diese protzigen Autos? Man sollte doch meinen, dass beim Ausblick auf die Unsterblichkeit Statussymbole ihren Wert verlieren würden. Er hielt mir die Beifahrertür auf, was ich unter normalen Umständen als nett empfunden hätte. Ich war noch immer angespannt und umklammerte meine Messer sodass meine Fingerknöchel weiß gefärbt waren. Der Vampir konnte ja seine Meinung ändern und mich zu seiner Vorspeise machen. Der Motor summte leise und der Vampir machte freundlicherweise die Sitzheizung an- nicht dass ich mich überhaupt hätte entspannen können. Ich durchbrach die unangenehme Stille. „Wie heißen Sie?“ Schlechter Versuch, ein Gespräch anzufangen. Ich hatte ihn eben fast aufgeschlitzt und jetzt fragte ich ihn höflich nach seinem Namen. Er warf mir mit zusammengepressten Lippen einen kurzen Seitenblick zu. Ich konnte die Frage nicht einfach so im Raum stehen lassen, also wiederholte ich sie mit etwas mehr Nachdruck. „Morton“, sagte er mit starrem Blick nach vorne. „Bitte was?“ „Morton, ich heiße Morton.“ Ich kicherte nervös. Morton, das war ja ein lächerlicher Name für einen Vampir. Ein Vampir sollte einen englischen Allerweltsnamen haben, Damon, Alec, Chris oder meinetwegen auch Stephen. Wenn es etwas altmodisches war, dann sollte er gefälligst Edward oder William heißen. Aber Morton? Das war ja zum Kaputtlachen. Da konnte ich mit meinem eigenen Namen ja doch noch ganz zufrieden sein. „Früher hat man seine Kinder eben Morton genannt“, sagte er gereizt. „Du wärst überrascht wie viele Vampire ihre Namen geändert haben. Es ist nicht besonders sexy Herrmann oder Gottfried zu heißen.“Hmm, das machte Sinn. Großvater-Namen waren wirklich nicht sexy. Ich stellte mir vor, wie ein Vampir namens Herrmann in eine Bar geht, allen Frauen den Kopf verdreht und sich zu guter Letzt dann vorstellt. Das muss wirklich abtörnend sein. Ich war fast etwas erschrocken, als ich anfing zu kichern. Ich lauschte in mich hinein und stellte erschrocken fest, dass ich richtig gute Laune hatte. Selbst der Vampir neben mir dämpfte meine Euphorie nicht.

Wir waren im nu in seiner Villa angelangt. Kein Wunder er fuhr ja auch wie ein Wahnsinniger. Lag es Vampiren im Blut Geschwindigkeitsbegrenzungen zu ignorieren oder machte ihre Unverwundbarkeit sie einfach übermütig? Seine Villa war natürlich wunderschönen und riesengroß. Wir rollten langsam die Auffahrt hoch und beim Aussteigen hielt er mir wieder die Beifahrertür auf. Ich trat durch die riesige Eingangstür. „Ich bin wieder zu Hause!“, rief er in das Haus hinein. Fast sofort erschien eine Frau. Sie war schön, aber welcher Vampir war das nicht? Sie schritt wie ein Laufstegmodel auf uns zu, wobei ihr enges Kleid sich effektheischend um ihre makellosen Rundungen legte. Sie hatte langes blondes Haar und grüne Katzenaugen. Das war dann wohl die obligatorische Schwester. Es könnte natürlich auch seine feste Freundin sein, aber Vampire waren nicht so wirklich der Beziehungstyp. „Wer ist das?“ Sie musterte mich mit schmalgezupften Augenbrauen. „Ich bin Julia.“ Ich konnte sie von Anfang an nicht leiden. „Wie nett dich kennenzulernen“ flötete sie in einer Tonlage, die selbst Fledermäuse nicht mehr hören könnten. „Ich bin Mortons Schwester“. Volltreffer, ich hatte es gewusst. Mit der würde ich mich ganz bestimmt nicht anfreunden, und shoppen gehen erst recht nicht.

„Ja freut mich auch“ sagte ich in einer Tonlage, die an bestenfalls sarkastisch nennen konnte. Ich marschierte an der Schwester/Barbie vorbei durch die Tür. „Freunde dich damit an, dass ich hier schlafen werde, Morton.“ Er wirkte nicht so ängstlich wie er es meiner Meinung nach tun sollte sondern ließ eher begeistert den Blick über mich wandern. Ich wollte dich gerade noch eben ermorden, schon vergessen? Es ist pervers jetzt an Sex zu denken?! Er hörte mich nicht, denn Vampire können keine Gedanken lesen, egal was amerikanische Bestellerautorinnen behaupten. Nett sind sie auch nicht und Zurückhaltung können sie noch nicht mal buchstabieren. Energisch verschränkte ich die Arme, einerseits um meinen Ausschnitt zu verdecken, andererseits um die Messer sichtbar zu machen, die ich noch immer in der Hand hielt. „Vergiss es wenn du alle Körperteile behalten willst!“ Ich würde diese Nacht eh kein Auge zutun, aber Morton brauchte eine Dauerüberwachung und so würde ich gezwungenermaßen die Nacht hier im Haus verbringen. Gnade ihm Gott, wenn er mich angelogen hatte und versuchte bei der ersten Gelegenheit zu fliehen! Erst jetzt begann ich, mich richtig umzusehen. Die riesige Eingangshalle der riesigen Villa beinhaltete riesige Kronleuchter und irgendwelche Urahnen guckten mich verächtlich von Gemälden an. Ich folgte Miss Barbie, ich wusste ihren Namen immer noch nicht, die Treppen hinauf bis wir an einen langgezogenen Flur gelangten. Ich erhaschte einen Blick in ein quietschrosa Zimmer das von Anziehsachen nur so überquoll (es gehörte hundertprozentig ihr) und wir gingen schließlich auf die Zimmertür am Ende des Ganges zu. Na toll, soweit wie möglich vom Eingang entfernt und dann auch noch garantiert in Mortons Nähe. Mein Zimmer war, wie könnte es in einer großen schönen Villa auch anders sein, groß und schön. In der Mitte thronte ein nettes Himmelbett und zwei Türen gingen ab, eine ins Ankleidezimmer und eine ins Bad. Alles in allem ein guter Platz, um die Nacht zu durchwachen.
Ich habe mein eigentliches Ziel, die Überwachung des Vampirs (ich weigere mich, ihn Morton zu nennen) nicht aus den Augen verloren und so werde ich heute nicht allein in die Dunkelheit starren. Oder, um es mal weniger komplizierter auszudrücken, ich rief mit meiner verführerischsten Stimme seinen Namen, woraufhin er im Nullkomanichts vor mir stand. Ich zog Handschellen heraus und man sah ihm richtig an, wie das Kopfkino anfing zu brummen und er starrte abwesend auf meine Brüste und lächelte dabei debil. Er hörte auf zu lächeln, als er mit den Handschellen am Bettpfosten gefesselt war und ich es mir im großen Sessel gemütlich gemacht hatte. Hatte er im Ernst gedacht, ich würde nachts an ihn gekuschelt einschlafen und er mich zärtlich zudecken würde? Er ruckelte ein paar Mal vergeblich am Bettpfosten (Pech gehabt, das ist Massivholz!) und setzte sich schließlich resigniert auf die fluffige Matratze, wobei sein Arm in einem unbequemen Winkel abstand. Ein Klappern von High Heels kündigte das Herannahen von Problemen an. Die Tür flog dramatisch weit auf und das Flurlicht umrandete eine weibliche Silhouette, die einen Moment zögerte und dann ein hohes Kreischen ausstieß. Barbie blinzelte mich wütend unter unnatürlich langen Wimpern an. „Was glaubst du, was du hier tust?“, fragte sie mich mit ihrer viel zu hohen Stimme und stapfte doch tatsächlich mit ihrem Fuß auf. Ich grinste lässig und begann, mit dem Dolch meine Fingernägel zu säubern. „Ich überwache ihn, das ist los. Und jetzt hau ab.“ Sie blickte schnell zwischen dem bemitleidenswerten Morton und mir hin und her, entschied sich dann aber doch, das Weite zu suchen. Soviel zum Thema Vampirloyalität.
Die Nacht verlief wider Erwarten ruhig. Ab und zu ein leises Jammern und Schnarchen vom Bett her aber sonst störte nichts meine Ruhe, und so hatte ich genug Zeit, mir über meine Situation im Klaren zu werden, die nicht so wirklich rosig aussah. Gut, im Bett lag ein sabbernder Vampir, aber damit wurde ich fertig und auch die Barbie bereitete keine Probleme- sie würde eher sterben als sich ihre pinken Klamotten im Kampf zu ruinieren. Meine Problem lag eher in der Frage was sollte ich in Zukunft mit den Beiden machen? Einen Kopf kürzer machen war eine verlockende Option und ich hatte keinerlei Skrupel, sie auszuführen, aber im Moment brauchte ich sie. Wenn er mir die Information gegeben hatte, konnte ich immer noch auf Option 1 zurückgreifen. Ich hielt kurz inne, da selbst mir diese Lösung ein wenig improvisiert vorkam, aber mangels Alternativen gab ich mich mit einem Schulterzucken zufrieden.

„Bitte!“ Ich verdrehte die Augen. Er würde es schon überleben, einen Tag ohne Badezimmer auszukommen. Vampire sind doch klinisch tot, deshalb müssen sie doch nicht auf die Toilette gehen, und schwitzen tun sie auch nicht mehr, weshalb die ganze Aufregung wegen des Badezimmers? Ich bin mir sicher, er will sich nur im Spiegel anstarren. „Bitte!“ Diesmal hatte er seiner Stimme einen tiefen, rauen und verführerischen Klang gegeben und er sah mir dabei tief in die Augen. „Oh Morton!“, hauchte ich und lehnte mich so weit nach vorne, dass er tieeef in meinen Ausschnitt gucken konnte. Ich verpasste ihm eine Kopfnuss. „Hol deine Gedanken aus der Gosse. Das zieht bei mir nicht!“ Es war fast schon süß, wie sehr er schmollte. Kurz seufzte ich auf. Was half mir Sarkasmus in einer Situation wie dieser. Genug gespielt. „Habt ihr hier irgendwo einen Keller?“ Morton schien ein wenig aus dem Gleichgewicht geraten zu sein. Dachte er wirklich, ich würde ihn foltern und umbringen? Besser ausgedrückt: dachte er wirklich, ich würde es an einem so offensichtlichem Ort wie seinem Keller tun? Wenn doch das Sonnenlicht mir die ganze Arbeit abnehmen könnte? Tja, seine Gehirnzellen hatten ja schon seit Jahrzehnten keine Gelegenheit gehabt, sich zu erneuern. Ich zerrte ihn an seinen Handschellen nach unten. Schwesterchen hatte Brüderchen wohl im Stich gelassen, denn das sündhaft teure Cabrio stand nicht mehr vor der Tür. Morton sah recht bleich aus, als ich ihn die Treppe runterzerrte, grabesbleich, ha ha. Nun gut. Irgendwie schaffte ich es dann doch die Kellertreppe zu finden und stand in einem langen Gang der nicht von Fackeln, sondern von munter flackernden Neonlichtern beleuchtet war. Ich machte mich daran, die Tür zu öffnen. Abgeschlossen. „Wo ist der Schlüssel?“ Fuhr ich Morton an. „In meiner Hosentasche“, erwiderte er zögernd, „aber ich weiß nicht, ob das-“ „Ah-ha!“ Triumphierend baumelte der Schlüsselbund in meiner Hand. Mann, hatte der viele Schlüssel. Bestimmt zu jedem Haus einen und dann noch zu jedem Auto und jeder Yacht… Die Bürde des Reichseins; wenn man ihn in einen See geschubst hätte, wäre er von dem Gewicht bestimmt untergegangen. „Welcher ist es?“ „Die Kellertüren werden mit dem kleinen schwarzen Schlüssel geöffnet. Ja, genau der. Ich sollte allerdings…“ Er ließ seine Stimme immer leiser werden, als ich laut klimpernd mich daran machte, die Tür zu öffnen. Die Tür schwang auf um dann mit einem lauten KNALL wieder ins Schloss zu fallen- ich hatte sie zugeworfen. „Ein Keller voll mit Sexspielzeugen, muss das sein?“, stöhnte ich. Morton nickte eifrig. „Da stehen die Ladys drauf. Siehst du, die ganze Wand ist verspiegelt, da kann man sich in verschiedenen Winkeln beobachten…“ „Sicher doch. Und die Streckbank?“ „Ich sammle mittelalterliche Foltergeräte“ „Die Peitschen?“ „Stammen von meinem Gestüt, irgendwohin muss man ja mit den Dingern…“. „Die rosa Plüschhandschellen?“ „Ich hab da mal bei der Polizei gearbeitet, die wollten die Verdächtigen nicht verletzen…“ „Ist klar. Und das Hundekostüm?“ „Ähmm…“. Na toll, er war sexuell total verwirrt. Hoffentlich waren seine Informationen nicht genauso lächerlich wie seine Ausreden. Ich zerrte ihn weiter. „Gibt es hier irgendwo im Keller einen Raum der nichts mit Sexspielzeug zu tun hat?“ Er runzelte die Stirn. Plötzlich fing sein Gesicht an zu strahlen und er öffnete den Mund. „…und der nicht Autos oder einen Swimmingpool beinhaltet?“ Er schloss den Mund wieder. Kleinlaut deutete Morton auf eine kleine Tür in der Ecke. Ich schritt darauf zu und öffnete sie voller Angst, was mich erwarten würde. Es waren keine giftigen Dämpfe, keine Videoüberwachungsanlage, keine Bluthunde, die sich auf mich stürzen wollten, es waren- Marmeladengläser. Morton zuckte die Schultern. „Meine Großmutter hat sich noch immer nicht damit abgefunden, dass sie ein Vampir ist und kocht Marmelade.“ „Aber du nimmst doch nichts außer Blut zu dir“. „Ich will ihre Gefühle nicht verletzen“. Na toll. Den vielen Marmeladengläsern, die sich schimmlig bis an die Decke türmten nach zu urteilen, kochte die arme Oma wohl schon seit Jahrhunderten Marmelade. Ich schloss kurz die Augen um meine ablenkende Umgebung auszublenden und als ich sie öffnete blitzten sie- verzeiht meine Metapher- wie ein donnerndes Gewitter, das direkt über dem Feld aufzieht, wo du ohne Gummistiefel und mit Regenschirm in den Himmel gestreckt rumsteht. Ähm ja. Wie dem auch sei, ich war entschlossen. „Was. weißt. du. über. meine. Eltern?“ Er schien ein wenig überrascht über meinen Stimmungswechsel zu sein, aber da hatte ich kein Mitleid- er musste genauso wie ich damit klarkommen. „Na ja, also war eine dunkle Dezembernacht..“ „Halt die Klappe. Es war Oktober.“ „Also dann war es eben eine dunkle Oktobernacht…“ „Wenn du nicht sofort mit den dämlichen Beschreibungen aufhörst, verpass ich dir eine.“ „Drake war‘s“. „Wie bitte?“ „Siehst du, du willst es doch ausführlicher“ Entnervt verdrehte ich die Augen. Ein Kleinkind. „Es ging um Revierstreitigkeiten. In der Zeit vor ein paar Jahren wollten alle Vampire ihre Territorien erweitern und sind daher auf Raubzüge gegangen. Deine Familie lebte genau im Grenzgebiet und fiel Drake eines Tages zum Opfer. Das war wohl Pech“. Er streckte die Hand aus, um mich auf die Schulter zu tätscheln. Ich fing die Hand auf halben Weg auf. „Meine Eltern sind gestorben, du Widerling. Behandle sie mit mehr Respekt.“ Er versuchte eine traurige Grimasse. „Und was wirst du jetzt tun?“ „Ganz einfach, Drake langsam und qualvoll umbringen.“ „Kannst du das mit deinem Gewissen vereinbaren?“ „Drake hat ich zu einem kaltherzigen Miststück gemacht, dass einen ungesunden Schlafrhythmus hat und als Hobby Vampire killt. Welches Gewissen?“ Totschlagargument.

Schweigend verließen wir das Marmeladenmausoleum und blieben vor dem Treppenaufgang stehen. „Drake...“, murmelte ich, „was ist das überhaupt für ein bescheuerter Name?“ „Oh“, sagte Morton eifrig, „eigentlich heißt der Fürst Dracula der dritte. Der Enkel von dem originalen Fürst Dracula? Aber die Amerikanisierung der Namen macht auch bei uns Vampiren nicht halt und seit Bram Stoker dieses Buch geschrieben hat, macht es die Sterblichen leicht misstrauisch, wenn man sich mit Dracula vorstellt. Da hat er eben seinen Namen geändert. „Drake“ liegt ja auch gerade voll im Trend und…“. Ich warf ihm einen Blick zu, der eindeutig „zu viel Information“ bedeutete. „..und ich höre dann mal auf zu reden“. Wir schwiegen beide kurz.
„Ich werde dich gleich losmachen“, verkündigte ich schließlich. Ich hatte mich zu dem Schritt entschlossen, weil ich langsam wirklich, wirklich dringend auf die Toilette musste. Als Mensch hat man nun einmal Bedürfnisse. Mortons Gesicht hellte sich bei der Ankündigung regelrecht auf. Er äugte nun schon sehnsüchtig Richtung Ausgang. Ich stellte dramatisch mein Bein auf die Treppenstufe. Weil ich immer noch die meine Stiefel trug, gab es einen beachtlichen Effekt. Morton äugte nun sehnsüchtig Richtung Beine. Ich holte aus der kleinen Tasche am Oberschenkel einen spitzen Gegenstand und nahm die Schutzkappe ab. „Hey, was zum-“. Die Spritze beschrieb einen schönen Boden in der Luft, bevor sie sich schwungvoll in Mortons Oberschenkel bohrte. Rasch drückte ich den Kolben hinunter, bis die klare Flüssigkeit in Mortons Körper verschwunden war. Er zischte laut und seine Fangzähne zeigten sich. Ts ts, wie unzivilisiert. „Was zur Hölle war das“. „Mach dir keine Sorgen mein Lieber“, sagte ich lächelnd, „es war nur Wasser“. Ich lächelte süßlich. „Genauer gesagt Weihwasser. Wie du weißt ist Weihwasser tödlich für Vampire. Weil das Serum stark verdünnt war, hast du noch ungefähr zwölf Stunden zu leben. Zu deinem Glück“, fuhr ich fort und sah vergnügt, wie Mortons Blick zur Abwechslung an meinen Lippen hing, „zum Glück habe ich hier ein wenig Flusswasser von der Quelle des Styx. Du weißt schon, der griechische Fluss zur Unterwelt. Wie dem auch sei, es ist das einzige Gegenmittel zum Weihwasser und wenn du nicht sterben willst, solltest du dich nicht allzu weit von mir entfernen“. Morton nickte stumm. Hoppla, er schien doch so etwas wie einen Überlebensinstinkt zu besitzen. Zu doof, dass wirklich Leitungswasser in der Spritze war. Ich löste die Handschellen. „Im Grunde“, erklärte ich fröhlich, „Bist du immer noch an der Hundeleine, nur ist die Leine jetzt etwas länger geworden. Wir sehen uns dann morgen, um sechs Uhr abends vor dem Rathaus und ich werde das Gegengift dabei haben. Ich muss noch einige Dinge erledigen und mir einen wasserdichten Plan überlegen.“ „Dir ist schon klar, dass Dracula in einem Bunker aus dem zweiten Weltkrieg lebt, der am Stadtrand liegt und der dazu gebaut wurde, einem Bombenregen standzuhalten?“ „Ja, davon hab ich schon gehört. Ich habe schon eine geniale Idee, geradezu geniewürdig… Wir sehen uns später“. Ich ging aus der furchtbaren Villa, das Sonnenlicht wärmte mein Gesicht und ich war froh, dem Vampirpack entronnen zu sein. Noch zehn Stunden Zeit um mir einen Plan auszudenken, um in eine Vampirhochburg einzubrechen, die in einem unzerstörbaren Bunker lag. Was gab es einfacheres?

Um sechs Uhr abends erwartete mich Morton vor dem Rathaus. Er trat wie ein nervöses Kind von einem Bein auf das andere und er hatte vor Aufregung rote Flecken im Gesicht. „Es geht los!“ Na super, ein Adrenalinjunkie. Er bemerkt die schwarze Box in meinen Händen. „Ist das die Geheimwaffe?“ Ich brummte: „So ähnlich“. Wir fuhren mit der U-Bahn an den Stadtrand und ich ließ Morton mein Ticket bezahlen(hallo? superreicher Supervampir? Mein Familienerbe wird auch nicht größer). Endlich stiegen wir aus. Morton, der die ganze Fahrt vor sich hin geplappert hatte und ich, die ich die schwarze Box umklammert und sinnierend aus dem Fenster geblickt hatte(ich würde mich bald rächen), kamen also ein paar Straßen vom Bunker wieder hinaus. „Was ist es? Dynamit? Gas? Weihwasserpatronen?“ Hergott, der Junge wurde ja schon richtig kreativ! Nein, es war… „Pizza“. „Pizza?“, fragte er tonlos. „Mit Salami“, bestätigte ich. „Pizza?“, fragte er wieder, diesmal in einem kieksend hohen Ton. „Ja verdammt das ist Pizza und jetzt halt die Klappe und dann hör dir meinen Plan an!“ Sein Mund klappte effektiv zu.

Kurze Zeit klingelte der Pizzaservice Mortonino (dreimal dürft ihr raten, wer den Namen ausgesucht hat) an der Klingelanlage des Bunkers. Der diensthabende Wachmann guckte mürrisch auf den Bildschirm. „Ja?“ „Pizza Mortonino, ich hab hier noch eine ofenfrische Pizza Salami“. „Für wen?“ „Herrn Jürgen Schmidt“. „Kommen sie rein“. Das Tor schnurrte wie ein zufriedenes Kätzchen als es aufschwang. Ich hatte einmal die Wachfirma gegoogelt, einen kleinen Anruf getätigt („Ach Fräulein, ich würde gern mit dem Jens sprechen, das ist mein Schwager. Ja, mit dem Jens. Jens Scheumann. S-C-H-E-U-M-A-N-N. Sie haben nur einen Jürgen Schmidt? Ach so ja, da wird ich mich wohl verwählt haben… Ich werd auf meine alten Tage wohl noch dusselig oder der Jens hat mir die falsche Nummer gegeben… Trotzdem vielen Dank mein Fräulein“) und schon waren wir drin. Morton guckt mich im Schutz seiner knallroten Schirmmütze bewundernd an.

Das Innere des Bunkers sah aus… wie das Innere eines Bunkers nun einmal aussieht. Klein, beengt, Neonröhren, abbröckelnde Wände, moderne Überwachungskameras. Das hatte wohl jemand ein kleines Paranoia-Problem, dachte ich während ich dem einen Wachposten hinterher stiefelte. Wenn man potenziell unsterblich ist, liegt einem wohl doch viel am Leben. Schade nur, dass Drake heute sterben wird. Ein leichtes Gefühl der Nervosität bahnte sich an; so hatte ich doch schon einige Vampire ermordet, aber gleich würde ich mein Ziel erreicht haben. Schluck. Was ich wohl danach machen würde? Egal, nicht wichtig. Ein Schritt vor dem anderen. Da drüben ist ein Schild! Drake Tempes. Jep, das müsste es sein. Ich stieß Morton einen Ellenbogen in die Seite. „Schalte du den Wachposten aus, ich kümmere mich um die Kamera.“ Ich nahm meine Mütze ab, zielte und… Treffer! Vor der Kamera baumelte jetzt eine rote Schirmmütze. Der Wachposten hatte bemerkt, dass wir stehen geblieben sind und drehte sich langsam um. Seine Augen weiteten sich vor Angst. Morton fletschte die Zähne.

Wir ließen den k.o. gegangenen Wachmann hinter uns und gingen in Richtung des Pfeils, der uns zu Drake weisen würde. Ich hatte Morton mit Müh und Not davon abbringen können, den armen Wachmann anzuknabbern (und obwohl ich hunderte Vampire abschlachte, bin ich doch eigentlich ein Menschenfreund. Wirklich.). „Kannst du mir nicht einfach das Gegengift geben? Ich hab dich doch schon reingebracht, jetzt kannst du schön das Herz von Drake essen und einen heidnischen Tanz aufführen oder was auch immer du planst, aber lass mich da raus. Ich hab dich doch schon hier herein gebracht.“ „Herein schon, aber ich würde auch gerne wieder heraus und das lebendig und an einem Stück. Ein Vampir könnte dabei schon ganz nützlich sein.“ Er blitzte mich an und wollte gerade seinen Mund öffnen, da klopfte ich an die Tür. Morton blinzelte sie verwundert an, als ob sich die Tür aus dem Nichts materialisiert hätte und zischte dann: „Glaubst du wirklich, er wird so dumm sein die Tür einfach zu öffnen?“ „Es ist auf jeden Fall besser als sie einzutreten, glaub mir.“ Ich klopfte noch einmal nachdrücklicher. „Herein!“, tönte eine genervte Stimme von innen. „Unser Auftritt, Vampir.“ Ich drückte die Klinke nach unten und die Tür schwang auf.

Das Büro war nett eingerichtet worden. Indirekte Beleuchtung ersetzte die fehlenden Fenster, die Wände waren von einem verwässerten hellblau (ruhige, kühle Geschäftsatmosphäre. Jaah klar), eine Wand wurde von einem Regal voller Akten gesäumt und eine kleine Topfpflanze starb auf dem Schreibtisch vor sich hin. Hinter dem großen, wuchtigen Schreibtisch befand sich ein Thron aus Leder und mit Rollen darunter. Ich hätte auch Bürostuhl sagen können, aber das schien es nicht so ganz zu treffen. Auf dem Stuhl saß Drake. Er sah aus wie ein Bodybuilder, den man in seinen Konfirmationsanzug gesteckt hatte, um zu sehen ob er noch passte. Drake hatte eine vorgewölbte Neandertalerstirn, unter der zwei kleine Schweinsäuglein blinzelten. Seine Schultern waren…breit. Schluck. Das dürfte dann doch nicht so einfach werden. Ich bemitleidete seine armen Angestellten. Ob die sich jemals trauten, nach Urlaub…? Doch ich riss mich zusammen. „Sind Sie Drake?“ „Ja, was ist denn los?“ Ich lächelte fies. „Wir haben Pizza für sie.“ Ich warf den Pizzakarton auf den Boden und griff nach meinem geliebten Dolch. Ein Überraschungsmoment wäre ganz vorteilhaft. Morton war im Hintergrund geblieben und drückte sich in der Nähe der Tür herum, hatte die Hände in den Hosentaschen vergraben und blickte die kümmerliche Topfpflanze an, als ob sie das interessanteste der Welt wäre. Vampirmut war so groß wie der Pantoffel eines Pantoffeltierchens. Egal. Ich sprintete weiter vorwärts. Drake war bei meinem Anblick zurückgezuckt und mit ihm zusammen hatte auch der Drehsessel eine Bewegung nach hinten gemacht. Die Rolle verhedderte sich im Teppich, der auch zurückgeschoben wurde- Drake steckte fest. Seine Vampirzähne fuhren mit einem Ruck aus dem Zahnfleisch und er schielte auf meine herannahende Gestalt, als er hektisch versuchte, sich zu befreien. Zu spät! Ich schmiss mich quer über den Schreibtisch und rammte ihm den Knauf des Dolches mit voller Wucht gegen die Stirn, woraufhin er prompt in seinem Sessel erschlaffte. Verwundert blickte ich auf den Fleischhaufen auf dem Stuhl und fragte mich benommen, ob ich jemals so viel Glück gehabt hatte. Jetzt nur noch ein sauberer Schnitt durch die Kehle und dann würden meine Eltern endlich gerächt sein.

Langsam rappelte ich mich aus meiner liegenden Position vom Schreibtisch auf. Meine Rippen waren bestimmt leicht angeknackst und meine Seite würde morgen früh sicherlich in maritimen Farben schillern. Die Pflanze sah mich mitleidig von ihrem senfgelben Topf aus an. Für einen klitzekleinen Augenblick schossen mir Tränen in die Augen, einfach angesichts der Wichtigkeit der nächsten Momente, wo ich Rächerin sein würde und den Hass und die Gleichgültigkeit, die seit dem Tod meiner geliebten Familie in mit trug wie einen zwei Meter großen Stachel und der Tod des Vampirs würde meinen endlosen Durst befriedigen und ich fühlte mich wie Sysiphos, der wider allen Erwartungen dem Willen der Götter getrotzt und den Berg bezwungen hatte…Mortons quengelnde Stimme riss mich aus meinen selbstherrlichen Gedanken. „Kann ich jetzt bitte, bitte das Gegengift haben? Ich fühle schon das Brennen des Weihwassers in meinen Ader und ich fände es wirklich ganz toll, wenn ich auch noch den morgigen Sonnenuntergang erleben würde.“ „Moment noch“. Ich nahm den Dolch in meine Hand und wog ihn abschätzend darin. Mein Vater hatte ihn mir zum achten Geburtstag geschenkt (obwohl ich wirklich viel, viel lieber eine Barbie haben wollte… gut, dass meine Eltern mich nieeee beeinflusst haben. Keine Spur.) und ich fand es nur passend, damit das Leben (na gut: die Existenz) des Mörders meiner Eltern zu beenden.

Ich hob den Dolch in einer dramatischen Geste- und zögerte. Ich wollte diesen Moment auskosten. „Was ist denn jetzt schon wieder?“, unterbrach Morton mich wieder einmal in einem sehr, sehr wichtigen und dramatischen Moment. Der Kerl hatte wirklich ein Talent dafür. „Ich horche in mich und versuche, einen Funken Menschlichkeit in mir zu finden.“ „Häh?“ „Arch… so wird das nichts. Halt einfach die Klappe, Morton.“ „Okay, okay“. Der Vampir spielte mit seiner knallroten Schirmmütze. Fünf Sekunden später fing er wieder an zu sprechen. „Ich finde es nur komisch, warum du den Bastard nicht einfach abstichst.“ „Bastard, was? Höre ich da eine gewisse Abneigung?“ „Unsere Familien hatten Revierstreitigkeiten sind nicht so gut aufeinander zu sprechen“. Typisch Vampir. Da hat man Unsterblichkeit und was tun sie? Kleinkriege führen. Obwohl, das könnte auch am Testosteron liegen. Oder einer gewissen Steinzeit-Mentalität… Morton fing wieder an zu sprechen. „Hör zu“, fing er in seinem besten Vampir-Schmeichel-Ton an, „ich weiß, dass du Drake hasst und das ist vollkommen okay. Töte ihn einfach und dann lass diese Episode des Lebens hinter dir.“ „Ja ja“, murmelte ich. Hoffentlich hatte jemand Morton schon mal verklickert, das „ja ja“ übersetzt „Leck mich am Arsch“ bedeutet. Morton bekam nun rote Flecken im Gesicht und startete seine kleine Tirade. „Denk doch nur daran, was er dir alles angetan hat! Die Einsamkeit, die Wut, der ständige Kampf mit dem Tod! Keine Sonnenbräune!“ Ich hob eine Augenbraue. „Stell dir genau deine toten Eltern vor! Wie sie da ab gemetzelt rumlagen! Und der Kartoffelbrei! Denk an den Kartoffelbrei, der…“. Mein Kopf schnellte zu ihm herum. Morton wurde bleich. Tapfer versuchte er seinen Satz zu Ende zu bringen. „…der auf dem Boden lag oder das Käsebrot oder der Nudelauflauf… irgendein Abendessen lag bestimmt auf dem Boden herum, immerhin war es Abend, da habt ihr bestimmt irgendwas gegessen und irgendwas ist bestimmt auf den Boden gefallen…“ Seine Stimme verstummte, als ich mich ihm raubtierhaft näherte. In meinem Kopf machte es klick und auf einmal passte alles zusammen. „Du Schwein!“, zischte ich, „du erbärmliches, mieses, feiges Schwein!“ „Ich verbitte mir doch solche Ausdrücke…“ Morton ging ein paar zögerliche Schritte rückwärts. „In der Nacht beim Club als du nur ein paar Zentimeter vom sicheren Tod entfernt warst, hast du mich erkannt, nicht wahr? Du wusstest, dass ich das kleine Mädchen aus der Vampirjägerfamilie war, die du und niemand anderes als du bei Revierstreitigkeiten abgeschlachtet hast. Und du konntest gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, du hast dein erbärmliches Leben mit einer falschen Information erkauft und du hast mich auf deinen Konkurrenten gehetzt, in der Hoffnung dass ich ihn erledige.“ „Ähm.. na ja.. sorry?“ Morton schob sich zentimeterweise Richtung Tür. „Aber du musst zugeben, es war schon ziemlich dumm von dir, mir so einfach so glauben“. „Ich weiß und ich könnte mir dafür selber in den Arsch beißen, wenn das anatomisch möglich wäre“. Ich machte einen entschlossenen Schritt vorwärts und blockte so effektiv seinen Fluchtweg. „Und jetzt… werde ich dich töten.“

Morton machte einen Ausfall nach vorne, die Hand nach meiner Kehle ausgestreckt. Doch ich hatte schon damit gerechnet und schlug seine Hand nach oben weg und rammte ihm mein Knie mit voller, und ich meine voller Wucht in die Weichteile. Er fing an zu schreien wie eine Alarmsirene und klappte zusammen. „Das“, sagte ich kalt, „war Rache“. Ich ging hinüber zu dem bewusstlosen Drake, der von dem Drama nichts mitbekommen hatte und durchsuchte seine Taschen, bis ich den Büroschlüssel fand. „Und das“, sagte ich, zog meinen Dolch in einer flüssigen Bewegung und warf ihn, sodass er eine Drehung machte und die Klinge einmal im kalten Bürolicht aufblitzte, „ist Gerechtigkeit“. Morton sank auf den Boden, den Dolch bis zum Heft zwischen den Augen. Ich wartete kurz, bis sich mein keuchender Atem beruhigt hatte.

Dumm, dumm, dumm. Ich hätte es kommen sehen müssen. Alle Vampire waren böse und aus dummer Rachsucht und Nachlässigkeit hatte ich diesen nicht sofort erledigt, als ich die Chance gehabt hatte. Ich ließ den Dolch meiner Eltern da stecken, wo er hingehörte und wandte mich Drake zu. „Er hat sich nichts zu Schulden kommen lassen“, raunte das Engelchen, das auf meiner linken Schulter hockte. „Blödsinn“, entgegnete das Teufelchen, dass auf meiner rechten Seite lungerte, „er ist ein Vampir, das reicht.“ „Aber er kann nichts dafür, was er ist. Das ist Diskriminierung und Mord“. „Na und? Das hat dich bei den letzten hundert Vampiren auch nicht gestört. Und jetzt halt die Klappe.“ Das Teufelchen schnipste mit dem Finger und ließ das Engelchen in Flammen aufgehen, bevor es sich mit einem fies wiederhallenden Lachen in Rauch auflöste. Ich zog meinen Ersatzdolch und stieß ihn Drake ins Herz. Damit tat ich seinen Untergebenen bestimmt einen Gefallen. Ich ging Richtung Tür, den Schlüsselbund munter klimpernd in meiner Hand. Ich zögerte kurz, drehte mich noch einmal um und nahm in einem Anflug von Mitgefühl (Vampire sind miese Botaniker) den senfgelben Topf samt Pflanze mit mir. Endlich verließ ich den Raum und schloss die Tür hinter den zwei Vampirleichen ab. Ich blickte an mir herunter. Ich war allein, im blutbespritzten Kleid, unbewaffnet (meine Dolche steckten in besagten Vampirleichen) und presste einen senfgelben Blumentopf an meine Brust. In der Ferne hörte ich das Trampeln der herannahenden Wachmannschaften, die bestimmt nichts lieber täten als mich (tot oder lebendig) der Polizei auszuliefern. Jetzt musste ich nur noch an diesen Söldnerhorden vorbeikommen und mir meinen Weg durch das mit Überwachungskameras gespickte Labyrinth suchen. Ein Klacks. Und nachdem ich all das geschafft hatte, würde ich mein Familienerbe anzapfen und nach Hawaii auswandern und am Strand widerlich süße Cocktails schlürfen und braun werden. Wer braucht schon Rache?

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 10.12.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Warnung: um dieses Buch gefahrlos zu konsumieren braucht ihr: 1. Musik, um die Handlung logisch zu verknüpfen und 2. einen sehr seltsamen Sinn für Humor. Ihr werdet wahrscheinlich merken, dass die ersten Seiten vor Klischee nur so triefen, aber ungefähr nach der Hälfte entgleist die Handlung und Humor scheint durch und... ach, lest selbst :)

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