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Der erste Tag



Sie wälzte sich im Bett und versuchte vergeblich einzuschlafen.
Die weiche Bettdecke schmiegte sich an ihren Körper und sie hatte den gesamten Bereich des Doppelbetts, da ihr Mann aus geschäftlichen Gründen in Tennesse war.
Als sie gerade eine gemütliche Position zum schlafen fand, klingelte es auf einmal an der Tür.
Sie dachte es wäre ein üblicher Klingelstreich. So drehte sie sich um und bedeckte ihren Kopf mit der Decke.
Als es zum zweiten Mal klingelte, wusste sie, sie hatte keine Wahl.
Sie legte die Decke zurück, richtete sich auf und sah auf die Uhr auf ihrem Nachttisch. 0:34
Welcher Idiot kann es so dringend haben mich um diese Zeit zu wecken?
Obwohl da „wecken“ der falsche Ausdruck ist, ich habe es ja nicht einmal zum Schlafen geschafft.
Genervt strich sie ihr schwarzes, gelocktes Haar glatt.
Es wird sich niemand dafür interessieren wie du aussiehst, du kannst ja nichts dafür, dass du um diese Zeit „geweckt“ wirst. redete sie sich ein, als sie die Treppen herab stieg und zur Tür ging.
Sie gähnte noch einmal bevor sie die Tür dann endlich öffnete.
»Guten Abend, Ma’am« sagte einer der Polizisten und sie merkte sofort wie sie vor Scham errötete.
Ich bin doch glatt mit meinem kurzen, lila Nachthemd vor die Tür gegangen.
Ich muss aussehen wie eine Schlampe.
»Gut..en Abend.« stotterte sie.
Sie wirkte sehr verwirrt und ängstlich, da sie nicht wusste warum zwei Polizisten vor ihrer Tür standen, noch dazu ein Mann in ihrer Mitte, den sie zu zweit festhielten.
Er hatte einen Dreitagebart, schwarze Haare, dunkle Augenringe und zerrissene Jeans.
Sie fragte sich, ob er nicht ein Drogendealer war.
»Gehört der zu ihnen?« fragte der linke Polizist.
Mit dieser Frage hatte sie nicht gerechnet.
Verwirrt betrachtete sie den Mann.
»Nein.« entgegnete sie.
Der Mann mit dem Dreitagebart sah sie finster an.
Dann legte er seine dunkle Mine ab und lachte.
»Schatz, bitte, tu doch nicht so. Ich weiß wir haben gestritten und es tut mir Leid, aber wenn du denen nicht sagst wer ich bin schicken sie mich ins Gefängnis. Willst du das?«
Er sah sie mit stechendem Blick an, als wollte er sie hypnotisieren.
»Ich.. tut mir Leid aber ich kenne sie nicht.«
Die Polizisten drehten sich auf einmal um, wahrscheinlich war noch jemand im Polizeiwagen, der weiter links auf der anderen Straßenseite parkte.
»Sie sagt sie kennt ihn nicht.« riefen die beiden Polizisten.
Verwirrt und immer noch ängstlich beobachtete sie die Situation, und merkte nicht wie der düstere Mann sein Messer aus seiner Hose zückte.
Er spielte damit in seinen Händen, und war bemüht, dass keiner der Polizisten hinsah. Bis auf die Frau.
Ihre Eingeweide verkrampften sich und ihr wurde auf einmal ganz heiß.
Er bedrohte sie mit dem Messer.
»Lass mich rein… oder ich stech dich ab. Ich stech sie alle ab.«
Sie wusste nicht, wie sie reagieren sollte.
Würde sie hilflos herumkreischen und die Polizisten darauf aufmerksam machen, würde er sie alle abstechen. Würde sie weiterhin behaupten sie kennt ihn nicht, würde er sie auch abstechen. Und würde sie ganz einfach die Türe zuknallen, würde er die Polizisten abstechen und dann in ihr Haus einbrechen.
Sie hatte letztendlich keine Wahl, jedenfalls nicht, wenn sie da lebend wieder rauskommen wollte.
Sie tippte den Polizisten leicht auf die Schulter, woraufhin der Mann sein Messer hastig wieder einsteckte.
»Sir… ich… kenne diesen Mann, wir hatten nur Streit und deshalb war ich etwas aufgebracht. Aber er gehört zu mir.«
Sie versuchte trotz der Situation weniger angespannt zu wirken und brachte ein schmales Lächeln zum Vorschein.
»Okay, gut. Das hätten sie uns aber etwas früher sagen sollen«
»Tut mir Leid«
»Ist schon okay, ich wünsche ihnen noch eine angenehme Nacht.«
Sie ließen den Mann los, der sich grinsend neben sie stellte und einen Arm um sie legte.
»Wir wünschen ihnen auch eine angenehme Nacht.«
Dann schloss er die Tür.
Er nahm seinen Arm wieder von ihrer Schulter und sah sie nun immer noch grinsend an.
»Würden sie mir bitte sagen wer sie sind? Und was hier vorgeht?« stieß es aus ihr hervor.
»Mein Name ist Martin. Und wer sind sie, Schönheit?«
»Lassen sie das.«
»Das war ein Kompliment.«
»Ich weiß.«
»Dann sagen sie danke«
»Nein«
»Sind wir wohl etwas selbstgefällig, ja?«
»Ich will einfach nur, dass sie mir sagen was hier vorgeht.«
»Wenn ich weiß mit wem ich rede, erfahren sie alles.«
»Shady«
»Ahh Shady. hübsches Kleidchen.«
Er sah an ihr herab und betrachtete ihren Körper von oben bis unten.
»Sie Perverser.«
»Na na, seien sie doch nicht gleich so unfreundlich«
Er kam näher auf sie zu und packte sein Messer aus.
Dann strich er mit der Spitze eine Strähne aus ihrem Gesicht, während die Klinge ihre Haut berührte und sie aufzucken ließ.
Mutig fragte sie ihn weiter, den Blick immer noch fest auf das Messer fixiert.
»Was haben sie getan? Wieso haben sie zwei Polizisten festgehalten?«
»Ach, lassen sie es mich so erklären. Ich habe ein Graffiti gesprüht.«
Das war alles? Zwei Polizisten haben einen Mann zu zweit festhalten müssen, weil er ein Graffiti gesprüht hat? Noch dazu sah er wie ein richtiger Verbrecher aus.
Und er hatte ein Messer.
»Ein Graffiti?«
»Ja, oder glauben sie mir etwa nicht?«
»Naja, ich dachte sie hätten eine Bank überfallen oder so.«
Sie brachte den Mann zum Lachen.
»Ich raube doch keine Bank aus. Für wen halten sie mich? Für einen Kriminellen?«
»Für mich sehen sie jedenfalls so aus.«
»Tatsächlich? Wahrscheinlich wegen meiner zerrissenen Jeans? Oder meinem Messer?«
Ihr Magen verkrampfte sich wieder.
»Das Messer wäre ein Grund.«
»Nein, Billy hab ich schon lange.«
»Wie bitte? Billy?«
»Ja… mein Messer. Ich mag es Gegenständen, die mir etwas bedeuten Namen zu geben«
Was für ein kranker Kerl gibt einem Messer so einen Namen?
Ich locke wirklich nur Verrückte ins Haus.
»Okay… das ist seltsam. Aber ich habe noch eine Frage. Wieso sind sie nicht zu ihrem eigenen Haus gegangen? Ich meine, wieso wollten sie den Polizisten weismachen, dass sie hier wohnen?«
»Lassen sie es mich so ausdrücken. Ich werde dort nicht erwartet.«
»Das heißt ihre Frau… sie haben doch eine Frau oder?«
»Ja, und wir leben getrennt. Aber mehr müssen sie auch nicht wissen. Das ist mir nämlich zu persönlich wissen sie?«
»Verstehe. Jetzt wo die Polizei doch weg ist, können sie doch wieder…gehen oder?«
Sie hoffte so sehr, er würde ihre Frage bejahen, die Tür aufreißen, ihr noch Lebewohl sagen, und für immer verschwinden.
Aber dazu kam es nicht.
»Sie wollen mich loshaben, hab ich Recht?«
Er näherte sich ihr wieder.
»Nein ich…dachte nur…«
»...sie können mich rausschmeißen?«
Er funkelte sie wütend an.
»Nennen sie mir einen Grund, weshalb sie hier bleiben wollen?«
Er fuhr sich durch sein kurzes Haar und blickte auf sie herab.
Er denkt sich was aus. Er hat keinen Grund.
»Weil ich hier doch alles habe. Eine schöne Frau, Essen, einen Schlafplatz. Das habe ich da draußen jedenfalls nicht.«
»Hören sie auf mit dem Quatsch. Ich kann doch nicht einfach jemand Fremdes hier reinlassen.«
Seine Mine verschärfte sich.
»Wieso nicht?«
Verwirrt ging Shady ein paar Schritte zurück.
»Na weil das einfach nicht geht. Mein Mann…«
»Sie sind verheiratet?«
»Ja«
Er zog eine Augenbraue nach oben und sah sich einmal um.
»Und wo ist ihr Mann jetzt?«
»Auf Geschäftsreise.«
»Das heißt er ist nicht hier? Für wie lange?«
Sie wusste nicht was er vorhatte und fand seine vielen Fragen sehr merkwürdig.
Wenn ich ihn erzähle, dass er morgen zurückkommt, würde er vielleicht gehen.
»Er ist schon lange weg. Und morgen kommt er wieder zurück. Am besten sie gehen, bevor er kommt.«
»Wollen sie mich ihm nicht vorstellen?«
»Nein das wäre glaube ich keine so gute Idee.«
»Da haben sie Recht. Vielleicht wäre es besser wenn ich mich verstecke?«
»Sie wollen sich in meinem Haus vor meinem eigenen Mann verstecken?«
Er zuckte kurz mit den Schultern, ehe er ihr gleichgültig entgegnete.
»Warum auch nicht? Er wird mich nie zu Gesicht bekommen. Und rausschmeißen können sie mich nicht. Das ist ihnen hoffentlich bewusst.«
Er spielte dabei wieder mit seinem Messer.
Verdammte Scheiße.
Ich wäre so froh, wenn mein Mann morgen tatsächlich nach Hause kommen würde.
Vielleicht gab es ja ein paar Komplikationen, weshalb er morgen schon abreißen müsste.
So ein Unsinn, er kommt erst in einer Woche wieder.
Er kann ja nicht wittern, dass hier irgendetwas nicht stimmt.
Wäre auch zu schön.
Aber Halt, vielleicht wenn ich ihn anrufe…
Nein, er wird garantiert nicht früher kommen, nur weil ich ihm sage, dass ich einen Verrückten ins Haus gelassen habe.
Es wäre besser, wenn er gar nichts weiß.
»Also gut, ich weiß zwar nicht was sie von mir wollen aber…sie können meinetwegen hier bleiben.«
Sie war selbst darüber überrascht, dass sie das sagte.
Um Himmels Willen ich habe ihn gerade bestätigt hier zu bleiben!
Was ist nur mit mir los?
Sie konnte ein deutliches Grinsen in seinem Gesicht erkennen.
»Also gut, da wir uns ja mehr oder weniger öfter sehen, schlage ich vor wir duzen uns.«
Ihr gefiel die ganze Sache überhaupt nicht, also wollte sie ihn lieber weiter siezen, damit das ganze nicht so intim wirkt.
»Sie können mich gerne duzen, wenn sie darauf bestehen. Ich allerdings halte nicht viel davon und…«
»Ist ja okay, Shady. Das musst du nicht.«
Er lachte einmal auf und wandte sich dann von ihr ab.
Sie sah noch im Augenwinkel, wie er geradewegs ins das Wohnzimmer lief.
Wahrscheinlich sucht er jetzt nach einer Mordwaffe. Oder er stiehlt etwas.
Unsinn, reg dich ab. Alles wird gut, lass ihn nur nicht aus den Augen.
»Du hast es ja ganz schick hier.«
»Danke. Ich weiß.«
»Würde es dir was ausmachen, mir einen Kaffee zu machen?«
Seine braunen Augen funkelten dabei und sahen sie durchdringend an.
»Klar, Nur würde ich mich davor gerne umziehen.«
»Das brauchst du nicht, du siehst doch gut aus in deinem knappen Nachthemd.«
Er lachte.
Seufzend begab sie sich in die Küche.
Ich habe einen perversen Irren im Haus, der mich mit einem Messer bedroht und Sachen von mir verlangt.
Während sie sich Selbstvorwürfe machte, öffnete sie die Kaffeebox, nahm drei Teelöffel heraus und schüttete es mit heißem Wasser in eine Tasse.
Sie rührte einmal um und fühlte sich dabei wie eine Kellnerin.
Sie begab sich wieder ins Wohnzimmer und stellte die Tasse Kaffee auf den kleinen runden Tisch vor dem Sofa.
»Sehr aufmerksam, Shady.«
»Benötigen sie noch etwas?«
»Einen Schlafplatz.«
»Sie können auf dem Sofa schlafen.«
»Wo schläft denn ihr Mann?«
»In meinem Bett.«
Sie warf ihm einen hoffnungsvollen Blick zu, der bedeuten soll: „Bitte sagen sie nicht, dass sie da schlafen wollen, bitte nicht.“
Er grinste und für einen Moment sah es so aus, als wäre genau das sein Vorhaben.
»Ich denke wir müssen nichts überstürzen.«
Erleichtert ging Shady aus dem Wohnzimmer und die Treppen hinauf.
„Wir müssen nichts überstürzen.“ Ja klar. Du wirst NIEMALS in dem Bett von mir und meinem Mann schlafen, dachte sie sich.
Dann betrat sie das Schlafzimmer und schaltete das Licht an.
Kurz darauf wurde der Raum hell beleuchtet und sie warf sich in ihr Bett.
Sie schielte kurz auf die Uhr. 1:24
Hoffentlich kann ich überhaupt noch schlafen.
Aber das ist ja wohl dein wenigstes Problem, unten schläft ein Irrer auf deinem Sofa,
der nachts was weiß ich mit dir anstellen könnte, und du machst dir Sorgen, dass du nicht schlafen kannst?
Oh Gott, ich sollte vielleicht lieber absperren. Oder mir etwas anderes anziehen.
Nein, dafür bin ich zu müde. Ich werde jetzt einfach einschlafen, und wenn ich aufwache, liegt mein Mann neben mir und das hier ist nie geschehen.
Genau, lauf davon. Wie du es immer getan hast. Versinke in deine schöne Fantasie, in der alles so ist wie du es gern hättest.
Aber wunder dich nicht wenn es in der Realität viel schlimmer aussieht.
Sie ignorierte für einen Moment die Stimmen in ihren Kopf und machte das Licht wieder aus.
Vielleicht sollte ich es anlassen? Wenn er nachts zu mir kommt und das Licht sieht, könnte er meinen ich bin wach.
Ja das mach ich.
Als die Stimmen in ihren Kopf sich endlich einig waren, schaltete sie das Licht wieder an, in der Hoffnung ihre eigene Haut damit retten zu können.
Die Nacht war grausam, das Bellen des Nachbarhundes hatte sie fast in den Wahnsinn getrieben. Und wenn sie versuchte wieder einzuschlafen, hörte sie Geräusche, die sie früher niemals wahrgenommen hatte. Doch jetzt, in ihrer Situation, dachte sie bei jedem noch so leisem Blätterrascheln außen an ihrem Fenster, an Martin.
Würde er wirklich in ihr Zimmer schleichen? Sie vergewaltigen und danach so tun, als wäre nichts geschehen?
Möglich war es. Möglich war alles. Das hatte sich in dieser Nacht bewiesen.


2
Sie ist weg. Jetzt kann ich hier tun und lassen was ich will.
Ich hielt meine Tasse Kaffee noch immer fest in meinen Händen, während ich vom Sofa aufstand und mir ein bisschen ihr Haus ansah.
Es war recht ordentlich, die Schränke und Regale, die ganz hinten an der Wand standen, waren alle geputzt. Und die Bücher nach Namen sortiert.
Da hätten wir zum Beispiel „Dorn, Thea- Ringkampf“, „Evans, Nicholas- der Pferdeflüsterer“, Ellroy, James- Blut will fließen“, „Frey, Jana- das eiskalte Paradies“ und zwei Bücher von Joy Fielding „Schau dich nicht um“ und „am seidenen Faden“.
Ich nehme an, dass ihr Mann diese Thriller liest, denn Shady sieht dafür viel zu zierlich aus.
Ich kann mir sogar vorstellen, dass sie noch nie ein Buch in die Finger bekommen hat.
Sie interessiert sich wahrscheinlich eher für Klamotten, Geld und anderen Schnickschnack. Aber ich kann mich auch irren.
Ich überlegte etwas Spaß zu haben. Ich könnte den Fernseher einschalten, Musik hören, lesen oder sonst was anstellen. Aber ich wollte nicht. Ich wollte sie.
Also stellte ich meine Tasse auf den gläsernen Tisch vor mir und ging in den Flur nebenan, von wo ich die Treppe, die sie vorhin hinaufgestiegen ist, sehen konnte.
Ich kann nur hoffen, dass sie schläft.
Als mir dieser Gedanke durch den Kopf schwirrte, kam mir eine brillante Idee.
Eigentlich war ich eher empört, dass mir das nicht viel früher eingefallen ist.
Ich muss die Telefone abschalten. Und die Fenster und Türen verschließen.
Sie darf auf keinen Fall Kontakt zur Außenwelt haben.
Doch was ist, wenn sie bereits oben in ihrem Zimmer die Polizei angerufen hat?
Wenn sie oben ein Telefon hat.
Ich muss so schnell wie möglich handeln.
Ich hoffe sie hat da oben keine Gelegenheiten, jemanden zu verständigen.
Wenn doch, muss ich da jetzt hoch.
Und wenn ich später alle Telefone abgestellt habe, kann ich mich noch mit ihr vergnügen.
Aber das musste jetzt erstmal warten.
Ich beschloss auf der Stelle das obere Stockwerk nach Telefonen abzusuchen.
Es war allerdings etwas gefährlich das Licht auf dem Gang brennen zu lassen, während ich die Treppe hinaufsteigen würde.
Doch wo war der Lichtschalter?
Ich lief den Flur ab. Nach links bis zur Küche und zur Toilette bis zur Haustüre und Treppe.
Als ich mich umdrehte und mich nochmals umsah, entdecke ich ihn.
Er war neben dem Türbogen, der zum Wohnzimmer führte.
Leise betätigte ich ihn.
Dann wurde der Raum in Dunkelheit getaucht und das einzige, das ich erkennen konnte,
waren das Geländer der Treppe und die Fensterscheiben neben der Haustüre.
Die Glasscheibe war aus Mosaik und man konnte nur zerstreut sehen, was sich draußen auf der Straße abspielte.
Das Licht der Straßenlaterne beleuchtete das Fenster und hinterließ ein Farbspiel aus Schatten und Licht auf dem Boden des Flurs.
Leise schlich ich auf Zehenspitzen zur Treppe und hielt mich am Geländer fest.
Ich konnte die Stufen nicht sehen und musste mich konzentrieren sie nicht zu verfehlen.
Nein das kann nicht sein.
Als ich die letzten Stufen gemeistert hatte, konnte ich in ihrem Zimmer, von dem ich nur noch ein paar Schritte entfernt war, das Licht brennen sehen.
Sie ist scheinbar noch wach.
Aber was zum Teufel macht sie?
Ich biss die Zähne zusammen und schlich vorsichtig zur Wand neben der geöffneten Tür ihres Zimmers.
Aufmerksam lauschte ich und versuchte mitzubekommen was sie tat.
Nichts. Ich hörte kein Geplapper, falls sie telefonieren würde. Auch kein Umblättern von Seiten, falls sie liest.
Stattdessen konnte ich das Geräusch der Bettdecke hören.
Ansonsten absolute Stille.
Sie schläft mit Licht.
Perfekt für mich heranzuschleichen und nach Telefonen zu suchen.
Ich ging an der Wand entlang und lugte in das Zimmer.
Mit einem flüchtigen Blick konnte ich sehen, dass das Ehebett rechts an der Wand stand.
Wenn sie also aufwachte, konnte sie mich sofort problemlos sehen.
Deshalb musste ich sehr vorsichtig sein.
Leisen Schrittes huschte ich über die Schwelle.
Das Bett, in dem sie lag, stand direkt neben mir.
Ich wagte es einen Blick auf sie zu werfen.
Ihr umwerfend schönes Haar fiel über das Kissen und ihre nackte Schulter ragte aus der Decke hervor.
Was für eine Schönheit.
Ich war so sehr von ihrem Anblick bezaubert, dass ich fast vergaß warum ich überhaupt hier war.
Also wandte ich mich von ihr ab und durchstöberte ihr Zimmer.
Neben dem Bett und auf den Nachttisch lag kein Telefon. Das hätte ich bemerkt.
Ich ging zum Kleiderschrank, der links gegenüber vom Bett stand und machte einen wunderbaren Fund.
Unten am Boden, vor dem Kleiderschrank befand sich eine schwarze Ledertasche.
Die Vorderseite war mit einer silbernen Schnalle beschmückt.
Ich bückte mich und öffnete langsam den Reißverschluss.
Es war schwer ihn so leise wie möglich aufzumachen, denn er klemmte.
Und als ich ein schwaches Seufzen hörte, dachte ich es ist aus.
Dabei drehte ich mich blitzschnell um und sah die liebliche Shady ganz brav in ihrem Bettchen schlafen.
Immerhin war sie nicht wach, beruhigte ich mich, als ich mich wieder der Tasche widmete.
Der Reißverschluss war nun offen und mir blitzte schon etwas Glänzendes entgegen.
Ihr Handy.
Ich zog es vorsichtig aus der Tasche und begutachtete es.
Es war zu meinem Glück schon eingeschaltet.
Ich steckte es in meine Hosentasche und bekam eine witzige Idee, als ich Shady noch einmal ansah.


3
Sie schien schon alles vergessen zu haben, als sie am Morgen aufwachte und der gleißenden Sonne entgegen lächelte, die durch ihr Fenster schien.
Die warmen Sonnenstrahlen gaben ihr ein Gefühl von Geborgenheit.
Doch das wurde ihr wieder genommen, als sie merkte, dass ihre Decke nicht wie gewohnt ihren Körper bedeckte, sondern mitten im Zimmer auf dem Boden lag.
Oh nein. Er war da.
Er hat…Er ist wirklich gekommen.
Ich hätte absperren sollen. Verdammt.
Das kann doch nicht wahr sein!
Zitternd blickte sie auf sich herab und stellte beruhigt fest, dass sie noch ihr Nachthemd anhatte.
Das beweist gar nichts. Er hatte eben noch Zeit mich wieder anzuziehen.
Oh Gott wenn ich nur daran denke was er alles mit mir machen hätte können!
Sie schüttelte das Bild aus ihrem Kopf und stieg aus dem Bett.
»Der kann was erleben« murmelte sie, während sie zum Kleiderschrank ging, sich ein Shirt und eine Jeans anzog.
Wutentbrannt ballte sie die Hände zu Fäusten, verließ das Zimmer und knallte die Tür zu.
Nicht mit mir. Erst lass ich dich in mein Haus und jetzt vergewaltigst du mich? So nicht, Freundchen. Sie stapfte zornig die Treppe herunter, als Martin gerade gähnend aus dem Wohnzimmer ging.
»So früh schon wach?«
Er grinste sie an und sie hatte große Lust ihm eine Reinzuschlagen.
Stattdessen kam sie auf ihn zu und drückte ihn gegen die Wand.
»WAS ZUM TEUFEL HABEN SIE MIT MIR GEMACHT? « schrie sie.
»Ahh was meinst du?«
Sie hielt ihn an der Kehle fest.
»Sie wissen ganz genau was sie gemacht haben! Heute Nacht.«
»Ach „Das“ meinst du.« er lachte.
Sie drückte fester zu.
»Verdammt, ich mein es ernst!«
»Dann lass mich los.«
»Nein ich werde nicht…!«
Doch bevor sie ihren Satz noch beenden konnte, riss er ihre Hand von seiner Kehle, schleuderte sie herum und hielt ihre Hände hinter ihrem Rücken zusammen.
Dabei flüsterte er leise in ihr Ohr »ich habe gar nichts getan…«
»Lass mich los du Arschloch!«
»Shady, ich habe nichts mit dir gemacht.«
»Natürlich hast du das!«
»Ah, kennen wir uns jetzt wohl besser, da du mich duzt?«
Sein fieses Lachen drang direkt in ihr Ohr.
Sie versuchte weiterhin sich aus seinem Griff zu lösen. Nicht nur weil sie die Macht haben wollte, sondern vielmehr weil sie sehr eng aneinander standen und sie jede Körpernähe mit ihm mied.
»Fick dich und lass mich los!«
»Vielleicht wenn du mich höflich bittest«
»Halts Maul«
Mit einem Mal schlug sie mit ihrem Fuß nach hinten und traf mitten zwischen seine Beine.
Sein Griff löste sich und Shady rannte los.
»Du verfickte Schlampe! Ahh…«
Martin, der immer noch vor Schmerzen schrie, zückte vorsichtig sein Messer und beobachtete sie bei ihrem misslungenen Fluchtversuch.
Sie drückte gegen die Balkontür im Wohnzimmer und hämmerte darauf ein.
Doch es tat sich nichts.
Hektisch drehte sie sich zu Martin und funkelte ihn wütend an.
»Willst du wissen was ich tatsächlich die ganze Nacht über gemacht habe? Ich habe mir dein Handy stibitzt, sämtliche Telefone im ganzen Haus Abgeschalten - damit meine ich natürlich ich habe die Kabel durchgetrennt- und alle Türen verriegelt.
War ne Wahnsinns Arbeit, aber es hat sich gelohnt wie du ja sehen kannst.«
Sein höhnisches Grinsen und sein Messer in seiner Hand ließen ihn wie einen Verrückten aussehen, der gerade aus der Irrenanstalt ausgebrochen war.
Moment mal, vielleicht ist er das sogar?
Aber für diese Fragen hatte sie nun keine Zeit, sie musste versuchen zu flüchten, auch wenn es ausweglos war.
Als er auf sie zu humpelte, wollte sie nach rechts rennen, doch der Raum war zu klein und er würde sie erwischen.
Auch links war keine gute Idee.
Verzweifelt stand sie da und sah zu wie er immer näher kam.
Es muss doch eine Möglichkeit geben…irgendetwas…
Sie sah sich panisch um und entdecke oben in dem Bücherregal neben ihr einen metallischen Gegenstand.
Sie streckte eine Hand danach aus und griff danach.
Doch auf einmal spürte sie etwas um ihre Taille herum.
Martin war schneller und hatte sie gepackt.
Er riss sie herum und drückte das Messer an ihre Kehle.
Sie streckte den Hals um nicht von seiner Klinge geschnitten zu werden.
»Willst du mich etwa erschlagen, Shady? Komm schon, du weißt ganz genau, dass du gegen mich nicht ankommen kannst.«
Sie sah in seine dunklen Augen und begann zu zittern und schluchzen.
Doch sie hatte noch immer ihren Stolz um nicht um ihr Leben zu flehen.
»perverses Arschloch! Wenn du mir die Klinge schon hinhältst, dann schlitz mich auch auf.
Aber erwarte nicht von mir schwach zu werden!«
Es war fast unmöglich den Satz ohne jegliches Stottern zu vollenden.
Insgeheim hoffte sie, dass er sie trotzdem nicht tötete.
Er sah nur kalt auf sie herab und ritzte einen zarten Schnitt in ihren Hals.
Das Blut lief über die Klinge und fiel zuletzt auf ihr weißes Shirt.
Der Schnitt fühlte sich wie heiße kleine Messerstiche an.
Sie war zwar froh darüber, dass er ihr nicht die Kehle durchgeschnitten hat, hatte aber trotzdem unheimliche Schmerzen.
Sie spürte ihr eigenes Blut durch ihr Shirt dringen, woraufhin ihr übel wurde.
Sie konnte sich nicht mehr länger halten. Dieser unerträgliche Schmerz und die ganze Situation waren ihr einfach zu viel.
Schließlich sank sie auf die Knie.
Ein dumpfes Geräusch drang sich in ihr Bewusstsein.
Dann war alles schwarz.
Martin hatte ihren reglosen Körper auf das Sofa geschleppt.
Er betrachtete sie mit gierigen Blicken.
Er saß auf dem roten Sessel gegenüber von ihr.
Seine Arme waren auf seine Beine abgestützt.
Als Shady wieder ihre Augen öffnen konnte, wollte sie sie sofort wieder schließen.
Es war kein schöner Anblick, seinen Feind, der einem erst die Kehle blutig geschnitten hat, gemütlich auf einem Sessel sitzen zu sehen.
Nein noch schlimmer. Dieser Anblick brachte in ihr Ekel auf.
Sie war so wütend, als sie ihn sah, dass sie ihn am liebsten runtergeschubst hätte und mit seinem eigenen Messer auf ihn eingestochen hätte.
Ja, das hätte ihr gefallen.
Er sollte nicht denken, sie wäre hilflos und könnte sich nicht wehren.
Denn so war es eben nicht. Auch wenn es bis jetzt immer so aussah.
Sie biss sich auf die Unterlippe und öffnete wieder ihre Augen.
Er sah sie immer noch an.
So ein Hurensohn. Hat der nichts besseres zutun als mich dumm anzuglotzen?
Sie verlagerte das Gewicht auf ihren Arm und setzte sich auf.
Ihr Blick wanderte in seine Richtung bis sich ihre Blicke trafen und Shady einen Stoß in ihren Magen verspürte.
Es war ihr mehr als unangenehm ihm direkt in die Augen zu sehen, deshalb wandte sie sich schnell wieder von ihm ab.
Er begann leise und ruhig zu sprechen, während sie vom Sofa aufstand und in die Küche gehen wollte.
»Ich will dich nicht töten, Shady.«
Sie zuckte bei seinen Worten zusammen und drehte sich um.
»Achja? Und was machst du dann hier?« Ihr Blick war zornig und ihre Stimme rasend.
Er stand auf, ging auf sie zu und legte seine Hand auf ihre Schulter, während er mit seinen schwarzen Augen ihre betrachtete.
»Fass mich nicht an!«
Sie schlug seine Hand weg und hatte Angst vor seiner Reaktion.
Doch anstatt zurückzuschlagen redete er weiter.
»Ich kann verstehen, dass du so bist. Aber das brauchst du überhaupt nicht. Es wird dir nichts bringen. Du wirst sehen, wenn du so weiter machst, ziehst du den Kürzeren.«
Sie öffnete den Mund um etwas zu sagen, doch er sprach weiter.
»Und wo bleibt eigentlich dein Mann?«
Er schaute sie verdutzt an.
»Ich weiß nicht. Vielleicht kommt er später.« Ihre Stimme war etwas gelangweilt, aber dennoch ernst.
»Naja, wir werden es schon merken, wenn er kommt.«
Seine schmalen Lippen umspielte ein fieses Grinsen.
»Doch bis dahin muss ich noch weg. Also wenn du mich entschuldigen würdest…«
Er wandte sich ihr ab und lief zur Haustür. Er nahm sich seine schwarze Lederjacke, die er gestern angehabt hatte und auf den Kleiderständer neben der Tür abgelegt hatte.
Dann schloss er die Tür auf, ging heraus, lächelte sie noch einmal an und schloss sie wieder.
Jetzt war sie allein. Ohne viel Zeit zu verlieren, stürmte sie ins Wohnzimmer und hämmerte mit ihren bloßen Fäusten wieder gegen die Tür.
Die muss doch irgendwie aufgehen!
Aber es war aussichtslos.
Er war ihr einfach einen Schritt voraus und ohne einen Schlüssel war sie hier drin eingesperrt wie ein Käfer in einem Glas.
Sie war ihm hilflos ausgeliefert.
Doch dann kam ihr plötzlich eine Idee.
Sie rannte in die Küche und öffnete den Schub in den die Messer lagen.
Nichts.
Kein Messer.
Sie öffnete auch die anderen Schubs und Regale, doch zu ihrem Entsetzen musste sie feststellen, dass diese auch leer waren.
Sie hatte absolut nichts.
Keine Waffen gegen ihn. Und auch nichts, mit dem sie die Fensterscheiben einschlagen könnte.
Er hat mitgedacht.
Selbst die Stühle, die noch im Wohnzimmer um den Tisch herum standen, waren nicht massiv genug um die Scheibe zu zerplatzen.
Es würden eher die Stühle kaputt gehen.
Hätte sie damals doch auf ihren Mann gehört und keine Holzstühle gekauft.
Mein Mann…
Sie dachte daran, wie er sich in Tennesse in einer Sitzung gelangweilt in den Stuhl zurücklegen würde.
Wäre er doch nur hier.
Verzweifelt ließ sie sich auf den Boden nieder und umklammerte ihre Beine mit den Händen.
Sie stellte sich vor, wie ihr Mann sie in die Arme nahm und ihr versichern würde, dass alles gut wird.
Sie konnte seine Nähe spüren – auch wenn er gar nicht da war –
Sie lächelte und ließ sich langsam nach hinten fallen, in der Hoffnung sie würde auf seinem muskulösen Körper landen.
Doch statt ihrem Mann knallte sie mit dem Rücken gegen die Regale.
Ein dumpfer Schlag ertönte und Schmerzen durchströmten ihr Kreuz.
Sie wurde aus ihrer Fantasiewelt gerissen und richtete sich auf.
Das hilft mir nicht weiter.
Ich muss mir verdammt noch mal was einfallen lassen.
Während sie nachdachte kam ihr auch schon eine Idee.
Sie wirbelte herum und suchte einen Gegenstand der geeignet dafür war.
Schließlich ging sie aus der Küche, in den Flur und in die Abstellkammer.
Hinter der Türe verbarg sich ein alter Holzbesen.
Sie griff nach ihm und positionierte sich vor der Haustüre.
Jetzt heißt es nur noch warten.
Mit dem Besenstil fest in der Hand und den Blick fest auf die Tür gerichtet, wartete sie gespannt bis er wieder kam.
Sie hatte Angst. Angst, dass sie ihn verfehlen würde. Angst, dass sie nicht kräftig genug zuschlagen würde.
Sie merkte wie sich ihre Finger verkrampften und ihre Augen sich verengten.
Dann geschah alles ganz schnell.
Die Tür ging ruckartig auf und Martin trat herein, noch bevor er erkannte, was passierte, schlug Shady auch schon zu.
Und traf ihn am Nacken.
Martin fiel der Länge nach auf den Boden und bewegte sich nicht.
Shady, die ihn entsetzt ansah, konnte ihr Glück gar nicht fassen. Doch außer Glück machte sich noch ein anderes Gefühl in ihr breit: Unsicherheit.
Sie hatte es zwar geschafft, doch trotzdem wusste sie nicht weiter.
Sie konnte ihn nicht hochheben, da er zu schwer war und sie wusste nicht wohin mit ihm.
Ohne sich zu versichern, ob er nun tot war, schloss sie die Haustüre, ging ins Wohnzimmer und betrachtete den bewusstlosen Körper von dort aus.
Was mach ich jetzt nur?
Soll ich die Polizei rufen? Oh Mist, ich habe doch gar kein Telefon.
Aber ich kann raus… Verdammt! Ich habe die Türe zugemacht!
Das kann doch nicht wahr sein! Wie dumm von mir!
Egal, es hilft mir nichts mich aufzuregen, ich sollte überlegen…
Wenige Minuten später ging sie auf Martin zu und kniete sich neben ihn.
Er sah immer noch gefährlich aus, auch wenn er hilflos auf dem Boden lag.
Sie streckte langsam eine Hand aus und langte in seine Hosentasche.
Vorsichtig zog sie ihre Hand wieder raus, als sie nichts fand.
Sie beugte sich über seinen Körper um an die andere Tasche hinzukommen.
Als ihre Hand innen war und sie ein Handy spürte, sahen sie auf einmal zwei dunkle Augen an.
Martin war wieder zu sich gekommen und handelte schnell.
Seine Hand griff nach Ihren und er hielt sie fest.
Überrascht fuhr Shady zusammen und starrte ihn ängstlich an.
»Du dachtest wohl du kannst mich überwältigen? Tja, zu meinem Glück habe ich das schon vorher gewusst. Es war nicht gerade schlau von dir direkt vor dem kleinen Fenster zu stehen.
Wie du sicher vergessen hast, kann man trotz der Mosaiksteine einiges erkennen.
Und ich habe dich von außen gesehen und konnte mich noch rechtzeitig ducken.
Als ich dann auf den Boden lag hatte ich schon Angst du würdest nochmals draufhauen. Aber du warst so brav und hast es gelassen«
Seine Augen strahlten und seine Lippen verformten sich zu einem grausamen Grinsen.
Wie konnte das sein? Sie war sich sicher sie hatte ihn getroffen. Sie hatte doch deutlich den Schlag gehört, und den Stock in seinen Nacken gleiten sehen.
Doch wahrscheinlich war sie so aufgeregt, dass sie zufrieden war, als er endlich auf dem Boden lag.
Entsetzt starrte sie ihn immer noch an.
Sie war wie gelähmt, sie konnte sich unter diesen Umständen nicht bewegen. Sie hatte Angst er würde sie töten, wenn sie nur eine falsche Bewegung machte.
Martin, der ihre Hände immer noch fest zusammenhielt, richtete sich auf und zog sie mit hoch.
Ohne zu Zögern, schleppte er sie in ihr Schlafzimmer.
Er stieß sie in die Tür und versperrte sie von außen.
Shady, die nun fassungslos zur Tür blickte, konnte neben ihrem heftigen Herzklopfen noch seine Stimme hören.
»Glaub mir Shady, du wirst das alles noch schwer bereuen. Und dass ich dich hier einsperre ist erst der Anfang!«


4

Ich war außer mir vor Wut. Wie konnte sie es nur wagen sich gegen mich zu stellen?
Sie hatte sowieso keine Chance. Und jetzt habe ich ihr Alles genommen.
Ich lasse sie hier so lange innen wie mir Recht ist.
Sie soll sehen was sie davon hat.
Ich wandte mich genervt von der Tür ab und ging wieder die Treppen zurück ins Wohnzimmer.
Der Besen, der mich fast erwischt hatte, lag immer noch auf dem Boden vor der Tür.
Ich hob ihn auf und stellte ihn beiseite.
Sie würde sowieso keine Möglichkeit mehr haben es erneut zu versuchen.
Ich lief in das Wohnzimmer und ließ mich auf die Couch fallen.
Ich versuchte nachzudenken. Doch ich wusste nicht über was.
Über was sollte ich schon nachdenken? Sollte ich mir etwa Sorgen machen?
Nein, alles lief glatt. Daran gibt es keine Zweifel. Shady ist in ihrem Zimmer eingeschlossen und war keine Gefahr mehr. Aber trotzdem hatte ich ein seltsames Gefühl. Als hätte ich etwas vergessen.
Und da fiel es mir auch schon ein.
Ich rannte zur Haustüre und blieb abrupt stehen.
Ich sah mich um und durchsuchte meine Tasche.
Da war es ja.
Als ich die Klinge meines Messers spürte, atmete ich erleichtert auf und ging aus der Tür.
Ich musste mich beeilen.
Ich lief hastig die Straße entlang, bis zum Tunnel, an dem ich gestern mein Graffiti gesprüht hatte.
„PQ“ .stand mit gelb auf der Mauer geschrieben.
Das Graffitisprühen lag mir. Dunkelrote Umrisse verzierten die einzelnen Buchstaben.
Ein Meistwerk, dachte ich.
Doch wo blieb er nur?
Es ist schon viel zu spät.
Verdammt wo steckt er nur?
Ich lehnte mich an der Mauer an und starrte auf die vorbeifahrenden Autos.
Plötzlich sah ich etwas Dunkles im Augenwinkel auf mich zu kommen.
Ich formte meine Lippen unweigerlich zu einem freundlichen Grinsen.
»Johnny da bist du ja!«
Ich lief ihm entgegen und wir umarmten uns.
Doch als ich ihn ansah, bemerkte ich seinen angespannten Gesichtsausdruck.
»Was ist los mit dir?«
»Ich habe keine Ahnung wie das passieren konnte…«
»Was meinst du?«
»…es ging alles so schnell.«
»Johnny!« meine Stimme wurde überraschend laut, als würde ich ihn anschreien, doch ich wusste nicht von was er redete.
»Tut mir leid Martin.« seine Stimme machte mir Angst.
Ich sah ihn mit Entsetzen an.
»Was ist passiert?« ich war ernst und wollte die Antwort gar nicht hören.
»Er ist weg.«
Er starrte mich schuldbewusst an und ich merkte was los war.
Ich konnte es nicht wahrhaben und versuchte es noch irgendwie zu retten, auch wenn ich genau wusste, wie er es meinte.
»Du meinst er ist tot?« Meine Finger verkrampften sich und ich hoffte innerlich es wäre so.
»Nein, er ist mir abgehauen. Ich weiß, wir hatten das so gut geplant, aber…«
Ich war so sauer, dass ich mich nicht mehr beherrschen konnte.
»Du Volltrottel! Was hast du dir nur dabei gedacht? Ist dir das alles hier wohl gar nicht wichtig? Du bist tatsächlich für nichts zu gebrauchen!«
Wie es scheint ist sein gutes Aussehen alles was er zu bieten hat.
Ich hatte es gewusst. Man kann eben nicht schön und schlau zugleich sein.
Meine Eifersucht gegenüber ihm war mit einem Mal gewichen.
Er sah an mir vorbei und betrachtete das Graffiti.
»Gute Arbeit.« sagte er und ich wusste er wollte nur ablenken.
Also warf ich ihn einen finsteren Blick zu, den er sofort erwiderte.
»Hast du sie?« fragte er schließlich.
Ich warf den Kopf in den Nacken und bewunderte kurzzeitig die verzogenen Wolken über mir.
Die Luft war kühl und ich genoss den Wind der in mein Gesicht blies.
Ich atmete einmal tief ein und wandte mich wieder ihm zu.
Sein Gesichtsausdruck war erwartungsvoll, hoffnungsvoll und schuldbewusst.
Ich konnte deutlich sehen, dass er hoffte, ich hätte meine Aufgabe genauso vermasselt wie er, damit er nicht schlechter dastand.
Doch ich hatte im Gegensatz zu ihm meine Zusicherung Folge geleistet.
Ich betrachtete ihn mit einem spöttischen Grinsen, während die Worte über meine Lippen fuhren.
»Ja ich habe sie. Sie ist bei mir gut aufgehoben.«
Sein Gesichtsausdruck verfinsterte sich und er schob seine Hände in die Hosentaschen.
»Mach, dass du ihn findest. Am besten so schnell wie möglich. Sonst wird das ganze noch ein Nachspiel haben, wenn erst einmal die Polizei Bescheid weiß. Und vor denen bin ich bei Shady garantiert nicht sicher. Du weiß selbst warum.«
Er blickte wieder zum Graffiti und zuckte nun mit den Schultern.
»Hattest du nicht Angst, es würde schief gehen? Was wäre passiert, wenn sie dir nicht geglaubt hätten?«
Ich musterte ihn mit hochgezogenen Augenbrauen.
»Glaubst du ernsthaft, Shady hat die Türe geöffnet, mich gesehen und mich mit offenen Armen begrüßt hat? Natürlich war es schwer sie zu überzeugen… Aber mit dem hier ist das ja wohl kein Problem.«
Ich zog das Messer vorsichtig aus der Tasche und grinste ihn triumphierend an.
Er betrachtete es mit großen Erstaunen.
»Billy?«
Seine Augen blitzen und seine Lippen formten ein breites Grinsen.
»Ja Billy.«
Ich schloss die Augen für eine Sekunde und atmete hörbar aus.
»Das waren noch Zeiten…«
»…und sie sind noch nicht vorbei.« beendete er meinen Satz.
Und ganz plötzlich fühlte ich ein Kribbeln in meinen Bauch. Ich verspürte unheimliches Glück und Vorfreude.
Sie sind noch nicht vorbei…
Dieser Satz gefiel mir.
Er weckte fröhliche Erinnerungen in meinen Kopf. Und den Wunsch auf etwas Neues.
Meine Stimmung war so gut, dass ich keinen Zeitdrang mehr fühlte.
Ich klopfte John auf die Schulter.
»Wenn du ihn hast, gib mir bitte Bescheid. Ich habe sogar ein neues Handy.
Vielleicht schreibst du dir die Nummer auf.«
Er sah mich überrascht an und packte nun sein Handy aus um sich die Nummer einzuspeichern.
Er warf mir einen flüchtigen Blick zu, der bedeuten soll, ihm die Nummer zu sagen.
»0172665257. Eigentlich ist das Shadys Handynummer. Aber ich habe nicht vor es ihr wiederzugeben.«
Ich lachte kurz auf und er stimme in mein Lachen mit ein.
Dann gingen wir verschiedene Wege.
Ich lief wieder die Straße rauf, zurück zum Haus.
Suchend griff ich mit einer Hand nach dem Schlüssel in meiner jacke.
Ich sperrte die Tür auf und trat hinein.
Absperren brauchte ich jetzt nicht mehr. Shady würde den unteren Teil des Hauses sowieso nie wieder zu Gesicht bekommen.
Ich fühlte mich in ihrem Haus sehr wohl. Als wäre es mein Eigenes.
Doch irgendein bedrängender Gedanke ließ mich nicht los.
Ein Gefühl machte sich in meiner Magengrube breit, als würde etwas Schlimmes passieren können.
Ihr Mann. Sie hat gesagt, er kommt vermutlich später.
Nur leider habe ich keine genaue Zeitbeschränkung. Er könnte also jederzeit an der Tür stehen…
Dieser Gedanke machte mich krank.
Ich konnte es nicht ertragen, überrascht zu werden.
Wenn er plötzlich vor der Tür steht muss ich handeln.
Nein, ich muss schon vorher handeln. Auch wenn ich nicht weiß wann. Und wie.
Den ganzen Tag vor der Tür zu stehen und nach jemanden Ausschau zu halten, von dem ich nicht einmal weiß wie er aussieht – oder wie er heißt- war sinnlos.
Grübelnd ging ich in die Küche und setzte heißes Wasser auf.
Ich brauchte Ablenkung.
Ich durchsuchte das Regal über mir nach Kaffee.
Als ich mit der Zubereitung meines „Ablenk-Kaffees“ fertig war, nahm ich meine Tasse mit zur Haustüre.
Ich blieb angelehnt an der kalten Wand stehen und sah aus dem Mosaikbesetzen Fenster.
Sollte ich wirklich hier stehen bleiben und warten bis jemand vor der Tür steht?
Ich konnte auch gleich die ganze Umgebung nach ihm absuchen.
Das machte mir genauso wenig Spaß.
Ich nahm einen Schluck von meinem Kaffee und überlegte weiter.
Ich muss doch irgendetwas tun können.
Doch es gab nichts.
Entweder ich verbringe meine Zeit damit, hier zu stehen und zu warten, wie ein Hund auf seinen Besitzer, oder ich machte etwas Sinnvolles aus meiner Zeit.
Wenn er kommt, habe ich genug Zeit ihn aufzuhalten.
Außerdem halte ich es für Ungewöhnlich wenn er selbst eine Waffe besitzt.
Als ich mich entschied, fiel mir Shady ein.
Ich konnte mir mit ihr die Zeit vertreiben.
Ich ging die Treppe hinauf und klopfte sanft an ihrer Tür, während ich meine Tasse noch immer in der rechten Hand hielt.
»Shady!« rief ich.
Doch ich bekam keine Antwort.
Erwartungsvoll öffnete ich die Türe und schloss sie behutsam hinter mir.
Shady saß zusammengekauert in der Ecke ihres Zimmers.
Ihre schwarzen Haare lagen auf ihren Schultern und fielen ihr ins Gesicht.
Sie sah aus wie ein kleines Mädchen, das einen Geist gesehen hatte.
Ich schritt langsam und vorsichtig auf sie zu, als würde ich die Höhle des Löwen betreten.
Doch es gab keine Gefahr.
Ich wusste nicht warum ich zögerte, doch plötzlich erinnerte sie mich an jemanden.
An das Mädchen von „the Ring“.
Wahrscheinlich springt sie mich gleich an.
Ich konnte mir das Lachen nicht verkneifen und verstummte sofort wieder, als sie mich erschrocken anblickte.
Jetzt sah sie nicht mehr wie ein kleines, böses Mädchen aus, sondern wie eine junge Frau. Wie Shady.
Sie stand rasch auf und ihre Haare fielen dabei nach hinten.
Ihr Gesicht war Tränenverschmiert und ihre Augen waren rot gerändert.
»FASS MICH NICHT AN!« stieß sie hervor.
Ich ließ mich nicht davon zurückhalten und ging weiter auf sie zu.
»Shady, ich tu dir nichts. Doch wenn du dich wehrst wird das kein gutes Ende für dich werden.«
Ihre blauen Augen starrten mich voller Entsetzen an.
»NEIN! Lass mich du Mistkerl!«
Ich konnte nicht anders und schlug ihr mitten ins Gesicht, als sie mich wieder so anschrie.
Sie berührte mit der Hand die Stelle, an der ich ihr wehgetan habe.
Ihre Augen füllten sich nun mit Tränen und es hatte den Anschein, als würde sie genau wissen, dass sie verloren war.
Sie stand reglos da. Ihr Blick war trostlos und leer.
Sie hatte aufgegeben.
Besser konnte ich es nicht haben.
Ich streckte eine Hand nach ihr aus und berührte sie sanft an der Wange.
Danach passierte alles so schnell, dass ich nicht mehr handeln konnte.
Sie stieß meine Hand weg, riss mir die Tasse aus meiner rechten Hand und schüttete mir den Kaffee ins Gesicht.
Die Tasse fiel zu Boden und zersprang in Scherben.
Und wie das Zeug brannte!
Ich konnte nichts sehen. Mein Gesicht war von Schmerz verzerrt.
Wie ich befürchtete, ergriff Shady die Flucht und rannte aus dem Zimmer.
Jetzt war ich verloren.
Ich wischte mit meinem Ärmel die Brühe aus meinem Gesicht und rannte so schnell es ging ihr nach.
Doch sie hatte bereits die Haustüre erreicht und war außer Sicht.
Ich stand auf der Straße und sah mich um.
Die Straße schien leer, bis ich an der Kreuzung eine Frau rennen sah.
Das war sie.
Ich rannte so schnell ich kannte los.
Ich werde dich einholen, Schätzchen. Egal wie viel Vorsprung du hast.
Meine Lunge brannte, doch ich gab nicht auf.
Ich musste sie kriegen. Um jeden Preis.
Doch da gab es ein Problem.
Shady war nicht dumm.
Natürlich schrie sie wie am Spieß nach Hilfe.
Ich wusste nicht was ich tun sollte.
Ich konnte nicht stehen bleiben. Sie würde mir entwischen.
Das durfte ich auf keinen Fall zulassen.
Doch wenn tatsächlich jemand zur Hilfe eilen würde, wäre alles aus.
Alles.
Ich ließ also nach und merkte mir die Richtung in die sie lief.
Doch anscheinend hatte sie Glück.
Ein schwarzes Auto fuhr gerade entgegen und hielt an.
Die Tür wurde geöffnet, Shady zeigte aufgeregt in meine Richtung und erklärte dem Fahrer anscheinend die Situation, dann stieg sie dankbar ein.
Ich versteckte mich hinter dem Gebüsch, als der Ford die Straße langsam entlang fuhr und den Weg wahrscheinlich nach mir absuchte.
Ich war so sehr bedacht, nicht entdeckt zu werden, dass ich ganz vergaß mir das Kennzeichen zu merken.
Jetzt war sie weg. Für immer.
»Scheiße!« murmelte ich und zog mich wieder in das Haus zurück.
Wie konnte mir das nur passieren?
Da ist man einmal nachsichtig und schon wird alles auf den Kopf gestellt.
Ich schlug die Tür heftig hinter mir zu und lief den Flur auf und ab.
Ich hatte die Hände in den Nacken gelegt und starrte die Decke beim Hin und hergehen an.
Verdammt! Es war alles so perfekt!
Das hatte ich jetzt davon.
Beim nächsten Mal sperre ich die Türen immer zu.
Wenn es überhaupt ein nächstes Mal gab.
Erschöpft ging ich ins Wohnzimmer, ließ mich aufs Sofa fallen und schlief schließlich ein.
Zwanzig Minuten später wurde ich von „meinem“ Handy aufgeweckt.
Ich richtete mich auf, zog es aus der Hosentasche und schaute auf das Display.
Es zeigte eine Nachricht an.
Erst dachte ich, es wäre uninteressant. Eine Nachricht von Shadys Freunden oder so.
Doch als ich den Namen las war mir ganz anders und das was in der Nachricht stand ließ mich vor Freude grinsen.


5
Ihr Atem ging schnell und hektisch.
Sie war aufgeregt und froh zugleich.
Sie hatte es geschafft. Sie war draußen. Sie war ihm tatsächlich entkommen.
Sie starrte während der Autofahrt aus dem Auto und schenkte dem fremden Retter musternde Blicke.
Er sah gut aus. Er hatte schwarze Haare und ein paar von seinen Strähnen fielen ihm ins Auge, die ihn finster und geheimnisvoll aussehen ließen.
Seine Augen waren dunkelgrün und seine Blicke gezielt und scharf.
»Danke, dass sie mich gerettet haben.« sagte sie.
Er drehte seinen Kopf in ihre Richtung und grinste schief.
»Nichts zu danken.« murmelte er und richtete seinen Blick wieder auf die Straße.
»Können sie mich zur Polizei fahren?«
Er zögerte bis er ihr antwortete.
»Ich weiß nicht. Vielleicht sollten sie sich erst einmal erholen? Wie wär’s wenn ich sie zu mir bringe?«
Ihre Blicke trafen sich und Shady war sprachlos.
Sie musste zur Polizei. Bevor es zu spät war.
Er könnte wieder kommen.
Allerdings wusste sie nicht ob sie in ihrem Haus sicher war.
Schließlich entschied sie sich doch dafür.
»Danke, das ist nett.«
Als sie in eine Straße einbogen, näherten sie sich einem großes Haus.
Sie fuhren in die Einfahrt und der Wagen hielt an.
Shady sah aus dem Fenster und bewunderte das Haus.
Der muss doch reich sein, dachte sie.
»Was ist? Wollen sie nicht aussteigen?«
Der Mann hielt ihr die Tür auf und sah sie erwartungsvoll an.
Verlegen stieg sie aus den Wagen und lief mit ihm zur Haustüre.
Er öffnete die Tür und ließ sie herein.
Ein süßlicher Geruch lag in der Luft und an der Wand über dem schwarzen Schuhschrank hing ein altes Gemälde.
Die Möbel waren sehr luxuriös und aus dunklem Holz.
Sie hatte das Gefühl sich in einem alten Schloss zu befinden.
»Schick.« sagte sie, als sie sich umdrehte und alles genau betrachtete.
Er nickte leicht und lächelte sie an.
»Danke« Seine Augen blitzten und musterten sie.
»Wollen sie mir nicht noch genauer erzählen was passiert ist?«
Sie senkte den Blick und grinste, als sie sich an ihr Glück erinnerte.
»Jemand hat mich in meinem eigenen Haus gefangen gehalten. Er hat mir öfters gedroht mich zu töten. Ich weiß nicht ob er immer noch da ist. Wir sollten die Polizei rufen, ehe er in ein anderes Haus einbricht.«
Ihre Stimme wurde heiser und sie sah ihn hoffnungsvoll an.
Er runzelte die Stirn und bat sie ins Wohnzimmer.
Dann ging er zurück zur Haustüre und sperrte sie zu.
»Vorsichtsmaßnahme« sagte er und lächelte dabei, als er wieder zurück zum Wohnzimmer ging.
»Möchten sie etwas trinken während ich die Polizei verständige?«
»Nein, ich denke es wäre besser wenn ich anrufe. Ich kann ihnen alles erzählen.«
»Nein ist schon gut. Sie sind etwas aufgebracht, außerdem haben sie mir doch bereits alles gesagt. Ich bin also bestens informiert. Lassen sie mich das machen.«
Sein charmantes Lächeln überzeugte sie und sie lehnte sich auf dem schwarzen Ledersofa zurück.
»Wollen sie einen Tequila?«
Sie nickte.
Dann ging er durch einen kleinen Gang in die Küche und zog eine silberne Flasche hervor.
Er nahm dazu ein Glas und eine Scheibe Zitrone, die er auf den Tisch vor ihr stellte und in das Glas einschenkte.
»Ich bin gleich wieder da.«
Er griff nach dem schnurlosen Telefon und verließ das Wohnzimmer.
Shady nippte an ihrem Glas und ging damit durch das Zimmer.
Sie lief an dem großen Flachbildfernseher vorbei und konnte auf dem Bildschirm ihr Spiegelbild sehen.
Große dunkle Schatten lagen unter ihren Augen und ihre Haut sah blass und kränklich aus.
Sie versuchte das Beste daraus zu machen und zupfte ihr Haar zu Recht.
Ich sehe aus, als hätte ich Drogen genommen.
Ihr Blick verfinsterte sich und sie nahm noch einen Schluck von ihrem Tequila.
Immerhin bin ich den Verrückten los.
Ich bin in einer schicken Wohnung von einem fremden Hübschling der mich gerettet hat und jetzt die Polizei ruft. Danach wird alles gut.
Wie in einem Märchen.
Auf einmal vielen ihr gleich mehrere wichtige Sachen ein.
Oh Gott, mein Mann. Ich habe ihn ganz vergessen!
Mein „schöner Retter“ hat mich total abgelenkt.
Verdammt, ich muss ihn sofort anrufen!
Ihre Hand glitt in die Hosentasche. Doch sie fand nichts.
Scheiße! Ich hab doch gar kein Handy mehr!
Sie zuckte zusammen als sie Schritte hörte.
Der Mann stand in der Türschwelle und warf ihr fragende Blicke zu.
»Was ist los? Sie sehen so… fertig aus.«
»Ach nichts Ich… habe mich nur gerade gefragt wie sie heißen?«
»Justin. Justin Bleak«
Sein Blick fiel auf ihr Glas. Und dann wieder zurück auf ihr Gesicht.
»Und sie sind?«
»Shady Patter.«
Er grinste und deutete mit der Hand auf das Sofa, woraufhin sie sich beide hinsetzten.
»Benötigen sie noch etwas?«
»Nein danke.«
»Sind sie verheiratet?«
Shady schaute auf.
»Nein. Und sie?«
Er streckte seine Hand aus und hielt sie ihr hin.
»Kein Ring. Nein ich bin nicht verheiratet.«
Er lachte.
Was hab ich getan?!
Ich habe meinen Mann verschwiegen?
Das ist doch gar nicht meine Art!
Okay ich muss mich konzentrieren.
Lass dich nicht von ihm verführen.
Du BIST verheiratet.
Also benimm dich auch so.
Sie atmete einmal tief ein und beruhigte sich.
Dann trank sie den Rest von ihrem Tequila aus.
Justin brach das peinliche Schweigen mit einem gekünstelten Husten.
»Ehm... die Polizei ist nun verständigt und sie werden sofort aufbrechen.
Das heißt sie werden zu ihrem Haus fahren. Vielleicht sollten wir auch dorthin.
Dann können sie weitere Informationen ergänzen.«
Shady sah erschöpft aus. Ihr Blick richtete sich auf die Türe zwischen Flur und Wohnzimmer.
All die Dinge die sie am heutigen Tag erlebt hat, wiederholten sich wie ein Film in ihrem Kopf.
Wie alles begann. Wie sie dem Fremden erlaubt hat, ihr Haus zu betreten.
Wie er sich nachts in ihr Zimmer geschlichen hatte und was weiß Gott mit ihr angestellt hat.
Und wie er sie schließlich in ihrem Zimmer einsperrte… und wie sie ihm entkommen war.
Plötzlich richtete sie sich auf und sah Justin an.
»Ich will nicht wieder zurück.«
Ihre Angst bestätigte sich, als sie den Satz, den sie die ganze Zeit in ihrem Unterbewusstsein gehört hatte, laut aussprach.
Ihr Magen zog sich zusammen und ihre Hände begannen zu zittern.
Sie konnte nicht zurück.
Nie wieder.
Er könnte dort auf sie warten.
Und selbst wenn die Polizei ihn gefasst hatte und er sicher im Gefängnis wäre.
Sie würde nie wieder auch nur in die Nähe der Haustüre gehen, wenn jemand klingelte.
Es konnte ja immer wieder passieren.
Aber was würde ihr sonst bleiben?
Schließlich konnte sie nicht für immer bei Justin bleiben.
Sie kannte ihn nicht einmal.
Und ihr Mann würde in einer Woche sowieso kommen.
Bis dahin müsste sie es solange alleine aushalten.
Ihre Eingeweide verkrampften sich und sie fühlte sich mit einem Mal so hilflos.
Justin sah verwirrt aus.
»Wir müssen zurück.«
»Was ist, wenn er immer noch da ist?«
»Dann wird die Polizei ihn schnappen und sie sind wieder sicher.«
»Aber… was ist wenn er wieder kommt?«
»Vom Gefängnis?« er sah sie leicht neckend an.
»Ich weiß nicht…«
»Es wird alles gut.«
Er legte sanft einen Arm auf ihre Schulter.
Sie legte den Kopf zurück und sah ihm in die Augen.
»Ich kann mich daheim nicht sicher fühlen. Nichts kann mehr gut werden. Niemand kann mir meine Erinnerungen nehmen.«
»Ich fürchte sie leiden unter einem Schockzustand.«
Er sah sie bemitleidend an und fuhr dann fort.
»Aber sie können sich immer an mich wenden.«
»Danke.« Sie schloss ihre Augen und genoss für einen Moment die Stille die sie umgab.
Dann atmete sie hörbar aus und sah ihn wieder an.
In ihren Blick lag nun Entschlossenheit.
»Also gut. Fahren wir los?«
Justin lächelte und war scheinbar sehr erleichtert.
»Warten sie schon mal an der Haustüre. Ich hole nur schnell etwas. Dann bin ich wieder da.«
Er verließ das Zimmer und Shady befolgte seine Anweisung.
Sie ging zur Haustüre und wunderte sich warum er sie abgeschlossen hatte.
Dann erinnerte sie sich an seine Worte. Vorsichtsmaßnahme hatte er gesagt.
Vielleicht befürchtete er einen ähnlichen Einbruch.
Das kann man ihm auch nicht verübeln. Wer so ein schönes Haus hat, muss es einfach beschützen.
Als sie auf ihn wartete stellte sie sich vor, was sie erwarten könnte.
Sie würde mit Justin zurück zum Haus fahren. Und schon bei der Kreuzung würde sie Polizeiautos stehen sehen.
Aus dem Haus würde Martin mit erhobenen Händen herauskommen und von Polizisten überwältigt werden.
Danach würde sie der Polizei alles erzählen, dem „Entführer“ noch einen finsteren Blick zuwerfen und in einer Woche würde ihr Ehemann wiederkommen und dann wäre alles wieder beim Alten.
Ein Lächeln umspielte ihre wohlgeformten Lippen und hinter ihr kam auch schon Justin mit seiner Lederjacke im Arm auf sie zu.
»Brechen wir auf.« sagte er und grinste dabei.
Er schloss die Tür auf und Shady lief vor zum schwarzen Ford, der in der Einfahrt parkte und nur darauf wartete loszufahren.
Justin ließ sich Zeit als er die Tür wieder schloss.
Er zog etwas aus seiner Tasche.
Er hielt das Handy versteckt und tippte eine Nachricht.
Er schrieb:
Hey Martin.
Falls du immer noch nicht draufgekommen bist.
Ich hab deine Süße.
Sie ist hier.
Ich bringe sie vorbei.
Alles andere klären wir wieder beim Treffpunkt.
Pass gut auf sie auf.
- Johnny -


6
Es ist perfekt. Ich brauche mich um Nichts mehr Sorgen zu machen.
Shady würde in kürzester Zeit wieder hier auftauchen und dann geht es wieder weiter.
Ich werde mich nur noch auf sie konzentrieren und sie nie wieder aus den Augen lassen.
Sie wird mir so schnell nicht mehr entkommen.
Mit John habe ich zuvor allerdings noch etwas zu klären.
Er muss sich schließlich auch an unseren Plan halten.
Ich steckte behutsam das Handy wieder in meine Hosentasche und richtete mich auf.
Mit schläfrigem Blick streifte ich durch das Wohnzimmer raus in den Gang und wartete vor der Haustüre.
Ich konnte es kaum erwarten sie wieder in meiner Hand zu haben.
Sie gehörte mir.
Keine Ahnung für wie lange. Aber auf jeden Fall war sie Mein.
Und sie würde ganz bestimmt auf keine dummen Ideen mehr kommen.
Ich hoffe nur er gibt sie mir unberührt wieder.
Sonst könnte ich aus lauter Eifersucht etwas Dummes anstellen.
Meine Gedanken verschwanden, als ich ein Auto fahren hörte.
Das sind sie.
Shady sah sich wie wild um, als sie sich ihrem Haus näherten.
Doch es waren keine Polizeiautos zu sehen.
Sie warf „Justin“ einen besorgten Blick zu.
»Ich fürchte sie brauchen noch eine Weile.« er grinste sie schief an.
Sie starrte wie gespannt auf die Haustüre und zuckte zusammen als sie Martin aus dem Haus spazieren sah.
Nein, das kann nicht sein.
»Da! Das ist er! Oh mein Gott er ist immer noch da! Helfen sie mir! Drehen sie um!«
John wandte sich langsam zu ihr und sah sie kalt an.
»Keine Angst. Beruhige dich.«
»Beruhigen? Das ist der Typ! Sie müssen etwas machen! Er wird uns noch alle umbringen!«
Vorsichtig griff John nach ihrem Arm und hielt ihn fest.
»Nein das stimmt nicht. Er wird nur dich umbringen.«
Ein bösartiges Grinsen umspielte seine Lippen.
Und erst jetzt verstand sie was vor sich ging.
Shadys Magen drehte sich um.
Ihre Eingeweide verkrampften sich und sie fühlte sich wie ein Tier, das dem Schlachter entgegenläuft, weiß was passieren wird, aber nicht handeln kann.
Panisch schrie sie aus Leibeskräften und schlug wild um sich.
John hielt ihre Hand fester und hielt mit der anderen Hand ihren Mund zu.
Sie wurde aus dem Auto gezerrt und konnte sich keineswegs wehren.
Sie musste mit ansehen wie sie grob gepackt und achtlos zur Haustüre geschleppt wurde.
John hielt mit einer Hand ihre Hände hinter ihrem Rücken fest zusammen und mit der anderen Hand ihren Mund.
Shady sah, wie sie sich Martins Gesicht immer mehr näherte.
Sie versuchte sich zu wehren, sich irgendwie aus Johns Griff zu befreien.
Doch er war zu stark.
Sie sah Martin mit hasserfülltem Gesicht an, als er vor Freude grinste.
Am liebste würde sie ihn töten.
Auf der Stelle.
Das ganze war einfach zu verrückt um wahr zu sein, dachte sie.
Es durfte nicht wahr sein.
Sie beobachtete angewidert wie sich die beiden begrüßten und sie nun rein ließen.
Sie war immer noch bewegungsbeschränkt und musste ihr Gespräch mithören.
»Ich war so verzweifelt. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass du derjenige warst, der sie mitgenommen hat.«
»Hast du nicht mein Nummernschild gesehen? Das hättest du doch erkennen müssen.«
»Leider nein. Ich habe mich versteckt und habe vergessen drauf zu schauen.«
John schüttelte lachend den Kopf.
Shady konnte spüren wie sich sein Körper hin und herbewegte als er lachte.
»Immerhin hast du sie jetzt wieder.«
»Ja…« Martin sah nachdenklich aus. »Ist sie unversehrt?«
»Du meinst ob ich was mit ihr angestellt habe?«
Martin nickte.
»Nein. Sie gehört doch dir.«
»Gut so. Was ist mit Riley?«
Shady spürte hinter ihr, dass John den Kopf senkte.
Sah er sie etwa an?
Mit einem Mal wurde ihr ganz heiß.
Was hatte er vor?
Doch dann löste sich das Gefühl wieder von ihr und er hob den Kopf wieder.
»Ich denke ich weiß wo er sich aufhält. Wenn ich ihn habe, bist du der erste der es erfährt.«
»…und hoffentlich der Einzigste.«
John nickte.
»wir müssen echt aufpassen, von der Polizei nicht erwischt zu werden.«
Shady, die das Gespräch von Anfang an aufmerksam verfolgt hatte, war etwas verwirrt.
Von was redeten sie?
Was haben sie vor?
Und wer ist Riley?
Gab es noch jemanden in ihrer Gruppe, der Leute fesselte und quälte? Was sollte das alles?
Sie erschrak, als sie auf einmal nach vorne geschleudert wurde und gegen etwas Hartes knallte.
Sie sah auf und blickte in Martins Gesicht, der sie breit angrinste und sie fest hielt.
Er lächelte John zu, der zur Haustüre raus ging und sie alleine ließ.
»Hallo Schätzchen.«
Seine Stimme machte ihr Angst.
Er hielt sie fest umklammert und zog sie an sich.
Seine dunklen Augen musterten sie.
Sie biss auf die Unterlippe und schloss die Augen.
Bitte lass mich gehen. Bitte, Bitte…
Sie hatte den großen Wunsch, lieber zu sterben als das hier durchleben zu müssen.
Sie wollte aber nicht von ihm umgebracht werden.
Ihr Blick verschwamm, als sie die Augen kurzzeitig öffnete und ihr schwindelig wurde.
Sie schloss ihre Augen wieder.
»Shady«
Eine sanfte Stimme ertönte und rief ihren Namen.
Sie kannte diese Stimme.
Und als sie auch zuordnen konnte, von wem sie war, spürte sie ein Stechen im Magen.
Ehe sie ihre Augen öffnen konnte, packte sie etwas an den Schultern.
Sie wollte gar nicht hinsehen, doch ihr blieb nicht anderes übrig.
Ängstlich riss sie die Augen auf und sah Martins dunkle Gesichtszüge vor ihr.
»Was willst du von mir?« schrie sie.
Sie wollte nach ihm greifen, ihn schlagen.
Doch irgendetwas Festes umklammerte ihre Handgelenke und hinderte sie daran.
Sie bemerkte etwas Metallisches, Silbernes…
Eine Handschelle.
Zappeln versuchte sie sich irgendwie davon zu befreien.
Doch mehr als dass sie ihre Hände dabei aufschürfte geschah nichts.
Schließlich blieb sie ruhig sitzen.
Sie fragte sich wie lange sie ohnmächtig gewesen sei. Und woher er die Handschellen hatte.
»Du wirst mir so schnell nicht mehr abhauen.« flüsterte er.
»Das werden wir ja sehen.« fauchte Shady.
»Das bezweifle ich. Du wirst immer schön in meiner Nähe bleiben, hast du verstanden?«
Sein Blick war finster und kühl, als er sie zielgerichtet ansah.
Shady brachte den Mund nicht auf.
Sie wusste nicht was sie sagen sollte.
Natürlich hatte sie keine Chance.
Sie war gefesselt.
Sie konnte nichts anstellen, sich nicht wehren.
»Arschloch.« murmelte sie.
»Das habe ich jetzt einfach mal überhört.«
Er griff nach seiner Hosentasche und zog Shadys Handy hervor.
Sie betrachtete es genervt.
»Hey! Gib das her! Das ist meins verdammt!«
Er hielt ihr das Handy hin. Und zog es wieder weg, als sie danach griff.
»Fick dich.« murmelte sie und sah wie er mit ihrem Handy eine Nachricht schrieb.
Er tippte auf die Tasten und sah ab und zu, zu ihr rüber.
»Ich habe mir überlegt Verstärkung zu holen, falls ich wieder weg sein sollte.«
Er grinste schief.
»…damit du nicht so alleine bist.«
Er lachte.
»Warum.«
»Was?«
»Warum machst du das?«
Wieder lachte er.
Hätte sie keine Handschellen, hätte sie ihn mit Sicherheit geschlagen.
Moment mal, die Handschellen können durchaus auch nützlich sein.
Wenn ich nah genug dran bin, kann ich ihm das Metall in die Fresse schlagen.
Jetzt lachte auch sie.
Sie hatte durchaus Chancen.
Doch im Moment war es der falsche Zeitpunkt.
Er ignorierte ihre Frage und fuhr fort.
»John hast du ja schon kennen gelernt. Er wird dir morgen Gesellschaft leisten.«
In ihren Augen spiegelte sich Furcht.
Sie wusste nicht wer schlimmer war. Martin oder der angebliche „Justin“.
John wird mir nichts antun. Denn ich bin ja Martins Eigentum.
Und John ist wesentlich attraktiver.
Aber das ist keinesfalls ein Vorteil.
Es ist erst Dienstag.
Mein Mann kommt erst am Sonntag wieder.
Werde ich es bis dahin überleben?
Ich muss durchhalten.
Plötzlich spürte sie etwas Kaltes auf ihrer Wange.
Sie schrak zurück und Martin zog ruckartig seine Hand wieder zurück.
»Doch nicht so schüchtern, Shady.«
Er grinste.
»Fass mich noch einmal an und ich schwöre dir es wird das letzte Mal sein!«
»Wie willst du das denn anstellen? Hast du psychokinesische Kräfte?«
Er deutete mit einer Hand auf ihre gefesselten Hände.
Shady schnaubte verächtlich.
»Hab ich es doch gewusst.«
Er lachte und ließ sie auf dem Sofa allein, indem er aus dem Zimmer ging.
Der Raum legte sich mit der Zeit in Dunkelheit und sie konnte sich denken wie spät es war.
Es war sinnlos den Versuch zu wagen aufzustehen.
Also blieb sie liegen und versuchte zu schlafen.
Auch wenn ihr klar war, dass, wenn sie schlafen würde, sie höchstwahrscheinlich vergewaltigt wird.
Sie konnte sich schließlich nicht bewegen.
Allerdings hätte er immer die Möglichkeit
Flatternd fielen ihre Augen zu und alles um sie herum verschwand.


Der zweite Tag



Das Metall ihrer Handschelle bohrte sich in ihre Wange, da sie ihren Kopf auf ihre Hände legte.
Der Schmerz weckte sie auf.
Sie sah sich verwirrt in ihrem Wohnzimmer um und versuchte aufzustehen.
Wegen ihren Handschellen konnte sie ihr Gewicht nicht halten und kippte zur Seite um.
Stöhnend rappelte sie sich auf und schwankte durch das Haus.
Keiner war da.
Sie war ganz alleine.
Erleichterung stieg in ihr auf.
Sie ging aus dem Wohnzimmer und stieg langsam und vorsichtig die Treppenstufen hinauf.
Auch keiner.
Hatte Martin nicht gesagt, er holt John damit ich nicht so alleine bin?
Wenn keiner hier ist, ist’s auch gut.
Sie durchsuchte ihr Schlafzimmer nach einem Gegenstand, mit dem sie ihre Schellen öffnen konnte.
Ihre zusammengebundenen Hände öffneten gerade den Schub ihres Nachtkästchens, als sie ein lautes Geräusch hörte.
Shit!
Schnell schloss sie es wieder und rannte so schnell sie konnte die Treppe hinunter.
Sie musste einfach wissen was passiert, auch wenn es vermutlich die schlechteste Idee war, direkt vor der Haustüre stehen zu bleiben.
Gespannt wartete sie auf eine Regung der Tür.
Vor Aufregung hielt sie den Atem an und vernahm das Ticken der Uhr über ihr.
Es machte sie wahnsinnig.
Das Ticken schien so laut zu sein, dass sie nicht mitbekommen würde, wenn die Tür aufgesperrt wird.
Sie lehnte sich dagegen und lauschte.
Nichts.
Sie kam sich vor, als wäre sie kurz vorm Durchdrehen.
Langsam ging sie zurück zum Wohnzimmer und ließ sich auf dem Sofa nieder.
Sie hatte die Haustüre die ganze Zeit in Blick.
Wenn jemand kommt, sehe ich es.
Die Frage ist nur was ich dann mache.
Die nächsten Minuten vergingen wie im Sekundentakt.
Als die Tür sich öffnete und Shady einem Schweißausbruch nahe stand, betrat John das Haus.
Er blickte sie leicht verwundert an.
Wahrscheinlich fragte er sich, wieso sie immer noch am Leben war.
Shady verspürte große Angst, Hilflosigkeit und Verzweiflung.
Doch ihre Augen sagten etwas anderes.
Ihr Blick war kalt und finster.
John ging auf sie zu und schenkte ihrem Ausdruck keinerlei Beachtung.
Ohne Worte stellte er sich vor sie.
Er wird mir nichts tun…
Das hat er Martin versprochen, und somit auch mir.
Er beugte sich langsam über sie. Shady versuchte ihn wegzustoßen, doch ohne ihre Hände konnte sie nicht viel anrichten.
Er drückte mit seinem Gewicht ihre Beine gegen das Sofa.
Sie konnte nichts anderes tun als zu hoffen, dass Martin kommt und sie erwischt.
Er wäre nicht sehr erfreut darüber.
John hielt ihre gefesselten Hände nach oben, damit sie ihn nicht behinderten.
Dann drängte er seinen Kopf gegen ihren und glitt mit seinen Händen unter ihr Shirt.
Als er gerade dabei war den Verschluss ihres BHs zu öffnen, schlug sie so hart sie konnte ihre Hände auf seinen Kopf.
Das Metall der Handschellen knallte gegen seine Stirn.
Blut lief sein Gesicht herunter und Shady löste sich aus seinem Griff.
Sie lief so schnell sie konnte die Treppen hoch.
Jetzt war alles aus.
Sie konnte nirgendshin, wo er nicht auch hin konnte.
In den Schlössern der Türen waren keine Schlüssel zu finden, womit sie sich einsperren hätte können.
Ihr blieb nichts anderes übrig, als sich zu verstecken.
Sie rannte in ihr Schlafzimmer.
Keine Chance. Es sei denn sie wollte ein Risiko eingehen und unter die Decke krabbeln.
Sie ging wieder raus in den Flur und erschrak, als sie ein lautes Krachen hörte.
Er befand sich auf der Treppe.
Gleich würde er kommen, dachte sie.
Ohne zu Zögern rannte sie in das Badezimmer.
Sie wirbelte herum und suchte ein passendes Versteck.
Doch sie konnte sich wohl schlecht in der Dusche verstecken. Das Glas war durchsichtig und selbst wenn sie ein paar Handtücher darüber schmeißen würde, würde er es erstrecht merken und in der kleinen Kabine hätte sie keine Fluchtmöglichkeiten.
Plötzlich wurde die Tür mit einem heftigen Stoß geöffnet.
Shady handelte schnell. Sie schlug mit aller Kraft gegen den Badezimmerspiegel.
Scherben flogen ihr ins Gesicht und schlugen mit einem lauten Klirren auf den Boden auf.
Ihre Hände schmerzten so sehr, als wären sie in sehr heißes Wasser getaucht.
Irgendetwas Flüssiges lief ihren Handrücken hinunter.
Sie konnte einen flüchtigen Blick erhaschen und sah die geöffnete Handschelle und ihre von Blut verschmierten Hände.
Ohne Zeit zu verlieren nahm sie eine etwas größere Scherbe, die ins Waschbecken gefallen war und warf sie auf John.
Er reagierte sehr schnell und sprang nach rechts.
Die Scherbe verfehlte ihn allerdings keineswegs.
Sie erwischte ihn am Bein.
Ein Stück der blutgetränkten Scherbe ragte aus seiner Jeans.
Er schrie wie am Spieß.
Shady griff so schnell nach einer weiteren Scherbe, dass sie sich selbst daran schnitt.
Stöhnend warf sie diese ebenfalls nach ihm.
Diesmal erwischte sie ihn an der Schulter.
Er fiel auf die Knie und versuchte die Scherben aus seinen Wunden zu zerren.
Shady hatte selbst viele Schmerzen und Wunden, doch sie konnte jetzt nicht aufgeben.
Er musste sterben.
Entweder jetzt oder nie, war ihr Motto.
Und daran hielt sie sich auch.
Doch bevor sie nach einer weiteren Scherbe greifen konnte, kroch John mit Schmerzenschreien davon.
Er hatte wahrscheinlich Angst wieder getroffen zu werden.
Sie rannte ihm mit der Scherbe in der Hand nach.
Doch er war schon verschwunden.
So weit kann er doch gar nicht gekommen sein.
Er ist auf allen Vieren gekrochen.
Oder auch nicht.
Sie sah sich überall nach ihm um.
Doch sie fand ihn nicht.
Dann ging sie vorsichtig zur Treppe und spähte hinunter.
Es waren keine Blutspuren zu sehen.
Also muss er noch oben sein.
Auf einmal hörte sie ein lautes Poltern.
Sie drehte sich reflexartig um.
John stand ihr mit einer großen, schweren Vase gegenüber.
Er hielt sie über seinen Kopf.
Sein Hemd war verschwitzt und an seiner rechten Schulter lugte noch ein Stück der Scherbe hervor.
Er hatte sicherlich versucht sie heraus zuziehen.
An seinem Bein war es ihm gelungen.
In dem Loch in seiner Hose unterhalb des linken Knies floss das Blut hinunter.
Shady starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an.
Dann warf er die Vase mit Schwung auf sie.
Kreischend wich Shady ihr aus und fiel zu Boden. Sie sah im Augenwinkel wie sie sie nur knapp verfehlte.
Sie zerbrach mit einem fürchterlichen Knall neben ihr.
Shady rappelte sich auf und rannte die Treppe hinunter.
Sie wusste nicht wohin, doch ihr Instinkt riet ihr schnell weg von hier!
Er rannte ihr, trotz seiner schweren Verletzungen nach.
Und als sie gerade an der Haustüre vorbei rannte, knallte die geöffnete Tür gegen ihren Rücken.
Sie fiel der Länge nach um und blieb mit dem Gesicht zum Boden liegen.
Der Schmerz zog sich den kompletten Rücken entlang bis hin zu ihrem Kopf.
Das kann jetzt nicht wahr sein, dachte sie, als sie Martin das Haus betreten sah.
Er schien überrascht zu sein, Shady am Boden liegen zu sehen.
Er beugte sich über sie und wechselte nun die Blicke von ihr zur Tür, die sie erwischt hatte.
»Oh das tut mir Leid, ich wusste nicht, dass du da standest… oder was auch immer du gemacht hast«
Seine Stimme wirkte ironisch.
Sie krümmte sich vor Schmerzen und versuchte sich auf den Rücken zu legen, um ihn in die Augen zu sehen.
Doch es schien unmöglich. Der Schmerz war zu groß.
Sie konnte zwar nicht sehen, was sich um sie herum abspielte, aber sie konnte alles hören.
Martin bemerkte John, der nun ebenfalls auf den Boden kroch.
Die Treppen hatten ihn vermutlich jede Kraft geraubt.
Er war nur ein paar Zentimeter von ihr entfernt.
Martin blickte ihn mürrisch an und half ihm dann endlich hoch.
Shady konnte Johns schmerzvolles Seufzen hören.
»Was zum Teufel ist hier passiert?«
Martins Stimme klang ärgerlich.
»Dieses… Miststück. Ich werde sie töten!«
John schnaufte und konnte kaum sprechen.
Doch seine Aussage war trotzdem klar zu hören.
Shady stützte ihre Hände auf den Boden auf.
Sie waren immer noch von Blut verschmiert und schmerzten.
Aber immerhin hatte sie keine Handschellen mehr.
Das Blut rinn ihren Handrücken hinunter und zeichnete sich auf den Boden ab.
Sie schluchzte und schrie.
Martin sah sie für einen Moment an. Dann wandte er sich wieder John zu.
»Kann man euch zwei nicht einmal alleine lassen, ohne dass es hier wie ein Schlachthaus aussieht? Ich sagte doch du sollst sie nicht töten! Und du sollst sie auch nicht verwunden!«
»Sie hat sich selbst verletzt!«
»Das ist mir egal. Du wirst jetzt gehen und erstmal die Sache mit deinem Riley klären. Bei Shady hast du dich nicht mehr einzumischen. Wäre ich nicht rechtzeitig gekommen, wäre alles umsonst gewesen.«
Genervt wandte er sich wieder Shady zu.
Sie hörte wie die Haustüre ins Schloss fiel.
John war gegangen.
Der Schmerz ließ langsam nach und sie versuchte aufzustehen.
Sie verzerrte unbewusst das Gesicht als sie ihr Gewicht auf den Oberkörper verlagerte.
Martin ließ sich vor ihr nieder und sah ihr ins Gesicht.
Sie keuchte. Ihre Augen leuchteten gefährlich wütend.
Er schüttelte lachend den Kopf.
Dann verfinsterte sich seine Mine wieder und er griff nach ihrem Arm um sie hochzuziehen.
»Wie ich sehe, kommst du auch gut mit Handschellen aus.«
Er drückte dabei fest ihren Arm.
»Also werde ich dich jetzt immer strengstens beobachten. Du gehst nirgends hin, wo ich nicht auch bin. Verstanden?«
Sein stechender Blick traf ihren.
Sie senkte den Kopf und keuchte immer noch heftig.
Sie brauchte erst einmal Erholung. Sie brauchte einen Ort ganz für sich alleine. Es wäre ihr ganz egal, wenn Martin sie mit Kameras überwachen würde.
Hauptsache sie ist alleine.
Sie musste nachdenken. Sie musste das alles irgendwie verarbeiten.
Doch er würde sie nie wieder aus den Augen lassen.
Das bereitete ihr Magenschmerzen.
John lief wutentbrannt zu seinem schwarzen Ford, der vor dem Haus parkte.
Mit Wucht riss er die Tür auf und stieg ein.
Er würde am liebsten wieder aussteigen und sich Shady schnappen. Und Martin gleich mit dazu.
Martin. Er hatte ihm gar nichts zu sagen. Er war nur ein egoistischer, eifersüchtiger Vollidiot, der sich aufspielen wollte.
Als er den Motor anließ, warf er einen flüchtigen Blick in den Rückspiegel.
In seinen Gedanken wiederholten sich immer und immer wieder Martins Worte, während er durch den Spiegel auf die Haustüre starrte.
Tz, als ob das so einfach wäre jemanden zu suchen der seit Tagen auf der Flucht ist.
Riley kann überall sein. Es ist unmöglich ihn zu finden.
Doch bei Martin sieht die Welt ja immer ganz anders aus.
Er bog nach links ab und fuhr langsam die Straße entlang. Dabei achtete er konzentriert auf die Umgebung.
Vielleicht läuft er mir ja zufällig über den Weg. Haha.
Er betrachtete beim Vorbeifahren die Fußgänger auf der rechten Seite.
Kein Riley. Nur alte Frauen, die mit ihren Enkelkindern unterwegs waren. Kleine Kinder, die versuchten ihren davonrennenden Hund einzufangen.
Knutschende Pärchen auf den Bänken. Und aufgeregte Frauen vor den Schaufenstern.
Aber kein Riley.
Als würde er lebenslustig durch die Stadt laufen und hoffen nicht gesehen zu werden.
Lächerlich.
Wahrscheinlich hat er sich irgendwo einen Unterschlupf gesucht.
Zurück nach Hause kann er nicht sein.
Er kennt sich hier nicht aus.
Als ich ihn entführt habe, habe ich darauf geachtet.
Anders als Martin, der in die Häuser seiner Opfer eindringt und auch dort bleibt.
Ich finde dass ziemlich dumm von ihm.
Als würde niemandem auffallen, wenn seit Tagen keine Shady aus dem Haus geht.
Irgendwann wird es auffliegen. Da bin ich mir ganz sicher.
Die Frage ist nicht ob es passiert, sondern wann.
Er bog in eine Einbahnstraße ein und fuhr zurück zu seinem Haus.
Entschlossen stieg er aus und lief den, mit Blumen bewachsenen Weg zu seiner Haustüre entlang.
Als er die Tür hinter sich schloss, warf er den Hausschlüssel verachtend in die Ecke.
Er ging ins Wohnzimmer und ließ sich auf die schwarze Ledercouch fallen.
Er breitete die Arme aus und seufzte schwer.
Wie sehr würde er sich freuen in den normalen Alltag zurückzukehren.
Sein Gesicht verzerrte sich, als hätte er eine Idee.
Und die hatte er auch.
Ruckartig zog er sein Handy aus der Hosentasche und wählte die Nummer von Martin.
Der Anruf ein paar Sekunden später entgegengenommen.
»Martin? Ich steig aus.«
Er konnte nur lautes Atmen vernehmen, eine lachende, hüstelnde Stimme antwortete ihm.
»Du willst mich verarschen. Das kann doch nur ein Witz sein!«
»Hör ich mich so an, als würde ich scherzen?«
Eine lange Pause trat ein.
»Okay. Dann überbring mir Riley, ich beende das.«
»Du kannst Riley selbst suchen, wenn es dir Spaß macht!«
»Wenn du ihn mir nicht bringst, endest du bald genauso wie sie.«
»Meinst du also? Tja, weißt du, Shady ist süß. Pass auf, dass ich sie dir nicht wegschnappe. Dann ist deine ganze beschissene Arbeit umsonst!«
Johns Mundwinkel zogen sich krampfhaft nach unten und er legte auf.

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Tag der Veröffentlichung: 01.12.2011

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