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Sie stand auf dem Willy Brandt Platz. Direkt gegenüber dem Bahnhofsausgang.
Obwohl ich sie schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen hatte, war sie mir sofort aufgefallen.
Mein erster Gedanke war „Flucht!”
Hätte ich mich, meinem ersten Reflex nach, direkt wieder umgedreht, so wäre mir und doch vermutlich auch ihr vieles erspart geblieben.
Aber ich starrte sie nur an. Von ihr keine Reaktion des Erkennens. So jedenfalls mein erster Eindruck
Die um mich herum aus dem Bahnhof strebenden Fahrgäste der S-Bahn nahmen weder von mir, noch von ihr irgendeine Notiz.
Ein paar Jugendliche, die, wie ich vermute, durch mein abruptes Stehenbleiben aufmerksam geworden waren, versuchten meinem Blick zu folgen und hatten sie wohl auch sofort inmitten der geschäftigen Fußgängerscharen erspäht und an deren Lachen wurde mir schmerzlich bewusst, wie total heruntergekommen sie doch zwischenzeitlich war. Doch ihre Augen strahlten im Gegensatz zu ihrem Äußeren, noch so etwas wie ihre mir noch sehr erinnerliche Lebenslust aus
Wobei ich mir in dieser kurzen, sehr schmerzlichen Sekunde nicht wirklich sicher war, ob dieser flüchtige Eindruck nicht eher meinem Wunschdenken, als der Wirklichkeit zuzuschreiben war.
Der Wunsch als Vater des Verlangens?
Ich beschloss, mich einer Konfrontation mit ihr diesmal zu entziehen, wusste aber nur noch nicht wie.
Umdrehen, wie beabsichtigt, erschien mir unpassend.
Das hätte bedeutet, dass ich um den ganzen Bahnhof herumgehen müsse, wenn ich den Hinterausgang nähme.
Diese Flucht hätte auch nicht viel gebracht, denn ich konnte nicht wirklich sicher sein, dass sie ihren Standort nicht doch noch verlassen würde und ich ihr dann doch noch auf dem Bahnhofsvorplatz in die Arme lief, wenn ich dann endlich durch die Bahnunterführung zum Platz vor dem Handelshof gelangte.
Diese Leute, nach denen sie wohl Ausschau hielt, waren sicher über den ganzen Bahnhofsvorplatz und den Willy Brandt Platz verteilt
Also hoffen, dass ihr sicherlich vernebelter Blick mich nicht aus dem Heer der an ihr Vorbeieilenden herauslösen würde
Ein besonders unauffälliger Typ, mit knapp unterhalb der Knie abgeschnittener Jeans, umgekehrter Baseballkappe und schmutzigen weißen Nikeschuhen, war wohl ihr Kontaktmann.
Er machte eine abwehrende Handbewegung als er sie sah und es schien beinahe, als ob er sie von sich wegstoßen würde
Er drehte sich abrupt um und tat so, als hätte er Besseres zu tun, als sich mit einem so verkommenen Subjekt abzugeben.
Nach zweitem, erfolglosem Versuch mit ihm ins Geschäft zu kommen, brüllte sie ihn an: „ Na gut, dann eben nicht, du Sau!”
Nach allem, was ich von dieser Frau wusste, musste es sich um ein Geschäft handeln, welches diese zwei Menschen hier auf der „Bahnhofs-Platte” zusammenbrachte
Obwohl sich das Geschäft nach dieser schroffen Abfuhr schwerlich noch auf seriöse Art abwickeln lassen würde.

„Holger, Liebling, dich schickt der Himmel! Du musst mir helfen. Ich brauche dringend „fünfzig”, kriegste wieder wenn ich flüssig bin!”
Sie stand auf einmal fordernd vor mir und ich hatte nun die Gewissheit, das ihr Gesichtssinn doch noch nicht so weit herunter war, wie ich in meiner stillen Einfalt noch gehofft hatte.
Ich kramte wortlos in meiner Jacke nach dem geforderten Fünfziger
Ich benutze selten eine Geldbörse und reichte ihr schließlich schweigend den Schein.
„Du bist ein Schatz, das vergesse ich dir nie!”
Ich konnte nur noch zusehen, wie sie den jungen Burschen, der zwischenzeitlich in Richtung des Hotels Handelshof gegangen war, eingeholt hatte und nach kurzem Wortwechsel verschwanden beide in der Menge.
Ich machte meine Besorgungen in der Innenstadt und ging anschließend wieder zurück zum Bahnhof, um wieder mit der U-Bahn in Richtung Margarethenhöhe zu fahren.

Den Menschenauflauf und die Blaulichter auf dem Bahnhofsvorplatz bemerkte ich sofort.

Später, als Zeuge bei Gericht erfuhr ich, dass „Liberty“ das einundachtzigste Drogenopfer dieses Jahres war.

Hier in dieser doch so schönen Stadt.

© 2006 A. S. Antoine Susini


Impressum

Tag der Veröffentlichung: 25.01.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Liberty war Wirklichkeit die an Grenzen führte.

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