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Kapitel 1



Der Wind fuhr ihr sanft durch ihr hellbraunes, gelocktes Haar. Es schien, als würde er jede einzelne Strähne liebkosen. Sie strich sich die Strähnen, welche ihr hübsches Gesicht bedeckten, zur Seite. Ihre Augen blickten starr gerade aus. Noch immer konnte sie nicht verstehen, was passiert war.
Ihr Herz klopfte laut in ihrer Brust, doch sie fühlte sich, als wäre sie innerlich verbrannt. Als hätte man ihr die Seele geraubt.
Langsamen Schrittes bewegte sie sich auf das kleine, zerstörte Dorf zu. Es war nicht mehr viel davon übrig.
Eine bedrückende Stille, legte sich um ihre Heimat. Außer dem Knistern des, über die Häuser leckende Feuer, hörte man nichts. Kein Mensch oder Tier wagte sich auf die Straßen dieses Schlachtfeldes.
Sie ging auf ihr Elternhaus zu. Dort, wo einst ein schönes, großes Familienhaus gestanden hatte, befanden sich nur noch Bruchstücke ihrer Behausung.
Sie hustete, da der Rauch ihr tief in die Lungen gefahren war und diese fast zum zerbersten brachte. Doch in diesem Moment wäre sie froh gewesen, wenn es passiert wäre.
Nichts wünschte sie sich mehr, als ihren Lieben folgen zu können. Dorthin, wo kein Schmerz, keine Not und kein Hass herrschte.
Ihr verschwommener Blick fiel auf eine leblose Hand, die zwischen den Trümmern des Hauses hervorlugte.
Sie hob einzelne, schwere Brocken beiseite, um den leblosen Leib der Frau zu betrachten. Die schwarzen Haare des Leichnams waren von Staub bedeckt. Ihre Augen waren weit geöffnet und, ihr einst so schöner Mund, war blutbeschmiert. Magdalena kniete sich zur Frau hin, die sie ehemals Mutter genannt hatte und streichelte ihr mild das Gesicht.
Ihre Augen füllten sich mit Tränen und ihre Sicht verschwamm. Sie rannen ihr über die Wangen und tropften auf das Gesicht ihrer Mutter. Die Tränenperlen vermischten sich mit dem Staub und Blut, die das Gesicht der Toten bedeckten.
Magdalena stand auf und wischte sich die Augen trocken. Sie versuchte auch die Leichen ihres Vaters und ihres Mannes ausfindig zu machen, doch alles was sie fand, waren lediglich einzelne Kleidungsfetzen. Sie mussten wohl vom Feuer verbrannt worden sein.
Nicht unweit, von dem zerstörten Häuschen entfernt, befand sich ein alter Schuppen, indem ihre Familie Werkzeug und Waffen verbarrikadiert hatte. Auch dieser war zerstört worden, doch die Besitztümer ihrer Sippe waren unbeschädigt. Sie holte einen verbogenen, doch einsatzfähigen Spaten hervor.
Mit ihren zierlichen Händen brachte sie ihn an eine abgelegene Stelle, nahe dem Dorf.
Früher war sie oft mit ihrer Mutter hier gewesen. An diesem Platze hatte sie sich immer geborgen gefühlt und nun hoffte sie, dass auch ihre Mutter hier die letzte Ruhe finden würde.
Magdalena platzierte den Spaten an einer geeigneten Stelle und stieß ihn tief in die Erde. Sie war immer schon ein sehr schmächtiges Mädchen gewesen, doch in ihr lungerte eine ungeahnte Kraft. Immer und immer wieder stieß sie den Spaten in den Boden und hob die Erde heraus. Ihre Trauer und Wut ließ sie nicht aufgeben, bis sie mit der Größe und Tiefe des Loches zufrieden war.

Mittlerweile war die Nacht hereingebrochen und umgab sie, wie ein dunkler Schleier. Dennoch rastete sie nicht. Sie eilte zurück ins Dorf, um den Leichnam ihrer Mutter zu holen. Dies war jedoch ein schwieriges Unterfangen. Ihre Mutter hatte nie viel gewogen, dennoch musste Magdalena immer wieder pausieren, um den toten Leib unbeschadet zur Begräbnisstätte zu bringen.
Sie trug ihre Mutter auf dem Rücken und dachte daran, wie oft dies umgekehrt geschehen war. Als Magdalena noch ein kleines Kind gewesen war, hatte ihre Mutter sie immer diesen Hügel hinaufgetragen. Währendessen hatte Magdalena immer laut gelacht und ihre Kindheit sorgenlos genossen.
Doch der Leichnam war nicht das einzige, was sie bei sich trug. Für eine anständige Beerdigung brauchte sie Kerzen, Weihwasser und eine Bibel, welche sie von der Kirche im Dorf geborgt hatte.
Nach etlichen Minuten hatte sie es endlich geschafft. Bevor sie ihre Mutter in das Grab legte, gab sie ihr einen sanften Kuss auf die Stirn. Es schien, als würde ihr Mütterlein schlafen, umso mehr wünschte sie es, dass es so wäre.

Nachdem Magdalena sie hineingelegt hatte, legte sie Blumen über den Körper ihrer Mutter und mit zitternden Händen griff sie sich den Spaten und füllte das Grab mit Erde.
Ein heftiges Beben ergriff ihren ganzen Körper und sie musste kurz verweilen, um weitermachen zu können. Sehr viel Mut wurde von ihr abverlangt, dennoch schaffte sie es, die Begräbnisstätte fertig zu stellen.
In der Mitte des Grabes stellte sie die Kerze auf und zündete sie mit Streichhölzern an. Danach nahm sie das mitgebrachte Weihwasser zur Hand und segnete es. Als sie die Bibel nahm, wusste sie instinktiv, welche Seite sie aufschlagen musste. Ihre Mutter liebte eine Stelle in der Heiligen Schrift, welche Magdalena nun mit tränenerstickter Stimme vorlas.

Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönend Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich weissagen könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, also dass ich Berge versetzte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts. <<

Als Magdalena die Bibelstelle fertig zitiert hatte, legte sie die Bibel auf das Grab und folgend betete sie laut in ihren eigenen Wörtern für ihre geliebte Verstorbene.

Herr, mein Gott, empfange meine geliebte Mutter.
In den Augen dieser Welt ist sie tot.
Lass sie leben bei dir.
Und was sie aus menschlicher Schwäche gefehlt hat, das tilge du in deinem Erbarmen.
Durch Christus, unsern Herr.
Amen.<<

Magdalena bekreuzigte sich und ging in den anliegenden Wald. Der Mond beleuchtete ihren Weg, dennoch tat sie sich schwer, geeignete Holzstäbe zu finden.
Nach etlichen Minuten hatte fand sie unter einer Eiche zwei gleichdicke Äste und band sie kreuzartig zusammen. Das Holzgestell platzierte sie am oberen Rand des Grabes.
Eine Weile stand Magdalena unentschlossen vor der Begräbnisstätte. Sie wusste nicht, wohin sie gehen sollte, doch eines wusste sie genau, Gott hielt seine schützende Hand über sie.
Nachdem Magdalena das kleine Dorf durchquert hatte, wagte sie nicht zurückzublicken. Viel zu viel war passiert. Ihre Heimat Varilia existierte nicht mehr. Schon bald würde es aus den Gedächtnissen der Menschen verschwunden sein.

Sie beschritt einen Weg, von dem sie nicht mal wusste, wohin er sie führen würde. Noch nie hatte sie Varilia verlassen. Aus Erzählungen, wusste sie, dass sich ein Tagesmarsch entfernt die Stadt Parna befand.

Parna, das war also ihr Ziel. Sie hoffte nur, dass sie heil dort hin gelangen würde. Unerwartet kam ihr ein Ereignis aus Kindertagen in den Sinn. Ein alter, verwirrter Mann kam eines Tages in das Dorf und sprach von einer grausamen Gruppe von menschenähnlichen Wesen. Er nannte sie Kabalah. Doch Magdalena wusste, dass die Leute sich nichts aus dem Geschwafel machten und sie tat es ebenso wenig.
Es verwunderte sie, dass sie diese Geschichte noch so gut im Gedächtnis behalten hatte, doch höchstwahrscheinlich lag es daran, dass sie an jenem Tag herausgefunden hatte, was für eine Macht in ihr steckte.
Magdalena war schon als kleines Mädchen anders als alle anderen gewesen, doch als sie ein totes Lamm wieder zum Leben erweckt hatte, nannte man sie eine Hexe und wollte sie aus ihrer Heimat vertreiben. Ihre Eltern hatten die Situation damals entschärfen können. Seitdem durfte Magdalena ihre Heilkräfte nie wieder benutzen, doch heimlich tat sie es trotzdem. Sehr oft hatte sie ihre Mutter gefragt, was mit ihr nicht stimmte, doch Antwort bekam sie immer dieselbe.
>>Du bist etwas ganz Besonderes, mein Liebling<<, schallte die Stimme ihrer Mutter durch ihren Kopf.
Als sie der Gedanke an die Mutter heimsuchte, begann Magdalena zu schluchzen. Der Schmerz und die Trauer über den großen Verlust, denn sie erleiden musste, war einfach zu tief. Natürlich vermisste sie ihren Vater und ihren Ehemann auch, doch die Verbindung zu der Mutter war die tiefste von allen gewesen. Ihr Vater war Bauer gewesen und hatte nur wenig Zeit für Magdalena gehabt, da es sehr viel Arbeit zu Hofe gab. Ihren Ehemann hatte sie vor der Hochzeit noch nicht gekannt, doch sie heiratete ihn, da er ein angesehener Mann war. Geliebt hatte sie ihn nie, jedoch musste sie ihr Bett mit ihm teilen, was ihr oftmals ziemlich schwer gefallen war. Das einzig Positive bestand darin, dass keine Kinder aus der Verbindung zustande gekommen waren.

Nach stundenlangem Gehen, schmerzten ihre Füße und sie setzte sich auf einen Baumstamm, welcher am Wegesrand auf sie zu warten schien.
Langsam zog sie sich ihre Bundschuhe aus und betrachte sorgvoll ihre, mit Blasen übersäten, Fußsohlen. Langsam strich sie mit dem Finger darüber und zuckte leicht zusammen, als ihr der Schmerz durch die Glieder fuhr.
Sie sah auf die Straße und den umgebenen Wald, konnte jedoch kein geeignetes Plätzchen für ihr Vorhaben finden, also blieb sie eine zeitlang sitzen.
Erschrocken fuhr sie zusammen, als sie etwas hinter sich rascheln hörte.

Ihr erster Gedanke war Kabalah, doch als sie das Reh erblickte, musste sie über ihre eigene Abergläubigkeit laut lachen.
Den Kopf schüttelnd zog sie ihre Schuhe wieder an und machte sie sich auf den Weg, um endlich eine passende Schlafstelle zu finden.
Magdalena beschloss in den Wald zu gehen, da ein Schlafplatz in Straßennähe ihr zu gefährlich erschien. Nachdem sie eine halben Stunde lang im Forst herumgewandert war, fand sie endlich eine kleine Höhle, der ihr als Unterschlupf zu dienen vermochte. Sie bereite ein Bett aus Laub vor. Als sie sich darauf legte, wurde ihr der große Unterschied zwischen diesem und ihrem Bette, welches sie zu Hause gehabt hatte, bewusst. Dennoch beklagte sie sich nicht und schlief letztendlich übermüdet, durch die Anstrengungen des Tages, ein.
Als die ersten Vögel zwitschernd den Morgen begrüßten, wachte Magdalena auf. Ihr ganzer Körper schmerzte. Ob es von den Strapazen des vergangenen Tages oder der unruhigen Nacht kam, vermocht sie nicht zu sagen.
Magdalena wusste, dass sie am heutigen Tag in Parna ankommen musste, da sie nichts zu Essen dabei hatte. Von den Beerensträuchern hielt sie sich zurück, da sie gelernt hatte, nichts zu essen, was sie nicht kannte.
Der Tag verging äußerst zaghaft. Keine Menschenseele begegnete ihr auf dem Weg. Sie war verzweifelt und enttäuscht, da sie Parna schon längst erreicht haben müsste. Doch je später es wurde, desto schneller sank ihre Hoffnung. Als die Nacht hereinbrach, sackte sie zusammen und weinte bitterlich. Sie war sich sicher gewesen Parna rechtzeitig zu finden. Doch das hatte sie nicht, zudem raubte ihr der unerträgliche Hunger fast den Verstand. Gegessen hatte sie den ganzen Tag noch nichts. Sie nahm einen Grashalm zur Hand und knabberte verzweifelt auf ihm herum, da er Magdalena aber nicht sättigen konnte, schmiss sie in weg und ihr Blick richtete sich auf einen Strauch, der verführerische, rote Beeren trug. Auf allen vieren schleifte sie sich auf ihn zu und nahm eine Beere zwischen ihre Finger. Magdalena betrachtete sie eingehend. Sie vermochte jedoch nicht zu sagen, ob sie zu essen war oder nicht. Als sie leicht über die Beere leckte, übernahm ihr Hunger die Oberhand. Immer mehr Beeren pflückte sie vom Strauch und stopfte sie in ihrem Mund, bis ihr schlecht wurde.
Das Hungergefühl wurde nun von einem Übelkeitsgefühl überlappt. Sie hielt sich die Hand vor dem Mund, musste jedoch unwillkürlich würgen und erbrach einen Teil ihres Mageninhaltes. Sie spuckte, um den widerlichen Geschmack von Magensäure aus ihrem Mund zu bekommen. Ihr Magen krampfte sich erneut zusammen und Magdalena begann heftig zu schwitzen.
>>Was habe ich bloß getan?

<< , schoss es ihr durch den Kopf.
Plötzlich begann ihre Sicht zu verschwimmen. Sie konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten und stürzte zu Boden. Die Augen halb geöffnet blickte sie zum Strauch, als plötzlich zwei Beine ihr die Sicht versperrten. Als sie aufblicken wollte, wurde ihr jedoch schwarz vor Augen und alles um sie herum wurde still.

Kapitel 2



Einschlafen konnte Magdalena jedoch nicht. Ihr Blick war starr auf die Decke gerichtet. In ihren Gedanken ließ sie das Geschehene Revue passieren.
An jenem Tag, als Magdalena in ihrem weichen, abgenutzten Bett erwachte, fielen die ersten Sonnenstrahlen des Morgens auf ihr hübsches, sorgenloses Gesicht. Sie streckte sich ausgiebig, um ihre Glieder auf den erneuten Tag vorzubereiten. Ihren Ehemann, der neben ihr gebettet war, ließ sie jedoch schlafen. Ihr Blick viel auf ihn und ein gewisser Ekel fuhr ihr durch die Glieder. Seine fettigen Haare lagen wild zerzaust auf dem Polster und da sein nackter Hinter unbedeckt war, zog sie ihm seine Bettdecke bis zu den Schultern hoch.
In der vergangenen Nacht, hatte sie sich wirklich bemüht, eine gewisse Lust für ihn zu entwickeln, jedoch blieb es nur bei einem Versuch. Sie überkam immer eine ungeahnte Erleichterung, wenn der Schlafakt vollzogen war. Aus den Geschichten ihrer Freundinnen hörte sie immer, wie lustvoll eine Frau auf Berührungen eines Mannes reagieren konnte. Magdalena konnte sich das nicht wirklich vorstellen und tat dies mit Unglauben ab.
Als sie sich lautlos aus dem Bett bewegte, warf sie einen letzten Blick auf ihren schlafenden Mann und schlich in das untere Geschoss. Ihre Mutter und ihr Vater saßen bereits am Frühstückstisch und sprachen über die bevorstehende Arbeit. Da sie Besitzer eines Hofes waren, gab es immer viel zu tun.
Magdalena nahm gegenüber ihrer Mutter platz und füllte sich eine Schüssel mit Grießbrei und dazu trank sie ein Glas Milch. Vorwiegend gab es jeden Morgen das gleiche Frühstück und manchmal hatte Magdalena das Gefühl, sich übergeben zu müssen. Jedoch aß sie immer auf, da sie Kraft für die Arbeit benötigte. Jedoch störte Magdalena diese Tatsache nicht sonderlich, da sie ihr Leben am Hof liebte und bereit war, dafür auch etwas zu leisten. Ihr Ehegatte sah dies jedoch anders. Er war ein angesehener Edelmann und als solcher verbrachte man sein Leben nicht am Hofe. Bei der Hochzeit hatte Magdalena jedoch die Bedingung gestellt, ein Jahr lang in ihrem Elternhaus wohnen bleiben zu dürfen und dort zu arbeiten. Widerwillig hatte ihr Gatte eingewilligt, da er Magdalena unbedingt heiraten wollte. Er wusste, dass es viele Männer gab, die eine Verbindung mit der Schönen eingehen wollten. Geliebt hatte er sie jedoch nie und dies beruhte auf Gegenseitigkeit. Magdalena fühlte sich wie ein Objekt, mit dem man seinen Status repräsentiert.
»Was war das? «, fragte die Mutter plötzlich und Magdalena wurde in die Gegenwart zurückgeholt.
»Was? «, kam es vom Vater, als von oben ein ungewöhnliches Gerumpel ertönte. Magdalena wusste, dass ihr Mann erwacht war. Schnell zog sie sich ihr Arbeitsgewand an und verschwand in den Stall. Magdalena graute es davor, ihm zu begegnen. Es fühlte sich an, als wäre er ein lästiges Anhängselchen, das nicht verschwinden wollte.
Das wütende Schnauben einer Kuh riss sie aus den Gedanken und Magdalena begann mit der Arbeit.
Nach getaner Arbeit machte sich Magdalena auf den Weg zum kleinen Markt, am Rande des Dorfes. Es war ihre Aufgabe frisches Obst und Gemüse zukaufen. Sie kam an dem kleinen Stand vorbei, bei welchem sie jede Woche etwas kaufte.
»Grüßet Euch, Magdalena«, grüßte die alte, bucklige Bäuerin, die hinter ihrem Stand saß. Wie jedes Mal grüßte Magdalena freundlich zurück und kaufte Äpfel, Kirschen und Salat.
»Wir haben heute Kohl im Angebot. Darf ich Euch diesen mitgeben? «
Magdalena hatte schon immer Mitleid mit der Alten gehabt und nickte. Es konnte nicht schaden, etwas mehr mitzubringen.
»Gehabt Euch wohl«, verabschiedete sich Magdalena und die Alte nickte dankbar. Da sie sich beim Einkauf beeilt hatte, hatte sie ein wenig Zeit um die restlichen Angebote am Markt zu studieren.
Plötzlich hörte sie ein lautes Gelächter in dem gegenüberliegenden Haus. Magdalena dachte sich nichts weiter dabei und nahm ein kleines, fein geflochtenes Armband in die Hand. Es war wirklich wunderschön und sie wünschte sich, es leisten zu können. Das Gelächter im Haus wurde zunehmend Lauter und auch eine männliche Stimme wurde hörbar. Magdalena zuckte zusammen und sah erneut zu dem kleinen Häuschen hinüber. Das Fenster war zum Lüften weit geöffnet worden und man konnte sehr gut hören, was dort drinnen gerade vor sich ging.
Langsam schritt Magdalena mit eisiger Miene auf das Haus zu. Ihre Hand krallte sich fest an ihren Korb. Sie wagte es nicht, in das offene Fenster zu blicken. Vor der Eingangstüre blieb sie stehen und horchte, um erneut den Geräuschen zu lauschen. Doch es blieb still und Magdalena legte vorsichtig ihre Hand auf den Türgriff. Mit leichtem Druck, öffnete sie die Türe und trat ein. Das Häuschen war hell und freundlich gestaltet und die Möbel bestanden aus hellem Eichenholz.
Magdalena schlich sich lautlos an das Zimmer heran, aus welchem leise Gekicher kam. Die Türe war weit geöffnet und es schien, als hätte man keine Zeit mehr gehabt, um diese zu schließen.
Als Magdalena im Türrahmen stand und auf die sich, im Einklang bewegenden, nackten Körper blickte, fühlte sie einen Ekel in sich aufsteigen.
Während des Aktes, stöhnte die Frau laut auf und krallte ihre Fingernägel in den Rücken des Mannes.
Es dauerte nur wenige Minuten, bis der Mann sich erschöpft neben der Frau niederließ. Nachdem sie ein zufriedenes Grunzen von sich gegeben hatte, blickte sie auf und starrte in das verzweifelte Gesicht Magdalenas.
Mit einem lauten Schrei packte sie das Bettlacken und schlang es um ihren Körper. Der Mann sprang aus dem Bett und stürmte auf Magdalena zu.
Mit einem traurigen Blick sah sie in die weit aufgerissenen Augen jenes Mannes, mit dem sie ihr Bett teilte.
Er packte sie fest an den Schultern.
»Magdalena, was macht Ihr den hier? «, fragte er erstaunt.
Die Frau im Bett hatte aufgehört zu schreien, da sie inzwischen gemerkt haben musste, dass ihr Geliebter Magdalena wohl kannte.
»Ich habe mit Euch mein Bett geteilt. Wie könnt Ihr es wagen, meine Ehre so zu beschmutzen? «
Als er etwas sagen wollte, hob Magdalena die Hand, um ihn zum Schweigen zu bewegen.
»Ich werde Eure Tat nicht offenkundig machen, doch Ihr werdet mit mir nicht mehr das Bett teilen. «
»Ihr seid mein Weib«, brachte er aufgebracht hervor, doch als er ihrem eisernen Blick begegnete, nickte er stumm.
Magdalena drehte sich elegant um und verließ erhobenen Hauptes das Haus. Hinter sich hörte sie das wilde Geschrei der Frau und die flüchtigen Ausreden ihres Ehemannes.
Obwohl Magdalena ihn nicht liebte, fühlte sie sich in ihrer Ehre sehr gekränkt. Langsam stiegen ihr die Tränen in die Augen. Sie lief zu ihrem Haus, stellte den Korb mit dem Einkaufen davor ab und eilte auf den kleinen Wiesenhügel, welcher sich ein wenig außerhalb der Stadt befand.
Dort war ein kleines Versteck, indem sie sich immer aufhielt, wenn es ihr nicht gut ginge oder sie nachdenken musste. Auch dieses Mal suchte sie das Versteck auf. Sie konnte ja nicht ahnen, dass der Ehebruch ihres Mannes ihr das Leben retten würde.
Als Magdalena die Schreie der Dorfbewohner wahrnahm, wurde sie aus den Gedanken, bezüglich ihres zukünftigen Lebens, gerissen.
Langsam kroch sie aus ihrem Versteck und blickte auf das Dorf hinab, das vom Rauch des Feuers halb bedeckt wurde.
Die Dorfbewohner, Magdalena kannte sie alle, liefen erschrocken umher. Die Mütter versuchten ihre Kinder zu beschützen, die Väter kämpften mit Waffen und manche liefen auch, ohne auf andere zu achten, aus dem Dorf, um im angrenzenden Wald Zuflucht zu finden. Doch keiner konnten den grausamen Schwertern der Männer standhalten.
Jene die versuchten in den Wald zu fliehen, ritten die Krieger hinterher und enthaupteten sie. Die Häupter wurde auf das Schwert gespießt und als Warnung für weitere Fluchtversuche über die Köpfen der aufgeschreckten Menge geschleudert.
Frauen, Männer und sogar Kinder wurden brutal getötet.
Sie konnte ihren Blick nicht mehr länger auf dieses grausame Spektakel richten. In ihrem Augenwinkel nahm sie eine kleine, blaue Fahne war, doch sie beachtete dies gar nicht weiter, da Magdalena von der Angst wie gelähmt war.
Obwohl sie ihrer Familie zu Hilfe eilen wollte, wusste sie, dass sie es nicht schaffen würde.
Sie wagte es nicht, ihr Versteck zu verlassen und betete für ihre Familie und für sich selbst. Nur die Hoffnung ließ sie nicht den Verstand verlieren.
Als der Angriff schon längst vorbei war, wagte Magdalena es nicht, ihr Versteck zu verlassen.
Erst, als die Dämmerung hereinbrach, verließ sie ihren Schlupfwinkel und machte sich langsamen Schrittes auf den Weg in das Dorf. Der Wind blies ihr leicht ins Haar.
Sie wusste nicht, wem diese Krieger angehört hatte, jedoch nahm sie sich fest vor, ihr Dorf zu rächen und den Grund dieser abscheulichen Tat herauszufinden.


Kapitel 3



Seit dem Angriff auf Varilia hatte sich Magdalenas Leben radikal verändert. Nun lag sie hier, in einem fremden Bett, in einem fremden Zimmer. Samuel kam ab und zu, um sich über ihren Zustand zu erkundigen. Schlafen konnte sie jedoch noch immer nicht, da ihr zu viele Gedanken durch den Kopf gingen.
»Bedrückt Euch etwas? «
Sie erschrak, da sie nicht bemerkt hatte, wie Samuel das Zimmer betrat.
»Nein, alles in Ordnung. «, sagte Magdalena schnell und lächelte ihn freundlich an.
Noch immer hatte sie sich nicht für die unhöflichen Worte vorhin entschuldigt. Da sie generell nicht der Typ für Entschuldigungen war, brachte sie die folgenden Worte nur schwer über ihre Lippen.
»Es tut mir leid, wie ich Euch vorhin angeredet habe. Meine Absichten sind gut und ich möchte mich bei Euch für Eure Gastfreundlichkeit bedanken. «
Er nickte ihr zu, um ihre Entschuldigung anzunehmen.
»Für Euch«
Samuel hielt ihr einen kleinen Becher hin, denn sie an sich nahm. Fragend blickte sie ihn an.
»Dies ist eine Kräutersuppe, die Euch wieder schnell auf die Beine bringen soll. Meine Mutter hat sie Euch gebraut. «
Dankbar trank Magdalena die Suppe aus, obwohl ihr der Geschmack nicht sonderlich mundete.
»Darf ich fragen, wie Ihr mich gerettet habt? «, fragte Magdalena neugierig.
»Ich habe Euch auf den Boden liegend gefunden und zu meiner Mutter gebracht. Sie ist Heilerin und weiß, wie sie bei Vergiftungen vorgehen soll. Da ich einen Strauch mit Actaea rubra, besser bekannt unter den Namen Christophskraut in der Nähe wachsen sah und Eurer Mund von einer roten Substanz befleckt war, zog ich meine Schlüsse daraus. «
»Das war sehr weise von Euch. «
Er nickte ihr zu und nahm ihr den Becher ab, denn sie noch immer in der Hand hielt.
»Wollt Ihr noch mehr von der Kräutersuppe? «
»Nein, vielen Dank, aber richtet Eurer Mutter bitte meine Dankbarkeit aus. «
» Das wird sie sehr freuen. «
Magdalena lächelte ihn freundlich an. Kurz stand Samuel auf, um den Becher auf den Tisch zu stellen.
»Lasst mich bitte fühlen. «, sagte Samuel und legte vorsichtig seine Hand auf ihre Stirn, um ihre Temperatur zu fühlen.
Obwohl Magdalena kein Fieber mehr hatte, wurde ihr durch die sanfte Berührung sehr warm. Schnell sah sie weg, damit er nicht sehen konnte, wie rot sie geworden war.
»Wahrlich, Ihr habt kein Fieber mehr. Das ist ein gutes Zeichen. «
Magdalena hatte gar nicht mitbekommen, dass sie Fieber gehabt hatte. Als er seine Hand von ihrer Stirn nahm, ließ ihre innere Wärme etwas nach. Er zog sich einen Stuhl zum Bett heran und saß neben ihr nieder.
»Warum aßt Ihr diese giftigen Beeren, wenn ich Euch fragen darf? «, fragte Samuel und hörte ihr Aufmerksam zu. Es schien, als würde ihm ihr Schicksal wahrlich am Herzen liegen.
»Mein großer Hunger hatte mich zu dieser Tat verleidet. «
»Aber wie kamt Ihr in solch eine verzwickte Situation? «, forschte Samuel etwas aufgebracht nach.
»Mein Dorf wurde von blutdürstenden Kämpfern zerstört. Ich habe überlebt und wollte mich auf den Weg nach Parna machen, doch ich kam nie an und mein Hunger wurde immer stärker. «
»Parna habt Ihr erreicht, doch in etwas anderen Umständen. «
»Wie meint Ihr das? «, erkundigte sich Magdalena verwundert.
»Ihr seid leicht vom Weg abgekommen und deshalb saht Ihr die Stadt noch nicht, dennoch war sie ganz nah. Ich habe euch hier her gebracht, in meine Heimatstadt
Parna. «
Magdalena musste erstmal schlucken. Tatsächlich hatte sie es bis nach Parna geschafft. Sie war glücklich und ihre Mundwinkel verzogen sich zu einem leichten Lächeln.
Samuel bemerkte ihr sanftes Lächeln, doch seine Miene blieb ernst.
»Wisst ihr, welche Kämpfer Eure Stadt vernichtet haben? «
»Nein, leider nicht. Es ging alles wahnsinnig schnell. «
Samuel nickte und gab ihr zu verstehen, dass ihm klar war, welchen schweren Schicksalsschlag sie erleiden musste.
»Was werdet Ihr nun tun? «, fragte Samuel, doch Magdalena konnte ihm darauf keine richtige Antwort geben. Sie wusste es selbst nicht genau. Alles was sie wusste, war, dass sie ihr Dorf rächen wollte. Doch wo sollte sie anfangen? Sie wusste nicht, wer ihr Dorf zerstört hatte, geschweige denn, wo sie jetzt hingehen sollte.
»Ihr könnt gerne solange hier bleiben, wie Ihr möchtet. «, sagte Samuel, als könnte er erahnen, welche Gedanken sie quälten.
»Ich könnte es nicht ertragen zu wissen, dass ich Euch und eurer Mutter zur Last falle. «, sagte Magdalena bestimmt und Samuel erkannte in ihrem herrischen Ton, dass sie es auch so meinte.
»Nun, ich hoffe, ihr werdet Euren Weg finden. «, bemerkte er und wusste nicht, wie sehr sich Magdalena dies wünschte.
»Soll ich Euch nun alleine lassen? «, fragte Samuel und erhob sich.
Schnell verneinte Magdalena und stand ebenfalls auf. Sie hatte noch immer die verschmutzten Kleider an, mit denen sie gekommen war.
»Ich habe es nicht gewagt Euch auszuziehen, aber ich habe neue Sachen für Euch
bereit gestellt. «
Magdalena nickte dankbar und Samuel führte sie in den Waschraum. Als sie in den Raum tat, umfing sie ein süßlicher, aromatischer Duft nach Rosenblättern. Der Baderaum war hell und freundlich. Ziemlich mittig stand eine kleine, ovale Wanne. Diese war mit warmen Wasser befüllt. Zusätzlich waren viele Rosenblätter darüber gestreut worden.
»Ich dachte, ich könnte Euch damit eine kleine Freude bereiten. «, sagte Samuel und als Magdalena ihn lächelnd anblickte, hätte sie meinen können, er würde rot werden.
Sie bedankte sich höflichst und Samuel brachte ihr ein modernes, sehr schönes Kleid. Er verließ den Raum und Magdalena blieb mit dem Kleid alleine. Einen guten Geschmack musste sie Samuel zugestehen. Sie zog ihre alten, verdreckten Kleider aus und schmiss sie beiseite. Danach stieg sie in das warme Bad. Das Wasser schmiegte sich angenehm an ihren Körper und sie stöhnte leicht auf. In den letzten Tagen, hatte sie sich nicht mehr so leicht gefühlt. Sie nahm ein Rosenblütenblatt zwischen ihre Finger und roch daran. Der Duft strömte durch ihre Nase. Magdalena hatte zwar noch nicht sonderlich viel von diesem Haus gesehen, doch die Vermutung, dass Samuel nicht arm war, verstärkte sich. Wie sonst konnte sie sich erklären, woher er das Geld für das wundervolle Kleid und die Rosenblätter nahm? Er musste von einem edlen Geschlecht abstammen. Sie beschloss ihn später danach zu fragen.
Unbemerkt verstrich die Zeit, als sich Samuel besorgt nach ihrem Wohlergehen erkundigte. Magdalena hatte gar nicht bemerkt, wie lange sie doch in der Wanne gelegen hatte. Ihre Fingerkuppen wurden schon runzelig und sie stieg heraus. Nachdem sie sich abgetrocknet hatte, band sie ihr nasses Haar zu einem Zopf. Sie liebte es, wenn das Haar trocken wurde und, nachdem man den Zopf gelöst hatte, sich die Haare wellig um ihr Gesicht schmiegten. Sie nahm ihr Kleid zur Hand und betrachtet es noch einmal eingehend. Der Rock war vom Leibchen getrennt und fiel in dichten Röhrenfalten. Das enge Oberteil wies einen breiten, viereckigen Ausschnitt auf. Der stoffreiche Kleiderrock war plissiert, zumindest konnte sie eine faltige Schürze um ihre Hüften binden.
Als sie vollständig angezogen war und öffnete sie die Tür. Halb hat sie erwartet, dass Samuel davor warten würde, doch das tat er nicht.
»Samuel? «, fragte sie laut.
Da sie keine Antwort bekam, ging sie zurück in das Zimmer, in welchem sie erwacht war. Sie ging zum Fenster und blickte hinaus. Tatsächlich befand sie sich mitten in einer Stadt. Laut Samuel war es Parna. Die Sonnenstrahlen fielen warm auf ihr feuchtes Haar. Sie nahm einen Stuhl und setzte sich vor das Fenster, da ihre Haare dadurch schneller trockneten. Noch immer wunderte es sie, dass Samuel nicht gekommen war. Doch noch mehr verwundert war sie über die Tatsache, dass es ihr etwas ausmachte, dass er nicht da war.
Schnell trocknete ihre Haarpracht und sie öffnete den Zopf. Ihr Haar fiel wellig herab, so wie sie es gewollt hatte. Langsam stand sie auf und öffnete die Zimmertür. Noch immer war es still. Sie schlich sich wieder in den Waschraum und holte einen Kamm. Damit strich sie durch ihr feines, langes, welliges Haar. Magdalena hatte immer das geschmeidigste Haar von allen Bauerntöchtern gehabt. Ihre Mähne kämmend ging sie zurück in das Zimmer und wartete vor dem Fenster.
Es verging einige Zeit bis die Tür hinter ihr geöffnet wurde. Sie legte den Kamm weg und drehte sich langsam um.
Mit halb geöffnetem Mund stand Samuel vor ihr.
»Wo wart Ihr? Ich habe auf Euch gewartet. «, sagte Magdalena, da Samuel nicht den Anschein machte, irgendetwas zu sagen.
Kurz räusperte er sich, bevor er antwortete.
»Es tut mir leid, dass Ihr warten musstet. Ich hatte noch ein paar Einkäufe zu erledigen. «
Magdalena nickte und musterte ihn zum ersten Male ganz genau.
Er trug einen dunklen Männerwams, der bis zu den Knien reichte. Ergänzend trug er eine mantelähnliche, ärmellose Schaube mit sehr breitem Schulterkragen. Sein Bart war eckig gestutzt.
»Habt Ihr Appetit? «, fragte Samuel plötzlich und da merkte Magdalena, dass sie wirklich schon seit Längerem Hunger hatte. Sie willigte ein und folgte ihm in die Küche.
Die Küche war sehr klein und, genau wie der Rest des Hauses, hell und einladend.
Magdalena platzierte sich auf einen Stuhl, welchen Samuel ihr hinhielt.
»Kocht Eure Mutter nicht? «, fragte sie verwundert, als sie bemerkte, dass Samuel vor dem Herd stand und ein Mahl zubereitete.
»Nein, sie ist zu Verwandten gegangen. «, sagte er und Magdalena bemerkte eine leichte Spur von Trauer in seiner Stimme.
Samuel kam auf mich zu und stellte ein Glas Wasser vor mich, welches ich sofort in einem Zug lehrte. Er füllte es erneut und brachte mir es, gemeinsam mit einer Bohnensuppe. Dazu bekam Magdalena ein Leib Brot und sie lies es sich schmecken. Dennoch bemerkte sie den Blick, welcher auf ihr gerichtet zu sein schien.
»Morgen werde ich abreißen. «, verkündete Magdalena und Samuel wirkte etwas überrumpelt.
»Morgen schon? «
Magdalena nickte, löffelte die Suppe leer und bedankte sich für das köstliche Mahl.
»Darf ich Euch heute wenigstens noch die Stadt zeigen? «, erkundigte er sich und in seiner Stimme schwang eine Spur von Hoffnung mit. Als Magdalena erneut nickte, konnte sie eine Welle von Vorfreude spüren.
Als Samuel sein Barett aufsetzte, welches mit Federn verziert war und somit beide ausgehfertig waren, traten sie vor die Haustür mitten in die Stadt Parna.
Die ganze Stadt war belebt und der wundervoll melodische Klang der Minnesänger umspielte ihre Ohren. Viele verschiedene Gerüche strömten auf sie ein. Manche kannte sie aus dem Dorf und widerrum andere waren ihr vollkommen fremd.
Wohlhabenden Edelleute, Bauern sowie Bürger, eilten über die Straßen Parna´s. Fasziniert blickte sie ihnen nach. Die Leute hier waren alle etwas hektischer, als jene in Varilia. So viele Menschen auf einmal hatte sie noch nie in ihrem Leben gesehen.
Die Häuser waren hoch gebaut, jedoch schienen sie allesamt sehr stabil zu sein.
»Gehen wir? «, frage Samuel, da ihm Magdalenas Zögern nicht entgangen war. Sie nickte jedoch und die beiden reihten sich in der Menschenmenge ein. Das schnelle und hetzende Gehen war Magdalena zuwider, dennoch passte sie ihre Schritte denen der anderen an, da sie Samuel nicht aus den Augen verlieren wollte.
Als sie an dem Marktplatz vorbei kamen, weiteten sich Magdalena´s Augen. Hier tummelten sich noch mehr Menschen, als auf den Straßen und in den Gassen. Ihr kam es so vor, als würde der Umfang des Marktplatzes dem des Dorfes gleichzustellen sein.
Magdalena kam vom Staunen nicht mehr heraus und bemerkte gar nicht, dass sie stehen geblieben war. Menschen jedes Alters und Ranges rannten sie beinahe um. Endlich erwachte Magdalena aus ihrem tranceartigen Zustand und hörte nun auch die Flüche und Beschimpfungen der Menschen, da sie ihnen mitten im Weg stand.
Langsam setzte sie sich in Bewegung, doch als sie umblickte, konnte sie Samuel nirgends ausfindig machen. Sie schrie seinen Namen, doch durch das Laute Singsang der Minnemänner und Geschnatter der Mägde, verlor sich ihre Stimme im Nirgendwo.
Eine leichte Panik überfiel sie. Was würde geschehen, wenn sie ihn nicht mehr finden würde? Sie fühlte sich, als wäre sie in den grauenhaften Schlund eines Drachen gefangen. Zur Sonne sehend, fing Magdalena an zu beten. Sie bat Gott, ihr den richtigen Weg aus dieser Hölle zu zeigen.
»Was macht Ihr da? «, fragte eine unbekannte Stimme hinter ihr. Sie drehte sich um und blickte in ein faltiges Gesicht. Schwere Augenringe befanden sich unter den Augen des Mannes. Nach seiner Kleidung zu urteilen, war er jemand aus dem bürgerlichen Stand. Der Mann packte Magdalena am Arm und zog sie leichthändig in eine kleine Gasse.
»Wollt Ihr überrannt werden? «, erkundigte er sich aufgebracht.
Vor Schreck konnte Magdalena nichts entgegen bringen. Erst jetzt bemerkte sie den musternden Blick des Fremden.
»Seid Ihr von hier? «, flüsterte er ihr zu und eine leichte Alkoholfahne umfing ihre Nase. Sie verzog ihr Gesicht, als sie den Gestank bemerkte.
»Nein, ich komme aus Varilia. «, gab sie ihm im ebenfalls leisen Ton bekannt.
»Aus Varilia? Das ist unmöglich. Es wurde vor ein paar Tagen komplett zerstört. Alle Dorfbewohner wurden dabei getötet. «, sagte er und lachte, als hätte sie einen Witz gemacht. Ärgerlich verzog Magdalena ihr Gesicht. Kurz blickte sie zur Menschenmenge zurück, in der Hoffnung Samuel zu erblicken.
»Seht mich an, wenn ich mit Euch rede. «, sagte der Mann aufgebracht.
Da Magdalena Samuel nicht entdecken konnte, wandte sie ihren Kopf wieder dem alkoholisierten Fremden zu.
»Ihr müsst mir nicht glauben, jedoch sprach ich die Wahrheit. «, flüsterte sie ihm zornig zu. Ihr scharfer und gehässiger Blick ließ ihn zurückweichen. Oder lag die Ursache dafür in etwas anderem?
»Dann verdienst auch du den Tod, Hexe. «, schrie er und zog ein Messer aus seiner Brusttasche. Erschrocken wich Magdalena zurück und hob abwehrend die Hände.
»Was hat das zu bedeuten? «, fragte sie laut, in der Hoffnung jemand würde auf sie aufmerksam werden. Doch dieser Wunsch blieb unerfüllt. Keiner blickte auch nur in ihre Richtung. Es war, als wäre sie überhaupt nicht hier, als wäre sie unsichtbar. Jeder kümmerte sich um seine eigenen Sachen.
»Das weißt du doch genau. Du verdienst den Tod, genau wie die anderen Hexen? «, schrie er und raste auf Magdalena zu.
Als sie flink der Attacke auswich, wirbelte ein Wort in ihren Kopf herum. Hexe. Warum nannte er sie so? Viele Fragen bildeten sich in ihren Gedanken, doch damit konnte sie sich jetzt nicht beschäftigen.
Da der Mann sie mit seinem Messer verfehlt hatte, wurde er noch rasender. Er drehte sich um und stürzte erneut auf Magdalena zu. Als sie sich nach links drehen wollte, um zu flüchten, rannte sie jedoch in Jemanden und wurde auf ihren vorherigen Standpunkt zurückgeschleudert. Der Betrunkene erkannte seine Chance und stieß das Messer auf sie herab. In der letzten Sekunde sprang sie erneut zur Seite. Da der Mann alkoholisiert war, konnte sie den Vorteil der Geschwindigkeit nutzen, jedoch streifte sein Messer ihren Oberarm. Erschrocken schrie Magdalena auf und hielt sich den Arm. Die Wunde war nicht sonderlich tief, jedoch schmerzte sie sehr. Ein siegessicheres Grinsen breitet sich auf dem Gesicht des Mannes aus, als er sah, dass er sie in eine Ecke getrieben hatte. Jetzt konnte sie nicht mehr flüchten. Er schleppte seinen schweren Körper auf sie zu und erhob die Hand, um den tödlichen Stoß zu vollbringen.

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Tag der Veröffentlichung: 13.08.2010

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