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Es war einmal ein kleiner Wolf, der war so lieb und harmlos, dass er keiner Fliege etwas zu Leide tun konnte. Deswegen nannten ihn alle Woelfchen. Als die Zeit verging und der kleine Wolf heranwuchs, war er immer noch nett und hoeflich. Seine Eltern beschlossen, etwas zu unternehmen. Sie schickten Woelfchen in einen weit entfernten Wald, in dem es vor boesen Menschen nur so wimmelte. Dort sollte Woelfchen lernen, sich wie ein richtiger Wolf zu benehmen. Vergnuegt wanderte Woelfchen tagein und tagaus, bis er in dem Wald ankam. Mit der Zeit gefiel es ihm dort sehr und bald kannte er alle Blumen und Schmetterlinge beim Namen. Eines schoenen Tages machte Woelfchen gerade seinen Morgenspaziergang, da sah er etwas Rotes zwischen den Baeumen aufblitzen. Neugierig schlich er sich naeher heran. Es war ein kleines Maedchen,dass ein rotes Kaeppchen trug und in der einen Hand einen Korb. Woelfchen sprach die Kleine an: "Einen wunderschoenen guten Morgen, kleines Maedchen.Ich freue mich sehr, deine Bekanntschaft zu machen. Ich heisse Woelfchen. Und wer bist du?" Das kleine Maedchen musterte Woelfchen von Kopf bis Fuss. "Woelfchen?", fragte sie mit nasaler Stimme, "das ist ja ein bloeder Name" Woelfchen wurde ein bisschen rot und starrte verlegen auf den Waldboden. "Ich bin Rotkaeppchen", fuhr das Maedchen fort, "und ich bringe meiner Erbtante einen Korb mit Kuchen und Wein." "Tat-tatsaechlich?" Jetzt war Woelfchen ein bisschen verwirrt. Eigentlich hatte er sie ja nur angesprochen, um beim Tragen ihres schweren Korbes zu helfen. "Ja, ich weiss, ich kanns auch nicht verstehen. Meine Mutter schickt mich immer quer durch den Wald. Ich hab schon riesige Blasen an den Fuessen und meine Schuhe sind auch ruiniert. Und der ganze Zirkus nur, damit meine Erbtante etws saufen kann. Wollen wir wetten, das die Alte eine Alkoholikerin ist? Aber was soll man machen. Sie ist nun mal die Erbtante. Wenn die Alte tot ist kriegen Mama und ich ihre ganze Kohle. Und bis dahin muss ich immer durch den Wald rennen und diesen schweren Korb dabei tragen, um sie bei Laune zu halten." jetzt kam Rotkaeppchen erst richtig in Fahrt. Sie tippte mit dem Zeigefinger auf ihre rote Kappe. "Was glaubst du, was das ist? Meine Erbtante hat mir das zum letzten Geburtstag geschenkt. Eine Kappe! In ROT! Wenn es nur wenigstens blau gewesen waere. Aber nein, es muss ja rot sein. Und jetzt muss ich dieses Ding immer tragen, wenn ich sie besuche. "Um sie gluecklich zu machen", sagt meine Mama dann immer. Das ich nicht lache! Sie ist nur scharf auf das Geld.." "Hmm.. also ich hab das jetzt nicht so wirklich verstanden." sagte Woelfchen schuechtern. Das, wovon Rotkaeppchen da redete, ging weit ueber einen durchschnittlichen Wolfsverstand hinaus. Rotkaeppchen hatte es sich unterdessen auf dem Waldboden gemuetlich gemacht und fing an, den Kuchen zu essen. "Wenn..also, wenn ich jemanden gluecklich machen moechte, dann pfluecke ich ihm einen Strauss schoener Blumen", schlug Woelfchen zaghaft vor. "Vielleicht gar keine schlechte Idee", sagte Rotkaeppchen und ruelpste. "Jetzt wo der ganze Kuchen weg ist. Vielleicht schenkt die Erbtante mir ja was.." Eifrig stimmte Woelfchen ihr zu "Oh ja, und sie wird sich bestimmt ganz schoen freuen. Die arme Frau! Sie ist bestimmt ganz einsam, wo sie doch mitten im Wald wohnt" Rotkaeppchen wischte sich die letzten Kuchenkruemel von ihrem Bauch "Das will ich doch nicht meinen. Gerade letzte Woche haben wir Ehemann Nummer fuenf beerdigt. Sie waren erst drei Wochen verheiratet, dann ist er auf mysterioese Weise gestorben und hat ihr das ganze Geld hinterlassen. Lustig, oder?" 'Lustig' war nicht das Wort, mit dem Woelfchen es beschrieben haette, aber er protestierte nicht. Kurz darauf beschlossen Rotkaeppchen und Woelfchen, getrennte Wege zu gehen. Rotkaeppchen fing an, Blumen zu pfluecken und Woelfchen trug den schweren Korb zum Haus der Erbtante. Etwas ausser Atem klopfte er an die Tuer und ging hinein. In dem Haus roch es nach Zigarettenqualm. Vorsichtig stellte Woelfchen den Korb mit dem Wein auf den Tisch und wollte sich gerade auf Zehenspitzen wieder aus dem Haus schleichen, da ertoente eine knarzende Stimme: "Hoppla, wen haben wir denn da!" Suchend drehte Woelfchen sich umher, bis er ungefaehr die Richtung ausgemacht hatte, aus der die Stimme kam. "Ich bin sehr erfreut ihre Bekanntschaft zu machen, werte Dame. Ich bin Woelfchen, und..." "Papperlapapp!", unterbrach ihn die Stimme, "hoer mit der Schleimerei auf. Mach dich lieber nuetzlich. Du kannst waschen, mein Nachthemd liegt gleich dort drueben. Und das Bett ist ein wenig kaputt. Reparier es doch bitte!" Woelfchen hatte Mitleid mit der alten Dame und wollte ihr ihre Bitte nicht abschlagen. Also fing er an zu waschen, zu buegeln und zu putzen. Unterdessen war Rotkaeppchen zu faul geworden, um weiterhin Blumen zu pfluecken, und sie legte sich in die schoen Sonne und hielt ein Nickerchen. Endlich hatte Woelfchen alles getan. Das Nachthemd war gewaschen und getrocknet und das Bett war wieder repariert. Jetzt konnte Woelfchen guten Gewissens das Haus verlassen. Er probierte nur noch schnell das Nachthemd an, um sicherzugehen, dass es beim Waschen nicht eingelaufen war, und legte sich in das Bett, um zu pruefen, ob es auch tatsaechlich stabil war. Doch die Anstrengungen des Tages uebermannten ihn und er fiel in einen tiefen Schlaf. Einige Stunden spaeter kam Rotkaeppchen ebenfalls zum Haus der Erbtante. Sie ging hinein und sprach die Gestalt im Bett an. "Erb...Omi, wach auf. Ich bins. Ein boeser Wolf hat mich von Wege abgelenkt und deswegen bin ich so spaet dran." Woelfchen war inzwischen aufgewacht und musterte verschlafen das Rotkaeppchen. "Ei Omi, was hast du fuer grosse Augen! Hast du mal wieder diese Pilze gegessen? Du weisst doch, das du das nicht tun solltest." Woelfchen war verwirrt, aber er antwortete "Ich hab so grosse Augen, damit ich dich besser sehen kann" Er verstand die Frage nicht so recht. Warum wusste Rotkaeppchen nicht, wofuer Augen da waren? Aber ehe er sich noch weiter wundern konnte, fragte Rotkaeppchen: "Und Omi, warum hast du diese grossen, behaarten Haende?" Jetzt verstand Woelfchen gar nichts mehr. "Naja, mit Haenden kann man Leute umarmen, oder Blumen pflucken, oder einen Brief schreiben, oder.." Rotkaeppchen machte eine ungeduldige Handbewegung um ihn zu unterbrechen. Gereizt sagte sie: "Ei Omi, deine Zaehne kommen mir irgendwie veraendert vor. Hast du ein neues Gebiss?" Verwundert betastete der Wolf seine Zaehne. Sie kamen ihm eigentlich vor wie immer. Aber da fing Rotkaeppchen auch schon an zu kreischen. "Hilfe, meine Grossmutter hat sich in einen Wolf verwandelt, zu Hilfe" Beim Klang ihrer Stimme verkroch Woelfchen sich unter der Bettdecke. Zufaellig war gerade ein Jaeger in der Naehe. Er hoerte die Schreie und da er schon lange einen Wolfspelz als Trophaee haben wollte, eilte er so schnell seine kurzen Beine ihn trugen, zum Haus der Grossmutter. "Ich rette euch!", schrie er und fing an, mit seinem Gewehr zu schiessen. Er traf drei chinesische Vasen, das Wasserglass mit dem Gebiss darin und auch das Herz des Wolfes. Dieser war sofort tot und alle waren gluecklich. Der Jaeger wurde der Ehemann Nummer sechs der Erbtante (und verstarb unter seltsamen Umstaenden kurz nach der Hochzeit), die Erbtante hatte einen schoenen Wolfspelz als Kaminteppich und Rotkaeppchen wurde Alleinerbin des Vermoegens. Die Gebrueder Grimm, die alles mitbekommen hatten, wurden mit einer astronomisch hohen Summe bestochen, die Geschichtsschreibung zu aendern. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.


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Tag der Veröffentlichung: 28.10.2010

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