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Claude schaute mich geringschätzig an und räusperte sich nervös, bevor er schließlich mürrisch anhob:
„Du glaubst wirklich, jemand ist so bescheuert, uns zehntausend neue Francs für ein bisschen Asche einer Diva zu zahlen, nur um sich diese auf seinen Kamin zu stellen? Und für uns springen noch mal fünftausend raus, wenn wir sie ihm in den nächsten drei Tagen liefern?“
Ich sah hinaus auf die winterlichen, sonnenüberfluteten Champs-Ellysèes, steckte mir eine Gaulloises in den Mund, tat mich bewusst übertrieben schwer diese anzustecken.
Ich blies den ersten tiefen Zug gegen die Fensterscheibe des Bistros, winkte einer jungen, dick vermummten, zurücklächelnden Dame auf den Champs freundlich zu und wandte mich dann erst wieder an Claude.

„Der Kerl zahlt! Er zahlt wenn wir liefern und verdammt Claude, wir werden liefern.“
Ich sah ihn triumphierend an und drückte die Zigarette wieder im Ascher aus.
Er fing wieder an zu stottern, was bei ihm ein untrügliches Zeichen von Erregung war.
Er hatte angebissen.
„Siebenfünf für ne halbe Stunde Angst… und anschließend nach Nizza! Nicht schlecht! Nicht schlecht… Verdammt!“
Er angelte sich eine aus meinem Päckchen obwohl er gar nicht rauchte.
Er winkte ab als ich ihm Feuer geben wollte und fing damit an, die Zigarette zu sezieren, nur um dann die Krümel im Ascher zu entsorgen.
Claude hatte angebissen!
Er hing ganz fest an meiner Angel.

„Claude, pass auf! Das ist keiner der normalen Aufträge. Hier muss mit äußerster Sorgfalt gearbeitet werden. Hier geht es nicht darum einen geklauten Maseratti oder Ferrari nach Spanien zu schaffen, oder ein paar Rolex-Uhren zu besorgen, die in die Staaten zu liefern sind. Hier geht es um Maria Callas!Maria Callas, die größte Sängerin der Welt!
Diese Diva! Die, die einst das Schauspiel in die Oper gebracht hatte und die nun hier in Paris auf dem Friedhof Père-Lachaise ruht.“

Ich kann nicht verhehlen, dass mir die Diva einmal wirklich sehr am Herzen lag.
Obwohl ich sie niemals persönlich in einer Aufführung gesehen, sie auch leider niemals leibhaftig gehört hatte, liebte ich ihre Stimme abgöttisch.
Maria Callas, die Diva!

Ich hatte soeben, mithilfe Claudes, einen sehr schönen neuen Porsche aus einer der Vorstadtvillengaragen entwendet und diesen seinem neuen Besitzer in Spanien zugestellt und nun war ich beauftragt worden, die Asche dieser Diva zu stehlen.
Welch absoluter Wahnsinn!
Ein Autodieb, ein erfolgreicher dazu, sollte sich nun auch noch als gemeiner Grabschänder betätigen.

„Und wie soll die Übergabe vollzogen werden? Wo wird gezahlt? Wer ist der Kunde? Und was ist das für ein Kunde? Und wer zum Teufel ist… war diese Maria Callas?“
Claude hatte anscheinend schon wieder vergessen, dass er stotterte.
„Geht dich alles nichts an Claude. Ist nur ein verrückter Ausländer. Einer von den absoluten Fans der Diva und auch dass es sich um die Callas handelt, vielmehr um das was von ihr übrig ist, solltest du auch ganz schnell wieder vergessen. Dich geht eigentlich gar nichts etwas an, nur dass unser Kunde am kommende Freitag in Nizza mit fünfzehn Riesen auf uns warten wird und wir nach Lieferung sofort wieder zurück nach Paris fahren.“
Ich winkte Jean zu, uns noch einen Pastis zu bringen
Um diese Zeit, kurz nach neun Uhr in der Frühe, war noch nicht all zu viel los hier in dem Laden.
In einer Stunde würde die Sache schon wieder ganz anders aussehen

Ich war soeben erst mit dem Frühflieger aus Madrid gekommen und freute mich schon auf mein Bett und Julia.
Ich pfiff leise die Melodie der Arie in Tosca, der Oper in der die Diva, zu ihren Lebzeiten brilliert hatte.
Jean stellte mir die Flasche hin und dazu eine Karaffe mit Eiswasser bevor er wieder zurück zu seinen Gläsern hinter der Theke ging, um diese auf Hochglanz zu polieren.

Jean und ich waren alte Kumpels, die eine ganze Zeit lang, gezwungenermaßen, in größter Nähe miteinander verbracht hatten.
Nun traf ich mich mit Claude oft in seinem Bistro um zu frühstücken und um schon bald wieder anstehende Geschäfte zu besprechen!

Wir, Claude und ich, hatten uns dem Export von Edelkarossen ins Nachbarland zugewandt, während Jean ein eher ruhiges Leben vorzog, was mich bei ihm auch nicht wirklich überrascht hatte.
Jean hieß eigentlich gar nicht so, wobei mir sein wahrer Name lange nicht bekannt war.
Jean war Ausländer, der nach fünfzehn Jahren in der Legion, zwar Franzose geworden war, aber immer noch französisch wie ein verdammter Deutscher sprach

Deutscher aus Süddeutschland.
Er hatte sich im Suff mal verplappert, als wir kurz nach unserer Entlassung aus dem Knast, gemeinsam über die Stränge geschlagen hatten.
Ich hatte doch, verdammt noch mal, jede Menge Grund mich zu besaufen und die Beiden, Claude und Jean hatten einfach nichts Besseres vor

Also haben wir uns alle drei gemeinsam vollaufen lassen.
Meine Kleine hatte wohl mit meiner so baldigen Entlassung aus dem Knast noch nicht gerechnet und ich hatte sie in unserer gemeinsamen Wohnung dann leider auch nicht so alleine angetroffen, wie ich es mir eigentlich in meiner Einfalt vorgestellt hatte.

Es war am Gedenktag des Sturmes auf die Bastille und die dabei übliche Generalamnestie für Knackis, hatte uns gemeinsam vor die Tore der Strafanstalt geschwemmt.
Madeleine würde mich nicht erwarten, dachte ich und hoffte daher sie zu überraschen
Was mir dann auch wirklich gelungen war.
Madeleine und auch dieser geile Kerl fingen sich ein paar kräftige Ohrfeigen ein und ich stand dann also wieder mutterseelenalleine auf der Straße
Die Flics, die die Concierge gerufen hatte, sahen dann schließlich auch endlich ein, dass ein gehörnter Ehemann, wie ich, auch wenn er nur wegen der Amnestie draußen war, ein bisschen ausflippen darf und nachdem dann Madeleine und ihr Mac auf die Anzeigen verzichtet hatten, war ich frei wie ein Vögelchen.
Vogelfrei sozusagen!
Das musste doch wohl gefeiert werden!

Im fünften Bezirk traf ich dann wieder auf Claude und Jean, der sich dann als Johann herausstellte

Johann hatte sich früher eine Zeitlang als Beschützer von freischaffenden Damen in München einen Namen gemacht und war, auf der Flucht vor der Polizei, am Bodensee einem Rekrutierer der Fremdenlegion auf den Leim gegangen

Da er früher schon mal gesessen hatte, verspürte er eigentlich keine direkte Lust auf einen sehr geordneten Tagesplan und Wassersuppe in einem deutschen Gefängnis.
Was ihn allerdings, zuerst auf Korsika und später in den Kollonien dann doch noch erwartete!

Claude, der von den westindischen Inseln stammte, hatte eine Zeitlang bei einem Zirkus gearbeitet.
Bis ihm dann bei einem Wohnwagenbrand, ein herabstürzendes Dachteil den rechten Ellenbogen zerschmetterte und er noch zusätzlich einen schweren Sprachfehler zurückbehielt, der aber auch immer wieder zu verschwinden schien, wenn er nur gut genug aufgelegt war.
Claude war eigentlich meist sehr gut aufgelegt.
Seine Geschicklichkeit, die ihm bis zu seinem Unfall im Zirkus das Überleben sicherte, sorgte dann dafür, dass wir in den Garagen allgemein gut abgesicherter Vorstadtvillen, die schon vorbestellten Wagen schließlich in Besitz nehmen konnten.
Und nun die Asche der Diva.


Blaulicht und Sirenen ließen uns auf die Straße blicken.
Draußen vor Jeans Bistro waren zwei Taxen kollidiert.
Die Fahrer beschimpften einander und die Flics fuchtelten mit ihren Schlagstöcken herum.
Jean machte durch obszöne Zeichen in Richtung der Polizisten auf seine Abneigung gegenüber uniformierten Autoritäten aufmerksam.
Obwohl eine ganze Reihe der Flics aus dem Bezirk zu seinen Stammgästen gehörten, vergab er keine Chance auf diese zu schimpfen.
Doch seltsamerweise brauchten diese uniformierten Burschen auch immer nur die Hälfte ihrer Rechnungsbeträge zu bezahlen, was sie dann natürlich auch immer wiederkehren ließ.
Diese verdammten Teutonen, verstehe sie einer!

Nun also die Asche der Maria Callas und ich sollte sie diesem verrückten Engländer liefern.
Asche der längst verstorbenen Opernsängerin! Kohle für Asche? Leidenschaft für göttliche Stimmen? Privatsache! Geschäft ist Geschäft!

Der Kerl hatte mich vorgestern früh angerufen und wir hatten uns überstürzt an der Metrostation „Gare du Nord“ getroffen.
Er hatte sofort den „Figaro“ geschwenkt als er mich erblickte und in seinem absolut lächerlichen Französisch beinahe geweint, weil die Diva wohl in den nächsten Tagen in der Agäis ihre letzte Ruhestätte
finden würde.
Sie sollte dort weihevoll ins Meer gestreut werden.
Die griechischen Behörden hatten nun endlich eingelenkt und dem letzten Willen der Diva nachgegeben, nachdem sie sich jetzt drei Monate quergestellt hatten.

Meneghini, ihr Ehemann, hatte wohl endlich doch die richtigen Leute in Athen geschmiert.

„Fünftausend extra, wenn es in den nächsten drei Tagen klappt!“
Der Engländer war aufgeregt und sein Gesicht glühte wie das Hinterteil eines
Glühwürmchens, wie es mir beinahe erschien.
„Marcel, ich lege noch mal fünf Mille drauf, wenn es in den nächsten drei Tagen über die Bühne geht. Wir können nicht mehr warten. Diese verdammten Griechen wollen meine Maria so einfach ins Meer schütten!“
Hatte er tatsächlich „meine Maria“ gesagt?
Ich schaute diesen Engländer an, dem ich erst vor ein paar Tagen über den Weg gelaufen war.

Dem ich aber, ehrlich gesagt, in seinen verdammten Leihwagen gekracht war, als er mir in der Nähe von Versailles, mutterseelenallein auf meiner Fahrspur entgegen gekommen war und der noch dazu, als ich dann nach links ausweichen wollte, wohl doch auch noch seinen Irrtum bemerkte und nun plötzlich auf seine rechte Fahrspur zurückwollte und sich dadurch für Claude und mich ein sehr lukrativer Auftrag erledigt hatte.

Na gut, ich konnte ihn zwar davon abhalten nach der Polizei zu rufen.
Doch der Kerl war gar nicht mal so blöd, wie ich anfangs doch noch gehofft hatte.
Wir fuhren dann mit seinem weniger beschädigten Citroen nach Paris und der Kerl sagte mir während der Fahrt dann auf den Kopf zu, was er vermutete.

Im Bistro von Jean vereinbarten wir dann, dass ich den Citroen verschwinden lassen würde weil er den, der unangenehmen Fragen des Verleihers wegen, so nicht zurückbringen könne.
Jean war nicht sehr erfreut, als er mitbekam was der Engländer und ich in seinem Laden so zu bequatschen hatten.
Im Radio lief gerade Christa Ludwigs Arie aus Verdis Oper Aida und da sah ich zum ersten Mal das leuchtende Hinterteil des Glühwürmchens, wo ich doch noch soeben sein Gesicht zu sehen glaubte.

„Maria Callas hätte diese Partie wie eine Göttin gesungen! Christa spult den Text nur ab. Ganz ohne Leidenschaft. Maria war eine Göttin, mehr noch
Eine Diva!“

Ich musste den Engländer wohl ziemlich blöd angeschaut haben, weil der sich sofort darum bemühte, mir etwas über die Callas zu erzählen und von seiner großen Liebe zu dieser, für ihn so unnahbaren Sopranistin. Ich beeilte mich ihm zu versichern, dass wir vielleicht nicht den gleichen Geschmack hätten, was Autos oder Frauen anging, aber in der Liebe zu weiblichen Opernstimmen gar nicht mal so unterschiedlich zu ticken schienen.
Auch ich hatte mich hierdurch als Maria Callas Fan zu erkennen gegeben.

Christa hatte soeben ihre Arie beendet und der Moderator von Radio Paris kündigte nun die Medea an, gesungen von Maria

Dieses Glühwürmchen hatte doch tatsächlich noch einige zusätzliche Lichter in petto.

Der Engländer gab mir noch einige Scheinchen für meine Unannehmlichkeiten des Unfalles wegen und wir verabschiedeten uns und ich brachte die DS 21 zu einem sehr gut befreundeten Autoverwerter, der mir noch einen großen Gefallen schuldete.

Es war dann Jean, der mich bei Julia, meiner neuen Flamme anrief und berichtete, dass der Kerl, den ich eigentlich nicht mehr wieder sehen wollte, jetzt schon mehrfach bei ihm aufgekreuzt war und der dann auch immer nach mir gefragt hatte und er ihn einfach nicht abwimmeln könne.

Was soll ich sagen? Der Kerl hatte ein paar Schallplatten von Maria und ein Foto vom Mausoleum in der ihre Urne stehen sollte, mitgebracht.
Die Platten waren ein Geschenk für mich und er hatte sofort angefangen, mich in seinen Plan einzuweihen.
Als Maria Callas im September gestorben war, hieß es, dass sie nach Griechenland überführt und dort nach Griechischem Ritual beerdigt werden würde.
Dann war ganz plötzlich das Testament der Diva in New York, dem Geburtsort der Sängerin aufgetaucht und in diesem hatte sie bestimmt, im Meer vor Griechenland als Asche verstreut zu werden.
Die neue Regierung in Athen befürchtete wohl, dass der Kult um Maria ihre noch frische Demokratie gefährden könnte und verbot darum diese in Griechenland gar nicht mal so unübliche Bestattungsart rigoros.
Drum wurde also die inzwischen schon eingeäscherte Diva zunächst hier in Paris beigesetzt, ihre Urne also in besagtem Ehrenmal in Père-Lachaise eingemauert.

Das Glühwürmchen strahlte mich an und beendete seinen Vortrag damit, dass er mir beichtete, er deswegen schon des Öfteren nach Frankreich gekommen wäre und dann irgendwann unterwegs die Idee hatte, Maria einen ehrenvolleren letzten Wohnsitz zu bieten. Bei ihm zuhause. In England!

Ich schaute zu Jean um mich zu vergewissern, nicht immer noch im Knast auf einer harten Pritsche vor mich hin zu träumen.
Aber da das Bistro brechend voll war und trotzdem kein Mensch von uns Notiz zu nehmen schien, wandte ich mich wieder dem Engländer zu, der soeben sein letztes Glas Eiswasser und damit meine Karaffe ausgetrunken hatte.
„Marcel, Sie müssen mir helfen! Uns! Mir und Maria helfen!“
Ich schaute ihn nur an und versuchte meine Gedanken zu ordnen

Da sitzen wir hier in Paris in einem Bistro in dem es von Touristen wimmelte und unterhielten uns über eine Sängerin die längst tot war und faselten darüber, dass wir ihr helfen müssten nach England auszuwandern.
Nur gut, dass nicht alle Touristen gut französisch sprechen.Ich schaute den Mister an und überlegte angestrengt, wie zum Teufel, ich ihn jemals wieder loswerden könnte.
Bei der Schilderung des Tommys hatte ich doch tatsächlich eine ganze Packung Caporal Ordinaire verqualmt und wollte nun nur für Nachschub sorgen und erhob mich daher.
Er hatte dieses wohl als Ablehnung missverstanden und geglaubt, dass ich gehen wollte.

„Fünftausend Francs für die Asche!“

Es gab niemanden im Bistro, der nun nicht in unsere Richtung blickte und sich wohl fragte, was die beiden Kerle zu bequatschen hatten und worum es ging, wenn eine solche Summe, so laut geschrieen wurde.
Ich hatte, gelinde gesagt, die Schnauze voll, drehte mich zu dem Glühwürmchengesicht um und zischte, dass er seine Telefonnummer bei Jean lassen sollte, ich ihn anrufe und trat dann, ohne mich noch einmal zu ihm umzudrehen, auf die regennassen Champs hinaus.

Den Kerl umzulegen war das Eine.

Seine Leiche verschwinden zu lassen, ein sehr viel größeres Problem.

Den würde ich wohl niemals wieder los, so schien es.

Also müsse er weg… oder ich müsse ihm tatsächlich helfen!

Fünftausend würden dafür natürlich nicht reichen.
Es müsste noch ein wenig mehr dabei raus springen.
Plus Spesen versteht sich!
Zwei Tage später fand dann ein erneutes Treffen statt.
Diesmal im Cafe auf dem Tour la Eiffel inmitten von fotografierenden Japanern, wobei ich es doch irgendwie zu verhindern wusste, mit dem Kerl zusammen in deren heimatlichen Fotoalben zu landen!
Wir wurden uns dann auch sehr schnell einig.

Zehn Riesen plus meiner Spesen
Zahlbar in Nizza bei Aushändigung der Ware.
Fünf im Voraus, in zwei Tagen auf der Treppe zur Staatsgalerie.

***

Claude sah mich nur an und ich konnte in seinem pechschwarzen Gesicht sehen, wie es in seinem Gehirn kräftig arbeitete und also beschloss ich, ihm noch ein klein wenig Zeit zu geben.

Jedoch heute Nacht würde die Sache steigen müssen!


* * *

„Marcel siehst du was ich sehe?“
Claude war stehen geblieben. Seine Taschenlampe zauberte einen Lichtkegel auf das Ehrenmal, an dem trotz der Jahreszeit eine ungeheure Blumenpracht zu sehen war.
Es war die Nacht nach Heilig Abend und für den Winter doch sehr angenehm.
Ich war mir nicht so sicher, ob Claude nur zitterte weil er als Caribier mehr fror als ich, der ich doch aus Chamonix stammte und wie meine Mutter immer behauptet hatte, während eines Schneesturmes geboren wurde.
Die Liebe zur Diva dürfte ihn nicht gepackt haben, eher schon die Gier nach den Riesen und meinetwegen Angst, seiner wohl angeborenen Abergläubigkeit wegen!
„Nummer 16 259, Maria Callas, 2. December 1923
16. September 1977, passt genau! Lass uns anfangen, Claude!“

Ich lies die Reisetasche auf den Marmor fallen und bückte mich um den Reisverschluss aufzuziehen und um die beiden Hämmer und die Stemmeisen heraus zu nehmen.
Claude strahlte beinahe wie das Glühwürmchen aus England bei seiner Verehrung für dieDiva.
Jedoch dürfte sich Claude eher auf die paar Scheinchen freuen, als auf eine Handvoll Asche einer Diva!

Der Job war erstaunlich schnell erledigt und nach genau sechs Minuten Stemmen und Brechen hielt ich eine ziemlich unscheinbare, vasenähnliche Kanne in Händen und wunderte mich noch, dass ein Mensch für so etwas eine größere Summe Bares ausspucken würde.
Claude hatte die Gesteinsbrocken mit dem Fuß ins Grünzeug geschoben, die Stemmeisen und die Fäustel in die Tasche gesteckt, während ich immer noch auf diese unansehnliche, hässliche Urne schaute.

Genau in diesem Augenblick erschrak ich bis aufs Blut!

Es war nicht irgendein einsamer Nachtspaziergänger, der seiner Schlaflosigkeit wegen, oder um seinen Hund auszuführen, hier plötzlich auf dem Friedhof vor uns auftauchte, sondern es war sie!

Maria Callas!

Obwohl ich ihrer nie leibhaftig ansichtig wurde, war mir sofort klar, dass nur sie es sein konnte
Sie, die uns, mich und Claude mit ihrem arroganten Blick ansah.
Sie, die mit herrischer Geste, beinahe wie in Pasolinis Medea, dem einzigen Film der Callas und den ich sogar mehrmals gesehen hatte, sich die Stola um ihren Hals schwang.

Sie stand nur da, mit perfekter Frisur, in ein figurbetontes langes schwarzes Kleid gehüllt, welches bis zur Erde reichte und auf dem unzählige Pailletten bei jeder Bewegung ihres Brustkorbes glitzerten, der unter ihren Atemzügen auf und nieder ging.
Sie, herrisch hoch aufgerichtet, ihr Blick streng und abweisend.
Claude hatte sich sofort mit seiner linken Hand an meinem Arm festgehalten und blickte nun mit weit aufgerissenen Augen auf diese Gestalt und ich wusste, dass sein pechschwarzes Gesicht schweißnass sein musste, so sehr glänzte es im fahlen Mondlicht.

Er setzte an etwas zu sagen, wobei er mit seinem verkrüppelten Arm auf die Diva deutete
Es lag wohl nicht an seinem Stotterreflex, dass er nicht ein Wort herausbekam.
Es lag an dem blanken Entsetzen das ihn erfasst hatte und welches seine Stimme lähmte.

Es war dann diese Stimme, die auch meine Nackenhaare sich aufstellen ließ

Ein tiefer, voluminöser Klang, schien sich auf diesem Friedhof zu entfalten

Ein Klang, der sich überall an den Mauern und Ehrenmalen brechen und über uns zusammen
zu schlagen schien.
Diese Stimme, die es vermochte, sich aus tiefsten Registern in die unbeschreiblichsten Höhen aufzuschwingen und dabei nicht nur an Volumen, sondern ebenso an Klarheit zuzulegen.
Claudes fester Griff hatte etwas Schraubstockartiges, was mir aber gar nicht mal so viel ausmachte.
Was mir mehr Verdruss bereitete, war die Tatsache, dass ich scheinbar nicht in der Lage war, mich auch nur zu rühren.
Die Urne fest umklammert, stand ich nur da, die Augen fest auf Maria Callas gerichtet, die soeben schon wieder anhob die Arie der Carmen zu singen, wie ich sie auf einer dieser Schallplatten von dem verrückten Glühwürmchen aus England doch so oft gehört hatte.

Die Augen der Diva sahen mich mit ruhigem Blick an.
Sie wechselten von einer beinahe unnahbaren Feindlichkeit in eine besänftigende Milde, um sich sofort wieder in eine überirdische Göttlichkeit zu wandeln und mir blieb tatsächlich nur, ihr still und ergeben zu lauschen, wobei mir gar nichts anderes übrig blieb, als ihrem Blick stand zu halten.

Diese ungeheure Intensität ihrer Stimme war mir beim Abhören ihrer Platten nie aufgefallen.
Nun wurde mir ganz plötzlich bewusst, warum der Engländer dieser Frau zu deren Lebzeiten nachgereist war und er kaum einen ihrer Auftritte, wenn immer es ihm möglich war, versäumt hatte.
Wie er mir beichtete, musste er sich nach der Tosca-Aufführung in Covent Garden in London 1965 ins Krankenhaus legen, weil ihn die Ankündigung, dieses wäre der allerletzte Auftritt der Callas, an den Rand eines Herzinfarktes gebracht hatte.


Wie er weiter stolz berichtet hatte, war es ihm doch noch wenig später gelungen, durch Bestechung eines der dortigen Bühnenarbeiter, genau dieses Stückchen Stoff zu ergattern, welches die Callas bei ihren 17 Vorhängen berührt hatte, als sie immer wieder zurück auf die Bühne getreten war.

Sie schien mich immer fester mit ihrem Blick zu fesseln und es war mir beinahe so, als käme sie auf mich zu, während sie die Register in immer schnellerer Folge wechselte.

Auf der Hülle eines Albums fand ich den Hinweis, dass ihr Stimmumfang vom a bis zum dreifach gestrichenen es reichte, was mir bisher nie wirklich etwas gesagt hatte.
Nun, so erschien es mir, würde ich diese Aussage wohl rein körperlich bestätigen müssen.

* * *

Der Engländer schaute mich beinahe feindselig an und sein Gesicht hatte gar nichts mehr Glühwürmchenähnliches und es schien beinahe, als dass er mich heute gar nicht hier am vereinbarten Treffpunkt erwartet hatte.
Mich sogar liebend gerne zum Teufel gewünscht hätte.

„Soso, das ist also Maria Callas? Die Diva?”

Seine linke Augenbraue hob sich und mir erschien, als dass sich seine Abwehr intensivierte.
Die Plastiktüte vor ihm auf dem Tisch würdigte er keines Blickes!

„Dies ist Maria Kalogeropoulos, wie es auf ihrer Geburtsurkunde steht und die als Sängerin Maria Callas die Oper in das zwanzigste Jahrhundert gesungen hatte und die von ihnen bestellt wurde und die nun auch von ihnen abgenommen werden muss!“

Ich hatte besonders leise gesprochen und trotzdem versucht, meiner Stimme eine gewisse Schärfe zu geben, wobei mir allerdings auch ein wenig an Diskretion am Herzen lag.
Die Bar, hier in Nizza, war so kurz nach Weihnachten noch nicht so richtig gut besucht und ich konnte mich des leisen Verdachtes nicht erwehren, von überall her beobachtet zu werden.
Ich nahm Mister Glühwurm ganz feste in meinen Blick und sagte betont freundlich, wobei ich meine Stimme noch weiter senkte als sonst.
„Mister, Sie haben uns beauftragt und wir haben fristgerecht geliefert und nun wird gezahlt, ohne wenn und aber und zwar ein bisschen plötzlich, wenn ich bitten darf!“

Mir war die Situation ganz klar bewusst.
Ich benahm mich wie ein echter Vollidiot.
Ich saß hier in einer Bar inmitten halbseidener Typen herum und schob einem verrückten Tommy eine Plastiktüte über den Tisch zu und faselte dabei, wenn auch sehr leise, von Barzahlung.
Wenn hier einer der Greifer von der Schmiere zuschaute, würde ich das nächste Frühstück vermutlich in Gegenwart von Mister Glühwürmchen, der nun plötzlich wieder seine Leuchtraketen zündete, im Gewahrsam serviert bekommen.

„Sie garantieren mir, dass dies wirklich Maria ist und sie keinen Beschiss planen? Die Zeitungen schreiben, dass die später am Zaun gefundene Urne, noch randvoll mit Asche gefüllt war.“
Er hatte auf die Tüte gezeigt und nun auch noch seine rechte Augenbraue gehoben.
Beinahe wie Sean Connery als Bond.

„Pass auf, Mister! Mir war klar, dass, wenn wir vor dem Bruch in die Arme der Flics gelaufen wären, wir einen sehr guten Grund für unser Eindringen ins Friedhofsgelände brauchten und meine Idee war, etwas von einem toten, eingeäscherten Knastkumpel zu erzählen, der in der Nähe der Diva verstreut werden wollte. Und wenn wir nach dem Bruch geschnappt würden, könnte die Story wohl auch ziehen, weil die Urne der Diva ja noch voll mit Asche wäre und kein Mensch wirklich glauben musste, wir hätten uns an deren Urnengrab vergangen."
Und etwas leiser setzt ich noch dazu: "Jedenfalls wäre uns nicht wirklich etwas zu beweisen gewesen, klar?“

Ich hatte die beiden Burschen vorne am Tresen feste im Blick während ich meinen Kunden beruhigte
Diese Kerle waren wohl doch von der Schmiere, so viel stand fest
Na sollten sie doch! Mit dem Stoff würde sich kein Drogenfahnder eine goldene Nase einfangen, ganz im Gegenteil!

„Sie haben also den Inhalt der Urne ausgetauscht, diese am Zaun deponiert damit sie sofort entdeckt würde wenn der Aufbruch auffällt? Ich kann ihnen unbesorgt vertrauen, sagen Sie?“
Das überirdische Glühen überzog wieder sein Gesicht und ich merkte, dass er nun wieder gerade in der Spur lief.


* * *


„Ein Glück dass Du Opernliebhaber bist, Marcel!“

Claude sah mich nur säuerlich an, als ich die Musikkassette mit Opernarien erneut ins Radio schob und mich im Autositz zurückfallen lies.
Ich fragte mich tatsächlich, was mir eigentlich solche Angst auf dem Friedhof eingejagt hatte, am 25.
Dezember.

„Wie meinst du das, Claude?“

Ich steckte mir eine Gaulloises an, als jemand, in dem ich sofort den einen von den zwei Kerlen an der Theke erkannte, an meine Seitenscheibe klopfte,

„Wissen Sie wo man für sich so ein kleines Bisschen Spaß kaufen kann, hier in Nizza? Sie verstehen schon!“
Ich sah Claude nur an und der knallte den ersten Gang rein und wir legten einen Blitzstart hin der sich gewaschen hatte.

Später, kurz vor Lyon, fragte ich ihn warum er mich beglückwünscht hatte Opernliebhaber zu sein.

„Na, ihr verdammten Opernfreunde, der Kerl und du, ihr scheint wohl die größten Trottel dieser Welt zu sein.
Ihr Kerle könnt doch wirklich nicht richtig ticken.
Jetzt höre ich mir diese verdammte Scheiße schon zum soundsovielten Mal an und du wirst einfach nicht müde, die Kassette andauernd immer wieder umzudrehen.“

„Der Kerl aus England wusste ganz genau was er wollte, das glaube mal. Der Stoff den der Bulle aus der Bar von uns kaufen wollte, kostet einen Scheißdreck dagegen. Gegenüber dem Preis, den dieser Bursche jetzt für ein klitzekleines Löffelchen voll Diva-Asche kassiert!“

Ich konnte, obwohl ich meine Augen geschlossen hatte, Claudes Blässe spüren.
„Du glaubst, das Zeug lässt sich gut verkaufen? Du… glaubst wirklich? Scheiße! Da geht…uns aber ein gutes Geschäft…durch….die Lappen
Verdammt!“

Ich fühlte die beruhigenden Scheinchen in der Hosentasche und notierte eben die
Zulassungsnummer des gelben Porsche, der uns trotz der Geschwindigkeitsbegrenzung eben überholt hatte.
Es erfreute mein Herz, dass es ein Pariser Kennzeichen war
Ich hatte ein sehr gutes Gefühl.
Gelb würde die Farbe der Saison sein
In diesem Frühling!
So sagte man jedenfalls in Spanien.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 07.01.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Meiner Maria C. gewidmet, die mir saure Stunden immer versüßte...und ganz besonders Anna und den Schreibwerkstättlern in 315, Montags um 3/4 Sieben!

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