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Kaptiel 1


Die Gleise zischten, als die Züge vorbeifuhren und das Hupen, war so laut, dass man es bis hierher hören konnte.
So hörte sich also die Freiheit an, dachte sie.
Mit überschlagenen Beinen und gesenktem Kopf blickte sie auf ihr Blatt und lauschte den Worten des Bahnwärters.
Die Klinik war direkt neben dem Bahnhof.
Wie passend um abzuhauen, dachte sie jedes Mal, wenn eines der Züge mit seinem Rauschen ihre Aufmerksamkeit verlangte.
Doch abgehauen ist noch keiner. Es ist unmöglich, den Kameras und Sicherheitsmännern zu entkommen.
Sie war suizidgefährdet, deshalb war sie hier.
Das war ihr Grund.
Am liebsten würde sie die Zeit zurückdrehen und würde sich wünschen diesen Versuch niemals gestartet zu haben, der – wie man jetzt sehen kann – sowieso erfolglos war.
Doch es war nun mal so.
Daran konnte sie nichts ändern.
Als es Nacht wurde ignorierte sie die Kameras und die Männer die an den Eingängen positioniert waren. Sie nahm sich einen Umhang und überwand sich die Türe ihres Zimmers zu öffnen.
Das leise Quietschen hätte ihr fast alles vermasselt. Leise schlich sie den Gang entlang und war erstaunt, welch Glück sie hatte.
Die Männer waren für heute fort. Das sollte ihre einzige und letzte Chance sein.
Als sie draußen war und die Nachtluft genoss, hörte sie von Weiten schon einen Zug kommen.
Ihr wurde ganz warm und ihr Herz sprang ihr beinahe aus der Brust.
Ihr Zuhause war schon ganz nah…
Nur fünf Stationen entfernt und sie konnte ein neues Leben beginnen.
Ein glücklicheres, ohne Selbstmordgedanken.
Sie lief zum Bahnsteig an der sich der Zug näherte.
Sie konnte sich nicht an Stufen erinnern, aber sie hielt es für Möglich, dass umgebaut wurde.
Und so stand sie da und wartete voller Freude auf den Zug.


Am nächsten Tag bekamen ihre Eltern einen Anruf aus der Klinik, ihre Tochter sei nachts ausgebrochen und hätte sich vor den Zug geworfen.


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Tag der Veröffentlichung: 24.06.2012

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