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Während Maren im Supermarkt an der Kasse wartet, hört sie die Frau vor sich zur Kassiererin sagen:“ Ja, ich kaufe viel mehr ein als sonst. Wir haben ja auch jetzt zwei Mäuler mehr zu füttern!“

„Dann kaufen Sie gefälligst tagsüber ein!“ Eine männliche Stimme meldet sich mürrisch aus der langen Reihe, die sich inzwischen hinter ihr gebildet hat.
„Sie halten den ganzen ‚Laden’ auf! Wir wollen schließlich noch nach Hause! Aber wenn Sie so weiter machen, müssen wir hier wohl übernachten!“

Empört dreht sich die alte Dame zu ihm um.
„Junger Mann, was erlauben Sie sich! Das ist ja unverschämt!“

Beleidigt wendet Sie sich wieder der Kassiererin zu, die die Preise in die Kasse tippt.
"Ach, die jungen Leute heutzutage! Keiner hat mehr Zeit! Mein Sohn ist ja ganz genau so. Immer im Stress! Durch den Beruf, die Kinder, was weiß ich …
Aber jetzt sind meine Enkel bei mir. Ich habe Zeit für sie. Kinder kommen doch nur auf dumme Gedanken, wenn sich keiner um sie kümmert. Ist doch so oder?“

Die Kassiererin nickt höflich und wirft einen um Verständnis bittenden Blick auf die wartenden, bereits ungeduldig werdenden Käufer.

Umständlich legt die alte Dame die Ware auf das Fließband.
„Die Äpfel sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren. Durch die ganze Chemie sieht einer aus wie der andere. Früher hatten wir in unserem Garten einen großen Apfelbaum stehen. Das waren Früchte, sag ich Ihnen! Da schmeckte der Apfel noch nach Apfel. Das kennen die Kinder heute doch gar nicht mehr! –
Und hier – der Salatkopf! Grünzeug – ohne Geschmack und Vitamine!“

„Dann kaufen Sie es doch nicht!“
Diesmal meldet sich eine junge Frau, die unmittelbar hinter Maren steht, zu Wort.
„Nun beeilen Sie sich doch bitte! Ich habe es wirklich sehr eilig!“

Maren tut die Alte leid.
„Darf ich Ihnen behilflich sein?“ Sie lächelt die Frau freundlich an. In einem ‚Tante Emma – Laden’ wäre sie besser aufgehoben, denkt Maren. Für ältere Leute waren sie ideal. Jeder kannte sich gut. Es wurde viel erzählt. Heute interessiert sich niemand mehr für den Nachbarn. Eine persönliche Unterhaltung ist viel zu zeitraubend, sie geht in der Hektik gänzlich unter.

„Das ist aber lieb von Ihnen, gerne! Mein Mann und meine Enkel warten ja auch schon auf mich. Ach, sie sind so reizend, die beiden Kleinen. Der Michael ist vier. Er geht nach den Ferien in den Kindergarten. So ein aufgewecktes Kind. Immer fröhlich und so lieb. Der kann stundenlang allein spielen. Aber der Größere – oh je! Sven ist sechs Jahre alt. Aber ein richtiger kleiner Teufel! Total verzogen! Mein Mann sagt immer, der sei einfach zu verwöhnt. Kommt jetzt in die Schule. Bin gespannt, wie das klappt!“

„Bestimmt besser als Ihr Einkauf, verflixt noch mal! Geht das denn übrhaupt nicht voran da vorne? Wenn die anderen Kassen nicht ebenso lange Warteschlangen hätten, …“

„Ach, der Mann macht mich total nervös mit seinem ständigen Drängen. Ich beeile mich doch nun wirklich, nicht wahr? Ich kaufe ja sonst viel, viel weniger ein, weil wir ja nur zu Zweit sind. Das ist heute für mich ganz ungewohnt!“

„Gehen Sie beim nächsten Mal einfach früh morgens oder mittags einkaufen, dann ist es für Sie angenehmer, weil es leerer ist.“
Maren nickt ihr aufmunternd zu.

„Ja, wenn das so einfach ginge! Ich schlafe doch nachts immer so schlecht, wegen meiner Beine. Ich liege dann stundenlang wach. Schlafe erst in der Früh’ wieder ein. Und mittags ist es auch schlecht. Nach dem Mittagessen brauche ich dringend meinen Mittagsschlaf. Hat mir der Arzt verordnet. Und dann – meine Enkel – die wollen mit mir spielen. Ich kann nur einkaufen, wenn sie schon im Bett liegen.“

„Verzichten Sie auf Ihren Mittagsschlaf, dann sind Sie abends müde und schlafen nachts durch! So! Dann können Sie bequem vormittags einkaufen gehen! Alles eine Sache der Organisation“, tönt eine Stimme aus der Reihe.

„Ja! Da haben Sie Recht! Das sehe ich ebenso!“ schließt sich ein anderer an.
„Rentner haben den ganzen Tag Zeit und sind nicht wie Berufstätige auf die knappen Abendstunden angewiesen.“

Inzwischen entwickelt sich unter den Kunden eine lebhafte Diskussion.
Keiner beachtet mehr die alte Frau, die mittlerweile mit Marens Hilfe ihren Einkauf getätigt und die Kasse verlassen hat.


© Helga Salfer

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Tag der Veröffentlichung: 13.10.2010

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