Der Puppenspieler
Die nacke Gluehbirne an der Zimmerdecke flackerte und warf zitternde Schatten an die Wand. Die Wohnung war kahl, kahl und leer. Nur das Prasseln der Regentropfen war zu hoeren, jedes Geraeusch durcschnitt die Stille wie ein Messer. Ein Frau war dort. Sie sass auf dem einzigen noch verbliebenen Stuhl und starrte die Pistole an, die vor ihr auf dem Tisch lag. Einfach dachte sie, so einfach. Ich koennte einfach die Pistole nahmen und die Muendung an meine Schlaefe legen. Ich muesste nur meinen Finger kruemmen, nur ganz leicht. Aber Geduld,nur ein wenig. Es sollte kein Selbstmord sein, sondern auch Mord. In dieser kalten, stuermischen Nacht wuerde sie zwei Leben vernichten,nicht nur eines.
Es hatte ganz harmlos angefangen, an einem schoenen Fruehlingstag vor einem Jahr. Sie war auf einer Pferderennbahn gewesen, als sie ihn das erste Mal erblickt hatte. Die Sonne schien und die Luft roch nach Holzspaenen, Pferdeschweiss und Lebenslust. Sein Blick durchschnitt die Menschenmenge und hielt ihren Blick gefangen. Unglaublich gruene, funkelnde Augen. Sie trafen sich ein paarmal und zogen schon bald zusammen. Die ersten Wochen war sie gluecklich gewesen. Doch eines Nachmittags wollte er Geld haben. Nicht viel, nur genug um Zigaretten holen zu gehen. Sie lachte und gab es ihm und er kuesste sie. Die naechsten Wochen wurden schlimmer. Er forderte mehr Geld. Er haette Schulden bei der Mafia, und sie wuerden ihn toeten,wenn er ihnen das Geld nicht gab, das sagte er ihr. Sie hob das Geld von ihrem Konto ab, und ging hastig zurueck, die Handtasche fest an ihren Koerper gepresst. So einen hohen Betrag hatte sie noch nie bei sich gehabt. Sie hatte ein mulmiges Gefuehl im Bauch, aber sie wollte ihn nicht verlieren. Und war es nicht edel ein Leben zu retten?
Die Gluehbirne flackerte weiter, immer laenger wurden die Momente, in denen es komplett dunkel war. Bald ist es soweit, dachte sie. Wie lange konnte man schon brauchen, von dort wo er nun wohnte zu ihrer Wohnung? Zwanzig Minuten? Eine halbe Stunde? Nicht mehr lange, auf jeden Fall. Sie konnte sich schon seine schweren Schritte vorstellen, wie sie die Treppe hochkamen.Wuerde es eine kurze Stille geben, bevor er an ihre Tuer klopfte? Um sich zu fragen, was er da tat? Nein, vermutlich nicht. Gewissensbisse hatten ihn noch nie geplagt. Die Erinnerung griff mit langen Schattenfingern nach ihr.
Als sie ihm das Geld gab, zitterten ihre Haende. Er oeffnete ihre Tasche und zaehlte den Betrag, wie ein Priester der eine Opfergabe prueft. Er laechelte und dann sagte er, er liebe sie. Er wolle mit ihr zusammen sein, fuer immer. Und sein Kuss verdraengte wieder das mulmige Gefuehl in ihrem Bauch. So ging es weiter, Wochen und Monate. Sie wusste das sie abhaengig von ihm war. Sie wusste es und konnte nichts daran aendern. Wenn sieihm nicht den gewuenschten Betrag an Geld brachte schlug er sie. Wenn sie einen anderen Mann ansah,schlug er sie. Am Anfang stritt sie noch mit ihm, sagte er solle ihr vertrauen. Am Ende ging sie nur noch mit gesenkten Kopf nach draussen, aengstlich darauf bedacht, jedem Blick eines Fremden auszuweichen. Einmal erzaehlte sie es ihrer Schwester, aber die wollte die Polizei einschalten. Sie wusste, dass er dafuer eingesperrt wuerde, aber sie konnte nicht mehr ohne ihn leben. Sie sagte ihrer Schwester, sie sollte sie in Ruhe lassen. Sie sagte noch mehr, Worte wie Messerstiche. Bald darauf zog ihre Schwester weg und sprach nie wieder mit ihr. Sie erkannte sich kaum noch im Spiegel. Ihre einst funkelnden Augen schienen leblos und ihr Haar, fuer das ihre Freundinnen sie immer bewundert hatten, hing in fettigen Straehnen ueber ihr Gesicht. Frueher hatten ihre Freundinnen noch angerufen, versucht sie zu erreichen. Aber sie hatten alle aufgegeben, eine nach der anderen. "Ich bin ein Junkie" sagte sie versuchsweise zu ihrem Spiegelbild. Nichts. Keine Reaktion. "Du bist abhaengig von ihm". Noch eine Wahrheit. Half es irgendwas, das sie es laut aussprach? Nein, tat es nicht. Sie hatte nicht die Kraft und auch nicht mehr den Willen, etwas zu aendern. Regungslos starrte sie ihr Spiegelbild an, und es starrte genauso zurueck. Einen kurzen Moment wollte sie den Spiegel zerschlagen. Wollte, dass es aufhoerte. Doch das Verlangen liess so schenll nach, wie es kam, wie eine Kerze, die ausgeblasen wird. Kraftlos sank sie auf den Boden und ruehrte sich nicht mehr, bis sie ihn im Treppenhaus hoerte.
Auf einmal war die Vergangenheit mit der Gegenwart im Einklang. Schwere Schritte kamen naeher und naeher. Es ist genau, wie ich es mir vorgestellt habe, dachte sie zufrieden. Gleich wird er an die Tuer klopfen und dann… Die Muendung der Pistole sah sie hungrig an. Ich hoffe, er wird leiden dachte sie. Ich hoffe er wird fuehlen, was ich gefuehlt habe, als er mich verliess. Den Schmerz. Die Leere. Der metallische Geschmack des Wahnsinns…
Eines Tages gab es kein Geld mehr, das sie ihm geben konnte. Sie hatte alle ihre Konten leer geraeumt, Gefallen eingefordert und einen Kredit aufgenommen. Doch er wollte noch mehr. Sie ging zur Bank und versuchte trotzdem, Geld abzuheben. Natuerlich gung es nicht und sie schlich zurueck wie ein Hund, der wusste, das er Pruegel erwartete. Eine kleine Stimme im Hinterkopf fluesterte ihr zu,dass es erbaermlich war, doch ihr Koerper bewegte sich ohne ihr Zutun vorwaerts. Eine Marionette, die die Befehle des Puppenspielers erwartete. Als sie ihm gegenueberstand, versuchte sie zu luegen und Zeit zu schinden. Natuerlich durchschaute er sie. Er schrie, seine Augen, die einst so gruen waren und nun schwarz vor Zorn, traten aus den Hoehlen hervor. Er schlug sie, wie er sie noch nie geschlagen hatte, bis aufs Blut. Dann liess er sie liegen und ging. Den naechsten Tag wartete sie vergeblich auf seine Schritte oder einen Anruf. Sie verless die Wohnung gar nicht mehr, aus Angst, sein Kommen zu verpassen. Einige Wochen spaeter sah sie ihn durch das Fenster. Er lachte und ging Arm in Arm mit einer anderen Frau spazieren. Die Frau war edel gekleidet, hatte ein breites Laecheln im Gesicht und blonde Locken umtanzten ihr Gesicht wie ein Heligenschein. Ich wette, sie bewundert seine funkelnden gruenen Augen, sagte eine kleine boshafte Stimme in ihrem Kopf. Sie spuerte einen grossen Schmerz, als sie spuerte das alle Baender die sie an ihn banden, zerrissen. Das einzige, was sie noch aufrecht hielt, war der Wunsch nach Rache, nach Vernichtung.
Und heute war es soweit. Sie hatte ihn frueher am Tag angerufen und ihm mit zitternder Stimme erzaehlt, ihre Grosstante habe ihr noch etwas Geld gegeben. Er moege doch bitte kommen. Sie wollte nur reden, vielleicht koennte man ihre Beziehung ja noch retten. Sie war sich bewusst wie erbaermlich es klang, vor allem da sie das Flehen in ihrer Stimme nicht unterdruecken konnte. Er wusste es auch, er war sich seiner Macht ueber sie bewusst und seines Erfolges ganz sicher. Die Tuerklinke wurde heruntergedrueckt und die Tuer oeffnete sich quietschend. Langsam trat er in den Raum und das flackerte Licht verzerrte sein Gesicht. "Ich bin hier. Lass uns reden, bitte. Du hattest Recht, vielleicht koennen wir noch etwas retten" Seine ruhige Stimme passte gar nicht zu dem grotesken Schattenspiel in seinem Gesicht, und einen kurzen Moment verspuerte sie den irrwitzigen Drang zu lachen. Er hob die Hand, als ob er die ihre ergreifen wollte- oder als ob er Geld forderte. Sie spuerte ihr Beine nicht mehr, aber trotzdem schaffte sie es aufzustehen. "Es gibt kein Geld" hoerte sie sich wie aus weiter Ferne sagen. Lansam hob sie die Pistole, bis die Muendung auf sein Herz zeigte.
Ein kurzer Moment des Begreifens durchzuckte sein Gesicht. Er blickte sie konzentriert an, versuchte die Kontrolle zurueckzugewinnen. "Das willst du doch nicht. Ich liebe dich immer noch. " Ein Wimmern entfuhr ihr und die Hand, die die Pistole hielt, zitterte ein wenig. Er gewann etwas an Sicherheit. "Bitte.Ich hab dir doch versprochen, dass wir zusammensein werden- fuer immer" Mit jedem Wort schob er sich etwas naeher an sie heran. Sie starrte in seine Augen, gefangen von dem Bild, das er mit seiner Stimme malte. Schnell wie eine Schlange die zupackt, schlug er auf ihre Hand, sodass sie die Pistole fallenliess. Dann schlug er sie ins Gesicht. Sie krachte in den Stuhl und fiel mit ihm zusammen um. Die helle Farbe des Teppichbodens wurde von feinen Blutstropfen besudelt. Er trat in ihren Bauch, dass sie sich kruemmte. "So, jetzt bist du nicht mehr so sicher was?" Er legte den Kopf ein wenig schief, als ob er sich wunderte. "Ich habe dich unterschaetzt, ich dachte du wuerdest Selbstmord begehen- wie die anderen." Als er ihren Gesichtsausdruck sah, lachte er haemisch. "Dachtest du etwas, du waerest die einzige? Du waerst etwas Besonderes?" Genuesslich sah er zu wie sie sich vor schmerzen kruemmte. Er wusste, er besass die Macht, sie mit Worten zu zerstoeren. "Leider, leider" seine sanfte Stimme streichelte jedes Wort, "leider muss ich dich jetzt umbringen. Ich habe so etwas noch nie gemacht, aber allzu schwer duerfte es ja nicht sein." Immer noch sprach er mit ruhiger Stimme. "Du wirst es gar nicht spueren" Etwas Kaltes beruehrte ihre Schlaefe und sie wusste, des es die Muendung der Pistole war.
"Bitte.... nicht" Die Worte kamen heraus wie ein Keuchen. "Oh, ich fuerchte, daran kann ich nichts aendern, meine Liebe, es wird wie ein Selbstmord aussehen." Er hielt ihr mit einer Hand den Mund zu. Sie strampelte und versuchte sich zu wehren. Wie sollte sie es ihm begreiflich machen? Ihre Augen blitzten in eine dunkle Ecke des Zimmers hinueber, in der eine Videokamera stand. Das schwach rot pulsierende Licht zeigte an, das sie auf Aufnahme stand. Ihr Koerper wehrte sich wand sich wie ein Fisch auf dem Trockenen. Sie wollte ihm ins Gesicht schreien: Drueck nicht ab! Es ist alles aufgezeichnet! Du musst ins Gefaengnis! Bitte, bitte, tu dir das nicht an! Wie sollte sie es ihm begreiflich machen? Sie kaempfte nicht um ihr Leben, sondern um seines. Er hielt sie immer noch fest, seine Hand schmerzhaft auf ihren Mund gepresst. In seinen funkelnden gruenen Augen stand Wahnsinn. Wie hatte sie sie jemals schoen finden konnen? Sie sah ihm an, dass er eine Entscheidung getroffen hatte. Ein Finger kruemmte einen Abzug. Ein Schuss blitzte durch die Stille. Die helle Farbe des Teppichs wurde verschlungen von einem Strom von Blut. Sie lag da wie eine Puppe mir gebrochenen Gliedern, ihre offenen Augen starrten an die Zimmerdecke, ohne etwas zu sehen.
Er wurde am naechsten Tag gefasst, gerade als er in ein Taxi zum Flughafen steigen wollte. Die Beweislast war erdrueckend. Er wurde des Mordes und anderer Verbrechen fuer schuldig befunden und zu einer lebenslaenglichen Haftstrafe verurteilt. Nach einiger Zeit bekam er Depressionen und eines morgens fand ihn der Gefaegniswaerter aufgehaengt an seinem Bettlaken.
Tag der Veröffentlichung: 10.10.2010
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