„Jan?“
Keine Antwort.
„Jan, tust du mir einen Gefallen?“
„Nein.“
„Sag bitte Mama, wenn sie nach Hause kommt, ich bin kurz weg. Patronen für meinen Füller kaufen.“
„Nein.“
„Dann gib mir eine von deinen.“
„Nein.“
„Gut. Mach` den Fernseher an, hol` dir `ne Tüte Chips, mach`s dir auf der Couch gemütlich und beweg` dich nicht vom Fleck – bis morgen früh.“
„Nein.“
Mein Bruder schlägt sich mit einer Phase herum – hoffe ich jedenfalls. Er steckt mitten in der Pubertät. Zu allem und jedem muss er „Nein“ sagen. Aus Trotz.
Wenn man ihn aber fragt: „Was sagst du denn eigentlich zu der Klimakatastrophe und ihren Auswirkungen auf die Fauna in Afrika, wo die seltene Riesen-Steppen-Libelle gerade gegen das sich ausbreitende Aussterben dieser Tierart kämpft? Und was hälst du von der internationalen Weltwirtschaftspolitik?“
Dann kommt nur ein schnödes: „Hä?“
Was soll das? Ich meine, macht er das nur, um mich zu ärgern? War ich damals genauso schlimm?
Die Pubertät ist eine blöde Erfindung. Obwohl…
Für die meisten ist es nur eine Phase, bei mir war es damals erst die Vorstufe. Mit meinem ersten patzigen „Nein“, bin ich auch zum ersten Mal aus der Reihe getanzt…und danach meinen Eltern auf der Nase herum.
Jetzt schwimme ich immer noch gegen den Strom, aber im positiven Sinne. Ich schade niemandem mehr damit.
Schon immer war ich anders als andere. Schon früher stand ich morgens länger vor dem Kleiderschrank, als der Rest meiner Familie. Mit meiner Kleidung drückte ich mich aus. Ich folgte keinen Stylecodes oder Must-have-Trends. Damit, dass meine Experimente manchmal ein Griff ins Klo – oder hier besser in die Altkleidersammlung – waren, musste ich leben.
Außerdem hatte ich schon damals sehr spezielle Hobbys; das Lesen von „sooo fetten Wälzern“ – wie meine Freunde immer sagten – zum Beispiel. Ich interessierte mich nicht für Alkohol oder exzessive Partys wie der Rest meiner Altersgenossen.
Von allen Seiten bekam ich zu hören, dass ich anders sei, dass ich flussaufwärts schwämme. Und wissen Sie was? Ich fühle mich gut dabei. Wer will schon sein wie jeder andere? Wer will Durchschnitt sein? Selbst die, die das nicht stören würde und die sich deshalb auch nicht darum kümmern, die sich nicht die Mühe machen umzukehren und der Masse entgegenzulaufen, selbst die lehnen sich auf – sie merken es nur nicht. Niemand kommt durchs Leben, wenn er/sie immer nur zu allem „Ja und Amen“ sagt. Diese „Ich-mache-keinen-Ärger-dann-bekomme-ich-auch-keinen-Ärger“-Menschen haben kein Ziel, denke ich. Höchstens ist es ihr Ziel auf dem Weg in den Himmel so wenig Pausen wie möglich zu machen. Sie denken, dass es im Himmel sowieso am schönsten ist. Wozu sich dann lange an irdischen Problemen aufhalten? Später zählt das alles nicht mehr.
Menschen wie ich verfolgen sehr wohl ein Ziel. Wir wollen auf unserem Weg Spaß haben und so viel wie möglich mitnehmen von den Plätzen, die wir besuchen. Wir wollen den anderen zeigen, wie toll es ist, sein Leben zu leben, als gäbe es kein nächstes mehr. Denn wer weiß das schon…
Also. Auffallen. Um jeden Preis.
Niemand würde gegen den Strom schwimmen, wenn er nicht damit beabsichtigt, es allen zu zeigen.
„Schaut her! Ich bin anders. Und mir gefällt`s!“
Dabei drückt sich das bei jedem anders aus.
Ich suche meine Ausdrucksform in der Mode, andere haben ernstere Ziele: Sie wollen Veränderung, Bewegung, Mitbestimmung und engagieren sich in der Politik.
Dann gibt es noch die Sorte „Frust“. Hierzu gehören meistens die Ehefrauen reicher Millionäre, die sich lieber einmal zu oft als zu wenig unters Messer legen, um ihre jugendliche Schönheit zu wahren und um neben ihren Männern nicht total unterzugehen. Frei nach dem Motto: „Wer hat, der hat.“
Oder schalten Sie doch nur einmal den Fernseher ein; da finden Sie nur Leute, die gegen den Strom schwimmen. Klar, sonst würde sich das ja auch keiner freiwillig ansehen, wenn bei schon längst ausgelutschten TV-Formaten wie „Deutschland sucht den Superstar“ und „Der Bachelor“ die Kandidaten ihr Innerstes nach außen kehren. Auch wenn diese nur ein bisschen Ruhm suchen und einmal im Medienrummel und Blitzlichtgewitter stehen wollen, so findet der normale Durchschnittsmensch hier den Ausgleich. Er beruhigt sich: „Dann bin ich eben normaler als normal, aber so wie die will ich nicht enden.“ So schließt sich der Kreis wieder und am Ende ist es gut, dass es solche und solche gibt.
Es kann sein, dass man am Anfang ausgelacht wird. Ich habe das durch.
„Bücher schreiben? Lern` erst einmal etwas Anständiges.“
„Modejournalistin? Da muss man sich richtig auskennen.“
Und tatsächlich…Wenn ich heute auf alten Fotos sehe, wie ich damals vor die Tür gegangen bin: die ausgewaschene Lieblingsjeans zu dem verranzten Pulli aus Omas Dachboden-Schatzkiste, dazu Ohrringe bis zum Boden und Schuhe, die nicht einmal Kai Ebel tragen würde. Trotzdem bin ich drangeblieben. Und heute? Heute bekommen ich Komplimente. Von Menschen, die mir sagen: „Ich bin ein Fan deiner Geschichten“ und „Ich kaufe einmal dein erstes Buch“.
Es lohnt sich auf sich zu vertrauen. Glauben Sie mir.
Später frage ich meinen Bruder, ob ich ihm einen Gefallen tun kann.
Texte: Die Rechte an diesem Texte liegen allein bei der Autorin, Anja Zimmermann.
Tag der Veröffentlichung: 05.01.2013
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