Cover

I n h a l t




Der Kunde ist König ..........Seite 7

Männliche Eitelkeit ..........Seite 12

Der Tick ..........Seite 19

Der Querulant ..........Seite 26

Reihenhaus - Idylle ..........Seite 34

Vernarrt in den Besen ..........Seite 43

Wer anderen eine Grube gräbt ..........Seite 46

Nachwort ..........Seite 51


Der Kunde ist König




Kritisch besieht sich Frau Hansen den Sportschuh an ihrem linken Fuß.

"Wenn Sie den jetzt noch in schwarz hätten ..."
"Kann ich Ihnen gern zeigen. Er müsste in Ihrer Größe in schwarz noch einmal da sein."
"Ach, das wäre wunderbar. Er ist so bequem. Wissen Sie, ich habe seit einigen Jahren Probleme mit den Füßen, da bin ich immer froh, wenn ich Schuhe finde, in denen ich gut laufen kann. Es ist schwierig, äußerst schwierig."
"Ich hole Ihnen das Paar in schwarz."

Drei Minuten später steht die Verkäuferin mit den schwarzen Schuhen im Arm vor der Kundin und schaut sie erwartungsvoll an.
Mit zusammen gekniffenen Augen blickt Frau Hansen die Schuhe an und schüttelt den Kopf.

"Nein, nein. Schwarz ist keine Farbe für mich. Überhaupt nicht. Und erst recht im Sommer trage ich lieber helle Farben."
"Ja, aber Sie wollten den Schuh doch gerade in schwarzem Leder haben! Oder hatte ich mich verhört?"
"Schwarz? Das ist unmöglich, junge Frau. Ich trage nie schwarze Schuhe. Wie kommen Sie darauf?"
"Aber Sie haben mir gerade gesagt, dass ..."
"Bringen Sie mir das Modell in beige. Ja! Beige ist gut!"
"Tut mir Leid! In beige habe ich diesen Sportschuh nicht vorrätig. Wir führen ihn nur in zwei Farben: braun und schwarz. Ich könnte Ihnen allerdings ein anderes Modell zeigen, auch sehr gut verarbeitet, weiches Leder und super bequem."
"Na ja, zeigen Sie es mir bitte."

Die Verkäuferin stellt die schwarzen Schuhe neben Frau Hansen ab.
Als sie mit zwei Paar hellfarbenen Sportschuhen in der Hand zurück kommt, hält Frau Hansen den schwarzen Schuh in der Hand und beäugt ihn kritisch von allen Seiten.

"So, hier hätten wir zwei beige Modelle. Ich garantiere Ihnen, darin laufen Sie wie in Pantoffeln. Wollen Sie sie gleich einmal anprobieren?"
Abwehrend streckt Frau Hansen beide Arme aus.
"Die sind aber hell. So etwas trage ich gar nicht. So was neumodisches!"
"Wieso neumodisch?! Helle Schuhe sind nichts besonderes! Die trägt doch jede Frau im Sommer!"
"Kommt nicht in Frage. Zeigen Sie mir lieber etwas in braun."
"In braun? Sind Sie sicher, dass es braun sein soll?"
Frau Hansen nickt stumm.

Die Verkäuferin verliert langsam die Geduld.
Mit Sicherheit will sie die braunen Schuhe gleich auch nicht haben, wenn ich sie ihr geholt habe, denkt sie sich.

Als Frau Hansen jedoch die braunen Schuhe sieht, strahlen ihre Augen.
"Ja, die gefallen mir. Ich will sie kurz anprobieren."
"Natürlich. Warten Sie. Ich helfe Ihnen."

Die Verkäuferin atmet erleichtert auf.
"Endlich!" murmelt sie leise vor sich hin.
Sekunden später hört sie Frau Hansens Stimme:
"Die sehen ja schrecklich aus. Glauben Sie etwa, dass ich solche Schuhe trage? Und die Farbe!"
"Ihre alten Schuhe sind aber auch braun. Ich dachte nun wirklich, braun sei ein Ton, den sie mögen!"
"Woher wollen Sie denn wissen, was ich mag?"
"Entschuldigung, aber ich dachte, weil ..."

Frau Hansen winkt ungeduldig ab.
"Wieso bringen Sie mir eigentlich immer Straßenschuhe? Ich brauche Hausschuhe. Führen Sie eigentlich keine Hausschuhe? In so einem großen Schuhgeschäft! Nicht zu fassen!"
"Natürlich gibt es hier Hausschuhe. Aber Sie haben die ganze Zeit von Sportschuhen geredet."
"Ich habe es mir anders überlegt. Ein Paar warme Hausschuhe hätte ich gern. Möglichst innen gefüttert. Ich leide sehr unter kalten Füßen. Durchblutungsstörungen."
"Gerne!" knurrt die Verkäuferin zurück.

Sie zeigt Frau Hansen ein Paar Hausschuhe aus weichem Leder mit warmem Innenfutter.
"Das sind ja Pantoffel! Da kann ich ja nicht mit auf die Straße gehen!"
"Nein, natürlich nicht. Die sind nur für die Wohnung geeignet."
"Ja das nutzt mir aber nichts. Die sind ja auch viel zu warm. Jetzt um die Jahreszeit. Wieso haben Sie denn keine vernünftigen Schuhe in Ihrem Geschäft? Ich brauche Schuhe, die ich drinnen und draußen tragen kann."

Die Verkäuferin verdreht hilflos die Augen und atmet tief durch.
"Probieren Sie dieses Paar hier einmal."
"Die sind ja wieder braun!" brummelt Frau Hansen.
Doch dann lässt sie sich beim Anziehen der Schuhe helfen.

Plötzlich huscht ein Lächeln über ihr Gesicht.
"Ja! Die sind wunderbar! Bequem und angenehm! Warum haben Sie mir dieses Modell nicht sofort gezeigt? Die nehme ich! Was kosten sie?"
"Gar nichts!" erwidert die Verkäuferin mit gezwungenem Lächeln. "Es sind nämlich ihre eigenen!"




Männliche Eitelkeit




Andreas steht vor dem Badezimmerspiegel und rasiert sich sorgfältig die lästigen Bartstoppeln weg. Aufmerksam betrachtet er dabei sein Gesicht im Spiegel. Er ist ein Mann in den besten Jahren.

Mit Ende Dreißig hat er immer noch die Figur eines Jünglings, worauf er sehr stolz ist. Er achtet stets streng auf seine Essgewohnheiten. Kein Gramm Fett ist an seinem durchtrainierten Körper zu viel. Sein Bauch ist flach wie ein Brett. Schließlich verbringt er ja auch jede freie Minute im Fitnessstudio, spielt Tennis, joggt und besucht regelmäßig die Sauna.

Seine gebräunte Haut zeigt noch keinerlei Falten, höchstens ein paar Lachfältchen um die Augen herum, was seiner Wirkung auf Frauen jedoch keinen Abbruch tut. Er ist sich seiner positiven Ausstrahlung auf das weibliche Geschlecht durchaus bewusst.

Dennoch gibt es etwas, das ihm einige Sorgenfalten auf die Stirn treibt - die ersten grauen Haare!

Jeden Morgen prüft er genau, ob neue hinzu gekommen sind. So lange es nur einzelne Haare sind, zupft er sie aus. Doch inzwischen sind es zu viele geworden.

Er versucht, den Scheitel auf der linken Seite zu ziehen. Doch kurze Zeit später stellt ihn das Ergebnis auch nicht mehr zufrieden. Seine braunen Haare durchziehen sich mehr und mehr mit grauen Fäden.

Besorgt schaut er sich seine Haarpracht an und fasst schließlich den Entschluss, sie ganz kurz schneiden zu lassen. So, meint er, fällt der kleine 'Grauschimmer' weniger auf.

Beim Frisör beobachtet er interessiert, mit welcher Selbstverständlichkeit der Stylist seinen männlichen Kunden die Haare färbt.

Ob ich meine ebenfalls färben sollte? Mein jugendliches Aussehen will ich unbedingt beibehalten, denkt er bei sich und greift nach einer Zeitschrift, in der die neuesten Schnitte und Farben für Männer präsentiert werden.

"Schneiden, Waschen, Fönen? Oder darf es auch eine Tönung sein?"
Andreas blickt überrascht hoch. Neben ihm steht eine junge Frau, die ihn freundlich anlächelt.
"Wir hätten da etwas Spezielles, um die ersten grauen Haare wirksam für einige Zeit abzudecken. Es ist wie ein Shampoo. Sie waschen es einfach in die Haare ein."

Andreas sieht sie verdutzt an.
"Mein Gott, ich sehe wohl schon so grau aus wie ein Esel?" murmelt er vor sich hin.
"Nein! Auf gar keinen Fall", wirft die nette Dame ein. "Aber Sie sehen so sportlich und jugendlich aus. Zu Ihnen passen einfach keine grauen Haare. Das ist doch etwas für ältere Männer. Da gehören Sie doch noch lange nicht zu."

Andreas strafft die Schultern und räuspert sich. So viel Lob von einer jungen, hübschen Frau geht ihm wie Honig herunter. Er setzt sein charmantestes Lächeln auf und schaut sie an.

"Sie meinen also, ich sollte es versuchen, das mit dem Tönen?"
"Aber sicher! Ein Mann mit Ihrem Aussehen! Da ist es schon beinahe eine Verpflichtung, den grauen Haaren den Garaus zu machen. Man sieht nicht oft so attraktive Männer hier im Salon", antwortet sie leise, worauf sie ein wenig verlegen wird.
"Entschuldigen Sie meine Offenheit! Sind Sie ein Dressman?"

Andreas schmunzelt und schüttelt verneinend den Kopf.

"Sie sehen so aus wie die Models aus den Zeitschriften: groß, schlank , elegant, sehr gepflegt, durchtrainiert."

Andreas spürt den Blick der jungen Frau, die vor ihm steht, auf sich ruhen. Und es tut ihm sehr gut.

"Darf ich Ihnen denn einmal die Farbe zeigen, die für Sie in Frage käme?"
"Ja gerne", stimmt Andreas ihr zu.
"Dann nehmen Sie doch bitte hier schon einmal Platz."

Die Frisörin beherrscht ihr Handwerk. So kann Andreas schon kurze Zeit später seine dunkle Haarpracht bewundern, wobei er übers ganze Gesicht strahlt.

"Das sieht ja wirklich echt aus! Wunderbar! Nirgendwo mehr ein graues Haar. Und es wäscht sich nicht sofort wieder heraus?" fragt er besorgt.
"Nein! Da machen Sie sich keine Gedanken. Ein paar Wochen hält es schon!"

Staunend besieht sich Andreas im großen Spiegel. Was er da sieht, gefällt ihm außerordentlich gut.

"Jetzt sehen Sie noch jünger aus, als vorher!"
Die junge Frau besah sich ihr Werk mit großen leuchtenden Augen.
"Es sieht toll aus, finden Sie nicht auch?"

Andreas nickt stolz. Er ist froh, dieses Haarproblem, das ihm schon einige Zeit Sorgen bereitet hat, nun gelöst zu haben.
Bestens gelaunt verläßt er den Frisörladen und beschließt sogleich, sich nun auch einen neuen schicken Anzug zu leisten. In jedem Schaufenster, an dem er vorbei geht, besieht er sich wohlwollend sein Spiegelbild.

Vor einem extravaganten Geschäft für Herrenmode bleibt er stehen und betrachtet sich eingehend die Auslagen. Kurzentschlossen tritt er ein. Ein älterer Herr mit einem leichten Bauchansatz kommt sofort auf ihn zu und fragt ihn nach seinen Wünschen.

"Ich hätte gerne einen hellgrauen Anzug! Schurwolle bitte, wenn möglich!"
"Natürlich!" Der Verkäufer mustert Andreas kurz und kommt nach wenigen Minuten mit einem sehr edlen Teil auf dem Arm zurück.
"Ich glaube, das ist genau das Richtige für Sie. Bei Ihrer tadellosen Figur wird er Ihnen wie angegossen passen. Und die Farbe passt ebenfalls zu einem so dynamischen Menschen wie Ihnen."

Andreas probiert den Anzug an, der tatsächlich exakt sitzt. Während er sich vor dem Spiegel dreht, sieht er aus den Augenwinkeln die bewundernden Blicke des Verkäufers auf sich gerichtet.

"Wie ich es gesagt habe! Der Anzug ist perfekt. Nicht jeder kann so etwas tragen. Aber Sie sind ja so schlank!"
"Ja, ich bin auch sehr darauf bedacht, mein Gewicht zu halten und treibe viel Sport."
"Das glaube ich Ihnen gerne", meint der Verkäufer freundlich. "Sie sind ja auch noch ein junger Mensch!"

Andreas muss innerlich lächeln. Hingebungsvoll mustert er sich von Kopf bis Fuß. Er sieht ohne Übertreibung blendend aus. Und jung!

Was will MANN mehr?




Der Tick




Mit sorgenvoller Miene beobachtet Martin vom Fenster aus den Nachbarn, der aktiv seinen Vorgarten bearbeitet. Überall hat er Löcher gegraben, um neue Sträucher und Stauden zu pflanzen.

Am liebsten würde Martin jetzt gleich aus der Haustür springen, sich seinen Besen schnappen, der immer griffbereit draußen steht, und die auf sein Grundstück gefallenen Dreckklumpen weg kehren. Aber er kann seinen Besuch nicht allein im Wohnzimmer sitzen lassen.

"Martin, nun bring schon den Kaffee aus der Küche mit! Wo bleibst du denn?" hört er seine Frau ungeduldig rufen.
"Ja, ja! Ich bin schon unterwegs!"

Es fällt ihm schwer, sich los zu reißen. Am liebsten würde er Herrn Schneider weiter genau im Auge behalten und seinen Kaffee hier am Küchenfenster trinken. So würde ihm nichts dadurch gehen.

Er wirft einen letzten Blick auf den Plattenweg zu seinem Haus, auf dem ein paar kleine Erdkrümmelchen liegen.
Mit festem Griff umfaßt er den Henkel der Kaffeekanne und beißt die Zähne zusammen.
"Es geht nicht! Ich kann nicht in Ruhe Kaffee trinken und Kuchen essen, wenn der Schneider dauernd mit dem Mutterboden wie ein Maulwurf um sich wirft. Ich muss raus."

"Maaaaaartiiiiin!" Die Stimme seiner Frau klingt ärgerlich.

Im gleichen Moment klingelt Martins Handy. Martin stellt die Kaffeekanne zurück auf den Küchentisch und greift nach seinem Handy, ohne jedoch den Blick von Schneider abzuwenden.
Seine Frau erscheint in der Küchentür, um den Kaffee zu holen, und verdreht die Augen. Stumm zuckt Martin mit den Schultern, signalisierend - was kann ich dafür?

Nur mit Mühe kann er sich auf das Gespräch konzentrieren, denn er muss sich in der äußersten Ecke der Küche ziemlich verrenken, um Herrn Schneider noch zu sehen, der gerade in einem für Martin schlecht einsehbaren Winkel seines Vorgartens steht.

"Moment, ich muss in meinen Unterlagen nachsehen, Herr Bauer", antwortet Martin.
Abrupt verläßt er seinen Beobachtungsposten und rennt die Treppe hinauf in sein Arbeitszimmer.
Für kurze Zeit vergißt er sogar Herrn Schneiders Aktivitäten, während er sich durch seine Geschäftsunterlagen durcharbeitet. Der Vertrag von Herrn Bauer erfordert jetzt seine ganze Aufmerksamkeit. Aber nicht lange!

Als alle Formalitäten geklärt sind, beendet er das Telefongespräch. In Martin erwacht erneut die Unruhe. Er muss sehen, was draußen inzwischen geschehen ist.

Mit großen Schritten flitzt er die Treppe herunter und stürzt erneut in die Küche. Mit aufgerissenen Augen starrt er aus dem Fenster. Der Mund bleibt ihm vor Entsetzen offen stehen, als er sieht, wie Herr Schneider mit einer mit Mutterboden voll beladenen Schubkarre angefahren kommt.

Martin verschlägt es die Sprache. Weniger schockiert ihn die gefüllte Schubkarre, als die Spuren von Herrn Schneiders groben Gartenschuhen auf seinem Grundstück.

"Na warte!" murmelt er vor sich hin und ballt die Hand zur Faust. "So geht es nicht! So nicht, mein Lieber!"

"Mensch, Martin! Wo bleibst du denn? Wir warten auf dich! Dein Kaffee wird kalt!"

Verflixt! Was mach ich jetzt? Ich kann denen da drinnen doch kaum sagen, dass ich erst kehren muss, obwohl ... ja -, das ist es! Sie machen sich alle schmutzig, wenn sie nach Hause gehen, also MUSS ich sauber machen!"

"Mit wem redest du, Martin?"
"Ach, mit niemandem! Fangt schon ohne mich an! ich muss eben noch mal raus zur Garage!" lügt er.
"Na gut!" antwortet seine Frau nichts ahnend. "Aber beeil dich, bitte, ja?"
"Ja, ja! Mach ich!"

Martin spürt, wie es ihm leichter ums Herz wird. Endlich kann er seiner Lieblingsbeschäftigung nachgehen. Kehren! Zwar würde er dieses Mal Herrn Schneider gründlich die Meinung sagen, von wegen Verschmutzung seines Grundstückes. Aber im Grunde genommen gab es nun einen berechtigten Grund, wieder zu seinem geliebten Besen zu greifen. Er konnte es einfach nicht lassen - das Kehren! Freudig erregt öffnet er die Haustüre.

"Guten Tag, Herr Braun!" Herr Schneider lächelt ihn freundlich an.
Martin zieht die Augenbrauen zusammen, um seinem Gesicht ein mißmutiges Aussehen zu geben.
"Tag", brummelt er unfreundlich. "Haben Sie schon gesehen, was Sie alles auf meinem Weg an Erdklumpen verloren haben? Wir haben Besuch! Wenn die nach Hause gehen, werden ihre Schuhe ganz schmutzig!"
"Aber Herr Braun, ich bring das natürlich alles wieder in Ordnung! Ist doch selbstverständlich! Entschuldigung, aber es ließ sich leider nicht so ganz vermeiden! Machen Sie sich keine Sorgen!"

"Sie haben gut reden! Wie wollen Sie den Dreck denn wieder weg bekommen? Na ja, ist Gott sei Dank alles trocken. Mit dem Besen wird hoffentlich alles wieder sauber!"
"Ja sicher! Ich kümmere mich nachher schon darum!" Herr Schneider wendet sich wieder seiner Arbeit zu.
"Wer weiß, wie der kehrt!" denkt Martin. "Läßt die Hälfte liegen! Mach ich doch lieber selber! Besuch hin - Besuch her! Das kann ich hier nicht mit ansehen."

Es kribbelt Martin bereits in den Fingern. Unruhig wirft er einen Blick auf seinen Besen, der in greifbarer Nähe steht.
Mit dem Besen ergeht es ihm wie einem Raucher, der keine Zigarette liegen lassen kann. Wenn Martin seinen Besen so dicht neben sich stehen sieht, muß er einfach zugreifen.

Der Besuch - sie warten auf mich! Sekunden schwankt Martin in seiner Entscheidung: Rein gehen oder kehren! Verschiedene Gedanken schießen ihm durch den Kopf:
Was wird Herr Schneider sagen oder denken, wenn ich jetzt selber kehre? Was wird meine Frau sagen, wenn sie mich kehren hört? Und der Besuch?
Aber das Bedürfnis, es zu machen, ist so groß. Es stellt einfach alle anderen Bedenken in den Hintergrund.

Mit sicherem Griff umfaßt er den 'geliebten' Besenstiel. Bei der Berührung des vertrauten Holzes glätten sich sogleich seine Sorgenfalten auf der Stirn. Zwar ärgert ihn der Dreck vor seiner Tür, andererseits gibt er ihm die Möglichkeit, seiner liebsten aller Tätigkeiten nachzugehen.

Aus den Augenwinkeln beobachtet er die Reaktion von Herrn Schneider. Doch der arbeitet still vor sich hin und schaut gar nicht herüber.

Martin spürt, wie seine Nervosität einer wohligen Ruhe weicht. Er geht völlig auf in seiner Arbeit, die er über die Maßen sorgfältig, mit einer unübertrefflichen Präzision, ausführt.

Nach geraumer Zeit zeigt sich sogar ein Lächeln auf seinem Gesicht. Martin ist glücklich. Nichts und niemand kann seine Laune besser heben, als sein 'Bestes Stück' der BESEN!

So hat eben jeder irgendeine Marotte. Und bei Martin ist es - DAS KEHREN!




Der Querulant




Mit mürrischem Gesicht, einer Zigarre im linken Mundwinkel und den Händen in seinen ausgebeulten Hosentaschen, steht Bert Hansen vor seiner Haustüre.
Aus den Augenwinkeln beobachtet er den Hund seines Nachbarn, der laut bellend im Vorgarten sitzt. Er mag den kleinen Kerl nicht, so wie Herr Hansen fast nichts und niemanden mag. Kein Lebewesen ist vor seinen sarkastischen Bemerkungen sicher. Er erfreut sich daher bei Mensch und Tier keiner allzu großen Beliebtheit.

Heute will er mit Frau Mende 'Tacheles' reden.

Sie besitzt die Frechheit, ihren Wagen einfach vor Hansens Garage zu parken, wenn kein anderer Platz frei ist. Obwohl er selbst sich stets das Recht nimmt, seinen großen BMW da abzustellen, wo es ihm beliebt. Er glaubt ganz einfach, nur er sei dazu privilegiert.

Bert Hansen schnauft und bläst gereizt den Rauch seiner Zigarre aus. Ungeduldig blickt er dabei auf seine Armbanduhr.
"Wo bleibt dieses dumme Weib denn nur? Halb drei! Müsste längst da sein! Wehe, wenn die sich jetzt wieder vor meine Garage setzt! Viel Auswahl hat sie ja nicht. Sind fast alle Parkplätze besetzt."

Er stellt sich auf die Zehenspitzen und reckt den Kopf nach vorne.
"Ach nee, da ganz hinten ist noch eine Lücke. Mal sehen, was sie macht."

"Guten Tag, Herr Hansen! Suchen Sie etwas?"
Erschrocken dreht Bert sich um. Er hat Herrn Kramer überhaupt nicht gehört. Verlegen kratzt er sich am Hinterkopf. Er, der sonst immer einen ironischen Spruch parat hat, ist für einen Moment sprachlos.
"N - nein!" stammelt er. Doch dann fängt er sich gleich wieder.
"Schleichen Sie sich immer wie ein Dieb von hinten an? Sie haben wohl was zu verbergen, wie?"

Herr Kramer zieht die Augenbrauen hoch und schüttelt verständnislos den Kopf. Wortlos geht er an Herrn Hansen vorbei.
Dieser Mann ist und bleibt unverbesserlich.

"Blöder Hund", murmelt Bert. "Meint wohl, er wäre was besseres. Trägt immer die Nase so hoch. Und grüßt dann so scheinheilig. Dabei hat er es faustdick hinter den Ohren".

"Floooocki! Flocki, komm rein!"

Herr Hansen qualmt weiter vor sich hin. Die Zigarre hängt ihm lässig im Mundwinkel.
"Schreien Sie doch nicht so wegen dem blöden Vieh!" Er wirft Frau Bauer einen verächtlichen Blick über die Schulter zu.
"Sie sind hier schließlich nicht allein. Ziehen Sie doch in den Wald, da können Sie nach Ihrem Köter plärren, so viel, so oft und so laut, wie Sie wollen".

Frau Bauer öffnet den Mund und will etwas erwidern. Aber dann winkt sie resigniert mit der Hand ab und schließt schnell die Türe.
"Mit dem Streithahn will ich nichts zu tun haben. Da ist jedes noch so kleine Wort zu viel", sagt sie leicht gereizt vor sich hin.

"Hach, wie lange dauert das denn noch?" Herr Hansen runzelt bedrohlich die Stirn. Seine Geduld ist bald zuende. Langsam wird es ihm ungemütlich hier draußen. Er überlegt, ob er Frau Mende morgen abfangen soll ... dann überlegt er es sich wieder anders.
"Die soll heute ihre Lektion bekommen!"
Allein schon bei dem Gedanken an das bevorstehende Gespräch merkt Bert, wie sein Blutdruck steigt.

In seine Gedanken hinein hört er seine Frau "Telefon, Bert" rufen. Wie elektrisiert fährt er herum.
"Dumme Ziege, stör mich jetzt nicht. Hab keine Zeit! Wer ist es denn?" fragt er knurrend zurück.
"Ein Herr Brandt!"
"Kenn ich nicht! Interessiert mich auch nicht! Leg einfach auf!"
"Geht nicht! Er will, nein, er sagt, er muss dich unbedingt sprechen!"
"Kann gar nicht sein. Frag ihn doch, was er will, dämliche Kuh!"
"Er behauptet, du hättest seinen Wagen beschä ...!"
"Waaaaaaas? Warte, ich komm!"

"Sind Sie Herr Bert Hansen?" hört er eine energische Männerstimme sprechen.
"Ja, klar, wer denn sonst?! Schließlich haben Sie ja meine Telefonnummer gewählt! Glauben Sie, hier sei der heilige Geist? Da muss ich Sie enttäuschen!"
"Mein Name ist Brandt. Besitzen Sie einen BMW mit dem Kennzeichen B-WE-23?"
"Ja, geht Sie aber überhaupt nichts an".
"Glaube schon, dass es mich etwas angeht. Sie wurden beobachtet, wie Sie gestern Abend in der Innenstadt auf der Ringstraße meinen Wagen beim Herausfahren aus der Parklücke leicht gerammt haben . Es ist nur ein kleiner Scha ..."
"Woher wollen Sie denn wissen, dass ich gefahren bin?"
"Weil eine Passantin unmittelbar an Ihrem Auto vorbei ging. Sie hat den Vorgang beobachtet und behauptet, sie kenne Sie sehr gut. Sie seien quasi Nachbarn".
"Soooo?! Da bin ich aber neugierig. Wenn Sie schon so schlau sind, wissen Sie denn auch den Namen von dieser ehrenwerten Person?"
"Ja, den hat sie mir genannt".
"Und? Ich platze vor Neugierde. Wer war es denn? Vermutlich kenne ich sie gar nicht. Mit Sicherheit hat sie einfach dumm daher geredet. Und Sie, Sie glauben ihr einfach diesen Schwachsinn!"
"Mende! Frau Mende heißt die nette Frau".
"Me - Me - Mende????" Herr Hansen verschlägt es für Sekunden die Sprache.
"Sagten Sie, Mende? DIE Frau Mende? Die ich kenne?"
"Ja! Genau!"
"Diese blöde Ziege, olle Petze", mault Bert ins Telefon.
"Sie hat mir Ihre Telefonnummer und Ihre Anschrift gegeben. Wenn Sie sich nicht augenblicklich im Ton mäßigen, zeige ich Sie wegen Fahrerflucht an. Überlegen Sie sich das gut, Herr Hansen. In einer halben Stunde bin ich bei Ihnen und dann wünsche ich Sie anzutreffen!"

Zornschnaubend beendet Bert das unerquickliche Telefongespräch.
Dieses Teufelsweib! Wer weiß, was die dem Kerl noch alles erzählt hat. Der werde ich Bescheid sagen. Mich verpfeifen und selbst 'Dreck am Stecken' haben! Ha! Dick und fett vor meiner Garage ihren mickrigen Golf abstellen! Der werde ich helfen!!! Hoffentlich erwische ich sie noch!

Ohne seiner Frau eine Erklärung abzugeben, eilt er wieder hinaus.

Als er es schon beinahe aufgibt, Frau Mende noch zu treffen, hört er plötzlich Stimmen, die näher kommen.

"Ha, endlich! Na warte es ab!" Bert grinst hämisch. Er erkennt die Stimme von Frau Mende und klatscht in die Hände. "Jetzt geht es zur Sache, meine Liebe!"
Aber da ist noch eine männliche Stimme.
"Verflixt noch mal!" entfährt es Bert. Und schon kommt der Mann mit ausgestreckter Hand auf ihn zu.
"Brandt, Sie sind vermutlich Herr Hansen?"
Noch bevor Bert antworten kann, nickt Frau Mende ihm zu und sagt zu Herrn Brandt gewandt: "Ja, das ist Herr Hansen!"

Herr Hansen wirft ihr einen wütenden Blick zu.
"Ich kann mich schon selber vorstellen. Hätten Sie nicht gedacht, was? Blasen Sie sich mal nicht so auf, Frau Mende, wir sprechen uns noch!"

"Ja, richtig, Herr Hansen. An Ihre letzte Bemerkung möchte ich anknüpfen. Ich bin gekommen, um von Ihnen den Sachschaden beglichen zu bekommen. Und Frau Mende habe ich als Zeugin gleich mitgebracht. Entweder wir einigen uns gütlich oder, wir sehen uns vor Gericht wieder".

Drecksack, will Bert laut fluchen, als er im letzten Moment gerade noch erkennt, in dieser Sache auch verlieren zu können. Ihm wird bewusst, in der Person des Herrn Brandt einen ihm überlegenen Gegner sehen zu müssen. Das treibt ihm die Zornesröte geradezu ins Gesicht.

Mit geballter Faust und kaum beherrschbarer Stimme fordert er Frau Mende und Herrn Brandt auf, sein Haus zu betreten.




Reihenhaus Idylle




Friedlich liegt die kleine Reihenhaussiedlung im Sonnenschein. Bunte Blumen schmücken die schön angelegten Vorgärten und lassen so manchen Vorübergehenden bewundernd davor stehen bleiben.

In einem dieser Eigenheime wohnen Herr und Frau Schwarz. Herr Schwarz hat ein kleines Entsorgungsunternehmen und kann sich seine Arbeitszeit frei einteilen. In der letzten Zeit kommt es jedoch immer häufiger vor, dass er mangels eingehender Aufträge zu Hause sitzt und mit seiner Freizeit nicht so recht etwas anzufangen weiß.

Ein ausgeprägtes Hobby ist das Wagenwaschen seines LKWs und das Kehren des Eingangsbereiches zu seiner Haustüre. Ach ja, nicht zu vergessen - das Beobachten der Nachbarschaft, sowie alles zu entdecken, was sich auf der Straße ereignet!

Wer also stets über das Neueste im Wohngebiet unterrichtet werden möchte, der wende sich vertrauensvoll an Herrn Schwarz. Er weiß einfach alles und ist jederzeit zu einem kleinen Schwätzchen bereit! Oft genug geht er auch von sich aus auf die Nachbarschaft zu, um ihr das Neueste zu erzählen.

An einem Montagmorgen kommt Herr Blank mit Mineralwasserkästen in beiden Händen am Haus der Schwarz' vorbei. Wie immer sieht er die Gardine am Küchenfenster weit zurück gezogen; denn schließlich spielt sich das Leben von Herrn und Frau Schwarz ausschließlich in der Küche ab.
Ein Lächeln umspielt die Mundwinkel von Herrn Blank, und er schüttelt kaum merklich den Kopf.
Herr Schwarz wird sicher denken, wieso arbeitet der Blank heute nicht?
In diesem Moment öffnet sich auch schon die Haustüre der Schwarz.

"Ach, Herr Blank, morgen, morgen! Schon so früh auf den Beinen? Kleiner Scherz! Es ist ja bereits halb neun. Haben Sie noch schnell Wasser für Ihre Frau geholt? Ja, ja, das mache ich auch. Die Kästen sind zu schwer, was? Und jetzt geht es ab ins Büro? Na dann - frohes Schaffen noch!"

Herr Blank kommt gar nicht dazu, eine der vielen Fragen, die auf ihn prasseln, zu beantworten. Er nickt nur kurz und will gerade die Kästen auf den Treppenstufen abstellen, um die Haustüre aufzuschließen, als Herr Schwarz nochmals nachhakt.

"Sind Sie mal froh, dass Sie nicht selbständing sind. Hat schon was für sich, wenn man sich nicht um alles selber kümmern muss. Allerdings sitzt man auch manches Mal auf dem Pulverfass, bei all den Rationalisierungen, die überall in den Betrieben vorgenommen werden. Aber das trifft ja für Sie nicht zu, nicht wahr? Als Bankfilialleiter kann Ihnen ja so etwas nicht passieren. Oder?"

Herr Blank lächelt seinen Nachbarn freundlich an und will sich mit einem kurzen, unverbindlichen - nein, nein - diesem Gespräch entziehen. Schnell schließt er die Haustüre auf und schiebt die Kästen in die Diele.

Herr Blank atmet tief durch und verdreht die Augen.
"Oh Gott, wie nervt mich dieser Mann", murmelt er vor sich hin.
Seine Frau steht grinsend in der Küchentüre.
"Du kennst ihn doch! Lass ihm sein Vergnügen, er braucht es einfach. Stell dir vor, was er mir gestern erzählte. Du glaubst es nicht".
"Ach Anne, dieser Nachbartratsch ist mir so was von egal. Ich habe wirklich wichtigere Dinge zu tun, als mir den neuesten Klatsch dieser zweibeinigen Informationsstelle anzuhören".
"Versteh ich, Herbert, aber das musst du dir anhören. Er will beobachtet haben, dass der Hund von Sanders' sein Geschäft kurz nach Mitternacht genau unter seinem Fliederbaum gemacht hat. Dabei weiß doch hier jeder, dass die Sanders' ganz besonders darauf bedacht sind, dass ihr Hund so etwas nicht tut. Sie haben immer eine kleine Plastiktüte und eine Schaufel bei sich für den Notfall".
"Eigentlich müsste er doch zu dieser Zeit längst geschlafen haben, denn soweit mir bekannt ist, gehen die Sanders' immer morgens um fünf, nachmittags um drei und abends so gegen halb zwölf mit dem Tier nach draußen. Komisch! Sitzt der eigenlich rund um die Uhr am Küchenfenster und spioniert allen nach?"
"Hm, ist schon ein seltsamer Kauz."
"Allerdings! Und über mich wundert er sich, dass ich heute einmal nicht zur Arbeit gehe."
"Er scheint nicht allzu viele Aufträge herein zu holen. Frau Kramer war auch schon im vergangenen Monat aufgefallen, wie oft der LKW in den letzten Wochen unberührt auf der Straße geparkt steht. Ha - er beobachtet die gesamte Nachbarschaft und weiß über jeden angeblich Bescheid. Nur - dass er selber ebenfalls ins Visier genommen wird, scheint er nicht zu bemerken."
"Gut - aber er ist sein eigener Chef - er wird schon wissen, was er macht. Micht interessiert es nicht weiter, wie und womit er sein Geld verdient."
"Herr Klein hatte neulich ein Gespräch mit bekommen, in dem es um den Verkauf eines Mercedes Sportwagen ging, den Herr Schwarz angeblich günstig gekauft und nun weiter vermitteln wollte", erwidert Frau Blank, während sie ihrem Mann folgt, der die Wasserkästen in den Keller trägt.
"Wo mag der so ein teures Auto her haben? Sie haben doch einen verhältnismäßig neuen PKW, der auch kindgerecht ist. Was braucht er da noch einen Mercedes Sportwagen mit Schiebedach, Silber metallic Lackierung? Wer weiß, was der noch so alles macht!"

Kurze Zeit später - Herr Blank hat gerade seinen Wagen in die Garage gefahren - wird er unbeabsichtigt Zeuge eines interessanten Gespräches zwischen Herrn Schwarz und Frau Meurer, die mit ihrem Mann vor einem halben Jahr eines der sechs Häuser bezogen hat.

"Na, Frau Meurer? Wie geht' s? Einen wunderschönen guten Morgen. Ja, nicht jeder Mann im Angestelltenverhältnis kann es sich erlauben, ins Büro zu fahren, wann es ihm beliebt, nicht wahr?"
"Da haben Sie Recht, Herr Schwarz. Sie, als Selbständiger, genießen da sicher einige Vorteile. Es ist schon schön, sein eigener Herr zu sein. Wie laufen denn die Geschäfte so?"

Herr Schwarz streicht sich über seinen Vollbart.
"Ach, wissen Sie, Frau Meurer, ich habe genug zu tun."
"Und da sind Sie jetzt zu Hause?"
"Zwischendurch muss ja auch die Buchführung erledigt werden, liebe Frau Meurer. Meine Frau sagt immer, ich hätte nie mehr Zeit für sie. Tja, so ist das nun einmal, wenn man einen eigenen Betrieb hat. Mir geht es nicht so gut, wie viele immer glauben."
"Aber jetzt im Moment haben Sie doch Zeit, mit mir zu plaudern." Frau Meurer sieht ihn verschmitzt aus den Augenwinkeln an.
"Schon, schon, aber die Minuten muss ich ja nachher irgendwie nachholen. Also werde ich wieder bis in die Nacht hinein über meinen Büchern sitzen."
"Dann will ich sie nicht weiter von Ihrer Arbeit abhalten, Herr Schwarz. Bestellen Sie Ihrer Frau einen schönen Gruß von mir."
"Mach ich doch gern, Frau Meurer! Und grüßen Sie mir Ihren Gatten!"

Herr Schwarz will gerade ins Haus zurück gehen, als er die unverkennbare Stimme von Frau Brandt hört.

"Funny, komm her! Bleib an meiner Hand."
"Guten Morgen, junge Frau!" Herr Schwarz deutet eine leichte Verbeugung an. "Und die kleine Dame geht mit der Mama einkaufen?"
"Nein, in den Kindergarten", antwortet Funny und sieht dabei zu dem großen, kräftigen Mann vor ihr auf. Sie hat immer ein wenig Angst vor ihm, weil er so eine laute und tiefe Stimme hat.
"Was gibt es Neues in der Siedlung, Herr Schwarz?" Die zierliche Frau Brandt schaut Herrn Schwarz erwartungsvoll an.
"Gute Frau, wie soll ich das wissen? Sie scherzen. Ich habe nicht so viel Zeit, wie ihr Frauen. Ich muss den ganzen Tag von morgens bis in die Nacht hinein schuften. Mir bleibt kaum die Zeit für eine Mahlzeit am Tag. Ich muss jetzt nur schnell noch einmal ins Haus und telefonieren und dann, ja, dann geht es auf zum nächsten Kunden. Natürlich gibt es Tage, an denen es wesentlich ruhiger zugeht. Aber die sind leider recht selten."
"Warum steht denn dann Ihr LKW jeden Tag auf der Straße?"

Herr Schwarz wird sichtlich verlegen.
"Der Wagen, ja, ach so! Jaha! Hm - der ist im Augenblick nicht fahrtüchtig. Wissen Sie, ein kleiner technischer Defekt. Aber ich habe hier bei einem Freund einen zweiten LKW untergestellt. Ich nehme dann den PKW und fahre dorthin und dann mit dem LKW weiter. Ja - genau so ist es! So, aber nun entschuldigen Sie mich bitte, die Pflicht ruft!"

Bei dieser Stammelei ist sich Frau Brandt sicher, Herrn Schwarz an einer empfindlichen Stelle getroffen zu haben. Am liebsten möchte sie ihm ins Gesicht sagen - warum belügen Sie micht - schluckt aber ihren Unmut darüber herunter und bemerkt stattdessen: "Hm, aber Ihre Frau meinte neulich, es wäre schon manchmal lästig, dass Sie den ganzen Tag zu Hause säßen ..."
Doch Herr Schwarz hört sie nicht mehr.

Was wäre eine Reihenhaussiedlung ohne den täglichen Klatsch und Tratsch, denkt Frau Brandt auf dem Weg zum Kindergarten. Wo bliebe dann die Idylle?!




Vernarrt in den Besen




Montagmorgen gegen halb elf kehrt Herr Brandner bei strahlendem Sonnenschein auf dem Weg zu seiner Haustüre das Herbstlaub zusammen. Es ist eine seiner Lieblingsbeschäftigungen, der er mit großer Hingabe nachgeht. Sorgfältig fährt sein Besen mit den kräftig roten Borsten in jeden Winkel, um auch das kleinste Blättchen zu erfassen.

So vergehen gut und gerne dreißig Minuten, bis der Boden so sauber ist, dass davon gegessen werden könnte.

Mit hochrotem Kopf und leicht geöffnetem Mund - vor Freude und Stolz wohl bemerkt - betrachtet Herr Brandner nochmals gute sechs bis sieben Minuten lang sein Werk, wobei er den Besenstiel mit beiden Händen fest umklammert hält.

Bevor er ihn endgültig neben der Haustüre abstellt, geht er noch zweimal den gekehrten Bereich vor seiner Eingangstüre ab, bückt sich hier und da, um ein liegengebliebenes Blattstielchen aufzuheben.

Er nickt sich dabei ganz kurz selbstzufrieden zu und murmelt ein paar unverständliche Worte.

Nachdem er nun die Blätter in seine riesige Biotonne geworfen hat, prüft er kritisch die Sohlen seiner groben Gartenschuhe.
Mit leicht gekräuselter Nase äußert er seinen Missmut darüber, was er darunter entdeckt zu haben scheint.
Kurzentschlossen stampft er ein paar Mal wie ein Pferd mit seinen Hufen mit beiden Füßen auf den Boden. Als sich kleine Dreckkrümmelchen aus den Profilen seiner Sohlen lösen und auf den frisch gekehrten Weg fallen, stemmt er kopfschüttelnd beide Hände in die Hüften und schaut verdattert auf den frischen Dreck.
Ohne große Umschweife greift er erneut zu seinem geliebten Besen. Mit Leidenschaft umfasst er ihn, während die harten Borsten kratzend die kleinen Erdklümpchen erfassen.
Herr Brandner holt kräftig aus und befördert die Erde zügig an die Begrenzungssteine des Nachbargartens. Mit dem linken Fuß schiebt er die Erde ein wenig fester an die Steine, bevor er sie dann ganz schnell fest tritt und sich zufrieden abwendet.

Mit wenigen Schritten ist er wieder vor seiner Haustüre angekommen und stellt den Besen zurück an seinen Platz. Bevor er ihn ganz los lässt, fällt es ihm wieder ein, wie froh er vor ein paar Wochen gewesen war, als man ihm die Sommerblumen aus seinem Blumenkasten gestohlen, den Besen aber unversehrt hatte stehen lassen.
Natürlich hatte es ihn und seine Frau maßlos geärgert, wie die Diebe gewütet hatten. Dennoch war ihm eine Zentnerlast von der Seele gefallen, als er seinen Besen unversehrt vorgefunden hatte.

Er wirft nochmals einen liebevollen, wohlwollenden Blick auf sein bestes Stück - den Besen, bevor er seine schweren Schuhe auszieht, die Haustüre aufschließt und im Haus verschwindet.
Froh und glücklich steht er kurze Zeit später am Küchenfenster und betrachtet mit großer Zufriedenheit seine Arbeit.




Wer anderen eine Grube gräbt




... fällt selbst hinein! So lautet ein bekanntes Sprichwort.
Vielleicht hat so manch einer diese bittere Erfahrung schon machen müssen. Auf jeden Fall Herr Braun, der sich täglich über die Unbekümmertheit der Nachbarskatze furchtbar ärgert.

Verbissen beobachtet er das Tier von seinem Garten aus, wie es geschickt auf die Mauer springt, um auf dem Balkon seines Menschen laut miauend um Einlass zu bitten. Das Katzengeschrei stört ihn ungemein, aber auch der Anblick des Stubentigers auf der Grenzwand widerstrebt ihm. Er versucht, die Wand mit Gegenständen wie Harke, Besen, Kinderspielzeug und Blumentöpfen zu bestücken - ohne Erfolg.

Geschickt überspringt die Katze sämtliche Hindernisse. Es scheint sie nicht im geringsten zu stören. Mühelos erreicht sie ihr Ziel. Sehr zum Verdruss ihres zweibeinigen "Freundes".
Bei diesem Anblick ballt Herr Braun die Fäuste und läuft vor Zorn rot an.

"Verfluchtes Katzenvieh! Dich krieg ich noch! Pass auf!" schimpft er laut vor sich hin und stapft mit gesenktem Kopf ins Haus.
Dann hat er eines Tages eine glorreiche Idee.

Er stellt einen kleinen Plastikeimer, gefüllt mit Wasser, auf die Mauer, genau an die Stelle, wo die Katze immer zum Sprung nach oben ansetzt. Mit hämischem Lächeln betrachtet er sein Werk. Er stellt sich vor, wie die Katze durch einen Fehltritt den Eimer umstößt, sich furchtbar erschreckt und quietschnass davon käuft. Genüsslich reibt er sich die Hände.
"Du Luder sollst deine Lektion bekommen, das sag ich dir. Du lässt dich hier bestimmt nicht mehr blicken. Dann habe ich endlich Ruhe vor dir."

Herr Braun ist fest davon überzeugt, nach langen vergeblichen Bemühungen nun die richtige Lösung seines Problems mit dem Vierbeiner gefunden zu haben. Er kann den Zeitpunkt kaum abwarten, bis die Katze kommt. Immer wieder wirft er einen Blick auf seine Armbanduhr. Er kennt mittlerweile die Zeiten des Tieres genau.
- In zehn Minuten ist es soweit. Hoffentlich hat der Teufel seine Pläne nicht ausgerechnet heute geändert. -

Herr Braun stellt seine Liege in unmittelbarer Nähe der Mauer auf, so dass ihm nur ja nichts entgeht. Kein Baum oder Strauch soll ihm die Sicht auf dieses amüsante Theaterstück versperren. Er will sich von der ersten bis zur letzten Sekunde köstlich amüsieren. Behaglich streckt er sich auf der Liege aus, verschränkt die Arme unter dem Kopf und blinzelt erwartungsvoll auf die Mauer. Sein Herz klopft vor freudiger Erwartung.

"Das wird ein Spaß. Ich könnte mich totlachen. Wenn die 'Pussy' wüsste, was sie erwartet."
Herr Braun verzieht den Mund zu einem breiten Grinsen.
Zum ersten Mal freut er sich auf das Erscheinen der Katze und kann es fast nicht mehr erwarten.
"Schadenfreude ist die schönste Freude", murmelt er vor sich hin. "Und die werde ich heute zur Genüge haben, verlass dich drauf. Das macht mir niemand zunichte. Heute zieh ich dir das Fell über deine kleinen Pelzohren. Dein Katzenleben lang wirst du diesen Tag wohl kaum mehr vergessen. Aber sei mir doch dankbar, du Pelztier, hast es dann für heute nicht mehr nötig, dich zu putzen. Ist alles inklusive."

Während er noch so seinen Gedanken nachhängt, hört er ein leises Miauen. Der große Augenblick naht. Der Stubentiger ist im Anzug.

Mit einem kräftigen Satz landet das schwarzweiße Tier lautlos auf der Mauer. Herr Braun entdeckt es sofort. Er hält den Atem an.
Nur jetzt nichts falsch machen. Kein Laut, keine Bewegung, sonst ist alles aus und die Katze rennt weg. Mit aufgerissenen Augen starrt er den Stubentiger an, der geschmeidig und problemlos die auf der Mauer liegengebliebenen, bereits eingangs erwähnten Gegenstände, überspringt, ohne auch nur ein Teil herunter zu werfen.

Trotz allem Hass gegen Katzen, ist Herr Braun von der Artistik des Tieres fasziniert und kann sich ein bewunderndes 'oh' nicht verkneifen. So genau hatte er es auch noch nie beobachtet. Jetzt verstand er natürlich, warum die Katze sich durch Harke, Besen und all die anderen Teile auf der Mauer nicht davon abhalten ließ, auf den Balkon zu springen.
Doch wie würde sie auf den Eimer reagieren?

Der 'Tiger' hat gerade zum Sprung auf den Balkon angesetzt, als ein großer Hund am Gartenzaun des Nachbarn entlang läuft und laut bellt. Er hat die Katze auf der Mauer gesehen, stellt sich auf die Hinterpfoten, springt gegen den Zaun und kläfft ohne Pause.
Die Katze erschrickt fast zu Tode. Vor lauter Angst will sie so schnell wie möglich auf den sicheren Balkon. Doch dabei stoßen ihre Hinterpfoten gegen den mit Wasser gefüllten Plastikeimer, dessen Inhalt sich komplett auf Herrn Braun und seine Liege ergießt.

Die Katze hockt verängstigt, aber völlig trocken vor der Balkontüre, wo sie kurz darauf von ihrem Menschen, wie jeden Tag, herzlich begrüßt wird.





Nachwort




Die in diesem Buch aufgeführten Texte sind ALLESAMT frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig und keinesfalls beabsichtigt.


Impressum

Texte: Humorvolle Alltagsgeschichten Jegliche Verwendung der Werke, egal auf welche Weise und zu welchem Zweck, ist ohne ausdrückliche Genehmigung der Urheberin - mit der Bitte um Verständins - streng verboten. Texte sowie Foto auf Cover © 2009 Helga Salfer
Tag der Veröffentlichung: 17.03.2009

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /