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Die kleine, rote Kerze

Die Kerze brannte. Hin und wieder flackerte sie auf. Sie war rot ummantelt, aber ihr weißes Wachs war gut zu erkennen. Noch tropfte es nicht herunter, aber das war nur eine Frage der Zeit. Ihr Licht umspielten die grünen Zweige unter ihr. Noch war sie allein, aber in wenigen Stunden würde sie Gesellschaft bekommen. Sie flackerte erneut auf, als der Windstoß zum Fenster hereinkam. Ihr Feuer zitterte und sie hoffte darauf endlich von ihnen verschont bleibe zu können. Kurz darauf wurde ihr auch schon der Gefallen getan. „Es ist schon viel zu kalt“, hörte sie eine Stimme sagen. Erleichtert lauschte sie dem Geräusch des schließenden Fensters.

 

Derjenige, der zuvor gesprochen hatte, war nicht in ihr Blickfeld getreten und so konnte sie nur mutmaßen, wer von ihnen es war. „Das war der Vater“, dachte sie bei sich. Nur er konnte es gewesen sein. Stumm lauschte sie. Eine Tür wurde mit einem knarren geöffnet und dann erklangen Schritte. Die Stimme klang wütend, erbost und sehr sehr aufgebracht. „Was sollte das schon wieder!? Musste das sein“, drang sie zu ihr herüber. „Jetzt gibst du schon wieder mir die Schuld“, wurde zurück gebrüllt. „Darum ging es doch gar nicht!“ „Doch tut es. Außerdem war ich nicht derjenige, der sie abholen sollte.“ „Ich sagte doch, dass ich es nicht mehr schaffe.“ Ein Schnauben erklang. „Du kommst sowieso immer zu spät – egal wohin“, kam die Antwort, die nun weder wütend noch genervt, sondern resigniert klang. Es herrschte einige Sekunden Stille bis wieder etwas gesagt wurde, dafür aber lauter und wesentlich gereizter. „Ich habe…“ „Ja, ja, ich weiß. Weihnachtseinkäufe erledigt“, wurde sie unterbrochen. „Wenn du das tun würdest, hätten wir nie Geschenke unter dem Baum.“ Es wurde wieder ruhig. „Ich kümmere mich nun mal auch um andere Dinge.“ „Und das tue ich nicht? Weißt du was ich alles tue? Ich kümmere mich um alles. Ich koche, ich hole unsere Tochter ab und mache mit ihr Hausaufgaben, ich räume die Wohnung auf, ich wasche unsere Wäsche. Sogar diesen lächerlichen Adventskranz habe ich besorgt.“

Die Kerze war empört. Sie fühlte sich in ihrem Stolz verletzt. Sie war nicht lächerlich, genauso wenig wie ihre Freunde – auch wenn sie im Moment die ganze Arbeit alleine übernahm. Doch lächerlich war sie bestimmt nicht.

 

„Ich weiß was du alles tust. Wir beide haben viel zu tun. Vor allem jetzt in der Weihnachtszeit. Da ist es immer stressig. Das wissen wir doch beide“, erklang wieder die Stimme und riss sie damit aus ihrem Zorn. Es ging hier nicht um sie. „Das ist noch lange kein Grund dafür mich für alles was schief geht verantwortlich zu machen.“ „Das habe ich doch gar nicht.“ „Du hast behauptet, dass mir unsere Tochter nicht wichtig ist!“ Nun hatte sie so laut geschrien, dass ihr Docht leicht erzittert war und schnell strengte sie sich an, um das Flackern ihrer Flamme wieder unter Kontrolle zu kriegen. „Das stimmt nicht“, erwiderte die Männerstimme und nun klang auch sie wütend und empört. „So etwas würde ich dir nie unterstellen!“ „Hast du aber gerade eben!“

Ihre Flamme wankte erneut und sie hatte ein sehr mieses Gefühl dabei. Dieser Streit würde bald aus dem Ruder laufen. Er würde sie bald ersticken und wieder zurück in die Dunkelheit befördern. Wenn sie nicht bald aufhörten, würde ihre Flamme ganz ausgehen und ihr Licht erlöschen. Dann wäre da nur Dunkelheit. Nichts als Dunkelheit.

 

Einige weitere Worte wurden geschrien und ihr wurde bewusst, dass sie der Konversation, aus Angst vor dem eigenen Untergang nicht mehr verfolgt hatte. „Hör auf mich so anzubrüllen“, brüllte der Mann und sie war sich nicht sicher, ob es sowieso sinnvoll gewesen wäre besser zugehört zu haben. „Dann hör du doch auf!“

 

Der Gestank von etwas, das schon viel zu lange im Backrohr gewesen war, wehte zu ihr hinüber. Sie fand es widerlich. Darauf hätte sie gerne verzichten können. Wenn schon jemand etwas anbrannte, dann war sie das.

„Nein!“ Der Schrei erschallte urplötzlich und kam von einer jüngeren Stimme. Sofort stürmte der Mann auf sie zu. Vorwurfsvoll sah er sie und sie konnte sehen wie er schon wieder ihr die Schuld in die Schuhe schieben wollte. Dann wurde ihm bewusst, dass dies nicht an ihr lag und er wandte sich wieder um. Jedoch blieb er stehen wo er war, als würde ihm bewusst werden, dass auch sie einen großen Schaden anrichten könnte. Der Gestank wurde schlimmer. „OH, die kann man vergessen“, vernahm sie eine Stimme. Das Mädchen erwiderte etwas, dann entfernte sie sich schnell. Was gesagt wurde, hatte sie nicht verstehen können. Ein Klicken ertönte und sie wusste, dass das Backrohr abgedreht worden war. „Ihr habt Kekse gebacken“, erklang die Frauenstimme und schließlich trat sie auch in ihr Blickfeld. Der Mann nickte. „Das ist toll“, sagte die Frau und ihre Stimme klang dabei sanft und hatte rein gar nichts mehr mit dem Gebrüll von vorher gemein.

 

Sie hörte das Schluchzen und dann wie die Schritte verstummten. Sie sah auf und blickte direkt ins Gesicht des kleinen Mädchens. Es hatte geweint. Eine Träne rann ihm immer noch die Wange herunter und sie hatte rote Augen vom Weinen. Stumm betrachtete das Mädchen sie eine Weile. Dann stahl sich ein Lächeln auf ihr Gesicht. Sie warf einen Blick zu den beiden Erwachsenen. Sie schenkten ihr ebenfalls ein Lächeln. „Ja, es ist schon Advent“, sprach der Mann schließlich. Eifrig nickte das Mädchen. „Und bald ist Weihnachten. Und das hat alles mit ihr angefangen“, das Mädchen deutete auf sie. Freude erfüllte die Kerze und hätte sie es gekonnt, hätte sie gelächelt.

 

Stolz reckte sie ihren Docht in die Höhe. Sie brachte Freude und Hoffnung ins Haus und alles was sie dafür brauchte war da zu sein.

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Tag der Veröffentlichung: 21.11.2021

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