Seite 6 Die ersten Jahre bis zur Konfirmation
Seite 27 Fortbildung zum Volksschullehrer
Seite 32 Warten auf den Räumungsbefehl
Seite 35 Abtransport ins Gefangenenlager
Seite 38 In Danzig den Sowjets entkommen
Die ersten Jahre bis zur Konfirmation
Unsere Kindheit wurde stark geprägt durch die Kriegsereignisse. Unser Vater wurde zum Beginn des Krieges zum Militär eingezogen - ins Pionierbatalion, wie es damals hieß. Nach einigen Wochen durfte er aber wieder nach Hause kommen, weil er in einem „lebenswichtigen Betrieb“ arbeitete. So hatten wir ihn wieder bis zum Ende des Krieges, als er abermals einberufen wurde. Wir, das waren unsere Mama, unsere Oma mütterlicherseits, meine Schwester Margot, mein Bruder Karl und ich, die zurückblieben und sich auf die Flucht mit Pferd und Wagen vorbereiten mussten. Das heißt: Ich selbst war zur Zeit der Einberufung unseres Vaters noch im Internat in Köslin und wurde postwendend nach Hause geholt, vielleicht weil unsere Mama in der schweren Zeit wenigstens ihre Kinder alle um sich haben wollte.
Hungern mussten wir nicht während des Krieges, da wir Selbstversorger waren; aber die Angst vor dem Ungewissen war doch immer im Bauch.
Am 12.8.1930 kam ich auf die Welt. Meine Wiege stand – wie auch die meines Bruders Karl - in dem kleinen pommerschen Dörfchen Tangen in einer kleinen Kate mit Strohdach. Meine Großeltern väterlicherseits wohnten in diesem Hause, bis sie auch in unser Dorf nach Großtuchen zogen. Ein Bruchstück von Erinnerung aus dieser Zeit, als wir unsere Großeltern noch in Tangen besuchten, habe ich noch. Und zwar ging man von der Haustür aus gleich in die Küche auf den Herd mit offenem Feuer zu. Darüber war der Rauchabzug zum Schornstein. Die Stube war nicht sehr hell. Durch eine Klappe im Fußboden ging es über eine Leiter in den Keller.
Mein Bruder Karl und ich mit unsern Eltern; Mama war in anderen Umständen. (Auf Seite 7)
Unser Vater hatte zwei Brüder: Onkel Karl; der wohnte in Berlin, und Onkel Paul; der wohnte in Lünen an der Lippe. Unsere Mama hatte einen Bruder, den Onkel Gerhard. Er und Tante Else, seine Frau, kauften anno 1932 in Großtuchen 60 Morgen Land, und unsere Eltern kauften 50 Morgen Land. Dazu baute sich jeder ein kleines Haus. Die Stallgebäude und die Scheune waren noch vorhanden. In diesem Hause wurde Margot geboren, als ich gerade vier Jahre alt geworden war. Und an diese Zeit, bzw. folgende Begebenheit kann ich mich erinnern: Ich stand hinter dem Stagetenzaun im Garten unter dem Schneeballbaum, der auf dem Rückdeckel(geknipst 1976, als Karl zum ersten Mal dort einreisen durfte) sein erstes Grün zeigt. Die Hebamme mit ihrem Behandlungskoffer kommt aus der Tür heraus und sagt, sie müsste Margot wieder mitnehmen, sie sei in diesem Koffer.
v.l.n.r. Karl, Margot, Helmut (ich)
Etwa um diese Zeit war ich sehr erpicht darauf, in den Kindergarten zu kommen, der in unserer Nachbarschaft eingerichtet wurde. Unsere Eltern waren dagegen. Weil ich aber nicht aufhörte, darum zu betteln, durfte ich mal hingehen, um nach einem Platz für mich zu fragen. Das war eine komplette Niederlage. Die Kindergärtnerin legte mir ein Aufnahmeformular vor, das ich unterschreiben sollte. Ich konnte zwar meinen Namen sagen und dass ich schon vier Jahre alt bin, aber unterschreiben konnte nicht. So trat ich also mit einem sauren Gesicht meinen Heimweg an. Irgendwie muss ich da dann doch noch hingekommen sein, denn ich habe noch sehr in Erinnerung, dass wir uns zum Mittagsschlaf hinlegen mussten,was mir gar nicht gefiel. Im Frühjahr 1936, noch nicht sechsjährig, wurde ich eingeschult. Aus dieser Zeit habe ich schon mehr im Gedächtnis behalten. Eines Tages kam ich weinend nach Hause, weil ich zwar schon lesen, aber kein Wort schreiben konnte; und eben das hatten wir als Hausarbeit auf. Unsere Mama hat mir das dann erklärt. Im Ranzen hatte ich eine Schiefertafel, an der mit einem Bindfaden ein nasser Gummischwamm zum Löschen des Aufgezeichneten und ein trockener Stofflappen zum Trockenwischen angebunden war.
Das erste und das zweite Schuljahr war in einem Klassenraum untergebracht. Der Lehrer hieß Kremas. Ich weiß nun nicht, ob es noch im ersten oder schon im zweiten Schuljahr war. Jedenfalls saß ich schon ziemlich weit hinten. Es kann also schon im zweiten Schuljahr gewesen sein, als ich beim Lesen einen Selbstlaut, nämlich das „e“ immer lang, anstatt kurz ausgesprochen hatte bei einer Redewendung wie z.B.: „ Sie ging weg.“ Beim zweiten oder dritten Mal bekam ich von Herrn Kremas eine schallende Ohrfeige. Das dritte und vierte Schuljahr war ebenfalls in einem Raum untergebracht. Dieser Lehrer hieß Maus. Nachdem ich ein knappes halbes Jahr schon im vierten Schuljahr war, begann der Krieg, und Herr Kremas wurde zur Wehrmacht eingezogen. Eines Tages, es war aber noch im September 1939, wir waren alle draußen auf dem Schulhof, kam der Schulleiter Herr Wotschke aufgeregt zur Tür heraus und flüsterte Herrn Maus, der auf der Treppe stand, zu, dass Herr Kremas gefallen sei. Das hatte der kleine Helmut aber mitbekommen. Gefallen – das heißt also mausetot. Und was dachte Helmut sich im Stillen dabei? Hatte er Mitleid? Herr Kremas möge ihm das verzeihen. Helmut zog daraus sein Resümee: „Dieser Mann kann mir keine Ohrfeige mehr geben.“
Von Ostern 1940 bis Ostern 1944 war ich in Herrn Wotschke´s Klasse.Hier waren die Schuljahre fünf bis acht untergebracht. Was den angehenden Schulabgängern vermittelt wurde, bekam ich als Zehnjähriger also auch schon mit. Oder wenn die Großen ihre Gedichte vortragen mussten, hörten wir in den vorderen Bänken natürlich alles mit, obwohl wir malen, rechnen oder von der großen Tafel etwas abschreiben mussten. Das Lied von der Glocke z.B. ging mir schon in Fleisch und Blut über.
Unsern Hof sollte Karl mal übernehmen, weil er kräftiger gebaut war, als ich. Dabei liebte ich die Feldarbeit über alles, jedenfalls mehr als Karl damals. Mein Vater bemühte sich, mich von diesem Wunsch abzubringen. Er versuchte immer wieder mich von den Privilegien eines Dorfschullehrers zu überzeugen. Sein Lehrer in Tangen hatte eine Kuh und Gänse und Hühner und ein kleines Stück Ackerland, das er bewirtschaftete. Im Ernteeinsatz waren immer genug Schüler zur Stelle, die ihn unterstützten.
Wir mussten Dung streuen. Unser Vater fuhr den Dung raus; wir beide standen schon draußen und stürzten uns dann auf die Haufen, die unser Papa ab lud. Wenn er mit der nächsten Fuhre kam, hatten wir alles schön gleichmäßig auf dem Acker verteilt. Karl verspürte anscheinend nicht viel Lust zu dieser stupiden Tätigkeit und bot mir einen Deal an: Wenn ich seine Reihe mit verstreuen würde, bekäme ich seine Dose mit Ostereiern, die schon ein halbes Jahr auf Oma`s Schrank stand. Jeder hatte so eine Dose mit Süßigkeiten zum Osterfest bekommen. Aber meine war nach einigen Tagen schon leer. So bin ich auf das Angebot eingegangen.
Dieser Dung wurde dann umgepflügt, und im nächsten Frühjahr wurden auf diesem Feld entweder Kartoffeln, Runkeln (Futterrüben) oder Wrucken (Steckrüben) angepflanzt. Diese sogenannten Hackfrüchte bekamen immer frischen Dung in die Erde im Jahr davor, nachdem das Getreide abgeerntet war. Also im ersten Jahr nach der Düngung kamen Kartoffeln oder Rüben rein, im zweiten und dritten Jahr dann Getreide oder Klee, auch Seradella. Seradella, glaube ich, ist auch eine Kleesorte, die auf leichtem, sogar sandigem Boden wächst. Wir haben den später gar nicht mehr angebaut, weil der als Futter auch nicht sehr nahrhaft ist. Er hat dünne rankige Stiele mit winzigen Blättern dran. Auf dem Dachboden über dem Schweinestall lag reif geerntete Seradella , die Papa immer noch ausdreschen wollte, wenn er mal Zeit hat. Und zwar wollte er das mit dem Dreschflegel machen, weil es nicht lohnte, dafür die Dreschmaschine von Onkel Gerhard rauf zu holen. Die hatten wir mit Onkel Gerhard gemeinsam. Und zu unserem Hof ging es bergauf, und wir hatten nur ein Pferd, während Onkel Gerhard zwei Pferde hatte. Das konnte ich auch nie verstehen, dass sie das nicht umgekehrt machten, nämlich dass wir mit einem Pferd die Maschine runter bringen und Onkel Gerhard mit seinen beiden Stuten die schwierigere Strecke aufwärts übernimmt. Überhaupt, meine ich, hätte doch so viel Nachbarschaft drin sein müssen, dass der, der das stärkere Gespann hat, die schwere Dreschmaschine bewegt. So war es jedes Mal ein aufregender Akt, wenn unser „Fuchs“ mit Anlauf und Galopp den Berg hochjagte. Aus dieser Maschine kam aber noch längst nicht das reine Getreide raus. Mit einer handbetriebenen Maschine wurde darnach die Spreu von den Körnern getrennt. Stundenlang habe ich diese große Kurbel gedreht, die ein Gebläse in Gang setzte, während diese zerbröckelten Ähren durch übereinanderliegende Siebe geschüttelt wurden. Und meine Gedanken wanderten durch die weite Welt. Und unser Vater schaufelte und schaufelte. Unterhalten konnte man sich nicht dabei. Die Maschine klapperte sehr laut. Und gestaubt hat es! Wenn man ins Taschentuch schnupfte, war es ziemlich schwarz. An den Augenbrauen hing auch der Staub. Aber die Armmuskeln waren gut trainiert.
So hätten wir also auch die Seradellasaat gewonnen. Nur für den Fall hatte Papa die Seradella aufgehoben. Das Dreschen mit dem Flegel habe ich einmal zu sehen gekriegt, als unsere Eltern in gleichmäßigem Takte auf die Ähren eindroschen. Auf die Tenne wurden die Garben gelegt und dann die ausgeklopften Körner samt dem Kaff (samt der Spreu) durch die eben beschriebene Reinigungsmaschine geschüttelt.
Wenn ich nicht irre, hat Papa auch, zumindest mal versuchsweise, den Klee gleich zusammen mit dem Getreide ausgesät und nach der Getreideernte wuchs der Klee heran so dass wir dann schönes fettes Grünfutter hatten für die Kühe. Die kamen übrigens auch, als Karl und ich schon als Kuhhirte eingesetzt werden konnten, nach der zweiten Heuernte auf die Wiese, nachdem das Gras dann zum dritten Male nachgewachsen war. Die ersten Tage waren immer sehr hektisch. Wenn die Kühe das ganze übrige Jahr im ziemlich düsteren Stall stehen, können sie sich nicht orientieren. Das grelle Licht blendet wahrscheinlich, und die Kühe sind sehr nervös, weil sie auch noch nicht den Weg kennen. Nach einigen Tagen trabten sie schon sicher zur Wiese hin, so dass einer von uns schon alleine mit der Herde losziehen konnte. Teddy, unser treuer Hund war immer dabei. Wenn nachmittags der „Fünf – Uhr - Zug“ durchgefahren war, durften wir unsere Kühe nachhause treiben. Ich rief dann „Halloloaloaloaloaloaloalo“ und die Kühe rannten im Laufschritt zur Straße. Wir waren nicht die Einzigen, die Kühe hüten mussten. Auf den anderen Wiesen waren auch Kinder mit ihren Herden, z.B.unsere Cousinen Irmchen und Edith (die Töchter von Onkel Gerhard), Horst und Irma Dunse, und wir hockten dann meistens zusammen, so, dass wir unsere Kühe sehen konnten. Wenn eine Kuh zur Nachbarwiese rüber steuerte, schickte ich Teddy los: „Hol sie rum!“ rief ich und wenn Teddy bellend auf sie zu lief, ging sie schon von alleine zurück.
Einen Weidezaun zu bauen lohnte wohl nicht. Vielleicht fehlte auch das nötige Geld oder die Zeit dafür. Außerdem denke ich gerne an diese Zeit zurück. Das ging so ungefähr 4 Wochen, bis das Gras nicht mehr nachwuchs.
Unser Gras auf der Wiese, die nach meiner Schätzung höchsten 4 Morgen groß war, wurde noch mit der Sense gemäht, weil ein Pferd alleine den Grasmäher nicht ziehen konnte. Es kamen sechs, sieben Tagelöhner aus dem Dorf; und in ein, zwei Tagen war das Gras abgesäbelt. Wir haben die Grasschwaden mit der Harke auseinander gestreut, am nächsten Tag gewendet usw.. Wenn es schön trocken war, wurde es mit dem Leiterwagen eingefahren. Die Leitern waren höher, als die normalen Ackerwagenbretter und standen auch schräger auseinander, so dass man eine schöne breite hohe Fuhre laden konnte. Das durfte ich auch schon machen. Das Heu war inzwischen zu kleinen Haufen zusammen geharkt, die der Vater mit der Forke aufstakte. Ich oben auf dem Wagen nahm dieses trockene sehr angenehm duftende leichte lockere Heu entgegen und packte es so, dass es an den Seiten nicht runter fiel, nämlich von der Seite angefangen übereinander zur Mitte hin. Zum Schluss legte man einen langen Baumstamm der Länge nach auf das zuletzt Gepackte rauf, und schnürte ihn nach unten fest. Papa nahm dann die Leine des Pferdes und „hüh!“, ab ging es zu unserm Heuschuppen. Das war der Dachboden unseres Pferde-, Kuh- und Hühnerstalles. Das Heu hatte ich so hoch gepackt, daß ich oben von der Fuhre aus direkt in die Heubodenluke steigen konnte, nachdem ich meine Augen geöffnet hatte. Das war damals so eine Masche von mir. Zur Heimfahrt legte ich mich, nachdem der Packbaum festgeschnürt war, neben den Baum und hielt die Augen geschlossen, bis wir zuhause auf unserm Hof waren. Papa löste diesen Baum und stakte das Heu durch die Luke, das ich oben entgegennahm.
Wir waren ein reiner Familienbetrieb. Feste Angestellte hätten wir uns gar nicht leisten können. Auch Mama musste oft mit aufs Feld. Nur zur Ernte heuerten wir Tagelöhner an. Beim Getreide Mähen (Roggen, Hafer, Gerste) kamen ein oder zwei Männer hinzu. Ihre Sensen hatten noch einen Bügel angebracht, der die Halme gegen das noch stehende Getreide legte. Hinter dem Mäher ging ein Erwachsener, der das Gemähte aufnahm und zur Garbe zusammenband mit einer Hand voll Halmen. Diese Garben wurden zur „Stiege“ zusammengestellt, immer zwei schräge gegeneinander, zehn Paar, und noch eine je an ein Ende, damit der Wind sie nicht so leicht umwerfen konnte. Weizen konnten wir nicht anbauen. Dafür war der Boden zu mager. Leicht, kann man wohl besser sagen, oder noch krasser: sandig. Jedenfalls war das Feld, das wir bei den Wiesen vor dem Neuhüttener Wald hatten, ziemlich sandig. Jaschkopp nannten wir das. Wir hatten die Südseite des Berges und Onkel Gerhard die Nordseite. Ich muss wohl noch sehr klein gewesen sein, vielleicht vier oder fünf Jahre alt, als unsere Eltern ärgerlich schimpften: „Das sind ja Schweinekartoffeln!“ Zum Verfüttern für die Schweine wurden solche kleinen Kartoffeln gedämpft, die in einer Sortiermaschine durch das entsprechende Raster fielen. Nämlich die Kartoffeln, die an den Händler gingen, mussten aussortiert sein. Unser Vater fuhr sie zum Bahnhof. Aber auf dem anderen Acker am Radensfelder Wald konnten wir gute Erträge erzielen. Auch die Runkeln wurden ganz schön groß. Die und auch die Wrucken wurden gleich auf dem Feld eingemietet, vielleicht, weil nicht genug Zeit war bis zum Einbruch des Frostes. Im Winter dann, wenn es auf dem Felde nichts zu tun gab, holten wir uns von Zeit zu Zeit nach Bedarf die Rüben nach Hause. Diese Mieten waren über einen Meter tief und ungefähr einen Meter breit. Zugedeckt wurden sie mit einer Schicht Stroh und einer Schicht Erde, von der ja genug vorhanden war durch das Ausheben der Mieten. Wenn wir also mit dem Pferdeschlitten ankamen, mussten wir erst mit der Pickhacke die gefrorene Erdschicht abräumen. Die Rüben dampften und rochen herrlich frisch. Ich glaube,sie waren hier in der Erde besser konserviert, als zuhause im Keller, wo sie schnell austrocknen und weich werden. Groß genug wäre der Keller unter dem Stall und unter der Scheune gewesen. Dort kamen nur die Kartoffeln rein, wovon die meisten verfüttert wurden, nicht nur die Kleinen. So viel kleine Kartoffeln, wie wir gebraucht hätten, gab es gar nicht. Jeden zweiten Tag wurde ein Zentner Kartoffeln gedämpft. Ein Zentner, also vier große Körbe voll Kartoffeln passten in den Dampfkessel rein. Unten kam nur ein Eimer voll Wasser rein, und zugeschraubt wurde der Deckel. Im Deckel vorne war ein vielleicht fünf mal fünf Zentimeter viereckiges Loch mit einer Klappe drauf, die durch den Dampf hochgeschoben wurde, wenn das Wasser im Kessel zu kochen begann. Nach einer gewissen Zeit, damals wusste ich natürlich genau, wie lange es dauerte, wurde das Wasser abgegossen. Dazu ließ der Kessel sich kippen. Auch zum Entleeren wurde er gekippt. Die gegarten Kartoffeln wurden durch eine Quetsche gedreht. Das war auch schwere Muskelarbeit. Die so gequetschten Kartoffeln fielen in einen großen Bottich. Dazu kam noch Roggenschrot, Kaff und Molke. Das spielte sich in der Futterküche ab. Neben der Futterküche ging es durch eine Tür in den Schweinestall. O wei, war das ein ohrenbetäubendes Geschrei, wenn die Fütterung begann.
Mit der Zeit bekamen die Kartoffeln lange Keime, die, Kartoffel für Kartoffel, entfernt werden mussten. Das war Karl`s und meine Aufgabe. Unser Papa schüttete uns vier Körbe voll Kartoffeln auf einen Haufen, und wir saßen auf einer Fußbank davor und knipsten diese elfenbeinfarbenen Gebilde ab. Das Dämpfen der Futterkartoffeln gehörte dann auch zu unserem Aufgabenbereich. Manchmal war es schwierig, das Feuer zu entfachen.
Zur Kartoffelernte hatten wir bis zu einem Dutzend Leute, die die Kartoffeln mit der Kartoffelhacke raus holten und in die Körbe warfen. Meine Aufgabe war es, wenn einer rief: „Korb ist voll!“, hinzurennen und den vollen Korb gegen einen leeren zu tauschen und die Kartoffeln in einen Sack zu schütten. Hier ging es sehr unterhaltsam zu. Onkel Lietz, ein Verwandter unserer Mama, erzählte dann mal einen Witz, aber die Frau Hoffmann, wenn die erst anfing, ihre Gruselgeschichten zu erzählen lief es einem kalt den Rücken runter. Frau Hoffmann läutete die Glocken in der evangelischen Kirche. Es gab auch eine katholische Kirche in unserm Dorf, das 1000 Einwohner zählte. Die Katholiken waren aber in der Minderheit. Sie stammten aus der Kaschubei, waren also eine Volksgruppe aus Polen. Man sagte, diese Kaschuben würden in der Kirche polnisch sprechen. Ob es stimmt, weiß ich leider nicht. Also diese Frau Hoffmann war mit den Gespenstern auf du und du. Alles, was sie erzählte, war 100 prozentig war, wie sie immer wieder versicherte.
Dieser Jaschkopp mit dem leichten, sandigen Boden hatte aber für uns Kinder etwas Gutes. Er war sehr steil, also ideal zum Schlittenfahren, besonders die Nordseite. Als wir aber schon größer waren, bekamen wir Tonnenbretter unter die Füße geschnallt. Diese Bretter mit heiß aufgetragenem Kerzenwachs gleitfähig gemacht unter den Füßen, zogen wir über Berg und Tal. Auch Schlittschuhe bekamen wir mal zu Weihnachten. Wenn der schöne große Teich links der Rummelsburger Straße vor Gutzmanns und Reinhold Meiers Grundstück zugefroren war, aber es noch nicht geschneit hatte, trafen sich die Schlittschuhläufer zum Hockey – Spiel. An der Böschung zur Straße hin wuchsen Weiden. Davon schnitzten wir uns die Hocky – Schläger. Genau auf der Grenze zwischen den beiden Grundstücken ging ein Zaun durch den Teich. Wegen der Fischerei? Wer weiß. Wenn dann ganz wenig Schnee auf der Eisfläche lag, war es sehr angenehm für die Anfänger. Man flog nicht so leicht auf die Nase oder auf`s Knie. Die Kniescheibe tut mir heute noch weh, wenn ich dran denke. Der Schmerz war sehr heftig und hielt lange an. Spätestens ab Weihnachten lag so viel Schnee auf dem Eis, dass die Schlittschuhe ausgedient hatten. Im Frühjahr, wenn die Schneeschmelze begann und die Kamenz überflutete, waren die Wiesen im Flusstal mit einer riesigen Eisfläche überzogen, und wir konnten nach Herzenslust bis nach Moddrow laufen, wieder mit unseren Schlittschuhen. So konnten wir dem strengen Winter noch gute vergnügliche Seiten abgewinnen.
Wenn die ersten Schneeglöckchen hervor blinzelten, freuten wir uns schon wieder auf das Erwachen der Natur und sangen in der Schule: „Im Märzen der Bauer die Rösslein anspannt...“ Unser Pferd anspannen zu dürfen, war immer mein Traum, bis ich groß genug war, das schwere Geschirr über den Kopf des Pferdes zu kriegen. Auch pflügen durfte ich schon mal ein, zwei Furchen . „Du brauchst nicht zu schieben“, sagte mein Vater, „nur den Pflug gerade halten, damit die Furche nicht immer krummer wird“. Aber eggen durfte ich öfter mal. Mit der Egge wurde der Boden schön glatt geharkt. Und dann kam die Saat auf das Land. Auch das durfte ich mal probieren. Papa hängte mir die Saatschürze um den Hals, die ich mit der linken Hand zusammengerafft hatte, schaufelte einige Kilo Roggen hinein und mit der rechten Hand streute ich das Korn aus in schrittweisem Takt, Schritt für Schritt, wie Papa es mir vorgeführt hatte. Das war ein bewegendes Gefühl, das Korn durch die Finger gleiten zu lassen und zu sehen, wie der Samen zur Erde herunterfällt.
Aber Bauer werden war mir nicht vergönnt. Einmal im Jahr fand ein Ausleselehrgang in Bütow, unserer Kreisstadt, statt. Dort wurde ich hingeschickt. Es wurden dort Pimpfe ausgesucht für die NPEA und für die AHS (Nationalpolitische Erziehungsanstalt und Adolf – Hitler- Schule).
Für mich war das ein Reinfall. Die theoretische Prüfung war wohl gut verlaufen, aber in der Turnhalle war ich eine Niete. Ich wusste weder, was ein Pferd, ein Barren oder ein Reck ist. In unserer Schule in Großtuchen gab es so etwas nicht, d. h. es gab sie schon, aber alle diese Turngeräte waren auf dem Sportplatz in einem Schuppen aufgestapelt. Die herauszuholen und im Freien aufzustellen, war unsern Lehrern wohl zu mühsam. Und eine Turnhalle gab es nicht. So stand ich davor wie der Ochs vorm Berg und wusste nicht wo Hand noch Fuß ist. Mir wurde natürlich gezeigt, was ich machen muss; aber der Turnlehrer rief immer: Steifer Bock! Dabei war ich keineswegs unsportlich. Bei den Reichsjugendwettkämpfen bekam ich jedes Jahr die Siegernadel. Und die bekamen nur die drei Besten in dieser Altersklasse. Aber in Bütow war ich jedenfalls eine Niete. Und Sport wurde damals anscheinend groß geschrieben. Ich kam also nicht nach Köslin in die NPEA oder nach Sonthofen in die AHS.
Fortbildung zum Volksschullehrer
Zwei Jahre später aber, vor meiner Schulentlassung, wurde ich nach Köslin geschickt zur Aufnahmeprüfung für die LBA (Lehrerbildungsanstalt). Hier stand der Sport wohl nicht an erster Stelle. Ich war z.B. sehr überrascht, als wir gleich am ersten Tag, die Aufnahmeprüfung hatte ich also bestanden, zum Frühsport vollkommen angezogen im Drillichzeug erscheinen mussten und nicht in Turnhose mit nacktem Oberkörper, wie ich es mir vorgestellt hatte. Auch militärisch ging es nicht so streng zu, wie in der NPEA, die nebenan in einer Kaserne untergebracht war. Jedenfalls wurden darüber Schauermärchen erzählt. Wir mussten uns zwar auch aufstellen zum Appell, z.B. morgens und abends zur Flaggenparade, in Reih`und Glied marschieren mussten wir können; das wurde im Ordnungsdienst geübt, kam aber ganz selten vor. Die Lehrer waren ja Zivilisten. Unser Zugführer war unser Deutschlehrer. Der hieß Dittmann. Zum Thema Kirche sagte er mal: Wer sonntags zum Gottesdienst gehen möchte, kann das gerne tun. Auch in Uniform. Wir trugen nur Uniform. Die gehörte der Schule. Im Unterricht aber durften wir die bequeme Drillichkluft tragen. Klavier- und Geigenunterricht war Pflicht. Ich nahm noch freiwillig Posaunenunterricht dazu. Die Posaune gehörte der Anstalt. Die Geige mußten meine Eltern mir kaufen. Sie kostete 200.- RM und eine Gans. (Wir hatten immer so ca. 30 Gänse. Fünf behielten wir, und der Rest wurde verkauft.)
Nach dem Mittagessen hatten wir Freizeit. Wir durften auch in die Stadt gehen. Die Hausaufgaben wurden gemeinsam im Klassenzimmer erledigt zu festen Zeiten. Es durfte nicht gesprochen werden, ein Lehrer war immer zur Aufsicht anwesend.
In den Sommerferien fuhren wir alle nach Hause. Nach kaum einer Woche stand in der Zeitung und wurde auch im Radio bekanntgegeben, daß alle Schüler der LBA und der NPEA umgehend in ihre Klassen zurück zu kehren hätten. Wir mussten für den Rest der Ferien und noch darüber hinaus Schützengräben ausschaufeln. Im Winter dann, als sie zugeschneit waren, mussten wir sie vom Schnee frei schaufeln. Regelrechten Unterricht hatten wir lediglich von unserer Einschulung zu Ostern bis zu den Sommerferien. Nach dem wochenlangen Schippeinsatz mußten wir auch noch von Köslin aus tageweise mit Schaufel und Spaten losziehen. Hinzu kam dann immer häufiger Fliegeralarm. Erst nur nachts, später auch am Tage. Weil unsere Anstalt in der Nähe von Kasernen stand, die wohl das bevorzugte Ziel für Bombenabwürfe waren, wurden wir umgesiedelt in die Innenstadt in ein Haus namens „Kameradschaftsheim“. Hier war alles sehr eng. In den Schlafsälen waren die Betten dicht aneinander geschoben. Die Heizung funktionierte wohl nicht so richtig; denn wir durften nicht lüften. Es sei noch niemand im Mief erstickt, aber schon manch einer erfroren.
Im Januar 1945 bekam ich ein Telegramm zugeschickt: „Papa eingezogen – bitte sofort nachhause kommen!“ Man ließ mich auch sofort gehen. Zu Hause angekommen, stand unser Ackerwagen schon in der Scheune, umgebaut zu einem Leiterwagen, um möglichst viel Hausrat aufladen zu können. Als Verdeck diente unser großer Linoleumteppich aus unser Wohnstube. Karl war als Kind schon ein Bastler; und so hatte er unsern Leiterwagen in einen zünftigen Planwagen verwandelt. Die ganze Nacht war ich mit der Bahn unterwegs gewesen, weil die Anschlusszüge auf den Umsteigebahnhöfen sehr unregelmäßig kamen. Es mussten die Sonderzüge immer erst durchgelassen werden, die gen Westen fuhren. So legte ich mich erst mal ins Bett und schlief auch gleich ein. Aus dem tiefsten Schlaf herausgerissen hörte ich die Stimme unserer Mama wie aus weiter Ferne: „Helmutchen! Helmutchen! Komm runter!“ Ich lag im ersten Stock und hörte ein russisches Flugzeug über unserm Hof kreisen . Wir rannten in den Keller, Karl und Margot kauerten in der Ecke hinter der Räucherkammer, und da hörten wir auch schon den Einschlag des Geschosses, das unsern Stall getroffen hatte.
Ich stand auf unserem ziemlich hoch gelegenen Kleefeld am Abhang, der zur Straße führt, als eine Kolonne mit Zivilisten vorbeimarschierte. Da – auf einmal erkannte ich unsern Papa in der Menge. Ich rannte gleich hinunter, um mit ihm sprechen. Er gehörte zu dieser Volkssturmtruppe, die an der Neuhüttener Straße einen Schützengraben ausheben mussten. Übernachten sollten sie dann in den beiden Lehmhäusern, die im vergangenen Herbst fertiggestellt waren, nur aus Lehm gebaut. So etwas habe ich auch mal mitgemacht als LBA – Schüler. Wir wurden in die Heide gekarrt, auch im Herbst 1944, um Lehm in so große Formen zu pressen. Der Lehm wurde noch vorher mit Heidekraut vermischt. Unser Papa durfte aber zu Hause schlafen diese eine Nacht. Am nächsten Tag marschierten sie auch schon weiter. Seitdem erreichte uns kein Lebenszeichen mehr von ihm. Eine Nachforschung beim Roten Kreuz blieb ergebnislos.
Es kamen ununterbrochen Flüchtlingstrecks aus Ostpreußen durchgezogen die auch schon mal auf unserm Hof rasteten. Wir wären am liebsten mitgezogen; denn man hörte schon das Artilleriefeuer wie ein Gewitter immer näherkommen. Aber das war verboten. Wir hatten zu warten, bis der Räumungsbefehl ausgerufen wurde. Und der kam nicht, obwohl die Knallerei immer lauter wurde. In unserm Haus war eine lettische Familie mit zwei Kindern untergebracht, die ein eigenes Lastauto besaß. Der Mann war Offizier, trug auch eine Uniform, gehörte aber anscheinend nicht zur deutschen Wehrmacht. Orselinsch hießen sie. Die waren schon längst weitergezogen, als die Front immer näher rückte. Und dieser Herr Orselinsch hatte uns angeboten, uns mit seinem Auto mitzunehmen nach Westdeutschland. Er hatte so etwas wie Diplomatenschutz, so dass er uns durch alle Kontrollen hindurch gekriegt hätte.
Warten auf den Räumungsbefehl
Wir warteten also auf das Klirren der Flugscharen oder ähnlichem Gerät, das überall aufgehängt war und angeschlagen werden sollte, wenn wir anspannen dürfen. Es war 23.00 Uhr im Februar 1945. Jemand ging zum Ortsgruppenleiter Dabels, der zu entscheiden hatte, wann das Dorf geräumt werden muss. Und wo war unser Herr Dabels? Über alle Berge! Klammheimlich war er mit seinem Auto oder Trecker abgehauen, damit die Pferdewagen ihm nicht den Weg versperren konnten. Ich spannte nun aber schnell unser Pferd vor den Wagen und los ging es in die Nacht Richtung Danzig. Hinterpommern war angeblich schon umzingelt.
So fuhren wir zwei oder drei Tage im Trott. Der Treck wurde gestoppt, wir sollten ganz an die Seite mit unseren Fuhrwerken, was aber nicht so einfach ist, wenn nach vorne und nach hinten wenig Platz ist. Unser Wagen stand noch zu weit auf der Straße. Das Militär mit Autos und Panzern, das auf dem Rückzug war, sollten wir durchlassen. Da griff ein Soldat die Zügel unseres Pferdes, das Pferd scheute, wie immer bei fremden Personen und wir landeten im Graben. Dabei brach eine Runge. Das ist ein zusätzlicher senkrechter Pfosten, der außen an der Radachse angeschraubt wird und oben mit dem fest eingebauten Pfeiler verbunden wird zur Stützung der Leiter. Unten lag sie innen auf und oben hing sie auf dem Verbindungsbügel zwischen dem festen Pfeiler und der Runge, während beim normalen Ackerwagen die Bretter einfach von innen gegen die Pfeiler gelegt werden. Nun hatten wir Pause und Zeit zur Reparatur. Unser Schmied Herr Röske stand drei Wagen hinter uns. Der hatte Werkzeug mit und machte unsern Wagen wieder flott. Wir kamen nicht mehr weit. Unsere Wehrmacht hatte uns ja den Sowjets überlassen. So fuhren wir über einen Feldweg bis wir an einen Waldrand kamen. Ehe wir uns versahen, waren auch schon die Russen da. Unser „Fuchs“ war ein gutes Reitpferd. Das spannte uns ein Russe gleich aus und ritt mit ihm davon. Unsere Mama nahm ein Köfferchen mit Wertsachen, und so traten wir unsern Heimweg an in eisigem Winter. Wir kamen über verlassene Gehöfte, wo die Kühe im Stall brüllten, weil sie Hunger und Durst hatten und nicht gemolken wurden. Mama hat eine Kuh gemolken und uns die Milch aufgekocht. In der Küche stand ein großer Trog mit gut hoch gegangem Brotteig. Daraus hat sie ein Brot im Elektroofen gebacken. Es kam noch eine Familie hinzu, und so haben wir uns alle schön satt gegessen.
Zu Hause angekommen, war zum Essen auch genug da. Teddy, unser kleiner Hund, hatte das Haus bewacht. Der freute sich riesig über unsere Rückkehr.
Abtransport ins Gefangenenlager
Nach einigen Tagen mußten alle Männer und Frauen über 16 zur Kommandantur ins Dorf kommen, um sich registrieren zu lassen. Mama sagte zu mir: „Du bist ja erst 14, du kannst hier bleiben und auf die Kartoffeln aufpassen, dass sie nicht überkochen und ging dann mit meinen beiden Geschwistern ins Dorf. Als sie wiederkamen – die Kartoffeln waren wahrscheinlich übergekocht, weil ich gerade das Feuer im Herd geschürt hatte – war ich natürlich weg. Man hatte mich abgeschleppt und mit vielen alten Männern in ein Haus gesperrt im Dorf. Mama hatte noch versucht, mich rauszubekommen; aber es half nichts. Wir mussten auf ein Lastauto steigen und wurden nach Bütow transportiert. Von dort ging es zu Fuß in endlosen Kolonnen nach Graudenz. Als wir über die Weichselbrücke gingen, hörte ich sagen, dass es jetzt aussichtslos sei, zu fliehen. Die Brücke wurde wohl ständig bewacht. Bis dahin war aber auch keine Möglichkeit zu entkommen. An beiden Seiten der Kolonne gingen bewaffnete Soldaten mit aufgepflanztem Bajonett und mit Polizeihunden. Dabei waren wir doch nie Soldat gewesen. Irgendwo hatten wir mal in einer Scheune übernachtet. Dort fand ich einen Haufen Getreidekörner. Davon stopfte ich mir die Taschen voll. Wenn ich Hunger oder Durst verspürte, nahm ich einige Körner in den Mund, und mir ging es wieder besser.
In Graudenz mussten wir zu viert oder zu sechst lange schwere Masten tragen. Ich war für mein Alter schon ziemlich lang gewachsen, wahrscheinlich waren manche von den alten Männern kleiner als ich. Ich drohte unter dieser Last fast zusammenzubrechen. Da schrie mich von hinten einer an: „Wirst du wohl grade gehen, du junger Bengel!“
Eine andere Beschäftigung in Graudenz war für mich sehr einträglich. Wir mussten auf dem Bahnhof russische Uniformen verladen. Ich, wenn nicht gerade ein Wachmann neben mir stand, habe immer in diese Taschen gefasst. Und was war da meistens drin? Zigarettenstummel oder gar loser Tabak und Streichhölzer. Das Zeug habe ich regelrecht gehamstert, obwohl ich Nichtraucher war. Unser Tagesproviant bestand aus 300 g Gerstenbrot morgens, einer Konservenbüchse voll dünner Linsensuppe mittags und einer Büchse voll Zuckerwasser am Abend. Für eine Hand voll Tabak kriegte ich eine halbe Brotration eingetauscht. Einmal ging es mir wirklich schlecht. Ich blieb auf meinem Platz liegen ( wir schliefen auf dem Fußboden ). Mit dem Gewehrkolben wurde ich hoch gejagt.
Jeden Morgen wurden wir draußen gezählt, und jeden Morgen waren Leute gestorben. Als es hier nichts mehr zu tun gab, wurden wir weiter getrieben. Es ging nach Danzig. So kamen wir wieder auf die Westseite der Weichsel. Die Landkarte hatte ich gut im Gedächtnis, und so reifte in mir der Entschluss, zu fliehen, wenn irgend wie möglich. In Danzig bekam jeder ein Bett im Narviklager. Dafür waren hier aber schrecklich viele Wanzen, die einen ganz schön quälen konnten. Wir wurden zwar wöchentlich entlaust, der Kopf wurde kahl geschoren, aber die Wanzen steckten in den Matratzen und kamen nachts auf unsere Haut.
Hier in Danzig gingen wir täglich in die Tschichau - Werft, um die Maschinen abzumontieren. Eines Tages auf dem Rückweg zum Lager, wir gingen ja in Reih´ und Glied, kam eine Frau auf mich zugelaufen und schenkte mir ein großes Stück braunen Zucker, so groß wie ein Kohlkopf. Ich hatte es mir kaum unter den Arm geklemmt, da sprang mich einer von hinten an, entriss mir das Stück und verschwand wieder nach hinten in der Menge. Auf so eine Attacke war ich nicht vorbereitet. Sonst hätte ich das unter meinem Mantel versteckt. Ich trug den Mantel meines Vaters, den er nur zu besonderen Anlässen anzog. Meinen Mantel, den ich in Köslin bekommen hatte, musste ich auf dem Flüchtlingstreck ausziehen und weit wegwerfen, als wir zwischen die Fronten gerieten; denn das war ein H J – Waffenrock.
In Danzig den Sowjets entkommen
Nun war ich schon 6 Wochen in Haft. Wir arbeiteten in einer anderen Halle, die ich noch nicht kannte. Ich fragte den Wachmann nach einer Toilette, und der schickte mich irgendwo hinter eine spanische Wand. Aber ich suchte doch eine Toilette und kam in einen anderen Raum und noch einen, und da entdeckte ich ganz unten am Erdboden in der Wand ein Loch, so groß, dass ich gerade so durch schlüpfen konnte. Und da stand ich auch schon auf der Straße. Eine Frau sprach mich auf deutsch an und zeigte mir den Weg nach Karthaus. Der Kreis Karthaus war der Nachbarkreis von unserm Kreis Bütow. Unser Dorf Großtuchen lag nur drei Kilometer von der damaligen Grenze entfernt.
„Die Büchse um deinen Bauch musst du aber abnehmen. Da sieht doch jeder, dass du aus dem Lager kommst! Und mit dem schicken Mantel siehst Du aus wie ein Durchreisender. So wirst du wieder eingefangen. Du musst unauffällig des Weges gehen wie ein Hiesiger.“ Das leuchtete mir ein. Ich gab ihr die Büchse, die ich nun auch nicht mehr brauchte, in die das Essen eingefüllt wurde, und aus der ich die dünne Linsensuppe und abends das Zuckerwasser trank. Einen Löffel, hatte ich gar nicht. Und ich gab ihr den wertvollen Mantel meines Vaters.
Am Abend ging ich auf ein Gehöft, um nach einer Schlafunterkunft zu suchen. Ein Mann kam mir entgegen. Er sprach deutsch mit polnischem Akzent. Ich bekam Speis´und Trank und durfte in der Scheune schlafen. Am zweiten Tag, ich war in Jamen angelangt, wurde ich von zwei jungen Männern angehalten. Sie waren in Zivilkleidung, hatten aber eine Armbinde, die sie als Miliz ausweisen sollte. Die brachten mich schnurstracks auf eine Försterei.
Nun war ich wieder gefangen, wenn auch etwas zivilisierter. Im Bett waren keine Wanzen. Ob meine Kleider auf der Försterei entlaust wurden, weiß ich gar nicht. Ins Haus durfte ich so wie so nicht. Es war schon im Monat Mai. Mein Bett stand auf dem Heuboden und noch ein zweites, in dem der Sohn des Hauses schlief. Der hatte mich zu bewachen. Wenn er abends auf die Jagd ging, musste er mich mitschleifen. Wenn er zu seinem Freund in der Nachbarschaft ging, saß ich als sein Gefangener neben ihm. Ich musste mit den Waldarbeitern in den Wald gehen und mit der großen Blattsäge Bäume fällen. Meine Arme waren aber so schwach, dass die mich wieder zum Förster zurück brachten. Dort musste ich dann auf dem Hofe Holz hacken.
Ich war längst unterernährt. Bei diesen Leuten bekam ich nie Fleisch zu essen, auch keine Butter aufs Brot. Während sie mir das Mittagessen immer vor die Tür brachten, durfte ich an meinem Geburtstag zum Mittag zwar nicht gerade mit am Tisch, so doch in der Küche gemeinsam mit der Familie essen. Sogar ein winzig kleines Stück Rindfleisch hatten sie mir auf den Teller getan. Das aß ich mit Bedacht ganz zuletzt. Der Förster belehrte mich und meinte, das Fleisch müsse ich zuerst essen, damit der Magen es besser verwerten kann.
Am nächsten Tag aß ich wieder draußen, und Fleisch gab es auch nicht mehr. Dagegen eine große Schüssel mit Kartoffeln und Buttermilch dazu. Sie machten sich schon über mich lustig, wegen der großen Mengen, die ich verdrückte.
Das Holz war alles kleingehackt und zum Trocknen aufgestapelt. So bekam ich eine neue Betätigung, ich musste Kühe hüten. Einen Hund gaben sie mir nicht mit. Hier am Wald entlang kamen fast täglich Flüchtlinge vorbei, die ich nach ihrem Heimatort fragte. Und wenn welche kamen, die durch Großtuchen gingen, bat ich sie, meiner Mutter Bescheid zu sagen, wo ich bin.
Fortsetzung in Teil II
Tag der Veröffentlichung: 14.01.2010
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