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Dr. C. Sonnentau




„Heute, heute wird alles anders!“, machte sich Constanze Sonnentau Mut. Sie zog sich ihren weißen Kittel an und öffnete, entschlossen jetzt das machen zu können was ihre Berufung war, die Zimmertür. Mit wehenden Kittel, denn geschlossen hatte sie das gute Stück nicht, ging sie zum Wartezimmer um ihrer ersten Patienten ins Untersuchungszimmer zu führen. Zu ihrer großen Enttäuschung saß dort aber wieder Niemand. Sie ging zu ihrer Sprechstundenhilfe, eine ältere Frau die sie von ihrem Vorgänger übernommen hatte, und fragte:“Frau Schmal wieso ist denn schon wieder kein Patient da?“. Frau Schmal die bisher die treue Seele der Praxis war und jetzt nicht recht wusste wie es mit ihr weitergehen würde, sah die Ärztin ängstlich an. Sollte sie ihr sagen das die ehemaligen Patienten sich lieber von einem Mann untersuchen lassen wollten und deshalb zu Doktor Schmidt gewechselt waren, als klar wurde das ihr bisheriger Arzt Dr. Kleinwasser seine Praxis aufgeben würde. Das es in dieser Stadt schon seit Jahrzehnten nur männliche Ärzte gegeben hatte, sodass es eine Frau sehr schwer hatte hier Fuß zu fassen, besonders wenn sie so jung wie ihre neue Chefin war? Oder sollte sie die Ahnungslose spielen, in der Hoffnung das die neue Ärztin es nicht mitbekam. Nach ganz kurzen Überlegen entschied sie sich für die erste Variante. Ehrlichkeit währt am Längsten, sagte sie sich und berichtete von ihrem Wissen.

Enttäuscht lies sich die junge Ärztin auf den Stuhl neben der Rezeption fallen. Ohne das sie es wollte rannen ihr Tränen über die Wangen. “Elf Jahre und Alles für Nichts?“,fragte sie leise. Frau Schmal begriff zwar nicht um was es ihrer Chefin ging, sagte aber nichts sondern blieb um als Zuhörerin und eventuell als Trösterin für die junge Frau da zu sein. „Sechs Jahre Studium, fünf Jahre Fachausbildung und das Alles nur um jetzt doch nicht arbeiten zu können? Nur weil ich eine Frau bin?“, schluchzte die zu tiefst enttäuscht. Anita Schmal tat es in der Seele weh wie sehr die junge Ärztin litt. Sicher sie war nicht glücklich gewesen als ihr Doktor Kleinwasser mitteilte das er die Praxis verkaufen wollte. Sie war sogar ziemlich entsetzt als sie mit bekam das ihr Chef an diese junge und unerfahrene Frau verkauft hatte. Besonders schockiert hatte sie der Preis den ihre neue Chefin für die Praxis zahlen sollte. Verwundert nahm Anita zur Kenntnis das Frau Doktor den Preis akzeptierte und anscheinend sogar als Schnäppchen ansah. Erst später erfuhr sie das die Preise in Hamburg für eine Praxis um ein vielfaches höher lagen.

Kaum war der Vertrag in trockenen Tüchern und Constanze Sonnentau gehörte die Praxis rief sie, nun ihre, Sprechstundenhilfe zu sich und erklärte ihr das sie sie gerne weiterbeschäftigen würde. Auch über die Vertraglich zugesicherten sechs Monate hinaus. Trotz dieser Zusage glaubte Frau Schmal nicht das die Neue sie lange weiter beschäftigen würde, denn bei der Kaufsumme musste sie früher oder später sparen und die Wahrscheinlichkeit lag definitiv bei Früher. Besonders wo sich seit der Neueröffnung der Praxis nicht ein Patient hier her verirrt hatte. Doch jetzt, mit der verzweifelten Ärztin vor sich, rückte ihre Angst um ihren eigenen Arbeitsplatz beiseite und machte einem schon fast mütterlichen Beschützer Instinkt Platz. Auch wenn sie es nicht erwartet hatte, sie mochte die junge Frau. Mochte wie sie sich in die Arbeit stürzt. Ja sie fand es faszinierend was die junge Frau an Neuen einführte und wie sie sich bemühte Anita dabei mit zu nehmen.

Sie ging um den Tresen herum, nahm die junge Ärztin in die Arme und flüsterte ihr beruhigend zu:“Das wird schon werden! Glauben Sie mir! Das wird schon!“. Mit purer Verzweiflung in der Stimme fragte Constanze:“Ach ja? Und wie soll das gehen? Sie wissen doch das ich als Arzt keine Werbung machen darf!“. Anita Schmal schmunzelte und sagte dann:“Eigentlich ist es nur eine Frage von Zeit, bis die meisten Patienten hier wieder auftauchen. Es wird bei Doktor Schmidt zu einem völlig überfüllten Wartezimmer und sehr langen Wartezeiten kommen. Weil seine alten Patienten ja auch von ihm behandelt werden wollen. Er wird gar nicht alle behandeln können, also wird er einigen raten hier her zu kommen. Er wird Sie über den Klee loben damit er ein paar Patienten los wird und er wieder normal arbeiten kann. Klar werden das die schwierigen Fälle sein, aber dafür haben Sie doch studiert, um eben diesen Menschen helfen zu können. Die Frage ist nur ob Sie so lange durch halten können, besonders Finanziell?“.

Immer noch schluchzend rechnete die junge Frau schnell die Zahlen durch und gab dann etwas kleinlaut zu:“Noch drei Wochen, höchsten Vier, aber dann gehen hier die Lichter aus! Einen Großteil meines Geldes habe ich die Renovierung der Praxis und in die EDV Ausstattung gesteckt “. Ohne es zu wollen rutsche Anita der Satz raus:“Da ich ohnehin nichts tue, können Sie mein Gehalt um zwei Drittel kürzen, dann halten wir länger durch.“. Constanze wusste das sie mit Frau Schmal eine echte Perle übernommen hatte, aber das ihre Fürsorge und Hilfsbereitschaft so weit ging war ihr bis eben nicht bekannt. Dennoch wollte sie das großzügige Angebot nicht annehmen. Lieber würde sie noch mehr Notdienste für die Kassenärztliche Vereinigung schieben. Die KV suchte immer Ärzte die sich in den Nächten und an den Wochenenden um die Notfallversorgung kümmerten. Dann würde sie eben jeden zweiten Tag Dienst machen und nicht wie jetzt einen in der Woche. Die Bezahlung war zwar nicht besonders gut, aber das war immer noch Besser als ihrer treuen Gehilfin das Gehalt zu kürzen.

„So und nun gehen Sie nach Hause und lassen sich von ihrem Mann oder Freund trösten!“, sagte Frau Schmal und fügte dann hinzu:“Ich bleibe hier und wenn doch noch ein Patient kommt, rufe ich Sie sofort an. Dem Patienten sage ich das Sie zu einen Notfall gerufen wurden und danach sofort für ihn da sind. Das wird schon!“.
„Welcher Mann oder Freund?“, fragte Constanze traurig:“Ich habe alle Zeit und Energie ins Studium und die Fachausbildung gesteckt. Es gibt keinen Freund und schon gar keinen Mann!“.
Ohne auf diesen Satz einzugehen erklärte Anita Schmal noch einmal mit Nachdruck:„Sie gehen jetzt trotzdem nach Haus. Machen Sie sich ein schönes Entspannungsbad, oder gehen Sie joggen, oder was Sie sonst so machen wenn sie sich entspannen wollen. Es macht doch keinen Sinn das wir Beide hier herum sitzen und nichts zu tun haben.“. Die Sprechstundenhilfe sah das ihre Chefin etwas entgegnen wollte doch dann erhob sich Constanze, artig wie ein kleines Kind und verschwand in ihrem Untersuchungszimmer.

Anita sah ihrer junge Chefin hinterher. Sie fand das die junge Frau eigentlich recht hübsch aus sah. Die schulterlangen blonden Haare, die sie zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden hatte, passten hervorragende zu den fast schon Elfenhaften zu nennenden zarten Gesichtszügen. Die grünen Augen waren lebendig und strahlten dennoch viel Ruhe aus, wie ein tiefer Bergsee. Jetzt jedoch, wo die junge Ärztin aufgewühlt war, erinnerten ihre Augen an die stürmische See. Unergründlich und doch unheimlich faszinierend. In Anitas Augen war die Chefin zu dünn. Die brachte wahrscheinlich gerade mal fünfundsechzig Kilo auf die Waage und das bei einen Größe von einem Meter und siebzig Zentimeter. Wieso sie angeblich keinen Freund hatte leuchtete Frau Schmal nicht ein, denn die junge Ärztin war intelligent, sah umwerfend aus und war mit ihren knapp Dreißig Jahren genau im richtigen Alter um eine Familie zu gründen. Fünf Minuten später verließ Constanze Sonnentau ihre Praxis. Kaum hatte sich die Praxistür hinter der jungen Ärztin geschlossen, griff Anita Schmal zum Telefon und wählte die Nummer von Doktor Schmidt.

„Praxis Doktor Schmidt, Sie sprechen mit Dorothea Meier, was kann ich für Sie tun?“, flötete ihr die Stimme der Sprechstundenhilfe in Ohr.
„Hallo Doro, ich bin's - Anita, hast du einen Moment?“.
„Oh hallo Anita. Nein hier ist die Hölle los. Ich weiß nicht mehr wo ich die ganzen Patienten noch unterbringen soll. Selbst auf dem Klo sitzt einer, weil im Wartezimmer kein Platz mehr ist und er nicht so lange stehen kann. Der Doktor dreht auch schon durch, weil er schon seit Wochen keine Pause mehr machen konnte und jeden Tag länger bleiben muss.“.
„So schlimm? Warum schickt ihr nicht ein paar der Patienten hier her? Ich denke so ein oder zwei können wir noch unterbringen.“
„Ich weiß gar nicht warum wir da nicht drauf gekommen sind. Ab wann könntet ihr denn die Patienten übernehmen?“
„Ab nächster Woche wäre das sicher kein Problem! Ich müsste dann zwar ein paar Patienten anrufen und deren Termine verschieben, aber geht das schon irgendwie.“.
„Wie? Heute nicht mehr? Weiß du was hier los ist? Ich spreche mit meinem Chef und du mit deiner Ärztin und ich schick die Ersten in fünf Minuten zu dir. OK?“
„Entschuldige Doro, aber das geht gar nicht. Hier ist auch gut zu tun und Frau Doktor ist gerade zu einem Notfall gerufen worden. Heute kann ich wirklich niemanden mehr unterbringen!“.
„Wieso denn, ich dachte alle Patienten von Doktor Kleinwasser sind zu uns gekommen? Bei Dir müsste gähnende Leere herrschen.“
„Ja das war die ersten Tage auch so. Es stimmt schon das fast Alle zu euch gegangen sind, aber wir wissen Beide das Dein Chef nicht gerade der Sanftmütigste ist. Ein paar Leute hat er mit seiner rabiaten Art vertrieben und die sind jetzt hier. Komm doch rüber und sieh dir das volle Wartezimmer an!“.
„Du weißt genau das ich das nicht kann. Bitte Anita, nimm mir nur drei ab. Du hast dann auch was gut bei mir. Bitte!“
„Hmmm ............... mal sehen …...... wenn ich .............. und …................... Ja so könnte es gehen …........ obwohl ........... Mist da ist ja noch …......... das wird dann knapp …........ aber so …........ ja das ginge. OK du kannst uns Morgen Zwei rüber schicken.“.
„Danke Anita, das werde ich dir nie vergessen!“.
„Du weiß doch für eine Freundin tu ich fast Alles! Bis dann!“
„Ja bis dann. Ach weshalb hast du eigentlich angerufen?“
„Oh das hätte ich jetzt fast vergessen. Ich kann Freitag nicht zum Kegeln kommen.“
„Oh das ist aber Schade!“
„Ja das finde ich auch. Moment bitte! …........ Herr Hubert Sie sind der Nächste! Das Untersuchungszimmer ist dort. Ja genau da. Sie dürfen jetzt rein. ….... Tut mir Leid Doro aber ich muss hier weiter machen!“
„Ja ich auch. Tschüss!“
„Tschüss!“

Vergnügt beendete Anita Schmal das Telefonat und freute sich das sie zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen hatte. Denn die Kegelfreitage gingen ihr schon seit einiger Zeit auf die Nerven. Jetzt freute sie sich das sie bisher so feige war und noch nicht gesagt hatte das sie nicht mehr kommen wollte. Aber die Treffen mit ihren Kolleginnen aus den anderen Praxen der Stadt wurden immer schlimmer seit die Sprechstundenhilfen angefangen hatten nur noch über ihre Chefs zu reden und diese in den Himmel lobten oder damit angaben was für tolle neue Geräte gerade von den Doktoren angeschafft worden waren. Anita wusste ziemlich genau das von dem Gerede nicht mal die Hälfte der Wahrheit entsprach.

Constanze erreichte ihre spartanisch eingerichtete Einzimmerwohnung, die nur zweit Stockwerke über ihrer Praxis lag. Sie brauchte nicht viel, sagte sie sich und so sah ihr Zimmer, trotz der relativen Enge, doch fast leer aus. Ein Schrank, ein Stuhl, ein kleiner Tisch, ein Sofa das sie Abends zum Bett umfunktionierte, ein kleiner Beistelltisch auf dem ein alter Fernseher stand und ein Bücherregal das ihre gesamten medizinischen Fachbücher verwahrte, waren alle Möbel in dem Zimmer. Auch im Bad herrschte Schmalhans. Alles war noch so eingerichtet wie sie die Wohnung übernommen hatte. Der einzige wirkliche Luxus war die Küche, denn der Vormieter hatte seine Einbauküche da gelassen, was Constanze noch heute freute. Sie machte sich einen Kaffee und setzte sich auf ihr Sofa. Sie hatte nicht geglaubt das die Übernahme und die Renovierung der Praxis soviel Geld verschlingen würde. In drei Wochen, wenn die nächste Rate fällig war, waren ihre Ersparnisse aufgebraucht. Alles Geld das sie von ihren Eltern geerbt hatte war dann ausgegeben. Zuerst die Studiengebühren und die vielen Bücher, dann die Kosten für die Praxis und den Notar. Sie dachte mit Freude und zugleich auch beschämt an das Angebot ihrer Sprechstundenhilfe. Das Gehalt das sie an Anita Schmal zahlte fiel wirklich nicht so sehr ins Gewicht.

Zuerst hatte sie versucht in Hamburg eine Praxis zu finden, doch die Preise waren derartig hoch das sie schnell auf das Umland ausgewichen war. Als sie dann diese Praxis gefunden hatte, erschien es ihr wie ein Geschenk Gottes. Eine nette kleine Stadt auf dem Lande, eine Praxis die sie sich leisten konnte und die von den Zahlen die ihr Doktor Kleinwasser gab, auch einen Gewinn abwarf. Nach ihren Berechnungen hätte sie das Geld das sie in die Übernahme und die Renovierung gesteckt hatte nach fünf bis sechs Jahren wieder raus. Doch dann kam kein Patient. Nicht ein Einziger. Das ging nun schon zwei Monate so. Jeden Tag saß sie in ihrer leeren Praxis und verzweifelte mehr und mehr. Sie wusste bis eben nicht woran es lag. Constanze hatte schon mit Anfangsschwierigkeiten gerechnet, aber nicht mit solch massiven. Wenn sich nicht sehr bald etwas änderte wäre nächsten Monat ihr Traum aus und vorbei.

Hätte ihr Anita nicht gesagt warum kein Patient zu ihr kam, würde sie immer noch rätseln wo ran es lag. Sie hatte die ehemals dunklen Räume mit hellen freundlichen Farben streichen lassen. Hatte sogar zwei Fenster neu einbauen lassen damit die Untersuchungsräumen nicht wie düstere Folterkammer aussahen, sondern von Licht durchflutet wurden. Für den Empfangstresen hatte sie einen Computer und die entsprechende Software gekauft und Anita während der Renovierung auf einen Kurs geschickt damit diese lernte wie sie mit dem neuen Gerät umgehen musste. Die Abläufe hätten nun schneller laufen sollen und die Patienten hätten nicht mehr so lange warten müssen. Und das sollte nur alles für die Katz gewesen sein? Nur weil sie eine Frau war? Das konnte doch nicht wirklich Wahr sein.

Auch wenn sie diesen Gedanken nicht gerne äußerte weil sie nicht angeben wollte, aber sie wusste das sie Besser als ihre Kollegen war. Einfach weil ihr Kenntnisstand neuer war. Die Kollegen praktizierten schon seit Jahrzehnten, viele Neuerungen und wissenschaftliche Erkenntnisse waren an denen vorbei gegangen. Vielleicht hätte ich doch Frauenärztin werden sollen, dachte Constanze verbittert. Doch noch einmal fünf Jahre Fachausbildung konnte und wollte sie sich nicht leisten. Sie war Ärztin für Allgemein Medizin aus Überzeugung geworden, nicht weil es für sie nur ein Beruf sondern wirkliche Berufung war.

Das Telefonläuten riss Constanze aus ihren trübsinnigen Gedanken. Sie hatte sich noch nicht ganz gemeldet da hörte sie auch schon Anita mit sehr aufgeregter Stimme sagen das sie bitte zu einer bestimmten Adresse fahren möchte. Ein kleines Kind hätte dort hohes Fieber und die Elten wüssten nicht mehr weiter. Verbittert fragte die junge Ärztin warum sich die Eltern nicht an Doktor Schmidt gewendet hätten. Die Erklärung ihre Sprechstundenhilfe verwunderte sie sehr, dennoch sagte sie zu, sofort zu der Adresse zu fahren und nach dem kranken Kind zu sehen. Im Auto überlegte sie welchen Grund es haben könnte das ihr Kollege die Behandlung abgelehnt hätte. Er hatte doch auch den Hippokratischen Eid geleistet. Wieso lies er dann nicht alles stehen und liegen und eilte zu dem angeblichen schwer kranken Kind?

Die Gegend in die sie ihr Navi führte wurde immer elender. Die junge Ärztin hätte nicht gedacht das es in einer Kleinstadt solch ein heruntergekommenes Viertel gab. Vor einer wahrscheinlich einmal recht hübschen und ansehnlichen Jugendstil Villa, die heute jedoch nur der Schatten eines Schattens ihrer Selbst war, meinte ihr Navi das sie ihr Ziel erreicht habe. Johann atmete einmal tief durch, nahm ihren ganzen Mut zusammen und stieg aus. Mit ihrem Arztkoffer in der Hand ging sie auf das vollkommen verkomme Gebäude zu. Aus den Augenwinkeln sah sie ein paar Gestalten denen sie lieber nicht begegnen wollte. Sie beschleunigte ihre Schritte und stürmte gerade zu auf das Haus zu. Zwei Schritte bevor sie das was von der Tür noch vorhanden war erreicht hatte, wurden diese aufgerissen.

Ein Hüne von Mann stellte sich ihr in den Weg und sah sie etwas irritiert aber auch abwartend bis lauernd an. Bei seinem Anblick geriet Johanns Sturmlauf ins Stocken. Einen Meter vor dem Riesen blieb sie stehen und schaute sich hilfesuchend um. Doch es war niemand da der ihr zur Hilfe eilen würde. Plötzlich verstand sie warum ihr Kollege es abgelehnt hatte hier her zu fahren. Doch da sie nun schon mal hier war und es immer noch ihre Aufgabe war kranken Menschen zu helfen, stemmte sie ihre Hände in ihre Hüften, sah den Hünen herausfordernd an und sagte:“Ich bin Ärztin! Wo ist das kranke Kind?“. Zu ihrer Verwunderung bekam der bis eben so harte Blick des Riesen einen fast schon zärtlichen Ausdruck während er sagte:“Im Keller. Erste Tür rechts.“. Dann trat er beiseite und lies die junge Ärztin passieren.

Der Gestank der Constanze entgegen schlug lies sie taumeln, sie wäre wahrscheinlich gestürzt hätte der Mann sie nicht aufgefangen. Je weiter sie die Treppe runterging je schlimmer wurde ihre Atemnot. Dann hatte sie das Zimmer erreicht und sah das Kind auf einem Haufen alter und zum Teil feuchter Zeitungen und Tüchern liegen. Anscheinend hatte sich der Hüne bemüht so etwas wie ein Bett für den Wurm zu bauen. Die Wände waren schwarz, jedoch was es keine Farbe sondern Schimmel wie Constanze sofort erkannte. Vorsichtig untersuchte sie das Kind. Nach ihren spärlichen Erfahrungen in der Kindermedizin musste das Mädchen so ungefähr fünf Jahre alt sein. Doch wenn es schon länger unter solchen oder ähnlichen Bedingungen gelebt hatte, könnte es es auch ein oder zwei Jahre jünger sein. Sie hatte schließlich gelernt das Umwelteinflüsse den Alterungsprozess beschleunigen konnten. Schon auf dem ersten Blick erkannte Constanze das ihr all ihr Wissen und Können hier nicht helfen würde, das Kind musste sofort raus aus diesem Raum und in ein Krankenhaus. Es war erstaunlich das das Mädchen überhaupt noch lebte. Sie drehte sich zu dem Mann um und sagte:“Wenn das Kind nicht sofort hier raus kommt wird es Morgen nicht mehr leben! Was haben Sie sich gedacht als sie es hier her brachten? Auch Ihnen tut diese Umgebung wirklich nicht gut, aber das ist Ihre Sache, Sie sind erwachsen und müssen selber wissen was Sie sich antun. Aber das Mädchen bringen Sie damit um!“.

Wieder überraschte der Hüne die junge Ärztin. Tränen liefen über sein Gesicht und ganz leise meinte er:“Glauben Sie es macht mir Spaß hier zu hausen? Ich weiß das es keine gesunde Unterkunft ist, aber was soll ich denn machen? Bitte retten Sie meine kleine Eva! Sie ist Alles was ich noch habe und ich will sie nicht auch noch verlieren!“. Unsicher sah Constanze von dem Mädchen zu dem Vater dann kramte sie ihr Handy aus der Hosentasche. Sie bestellte einen Rettungswagen doch als sie die Adresse nannte, lachte ihr Gesprächspartner nur kurz und legte dann einfach auf. Erst jetzt begriff Constanze das sie hier auf sich alleine gestellt war. Sie wies den Mann an sein Kind zu nehmen und zu ihrem Auto zu bringen. So schnell ihre Beine es zu ließen rannte sie nach oben um endlich wieder atembare Luft in ihre Lungenflügel zu bekommen. Dort traf sie der nächste Schock. Ihrem Auto fehlten nicht nur die Reifen auch die Türen und die Motorhaube war abgebaut worden. Sie brauchte gar nicht erst ein Blick ins Innere zu werfen um zu wissen das ihr Navi und das Autoradion auch nicht mehr an ihrem angestammten Platz waren.

Hinter ihr tauchte der Riese, der sein Kind wie ein rohes Ei in seinen Armen trug, auf. Vorsichtig legte er seine Tochter auf die Rückbank und richtete sich dann zu seiner vollen Größe auf. Er dreht sich einmal im Kreis und sagte dann zu der Ärztin:“In fünf Minuten können wir los!“. Constanze bekam einen Lachkrampf. In fünf Minuten? Mit einem Wagen der mehr wie einen Schrotthaufen aussah als wie ein Auto? Wie sollte das gehen? Sollte sie nur auf den Felgen fahren? Wahrscheinlich hatten diese Ganoven auch ihren Tank geleert, wie sollte sie so von hier weg kommen? Doch so wie der Riese es gesagt hatte, schien er es zu meinen. Er stieß einen Pfiff aus und ein paar der Gestalten, die Constanze schon bei ihrer Ankunft aufgefallen waren, erschienen auf der Bildfläche. Der Hüne zeigte auf sie und erklärte kurz das sie Ärztin sei und das Auto bräuchte um seine Tochter zu retten. Drei Minuten später tauchten ziemlich viele Leute auf, so das Constanze den Überblick verlor, und schraubten all die abmontierten Sachen wieder an und in ihr Auto. Sogar der Tank wurde wieder aufgefüllt. Nach zehn Minuten war der Wagen tatsächlich wieder fahrbereit und Constanze beeilte sich die Gegend schnellst Möglich zu verlassen.

Auf dem kürzesten Weg und ständig mit überhöhter Geschwindigkeit fuhr Constanze zum nächsten Krankenhaus. Als der Riese erkannte wo sie hin wollte meinte er das es keinen Sinn machen würde. Seine Tochter würde dort mit Sicherheit nicht behandelt werden und selbst wenn doch, könnte er den Krankenhausaufenthalt nicht bezahlen. Versichert sei er leider nicht. Das hatte Constanze auch nicht angenommen. Wer freiwillig in so einem Loch hauste, hatte einfach keine Versicherung. Dennoch hoffte sie das die Kleine im Krankenhaus behandelt würde. Doch sie wurde schwer enttäuscht. Das Krankenhaus lehnte die Behandlung ab. Als Constanze dem Direktor an seinen Eid als Arzt erinnerte, lachten der nur und erklärten ihr das er gar kein Arzt sei und sich somit auch nicht an diesen blödsinnigen Eid halten müsste. „Außerdem“, sagte er dann ganz Geschäftsmann:“Ist dieses Krankenhaus ein Wirtschaftsunternehmen das Gewinne machen muss und nicht die Wohlfahrt die Geschenke verteilen kann!“. Er lachte nur kurz über Constanzes schwachen Einwand das man mit so einer noblen Tat gut Werbung machen könnte. Dann ließ er sie einfach stehen. Verzweiflung machte sich in der jungen Ärztin breit. Ihre erste Patientin und sie würde sie nicht retten können.

Wenn mir keiner helfen will muss ich das arme Mädchen eben selbst versorgen, dachte die junge Ärztin trotzig und fuhr zu ihrer Wohnung. In der Praxis hatte sie zwar viele hübsche und praktische Geräte aber eben kein Bett. Erst als der Vater sein krankes Kind auf ihrem Sofa platziert hatte, fiel ihr auf das sie noch nicht einmal seinen Namen kannte. Doch das musste noch warten, erst mal mussten ein paar Medikamente und Geräte her und auch ein richtiges Kinderbett. Da sie hier niemanden außer Anita Schmal kannte rief sie bei der an und erklärte ihr mit kurzen Sätzen die Lage. Anita versprach sich sofort um alles Nötige zu kümmern. Dann erst wandte sich Constanze dem Hünen zu, der auf dem einzigen Stuhl in der kleinen Wohnung Platz genommen hatte und fragte ihm nach seinem Namen.

„Ich bin Arthur Weber.“, sagte der Angesprochene mit so etwas wie Stolz in der Stimme. Bei Constanze klingelte etwas bei dem Namen, doch sie kam nicht drauf was ihr dieser Name sagen sollte. Er war ihr bekannt und doch auch wieder nicht. Bevor sie weiter darüber nachdenken konnte erzählte Arthur mit sehr trauriger Stimme:“Ich war bis vor zwei Jahren das Aushängeschild des deutschen Boxsportes. Habe fünf Mal die deutsche Meisterschaft gewonnen. War dreifacher Europameister und habe sogar um den Weltmeistertitel geboxt. Doch den Kampf habe ich verloren und damit begann mein Untergang. Vorher hatte ich Alles. Eine tolle Villa, eine Frau die mich angeblich liebte und viele Freunde. Doch nach dem verlorenen WM Kampf bekam ich keine Werbeaufträge mehr. Wer will schon mit einen Verlierer werben. Meine Frau lies sich von mir scheiden und bekam vom Gericht die Villa und einen Großteil des Geldes zugesprochen. Nur Eva wollte sie nicht. Was mir ganz Recht war, denn sie ist mein Ein und Alles. Ich fiel immer tiefer und alle meine angeblichen Freunde verabschiedeten sich. Ein Comeback Versuch schlug fehl. Ich wurde aus dem Boxstall geschmissen und verbrachte eine Zeit auf dem Rummelplatz. Ich verdiente etwas Geld damit das ich mich mit irgendwelchen Halbstarken oder Möchtegern Boxer in Ring schlug. Dann verletze ich mich und war auch diesen Job los. Auch wenn ich geglaubt hatte es ginge nicht noch weiter runter, ich hatte mich geirrt. Es ging! Wie heißt es so treffen? Schlimmer geht immer!“. Dann brach Arthur ab, vergrub sein Gesicht in seinen Pranken und nur an den Zucken seiner immer noch unheimlich muskulösen Arme konnte Constanze erkennen das er weinte.

Sie wollte gerade zu ihm gehen um ihn zu trösten als es an ihrer Haustür klingelte. Auf den Weg zur Tür gingen Constanze die sonderbarsten Gedanken durch den Kopf. Auf ihren Stuhl saß Arthur „the Hammer“ Weber. Der Boxer der alle seine Kämpfe durch KO Siege gewonnen hatte. Sie war kein Boxfan doch an die Geschichte mit dem WM Kampf konnte sie sich erinnern, weil damals alle Welt von Betrug gesprochen hatte. Die Zeitungen waren voll davon gewesen mit Bildern und Storys über den Skandal. Der Ringrichter hatte den Kampf abgebrochen und seinen Gegner, den Titelverteidiger, zum Sieger erklärt. Angeblich weil er schwere gesundheitliche Schäden für Arthur befürchtete wenn er ihn hätte weiter boxen lassen. Zu einem Wiederholungskampf war es nicht mehr gekommen. Dann wurde nur noch schlecht über Arthur berichtet. Angeblich schlug er seine Frau. Aus dem einstiegen guten Boxer wurde fast über Nacht ein mieser und brutaler Schläger. Wenn sie sich richtig erinnerte, wurden gegen ihm auch Dopingvorwürfe erhoben, doch die konnten nie nachgewiesen werden. Wenn sie jedoch bedachte wie liebevoll er mit seiner Tochter umging, wie vorsichtig er sie getragen und gehalten hatte, konnte sie sich nicht so recht vorstellen das er wirklich der brutaler Frauenschläger war.

Anita Schmal stand in der Tür. Neben ihr noch zwei Frauen. Alle Drei hatten Unmengen an Plastiktüten bei sich und zu großen Freude der jungen Ärztin hatte es Anita sogar geschafft ein Kinderbett zu organisieren. Constanze ließ die drei Frauen rein. Ihre kleine Wohnung war nun total überfüllt doch das irritierte weder die junge Frau noch ihre Gäste. Schnell hatte sie sich die Tüte mit den Medikamenten gegriffen und nun endlich das kleine Mädchen zumindest notdürftig zu versorgen. Die Frauen bauten unterdessen das Kinderbett zusammen und bezogen es. Arthur hob seine Tochter vom Sofa und legte sie ins Bett. Er hatte dabei schon wieder Tränen in den Augen. Anita und ihre Freundinnen packten die restlichen Tüten aus. Neben vielen Kleidungsstücken für das kranke Kind kamen auch ein Haufen von Kuscheltier zum Vorschein. Eva schlug zum ersten Mal, seit Constanze sie das erste Mal gesehen hatte, ihre Augen auf und zeigte auf einen alten Hasen. Anita reichte ihn ihr. Mit einem Lächeln im Gesicht nahm das kleine Mädchen das Stofftier in seine Arme und schlief wieder ein. Die Frauen verabschiedeten sich, nicht ohne immer wieder zu bekräftigen das ein Anruf genügen würde sollte noch etwas benötigt werden. Dann waren Constanze und Arthur wieder alleine.

Aus den spärlichen Zutaten die ihr Kühlschrank hergab zauberte Constanze ein kleines aber gesundes Mahl für ihren Gast und sich. Dann untersuchte sie noch einmal gründlich das kleine Mädchen. Die Medikamente schlugen, so weit sie das ohne Geräte und Blutproben erkennen konnte, an. Arthur saß die ganze Zeit auf dem Stuhl und sah ihr bei den verschiedenen Arbeiten zu. Nach einiger Zeit ging dieses Beobachtet werden der jungen Ärztin ganz schön auf den Geist. Glaubte er wirklich sie hätte sich den ganzen Stress gemacht nur um das Kind dann hier sterben zu lassen? Was sollte das? Es wäre für sie alle besser wenn er jetzt gehen würde.

„Ich möchte nicht unhöflich erscheinen, aber Sie sollten jetzt auch gehen.“, sagte Constanze nach dem sie die Sachen gesichtet und in ihrem Schrank verstaut hatte. Die Kleine schlief ruhig und fest was Constanze als gutes Zeichen wertete. Sie wusste das Eva noch lange nicht über den Berg war, aber seit sie hier war hatte sie nicht mehr so stark gehustet und auch das Fieber hatte etwas nachgelassen. Arthur schien von ihrem Wunsch nicht viel zu halten denn er blieb einfach sitzen. „Hören Sie:“, versuchte es Constanze erneut:“Diese Wohnung hat einfach nicht genug Platz. Und ich muss Morgen fit sein. Auch wenn wieder kein Mensch in meine Praxis kommt, so muss ich doch dort sein. Also Bitte, gehen Sie! Sie können gerne Morgen wieder kommen und nach Eva sehen aber jetzt muss ich ins Bett!“.

„Wo soll ich denn hin? Zurück in den Schimmel verseuchten Keller? Dann kann ich auch gleich Selbstmord begehen.“, stellt Arthur nüchtern fest. Auch wenn es Constanze sehr Leid tat aber hier bleiben konnte er auf keinen Fall. Aber in sein Kellerloch zurück schicken konnte und wollte sie ihn auch nicht. Sie nahm ihr letztes Geld aus ihrem Portemonnaie und drückte es ihm mit den Worten:“Für ein oder zwei Nächte in einem billigen Hotel müsste es reichen!“, in die Hand. Stumm erhob sich Arthur sah verzweifelt zu seiner Tochter dann wanderte sein Blick zu der jungen Frau. Seit seinem verlorenen WM Kampf hatte er solche Freundlichkeit nicht mehr erlebt. Er ging zur Tür öffnete diese doch bevor er ging drehte er sich noch einmal um und sagte tot ernst:“Das werde ich Ihnen nie vergessen! Ich komme Morgen wieder!“. Müde aber glücklich endlich mal das getan zu haben wo für sie solange gelernt hatte, nickte sie dem Hünen zu. Dann schloss sich die Tür hinter ihm. Constanze machte ihr Sofa zurecht, duschte schnell und legte sich ins Bett. Ihr Kopf hatte das Kissen noch nicht ganz erreicht als sie auch schon eingeschlafen war. Der doch recht turbulente Tag forderte von ihrem zierlichen Körper seinen Tribut.

Arthur ging zurück in die verkommene Gegend. Fast drei Stunden brauchte er doch er genoss die Zeit denn zum ersten Mal seit er dort unter gelandet war hatte er nicht die Sorgen um seine Tochter im Kopf. Er wusste das sie bei der Ärztin gut versorgt war. Seit langer Zeit konnte er mal in Ruhe über die Zukunft nachdenken. Das es so nicht weiter ging war ihm klar, aber wie sollte er aus diesem Teufelskreis raus kommen. Ohne Arbeit bekam er keine anständige Wohnung, aber so wie er sagte wo er derzeit wohnte bekam er keine Arbeit. Kurz überlegte er ob es richtig war dorthin zurück zu gehen. War es nicht doch besser in einem billigen Hotel zu übernachten? Doch er ging immer weiter bis er sein Ziel erreicht hatte.

Ohne sich um die Beiden Wachposten zu kümmern die vor der Tür standen ging er in die einzige noch bewohnbare Behausung. Hier residierte der ungekrönte König der Gegend. Auf ihn hörten fast alle die hier gelandet waren. Arthur und er waren keine Freunde aber zu einem offenen Schlagabtausch war es zwischen ihnen auch noch nie gekommen. Helge, von seinen Leute nur „die Bohle“ genannt, weil er angeblich so unnachgiebig und hart wie eine Eisenbahnbohle war, saß in einen Ohrensessel wie auf König auf seinem Thron wenn er Hof hielt. Arthur musste sich mit Gewalt am Lachen hindern. Er wollte keinen Streit auch wenn Helges eher schmächtige Statur in diesem großen Sessel eher fehl am Platze wirkte. Er wollte hier raus und das ging nur wenn die Bohle ihr OK dazu gab.

„Was willst DU denn hier“, bellte Helge gleich los. Er hatte es Arthur nie wirklich verziehen das dieser sich beharrlich geweigert hatte seiner Gang bei zu treten. Arthur sah in gutmütig an und antwortete:“Helge ich will keinen Streit mit dir. Ich bin hier weil ich mich bei dir bedanken möchte das deine Jungs das Auto der Ärztin wieder flott gemacht haben und meine Tochter jetzt eine Chance zum Überleben hat.“. Arthur fische das Geld das er von Constanze für die Übernachtung in einem Hotel bekommen hatte aus der Hosentasche und warf es Helge mit der Bemerkung:„Als kleine Entschädigung!“, entgegen. Helge sah die paar Scheine und meinte:“Dir ist schon klar das selbst das Navi mehr Wert war als die paar Kröten?“.
„Ja, aber mehr habe ich zurzeit nicht. Und wenn du mich nicht gehen lässt wird es auch nicht nicht mehr!“.
„Du willst also meinen Schutz nicht mehr?“, fragte die Bohle mit einem gefährlichen Unterton in der Stimme.
„Ich stand noch nie unter deinem Schutz!“, stellte Arthur klar:“Du hast mich hier wohnen lassen und mir mehrmals deine Jungs auf den Hals gehetzt um mich in deine Gang zu bekommen. Wenn ich mich recht erinnere, ohne Erfolg. Ich will wirklich keinen Streit! Werder mit Dir noch mit einem deiner Jungs. Lass mich einfach ziehen und alles ist OK.“.
„ICH entscheide hier wann was OK ist oder nicht! Aber gut du darfst gehen. Ich gebe dir sogar noch etwas Geld mit auf den Weg. Sagen wir dein Geld“, dabei zeigte er auf die am Boden liegenden Scheine:“ mal Zwei, dafür musst du aber meinen besten Mann umhauen! Wenn dir das nicht gelingt bleibst du hier!“.

Bevor Arthur reagieren konnte hatten sich alle Anwesenden zu einem Kreis um ihn herum aufgestellt. Helge grinst triumphierend und rief dann:“Bimbo!“. Die Tür ging auf und ein riesiger schwarzer Muskelberg betrat das Zimmer. Er sah einmal abschätzend und abfällig zu Arthur und sagte mit einer Fistelstimme die so gar nicht zu seinem imposanten Erscheinungsbild passte:“Was ist Bohle?“.
„Hau für mich diesen Angeber aus den Latschen. Deine Belohnung liegt da!“, wieder zeige er auf die Geldscheine. Zu Arthurs Verwunderung sah Bimbo sich kurz um und fragte dann:“Wo? Hier?“.
„Ja wo denn sonst? Oder hast Du hier irgendwo einen Boxring gesehen?“.
Bimbo nickte und schwenkte mit erhobener Faust herum, um, so sah es zumindest für die Zuschauer aus, Arthur sofort zu Boden zu strecken. Arthur sah jedoch was Bimbo wirklich vor hatte. Geschickt tat er so als ob er dem Schlag ausweichen würde und holte selber aus. Der Typ der hinter Arthur stand und ihm am Abhauen hindern sollte, kassierte ohne Vorwarnung den Schlag. Wie ein gefällter Baum ging er zu Boden. Nun schlug auch Arthur zu, wie durch Geisterhand traf er jedoch nicht seinen Gegner, sondern ein weiterer Zuschauer verdrehte die Augen und bracht zusammen. Bevor einer der Umstehenden oder Helge begriffen hatten, was sich da abspielte lag schon gut Zweidrittel der Gang KO am Boden. Der Rest versuchte so schnell es ging aus dem Zimmer zu flüchten. Als Helge sich aus dem Staub machen wollte, wurde er von Bimbo abgefangen und zurück in seinen Sessel gedrückt. Mit eisernen Griff hielt der schwarze Riese den Gangboss fest.

„Danke Franklin lass gut sein!“, sagte Arthur und sah dann Helge an. Dieser verstand den Blick, nickte und sagte so laut das es auch seine Leute draußen mitbekommen mussten:“OK Hammer du bis frei und kannst gehen!“. Franklin beugte sich vor und flüsterte Helge ins Ohr:“Sollte ich jemals erfahren das du dein Wort gegenüber Arthur nicht gehalten hast zeige ich dir warum man mich „the Thunder“ nennt!“. Dann drehte er sich um und schlug Arthur freundschaftlich auf die Schulter und sagte:“Mach's gut Hammer und lass dich hier nie wieder blicken, denn das nächste Mal hau ich dich wirklich um!“. Arthur lachte und meinte:“Das hast du schon zwei Mal im Ring probiert und nicht hinbekommen.“.
„Stimmt“, sagte der große Schwarze lachend:“Aber dieses Mal ist Keiner da der dir mit viel Kohle den Sieg kauft!“.
„Was?“, fuhr Arthur auf:“Ich habe keinen meiner Siege gekauft!“.
„Du vielleicht nicht, aber dein Promotor ganz sicher! Du glaubst doch nicht im Ernst das du wirklich alle Deine Gegner ins Koma geschickt hast, oder? Mindestens die Hälfte deiner Gegner haben sich fallen lassen! Und glaub mir ich weiß wo von ich rede! Wieso glaubst du hast du fast nur Leute aus meinen Boxstall als Gegner gehabt? Doch nicht weil es keine Anderen gab. Es gab genug die dich Herausfordern wollten und die dir ernsthafte Schwierigkeiten bereitet hätten! So gut wie du glaubst, bist du nämlich nicht.“.

Arthur war am Boden zerstört. Er hatte nicht gewusst das viele seiner Kämpfe verschoben wurden waren. Er hatte wirklich geglaubt das er seine Titel zu recht hatte und nicht weil der Besitzer seines Boxstalles mit einem anderen Besitzer krumme Geschäfte gemacht hatte. Er schämte sich und war gleichzeitig unheimlich sauer auf seinen ehemaligen Boss. Für Arthur war Boxen bisher ein sauerer Sport gewesen. Mann gegen Mann und dem Gewinner wurde der Arm hoch gerissen. Anders als beim Wrestling wo es nur um die Show ging und wo von vornherein fest stand wer gewinnen würde.

Helge sah die Verwirrung und das Entsetzen in Arthurs Gesicht und stellte richtig mitfühlend fest:“Du hast es wirklich nicht gewusst!“. Ohne darauf zu antworten wollte Arthur das Zimmer und die verwahrloste Gegend verlassen doch er wurde noch einmal von der Bohle zurück gehalten. Helge sagte:“Warte kurz!“, kramte in seiner Hosentasche und zog dann ein dickes Bündel Geldscheine hervor und warf es Arthur zu:“Das wirst du brauchen wenn du wirklich neu anfangen willst! Oder bezahle damit die Behandlung deiner Tochter!“. Jetzt verstand Arthur die Welt nicht mehr. Der Oberganove der Slums gab ihm Geld obwohl er nie Bandenmitglied war und ermöglichte ihn somit den Neuanfang. Wortlos vor Rührung nahm es das Geld. Aus den Augenwinkel sah er Helges zufriedenes Grinsen. Plötzlich wusste Arthur das er das Geld auf keinen Fall behalten sollte, auch wenn er es noch so dringend benötigte. Er hätte sich damit dann doch noch von Helge kaufen lassen, etwas was er seit er hier gelandet war fast schon verzweifelt vermieden hatte. Er drehte sich um, warf das Geld zurück zu Helge und meinte:“Netter Versuch. Fast hättest Du es tatsächlich doch noch geschafft!“. Dann verließ er die herunter gekommene Gegend. Arthur schwor sich nie wieder hier her zurück zu kommen. Und das nicht weil er Angst vor Franklin hatte.

Constanze erwachte sehr früh am Morgen durch ein Geräusch das sie zuerst nicht zuordnen konnte. Ihr Wecker war es mit Sicherheit nicht. Als es noch einmal erschallte, wusste sie was es war. Da hustete jemand. Eva, fiel ihr ein. Und dann war sie plötzlich hellwach. Sofort sprang sie von ihrem Sofabett zum Kinderbett und schaute nach ihrer kleinen Patientin. Gut ging es der nicht das sah sie sofort und das hätte sie auch erkannt wenn sie nicht Jahre lang Medizin studiert hätte. Sie tat ihr was in ihrer Macht stand, erkannt aber das sie nicht viel ausrichten konnte. Das Kind musste in ein Krankenhaus und das ziemlich schnell. Das Fieber hatte sie senken können doch die Schimmel Sporen die ihn der Lunge des Mädchens saßen, würde sie nicht beseitigen können können, dafür fehlten ihr die richtigen Medikamente. Doch bevor sie irgendetwas für Eva tun konnte musste sie mit Arthur reden. Sie hatte so viele Fragen und nicht eine einzige Antwort. Wie lange hatte das Mädchen in dem Raum verbracht? Wo war sie vorher gewesen und wie war es dort gewesen? Wie alt war Eva? Hatte sie noch an anderen ungesunden Orten gelebt? „Mein Gott wie schlampig ich gearbeitet habe“, schoss es ihr durch den Kopf:“Keine anständige Anamnese. Keine Befragung des Vaters, ja ich habe nicht einmal die schriftliche Einverständnis des Vaters das ich das Kind behandeln darf. An der Uni hätte mir der Professor den Kopf abgerissen für diese Nachlässigkeiten!“.

Nachdem Constanze sich eine Zeitlang beschimpft und niedergemacht hatte, machte sie sich auf den kurzen Weg in ihre Praxis. Nur kurz reinschauen, ist ja eh keiner da und dann sofort zurück zu Eva, dachte sie. Sie hätte eigentlich schon bei Anitas Grinsen stutzig werden müssen. Ein Honigkuchenpferd hätte es nicht besser hinbekommen. Doch Constanze war in Gedanken noch zu sehr mit ihrer kleinen Patientin beschäftigt um über solche Kleinigkeiten zu stolpern. Wie immer zog sie sich ihren Kittel an und ging zum Wartezimmer, öffnete die Tür und blieb sprachlos in der Öffnung stehen. Alle Plätze waren besetzt. Da waren tatsächlich Patienten in ihrer Praxis und dann noch so viele. Was war denn hier los? Schnell überwand sie ihren Schrecken und bat den Ersten ihr ins Untersuchungszimmer zu folgen. Bis zur Mittagspause hatte sie alle Wartenden verarztet.

Schnell ging sie in ihrer Wohnung um nach Eva zu sehen. Der ging es immer schlechter was Constanze zum Verzweifeln brachte. Und Arthur war immer noch nicht erschienen. Constanze sah ein das sie alleine das Kind nicht würde retten können, deshalb rief sie ihren alten Professor an und erzählte dem Alles, nur das es sich um das Kind von Arthur „the Hammer“ Weber handelte verschwieg sie. Das die Eltern der Kleinen kein Geld hatten und sich eine Behandlung nicht leisten konnten, sagte sie mehr als einmal. Ihr Professor fragte sie natürlich all die Sachen, an die sie selber nicht gedacht hatte. Kurz bevor ihre Pause zu Ende war, versprach ihr der Professor mit der Klinikleitung zu reden um zu erkunden ob das Universitätskrankenhaus die Behandlung übernehmen würde. Sofort erklärte Constanze erneut das die Eltern die aufwändige Behandlung nicht leisten könnten. Doch der Professor beruhigte sie und versicherte ihr lachend das er diesen Punkt nun wirklich verstanden hätte und es auch der Klinikleitung so mitteilen würde. Etwas beruhigter ging die junge Ärztin in ihrer Praxis.

Arthur hatte den Vormittag damit zu gebracht sich bei verschiedenen Firmen zu bewerben. Das Glück schien zu ihm zurück gekommen zu sein. Bei einem Schmidt bekam er einen Job. Nicht weil er handwerklich so geschickt war sondern weil der Schmidt einen starken Kerl brauchte der die schweren und heißen Eisenteile auf den Amboss hielt. Es gab zwar Maschinen für solche Arbeiten doch der Schmied schwor auf richtige Handarbeit und hatte sich damit einen Namen gemacht. Seine Kunden kauften bei ihm, obwohl er treuer war als seine mit Maschinen produzierenden Konkurrenten, weil er eben wirklich jedes Teil noch mit seiner Hände Arbeit fertigte. Mit dem Arbeitsvertrag in der Hand suchte Arthur dann auch gleich noch eine kleine und saubere Wohnung. Dies gestaltete sich jedoch sehr viel schwieriger als seine Jobsuche. Es wurde schon dunkel als er dann endlich vor der Tür zu Constanzes Wohnung stand.

Die Praxis war wieder gut Besucht und Constanze hatte alle Hände voll zu tun um jeden Patienten mit der nötigen Sorgfalt zu behandeln. Gerade als sie den Nächsten in ihr Untersuchungszimmer rufen wollte, kam Anita rein und sagte das ein Professor Heinrichsen aus Hamburg sie sofort sprechen wollte. Sofort waren alle Patienten vergessen. Constanze rannte zum Telefon und meldete sich. Ihr alter Professor kam sofort zur Sache:“Die Uni hat entschieden das wir die Behandlung übernehmen. Und zwar für die Eltern des Kindes kostenlos. Es gibt jedoch zwei Bedingungen. Erstens: Sie kommen mit. Zweitens:Sie stehen hinterher für ein ausführliches Interview, das die Uni für die Werbung braucht zur Verfügung!“.
„Wie? Das geht nicht. Ich habe doch gerade erst meine Praxis eröffnet. Ich kann doch nicht jetzt schon wieder abschließen, dann bin ich ruiniert! Für das Interview und etwaige Fotos stehe ich gerne zur Verfügung aber ich kann hier wirklich nicht weg.“, stammelte Constanze fassungslos. Sie hatte zwar gehofft das die Uni Eva behandeln würde aber doch nicht zu diesen Bedingungen.
„Der Hubschrauber der das kleine Mädchen und Sie herbringen soll, ist schon unterwegs. Das Sie so kurz nach einer Praxiseröffnung nicht weg wollen kann ich verstehen deshalb habe ich für dieses Problem auch schon eine Lösung parat.“, hörte sie ihren Professor sagen:“Ich habe eine sehr fähige und kompetente Kollegin gebeten Sie, solange Sie hier bei uns beschäftigt sind, zu vertreten. Sie sitzt in dem Helikopter der zu Ihnen unterwegs ist.“. Na hoffentlich geht das gut, dachte Constanze und sagte dann schweren Herzens zu.

Anita fiel aus allen Wolken als Constanze ihr eröffnete das sie von jetzt auf gleich nach Hamburg fliegen würde um Eva dort in der Universitätsklinik zu behandeln. Einerseits war sie unheimlich Stolz das man ihre Chefin dort brauchte und das arme Kind zu behandeln, andererseits fürchtete sie sich sehr vor dem Chaos das ein erneuter Arztwechsel mit sich bringen würde. Doch, wie Anita glaubte, handelte sie so wie es sich für eine treue Angestellte gehörte. Sie machte ergeben gute Mine zum bösen Spiel und wünschte Constanze viel Erfolg bei der Behandlung. Dann erklärte Anita den noch wartenden Patienten den besonderen Notfall. Und bat sie am nächsten Tag noch einmal zu kommen. Es gab Keinen der nicht verständnisvoll reagierte, was Anita sehr wunderte. Kurze Zeit später war die Praxis leer.

Constanze und Anita gingen in Constanzes Wohnung und bereiteten alles für den Transport von Eva vor. Constanze stopfte schnell ein paar Kleidungsstücke für sich und das Mädchen in eine Reisetasche. Eva sah mit großen Augen zu, sagte kein Wort sondern hielt nur den alten Plüschhasen fest an sich gepresst. Sie kannte solche überstürzten Abreisen anscheinend schon. Erst jetzt fiel Constanze auf das die Kleine bisher noch überhaupt nichts gesagt hatte. Zehn Minuten später traf der Helikopter ein. Solange die Sanitäter brauchten um Eva zu holen, stellte Constanze ihrer Kollegin Anita vor und erklärte kurz die Situation in der Praxis. Ihre Kollegin, die sich als Doktor Kathrin Maibaum vorstellte, verstand recht schnell warum Constanze eigentlich nicht mit fliegen wollte und versprach alles in ihrer Macht stehende zu tun um die Praxis am Laufen zu halten. Obwohl Constanze als auch Anita die Vertretungsärztin zum ersten Mal sahen, glaubten sie ihr. Eine halbe Stunde später hob der Hubschrauber wieder ab. Constanze und Eva erlebten ihren ersten Helikopterflug.

Arthur stand vor der verschlossenen Tür und wusste nicht was er machen sollte. Er wollte seine Eva sehen doch es schien niemand da zu sein. Kurz überlegte er ob er die Tür nicht einfach eintreten sollte und sich gewaltsam Zutritt zu seinem Kind zu verschaffen. Doch da er auch kein Husten oder Kindergeschrei hörte nahm er an das ein solcher Schritt nur Ärger und keine Klarheit brachte. Schwer von sich, aber noch mehr von der jungen Ärztin, enttäuscht ging er wieder. Dabei hatte er so große Stücke von der jungen Frau gehalten. Er hätte darauf sein Leben verwettet das sie alles tun würde um seine Eva zu retten und nur war sie mit seiner Tochter einfach abgehauen. Hatte ihm auch noch das Letzte geraubt das ihm überhaupt noch am Leben hielt. Was sollte er noch hier? Er war ein, wenn auch unbewusster, Betrüger. Er war zum Abschaum der Gesellschaft geworden und nun war er auch noch völlig alleine. Er hatte den Sinn seines Lebens verloren. Völlig in seiner Verzweiflung gefangen ging er durch die Straßen der Stadt, ohne bewusst mit zu bekommen wo hin ihn seine Füße trugen. Schwer ließ er sich, weit nach Mitternacht, auf eine Parkbank fallen und erlaubte seiner Trauer ihm vollkommen in Besitz zu nehmen.

Wie bei vielen Menschen verwandelte sich auch bei Arthur die Trauer in Wut. Wut auf sich selbst, weil er so unbedacht gehandelt hatte. Wut darüber, das er einer völlig fremden Person so viel Vertrauen entgegen gebracht hatte. Unbändige Wut auf die Person, die ihn so hintergangen hatte. Er war wütend, das er so Ohnmächtig war und absolut nichts tun konnte. Immer stärker wurde diese Wut in Arthur. Immer heißer und tiefer brannte sie sich in seine Seele. Immer lodernder wurde sie, bis er es nicht mehr auf der Parkbank aushielt. Er schwor sich nie wieder jemanden zu vertrauen, um nicht noch einmal so enttäuscht, ausgenutzt und beraubt werden zu können.

Arthur musste dringend etwas tun um seinem Frust und seine Wut abzubauen. Wieder nahm er seine Wanderung durch die Stadt auf, doch diesmal hatte er ein Ziel. Die Sonne war schon lange aufgegangen als er die Schmiede, seinen Arbeitsplatz, erreichte. Der Schmied sagte ihm was er machen sollte und Arthur tat es. Die heißen Eisenstücke konnten ihm gar nicht schwer genug sein. Doch die Arbeit brachte Arthur nicht die ersehnte Erlösung und lies seine Wut in keinster Weise weniger werden. Der Schmied beobachtete seinen neuen Angestellten schweigend. Er merkte das etwas mit ihm nicht stimmte. Bei einer Zwangspause, als das zu bearbeitende Eisen wieder erhitzt werden musste, sprach er Arthur an:“Was auch immer dich gerade betrübt es ist besser darüber zu reden als es mit Arbeit zu verdrängen. Denn so zerfrisst es dich nur noch mehr.“ .

Obwohl Arthur sich erst vor ein paar Stunden geschworen hatte niemals wieder irgendjemanden zu trauen, erzählte er seinem Arbeitgeber alles. Einfach weil der Druck in seinem Inneren zu groß war. Er sagte wer er wirklich war. Erzählte von seiner Frau und wie sie ihn ausgenommen hatte. Von seinen angeblichen Freunden und wie sie ihn fallen gelassen hatten. Erzählte alles, auch das seine Kämpe Betrug waren und er erst Gestern Nacht erfahren hatte das er nie „the Hammer“ sondern nur der dumme Spielball von zwei raffgierigen Betrügern gewesen war. Redete von seinem Fall in die tiefsten Regionen des Abschaums. Nicht ohne Stolz erklärte er das er dennoch noch nie eine Straftat begannen hätte. Dann erzählte er von seiner Tochter und wie krank sie sei. Er berichtete was dann geschehen war. Erzählte von der jungen Ärztin, der er vertraut hatte und das sie ihn nun um seinen einzigen wirklichen Schatz gebracht hatte. Arthur versuchte mitzuteilen warum er jetzt so wütend war und warum er unbedingt weiter arbeiten musste. Eben um nicht etwas zu machen was ihm wahrscheinlich den Rest seines Leben Leid tun würde. Schweigend hörte der Schmied zu. Sagte nicht ein Wort sondern ließ Arthur reden. Erst als dieser nichts mehr von sich gab sondern nur noch stumpfsinnig auf seine Füße starrte, sagte er mit ernster Stimme:“Wir lassen jetzt die Arbeit, Arbeit sein und gehen stattdessen zu dieser Ärztin. Wir reden mit ihr. Es gibt bestimmt eine Grund für ihr Verhalten. Sie kann dir nicht dein Kind wegnehmen! Auch wenn dein Lebensstil nicht besonders gut für deine Kleine war, aber so einfach geht das dann doch nicht!“.

Ohne ein weiteres Wort zu wechseln standen die beiden starken Männer auf und machten sich schweigend auf den Weg. Jeder hing seinen eigenen trübsinnigen Gedanken nach. Das der Schmied durch Arthur stark an seinen eigenen Werdegang erinnert wurde, sagte er nicht. Auch er war in seiner Jugend ein gefeierter Sportler gewesen. Gewichtheben war sein Sport für den er damals alles opferte. Seine Freizeit, seine Freunde einfach alles. Von seinem Vereinsarzt hatte er damals ein paar Vitamine verschrieben bekommen und natürlich auch genommen. Als er sich dann für die Europameisterschaften qualifiziert hatte musste er zum Dopingtest. Er wurde positiv getestet. Alle Beteuerungen, das er nicht gewusst habe was er da eingenommen hatte, halfen nichts er wurde für zwei Jahre gesperrt. In seiner Heimatstadt zeigte die Leute mit Finger auf ihn, obwohl er sich keiner Schuld bewusst war. Er hatte doch nur das getan was der Vereinsarzt ihm empfohlen hatte. Mit der Zeit hielt er dem Druck nicht mehr aus und zog ans andere Ende der Republik. Dort machte er dann seine Lehre und hängte den Sport an den Nagel. Es ärgerte ihn bis heute das der Arzt weiter für den Verein tätig sein durfte und nur er bestraft worden war.

Doktor Kathrin Maibaum wunderte sich über die wenigen Patienten die im Wartezimmer saßen. Sie hatte nach dem kurzen Gespräch mit Constanze und Anita Gestern mit mehr Patienten gerechnet. Sie machte sich so gleich an die Arbeit und hatte schnell die paar Leute verarztet. Dann stellte sie sich zu Anita und fragte die Sprechstundenhilfe aus. Diese gab, wenn auch am Anfang nur sehr zögerlich, Auskunft. Am Ende des Gespräches wusste Kathrin wie es um die Praxis bestellt war. Jetzt begriff sie erst, was für einen hohen Preis Constanze zu zahlen bereit war um das kleine Mädchen zu retten. Kathrin war sich nicht sicher ob sie in solch einer Situation so gehandelt hätte. Wahrscheinlich nicht, gab sie sich selbst gegenüber zu.

Kurz bevor die Praxis zum Mittagspause geschlossen werden sollte, erschienen doch noch zwei Patienten. Kathrin blieb mit offenen Mund am Tresen stehen, als sie die Beiden erkannte die da gerade die Tür zur Praxis passiert hatten. Sie war schon immer an allem was mit Sport zu tun hatte interessiert. Besonders die Sportarten bei denen viel Muskelkraft angesagt war, hatte es ihr schon immer angetan. Und nun standen ihr zwei ehemalige Champions gegenüber. Sie konnte ihr Glück kaum fassen. Besonders von „The Hammer“ war sie , als er noch aktiv geboxt hatte, begeistert gewesen. Selbst nach seinem verlorenen WM Kampf hatte sie alles was sie über ihn in der Presse fand verschlungen. Das die Behauptungen seiner Ex Frau er hätte sie geschlagen der Wahrheit entsprachen hatte Kathrin nicht eine Sekunde lang geglaubt.

Auch den zweiten Mann erkannte sie sofort. Das war der Gewichtheber Johannes Figger, auch wenn er heute etwas älter aussah als sie ihn in Erinnerung hatte. Durch ihn war sie überhaupt erst zur Medizin gekommen. Denn damals als er wegen des Dopings gesperrt wurde und immer wieder seine Unschuld beteuerte, hätte sie so gerne bewiesen das er wirklich unschuldig war und der Vereinsarzt die alleinige Schuld traf. Genauso wie Johannes es immer wieder betont hatte. So hatte sie fast fertiges Chemiestudium beendet und hatte dann mit dem Medizinstudium angefangen. Warum sie dann Allgemein Medizinerin geworden war, konnte sie heute nicht mehr erklären, denn eigentlich wollte sie Sportmedizinerin werden.

Bevor sie etwas sagen konnte, baute sich Arthur drohend vor ihr auf und seine Bassstimme dröhnte durch den Flur:“Wo ist meine Tochter? Wo habt ihr Eva versteckt? Ich will sofort zu ihr!“. Bevor Kathrin reagieren konnte stellte sich Anita zwischen sie und den beiden Männern. Mit gefährlich ruhiger Stimmte sagte die Sprechstundenhilfe:“Was soll denn das Gebrüll? Haben Sie keine Manieren?“ Arthur wollte gerade ziemlich erbost darauf antworten als sich die Pranke von Johannes auf seine Schulter legte, um ihn zu beruhigen. Sehr ruhig meinte der ehemalige Gewichtheber:“Entschuldigen Sie, aber wenn mein Freund nicht gleich eine Antwort auf seine berechtigte Frage bekommt, kann ich für nichts garantieren.“. „Wollen Sie uns drohen?“, fragte Anita, doch bevor sie eine Antwort bekam meinte Kathrin an Arthur gewandt:“Kommen Sie bitte mit ins Behandlungszimmer, dort erkläre ich Ihnen alles.“. Arthur schob Anita beiseite als würde sie nichts wiegen und stampfte hinter der Ärztin her ins Untersuchungszimmer. Johannes sah Anita an und lächelte sie freundlich an. Er war von ihrem resoluten Auftreten beeindruckt. Er war sich sicher das er sich einem wütenden Arthur Weber nicht so mutig entgegen gestellt hätte. Und das Arthur kurz vorm Platzen war, hätte auch ein Blinder mit Krückstock erkannt. Anitas Augen funkelten Johannes noch immer leicht erzürnt an, dann sagte sie versöhnlich:“Wenn Sie bitte im Wartezimmer Platz nehmen würden. Frau Doktor ruft Sie, wenn Sie dran sind, dann rein.“. Lächelnd nickte Johannes und begab sich Lammfromm in den Warteraum.

„Nehmen Sie bitte Platz!“, forderte die Ärztin in auf und zeigte auf einen Stuhl der vor dem Schreibtisch stand. Sie selbst ging um das Möbelstück und setzte sich gegenüber ihres früheren Idols nieder. „Hören Sie Herr Weber ...“, begann Kathrin ihre Unterhaltung, weil sie nicht wirklich wusste was und vor allem wie sie dem ehemaligen Boxchampion erklären sollte das seine Tochter nicht mehr hier sondern in Hamburg war. Arthur sah sie unumwunden an. Er bekam sofort mit das die Ärztin anscheinend ein Boxfan war. Denn er hatte sich nicht vorgestellt, dennoch hatte sie ihn mit Namen angeredet. Es war im peinlich das er jetzt so mittellos und auch hilflos vor ihr saß. Äußerlich ruhig, obwohl er in seinem Inneren ziemlich aufgewühlt war, fragte er:“ Was ist mit Eva? Wo ist sie?“.
„Das wollte ich Ihnen gerade erklären“, gab Kathrin zurück:“Ihre Tochter konnte von meiner Kollegin hier nicht so behandelt werden wie es nötig ist. Dafür fehlten ihr hier die technischen Möglichkeiten. Verstehen Sie? Sie hat hier nicht die richtigen Geräte und Medikamente. Deshalb hat sie sich hilfesuchend an das Universitätsklinikum in Hamburg gewandt.....“.
Jetzt war es mit Arthurs Ruhe endgültig vorbei. Aufgebracht unterbrach er die Frau und schimpfte:“Aber sie weiß doch das ich mir eine solche aufwendige Behandlung nicht.....!“.
Kathrin ließ ihn auch nicht ausreden sondern fuhr ihn in die Parade:“Glauben Sie wirklich das ist Frau Sonnentau wichtig? Sie hat den Professor überzeugt das die Uniklinik die Kosten übernimmt. Warum glauben Sie wohl hat sie ihre Praxis, die wirklich nicht gut läuft, so plötzlich verlassen? Bestimmt nicht um sich ein paar schöne Tage in der großen Weltstadt zu machen! Sie will Ihre Tochter retten! Das Mädchen das Sie fast umgebracht hätten! Nun in der Uniklinik hat Ihre Tochter eine Chance! Haben Sie eigentlich auch nur einen einzigen Moment an die Kleine gedacht als Sie sie in dieses Loch steckten.“. Arthur wollte etwas darauf erwidern doch die Vertretungsärztin ließ ihn nicht zu Wort kommen. Sie hatte sich in Rage geredet. Es war ihr egal ob Johannes oder die freundliche Sprechstundenhilfe etwas mitbekamen. Sie wollte, nein sie musste diesem Mann den Kopf waschen und ihm sagen wie verantwortungslos sein Verhalten war.

Arthur sank immer mehr in sich zusammen. Er wusste das die Ärztin recht hatte. Er hätte nie mit Eva in den Keller ziehen dürfen. Doch was hätte er stattdessen machen sollen? Die Fenster der Zimmer im Erdgeschoss der Villa waren zerschlagen so das es ständig zog. Das Dach war mehr als undicht so das er auch nicht in die obere Etage ziehen konnte ohne Gefahr zu laufen das sich der ohnehin nicht besonders gute Gesundheitszustand seiner Tochter noch weiter verschlechterte. Der Keller erschien ihn damals als der beste Ort in dem Haus. Denn dort war es verhältnismäßig trocken und es zog nicht. Er hatte sogar versucht in ein anderes Haus zu ziehen, doch Helges Leute hatten ihn sofort vertrieben. Alles Bitten und Betteln hatte nichts genutzt, solange er nicht zur Gang gehörte, durfte er nur in der verfallenen Villa hausen. Das alles wusste die Ärztin natürlich nicht, woher auch. Für sie stand fest das er ein schlechter Vater war dem das Wohl seines Kindes nicht wirklich interessierte. Hoffentlich dachte die junge Ärztin, die sich zuerst um Eva gekümmert hatte, nicht auch so schlecht von ihm. Warum er nicht wollte das die junge Frau so von ihm dachte konnte er sich nicht beantworten aber er wollte es nicht. Er war so in seinen Gedanken und Erinnerungen versunken das er nicht bemerkt hatte das die Ärztin sich erhoben und nun direkt vor ihm stand. Arthur zuckte erschrocken zusammen als sich ihre Hand auf seine Schulter legte. Leicht verwirrt schaute er auf.

„Wenn es Ihnen recht ist, würde ich jetzt gerne Sie untersuchen.“, sagte die Vertretungsärztin und deutete auf die Untersuchungsliege. Wie im Trance begab sich Arthur dort hin. „Machen Sie sich bitte Oben herum frei.“, forderte die Ärztin ihn auf. Automatisch entledigte sich der Ex Boxer seiner Bekleidung. Apathisch lies er sich von der Ärztin untersuchen. Hustete als er von ihr dazu aufgefordert wurde, hing ansonsten aber seinen Gedanken nach. Er musste schnellst Möglich zu einer passablen Wohnung kommen. Und Geld brauchte er, damit er zumindest die nächsten Untersuchungen von Eva bezahlen konnte. Unerwartet hörte er die Ärztin dann sagen:“Sie dürfen sich wieder anziehen. Sie haben zum Glück keine ernsthaften Schädigungen davon getragen. Ich verschreibe Ihnen ein Mittel damit es nicht doch schlimmer wird. Sollten Sie in den nächsten Tagen irgendwelche Beschwerden haben, was ich jedoch nicht annehme, kommen Sie bitte sofort her!“. Bevor Arthur etwas sagen oder fragen konnte verließ die Ärztin das Zimmer.

Kaum hatte Kathrin das Untersuchungszimmer verlassen, wandte sie sich an die Sprechstundenhilfe:„Frau Schmal würden Sie mir einen großen Gefallen tun?“. „Ja sicher!“ kam sofort die Antwort. Sehr viel leiser, fast schon flüsternd fragte Kathrin:“Würden Sie bitte in die nächste Apotheke gehen und dieses Medikament besorgen?“. Dabei überreichte sie der verdutzten Sprechstundenhilfe ein Rezept. „Das Geld bekommen Sie nachher von mir zurück!“, führte die Ärztin noch an. „Ja ...... Gerne ....... Da wartet noch ein …... Patient.“, gab Anita sichtlich verwirrt von sich. Was läuft denn hier gerade ab, fragte sie sich. Erst bedroht uns der Kerl und nun will die Ärztin sein Rezept bezahlen? Da stimmt doch etwas nicht. Zu weiteren Überlegungen kam Anita nicht den Kathrin meinte leicht versonnen:“Sowie Herr Weber sich angezogen und das Untersuchungszimmer verlassen hat, hole ich ihn rein.“. Nicht nur über den Tonfall der Doktorin ziemlich irritiert, schlüpfte Anita in ihren Mantel und verließ kurze Zeit später die Praxis um den Auftrag der Ärztin zu erfüllen.

Als Anita Schmal eine halbe Stunde später wieder die Räume der Praxis betrat, verließ Johannes Figger, dicht gefolgt von Kathrin Maibaum, gerade das Untersuchungszimmer. Anita warf einen schnellen Blick ins Wartezimmer und stellte überrascht fest das es leer war. Verwundert stelle Anita fest das der Kittel der Ärztin falsch zu geknöpft war und ihre Haare zerwühlt waren. Sie dachte sich ihren Teil, sagte jedoch nichts sondern übergab nur das eben besorgte Medikament. Welches sofort erneut den Besitzer wechselte. Die Ärztin erklärte Johannes noch wie oft und wie lange Arthur das Mittel nehmen sollte und das sie den Boxer Morgen noch einmal sprechen müsste. Der ehemalige Gewichtheber wiederholte ihre Anweisungen dann verabschiedete er sich. Anita sah ihr Vertretungschefin fragen an, als diese jedoch nichts sagte zuckte sie nur mit den Schultern und wendete sich ihren Aufgaben zu.




Fortsetzung folgt.


Nachtrag

Ich bin weder Arzt, noch Boxer oder Gewichtheber. Wenn ich also Fehler in der Beschreibung dieser Tätigkeiten gemacht habe, bitte ich hier für um Entschuldigung.
Seht es als künstlerische Freiheit an und ärgert Euch nicht darüber.
Danke.

Impressum

Texte: Die Rechte liegen bei mir!
Bildmaterialien: Die Rechte liegen bei mir!
Lektorat: Leider noch kein Korrektorat.
Tag der Veröffentlichung: 13.12.2012

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