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BEGEGNUNGEN


Autorin: Helga Salfer



Zum Buch

In meiner Anthologie findet Ihr ein breit gefächertes Angebot an Geschichten, die aus dem täglichen Leben gegriffen sind.
Möglicherweise habt Ihr gewisse Situationen, die hier geschildert werden, selber schon erlebt oder erkennt Euch sogar darin wieder.

Seitenanzahl: 134
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ISBN 3 - 89906 - 218 - 3





Kleine Auswahl an Geschichten aus meinem Buch >BEGEGNUNGEN






Verirrt in den Bergen ............ Seite 8

Erfolg macht einsam ............ Seite 15

Überlegungen ............ Seite 19

Schicksalhafte Begegnung ............ Seite 24

Das geheimnisvolle Haus ............ Seite 29

Die Stimme ............ Seite 36


Verirrt in den Bergen




Vor uns lag dick verschneit der Wanderweg, dessen Wegmarkierung nicht mehr zu erkennen war. Wären nicht tiefe Fußtritte von Wanderern, die vor uns den Gipfel bestiegen hatten, zu sehen gewesen, hätten wir vermutlich die Richtung hier schon verloren. Unentschlossen folgten unsere Augen dem Verlauf der Spuren auf dem Weg, der zudem auch noch begann steil anzusteigen. Wir wussten nicht, was wir machen sollten. Umkehren? Wo wir schon bis hierhin gekommen waren?

Wir überlegten wohl ein längere Zeit, denn zwischendurch überholten uns andere Wanderer, die in ihren festen Bergschuhen scheinbar mühelos durch den Schnee den schrägen Hang hinauf kletterten.

Dann stand unser Entschluss fest. Wir wollten weiter, um jeden Preis. Um welchen – das war uns allerdings noch nicht bewusst. Durch die erstaunten oder leicht ironischen Blicke der Vorübergehenden auf unser Schuhwerk, fühlten wir uns nicht mehr so wohl in unserer Haut.
Gleich bei den ersten Schritten auf dem Schnee gingen wir – besonders mein Mann – wie auf Glatteis. Wir nahmen uns vor, unsere Füße in die Spuren unserer Vorläufer zu setzen, um so halbwegs sicher Halt unter den Fußsohlen zu bekommen und die Richtung nicht aus den Augen zu verlieren. Leider war das leichter gesagt, als getan. Der Schnee war unter den Schritten der anderen Leute fest getreten und glatt. Dadurch packten unsere leicht besohlten Schuhe unsere gewagten Schritte nicht. Unwillkürlich rutschten wir wieder und wieder ab.

Nach einer kurzen Weile hatten wir alle anderen Bergwanderer aus den Augen verloren. Mit vereinten Kräften und eisernem Willen krochen wir mehr oder weniger auf allen Vieren den Hang hinauf. Ich erinnere mich nicht mehr, wie viel Zeit inzwischen verstrichen war, als sich schließlich vor uns ein etliche Meter breites Schneefeld auftat, das rechts von uns steil nach oben zum Gipfel führte.

Erleichtert darüber, den ersten verschneiten Weg mehr recht als schlecht bewältigt zu haben, gönnten wir uns eine Pause. Mein Mann wollte unbedingt ein Erinnerungsfoto haben. Vorsichtig sicherte er sich einen Platz im dicken Schnee, indem er seine Füße quer in den Boden stemmte. Er war dafür ein paar Schritte zur Mitte des Hanges gegangen, um ein optimales Bild zu bekommen. Um noch besser die Schräge fotografieren zu können, wagte er sich ein kleines Stück weiter den Hang hinunter. Vorsichtig – Schritt für Schritt – versuchte ich, mich ihm zu nähern. Ich ging quer auf dem Schneefeld und fand einigermaßen Halt.
Während die Bergwelt meinen Mann in seinem Bann hielt, blickte ich ein wenig misstrauisch um mich.
Ich schaute den Hang hinauf und fragte mich, wo die Leute, die uns vorher begegneten wohl geblieben waren. Es war niemand mehr zu sehen. Wir waren allein in dieser Schneelandschaft. Obwohl wir schon eine beachtliche Höhe erreicht hatten, froren wir in unserer dünnen Kleidung noch nicht. Die Sonne schien zwar nicht mehr so intensiv wie am frühen morgen, es hatten sich ein paar Wolken gebildet.

Eine Weile hatte ich wohl so dagestanden, als ich zwei Wanderer bemerkte, die vom Gipfel kamen. Geistesgegenwärtig dachte ich bei mir, merk dir, wo es wieder nach unten geht.
So beobachtete ich die Beiden und sah sie einige Meter oberhalb von uns links abbiegen, um wieder ins Tal hinab zu steigen.
Der Weg nach unten lag also im Moment von unserem Standort aus gesehen auf der rechten Seite. Ich glaubte, es sei eine Kleinigkeit, den Weg wieder zu erkennen.

Inzwischen rief mein Mann mir zu, dass wir weiter gehen sollten, sonst würde es für uns zu spät mit dem Abstieg werden. Ich setzte mich daraufhin in Bewegung. Ganz behutsam auf allen Vieren kam ich voran. Ich drehte mich kurz nach meinem Mann um, weil ich wissen wollte, wie er vorwärts kam. Es schien zu gehen. Doch dann passierte es:
Gerade in dem Moment, wo ich mir mit der Fußspitze Halt verschaffen wollte, geriet ich plötzlich ins Rutschen. Schnell versuchte ich mich mit den Händen im Schnee abzustützen. Aber umsonst. Ich verlor jeglichen Halt und glitt ein längeres Stück den Hang hinunter.
Zu meinem ganz großen Glück war ich am Anfang schneller geklettert als mein Mann und hatte dadurch einige Meter Vorsprung. Diese paar Meter verschafften ihm jetzt die Möglichkeit, blitzschnell sich mir in den Weg zu stellen. Mit letzter Kraft gelang ihm das schier unmögliche. Er konnte tatsächlich meinen durch die Steilheit des Hanges bedingten beschleunigten Sturz in letzter Minute auffangen. Als ich auf ihn zu schoss, warf er sich vor mich und stoppte somit meinen Absturz. Benommen vor Schreck und nicht beschreibbarer Panik verharrten wir einige Augenblicke. Aber dennoch hatten wir unser Ziel noch fest vor Augen. Zum Glück tat mir nichts weh, als ich aufstand. Erleichtert darüber wollten wir unseren Weg nun fortsetzen. Aber immer wieder rutschten wir tiefer ab, ohne überhaupt wieder höher zu kommen. Dadurch erschien uns der Hang auf einmal in seinem Aussehen völlig fremd. Da uns der Schnee gnadenlos jegliche Markierungen verdeckte, erkannten wir nicht mehr den Seitenweg, von dem wir aus das große breite Schneefeld betreten hatten. Mühsam versuchten wir so viel Halt wie möglich zu finden, um nicht noch weiter abzurutschen. Mit größter Vorsicht kamen wir wieder den Hang ein paar Meter hinauf.

Vor uns breitete sich das Schneefeld in seiner ganzen Pracht aus. Ich suchte angestrengt den Weg, der rechts von uns wieder nach unten ins Tal führte. Bestürzt stellten wir fest, dass wir ihn beide nicht mehr fanden. Durch unser ständiges Rutschen befanden wir uns vermutlich weit unterhalb der von uns gesuchten Stelle und konnten sie daher nicht ausmachen. So vermuteten wir, vielleicht auf der ganz falschen Spur zu sein und versuchten, so gut es ging, zu einem benachbarten Schneefeld zu kommen, von dem wir irrtümlich glaubten, abgekommen zu sein. Zu unserem Entsetzen gelang es uns nicht, auf dieses Schneefeld zu wechseln, weil die beiden Hänge durch einen Abgrund getrennt waren. Wir waren aber davon überzeugt, gerade aus diesem Gelände gekommen zu sein.

Inzwischen zeigten sich zu allem Überdruss am Himmel bedrohlich dunkle Wolken, ein leichtes Grollen in der Ferne kündigte ein nahendes Gewitter an.

Obwohl wir beide innerlich von Panik ergriffen waren und die Orientierung inzwischen verloren hatten, blieben wir nach außen ruhig und jeder bemühte sich weiter aufwärts zu klettern.
Unsere letzte Stunde ist gekommen, das dachten wir, als es noch leicht anfing zu regnen und dem Grollen in der Ferne schon ein paar Blitze folgten.
Wir brachten die besten Voraussetzungen mit: Schnee unter den Füßen und über uns Regen und Gewitter. Schlagartig kühlte es mächtig ab. Von einem Moment zum anderen bildete sich auf unseren Armen eine dicke Gänsehaut. Unsere Angst war nicht zu beschreiben, jeden Moment hätte uns auf dem Schnee ein Blitzschlag treffen.

Beinahe schon mechanisch arbeiteten wir uns weiter vor, stets den Gedanken im Hinterkopf, hier findet uns keiner.





Erfolg macht einsam




Als ihr der Posten als Leiterin der Werbeabteilung angeboten wurde, hätte sie vor Begeisterung die ganze Welt umarmen können. Ihr größter Traum war in Erfüllung gegangen.
Welche negativen Nebenwirkungen sich daraus ergeben würden, hatte sie in diesem Moment nicht bedacht.
Sie war fest davon überzeugt gewesen, Lena, Tom und Oliver, ihre engsten Mitarbeiter und Freunde, würden ihre Freude mit ihr teilen.

Gedankenverloren greift Jana nach dem Champagnerglas, das ihr auf einem Tablett angeboten wird. Sie nippt lustlos an dem teuren Getränk.

„Hallo Frau Draeger! Endlich! Da sind Sie ja! Ich habe Sie schon gesucht! Sie sehen einfach umwerfend aus!“
Jana dreht sich um und blickt in die Augen des Junior-Chefs.
„Kommen Sie! Mein Vater hat Sie bereits vermisst! Er möchte Sie einigen interessanten Leuten vorstellen, mit denen wir in Zukunft unsere Geschäfte abwickeln werden!“
Er berührt leicht ihre Schulter und lächelt sie freundlich an.
Jürgen kann seinen Vater gut verstehen, Jana ist eine kompetente Frau, in jeder Beziehung. Sie ist nicht nur attraktiv, sondern sehr redegewandt und selbstbewusst. Ihre Intelligenz und ihr Einsatzvermögen machen sie zu einer unentbehrlichen Mitarbeiterin.

Jana zuckt bei seiner Berührung zusammen.
„Guten Abend, Herr Braun! Danke!“ Ein flüchtiges Lächeln huscht über ihr Gesicht.
„Tut mir Leid, dass ich mich etwas verspätet habe. Mir ist noch ein Anruf dazwischen gekommen“, lügt sie ihn an.
„Hauptsache Sie sind jetzt da!“

Mit einem Seitenblick bemerkt Jana die Blicke ihrer drei Freunde auf sich gerichtet. Als sie sie gerade grüßen will, wenden sie sich abrupt ab. Janas Herz verkrampft sich vor Enttäuschung. Dann atmet sie tief durch. Sie will sich ihrem Chef gegenüber nichts anmerken lassen. Mit allergrößter Mühe gelingt es ihr schließlich, ihm mit strahlender Miene gegenüber zu stehen. Sie spürt seinen Stolz, als er sie den Geschäftsleuten als seine beste Kraft vorstellt und wird ein wenig unsicher, bei so viel Lob und Bewunderung.

Eigentlich müsste ich glücklich sein, denkt sie. Ich habe einen Traumjob, verdiene gutes Geld und mein Chef lobt mich über ‚den grünen Klee’. Aber ein toller Posten in der Firma ist eben nicht alles. Wie gerne würde ich als einfache Angestellte arbeiten und dafür jede freie Minute mit meinen ehemaligen Freunden verbringen. Ich wäre eine von ihnen, und sie würden mich nicht links liegen lassen.

Jetzt erlebt sie am eigenen Leib, was es heißt, auf der Karriereleiter aufzusteigen. Nur allzu deutlich wird ihr klar – „Erfolg macht einsam!“

„Frau Draeger?“ dringt Herr Brauns Stimme an ihr Ohr. „Wie sehen Sie unser Projekt? Haben Sie noch Verbesserungsvorschläge zu machen? Sie wissen, mir liegt sehr viel an Ihrer Meinung!“

Jana fährt sich mit der rechten Hand durch ihre langen Haare und schüttelt den Kopf.
„Nein! Ich denke, wir haben unsere Ziele klar abgesteckt. Jede Änderung würde es nur verschlechtern!“

Herr Braun nickt zustimmend und mustert Jana wohlwollend.
„Sie sehen, meine Herren, es ist alles perfekt. Wenden wir uns doch jetzt den angenehmen Seiten des Abends zu. Frau Draeger, begleiten Sie mich ans Büffet? Meine Herren, darf ich Sie bitten, mir zu folgen?“

Jana spürt förmlich die neidischen Blicke der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf sich ruhen. Sie stecken die Köpfe zusammen und tuscheln. Tränen steigen ihr in die Augen. Sie hat stets geglaubt, stark zu sein.

„Ich verstehe nicht, warum alle meinen, ich hätte mich verändert. Dabei bin ich doch die Gleiche geblieben“, murmelt sie leise.




Überlegungen




Sie sieht nicht besonders gut aus. Ganz gleich, wie sie ihr schulterlanges blondes Haar trägt, wie geschickt sie sich kleidet, nichts kann darüber hinweg täuschen, dass Tanja nur eine durchschnittlich aussehende Frau ist, die sich den Dreißig nähert.
Sie ist gewiss nicht hässlich, wie sie sich sagt, als sie sich von ihrem Bild im Schlafzimmerspiegel abwendet und ins Esszimmer zurück kehrt, wo sie den Tisch bereits dreimal neu gedeckt hat. Es ist eben einfach nichts Besonderes an ihr, nichts, das sie von anderen abhebt, das sagt, seht mich an!

Sie dreht am Helligkeitsregler und sieht zu, wie die Lichter sich verdunkeln. Noch zu früh, um die Kerzen anzuzünden. Sie würden bis Toms Ankunft aller herunter gebrannt sein .
„Tom“, sagt sie laut in Gedanken an den gut aussehenden Journalisten, der vor weniger als einem Monat auf wunderbare Weise in ihr Leben getreten ist.

Das Telefon läutet, als sie gerade in die Küche gehen will, um nach dem Wein zu sehen, den sie in den Kühlschrank gestellt hat.
Tanja wird sich bewusst, dass sie den Atem anhält, ein lautloses Stoßgebet zum Himmel sendet, dass es nicht Tom sein möge, der im letzten Moment anruft, um abzusagen.
Vielleicht ist es vorschnell von ihr gewesen, ihn so bald schon zum Abendessen zu sich nach Hause einzuladen. Vielleicht hat sie die Signale falsch gedeutet. Die Tatsache, dass es ihm zuwider ist, dauernd im Restaurant zu essen, heißt noch lange nicht, dass ihm daran liegt, sich von ihr bekochen zu lassen. Seine geschiedene Frau sei nicht gerade eine Traumköchin gewesen, hatte er ihr erzählt. Sie scheint in keiner Hinsicht die Traumfrau gewesen zu sein, wie Tanja den harten Worten entnommen hatte, mit denen er sie schilderte.
Wie kann eine Frau so töricht sein, einen Mann wie Tom so nachlässig zu behandeln?
Er sieht blendend aus, ist so charmant und lebendig, denkt sie, während sie vorsichtig den Telefonhörer an ihr Ohr hebt. Niemals wird er so herzlos sein, eine Verabredung in letzter Minute abzusagen.

Warum wappnet sie sich dann genau gegen diese Möglichkeit? Warum ist sie immer ein wenig überrascht, ihn zu sehen?

„Tanja? Hallo, Tanja, bist du da?“
Die Stimme ihrer Mutter ist wie ein Angriff. Als ob jemand nach dir greift und zupackt, denkt Tanja und hält in dem vergeblichen Bemühen, sich dem verbalen Zugriff ihrer Mutter zu entziehen, den Telefonhörer auf Armeslänge von sich weg.
„Ja, ich bin hier. Du brauchst nicht so zu schreien.“
„Na ja, du hast dich nicht gleich gemeldet. Das hat mich beunruhigt.“
„Du sollst dir nicht so viele Gedanken um mich machen, Mama. Ich bin erwachsen.“
Der Seufzer ihrer Mutter zieht durch die ganze kleine Wohnung. Für deine Mutter niemals erwachsen genug, soll dieser wohl sagen.
„Du hast dir wohl nicht die Nachrichten angesehen?“
Nein.“ Tanja sieht auf ihre Uhr. Fast sieben. In wenigen Minuten wird Tom kommen. Allerdings zu ihrer letzten Verabredung ist er fast 30 Minuten zu spät gekommen.
„Mama, ich kann jetzt nicht lange reden. Ich erwarte Besuch zum Essen.“
„Er hat schon wieder eine erwischt.“
„Was? Wer? Wer hat was erwischt?“
„Der Würger. Er hat schon wieder eine junge Frau umgebracht. Mit bloßen Händen erwürgt. Sie haben die Leiche vor wenigen Stunden gefunden. Sie war Anfang Dreißig. Blond. Allein stehend. Da soll ich mir keine Sorgen machen?“
„Ich lasse mir gleich morgen früh die Haare braun färben, Mama. Wäre das eine Beruhigung?“ fragt Tanja ohne ihrer Mutter Zeit für eine Zwischenbemerkung zu lassen. Aber jetzt muss ich wirklich Schluss machen.“
„Ich wollte dir nur sagen, dass du vorsichtig sein sollst. Es gibt eine Menge Verrückter. Man kann nie wissen. Wer, hast du gesagt, kommt zum Essen?“
„Ich hab es gar nicht gesagt.“
„Ein Mann?“
Tanja lacht. „Ja, Mama, ein Mann. Und er wird jeden Augenblick aufkreuzen. Also gute Nacht, Mama. Ich melde mich morgen mal.“
Tanja legt auf, ehe ihre Mutter etwas sagen kann.

„Wie gut kennst du diesen Mann?“ fragt Tanja laut im Ton ihrer Mutter und schüttelt heftig den Kopf. „Na ja, wenn du so fragst, eigentlich kenne ich ihn kaum. Ich habe ihn erst vor drei Wochen im Fitnessstudio kennen gelernt. Ich habe ihm bei Gewichtheben zugesehen. Er wurde aufmerksam, kam rüber und stellte sich mir vor. Aber was weiß ich schon über ihn, außer dass er groß ist und gut aussieht? Na schön, Mama, dass er geschieden ist, gut verdient und schicke Anzüge trägt.“




Schicksalhafte Begegnung




Jana legt den Hörer auf. Etwas an dem, was Franzi gesagt hat, ist wahr. Nicht so, wie sie es beschrieben hat, aber - und das wird ihr jetzt klar - als sie beim Läuten des Telefons zusammen gezuckt war, hatte sie unbewusst einen Anruf von Frau Weber erwartet. Sie solle auf keinen Fall zu spät kommen, oder ob sie vielleicht noch dies oder das mitbringen könnte.
Jana sieht auf die Uhr, zieht sich ihren dicken Anorak an und packt ein Paar Handschuhe ein.

Solange die Dezembersonne noch scheint, ist es fast warm, aber nachher wird es sicher kälter werden.

Frau Weber empfängt Jana überschwänglich.
„Jana, wie schön, dass Sie so pünktlich sind.“
„Ich bin doch immer pünktlich“, antwortet Jana leicht verärgert. Frau Weber scheint den Unterton in Janas Stimme nicht zu bemerken.
„Mein Sohn kommt. Endlich hat er einmal Zeit gefunden und sich an seine arme alte Mutter erinnert.“
„Aber Frau Weber! Sie sind doch weder arm, noch alt. Wann kommt er denn?“
„In zwei Tagen.“
„Wie schön, und er bleibt über Weihnachten?“
„Nein, nein, er bleibt höchstens drei Tage, dann fährt er wieder, und für Weihnachten hat er bestimmt schon andere Pläne.“
Sie blickt Jana ein wenig traurig an.
„Na gut, dann wollen wir jetzt mal zum Einkaufen in den Supermarkt fahren,“ sagt Jana mit aufmunternder Stimme.

Frau Weber kauft Äpfel, Nüsse, Weihnachtsgebäck, Gemüse und Kartoffeln ein.
„Und Sie kaufen nichts?“
„Ich brauche als Single nur wenig, aber diesen schön verpackten Stollen nehme ich mir mit.“
Jana greift nach dem Gebäck.
„Aber liebe Jana, den Stollen muss man selber backen, das sollten Sie schon mal üben, denn wenn Sie erst eine Familie haben … Ich habe die Stollen immer selber … Na ja!“

Als sie den Laden verlassen, wirft die Dämmerung lange Schatten. Auf der Rückfahrt überkommt Jana ein Gefühl unendlicher Melancholie. Frau Weber scheint ihre Traurigkeit bemerkt zu haben und schlägt ihr vor, doch heute Abend zum Essen dazubleiben.

„Heute geht es leider nicht, ich muss nach Hause.“
„Dann aber übermorgen. Ja. Wenn mein Sohn Florian kommt. Diesen Wunsch dürfen Sie mir nicht abschlagen. Florian wird sich auch freuen.“

Als Jana zwei Tage später mit einem bunten Blumenstrauß das Haus von Frau Weber gegen 19.00 Uhr betritt, hält ihr ein junger Mann die Fahrstuhltüre auf und mustert sie aufmerksam. Jana fällt gleich auf, wie gut er aussieht. Er schließt die Aufzugstüre von außen und Jana drückt auf den Knopf, der sie zur zweiten Etage bringen soll. Noch im Fahrstuhl wickelt sie die Blumen aus. Der Aufzug hält an, und der gleiche sympathische Mann öffnet ihr die Tür.

„Florian Weber! Ich gehe immer zu Fuß,“ sagt er mit der Andeutung einer Verbeugung.
„Jana Wegener!“ erwidert sie leise. Dieser Florian irritiert sie. Er schließt die Etagentüre seiner Mutter auf.
„Florian? Bist du es?“ hören sie beide Frau Weber rufen.
„Ja, wer denn sonst?“ ruft er ihr zu und hilft Jana aus dem Mantel. Er sieht sie einen Moment ernst an.
„Haben Sie nichts Besseres vor, als den Abend hier mit meiner alten Mutter zu verbringen?“
Der Zynismus in seiner Stimme ist nicht zu überhören..
„Wie kommen Sie denn darauf?“ protestiert Jana.

Gott sei Dank taucht in diesem Moment Frau Weber auf und Jana überreicht ihr die Blumen.
„Kann ich Ihnen etwas helfen?“ fragt sie.
„Nein,“ fährt Florian dazwischen, „heute nicht. Wir beide nehmen einen Aperitif, denn wir sind ja hier die Gäste, oder?“
Jana und Florian stehen am Fenster und sehen schweigend nach draußen.
„Ich weiß, was Sie jetzt denken,“ sagt Florian nach einer Weile. „Sie sind der gute Engel,“ er lacht, „was ja ganz besonders gut zu diesem Vor-Festtagsgetümmel passt, und ich bin der böse Sohne.“
„Nein, das denke ich nicht!“ Die Gegenwart dieses Mannes verunsichert Jana.

Frau Weber bittet die beiden an den Tisch, das Essen ist serviert.




Das geheimnisvolle Haus




Die Einsamkeit der Gegend störte sie nicht weiter, bis zu dem Augenblick, als der Motor streikte und sich absolut nicht mehr starten ließ.
Woher sollten sie jetzt Hilfe bekommen?
Zufällig entdeckten sie hundert Meter von ihnen entfernt ein Haus auf einem kleinen Hügel.
Günter hoffte, dort auf Leute zu treffen, die ihnen helfen konnten. Er wollte versuchen, per Telefon eine Nachtdienst habende Werkstatt zu benachrichtigen. Kurzerhand erklomm er den kleinen Hügel und stand wenig später vor dem Haus, in dem kein Licht brannte.

Ursula sah vom Wagen aus, wie ein heller Lichtschein aus der Haustür fiel, als sie sich öffnete. Sie konnte noch erkennen, dass Günter eintrat und die Tür hinter ihm geschlossen wurde. Sie behielt das Haus ständig im Auge, doch die Zeit des Wartens schien ihr endlos. Da plötzlich – Ursula riss die Augen weit auf – stürmte Günter wie besessen aus dem Haus, den Weg herunter und spornstreichs aufs Auto zu.

Er ließ sich neben Ursula auf den Fahrersitz sinken und war zunächst unfähig, ihre drängenden Fragen zu beantworten. Die Farbe wich aus seinem Gesicht und die Hände zitterten, während er einfach da saß und in die Dunkelheit starrte. Ursula war entsetzt und schockiert zugleich.
Doch dann beruhigte Günter sich allmählich und fing an zu erzählen:

„Als ich vor dem Haus stand, glaubte ich im ersten Moment, es sei unbewohnt, denn die beiden Fenster neben der Haustür waren mit Brettern zugenagelt. Ein weiteres Fenster über der Türe, dessen Scheibe zersplittert war, hatte der Besitzer notdürftig mit Pappe zugedeckt, die sich aber stellenweise schon wieder löste. Das Haus wirkte verwahrlost. Hätte ich nicht Geräusche von drinnen vernommen, wäre mir nie der Gedanke gekommen, dass hier noch jemand wohnen könnte. Ich wollte an der Haustür schellen, musste aber feststellen, das die Schelle halb abgerissen neben der Tür hing.
Also klopfte ich laut, worauf das Licht anging und mir von einer großen hageren Frau geöffnet wurde. Sie musterte mich zunächst kritisch. Ihr Blick durchbohrte mich und ihre Augen verrieten keine Regung, als ich von unserer Panne erzählte und sie bat, telefonieren zu dürfen. Ihr farbloses Gesicht und ihre wirren schwarzen Haare gaben der Frau ein unheimliches Aussehen.
Mit knappen Worten ließ sie mich herein. Ich trat ins Haus und merkte ein Unbehagen in mir hochsteigen. Fast bereute ich schon, überhaupt angeklopft zu haben.
Als die Frau die Tür hinter mir geschlossen hatte, glaubte ich, ihre bohrenden Blicke im Rücken zu spüren.
Ein eigenartiger süßlicher Geruch drang mir in die Nase, so dass mir fast übel wurde. Noch darüber sinnend, woher der Gestank kam, fiel mein Blick auf die bizarren Muster der Tapete, die von der Deckenlampe gespenstisch angestrahlt wurden. Verunsichert drehte ich mich nach der Frau um, die immer noch hinter mir stand, ohne ein Wort zu sprechen. Irgendwie schien sie mir im Tran, ihr Blick war starr und abwesend.
Da war dann auf einmal wieder dieses eigenartige, undefinierbare Geräusch zu hören, das ich schon draußen gemeint hatte aus einem der Zimmer zu vernehmen. Seltsamerweise erwachte die Frau in diesem Moment aus ihrem Trancezustand. Sie zuckte zusammen und stakste an mir vorbei. Mit monotoner Stimme forderte sie mich auch, ihr zu folgen.
Sie öffnete eine Tür, und ich betrat einen kleinen Raum, in dessen Mitte ein großer schwarzer Tisch mit vier Stühlen stand. Eine grell leuchtende Deckenlampe hing fast bis auf den Tisch herunter. Auf den kahlen Steinfußboden lag kein Teppich und die Muster der Tapete waren stark verblichen. Obwohl es draußen noch warm gewesen war, kam mir hier eisige Kälte entgegen. Der Raum gab mir das Gefühl, in einer Grabkammer zu sein. Ich spürte am ganzen Körper eine Gänsehaut, als ich dann an der Wand, unterhalb des Fensters, es musste das vernagelte sein, eine große schwere dunkle Truhe bemerkte, die wie ein Sarg aussah. Ich war so entsetzt, dass ich nur mit Mühe die erneute Frage nach dem Telefon formulieren konnte. In mir war in dem Moment nur ein Wunsch: So schnell wie möglich weg von hier! Wie aus weiter Ferne hörte ich die entmutigenden Worte, dass es hier weit und breit keinen Fernsprecher geben würde und die nächste Werkstatt zehn Kilometer entfernt sei, aber heute keinen Nachtdienst hätte.

Ja, ja, das stimmt! dröhnte plötzlich eine tiefe Stimme dicht hinter mir. Ich kann sie morgenfrüh mit meinem Lieferwagen mitnehmen und sie bei der Werkstatt absetzen.
Ein kräftiger, wild aussehender Mann legte mir seine Pranke auf die Schulter und stellte sich vor mich hin. Ich erschauderte bei seiner Berührung. Er bot mir an, bei ihnen zu übernachten. Mit weichen Knien konnte ich ihm gerade noch antworten, dass ich dich zuerst noch holen wollte. Ich sah, wie er der Frau hämisch einen Blick zuwarf und dann in einem der Räume verschwand, aus denen ich die Furcht einflößenden Laute vernommen hatte.
Die Frau und ich standen nun wieder allein im Zimmer. Sie wirkte erneut wie versteinert und schien mich gar nicht mehr zu sehen. Ihr lebloser Blick war auf einen unbestimmten Punkt auf dem Fußboden gerichtet.
Ich hatte nur noch den einen Gedanken – raus aus diesem unheimlichen Haus!
Schnellen Schrittes ging ich zur Haustür und rannte, so flink mich meine Beine trugen, hinaus.“

Ursula und Günter waren sich darin einig, weder in dem Haus zu übernachten, noch irgendeine andere Unterstützung dieser Leute in Anspruch zu nehmen.
Sie überlegten, was sie nun machen sollten. Auf gar keinen Fall wollten sie länger untätig im Auto sitzen bleiben. Die Angst saß beiden tief im Nacken. Zu unheimlich war all das gewesen, was Günter soeben erlebt hatte. Ursula liefen immer noch kalte Schauer den Rücken herunter. Sie traute sich kaum mehr, zu dem Haus hinauf zu sehen. Jeden Moment erwartete sie, dass sich die Haustür öffnete und einer der schrecklichen Bewohner heraus treten würde.

Aber nichts dergleichen geschah. Es blieb alles still. Das Haus ließ wir bei ihrer Ankunft nichts darauf hindeuten, dass hier irgendjemand wohnte. Nirgendwo brannte Licht. Das Gebäude wirkte jetzt kalt und Furcht erregend.

Wir müssen hier weg, hatte Günter schließlich gemeint. Egal wohin, nur fort von hier. Sie sprangen aus dem Auto, fassten sich an den Händen und liefen die Straße herunter so schnell ihre Füße sie trugen. Sie mussten die Werkstatt unbedingt finden, auch wenn sie, wie die hagere Frau Günter erklärt hatte, zehn Kilometer entfernt lag.




Die Stimme




"Ich weiß auch nicht," begann sie zögernd. "Es war so, als ob jemand wie Du jetzt hier an meinem Bett gesessen und mit mir geredet hätte. Das eigenartige war allerdings, dass ich keine menschliche Gestalt erkannt habe, sondern nur die Stimme gehört habe". Sie blickte Mark hilflos an.
"Ich sagte bereits, Susan, du brauchst dringend Urlaub. Deine Nerven haben dir vermutlich einen Streich gespielt. Vielleicht gönnt dir irgendjemand deine wohlverdienten Ferien nicht und hat es dir auch deutlich gesagt. Das hast du dann im Schlaf verarbeitet. So etwas kommt öfter vor. Vergiss es".

„Nein. Eben nicht. Alle, alle mir eine schöne Zeit gewünscht.“
„Und warum sollst du nicht in diesem Haus am Meer wohnen? Hat diese seltsame Stimme dir das auch erzählt?“
„Nicht so direkt. Aber es klang wie eine Warnung.“
„Eine Warnung? Wovor denn? Mensch, Susan, wach auf! Der Traum ist aus. Lass uns fahren. Komm!“ Mark stand auf und ging zur Tür.
„Dieses Haus bringt uns Unglück, Mark. Das Meer in der Nähe …, die Flut, …!“
„Aber Susan! Das ist doch nicht unser erster Urlaub an der See. Du kennst das Meer, die Gezeiten! Was soll denn passieren? Das Haus steht ja nicht auf dem Strand. Selbst bei Flut sind wir noch zwei Kilometer davon entfernt. Die Bedenken hast du noch nie gehabt.“
„Ich bin auch noch nie von einer unbekannten Stimme so ermahnt worden. Wenn wir fahren, kommen wir nie mehr zurück. Ich weiß es!“
„Du weißt es? Woher weißt du es? Das ist doch Blödsinn! Susan, wach auf! Sei vernünftig! Du hast schlecht geträumt. In Ordnung. Aber jetzt weg mit dem Müll. Lass uns frühstücken, dann kommst du auf andere Gedanken.“
„Oh nein, es war kein Traum. Es war Wirklichkeit. Ich kann auch nicht vergessen. Ich höre die Stimme jetzt noch im Ohr, so, als ob sie mir immer wieder zuraunt, ich solle die Ferien zu Hause verbringen.“
„Und warum? Ich verstehe das nicht! Frag deine Stimme!“
Susan sah Mark verstohlen an.
„Du glaubst mir nicht, Mark! Aber es ist wahr. Ich fantasiere nicht. Es ist das erste Mal, dass sich so etwas erlebe. Ich kann deine Frage nicht beantworten. Ich konnte der Stimme ja auch keine Fragen stellen. Es war wie ein Monolog. Sie hat mir nur immer wieder verdeutlicht, dass ein Unheil droht, wenn ich ihren Ratschlag in den Wind schlage. Ich kann mir das ja auch nicht erklären. Es war alles so komisch. Da war eine Stimme zu der keine sichtbare Person gehörte. Und dennoch war sie so bestimmend. Keinen Widerspruch duldend.“
„Susan, ich sag es ungern nochmals! Aber deine Nerven sind überstrapaziert. Dann kommen solche Träume vor, von denen man am morgen nicht so recht weiß, war es nun ein Traum oder Wirklichkeit gewesen. Glaub mir das. Ich habe auch schon Dinge geträumt, bei denen ich am nächsten Tag so meine Zweifel hatte. Aber sobald wir am Meer sind und du zur Ruhe kommst, hast du alles ganz schnell vergessen.


Impressum

Texte: Texte und Foto Cover © Helga Salfer
Tag der Veröffentlichung: 27.03.2009

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