Tales of Suna
Kapitel 1
Früher hab ich in Hamburg gewohnt. Ganz in der Nähe vom Hafen, Speicherstadt und so. Mit „früher“ meine ich die, noch gar nicht so weit zurückliegende Zeit, bevor mein Vater (den ich ganz modern „Dad“ nenne) einen neuen Job in Yamakuchi einer Kleinstadt in der Lüneburger Heide angenommen hat. Er ist Architekt und das Japanische Viertel, die einzige Besonderheit der kleinen Stadt, hatte ihm eine Arbeit angeboten. Von heute auf morgen sind wir umgezogen, mitten in den Sommerferien. Mom, Dad, meine kleine Schwester und ich. Da ich in Hamburg eine gymnasiale Gesamtschule besucht hatte, war meine Schulzeit noch nicht vorbei, obwohl ich die zehnte Klasse gerade hinter mir hatte. Und genau das war das Problem in Yamakuchi: Es gibt dort keine Schule. Keine Realschule, keine Berufsschule und kein Gymnasium. Nur die sogenannte Nomura-Highschool, eine Art Gesamtschule, die eigentlich für die Kinder der reichen Japaner im Japan-Viertel gedacht war. Diese Schule war zehn Minuten Fußweg von unserem neuen, großen Haus entfernt. Es gab natürlich Schulen in den Orten in der Nähe, aber hätte ich mit dem Bus fahren müssen. Und vom Bus- oder Autofahren wird mir so schlecht wie in einem Karussell. Undenkbar, eine Schule zu besuchen, die weiter als zehn Kilometer weg war. Ich heiße Hanna Jones und als wir nach Yamakuchi zogen, war ich siebzehn. Meine kleine Schwester heißt Nami und war zu dem Zeitpunkt elf. Über meine Eltern kann ich nur sagen, dass sie beide viel arbeiten und ab und zu echt anstrengend sind (genau wie Nami). Aber eigentlich sind sie ganz okay. Die meisten Japaner hier sprachen laut Dad's Auskunft gut Deutsch, aber ich frischte trotzdem mein Englisch auf und lernte ein paar Floskeln Japanisch, während ich den Rest der Ferien gespannt auf den ersten Tag an der Nomura-Highschool wartete, an der mich meine Eltern sofort angemeldet hatten. Damit ich nicht als einzige deutsche Schülerin am ersten Tag völlig hilflos in die Schule kam, schickten meine Eltern mich zwei Wochen später los. Ich hatte mir ein Outfit zusammengesucht, das zumindest eine gewisse Ähnlichkeit mit japanischen Schuluniformen hatte, um mich zumindest etwas anzupassen, obwohl im Schulprospekt stand, dass man keine Uniform tragen musste. Während Nami auf die örtliche Hauptschule kam, sah ich einem fremdländischen Schulabenteuer entgegen. Aber ich war nicht auf das vorbereitet, was dann tatsächlich kam. Aber das war dem egal. Es kam einfach ungefragt auf mich zu.
Kapitel 2
Als ich den Hof der Nomura-High betrat, gewann ich sofort einen ersten Eindruck davon, was mich an einer japanischen Schule erwartete. Überall liefen Schülerinnen und Schüler mit schwarzen Haaren und mandelförmigen Augen herum, die wenigen Ausnahmen waren mindestens Halbjapaner. Die jüngeren Schüler aus den unteren Klassen trugen die etwas altmodische, aber wirklich hübsche Matrosenschuluniform. Sie hatten Uniformpflicht, aber die älteren Schüler, zu denen ich auch gehörte, durften anziehen, was sie wollten. Ein Mädchen mit langen, glänzend schwarzen Zöpfen und honigfarbener Haut, das etwa so alt war wie ich, kam auf mich zu. Sie trug einen kurzen, blauweißen Kimono, den sie mit einigen modischen Schmuckstücken moderner gestaltet hatte. „Du bist Hanna Jones, oder? Ich heiße Midori und soll dir deine Klasse zeigen. Wir gehen in dieselbe.“ sagte sie und bedeutete mir, ihr ins Gebäude zu folgen. Ihr Deutsch war nahezu perfekt. Drinnen sah es ganz genau so aus, wie ich es mir vorgestellt hatte: Schiebetüren, Holz und Rollbilder zwischen den mit bunten Zetteln bedeckten Pinnwänden, eine große Halle, von der die Gänge abzweigten. Im ersten Stock war ein Galeriegang, von dem man in die Halle hinabblicken konnte. Niemand starrte mich an. Zum Glück. „Du brauchst deine Schuhe nicht auszuziehen. Wir sind westlicher, als es aussieht.“ sagte Midori und führte mich zu einem der Erdgeschossgänge und blieb nach einer Weile vor einer Tür stehen. Es war eine normale, westliche Tür. „Klasse 11.2! Miss Tanaka ist schon da.“ verkündete Midori und öffnete die Tür. Der Klassenraum war etwas gewöhnungsbedürftig. Er bestand zu drei Seiten aus holzgetäfelten Wänden, aber die Fensterwand gegenüber der Tür bestand aus hölzernem Reispapiergitter, in das die Fenster eingebaut waren. Die Schüler knieten auf dunkelblauen Kissen an flachen Holztischen und schrieben etwas in Deutsch von der Tafel ab. „Hanna, setz dich.“ sagte Miss Tanaka. Sie war eine junge, hübsche Lehrerin im dunkelblauen Kostüm. Ich stand zuerst ziemlich unschlüssig da, lächelte verlegen und suchte mit meinen Augen nach einem freien Platz. Es gab nur einen einzigen. In der zweiten Reihe am Fenster kniete ein Junge am linken Ende eines Zweiertisches, dessen rechte Hälfte frei war. Ich setzte mich schüchtern und befangen hin. Der Junge sah aus dem Fenster und schien mich nicht einmal zu bemerken, so als wäre ich gar nicht da. Ein Windzug aus dem leicht geöffneten Fenster fuhr durch den Raum. Ich fand das ignorante Verhalten meines Banknachbarn etwas seltsam und nahm ihn genauer unter die Lupe. Er hatte kurzes, dunkelrotes Haar, das jedoch etwas länger als das der anderen Jungs in der Klasse war und von einem weiteren Luftzug anmutig bewegt wurde. Seine Kleidung, eine einfache, lange Stoffhose und ein langärmliges, sehr hochgeschlossenes Shirt, war ebenso rot wie sein Haar. Über dem Shirt trug er eine Art Weste, die mit zwei Schnallen geschlossen war und eine lilagraue Färbung hatte. Ich beugte mich über den Gang zu Midori. „Wer ist das?“ fragte ich sie flüsternd. „Muss er dir selbst sagen, wirst schon sehen, warum. Aber mach dir keine Sorgen, der ist nur am Anfang so… abweisend. Er ist ziemlich verschlossen, ja, aber eigentlich okay.“ wisperte Midori. Ich nahm mein Geschichtsbuch und versuchte, mich auf den Unterricht zu konzentrieren und den komischen Jungen neben mir zu ignorieren. Er sah mich kein einziges Mal richtig an. Immer, wenn ich den Kopf hob, sah er schnell von der Tafel zum Fenster. Und so wusste ich am Ende der Stunde immer noch nicht, wie sein Gesicht aussah, wie er hieß oder wie seine Stimme klang. In der Pause führte mich Midori durch die Schule. Als wir von der Mensa zurückkamen, dachte ich zum ersten Mal an meinen verschlossenen Banknachbarn und fragte mich, was er wohl in den Pausen machte. Er sah nicht so aus, als würde er den üblichen Pausenbeschäftigungen nachgehen. Die nächste Stunde war Mathe und ich war den anderen etwas voraus. Variable und Formeln in Gleichsetzung hatte ich schon gehabt. Ich kam mit Mathe immer gut klar. Aber als ich meinen Blick kurz zum Heft meines Banknachbarn wandern ließ, verging mir die Freude an meinem mathematischen Erfolg: Der Typ hatte noch keine einzige Aufgabe richtig gelöst und malte stattdessen mit dem Bleistiftende Muster in die hauchdünne Sandschicht auf der Tischplatte. Offenbar war Mathe so gar nicht sein Fall. Und er war wohl zu stolz, um Miss Tanaka um Hilfe zu bitten. Wenn er diese Aufgaben, die nicht mal besonders schwer waren, nicht lösen konnte, würde er echte Probleme mit seiner Mathenote bekommen. Ich sah mich in der Klasse um. Die anderen waren voll und ganz mit ihren Aufgaben beschäftigt, bis auf ein großes, blondes Mädchen in der letzten Reihe. Sie hatte etwa kinnlanges Haar, das am Hinterkopf zu vier offenen Zöpfchen gebunden war, die in alle Richtungen abstanden. Unter ihrem Pony blitze ein Stirnband mit Metallplatte, so ein Ninjastirnband. Unglücklicherweise sah sie in genau diesem Moment von ihrem Heft auf und registrierte mich auf dem, bis heute Morgen noch freien Platz neben dem rothaarigen Jungen, den ich heimlich „Ausnahme Nummer eins“ nannte. Sie selbst war mit ihren blonden Haaren und großen, dunklen, aber eher westlich geformten Augen definitiv als „Ausnahme Nummer zwei“ zu bezeichnen. Das Mädchen sah mich zuerst freundlich an, aber dann verengten sich ihre Augen feindselig. Sie funkelte mich an und ich hatte das dunkle Gefühl, dass es an dem Jungen neben mir lag. Es war so, als wolle das Mädchen mich davon abhalten, dem Jungen zu nahe zu kommen. Sollte ich den Platz wechseln? Das war unmöglich. Es gab doch sonst keinen. Um dem, mich völlig unvorbereitet treffenden, drohenden Blick des seltsamen Mädchens zu entgehen, konzentrierte ich mich auf die Arbeit und war als eine der Ersten fertig. Aus den Augenwinkeln sah ich, dass sie mich immer noch feindselig anstarrte. „Mari, arbeite bitte weiter.“ forderte Miss Tanaka sie auf. „Entschuldigen sie bitte, aber ich bin schon fertig.“ antwortete sie. Jetzt wusste ich also, dass das Mädchen, das mich aus irgendeinem Grund nicht leiden konnte, Mari hieß. Midori war schon mit der Arbeit fertig. Ich tippte sie an, um sie zu fragen, ob der Typ neben mir vielleicht meine Hilfe in Mathe brauchte. „Ich glaub, der kommt allein am besten klar.“ sagte Midori. Ich wunderte mich etwas. Midori war doch schon länger mit ihm in einer Klasse, sie musste doch wissen, was er für Probleme mit Mathe hatte. Denn, dass er ein Problem hatte, war offensichtlich. Und ich hätte jetzt auch gern mal gewusst, wer er eigentlich war. „Midori, jetzt sag mir bitte endlich, wie der heißt!“ zischte ich. „Das muss er dir selbst sagen. Es klingt abgedreht, aber wenn du ihn ansprichst, springt seine Schwester dir ins Gesicht.“ „Warum denn? Das verstehe ich nicht.“
„Siehst du das Mädchen in der letzten Reihe? Die große Blonde im schwarzen Kleid? Das ist Mari, seine große Schwester. So ´ne Art Leibwache. Sie passt total auf, dass keiner ihrem kleinen Bruder zu nahe kommt. Echt ziemlich extrem.“ flüsterte Midori. Ich sah mich vorsichtig um und bekam sofort einen original japanischen Wutblick von dieser Mari ab. „Warum ist die so aggressiv?“ fragte ich. „Angeblich hat den Jüngsten mal jemand angegriffen und er wurde dabei schwer verletzt. Die zwei haben noch einen älteren Bruder; der und Mari passen deshalb, also weil er schon mal angegriffen wurde, so auf den Jüngsten auf.“ wisperte Midori. In dem Augenblick stand Mari auf und ging hinaus. Ich setzte mich wieder gerade hin und dann ließ ich, wie aus Versehen, meinen Stift fallen. Er rollte unter die Tischhälfte meines geheimnisvollen Nachbarn. Ich atmete durch und tippte ihn an. Er zuckte kurz zusammen, als hätte ich ihn erschreckt. Langsam drehte er sich um und als er mich das erste Mal so direkt ansah, bekam ich einen solchen Schreck, dass mein Herz für ein paar Schläge aussetzte, um dann doppelt so schnell wieder weiter zuschlagen! Er sah mich mit leeren, helltürkisgrünen Augen an, in denen nicht mal der Anschein einer Pupille zu erkennen war! Um das Weiße herum waren fast fingerbreite, schwarze Ränder, wie viel zu viel Kajal, die bis dahin reichten, wo seine Augenbrauen hätten sein sollen. Selbst seine Augenlider waren schwarz angemalt! Er hatte weder Wimpern noch Augenbrauen. Über seinem linken Auge leuchtete ein rotes, japanisches Schriftzeichen. Sein Gesicht war hübsch geschnitten, sogar gutaussehend, aber ich war von seinen Augen dermaßen verwirrt und erschrocken, dass ich sie nur anstarren konnte und kaum auf sein übriges Gesicht achtete. Ich muss wohl wirklich schockiert ausgesehen haben, denn er sagte mit einer rauen, tiefen, aber freundlichen Stimme: „Oh, habe ich dich erschreckt? Das tut mir leid. Die Leute sind oft schockiert von mir, wenn ich … außerhalb bin. Wenn ich das richtig verstanden habe, heißt du Hanna, oder? Ich bin Gaara.“ Ich konnte nur mechanisch nicken. Gaaras Augen nahmen mich völlig in Beschlag. „Mari ist draußen. Sie ist, na ja, etwas empfindlich, was alle Fremden betrifft, die mir näher als zehn Meter kommen.“ fuhr er fort und gab mir meinen aus Versehen mit Absicht heruntergefallenen Stift wieder. Ich war erstmal völlig platt. Der Typ hatte mich bisher, also den ganzen Morgen schon, vollkommen ignoriert, weder angesprochen, noch angesehen. Ich hatte geglaubt, er würde mich aus irgendeinem Grund nicht mögen. Und auf einmal redete er mit mir! Ich sah auf meine Fingerspitzen, musste aber sofort wieder aufblicken und in seine seltsam leeren Augen sehen. „Süßer Typ!“ schoss es mir durch den Kopf, „krass, aber süß!“
Mari kam zurück und Gaara sagte leise: „Wenn Mari fragt, hab ich dich angesprochen, okay?“ Es klingelte. „Das war echt mutig von dir.“ Midori war fast stolz auf mich, „mit mir hat er in dem Vierteljahr, das er jetzt in der Klasse ist, nur fünf oder sechs Worte gesprochen. Liegt wohl an Mari. Sie sieht jeden so an wie dich, wirklich extrem. Kuro geht ja noch, aber Mari… ach so, Kuro ist der älteste Bruder. Gaara ist neunzehn, Mari einundzwanzig und Kuro dreiundzwanzig Jahre alt.“ „Was! So alt sind die schon?“ „Ja, aber das brauchst du gar nicht zu beachten. Es ist praktisch egal.“ „Er spricht sehr gut Deutsch.“ bemerkte ich. „Das tun hier alle.“ sagte Midori. Damit hatte sie Recht. „Außer Mathe kann er eh ´ne ganze Menge. Immer Zweien und so. Aber in Mathe kriegt er immer nur Fünfen und Sechsen. Ich hab noch nie jemanden erlebt, der in dem Alter so schlecht in Mathe ist.“ fügte sie leise hinzu und schüttelte den Kopf. Ich hatte noch mehr Fragen: „Warum sieht er so seltsam aus? Ist er überhaupt Japaner? Sein Name ist ziemlich ungewöhnlich, oder? Was ist mit seinen Augen?“ „Also, er hat einen japanischen Pass, aber mehr weiß ich auch nicht. Wie gesagt, er redet nicht besonders viel mit den meisten Leuten. Und Mari blockiert ihn eben total.“ sagte Midori. Wir standen auf dem Korridor an der Wand und aßen Onigiri, weiße Reisdreiecke. Ich fand sie echt gut. Gerade, als wir uns noch welche holen wollten, kam Mari den Gang entlang. Sie blitzte mich so giftig an, dass ich fast versucht war, auf Gaaras weitere Bekanntschaft zu verzichten. Und das, obwohl er mir mit jedem Gedanken an ihn besser gefiel. Mari baute sich drohend vor mir auf und zischte: „Wenn du Gaara zu nahe kommst oder ihn irgendwie verletzt, kriegst du es mit mir zu tun!“ Sie zog einen kleinen Kampffächer aus der Tasche, an dessen oberen Rand kleine, im Sonnenlicht blitzende Messerspitzen befestigt waren, die sehr scharf aussahen. Sie klappte ihn auf und hielt ihn mir unter die Nase. Ihre Augen waren schwarz, hatten jedoch einen seltsamen dunkelgrünen Schimmer. Das war zu viel für mich: „Was soll ich ihm denn tun? Ich bin neu hier und hab keine Ahnung, also, was soll ich denn Fieses machen, hä? Ich wollte ihm nur helfen, denn dein kleiner Bruder hat ein offensichtliches Mathe-Problem.“ Midori sagte: „Mari, wir sind hier in Deutschland und keiner von uns will Gaara irgendwas tun!“ Maris Gesicht wandelte sich. Sie sah einsichtig aus. „Sorry, aber ich fühle mich eben für Gaara verantwortlich. Es passiert immer wieder, dass ich Leute angreife, die ihn nur schief ansehen, weil ich ihn so unbedingt beschützen will. Gaara ist etwas ganz Besonderes, er ist einfach nicht wie andere, verstehst du?“ Ich nickte stumm. Dass Gaara anders als andere war, hatte ich ja gesehen. „Du kannst ruhig mit ihm reden. Aber sei bitte nett zu ihm.“ sagte Mari. Ich war mal wieder platt. Die Situation hatte sich innerhalb von wenigen Augenblicken komplett gedreht. Mein Sitznachbar war seltsam, aber irgendwie süß, seine Schwester grinste mich an, als wäre ich plötzlich ihre Freundin und sie sahen beide komplett anders aus als der Rest der Schüler dieser sowieso schon außergewöhnlichen Schule. Das war echt seltsam und schien kein Ende zu nehmen. Hätte ich die Fahrt in einem schaukelnden Schulbus in Kauf genommen, wäre ich jetzt auf einer normalen Schule mit normalen Schülern, wie ich es seit meiner Grundschulzeit gewohnt war. Aber das hier hatte schon seinen Reiz. Seltsame Leute sind vielversprechend, was interessante Geschichten angeht und sie machen sich meist nichts daraus, was andere denken. In Hamburg hatte ich nur eine Freundin, das soziale Ding in großen Gruppen lag mir bisher nicht so. Hier gab es Midori, schon am ersten Tag hatte ich jemanden gefunden. Und vielleicht gab es hier auch Gaara. Wenn etwas daraus wurde. Ich begann, mich auf die nächste Stunde zu freuen. In der Klasse hing ein zweisprachiger Stundenplan, der eine Sportstunde ankündigte. Gaara war wohl schon losgegangen, im Klassenraum war er jedenfalls nicht. Die Nomura-High hatte zwei Turnhallen: Eine, die eher westlich aussah und eine, die an eine mehrstöckige Samurai-Trainingshalle aussah. In dieser japanischen Halle würden wir jetzt Sport haben. Als Midori und ich an der Halle ankamen, standen die anderen unter einem Vordach am Eingang. Gaara und Mari waren nirgends zu sehen. Ich fragte Midori, wo die beiden waren, aber sie antwortete nur: „Weiß ich nicht.“ Das nächste, was ich hörte, war ein knirschendes Krachen. Danach erst der Schrei einer männlichen, rauen Stimme, die mir unheimlich bekannt vorkam und dann eine mir ebenso bekannte, weibliche Stimme, die irgendein Wort schrie. Darauf folgte ein schweres, rauschendes Geräusch. Eine riesige Menge Sand kam vom Dach der Halle gerutscht…
Kapitel 3+4
Alle rannten durcheinander, husteten im Sandstaub und versuchten, nicht vom Sand getroffen zu werden. Miss Yamamoto, die mittlerweile gekommene Sportlehrerin, mahnte laut zur Ruhe und dirigierte die Klasse auf ein Stück Wiese, weit vom Vordach und dem herabrieselnden Sand weg, der sich auf dem Boden zu kleinen Dünen auftürmte. Midori und ich fanden den Unfall seltsam, denn wo bitteschön kam auf einmal so viel Sand her? Vom Dach, klar, aber was machte feiner Wüstensand auf einem blauen Ziegeldach? Eines der Fenster im oberen Stockwerk öffnete sich knirschend und Maris Oberkörper, von Sand und einem eigenartigen, sandfarbenen Glibberzeug bedeckt, tauchte in der Öffnung auf. „Entschuldigen Sie, es tut mir leid, wirklich, Miss Yamamoto! Das wollten wir wirklich nicht, es ist außer Kontrolle geraten, wir brauchen Hilfe, Gaara ist verletzt!“ rief sie. Sie war total durcheinander, ihre Frisur hatte sich aufgelöst und hing ihr ins Gesicht. Ihre Hand, mit der sie sich die sandigen Haare aus dem Gesicht strich, war blutig und bis zum Ellbogen mit langen Kratzern übersät. Trotzdem schwang sie sich anmutig aus dem Fenster und rutschte das nun staubig blaue Dach herunter. Von der Dachrinne sprang sie elegant auf den Boden. Miss Yamamoto stürzte förmlich in die Halle. Mari saß im Sand und machte sich Vorwürfe: „Gaara ist noch da drin, sein Sand ist außer Kontrolle, dieses verdammte Ichibinai, er ist verletzt und ich hab ihn nicht davon abgehalten, das ist meine Schuld…“ Obwohl ich die Zusammenhänge nicht verstand, ahnte ich, was passiert war: Gaara hatte sich verletzt zu und das hatte irgendwas mit dem Sand zu tun. Es war seine schöne, raue Stimme gewesen, die so schmerzvoll geschrien hatte! Wenn es schon am ersten Schultag so spannend wurde, der Junge, neben dem ich saß, einen Unfall hatte und seine Schwester mit drin hing, würde es bald zu einer Katastrophe kommen! Das war doch nicht mehr normal! Bald öffnete sich die Tür zur Turnhalle. Gaara, von Miss Yamamoto gestützt, kam aus einer sandigen Staubwolke. Mari sprang sofort auf und rannte ihm entgegen. „Gaara! Bist du okay? Hast du`s im Griff? Was ist überhaupt passiert?“ rief sie und fiel ihm stürmisch und gleichzeitig vorsichtig um den Hals. Gaara wurde sofort ins Krankenzimmer gebracht. Mari stellte ihre Frisur wieder her und als Midori und ich Gaara im Krankenzimmer besuchen wollten, kam Mari gerade mit ihrer schwarzen und seiner hellgrauen Schultasche an. „Gaara hat sich nur den Arm verstaucht, Kuro holt uns ab. Es ist alles soweit okay.“ sagte sie. „Wie ist das denn passiert?“ fragte ich. Maris Gesicht änderte sich wiedermal. Sie stotterte was von Karate, erwähnte nicht eines der Worte von vorhin. Die Turnhalle 1 war unbenutzbar, vorerst jedenfalls. Ich beschloss, der Ursache des Unfalls später nachzugehen und ging nach Hause. Mom fragte natürlich, wie der erste Schultag war. Ich log sie an: „Toll!“ „Hey, Hanna, wie war die Schule? Meine Schule ist toll und ich hab schon ganz viele neue Freunde gefunden, sogar gleich eine Beste Freundin! Hast du auch neue Freunde gefunden, Hanna? Was für welche?“ sprudelte Nami los, als ich am Nachmittag in meinem Zimmer saß. Sie quatschte ununterbrochen weiter: „Du, aber wenn ein Junge dabei ist, musst du das Mama sagen, das weißt du, Hanna.“ „Ja, ich weiß, aber du haust jetzt ab. Du nervst!“ sagte ich. „Ey, du lügst, Hanna!“ kreischte Nami plötzlich, „Du hast einen jungen kennengelernt und es Mama nicht gesagt!“
„Was geht dich das an?“ motzte ich sie genervt an. „EIN JUNGE!“ krähte Nami, „HANNA HAT IN DER SCHULE ´NEN JUNGEN ANGEQUATSCHT!“ „Kein Junge. Nur einer, aber der interessiert mich nicht.“ das war gelogen. Gaara interessierte mich sehr wohl, aber wenn Nami das erfuhr… Es klingelte an der Tür. Nami flitzte los, öffnete und kreischte: „Hanna, für dich, eine Japanerin!“ Ich lief die Treppe hinunter und begrüßte Midori (ich hatte ihr in der Pause meine Adresse gegeben). Dann schnappte ich mir Nami und schob sie in ihr Zimmer. Ich zeigte Midori mein Zimmer und bot ihr Tee an. Während wir tranken, flitze Nami deutlich hörbar zu Mom, die den Abwasch machte und dann mit Nami zusammen in Richtung meines Zimmers lief.
Midori hatte währenddessen in meiner CD-Sammlung gewühlt. Die Sammlung bestand nach dem Umzug nur noch aus meinen absoluten Lieblingshits. Die CD, die Midori einlegte, war Jonas Myrin, die fand ich ziemlich gut. Ich konnte gut bei dieser Art von Musik arbeiten. Und dann platzte Mom ins Zimmer. Sie machte einfach die Anlage aus. „Hanna Jones, gibt es da etwas, das du mir sagen willst? Gleich am ersten Tag? Einen Jungen, zum Beispiel?“ fragte sie. Ich sah Nami grinsend hinter Mom stehen. Sie war absolut unmöglich! Ich warf ihr einen wütenden Blick zu. „Wie heißt er, wie alt ist er, wie sieht er aus?“ fragte Mom. „Ich bin fast achtzehn! In einer solchen Schule begegnet man eben auch Jungs. Das heißt doch nicht, dass ich gleich mit einem was anfange!“ „Und Jack?“ fragte Nami. „Jack hat mich total vorgeführt, deshalb hab ich Schluss gemacht und sowas passiert mir nicht noch einmal.“ sagte ich. Jack war mit mir in der siebten Klasse zusammen gewesen, er hat mich dann wegen der Schulschönheit sitzen lassen.„Läuft was mit dem Japaner?“ fragte Mom. „Nein!“ schrie ich. Und für den Rest des Tages ließen mich Jannika und Mom in Ruhe.
Kapitel 5
Am nächsten Tag war Gaara nicht da. Natürlich, nach dem Unfall musste er sich erst mal erholen. Mari war da, sie saß auf ihrem Platz und lächelte mich an, als ich den Klassenraum betrat. Sie sagte mir, dass Midori mit einem Mädchen namens Akiko in der Pausenhalle war. Ich fragte Mari natürlich danach, wie es Gaara ging. „Es geht ihm soweit gut. Er hat sich halt den Arm verstaucht und ein paar Kratzer abbekommen. Aber längst nicht so schlimm, wie ich erst dachte.“ sagte Mari. Das passte nicht zu dem Schrei, den ich gehört hatte. Ich ging auf den Flur raus in Richtung Pausenhalle. Diese Akiko wollte ich näher kennenlernen. Da kam mir ein Mädchen entgegen, das mich direkt nach meinem Namen fragte. Sie hatte langes, hellblondes Haar, trug knappe, lila Kleidung und eine dieser großen, glamourösen Sonnenbrillen. Als ich ihr sagte, ich sei Hanna Jones aus der 11.2, nahm sie die Sonnenbrille ab und ich bekam meinen ersten Schreck an diesem Morgen: Ihre Augen waren in einem seltsamen hellblau, ohne Pupille, aber nicht ganz so leer wie Gaaras. Sie schaute mich ziemlich hochmütig und einschüchternd an. „Dann bist du ja mit Kamikaze - Mari und ihrem Ichibinai - Bruder Gaara in einer Klasse! Du kannst einem direkt leidtun.“ rief sie. Sonderlich zu mögen schien sie Mari und Gaara ja nicht. Ganz im Gegensatz zu mir. Ich sah sie so giftig an, wie ich konnte. „Ich bin übrigens Ino Yamanaka und wenn du beliebt sein willst, solltest du mich nehmen und nicht diese Sand-Familie.“ stellte sie sich vor. Na super! Solche Zicken kannte ich schon aus Hamburg. Die beste Möglichkeit, mit ihnen klarzukommen, war, sie zu ignorieren. Aber ich hatte mich offenbar unbewusst mit ihr angelegt. Midori hatte nichts davon gesagt, dass Mari und Gaara unbeliebt waren, nur, dass Gaara nicht viel redete. Ich hatte schon irgendwie den Eindruck, dass die zwei zu kaum jemandem Kontakt hatten. Ich zwängte mich an Ino vorbei und lief in die Halle. Dort saß Midori neben einem schwarzhaarigen, bezopften Mädchen, das ich nur vom Sehen kannte, aber in unsere Klasse ging. Das musste Akiko sein. „Hey, Hanna, das ist Akiko. Akiko, Hanna ist dir ja gestern schon von Miss Tanaka vorgestellt worden.“ sagte Midori. Ich wollte mich gerade zu den beiden setzen, aber es klingelte und wir mussten in der Klasse zurückkehren. Miss Tanaka war wie gestern keine Sekunde zu spät. „Setzt euch hin, seid still und holt eure Geographiebücher raus. Mari, wo ist dein Bruder?“ fragte sie. „Es gab gestern einen Unfall in der Sporthalle, vielleicht haben Sie schon davon gehört. Es geht Gaara gut, aber er kommt erst morgen wieder in die Schule.“ antwortete Mari. Es klopfte an der Klassentür. „Herein!“ rief Miss Tanaka. Ino kam herein: „Entschuldigen Sie, aber meine Klasse hat frei und ich kann nicht nach Hause. Meine Mutter hat den Schlüssel und ich hab keinen eigenen.“ „Okay, komm rein. Setz dich neben Mari.“ Ino stolzierte durch die Klasse und setzte sich neben Mari. Dabei achtete sie darauf, möglichst weit weg von ihr zu sitzen. Nach einer Weile zog sie eine Nagelfeile hervor und begann, Mari in den Arm zu piksen. Beim ersten Mal tat Mari, als merke sie nichts, beim zweiten Mal sah sie Ino warnend an, beim dritten Mal krallte sie ihre Hände um den Rand ihrer Tischplatte und beim vierten Mal platzte sie fast. Als Ino schließlich zu einem fünften Mal ansetzte, Mari auf die Nerven zu gehen, war es zu viel! Mari holte aus und gab Ino eine nicht gerade unerhebliche Ohrfeige. Ino rutschte ein ganzes Stück nach hinten, bekam Nasenbluten und schien nun ebenfalls vor Wut zu platzen. Mari erst recht. „Sag mal, hast du sie noch alle?“ kreischte Ino. „Dito!“ schrie Mari. „Ihr aus Suna, ihr könnt ja nicht anders!“ Ino heulte fast, obwohl sie doch eindeutig angefangen hatte. „Und du? Du bist so eine…“ Mari benutze ein japanisches Wort, das der Betonung nach eindeutig ein Schimpfwort war. „RUHE! SOFORT“ das war die Tanaka, „MARI, INO, IHR HÖRT SOFORT DAMIT AUF! AB ZUM DIREKTOR MIT EUCH!“ „Ich geh mit und pass auf.“ bot Masao an, ein großer, gutaussehender Junge, der meistens von bewundernden Mädchen umgeben war. Mari und Ino schlichen, von Masao begleitet, aus dem Raum und für uns ging der Unterricht relativ normal weiter. Alle redeten über den Unfall gestern, den Streit heute und darüber, dass Ino Mari schon immer nicht besonders mochte, zumindest in dem Vierteljahr, das beide jetzt in der Klasse waren. Ich nahm mir vor, schnellstmöglich hinter die Ursache des gestrigen Unfalls zu kommen und hinter das seltsame Geheimnis, das Gaara und Mari zu umgeben schien, zu kommen. In der Pause sprach ich mit Midori über ein blaues Sommerkleid, das ich während der Ferien in einem Laden in der City gesehen hatte. Es wurde wirklich langweilig in der nächsten Stunde und dann fiel die letzte Doppelstunde aus. Zuhause machte ich meine Hausaufgaben, stritt wegen eines rosa Tops mit Jannika und besuchte schließlich meine Oma Yukino, die im Nachbardorf wohnte. Sie hatte ein recht großes, altes Haus, bestimmt hundert Jahre alt, und war - das kann man wohl so sagen – ziemlich reich. Ihr und Opa (der vor vier Jahren gestorben war) hatte lange Zeit ein gut gehendes Lebensmittelgeschäft gehört. Heute schenkte sie mir wieder Geld, denn sie war der Meinung, dass das bisschen Taschengeld von meinen Eltern nicht reichte, um einer eigensinnigen Siebzehnjährigen wie mir das nötige Outfit zu ermöglichen. Ich würde mir von den fünfzig Euro, die ich heute bekam, das blaue Kleid kaufen. Als ich gegen neun wieder zu Hause war, rief Mari an und sagte, dass sie meine Nummer aus dem Telefonbuch hatte und dass sie und Gaara morgen wieder zur Schule kommen würden. Ich freute mich weit mehr, als ich erwartet hatte, darauf, Gaara wiederzusehen. Am Abend lag ich noch ziemlich lange wach, sah seine, auf ihre eigene Weise wunderschönen, türkisgrünen Augen vor mir und hatte plötzlich das bestimmte, drängende Gefühl, ihn wiedersehen zu wollen. Er schien zu einem wichtigen Puzzle teil in meinem Leben geworden zu sein, einem Teil, das direkt neben mir lag und das ich nur noch reinlegen musste. In meinem Traum dieser Nacht sahen Gaara's unergründlichen Augen mich an, aber sein Platz in der Schule war nicht von ihm besetzt, sondern mit einem seltsamen, kleinen, Waschbär ähnlichen Wesen, das von einer Sandwolke umgeben war und mich mit großen, dunklen Augen anblinzelte.
Kapitel 6
Als ich am Morgen darauf im Bad stand, mich schminkte und vergeblich versuchte, meine braunen, gelockten, sehr langen Haare in einen Knoten zu binden, rief Midori an. Ich ließ meine Haare offen und das Vollprogramm beim Schminken fiel aus. „Hey, Hanna! Guten Morgen! Ich wollte nur sagen, dass wir erst zur dritten Stunde haben und dass Ino nicht da ist. Sie hat wohl sowas wie ´ne Suspendierung gekriegt. Gaara und Mari kommen auf jeden Fall.“ „Gut, dann geh ich jetzt shoppen. Das blaue Kleid, von dem ich dir erzählt habe.“ „Lass mir noch eins übrig, okay?“ bat Midori lachend. Ich steckte mein Handy in die Schultasche und schnappte mir meine Jacke. Gerade noch rechtzeitig, denn Nami wollte sie ebenfalls anziehen. „Wenn du zur dritten hast, warum gehst du dann jetzt los?“ fragte sie. „Ich geh noch einkaufen vorher.“ „Das darfst du nicht, das hat Mama verboten!“ schrie Nami. „Na und, ist mir doch egal.“ sagte ich, zog meine Jacke über und ging los.
Der Mini-Shoppingtrip ging schnell, es gab in dem Laden auch noch ´ne Menge von den Kleidern (Midori würde sicher noch eins abkriegen). Vom Shoppen ging ich direkt zur Schule und zog mich auf der Mädchentoilette um. Ich war gespannt, ob es Gaara auffallen würde. Seit meinem Traum heute Nacht hatte ich so ein Gefühl bei ihm, ich war mir irgendwie ziemlich sicher, dass ich mich in ihm verliebt hatte. Anders ließ sich das starke Kribbeln in meinem Bauch beim bloßen Gedanken an seine helltürkisgrünen Augen nicht erklären. Und mich in der Schultoilette noch einmal umzuziehen, um für einen Junge toll auszusehen, war eigentlich nicht meine Art. Als ich im Klassenraum ankam, war Gaara schon da, Mari und Midori auch. „Sieht gut aus. Ist das neu?“ fragte eine raue Stimme neben mir. Obwohl ich es gehofft hatte, kam das Kompliment unerwartet. Gaara sah mich an und der winzige Anschein eines Lächelns huschte über sein so außergewöhnliches Gesicht. Er hatte es tatsächlich bemerkt! Er schien mich schon viel mehr zu beachten, als ich gedacht hatte! „Ja, das… das ist wirklich neu. Danke.“ stotterte ich. Diese grünen Augen! Ein seltsames, fiependes Geräusch ließ mich aufhorchen. Es klang wie ein Hundebaby oder eine Maus. Aber was hatte so ein Tier in der Schule zu suchen? „Iiichiii!“ da war es schon wieder! Was war das? Es kam ganz eindeutig aus Gaara's Richtung, aber soweit ich wusste, hatte er kein Tier dabei oder etwas, das so ähnliche Geräusche machen konnte. Mari sprang auf, packte Gaara am Arm und zog ihn schnell aus dem Raum. Ich konnte mir keinen Reim auf seinen Gesichtsausdruck machen. Er sah aus, als ob er mir irgendwas Wichtiges sagen wollte, aber Mari hinderte ihn daran. Genau in dem Moment betrat Miss Yoshikawa die Klasse. Sie war die Chemielehrerin und kündigte eine Theoriestunde an. „Entschuldigen Sie bitte, wir sind gleich wieder da.“ sagte Mari schnell und mit einem eiligen Lächeln. „Passiert so was öfter?“ fragte ich Midori. „Schon zweimal. Beim ersten Mal hatte Gaara eine Vier in Mathe und war total glücklich. Das zweite Mal hatte Ino ihn irgendwie auf die Palme gebracht. Aber so richtig. Da waren immer so ein fiependes „Iiiichii“ oder so ähnliche Geräusche zu hören. Keiner in der Klasse, außer Gaara selbst, Mari und Kuro, weiß, was das ist. Ino scheint auch was darüber zu wissen.“ sagte Midori. „Ino weiß davon?“ fragte ich verwundert. Na ja, irgendwie war da eine seltsame Ähnlichkeit zwischen ihr und Mari, die ich nicht genau definieren konnte. „Ja, Sie kennt die drei irgendwie schon länger. als sie Gaara so aufgeregt hat, wurde er richtig rasend, wir bekamen echt Angst vor ihm. Mari und Kuro haben ihn dann nach Hause gebracht.“ fuhr Midori fort. Mari kam nach zehn Minuten zurück, Gaara noch fünf Minuten später.
Auf einmal, als hätte sich in meinem Kopf blitzschnell ein Plan entwickelt, endlich herauszufinden, was mit Gaara los war, fiel mir ein, dass Nami heute mit Mom und Dad in die Stadt ging. Es gab für uns beide je einen „Eltern-allein-für-sich-Tag“ und Nami war heute dran. Das bedeutete für mich, dass ich den ganzen Nachmittag für mich allein hatte. Ich konnte mir also Mari vornehmen und sie fragen, was eigentlich los war. Midori hatte gesagt, dass Mari bestens über die Sache mit diesem „Ichii“ Bescheid wusste. So viel stand fest: Mit Gaara stimmte irgendwas nicht, ganz und gar nicht. Und Mari war die Einzige, die mir zu fragen einfiel, da ich mich irgendwie nicht traute, Gaara zu fragen. Ich konnte ihn ja schlecht fragen: „Hey, was war das eben? Hast du irgendein Wesen dabei, ein Tier oder so, das sprechen kann?“ Die Chemiestunde zog sich endlos in die Länge. Ich vertrieb mir die Zeit damit, alles über Gaara, Mari und Ino aufzuschreiben, was ich bis jetzt wusste. Als Gaara auf meine Tischhälfte sah, verdeckte ich das Blatt schnell mit meinem Buch. Nami hatte total Recht gehabt: Ich war längst in Gaara verliebt. Liebe auf den ersten Blick, sozusagen. Wahrscheinlich hatte es sich in dem Moment entschieden, als ich zum ersten Mal in seine hellgrünen, seltsamen Augen sah. Das klang entschieden eine Spur zu romantisch. Nein, ich mochte ihn einfach irgendwie. Das Geheimnis um ihn faszinierte mich, ich wollte es lüften. Aber der vernünftige, kaum von Gaara's Augen beeindruckte, objektive Teil meines Gehirns warnte mich: das, was an Gaara so anders war, konnte auch etwas Gefährliches sein, etwas, das ich vielleicht besser nicht erfuhr. Aber mein Abenteuersinn siegte: Ach was, so schlimm kann‘s ja wohl nicht sein! Gaara war einfach nicht so normal und gewöhnlich wie die anderen Jungs, die ich so kannte. Er war schlichtweg einzigartig und ich verstand Mari, wenn sie sagte, dass er etwas Besonderes war. Es konnte ja kein so furchtbar gefährliches Geheimnis sein, oder? In den nächsten Stunden hatten wir erst Geschichte, dann Politik. Geschichte war eigentlich langweilig, aber da es um die japanische Geschichte ging, die ich bisher kaum kannte, schrieb ich, so gut ich konnte, mit. Politik war ein Wunder, eine Überraschung: So viel wir hier hatte ich Gaara bisher nicht reden hören! Er schien so unheimlich viel über politische Dinge zu wissen, als ob er das studiert hätte. Wenn er einen gekonnten Beitrag zum Thema Parlamentarismus ablieferte, vergaß ich fast seine Mathenote.
Ich schickte Mari einen Zettel:
„-Können wir nach der Schule mal reden?
-Ja. Im Japan-Café in der City, so um halb drei? Was willst du denn mit mir besprechen?
-Wegen Gaara.“
Ich wollte den Zettel zu Mari werfen, aber er fiel zu Boden und Gaara bemerkte es. So schnell, dass ich gar nicht reagieren konnte, hob er den Zettel auf und öffnete ihn. „Warum fragst du Mari, wenn es um mich geht?“ fragte er. Sein Blick war fesselnd und unergründlich. Ich versuchte, es ihm zu erklären: „Na ja, ich wusste nicht, wie ich dich fragen sollte. Das alles mit dem Sand vorgestern und dieses Ichii, was auch immer das ist.“ „Was auch immer es ist?“ wiederholte er, „du meinst, du willst es wissen, egal, was es ist?“ er schien es nicht glauben zu können. Ich nickte überzeugt. Obwohl seine genaue Nachfrage, ob ich das wirklich wissen wollte, mich ein wenig durcheinanderbrachte. Es musste ja etwas wirklich Bedeutendes sein. „Mari und ich erklären es dir. Heute Nachmittag, okay?“ fügte er mit Blick auf den Zettel hinzu. Na, da war ich ja mal gespannt…
Kapitel 7
Nach den Hausaufgaben, die ich vor lauter Spannung nicht wirklich ausführlich machte, ging ich wie unter Strom zu dem kleinen, japanischen Café in der City. Die Sonne schien und ich konnte Gaara schon von weitem sehen, sein rotes Haar hob sich deutlich von der Masse der Normalmaussehenden ab. Mari war auch da, sie fiel aber längst nicht so auf. Neben ihr saß ein schwarz angezogener Typ mit kurzen, braunen Haaren, der eigentlich nicht besonders auffällig war. Aber auch von ihm ging eine eigenartige Ausstrahlung aus, genau wie bei Gaara, Mari (und auch Ino) Die drei hatten mich noch nicht bemerkt. „Willst du ihr wirklich alles sagen, Gaara?“ fragte der, den ich nicht kannte. „Kuro, ich hab es dir gestern schon gesagt. Ich mag sie, wie ich noch nie ein Mädchen… gemocht habe. Ich will keine Geheimnisse vor ihr haben.“ sagte Gaara. Er mochte mich also! Er mochte mich so sehr, dass er mich in sein Geheimnis einweihen wollte! „Gaara ist verliebt!“ seufzte Mari selig, „Kuro, darüber sollte wir uns freuen!“ „Und was, wenn sie dich abweist, wenn du ihr sagst, was du bist?“ fragte Kuro. „Das wird sie nicht.“ sagte Gaara. Er schien sich da sehr sicher zu sein. Ich trat ein paar Schritte zurück, tat, als hätte ich nichts gehört und rief betont fröhlich: „Hey, Leute! Da bin ich!“ „Setz dich.“ sagte Mari mit einer Mischung aus Anspannung und der Seligkeit, mit der sie eben gesagt hatte, dass Gaara in mich verliebt war. Ich setzte mich auf einen der hölzernen Caféstühle. „Also, Hanna. Gaara besteht darauf, dass wir dich einweihen. Du darfst niemandem was sagen. Ob du jemand anderes einweihst, muss jedes Mal vorher geklärt werden, Hanna. Bist du ganz sicher, dass du das wissen willst.“ fragte Kuro. Er schien sich Sorgen zu machen, ob ich die Wahrheit, deren Ränder ich dunkel erahnte, vertrug und auch nichts weitersagen würde. Ich wurde unsicher. Was war das nur für ein Geheimnis? Hoffentlich nichts Gefährliches oder Verbotenes… „Schrei bitte nicht rum, wenn wir´s dir sagen.“ sagte Mari. Ich verlor die Nerven und rannte weg, in irgendeine Richtung. Das war alles zu viel. Ich wusste weder, ob ich das alles überhaupt noch wissen wollte, noch, warum ich Gaara auf einmal so viel bedeutete. War er etwa genauso verliebt in mich wie ich in ihn? Dass ich ihn so sehr mochte, war mir inzwischen klar. Ein Blick in seine wunderschönen, helltürkisgrünen Augen hatte auch gerade eben wieder ausgereicht, um mein Herz zum Flattern zu bringen. Empfand er für mich genauso? Wollte er mich deshalb in sein Geheimnis einweihen? Ich war gerade beliebig um die erste Straßenecke gebogen, da sah ich im Augenwinkel, dass Gaara aufsprang und mir hinterherlief. Sein rotes Haar und seine ebenso rote Kleidung hoben sich deutlich von der breiten Masse der anderen Leute ab. „Hanna!“ rief er. Ich bog wieder ab, vor mir erstreckte sich der waldbewachsene, dämmrige Stadtpark. Gaara holte mich ein und griff nach dem Ärmel meiner Strickjacke. Ich war so außer Atem, dass ich aufgab und mich auf eine der Parkbänke setzte. „Warum bist du weggerannt?“ fragte er und setzte sich neben mich. „Ich weiß nicht. Du kennst mich erst seit drei Tagen, das ist doch irgendwie nicht lange genug, oder?“ fragte ich. „Für mich schon. Ich hab mir eigentlich nie Gedanken um die Leute auf unserer Schule gemacht, aber du bist… na ja, ich denke so oft an dich wie an sonst keine… Normale…“ er sprach das letzte Wort seltsam betont aus. „Und deshalb willst du mir dein Geheimnis anvertrauen?“ „Ja. Du bedeutest mir etwas. Du bist mir wichtig. Deshalb will ich vor dir keine Geheimnisse haben.“ Gaara sah mir direkt in die Augen und mein Herz begann wieder zu flattern wie Schmetterlingsflügel, „Mari, Kuro und ich, wir sind Shinobi von einer anderen Welt. Unsere Welt liegt sozusagen auf einer anderen Dimension, verstehst du? Ich will, dass du das weißt.“ „Shinobi?“, wiederholte ich verwirrt, „andere Welt?“ „Shinobi nennt man auch Ninja, na ja, und wir, also auf unserer Welt, haben besondere Fähigkeiten.“ erklärte Gaara. Ich war schon ein wenig schockiert. Wie oft erfuhr man schon, dass der Junge, in den man frisch verliebt war, magische oder anders sehr außergewöhnliche Fähigkeiten hatte? Bisher hatte ich nicht an so was geglaubt. Doch ich spürte, dass Gaara es ernst meinte mit mir und der Wahrheit. Er war überhaupt nicht der Typ für Scherze oder erschreckende Lügen. Und seine Stimme klang so ernst, dass ich nicht anders konnte, als ihm zu glauben. „Ich hab bisher nicht an so was geglaubt.“ gab ich zu. „Und jetzt?“ „Jetzt, wo ich weiß, dass es das gibt, schon.“ sagte ich und fügte gleich noch eine brennende Frage hinzu: „haben deine… Fähigkeiten… den Unfall vorgestern ausgelöst?“ Gaara nickte und sah zu Boden. Wie er da so neben mir saß, erinnerte er mich irgendwie an Edward Cullen, den Vampir aus den Bis(s)-Büchern. Mein Leben schien sich in eine ganz ähnliche Richtung zu entwickeln wie Bellas. Magie, Monster und Legenden schienen auf einmal greifbar nah, so als ob sie überall in ihrer ganzen, verborgenen Realität um mich herum waren und nur darauf warteten, einen Anlass zu bekommen, sich zu zeigen. Es gab sie wirklich, so sah es wohl aus. Plötzlich fiel mir noch etwas ein. „Was ist mit „Ichii“? Was ist das?“ fragte ich. „Das erkläre ich dir später. Du musst das hier erst mal verkraften.“ sagte Gaara und irgendwas in seinem Tonfall hielt mich davon ab, weiter zu fragen. „Okay, aber ich warte drauf.“ sagte ich und stand auf. Inzwischen hatte sich mein erster Schreck vollständig in Luft aufgelöst. Das wunderte mich schon. Dass ich so weinig erschrocken war über die Wahrheit, die Gaara mir gerade gestanden hatte, war irgendwie seltsam. Der Typ, mit dem ich seit drei Tagen in meine Klasse ging, der neben mir saß und in den ich mittlerweile hoffnungslos verliebt war, war ein Ninja mit übernatürlichen Fähigkeiten, sah nicht im Geringsten aus wie die Jungs, die ich noch so kannte und all das erschreckte mich nicht im Mindesten so, wie es normal gewesen wäre. Statt völlig verschreckt dazusitzen und mir auszumalen, zu was er wohl fähig war, sah ich Gaara einfach nur an, wie er mit gesenktem Kopf, die Unterarme auf den Knien liegend, den Kiesweg neben der Parkbank anstarrte, offenbar unfähig, mir nach dieser Enthüllung ins Gesicht zu sehen. Seine unheimlich weich aussehenden, roten Haare fielen leicht nach vorn und bildeten einen sanften Vorhang über seiner Stirn und dem roten Schriftzeichen. Es war ein Bild von Einzigartigkeit und auch von fremdartiger Schönheit. Unwillkürlich rückte ich ein Stück näher an Gaara heran, um etwas von seiner außergewöhnlichen Ausstrahlung, die mich vom ersten Moment angezogen hatte, zu spüren. Es war ein Hauch von Sand, vermischt mit einem undefinierbaren Gefühl. Was die Ninjas anging, so ergab jetzt auch das wirre Zeug, das Mari nach dem Unfall gesagt hatte, einen Sinn. „Hey, sieh mal, wie süß!“ rief ein Mädchen, das uns schon eine Weile beobachtete, einem anderen zu und zeigte auf uns. Die beiden waren etwa in Nami Alter. Oh nein! Nami! Wenn sie dahinterkam, dass sie, was meine Gefühlslage betraf, Recht hatte, war ich erledigt! Und daran, was sie und meine Eltern zu Gaara's offensichtlichem Anderssein sagen würden, mochte ich gar nicht denken! Ich würde morgen definitiv die Schule schwänzen! Das hielt man doch im Kopf nicht aus! Auf einmal kehrte der erste Schock zurück. Na ja, wie gesagt, man lernt nicht alle Tage einen Ninja kennen. Und Ninjas hatten, was man so hörte, einen ziemlich schlechten Ruf. Irgendwann gingen wir zu Mari und Kuro zurück. Gaara sagte nur: „Sie weiß Bescheid über uns.“ „Auch über den du-weißt-schon?“ fragte Mari. Gaara schüttelte den Kopf. Er sah mich an und sagte ganz direkt: „Du wirst morgen nicht einfach so die Schule ausfallen lassen.“ „Woher weißt du, dass ich das wollte?“ fragte ich verwundert. Konnte er auch noch Gedanken lesen? „Ich nicht. „Ichii“ schon.“ sagte Gaara. „Was ist das eigentlich?“ unternahm ich einen neuen Versuch, dahinter zu kommen. Aber sein Gesicht war so undurchschaubar, dass ich aufgab und nicht einmal mehr eine Antwort erwartete. „Ich glaube, ich muss nach Hause. Wenn meine Eltern nach Hause kommen, fragen sie mich kaputt.“ ich wusste zwar, dass Mom und Dad noch lange nicht zurückkamen, aber sie und Nami sollten mich erst mal noch nicht mit Gaara zusammen sehen. Sonst erzählte Nami nachher doch noch was, so wie vorgestern. „Komm morgen zur Schule, Hanna.“ sagte Mari. „Ist gut.“ ich nickte. Zu Hause angekommen, schnappte ich mir mein Fahrrad und fuhr zu Oma. Dort aß ich sechs Stück glasierten Apfelkuchen, sah fern und spielte Karten mit Oma. Irgendwann merkte sie, dass ich ein Problem hatte. Ich erzählte ihr den normalen, unverfänglichen Teil der Wahrheit, den Teil, den Mari und Kuro erlauben würden: Dass ich mich in einen Jungen verliebt hatte, der anders war und dass ich nicht genau wusste, was ich tun sollte. Oma bot mir an, bei ihr zu übernachten, ich nahm gern an und sprach auf den AB zu Hause, damit meine Eltern wussten, wo ich war. Ich saß den ganzen Abend auf Omas Sofa, sah weiter fern und aß Kekse. In dieser Nacht wiederholte sich mein Traum von Gaara's Augen und dem komischen, sandfarbenen, sandigen Waschbär. Es war kein richtiger Waschbär, aber so was in der Art.
Kapitel 8
Der nächste Tag, ein Donnerstag, begann vielversprechend. Die Sonne schien, es war warm und wir hatten zur Zweiten. Die war dann aber auch Französisch, das war eines der Fächer, die ich wirklich nicht leiden konnte. Aber erst mal frühstückte ich gemütlich mit Oma, dann fuhr ich in die Schule. Mom hatte gestern spät abends, über fürsorglich, wie sie war, meine Schulsachen noch so um elf Uhr meine Schulsachen zur Schule gebracht. Nach dem ausgiebigen Frühstück fuhr ich mit dem Fahrrad zur Schule. Midori wartete schon im Klassenraum auf mich. Gaara war nirgends zu sehen. Mari auch nicht. „Hanna, ich hab dich gestern in der City gesehen. Du warst mit Gaara, Mari und Kuro zusammen. Was haben die dir erzählt, dass du total verschreckt weggerannt bist?“ fragte Midori. „Kann man wohl sagen, ich war etwas erschrocken. Aber ich darf nichts verraten, das hab ich versprochen.“ sagte ich. Midori schaltete sofort. Ich sah ihr an, wie überrascht sie war. „Hanna! Was hast du zu Gaara gesagt, damit er dir sein Geheimnis anvertraut?“ rief sie aufgeregt. Ich versuchte, sie unwissend anzusehen, als ob ich keine Ahnung hätte, wovon sie sprach. Mein Blick wanderte zu Gaara's leerem Platz und von da aus dem Fenster. „He, Hanna, du bist ja gar nicht richtig da!“ rief Midori, „ach du Schreck, Hanna Jones, du bist in Gaara verliebt!“ Bedauerlicherweise sagte sie das etwas zu laut. Zwanzig japanische Schüler drehten die Köpfe in meine Richtung. Ich befand mich plötzlich in einem erwartungsvoll und verwundert starrenden Kreis. „Was, echt? Wow, die Neue ist grade mal ein paar Tage hier und schon holt sie aus dem verschlossensten Außenseiter der Schule sein tiefstes Geheimnis raus! Ist ja echt krass!“ das war Masao, „und dann verknallt sie sich auch noch in ihn!“ Ich hätte Masao am liebsten erwürgt, aber das war nicht nötig: Gaara war, von mir unbemerkt, hereingekommen und als ich mich zu Masao umdrehte, sah ich Gaara direkt hinter ihm stehen. Er war von einem eigenartigen, sandfarbenen Schimmer umgeben und sah ziemlich wütend aus. Und als ob der Sand (der ja immerhin einen Unfall ausgelöst hatte, nicht schon bedrohlich genug gewesen wäre, hielt Gaara Masao ein spitzes japanisches Wurfmesser an den Hals. „Hör sofort auf, Hanna vor der ganzen Klasse so runter zumachen! Sonst werde ich…“ drohte er. Die Luft im Raum wurde auf einmal fühlbar sandig.„ICHIII!“ fiepte etwas wütend. Wenn nicht bald jemand etwas dagegen tat, würde sich noch wer ernsthaft verletzen. Diese Situation war echt gefährlich, das war mir völlig klar. Mari stürmte herein, kämpfte sich durch den Ring schaulustiger Mitschüler und schrie: „Gaara! Hör sofort auf damit! Lass Masao los! Ichii, benimm dich!“ sie riss Gaara das Messer aus der Hand, „Und ihr geht alle raus! Hanne, Midori, ihr bleibt hier, aber alle anderen gehen sofort raus! Irgendjemand muss die Französischlehrerin holen!“ Masao stolperte raus, an seinem Kinn leuchtete eine blutige Schramme. Die anderen rannten ebenfalls ziemlich panisch aus dem Raum. Gaara sah immer noch sehr wütend aus, die hohe Ichii-Stimme fluchte leise und der Sand in der Luft nahm weiter zu. Ich vermutete, dass der Sand etwas mit Gaaras Ninjafähigkeiten zu tun hatte. „Bitte beruhige dich! Das ist Masao doch nicht wert, dass du dich so aufregst.“ dachte ich nur und hoffte, dass Gaara meine Gedanken hörte. Ganz offenbar tat er das, denn er wurde langsam wieder ruhiger. „Ich glaube, ich bin schuld daran. Ich hab ein bisschen zu laut geredet, ich hab Hanna eben gefragt, warum sie so verschreckt durch die City gerannt ist, weil ich sie gesehen hatte, weißt du? Masao hat das gehört und wie immer seine blöden Kommentare dazu gegeben.“ gestand Midori, „dass Gaara so ausrastet, das hab ich nicht gedacht. Schließlich hat Hanne ja nichts von eurem Geheimnis verraten.“ Mich beschäftigte immernoch der sandige Schimmer und das, was Mari gesagt hatte: „Ichii, benimm dich!“ Wer oder was war Ichii? War Ichii der, zu dem die Ichii-Stimme gehörte? Ich rätselte darüber nach, bis mich die klischeehaft flötende Stimme von Madame de Vanel, der Französischlehrerin, aus meinen Gedanken riss: „Entrez, prenez place et êtes en silence, s’il vous plaît! On fait du francais.“ Wir setzten uns. Madame de Vanel schrieb etwas an die Tafel: „Dans la bijouxerie“ Im Schmuckladen. Wie langweilig! Das hatte ich schon lange gehabt. Madame de Vanel forderte uns auf, Wörter zum Thema an die Tafel zu schreiben. Einer nach dem anderen ging vorn an die Tafel. Ich hätte zeigen können, was ich konnte, aber in diesem Moment wollte ich nicht von Gaara's Seite weichen. Um das Wort Bijoux in der Mitte sammelten sich Worte wie bracelet, collier und ceinture. Ich fand das an der Tafel dermaßen langweilig, dass ich das Kinn auf meine Hände stützte und gelangweilt auf die Tischplatte schaute. Gaara schrieb gerade wieder in die Sandschicht, die seltsamerweise nur seine Hälfte des Tisches bedeckte. Diesmal schrieb er Worte, nicht wie in den letzten Tagen- nur irgendwelche Zeichen. Das erste Wort war: Bijuu. „He, ist das nicht falsch geschrieben?“ fragte ich vorsichtig. „Das hat mit Französisch nichts zu tun.“ sagte er und schrieb weiter: Chakra-Dämon/Wesen: Ichibi Shukaku Ichii. „Was bedeutet das?“ fragte ich. „Das ist…“ begann er, aber Madame de Vanel unterbrach ihn: „Ne parlez pas en allemand!“ Für den ganzen Rest der Stunde hatte ich keine weitere Gelegenheit, Gaara nach dem seltsamen Wort zu fragen. Er schrieb noch etwas auf ein kariertes Blatt, das er mir unter dem Tisch zusteckte. Seine Schrift war, zumal er mit einem edlen Schreibpinsel schrieb, sehr schön und erinnerte an runde, japanische Schriftzeichen. Als es klingelte, verschwanden Gaara und Mari ziemlich schnell. Ich wusste nicht, wohin sie gegangen waren, aber ich machte mich mit dem Zettel auf dem Weg in die Bibliothek. Jetzt würde ich den Rest von Gaaras Geheimnis herausfinden. Es gab in der Bibliothek eine Abteilung mit Büchern über Legenden aus Japan, die sich gleich neben dem Regal mit den Mangas und Manga-Infobüchern befand. Ich holte Gaara's Zettel hervor und begann mit der Suche. Auf dem Zettel standen einige Worte, nach denen ich Titel und Klappentexte der Bücher durchging: „Bijuu-Geister, Shukaku Ichibi, Sand, Chakrawesen“ Die ersten Regale enthielten zwar Legenden, aber keine von den meist auf der Rückseite aufgezählten Mythen und Sagen hatte etwas mit Bijuu-Geistern zu tun. Es gab Legenden über Drachen, über Füchse mit neun Schwänzen, die über die Berge Japans streiften, Geschichten über sprechende Karpfen und über Yôkai, aber nichts mit Chakra oder Ninjas. Auch keine Erwähnung von Wesen, die „Ichii“ sagten, was immer das auch war. Als ich schon fast alle Bücher durch hatte, dem Manga-Regal immer näher kam und mir langsam immer sicherer wurde, dass es gar keine Bücher zum Thema Bijuu gab, fiel mir ein kleines, dünnes Buch auf, dass weit zurück geschoben war, so, als ob es noch nie jemand gelesen hatte. Auf dem glänzend neuen, unbeschädigten Einband stand in japanisch anmutenden Buchstaben: Yoshio Nagai: Die Mythen und Wesen der Ninja-Welt - ein Überblick für Kenner und Fans, die mehr wissen wollen. Ich nahm es aus dem Regal und setzte mich an einen der Tische, um es genau zu lesen. Als ich es wahllos durchblätterte, fiel mir ein Wort in der Überschrift eines Kapitels auf: Jinchu-Kraft. Ein seltsames Wort. Ich begann, das Kapitel zu lesen. Und das, was da stand, war wie die Auflösung eines lebenswichtigen Rätsels: „Einen Menschen, in dessen Körper (meist im frühen Kindesalter) ein Bijuu-Geist versiegelt wurde, nennt man Jinchu-Kraft (jap. Jichuriki). Diese Menschen werden, da sie großen Schaden anrichten können, oft von den anderen gemieden. Verliert eine Jinchu-Kraft die Kontrolle über sich und den versiegelten Bijuu, richtet der austretende Bijuu große Zerstörungen an und verletzt jeden, der sich in seine Nähe wagt. Auch für die Jinchu-Kraft ist ein Austreten des Bijuu-Chakras mit großen Verletzungen, oft Verbrennungen, verbunden. Verbündet sich eine Jinchu-Kraft mit dem Bijuu, hat sie eine sehr große Macht zur Verfügung. Jeder der Bijuu ist einmalig einzigartig, es sind zehn Bijuu bekannt, die sich in ihrem an jeweils eine bestimmte Tierart angelehnten Aussehen und der Zahl ihrer Schwänze unterscheiden.
Beispiel: Shukaku, der Ichibi (Einschwänzige) hat die Gestalt eines Marderhundes. Er kontrolliert Sand und Wind.“ Ich brauchte nicht mehr weiterlesen. Ich hatte verstanden. Mir war jetzt alles klar: Gaara's Wutanfall vorhin, der Sand-Unfall, bei dem die Turnhalle zerstört worden war, Maris Verletzungen und der Name Ichii. Ichii war ganz eindeutig eine verniedlichende Abkürzung für Ichibi. Und die Sandwolke um Gaara hatte auch einen Sinn. Es war sonnenklar: Gaara war eine Jinchu-Kraft! Ich war seltsamerweise überhaupt nicht schockiert, ich hatte keine Angst, trotz dem Sachen, die in dem Artikel standen. Gaara gelang es offenbar, sich zu beruhigen, wenn es auch ziemlich schwierig aussah. Dass ein magisches Wesen in seinem Körper lebte, war zwar reichlich gewöhnungsbedürftig, für mich jedoch kein Grund, ihn nicht mehr zu mögen. Er war ja trotzdem Gaara. Aber was war nun Ichii? Ich las weiter, auf der nächsten Seite: „In einer fast vergessenen Legende heißt es, dass sich Bijuu-Geister unter ganz bestimmten Umständen, besonders beim Kontakt mit den Echten Drachen, in selbst genannte Ichibinai (Yûrei Akusesari) verwandeln. Sie bleiben von diesem Moment an für immer Ichibai und legen ihre dunkle Macht nieder, ihre Stärke bleibt jedoch erhalte, wird sogar mehr. Haben sie das getan, bringen sie ihrem Träger und seiner Familie, seinen Freunden und Verbündeten Glück und Liebe. Von da an ist es ihnen möglich, eine hübsche, kleine Gestalt ihrer Tierform anzunehmen und den Körper ihres Trägers zu verlassen und zu betreten, wann immer sie wollen, aus ihm zu sprechen und sie können ihm durch keine Macht mehr entzogen werden“ Ichii war kein Name für einen Bijuu, Ichii war der Name des niedlichen Ichibinai, zu dem Shukaku geworden war. Die hohe Stimme sprach dafür, die Niedlichkeit des Namens Ichii und dass es sich von Mari Befehle geben ließ. Jetzt wusste ich auch, was das Tier aus meinen Träumen gewesen war. Das war kein Waschbär, das war ein sandfarbener Marderhund! Und ein ziemlich niedlicher noch dazu. Ich stellte das Buch ins Regal zurück und verließ so schnell wie möglich die Bibliothek wieder. Dann lief ich in den Klassenraum und nahm meine Schultasche, um vorzeitig die Schule zu verlassen. Ich musste das alles erst mal verkraften. Mein Sinn für Normalität streikte und protestierte, er wollte einfach nicht wahrhaben, dass der Junge, in den ich mich verliebt hatte, das absolute Gegenteil von Normal war. Es passte nicht in sein Aufgabengebiet, Gaara zu akzeptieren. Ich würde eine Weile brauchen, aber irgendwann würde ich diesen Normalitätsliebenden Warnungsruf ausschalten müssen. Er würde mich nur stören. Als ich mit meiner Schultasche den Klassenraum verließ, nahm ich etwas, mir inzwischen sehr Vertrautes, Rotes im Augenwinkel wahr. „Hanna, warte! Wo willst du hin? Wir haben gleich Mathe, da brauche ich deine Hilfe.“ Gaara griff nach dem Ärmel meiner Jacke. „Ich geh nach Hause.“ sagte ich und klang dabei ungewollt heftig. Die Art, wie Gaara meine Jacke festhielt, kam mir bekannt vor. Genau so war es gestern gewesen. „Hast du meinen …Tipp verstanden?“ fragte er. „Ja. Und ich weiß nicht genau, wie ich das finden soll. Warum erzählst du mir das alles, warum willst du, dass ich alles rauskriege, wo du doch, na ja, du weißt ja, was du bist…“ ich verhedderte mich hoffnungslos in meinem eigenen Satz, „na ja, du bist gefährlich, oder?“ „Wo hast du nachgelesen?“ „In einem Buch in der Bibliothek.“ Er nickte, als wüsste er genau, welches Buch ich meinte. „Na ja, also, die Ichibinai sind nicht so gefährlich, stand da. Aber was war das neulich in der Turnhalle? War das, weil du eine, na, du weißt schon was bist?“ aus irgendeinem Grund scheute ich das Wort Jinchu-Kraft. Es klang irgendwie verletzend. Doch dass ich das Wort dachte, reichte schon aus, um mich so durcheinander zu bringen, dass ich mich losriss und in den Schulgarten rannte. Und er konnte es bestimmt in meinen Gedanken hören. „Hanna!“ Gaara folgte mir. Ich setzte mich auf eine der Bänke im Garten. „Kannst du mir mal sagen, warum du mir nicht vertraust?“ fragte er, „ich dachte, nachdem ich dich eingeweiht hatte, du würdest kein Problem mehr mit…. mit meinem …Anderssein haben.“ „Hab ich auch nicht. Aber das in der Turnhalle und so, wie du Masao angegriffen hast, das darf einfach nicht noch mal passieren. Ich bin da irgendwie der Grund gewesen, oder?“ ich redete plötzlich Sachen, die ich vorher gar nicht so gedacht hatte. Es musste für ihn und seine Gedankenleser Fähigkeit wie völlig wirres Zeug klingen. „Ichii ist noch nicht so lange ein Ichibinai. Erst ungefähr ein halbes Jahr. Es ist sehr temperamentvoll, könnte man sagen. Und dann warst du am Montag da, so, ich weiß nicht, irgendwie strahlend und so ganz anders. Du hast mich so durcheinandergebracht, Ichii hat das einfach ausgenutzt. Es ist gut, aber eben wild. Wirklich gefährlich bin ich nur für Leute, die mich angreifen. Oder dir was tun, so wie Masao vorhin.“ „Ich muss das alles erst mal verkraften. Nimm´s bitte nicht persönlich, aber ich bin es einfach noch nicht gewohnt.“ „Verstehe. Aber damit du weißt, dass ich dich wirklich mag, denn das ist so, werde ich dir, so schnell es geht, alles zeigen: Meine Welt und meine Familie.“ „Ich freu mich drauf.“ sagte ich und das meinte ich ehrlich. Eine Frage hatte ich noch: „Wie lange hast du das denn schon, das Ichii?“ „Seit ich denken kann.“ antwortete Gaara. „Und gibt es noch andere, die so sind wie du? Kennst du die?“ „Ja. Ich werde sie dir vorstellen.“ „Ich geh jetzt nach Hause. Ich muss das erst mal alles ordnen, verstehst du?“ ich holte mein Matheheft aus der Tasche, „hier, damit du in Mathe klarkommst. Ich hab schon vorgearbeitet.“ „Danke. Du hast mich für heute gerettet.“ er sah mich an und ich blickte in seine wunderschönen, hellgrünen Augen, in denen kaum ein Zeichen einer Gefühlsregung zu erkennen war. Allein der Tonfall seiner Worte und der Klang seiner rauen Stimme sagten mir, dass er wirklich dankbar für meine Hilfe in Mathe war. „Du bekommst es morgen zurück.“ versprach er. Dann ging ich. Zu Hause setzte ich meine Prioritäten neu und sperrte Jannika erfolgreich aus meinem Zimmer aus. Meine Prioritätenliste stellte sich jetzt folgendermaßen um: Zuerst kam wie immer die Schule, aber gleich danach kamen Gaara, Mari das Ichibinai namens Ichii und die Ninjawelt-Sache. Platz drei waren Mom, Dad, Nami und Oma. Wenn es da draußen eine oder sogar mehrere andere Welten gab und Gaara sie mir zeigen wollte, war ich bereit. Mein Sinn für Normalität wanderte auf die Warteliste des imaginären Papierkorbes. Ich ließ mich auf Gaaras Welt ein, ohne genau zu wissen, was da auf mich zukam. Aber wie er gesagt hatte, ich sollte ihm vertrauen. Und das tat ich jetzt. Was meine Eltern und Nami davon hielten, schien völlig unwichtig.
Kapitel 9
Am Morgen darauf hatte ich den Schock, die Ichinai - Sache und meinen Entschluss vollständig verkraftet, beziehungsweise gefestigt. Dass ich mich auf Gaara einlassen würde (egal, was er war), stand fest. Da war ich mir hundertprozentig sicher. Ich ging sehr spät los, rannte den halben Weg, um das letzte Stück gemütlich zu schlendern und kam ziemlich genau mit dem Klingeln und ungefähr zehn Schritte vor Miss Tanaka in der Klasse an. Ich setzte mich auf meinen Platz neben Gaara. Midori war schon da und wollte wahrscheinlich fragen, warum ich gestern geschwänzt hatte, aber Mari unterbrach sie, indem sie zu mir und Gaara an den Tisch kam. „Hanna, ab heute bin ich für dich meistens Temari, okay? Mari ist nur mein Spitzname. Und Kuro heißt eigentlich Kankuro.“ „Okay.“ sagte ich und merkte mir die Namen sorgfältig. „Du bist ab heute Teil unserer Welt.“ sagte Gaara. Er nahm meine Hand. Es war das erste Mal, dass er mich so direkt berührte. Seine Haut war warm und fühlte sich an, als ob unzählige winzige Sandkörner unter seiner Haut wären. Als wäre die dünne Sandschicht auf dem Tisch auch in seiner Haut. Ich nahm meine Schulsachen mit nur einer Hand aus der Tasche, denn Gaara's Hand fühlte sich so schön an, dass ich außer Stande war, sie loszulassen. Hoffentlich wurde der Tag heute einigermaßen normal. Normal im Sinne von weniger Aufregung. An Normalität im herkömmlichen Sinn von „Alles so, wie es an anderen Schulen auch ist“ war nicht zu denken. Diese Art von Normalität hatte ich für mich abgeschafft, als ich mich gestern endgültig entschied, mit Gaara zusammen zu sein. Die Stunde war endlos langweilig. Irgendwann ließ Gaara meine Hand los, aber nur, um mitzuschreiben. „Seid ihr jetzt zusammen?“ fragte Midori, als Miss Tanaka einige Minuten vor dem Klingeln den Klassenraum verließ. „Ja, ich glaub schon. Oder so was ähnliches wie zusammen. Ich mag ihn.“ antwortete ich.
„Schön. Ich glaube, du bist die Einzige außer seiner Schwester, mit der er hier überhaupt redet.“ sagte Midori. Die Pause kam. Ino auch. Sie war wahrscheinlich jemand, der einfach nichts anderes zu tun hatte als jede Pause auf jemanden zu warten und auf denjenigen herabzublicken. Irgendetwas an ihr erinnerte mich an Temari, irgendwie war irgendwas an ihrem Aussehen dem Temari's unglaublich ähnlich, obwohl die beiden eigentlich außer der ähnlichen Haarfarbe so gar nichts gemeinsam hatten. Aber dieses undefinierte Merkmal war es auch, das Ino von den anderen auf der Schule grundlegend unterschied. Aber was war es? Ich kam einfach nicht drauf. „Na, Hanna, ich hab gehört, dass Gaara dir inzwischen vertraut. Wie hast du das gemacht? Er ist doch sonst nicht so schnell, wenn es um so was geht!“ „Bei dir liegt er mit seinem Misstrauen wahrscheinlich genau richtig, Ino!“ gab ich zurück und versuchte, möglichst mutig zu klingen. „Hat er dir schon erzählt, woher ich ihn kenne?“ „Nein.“ gab ich zu. „Dann mach ich das eben selbst.“ Ino senkte die Stimme und fuhr leise zischend fort, „Es ist nämlich so: Ich bin auch ein Ninja, eine Kunoichi. Aus einem anderen Dorf als er, aber das ist erst mal egal.“ Das war es: Das war die Ähnlichkeit zwischen Temari und Ino! Sie waren beide Mädchen aus derselben, anderen Welt. „Ich hab mir da schon so was gedacht. Aber weißt du, das ist mir egal.“ sagte ich, „ich hab kein Problem mit anderen Welten.“ „Ist es dir auch egal, dass Gaara eine Jinchu-Kraft ist? Das kann dir doch nicht total egal sein!“ „Doch. Für mich zählt nur Gaara, wie er ist und dass er mich mag. Was er ist, ist mir erst mal nicht wichtig.“ „Wow. Aber denkst du auch noch so, wenn er dich erst mal verletzt hat?“ fragte Ino herausfordernd. „Er wird mich aber nicht verletzen. Hast du denn schon mal was von Ichibinai gehört?“ „Ja, schon, inzwischen weiß das jeder bei uns. Aber bei einem wie Gaara kann man sich nie ganz sicher sein.“ sagte Ino, aber ihr war anzusehen, dass ich sie überstimmt hatte. „Hau ab, Ino!“ zischte jemand hinter mir. Temari. „Ach nee, die Königin der Kampffächer!“ höhnte Ino.
„Lass es einfach sein, Schweinchen.“ sagte Temari. Ino zuckte zusammen. „Schweinchen! Sag das noch einmal, Kaktus!“ kreischte sie. „Nein. Zisch ab oder ich erkläre jedem, den ich in den nächsten zehn Minuten sehe, warum man dich in deinem Dorf allgemein das Marzipanschweinchen vom Blumenladen nennt.“ drohte Temari. Ino war geschlagen. Sie stolzierte davon. „Inos Eltern haben einen Blumenladen in ihrem Heimatdorf. Sie muss dort oft aushelfen. Der Name „Ino“ bedeutet Schwein. Sie achtet immer darauf, schlank und hübsch zu sein, deshalb ist ihr eigener Name quasi eine Beleidigung für sie selbst. Das ist ihre größte Schwachstelle.“ erklärte Temari. „War das eben Ino?“ fragte Gaara hinter mir. „Ja. Sie wird von Tag zu Tag frecher.“ sagte ich. Der Rest des Vormittags verlief genauso langweilig wie die erste Stunde. Manchmal nahm Gaara meine Hand, dann schlug mein Herz etwas schneller. Und ein Blick in seine Augen reichte aus, damit ich für drei Sekunden das Atmen vergaß. Zu Hause schaffte ich es mal wieder, den halben Nachmittag mit meinen öden Hausaufgaben zu verbringen. Ich hatte die gesamte zweite Pause damit verbracht, Gaaras fehlerhaften Mathehausaufgaben des letzten halben Jahres durchzusehen und als ich mit meinen Aufgaben fertig war, machte ich mich daran, sein Matheheft, dass er mir mitgegeben hatte, sorgsam und möglichst liebevoll mit verständigen Korrekturen zu versehen. Ich wusste, dass ich die Einzige war, der er einen Blick in sein recht verschmiertes, teilweise eingerissenes und von hunderten von Fehlern übersätes Matheheft erlaubte. Als ich das Heft durch hatte, nahm ich ein leeres Karoheft und schrieb alles noch mal ab. Zum ersten Mal in meinem Leben war ein Heft voller falscher Matheaufgaben eine romantische Angelegenheit. Irgendwann ertappte ich mich dabei, wie ich, selig und nach japanischer Popmusik vor mich hin summend, mit dem Bleistift Herzchen auf die Tischplatte malte, die allesamt, mehr oder weniger verziert, den Buchstaben G enthielten. In dem Moment platze Nami ins Zimmer und fragte: „Ist da was mit dem Jungen aus deiner Schule?“ „Nein.“ log ich und verdeckte die Herzchen mit der Rückseite von Gaaras Matheheft. Wenn Nami erst mal angefangen hatte, herum zunerven, konnte sie nur schwer damit aufhören. Und spätestens, wenn Gaara zum ersten Mal bei mir zu Hause war, würde Nami ihre stärkste Waffe auffahren: Pubertät vom feinsten, die fast schon Terror genannt werden konnte!
Am Wochenende fuhren meine Eltern mit Nami und mir zum Geburtstag von Großtante Ko. Ich langweilte mich halbtot, vermisste Gaara und wollte nur noch zur Schule gehen. Es gab jeden Tag drei mehr gängige Festessen und da eine Menge Gäste, hauptsächlich alte Leute, da waren, musste ich ein Kleid aus weinrot-rosa Samt anziehen und mich betont gut benehmen. Kein Wort über meine „Asiaten Schule“ oder über Midori, von Gaara und Temari ganz zu schweigen. In dem Kleid fühlte ich mich wie eine altmodische Sofa puppe oder wie ein geschmückter Cremekuchen. Nami, ebenfalls in so ein Kleid gesteckt, langweilte sich genauso wie ich und so versuchten wir, uns von der ununterbrochen essenden, redenden Kaffeegesellschaft abzusetzen. Wir erkundeten das Haus, das ebenso riesig wie alt, verwinkelt und verstaubt war und entdeckten ein Mäuse Nest in einem der Gästezimmer und einen ausgestopften, aber inzwischen arg zerrupften Fasan, den wohl Tante Mariannes bescheuerte Katze zerlegt hatte. Am Montagmorgen war ich heilfroh, wieder in meinem eigenen Bett aufzuwachen und nicht in einem der uralten, mit wahren Museumsstücken gefüllten Gästezimmer.
Kapitel 10
Am Montag, so um halb sieben, rief Midori an. Ich stand blitzschnell auf, schnappte mir das Telefon und stellte auf Lautsprecher, damit ich mich beim Telefonieren anziehen konnte. „Hanna, wir haben schulfrei. Ich kann leider nicht bei dir vorbeikommen. Wir haben nämlich heute ein Cha-No-Yu im Haus, eine Teezeremonie. Da muss ich dabei sein.“ sagte Midori. „Ich werde wohl den Tag über lernen. Meine Eltern sind nicht da, nur Nami und die hat auch frei.“ „Okay, dann viel Spaß mit den Hausaufgaben, Hanna.“ sie legte auf. Ich frühstückte mit Nami zusammen, dann rief sie ihre Freundin an und ich wandte mich dem letzten Stück Arbeit an Gaara's Matheheft zu. Es war nicht mehr viel zu tun, ich war bald damit fertig. Als Nami's Freundin Amy kam, wurde es im Nebenzimmer so laut, dass ich weder arbeiten, noch von Gaara träumen konnte. Ich hatte ihn jetzt zwei ganze Tage lang nicht gesehen und vermisste ihn. Amy gehörte zu der Sorte elfjähriger Mädchen, die bei jeder Gelegenheit kicherten, alles lustig fanden und unheimlich nerven konnten. Sie war auf dem Barbie-Trip, lackierte sich die Fingernägel knallpink und trug rosa Glitzersachen. Außerdem liebte sie es genau wie JNami, sich ungefragt hin anderer Leute Angelegenheiten einzumischen. All das war aus dem quietschenden Kichern herauszuhören, das unablässig aus Nami's Zimmer kam. Es klingelte an der Tür. Zum Glück war Nami mit Amiund dem Kram, den diese mitgebracht hatte, vollauf beschäftigt und so konnte ich die Tür öffnen. „Guten Morgen, Hanna.“ sagte Gaara, „Midori hat mir erzählt, dass deine Eltern heute nicht da sind, deshalb dachte ich, ich komm mal vorbei.“ Midori! Sie hatte Schicksal gespielt. Wahrscheinlich hatte sie sofort, nachdem ich aufgelegt hatte, bei Gaara angerufen und ihm erzählt, dass er bei mir vorbeikommen sollte. Aber sauer konnte ich deswegen nicht auf Midori sein. Schließlich hatte ich Gaara vermisst.
Ich konnte nur hoffen, dass Nami mich und Gaara in Ruhe ließ. „Wer ist denn da?“ fragte Nami von oben. „Nur jemand aus der Schule. Wegen einem Projekt.“ ich versuchte, möglichst überzeugend zu klingen. Zu Gaara sagte ich: „Meine kleine Schwester ist auch da, und ihre Freundin. Aber die beiden bleiben in Nami's Zimmer. Ich hab übrigens dein Matheheft fertig überarbeitet.“ Ich führte ihn in mein Zimmer. Die einzige Sitzgelegenheit war mein Bett, Nami hatte meinen Schreibtischstuhl mal wieder entführt. Also setzten wir uns auf mein Bett. Ich gab ihm das Heft zurück und er schien wirklich dankbar für meine Hilfe zu sein. Gaara erzählte mir von den anderen, die so waren wie er, aber er nannte keine Namen. Er sprach über sein jahrelanges Problem mit Mathe, über die anderen in der Klasse, von denen er meist nicht sehr viel hielt und über Temari und Kankuro, denen er fast alles erzählte. Ich fragte mich, warum er seine Eltern mit keinem Wort erwähnte, traute mich aber nicht, danach zu fragen. „Bei uns zu Hause hat meine Großmutter das Sagen, sie lenkt den ganzen Haushalt. Oma Chiyo ist Mitte achtzig, aber sie benimmt sich kein bisschen so.“ sagte er. Plötzlich hörte ich ein seltsames, schabendes Geräusch an der Tür. „Das klappt nicht. Man hört fast nichts.“ hörte ich Nami sagen. „Nimm so ein Tuch drunter. Und versuch mal das Glas hier.“ fügte Amy hinzu. Wieder schabte es an der Tür. Und ich kapierte: Nami und Amy zogen gerade einen Angriff auf meine Privatsphäre. Entschlossen, mein Zimmer zu verteidigen, stand ich auf und trat gegen die Tür. „Aua!“ schrie meine Schwester. „Haltet euch aus meinen Sachen raus!“ rief ich. Die beiden huschten in Nami's Zimmer zurück. Ich fragte mich, wie lange und wie aufmerksam sie gelauscht hatten. Gaara hatte doch eben von den anderen Jinchu-Kräften gesprochen. „Sie hat echt den Jungen da drin!“ kicherte Amy. Jetzt war genau das passiert, was ich befürchtet hatte. Ich stürzte raus, riss Nami's Zimmertür auf und schrie los: „LASST MICH IN RUHE! HALTET EUCH EINFACH RAUS, KAPIERT?“ Die beiden Kleinen wirkten schon etwas eingeschüchtert. Sie schienen es kapiert zu haben. Das hoffte ich zumindest. Ich ging in mein Zimmer zurück und schloss vorsichtshalber von innen ab. „Du vertraust mir also schon so sehr, dass du dich mit mir einschließt?“ fragte Gaara hinter mir. Ich drehte mich zu meinem Bett um. Das Erste, was mir auffiel, war, dass Gaaras lilagraue Weste auf dem Boden lag. Ich hob den Blick. „Warm heute, oder“ sagte Gaara. Seine Augen lächelten. Zum ersten Mal fiel mir auf, dass sein Shirt vorne eine durchgehende Knopfleiste hatte. Irgendetwas war seltsam, anders, etwas stimmte nicht. Aber was es war, konnte ich nicht sagen. Ich setzte mich ans Kopfende meines Betts, streckte die Beine gerade aus und lehnte mich an die Wand. In Nami's Zimmer klapperte etwas laut, Elvira kicherte und ich schaute für einige Augenblicke abgelenkt zur Tür. Als ich mich wieder Gaara zu wandte, öffnete er gerade den letzten Knopf an seinem langärmligen Shirt. Das seltsame Gefühl nahm schlagartig zu. Ich starrte wie paralysiert auf seine nackte Haut, die hell und gleichzeitig sandfarben war, so, wie ich es mir in den verborgenen Schwärmereien der letzten Tage vorgestellt hatte. Unfähig, etwas zu sagen, oder mich irgendwie zu bewegen, saß ich neben ihm. Meine Gedanken waren fast komplett abgeschaltet. Er beugte sich vor und ich sah in seine Augen, in denen ein seltsamer Glanz lag. Wieder mal von seinem Blick total verwirrt und in der seltsamen Stimmung gefangen, passte ich einen Moment nicht auf. Gaara zog das Shirt vollständig aus, beugte sich noch weiter vor und ich schloss unwillkürlich die Augen. Etwas in meinem Kopf wusste, was jetzt kam. Dann berührten seine Lippen meine. Mein Herz begann, wild zu klopfen. Ich vergaß zu atmen, bekam kaum noch Luft. Als Gaara merkte, dass mein Blutdruck verrückt spielte, ließ er mich los und rückte ein Stück von mir ab. „Tut mir leid.“ sagte er, „es ist auch für mich das erste Mal.“ Woher wusste er, dass das mein erster Kuss war? Ich hatte doch gar nicht daran gedacht! War meine Unerfahrenheit so offensichtlich? Er steckte die Hand aus, strich über den (wohl etwas zu tiefen) Ausschnitt meiner Bluse und begann, den obersten Knopf zu öffnen. Das war mir jetzt aber doch zu viel, obwohl ich seine Berührung wirklich mochte. Aber ich hatte ja den Kuss noch gar nicht richtig realisiert. Vorsichtig, aber bestimmt, löste ich seine Hand von meiner Bluse und schob sie weg. „Tut mir leid.“ sagte er wieder, „ich hab verstanden. Vielleicht später.“ Natürlich. Gaara war neunzehn. Dass nur Küsse da irgendwann nicht mehr ausreichten, war klar. Ich atmete tief ein, sagte mir „So, das war also mein erster Kuss. Ziemlich gut eigentlich, wenn auch anders, als ich es mir vorgestellt hatte“ Aber wie hatte ich mir den vorgestellt? Es hatte wohl mal eine Vorstellung existiert, aber ich konnte mich nicht mehr erinnern, wie die gewesen war. Gaara hatte meine sämtlichen Vorstellungen in Sachen Liebesleben innerhalb kürzester Zeit unkenntlich verwischt und mein Gehirn hatte diese Gedanken vergessen und durch die Erfahrungen ersetzt, die ich bisher mit ihm gemacht hatte: den ersten Blick, die erste Berührung, und jetzt auch den ersten Kuss. Ich warf einen Blick auf das rote Zeichen auf seiner Stirn. „Was heißt das eigentlich?“ fragte ich und zeigte vorsichtig darauf. „Licht und Dunkelheit. Das bedeutet mein Name.“ antwortete Gaara. „Aha.“ sagte ich nur. Mehr zu sagen, war auch gar nicht möglich, denn er nahm meinen Kopf sanft in seine Hände und küsste mich ein zweites Mal. Diesmal war ich wesentlich gelassener. Seine Lippen waren weich und so warm wie seine Hände. Sie bewegten sich vorsichtig und sanft auf meinen. Ein Hauch von Sand schien auch auf ihnen zu liegen. Es war ein bisschen so wie bei einer edlen, mir aber noch unbekannten Pralinensorte: Das erste Mal schmeckt sie überraschend, beim zweiten Mal weiß man schon ungefähr, was drin ist und erst dann genießt man sie. So gesehen hatte ich gerade die teuerste und einzigartigste, beste und wie für mich geschaffene Pralinensorte entdeckt. Ich wollte nie wieder eine andere probieren und den Genuss dieser einen Sorte solange wie möglich auf meinen Lippen halten. Eine Sonnenstahlreflexion blendete mich und ich rückte ein Stück weg, wobei sich meine Lippen leider von seinen lösten. „Was ist?“ fragte er und ließ mich los. Das glänzend schwarze, eckige Rohr, das die blitzende Reflexion ausgelöst hatte, verschwand aus dem Rahmen meines Fensters nach links. Im Innern des Rohrs erkannte ich einen kleinen Spiegel. Verhaltenes Kichern und kaum unterdrücktes, lachendes prusten drang durch die Wand zwischen Nami's Zimmer und meinem. Und ich schaltete: Das schwarze Teil war ein Periskop! So ein Teil, mit dem man um Ecken schauen konnte! Und das Fenster links gehörte zu Nami's Zimmer! Nami! Sie hatte es tatsächlich gewagt! Sie und Amy hatten uns durch das bescheuerte Periskop beobachtet. Das Kichern in Nami's Zimmer wurde alberner und lauter. Wie kindisch konnten elfjährige Mädchen sein! Ging´s denen eigentlich noch gut? Ich befürchtete hochgradig mangelnde Reife. Und ich war sauer. Diese beiden blöden Gänse hatten mir den ersten richtigen, wunderschönen Kuss meines Lebens kaputt gemacht! Ich sprang auf, schloss die Tür auf und rannte in Nami's Zimmer. Sie und Elvira saßen auf dem Teppich, zwischen ihnen eine Menge Kram, der verdächtig nach Spionage-Ausrüstung aussah. Das Periskop lag mittendrin. Die beiden kriegten sich kaum wieder ein vor Lachen. „ICH GLAUB, IHR SPINNT! KÖNNT IHR MIR MAL SAGEN, WAS DAS WERDEN SOLL?“ brüllte ich. „Du hast diesen Jungen aus der Schule in deinem Zimmer! Wenn ich das Mama erzähle, dann bist du dran!“ krähte Nami. Amy johlte. Kurzentschlossen und immer noch sehr sauer packte ich meine Schwester am Arm, schob sie auf den Flur raus und in die Abstellkammer. Elvira folgte ihr freiwillig. Ich schloss von außen ab, ignorierte Nami's kreischenden Protest und ging in mein Zimmer zurück. „Was ist denn?“ fragte Gaara. Er saß, wieder vollständig angezogen, auf meinem Bett. „Meine hinterhältige, miese Maulwurfsrattenschwester hat uns die ganze Zeit über ausspioniert“ schnaubte ich wütend. „Es war doch trotzdem schön, oder? Für mich hat es sich gut angefühlt.“„Und was machen wir jetzt? Ich muss hier raus.“ „Hanna, ich werde dir heute meine Familie vorstellen. Ich zeige dir meine Welt.“ sagte Gaara.
Kapitel 11
Auf dem Weg ins Japan-Viertel waren wir noch in das kleine, japanische Café gegangen. Als wir auf der Außenterrasse saßen und auf die Leute sahen, die emsig durch die Innenstadt liefen, fragte ich mich, warum niemand Gaara anstarrte. So, wie er aussah… na ja, anders eben und auffällig genug, damit sich ab und zu jemand nach ihm hätte umdrehen müssen. Was aber niemand tat. Fast kam es mir so vor, als ob die Leute ihn gar nicht richtig sahen, so wie einen flüchtigen Schatten, den man sofort wieder vergaß. War das so eine Ninja-Tarnung? Ich bestellte eine Cola. Auch bei der Kellnerin hatte ich das Gefühl, dass sie Gaara gar nicht richtig wahrnahm. Er bestellte nichts (wie Edward Cullen!). „Wir sind jetzt wohl zusammen, oder?“ fragte Gaara, sobald die Kellnerin verschwunden war. „Ja, ich glaube, so kann man das nennen.“ sagte ich. „Das ist ein ungewohntes Gefühl. Ich hab so was noch nie erlebt. Nicht mal annähernd.“ „Ich hatte in der siebten Klasse so was wie einen Freund, aber das war nichts. Ich hab ihn nicht einmal richtig geküsst.“ gestand ich, „aber das war ziemlich langweilig. Kein Vergleich zu dir.“ „Ich hätte jedes Mädchen in meinem Dorf haben können. Aber die sind… nett schon, aber nicht das, was ich mir unter einer festen Freundin vorstelle.“ „Und ich schon?“ fragte ich. „Du bist einfach so… ich weiß nicht…, nicht, wie ich das sagen soll, du bist…“ er rang sichtlich um Worte, die ausdrücken sollten, wie er mich sah. Das glaubte ich ihm. Er schien nicht genau zu wissen, wie er seine Gefühle für mich in Worte fassen sollte. Die beiden Küsse eben hatten da schon weit mehr Aussagekraft gehabt. Er hatte mich sehr gern. Das wusste ich jetzt sicher. „Mal was anderes: Wie heißt das Dorf, aus dem du kommst?“ fragte ich, um ihm weiteres Um-Worte-Ringen zu ersparen. „Suna Gakure. Es liegt in der Wüste und wurde aus Sand gebaut. Deshalb kann ich auch so gut mit Sand umgehen. Sand ist mein Leben.“ sagte Gaara. Mir fiel die dünne Sandschicht auf seiner Tischhälfte in der Schule ein. Und die Unmenge Sand bei dem Unfall am letzten Montag. Der Sand, der um ihn herum war, wenn es ihm nicht gut ging. Seine Hände und seine Lippen, die sich anfühlten, als wären mikroskopisch kleine Sandkörner auf seiner Haut. „Was war eigentlich letzten Montag los? Wie kam es zu dem Unfall?“ fragte ich weiter. „Ich habe zum ersten Mal ein Jutsu in dieser Welt versucht. Ichii hat sich eingemischt, ich hatte es an dem Tag irgendwie nicht mehr so gut im Griff. Lag vielleicht an dir. Temari hat noch versucht, mir zu helfen, aber Ichii ist einfach zu stark. Es ist sehr eigensinnig.“ „Und dabei hast du es geschafft, die Turnhalle in eine einsturzgefährdetes Gebäude zu verwandeln?“ „Wie gesagt, Ichii ist sehr stark. Ichibinai sind nicht schwächer als Bijuu-Geister, sie sind nur gut und eben keine Dämonen mehr. Wenn ein Ichibinai wie Ichii richtig wütend ist, ist es fast so gefährlich wie früher, als es ein Bijuu war.“ sagte Gaara.
Ich nahm einen Schluck aus meiner Cola. Die Situation hatte wirklich was vom „Dinner for two“ aus „Bis(s) zum Morgengrauen“. Bella und Edward, die in einem Café saßen und über Dinge redeten, die für die meisten Menschen nicht normal waren. Die Parallelen zu Bellas Leben nahmen zu. Hoffentlich wurde das nicht zu viel. „Wenn du Lust hast, kannst du bei uns zu Hause essen. Oma Chiyo würde sich freuen.“ bot er an. „Na klar, danke.“ ich lächelte.
Kapitel 12
Das Haus im Japan-Viertel, vor dem wir stehen blieben, war ein breites, einstöckiges und ziemlich hübsches Reihenhaus im Japanischen Stil mit Holztür und blauen Dachziegeln. Es hatte weiß verputzte Außenwände und hölzern vergitterte Fenster. Von außen sah es genauso aus wie die anderen Häuser im Viertel, aber aus den Fenstern strahlte eine seltsame Ausstrahlung, die der ähnelte, die von seinen Bewohnern ausging. Gaara streckte seine Hand aus, eine kleine Sandwolke kam aus seinem Ärmel, berührte die Tür und brachte sie kurz zu einem schwachen Aufleuchten. Ist das so ein spezielles Sicherheitssystem?“ fragte ich. Er nickte und schob die Tür auf. Wir betraten eine große, quadratische Diele mit glänzendem Holzboden. Das Haus sah innen zwar japanisch aus, aber ich hatte Recht mit der Ausstrahlung. Sie war anders und ich kam mir zuerst wie ein Fremdkörper in diesem Haus vor, das wie der Ausläufer einer anderen Welt war. Diese Welt hatte irgendwie einen Unterschied zu dieser Welt, was das Aussehen allgemein betraf. Nur kam ich wieder nicht drauf, was es war. Ich zog automatisch meine Sandalen aus, der Boden war so blitzblank, dass ich fast versucht war, auf Zehenspitzen zu laufen. „Oma?“ rief Gaara, „bist du zu Hause?“ „Oma Chiyo ist einkaufen gegangen.“ antwortete eine Stimme aus einem der Zimmer, die von der Diele abgingen. Eine Tür wurde aufgeschoben. Der junge Mann, der jetzt die Diele betrat und zu dem wohl auch die Stimme gehörte, hatte genauso rotes Haar wie Gaara, vielleicht etwas heller, das in kurzen, leichten Wellen sein auffallend hübsches, jugendliches Gesicht umrahmte. Seine Augen waren ziemlich groß, braun und blickten mit einem Hauch von gelangweilter Überheblichkeit unter seinem sanft gewellten Pony hervor. Ich schätzte ihn auf höchstens zwanzig Jahre. Er trug einen langen, schwarzen Mantel mit weiten, hoch stehenden Kragen. Auf dem seidig aussehenden Stoff war ein seltsames Muster aufgedruckt: tiefrote, weiß umrandete Wolken. Der Typ sah wirklich auffallend gut aus, wenn sein Gesicht auch irgendwie kindlich und unecht wirkte. Aber die Mischung aus Eleganz und Langeweile, die ihn umgab, als er seinen Kopf leicht zu Seite neigte und seine Lippen zu einem freundlichen Lächeln formte, während seine Augen reglos gelangweilt blieben, war mir etwas unheimlich. „Sasori, was machst du denn noch hier?“ fragte Gaara, „musst du nicht eigentlich arbeiten?“ „Ich bin rausgeflogen in Elyses. Die haben meine Papiere nicht akzeptiert und dann ist was gestohlen worden und gleich hieß es natürlich wieder, ich sei es gewesen.“ antwortete Sasori. Sein Blick wurde angespannt. „Hast du es Oma schon gesagt?“ fragte Gaara. „Nein. Sie denkt, ich hätte die Schicht getauscht und dass ich deswegen heute nicht arbeite. Wenn sie erfährt, dass ich schon wieder keine Arbeit habe, bringt sie mich um.“ sagte Sasori. Die ungeheure Perfektion seines Aussehens kam mir immer seltsamer vor. Ich gab mir jedoch Mühe, ihn nicht allzu sehr anzustarren. „Wer ist die eigentlich?“ fragte er mit einem flüchtigen, kaum interessierten Blick auf mich. „Das ist Hanna Jones. Sie geht in meine Klasse.“ antwortete Gaara.
„Du hast dir eine Freundin gesucht? Was weiß sie über dich, über uns und unsere Welt?“ fragte Sasori. Trotz dieser Frage wirkte er seltsam unbeteiligt. „Ich weiß, dass ihr Ninjas seid und das mit den Ichibinai. Sonst weiß eigentlich nichts.“ antwortete ich schnell. „Du meinst es erst mit ihr?“ fragte Sasori zu Gaara gewandt. „Ja. Sonst hätte ich ihr nichts erzählt.“ Plötzlich wurde Sasoris Verhalten freundlicher. Er streckte mir seine Hand entgegen: „Ich bin Sasori, Gaara's Cousin.“ seine Fingernägel waren dunkelgrün lackiert. Ich hatte, wie gesagt, beschlossen, nichts von dem hier allzu seltsam zu finden und deshalb war es mir einfach egal, obwohl ich noch nie einen Typen mit farbig lackierten Fingernägeln gesehen hatte. Ich nahm Sasori's Begrüßung an. Seine Hand fühlte sich seltsam an, wie die einer lebensgroßen Holzpuppe, die man mit Haut überzogen hatte. Er wurde mir langsam wirklich unheimlich. Irgendwas war mit ihm nicht in Ordnung. Die Haustür wurde aufgeschoben. „Ich bin wieder da!“ rief eine alt klingende Frauenstimme hinter mir. Ich drehte mich um. In der Tür stand eine recht kleine, alte Frau. Sie trug ein langes, schwarzes Gewand mit einem weißen Schultertuch, das mich irgendwie an die Kleider arabischer Wüstenbeduinen erinnerte. Ihre blass-lilagrauen, schulterlangen Haare waren zu einem kleinen Dutt auf ihrem Kopf aufgesteckt und an ihrem Arm hing ein großer, randvoll mit japanischem Essen gefüllter Einkaufskorb. Obwohl sie klein und alt war, mit Falten und Flecken im Gesicht, strahlte sie eine gewisse, nicht unerhebliche Autorität aus. Ihre Stimme klang natürlich alt, aber doch fest und bestimmt. „Sasori, hast du die Haushaltsabrechnung für diese Woche fertig?“ fragte sie sehr bestimmt. Ich war mir sicher, dass es sich bei ihr um Oma Chiyo handelte. Nach dem, was Gaara mir heute Morgen über sie erzählt hatte, konnte sie nur seine Oma Chiyo sein. Diese Oma war wahrscheinlich einiges, aber auf keinen Fall ein „altes Eisen“. „Ja, Oma. Es ist alles erledigt.“ antwortete Sasori. Er wich dem Blick seiner Großmutter aus, das war deutlich zu sehen. Chiyo bemerkte mich. Sie musterte mich aufmerksam und interessiert von oben bis unten. Dann lächelte sie freundlich. „Und du musst wohl Hanna sein. Gaara spricht seit Tagen von dir.“ sagte sie. Ich wurde ein bisschen rot. Gaara sprach also zu Hause von mir! Schüchtern verbeugte ich mich und kam mir dabei fast wie eine Japanerin vor. Chiyo lächelte wieder. „Ich bin Chiyo. Du kannst ruhig Oma zu mir sagen, Hanna.“ sie hielt mir ihre Hand hin. Ich nahm an. Chiyos Hand fühlte sich fast genauso an wie die Hand meiner Oma Yukino. „Sasori, da kannst du dir mal eine Scheibe von abschneiden. Gaara hat jetzt eine Freundin und du immer noch nicht.“ sagte Chiyo. „Oma, muss das jetzt sein?“ fragte Sasori. Chiyo sah ihn mit einer deutlichen Spur erzieherischer Strenge an, die ich irgendwie unpassend fand. Sasori war doch mindestens zwanzig, auch, wenn er so jung aussah. Er arbeitete doch schon, während Gaara und Temari noch zur Schule gingen. „Hast du wenigstens die Küche aufgeräumt und die Werkstatt? Wenn ich was kochen soll, muss die Küche tipptopp sein, also, ist sie es auch?“ fragte Chiyo. „Ja, die Küche ist aufgeräumt.“ sagte Sasori. Diesmal sah er Chiyo in die Augen. „Und die Werkstatt?“ hakte Oma (so durfte ich sie ja nennen) nach. Sasori nickte, aber diesmal sah er eindeutig auf den Boden. Ich war mir sicher, dass er log. Aber warum? Aus Faulheit oder gab es einen anderen Grund? „Was gibt’s denn zu essen?“ fragte er. „Das siehst du noch früh genug, Junge. Wie wäre es ausnahmsweise mal mit ein wenig Geduld?“ erwiderte Chiyo schnippisch. „Ich kann es nicht ausstehen, wenn man mich warten lässt.“ sagte Sasori mit einem merkwürdigen Tonfall. Es klang irgendwie ein bisschen so, als würde er sich selbst zitieren. „Dein Spruch wird auch langsam alt, Sasori. Und du musst trotzdem warten. So was wie damals lass ich dir jedenfalls nicht noch einmal durchgehen, hast du mich verstanden?“ sagte Chiyo streng. Ich wusste zwar nicht, wovon sie da sprach, aber Sasoris unbeteiligt - gelangweilter Gesichtsausdruck wich einem halbwegs schuldbewussten Gesichtsausdruck, der jedoch seine Augen kaum erreichte. „Ja, Oma Chiyo. Ich hab dich verstanden.“ er verbeugte sich leicht. „So geht das jeden Tag mit den beiden.“ flüsterte Gaara in mein Ohr, „Sasori fängt ständig Streit mit Oma an.“ Temari und Kankuro tauchten von irgendwoher auf. Kankuro hatte eine Art seltsame, dunkellila Kriegsbemalung im Gesicht. „Mein Zimmer ist perfekt aufgeräumt. Oma, Ich hab Hunger!“ rief Temari fröhlich. Sie trug einen langen, schwarzen Kimono mit schmalen Ärmeln. Chiyo's Tonfall wurde, als sie sich Temari zuwandte, auf einen Schlag wieder freundlich: „Ich fang sofort mit dem Kochen an. Hanna, du isst bestimmt gern mit uns, oder?“ „Ja, gerne. Vielen Dank.“ ich verbeugte mich. „Deine Freundin weiß wirklich, wie man sich gut benimmt, Gaara. Du hast eine wirklich sehr gute Wahl getroffen.“ lobte Chiyo. „Mit solchen blöden Schnepfen, wie sie hier sonst so herumlaufen, gibt Gaara sich doch gar nicht erst ab.“ Kankuro grinste, „die sind doch gar nicht gut genug für ihn.“ War ich etwa gut genug? Was war denn an mir so anders? Aber ganz offensichtlich gefiel ich Gaara's Familie. Sie Hielten mich ganz offenbar für etwas Besonderes. Und sie waren glücklich, dass Gaara eine Freundin gefunden hatte. Das war besonders Temari deutlich anzumerken, denn sie sah mich mit einem derartig glücklichen Lächeln an, dass ich ganz verlegen wurde. Und als Gaara kurz meine Hand nahm, schien Temari förmlich abzuheben und zu schweben. Eine halbe Stunde später saßen wir alle um einen flachen, langen Tisch herum, der die Diele in ein Esszimmer verwandelt hatte. Es gab Sushi mit Dashi, einer durchsichtigen Suppe aus Seetang und Fisch. Das Essen mit Stäbchen war zuerst etwas ungewohnt, aber ich hatte in den Ferien ein bisschen geübt und gab mir größtmögliche Mühe, denn ich wollte vor Oma Chiyo einen guten Eindruck machen. Ich konnte kaum glauben, dass die Ferien erst eine Woche her waren. Ich hatte das Gefühl, dass die Zeit, als ich noch nie in Gaaras hellgrüne Augen gesehen hatte, ein ganz anderes Leben gewesen war. „Morgen kommen die anderen.“ sagte Chiyo, „die aus Konoha Gakure.“ „Hanna wird sie bestimmt mögen. Ich stelle sie ihr morgen früh in der Schule vor.“ versprach Gaara, zu Chiyo gewandt. Dann sah er mich an. Seine Augen lächelten, aber sein übriges Gesicht schien immer noch nicht imstande, seine Gefühle für mich auszudrücken. „Und ihre Namen sagst du mir immer noch nicht?“ fragte ich. „Nein. Sie müssen sich dir selbst vorstellen.“ „Warum denn?“ ich verstand den Grund nicht. Aber eigentlich kannte ich das ja von Gaara: das Geheimnisvolle, das Rätselhafte, das etwas Verschlossene. Es faszinierte mich. Ich konnte gar nicht erwarten, mehr über sein Leben zu erfahren und tiefer in seine Welt einzutauchen, ihn besser kennenzulernen. Vielleicht war der Grund für die ständige Geheimnistuerei ja auch die Ninjatarnung? Nach dem Mittagessen begannen alle mit der Hausarbeit. Ich gewann den Eindruck, dass Arbeit und Ordnung in diesem Haus sehr wichtig waren. Wahrscheinlich lag das auch daran, dass Oma Chiyo die Erfüllung der haushaltsüblichen Pflichten aller Familienmitglieder genau kontrollierte. „Komm, Hanna. Ich zeig dir mein Zimmer.“ sagte Gaara. Er schob die Tür links neben Sasori's Zimmer auf. Es war, als würde man eine Düne betreten, die in ein Haus gewandert und in einem einzigen Raum eingeschlossen worden war: das Zimmer lag etwas höher, eine etwa fünfzehn Zentimeter hohe Schwelle direkt hinter der Tür verhinderte, dass der Sand, der den Boden zentimeterdick vollständig bedeckte, in die blitzblanke Diele gelangte. Als ich den Sand barfuß betrat, erinnerte ich mich an den letzten Sommerurlaub am Meer. Auf dem Sand lag ein weißer Futon, auf dem nicht das geringste bisschen Sand zu erkennen war. Es gab eine einfachen, schmalen Schrank, ein kleines Regal mit Büchern und einen flachen Schreibtisch wie die Tische in der Schule. In der Ecke gegenüber dem Futon stand ein hohes, tönernes Gefäß, der aussah wie zwei große Kugeln übereinander. An dem Gefäß waren eine Art Trageriemen in derselben Farbe wie Gaaras Weste befestigt. Das Gefäß war randvoll mit Sand. Der war brauner als der helle Sand auf dem Boden. „Mein eigener, besonderer Sand. Er ist die Grundlage meiner Jutsus.“ erklärte Gaara.
„Es ist sehr, ähm, aufgeräumt, dein Zimmer.“ bemerkte ich. „Ich bin hier meistens im Arbeitszimmer. Mein Zimmer in Suna Gakure ist schöner.“ sagte er. „Bist du immer hier oder eher in deinem Heimatdorf?“ „Wir schlafen meistens in Suna. Es gibt eine Verbindung zwischen diesem Haus und dem in Suna.“ „Zeigst du es mir irgendwann?“ „Später. Jetzt musst du erst mal in unsere Welt rein finden. Ich zeig dir am besten gleich das ganze Haus.“ Neben Gaara's Zimmer lag ein Raum, dessen Tür nur aus einem hölzernen Gitter bestand, das nicht mit Papier bespannt war. Gaara schob das Gitter beiseite. „Die Küche. Oma Chiyo's Reich.“ sagte er und zeigte auf einen großen, altmodischen Herd, der aussah wie aus einem europäischen Freilichtmuseum. „Habt ihr keinen Strom im Haus?“ fragte ich verwundert, denn nirgends war irgendein Hinweis auf Steckdosen oder irgendwelche anderen elektrischen Einrichtungen zu sehen. „Oma Chiyo macht sich nicht viel daraus.“ antwortete Gaara. Neben dem Herd stand ein Regal mit Reisschalen, Teetassen und kleinen Schälchen. In einem Becher steckten mehrere Paare von Essstäbchen, daneben standen Sushi-Gerätschaften, Porzellan-Teekannen und eine aus schwarzem Gusseisen. Auf dem Boden standen Beutel mit Reis, Kisten und Krüge mit Seetang, dazu Einlegegläser. Bis auf den europäischen Herd war die Küche ein Muster japanischer Küchentradition. „Mal sehen, ob Temari uns in ihr Zimmer lässt.“ Gaara deutete auf eine, mit bunt bemaltem Papier bespannte Schiebetür auf der anderen Seite der fast quadratischen Diele. Durch das Papier schimmerten Farben hindurch und ich fragte mich, wie Temaris Zimmer aussah. Die Tür zu dem Raum neben der Haustür, aus dem Sasori vorhin gekommen war, war offen und ich warf einen flüchtigen Blick hinein, als ich mit Gaara die Küche verließ. Der Raum war ein Arbeitszimmer. Ein deckenhohes Regal stand an der Wand, randvoll mit Schriftrollen und Büchern. Nach wenigen Schritten standen wir vor der bunten Papiertür. „Temari?“ fragte Gaara. „Kommt rein, die Tür ist offen.“ antwortete Temari von drinnen. Gaara schob die bunte Tür auf. Mir schlug ein wunderschöner, blumiger Duft nach Grünpflanzen, Hyazinthen, Rosen und Schmetterlingsblüte entgegen. Mein erster Eindruck von Temari's Zimmer war: duftend, bunt und blumig, ein grüner Regenwald. Es war riesig, jedenfalls größer als meines und überall standen bunt blühende, tropische Pflanzen und andere blumige Dinge. Ich musste blinzeln, um in der ungeheuren Vielfalt einzelne Details erkennen zu können. Ich betrat den mit Parkett ausgelegten Raum und drehte mich um. Die Wand um die Tür herum war mit einer Unmenge von Fächern in allen Größen und Farben bedeckt, zwischen denen eine grünweiße Tapete hindurch schimmerte. „Meine Fächersammlung.“ sagte Temari stolz, „ich hab jeden von denen schon im Kampf verwendet.“ Der mit Abstand größte Fächer war weiß mit einem schlichten, roten Muster (das man aber, weil er zusammengeklappt war, nicht erkennen konnte) und schwarzem Rahmen. Er stand in der Ecke und war so hoch, dass er Temari bis zum Ellbogen reichte. Dieser Fächer schien ihr meistbenutzter zu sein, denn er hatte eine Menge Kratzer auf dem schwarzen Lack. Die anderen drei Wände waren mit einer sanftgrün-weißen Seidentapete bedeckt, die eine gleichmäßig wiederholte japanische Landschaft zeigte. Über einem mehrstöckigen Regal, auf dem fünf wunderschöne Kirschbaum-Bonsai standen, hingen hübsche japanische Bilder mit Landschaften und Tieren drauf. Das größte zeigte eine Gruppe Kraniche in einer verschneiten Winterlandschaft, vielleicht auf Hokkaido. Neben den Bildern in Rahmen waren zwei Rollbilder mit frühlingshaften Tierbildern aufgehängt. Überall, in jedem Zwischenraum, auf jedem Möbelstück und in jeder Ecke standen und hingen Blumen, grüne Pflanzen, Dekoschmetterlinge und kleine Topfpalmen. Es gab nicht das geringste Anzeichen dafür, dass die Bewohnerin dieses Zimmers ein Mädchen aus der Wüste war. Kein Sand, kein Bild, auf dem eine Wüstenlandschaft zu sehen war, noch nicht mal ein Kaktus. Denn die einzige Pflanze, die als Kaktus zu bezeichnen war, trug riesige, nektarreiche, grellpinke Blüten, wie sie in der Wüste sicher nicht vorkamen. An der rechten Wand des Zimmers stand zwischen einem von Hängeblumen fast völlig zugewachsenen, blumig duftenden Regal ein zweitüriger, mit bunten Scherben und Blumenstickern beklebter Kleiderschrank. Auf jeder Tür war ein Wesen abgebildet, ein blaues und ein rosafarbenes. Die glichen Drachen. Temari's Bett war ein weißes Metallbett mit Rosenranken und grüner Blümchenbettwäsche. Und über dem Kopfende hing der einzige Wüstenhinweis des Zimmers: Ein Foto vor einer weiten Wüstenkulisse. Temari und Kankuro, zwischen ihnen Gaara mit einem sanften Lächeln in den Augen. „Gefällt dir mein Zimmer?“ fragte Temari. „Es ist sehr… grün. Und… ziemlich bunt.“ sagte ich vorsichtig. Temari lächelte. Sie schien immer noch allein von der Tatsache, dass Gaara jetzt eine Freundin hatte, vollkommen begeistert. „Du fragst dich sicher, warum es hier so ganz anders aussieht als in Gaaras Zimmer. Ich mag Blumen, Regen und Schnee deshalb so gern, weil es das in Suna Gakure nicht gibt. Mein Zimmer ist da der grünste Ort des ganzen Dorfes.“ erklärte sie, „ich mag Suna, aber ich mag eben auch sehr gern die Sachen, die es dort nicht gibt.“ Inzwischen war es halb zwei Uhr. „Du hast meine Familie kennengelernt, Hanne. Jetzt solltest du mich deinen Eltern vorstellen.“ sagte Gaara. Ich glaubte, eine gewisse Unsicherheit in seiner rauen Stimme zu hören. „Also, ich weiß nicht. Meine Eltern sind ein bisschen… unflexibel. Aber ich kann dich ja auch nicht ewig geheim halten.“ Als wir zu zweit bei mir zu Hause ankamen, schlug mir gleich eine Welle von Vorwürfen entgegen. Mom kam schimpfend und in ihrem Arbeitskostüm die Treppe herunter. „Warum hast du Nami und Amy eingesperrt? Und wer ist dieser Junge da?“ fragte sie und zeigte und zeigte auf Gaara, der hinter mir die Treppe heraufkam. „Das ist Gaara. Er geht in meine Klasse.“ antwortete ich und versuchte, angesichts ihres abschätzigen Tonfalls ruhig zu bleiben. Als Mom ins Wohnzimmer lief, blieb ich vor meiner Zimmertür stehen und sagte zu Gaara: „Warte erst mal in meinem Zimmer. Ich muss jetzt erst meine Eltern beruhigen. Das macht dir doch nichts aus, oder?“
„Nein. Ich komm schon damit klar.“ er setzt sich auf die Kante meines Bettes. Es tat mir wirklich leid, dass meine Eltern sich ihm gegenüber so unmöglich aufführten. Als ich das Wohnzimmer betrat, warteten Mom, Dad und Nami schon auf mich. Meine Schwester grinste schadenfroh. „Hanna, wer ist dieser Junge?“ fragte Dad ungeduldig. „Er heißt Gaara, er geht in meine Klasse und wir sind seit Freitag zusammen.“ „Nun, Hanna, er sieht etwas seltsam aus, findest du nicht? Ich denke nicht, dass er für dich… geeignet ist. Wir möchten nicht…“ begann Mom. Ich hatte genug. Dass sie so oberflächlich waren, regte mich wahnsinnig auf. „IST DOCH EGAL, WIE ER AUSSIEHT! ER IST DER TOLLSTE, SCHÖNSTE UND WUNDERVOLLSTE JUNGE, DEN ICH JE GETROFFEN HABE!“ schrie ich. Wahrscheinlich hörte Gaara in meinem Zimmer jedes Wort. „Hanna!“ rief Mom, über meinen Schreianfall offensichtlich entsetzt. „Der hat sie geküsst. Aber so richtig. Ich hab´s gesehen!“ krähte Nami. „Stimmt das, Hanna?“ fragte Dad. „Kann sein. Geht euch aber nichts an! Versucht ja nicht noch einmal, euch da einzumischen. Nami und Amy haben mich richtig ausspioniert!“ ich wurde jetzt echt sauer. „Hanna, uns ist dein Umgang wichtig. Du sollst nicht in falsche Kreise geraten.“ sagte Mom in diesem ätzenden Erzieherton, den ich bisher nur aus diesen schwachsinnigen Sozialfall-Soaps kannte. Wenn die wüssten, dass ich auf dem besten Weg war, mich einer Ninjafamilie anzuschließen! „Es war ein echt heißer Kuss!“ quietschte Nami, offensichtlich froh darüber, dass sie mich in die Enge getrieben hatte. „Halt den Mund!“ fuhr ich sie an, „warum macht ihr so ein Theater? Bei Jack habt ihr nichts gesagt, da habt ihr euch noch gefreut, dass ich schon einen Freund hatte.“ „Du hast Jack nicht geküsst und das war ja dann auch bald zu ende mit dem.“ sagte Mom, „außerdem kannten wir seine Eltern.“ „Das mit Jack war ja auch nichts, gar nichts. Mit Gaara ist das was ganz anderes. Und ich bin keine dreizehn mehr.“ „Warum ist es denn was anderes?“ fragte Mom. „Weil das mit Jack nur so ein Schulhofding war. Ich war noch nicht mal richtig verknallt in ihn. Aber jetzt bin ich verliebt, versteht ihr? Für Gaara habe ich echte Gefühle. Ihr mögt ihn doch nur nicht, weil er anders ist und seine Anwesenheit euch deutlich zeigt, dass ich kein kleines Kind mehr bin. Aber ich mag ihn sehr gern und zwar auch, weil er anders ist.“ „Hanna, wir wissen doch, wie Leute sind, die nicht normal aussehen.“ beharrte Dad. Ich hasste diesen bescheuerten, vorurteilsvollen Tonfall! „Wie ist denn so sein Umfeld, seine Familie und so?“ fragte Mom. Sie klang von vorneherein misstrauisch. Oh, meine Güte, das war wirklich wie in so einer blöden Soap! Ich war so kurz vorm Überkochen! „Dann fragt ihn doch am besten selbst! Wenn ihr keine Angst habt, dass er euch mit Anderssein ansteckt!“ ich stand auf und lief in mein Zimmer. “Der wundervollste Junge den du je getroffen hast“?“ zitierte Gaara mich mit einem sanften Lächeln in den Augen, „das ist ein schönes Kompliment. Oder war das eine Liebeserklärung mit Umweg?“ Ich wurde rot. Er hatte wirklich jedes Wort gehört! „Und du bist verliebt? In mich? Wirklich?“ fragte er, als könnte er es nicht glauben. Ich wurde noch röter. Jedes Wort! Oder er (beziehungsweise Ichii) hatte meine Gedanken gehört. „Tut mir echt leid. Aber meine Eltern sind ein bisschen… schwierig. Sag ganz einfach nichts, was sie bestätigen könnte. Sag alles ein bisschen so, wie die Leute in der Schule das sagen würden.“ ich hatte ein ziemlich schlechtes Gewissen, weil ich Gaara so verbiegen musste, aber es war die einzige Möglichkeit, damit meine Eltern ihm keine Probleme machten. „Kein Wort über Ichii, den Sand oder Sasori. Alles normal. Okay.“ antwortete er. Wir gingen Hand in Hand ins Wohnzimmer und ich spürte, wie sich der Sand direkt unter seiner Haut tiefer in seinen Körper zurückzog. Meine Eltern starrten Gaara an, als käme er von weit hinter dem Mond. Ich fragte mich, ob er ihre Gedanken hörte und ob ihre Ablehnung ihn verletzte. Seinem Gesicht war nichts anzusehen. Oder hatte ich einfach noch nicht gelernt, in seinen so außergewöhnlichen Zügen zu lesen? Ich legte meine linke Hand, die seine hielt, demonstrativ auf mein Knie, sodass unsere Verbindung deutlich zu sehen war. Damit er sich nicht aufregte, streichelte ich seinen Handrücken mit meinem Daumen. Vielleicht half ihm das, ruhig zu bleiben und die Ablehnung meiner Eltern nicht so ernst zu nehmen. „Wo kommst du her?“ fragte Mom. Gaara wirkte kontrolliert, als er antwortete: „Ich wohne hier im Japanerviertel. Wir sind aus einem kleinen Dorf in Japan hergekommen.“ „Du sprichst aber sehr reines Deutsch.“ stellte Dad fest. „Wir sprechen zu Hause meistens nur Deutsch. Ich habe beide Sprachen von klein auf gelernt.“
„Wie viele seid ihr denn zu Hause?“ „Wir sind fünf. Mein älterer Bruder, meine ältere Schwester, meine Großmutter, mein Cousin und ich.“ antwortete Gaara. „Und deine Eltern?“ fragte Mom.
Gaaras Hand schloss sich fester um meine und ein wenig Sand trat auf seine Haut. Auf einen Schlag wirkte er angespannt. Ich strich sanft mit meiner rechten Hand über seinen Arm. Ihn zu berühren, war in diesem Moment die einzige Möglichkeit, ihn wieder ruhig zu bekommen. „Meine Mutter ist gestorben, als ich fünf war. Sie hatte einen Unfall. Und mein Vater ist sehr krank. Er liegt in einem Krankenhaus in Japan, in dem Dorf, aus dem wir kommen.“ antwortete Gaara. Er sah mich kurz an und seine Augen sagten: „Danke, dass du mich beruhigt hast.“ Ich war froh, dass ich ihn heute Morgen nicht nach seinen Eltern gefragt hatte. „Oh, das tut mir leid.“ sagte Mom und ich hoffte, dass sie Gaara nicht in die Schublade „Armer, trauriger Junge ohne Eltern lebt bei seiner Oma“ steckte. „Fragt ihn doch nicht so aus? Seine Familie ist okay, seine Schwester Mari geht auch in unsere Klasse.“ Irgendwie kapierten meine Eltern. Zumindest etwas. Alles konnte ich wohl nicht verlangen. „In Ordnung. wir haben nichts dagegen, dass ihr zusammen seid.“ sagte Dad. Ich kam mir total bescheuert vor, das war wie in so einem uralten Film, in dem die Eltern einer Beziehung erst zustimmen mussten. Als ich mit Gaara zurück in mein Zimmer ging, hörte ich, wie Mom und Dad Nami wegen der Spionageaktion zusammenstauchten. Den Rest des Nachmittags versuchte ich, Gaara wegen Mathe zu helfen. Es wurde nicht viel daraus, er schien überhaupt kein Gefühl für Zahlen zu haben. Gegen sieben ging er nach Hause und ich konnte kaum erwarten, ihn wiederzusehen. Auch in dieser Nacht war er der einzige Inhalt meines Traums.
Kapitel 13
Als ich am nächsten Tag, Dienstag, in die Schule kam, wartete Temari schon in der Aula auf mich.
„Tag, Hanna! Komm mit, die warten schon.“ sagte sie und zog mich in einen abgelegenen Seitengang. Der endete in einem einfach gewendelten Treppenhaus. „Wer wartet?“ fragte ich, denn es war niemand zu sehen. Der Gang war leer. „Die Ninjas aus Konoha Gakure.“ antwortete Temari.
„Eeeey, wo bleibt Temari denn? Und wo steckt Gaara schon wieder?“ rief eine Stimme, wie ich sie so wahrscheinlich noch nie gehört hatte, über mir auf der zweiten Etage der Treppe. Es war eine Jungenstimme, die wahrscheinlich einem Jungen in meinem Alter gehörte und sie war seltsam quietschend, obwohl der Junge den Stimmbruch vielleicht schon hinter sich hatte. „Nun reg dich nicht so auf, Naruto! Gaara hat doch gesagt, Ichii ist seit ein paar Tagen ziemlich schräg drauf und das soll doch hier keiner mitkriegen.“ erwiderte eine andere Jungenstimme, die allerdings härter und erwachsener klang und seltsam zweilagig war. „Sasuke, du hast eine Feder am Rücken.“ sagte eine Mädchenstimme. Sie klang im Vergleich zu den beiden Jungs recht normal. „Echt?“ „Warte, ich mach sie ab.“ Eine kleine hellgraue Feder segelte die Treppe herab und blieb vor meinen Füßen liegen. Aber als ich sie aufheben wollte, löste sie sich in einen grauen Nebel auf, der verschwand, als wäre er nie da gewesen. „Sie warten.“ sagte Temari und stieg vor mir die Treppe hinauf. Ich folgte ihr, neugierig, wie der Junge mit der Quietschstimme aussah. Der Erste, den ich sah, war ein Junge mit leuchtend gelbblondem Haar, das in einer Stachelfrisur vom Kopf abstand und mit einem Ninjastirnband zumindest etwas gebändigt wurde. Er hatte große, leuchtend blaue Augen und ein offenherziges Lächeln. Das Zeichen auf seinem Stirnband war eine Art Kringel mit einer Ecke unten links und erinnerte mich an ein Schneckenhaus. Das einzige, was im Gesicht des Jungen auffälliger war als seine Augen und sein Haar waren die Striche auf seinen Wangen, auf jeder Seite drei, die aussahen wir die Schnurrhaare einer Katze. „Hey, ich bin Naruto Uzumaki!“ stellte er sich grinsend vor. Es war der Junge mit der Quietschstimme. Die Stimme passte perfekt zu ihm: auffallend und leuchtend. Seine Klamotten waren genauso. Eine grellorange-schwarze Trainingsjacke und eine genauso orangene Dreiviertelhose. Dazu schwarze Ninjaschuhe. Naruto war der strahlendste und auffälligste Junge, den ich je gesehen hatte. Von nun an würde ich seine Stimme wahrscheinlich überall wiedererkennen. „Wie hast du das denn geschafft? Wie hast du das gemacht, mit Gaara zusammenzukommen?“ fragte mich der Junge, der neben Naruto stand. Es war der Junge mit der harten Stimme, den das Mädchen- die dritte der Ninjas aus Konoha- Sasuke genannt hatte. „Es muss ziemlich schwierig gewesen sein.“ fügte er noch hinzu. „Nein, eigentlich war es ganz einfach. Gaara mag mich wohl einfach. Das hat er gesagt.“ antwortete ich. Irgendwie verstand ich die Frage nicht so ganz. Dass Gaara zu den Leuten aus der Schule kaum Kontakt hatte und für unsere Klassenkameraden schwer zu durchschauen war, wusste ich ja inzwischen. Aber ich hatte gedacht, dass das nicht für die Leute aus seiner Welt gelten würde. Ich war davon ausgegangen, dass Gaara den Leuten gegenüber, die seine wahre Identität kannten, nicht so verschlossen war wie hier in der Schule. Vor seinen Freunden musste er doch nichts verbergen.
„Jetzt stell dich endlich vor!“ quietschte Naruto und stieß den anderen Jungen mit dem Ellbogen an.
„Ist ja gut, Naruto, krieg dich wieder ein. Ich bin Sasuke Uchiha.“ sagte Sasuke, „der allerbeste Kumpel von dem Chaosninja hier.“ er zeigte auf Naruto. Ich sah ihn etwas genauer an: Er hatte sehr helle Haut und ein schönes, aber im Augenblick etwas genervt wirkendes Gesicht. Sein Haar war tiefschwarz, so schwarz, dass es an einigen Stellen dunkelblau schimmerte. Es rahmte sein Gesicht mit zwei, mehr als kinnlangen, breiten Strähnen und stand am Hinterkopf ziemlich weit ab. Er trug ein einfaches, dunkelblaues T-Shirt, das seine helle Haut blass wirken ließ und auf seinen perfekten, gut trainierten Körper hindeutete. Dazu trug er eine schwarze Dreiviertelhose und die typischen Ninjaschuhe. Das Konoha-Ninjastirnband hatte er um seinen Hals gebunden. Sasukes schwarze Augen musterten mich mit einer Mischung aus Neugier und leichter Abwertung. Er war ein ziemlich klarer Fall eines gutaussehenden Mädchenschwarms: schön, aber kühl und selbstbewusst.
„Wo ist eigentlich Gaara?“ fragte ich Temari. „Irgendwo draußen. Mardi spinnt mal wieder ein bisschen rum. Wegen Kyu und Jubi. Die machen sich gegenseitig kirre.“ antwortete Temari. „Kyu und Jubi? Wer sind das?“ fragte ich. „Kyu ist mein Ichibinai-Fuchs.“ sagte Naruto, „früher war Kyu der Neunschwänzige.“ Ach so. Die Ichibinai. Gaara hatte mir ja erzählt, dass es noch mehr gab, die welche hatten, so wie er, aber weil er meist keine Namen nannte, hatte ich keinen Zusammenhang hergestellt. Aber er hatte Naruto ein wenig beschrieben, deshalb wunderte ich mich jetzt, dass ich das nicht kapiert hatte. „Pfötchenclub!“ rief eine hohe, niedliche Stimme. Sie ähnelte Ichii's Stimme, war aber irgendwie anders. Das musste Kyu sein. „Naruto, Sasuke, ich bin auch noch da!“ hinter Naruto kam das Mädchen hervor, das eben Sasuke auf die Feder aufmerksam gemacht hatte. Es hatte kinnlanges, hellrosa Haar und große, grüne Augen. Ihr Ninjastirnband trug sie wie einen Haarreifen. „Ich bin Sakura Haruno.“ stellte sie sich vor, „ich sorg dafür, dass sich die zwei hier anständig benehmen und keinen allzu großen Ärger machen.“ Sakura lächelte. Sie trug ein ärmelloses, dunkelrosa Top, schwarze Handschuhe und eine Art hellrosa Minirock, der auf jeder Seite von Schnallen zusammengehalten wurde und den Blick auf eine enge, schwarze Radlerhose lenkte, die ihre Beine fast bis zum Knie bedeckte. Ihre Füße steckten in hohen, geschnürten Stiefeln, die am Fuß aber eher wie Sandalen aussahen, da sie die Zehen wie bei den Ninjaschuhen freiließen. „Tschiep!“ das war wieder so eine Ichibinai-Stimme, aber sicher kein Fuchs. Füchse tschiepen nicht. Und außerdem kam das Tschiepen eindeutig aus Sasukes Richtung. „Jubi. mein Ichibinai-Vogel. Das weiß eigentlich kaum einer, dass ich auch ein Ichibinai habe. Ich wusste es ja selbst nicht.“ sagte Sasuke. „Kommt ihr in unsere Klasse?“ fragte ich. Es war ja schließlich bis zu meinem Auftauchen in der Klasse nur ein freier Platz gewesen und den hatte ich besetzt. Zwar gab es noch Platz für weitere Tische und Sitzkissen im Raum, aber eben keine Einrichtung. „Ja. Schließlich wollen wir mal sehen, wie das an einer normalen Schule so ist.“ antwortete Sakura. Wir liefen durch die Gänge zurück in die Klasse. Und wieder bemerkte ich, dass die anderen in der Schule, mit denen wir nicht so viel zu tun hatten, die Ninjas gar nicht richtig wahrzunehmen schienen, während die Leute aus unserer Klasse Naruto, Sakura und Sasuke eindeutig anstarrten.
„Wir haben Bio.“ sagte Midori, als sie mich sah. „Bio! Was denn für ein Thema?“ fragte Sakura aufgeregt. „Blutgruppen und so.“ antwortete Midori. Sakura grinste und fiel Naruto urplötzlich um den Hals: „Juhuu, Bio ist mein Lieblingsfach!“ jubelte sie. „Ähm, Sakura, was ist los?“ fragte Naruto verwirrt. „Ich hab dich so lieb, Naruto!“ Sakura küsste ihn stürmisch auf die Wange, „du bist so süß!“ „Die zwei sind erst ein paar Wochen zusammen.“ sagte Sasuke. Er schien sich darüber sehr zu freuen
Kapitel 14
Im Bioraum war eine andere Sitzordnung. Es gab richtige Tische und zwischen den Sitzplätzen waren Stromstationen und Wasserhähne. Ich saß neben Midori, Gaaras Platz war neben Temari. Vor mir und Midori saßen Naruto und Sasuke. Sakura saß neben Masao und warf ihm ab und zu giftige Blicke zu. Es war ganz offensichtlich, dass sie Masao daran hindern wollte, auf Naruto oder Gaara herum zuhacken. Es kam kaum jemand außer Sakura zu Wort, sie schien über umfassendes biologisches und medizinisches Wissen zu verfügen. Als wir Blutproben mikroskopisch untersuchten, schnitt sich jemand an einem Objektträger. Sofort war Sakura zur Stelle, holte einen Erste-Hilfe-Kasten aus ihrer Schultasche und versorgte die Verletzte. „Wer will mir denn mal seine Blutgruppe verraten?“ fragte Miss Yamamoto, die auch unsere Biolehrerin war. Sofort meldeten sich einige. „Sasuke? Welche Blutgruppe hast du?“ „AB negativ.“ antwortete Sasuke knapp. „Das ist eine ziemlich seltene Blutgruppe, weißt du das?“ hakte Miss Yamamoto nach. „So selten ist sie auch wieder nicht. Mein Bruder hat die gleiche.“ erwiderte Sasuke, „genau wie fast jeder in meiner Familie.“ „Das ist seltsam.“ stellte die Lehrerin fest. Sofort meldete sich Sakura. Sie hatte sicher wieder eine hervorragende Erklärung für diese Frage. „Sasukes Familie, der Uchiha-Clan, gehört zu den besonderen Erbfamilien, in denen bestimmte Merkmale an nahezu jedes Familienmitglied vererbt werden. Deshalb hat er dieselbe Blutgruppe wie seine Eltern und sein älterer Bruder Itachi.“ sagte Sakura. „Hat Sakura mal Medizin studiert?“ fragte ich Naruto. „Sie ist Medizin-Ninja und hat bei der allerbesten Heilerin unserer Welt gelernt.“ antwortete er. Als wir den Bioraum am Ende der Stunde verließen, sah ich Sakura bei Yamamoto stehen. Sie zeigte der Lehrerin einige Mappen und Unterlagen, die wohl einige Informationen über ihre medizinischen Fähigkeiten enthielten. Ich kam als eine der ersten und als die erste der Ninjawelt-Leute am Klassenraum an. Auf dem Flur stand eine junge Frau, die ich ihrem Aussehen nach sofort Gaaras Welt zuordnete. Sie war Anfang bis Mitte zwanzig und trug ziemlich genau dieselbe Kleidung wie Sasori, mit dem einzigen Unterschied, dass sie den Mantel mit einem breiten, rotschwarzen Obi-Gürtel in der Taille zusammengebunden hatte. Selbst die knielange Hose und die seltsamen Schuhe waren gleich. Ihre Haut war auffallend blass, schneeweiß wie ein Blatt Papier, ihr Haar blasslila und ihre Augen von einem eigenartig silbrigen Ockergelb. Sie war wirklich hübsch, aber eher wie eine Fee oder ein schöner Engel. Womit sie mit Sasori eine weitere Gemeinsamkeit hatte: nahezu unwirkliche Schönheit. Gerade zog sie einen Handspiegel hervor, klimperte mit ihren blasslila gefärbten Augenlidern und brachte schließlich mit einer winzigen Bürste ihre langen, schwarzen Wimpern in Form. Dann rückte sie die schneeweiße Rosenblüte, die sie im Haar trug, zurecht und strich eine Strähne ihres Haars so hinters Ohr, dass sie wie eine beiseite geraffte Gardine über ihrem linken Auge hing. An ihrer Unterlippe schimmerte genau in der Mitte ein schwarzsilbriges, kugelförmiges Piercing. Ein Windstoß wehte ihr Haar aus dem hohen Kragen ihres schwarzen Mantels nach vorn, es war wohl etwa so lang wie Sakuras. „Gehst du in diese Klasse?“ fragte sie. Ihre grellorangen Fingernägel leuchteten auf der schneeweißen Haut ihrer Hände. An ihrem rechten Ringfinger blitzten zwei Ringe: ein auffälliger, breiter, aus weißem Metall gefertigter mit einem roten Kreis und einem Schriftzeichen darin und darüber ein schmaler, mit fünf regenbogenfarben glitzernden Diamanten verzierter Verlobungsring. „Ja.“ sagte ich. „Dann geht Sasuke Uchiha in deine Klasse?“ fragte sie weiter. Ich nickte. Die Frau lächelte. Sie hatte eine mutige, starke Ausstrahlung und wirkte so, als ob man ihr alles anvertrauen könnte. Es war eine von denen, die man sofort, wenn man sie zum ersten Mal sah, gern mochte. Sie sah mich genau an, schien einen Moment nachzudenken und fragte dann: „Bist du Hanna Jones?“ „Woher kennen Sie meinen Namen?“ „Sag bitte „du“ zu mir, ja? Chiyo hat mir von dir erzählt. Sie hat ganz begeistert berichtet, dass du es geschafft hast, Gaara richtig glücklich zu machen.“ „Wie heißt du?“ fragte ich. „Konan. Ich bin mit Sasukes Bruder Itachi verlobt.“ als sie den Namen ihres Verlobten aussprach, leuchteten ihre Augen und ihre Stimme klang warm und liebevoll. Und das Wort „verlobt“ schien für sie eine sehr tiefe Bedeutung zu haben. Ich fragte mich, wie Itachi wohl aussah. Jemand, der eine so schöne Verlobte hatte, musste ganz besonders sein. Und wenn er auch nur annähernd so gut aussah wie sein kleiner Bruder, würde ich sicher beeindruckt von ihm sein. „Was machst du denn hier?“ Sasuke kam mit eleganten Schritten den Gang entlang. Einen Moment lang fühlte ich mich an einen dieser Schulschönlinge aus Shojo-Mangas erinnert. „Sasuke, hast du die Schlange dabei?“ fragte Konan. „Natürlich nicht! Koco, was denkst du denn eigentlich von mir? Dass ich meine Riesenschlange mit in die Schule bringe! Sie ist natürlich zuhause in Konoha.“ antwortete Sasuke.„Na, dann ist ja gut.“ sagte Konan, „deine Mutter glaubte heute Morgen nur, dass du sie in deine Schultasche gelegt hast. Deshalb habe ich gedacht, ich komme mal eben vorbei und erinnere dich daran, dass solche Tiere in der Schule nicht zu suchen haben.“ Es klingelte zum Pausenende. Miss Yamamoto hatte die Biostunde fast restlos überzogen. Konan verschwand wieder und ich glaubt einen Moment lang, sie mit riesigen, papierweißen Flügeln zwischen den Bäumen entlangf liegen zu sehen. Natürlich, das war wieder die Ninjawelt! Ich setzte mich auf meinen Platz, Gaara nahm meine Hand. Mathe war wie üblich: ich machte erst meine Aufgaben zu ende und half dann Gaara, der wie immer überhaupt nicht klarkam. Er gab mir mein Matheheft danach wieder zurück (obwohl ich es ihm jederzeit noch einmal ausgeliehen hätte) und machte langsam den Eindruck, Mathe aufzugeben. Ich fragte mich, wie lange er schon erfolglos versuchte, in diesem Fach was Besseres als höchstens eine Vier minus zu schreiben. Während Gaara vergeblich versuchte, Mathe zu verstehen, sah ich mich kurz in der Klasse um. Es war einfach nicht mit anzusehen, wie er fast den Bleistift in seiner verzweifelt verkrampften rechten Hand zerbrach und mit der linken Hand resigniert durch sein wundervolles, rotes Haar fuhr. In der letzten Reihe quietschte Naruto: „Ooooch neee, ich kapier das einfach nicht! Sasuke, erklär mir das mal!“ Sasuke sah von seinem Heft auf, das mit einer Menge sauber geordneter Zeichen bedeckt war und begann, Naruto geduldig (und bestimmt zum vierten Mal) Mathe zu erklären. Plötzlich wirkte Sasuke gar nicht mehr so eingebildet wie vorhin. Wenn er Naruto half, war er richtig nett, so nett, dass es auffiel. „Schon fertig, Sasuke?“ fragte Miss Tanaka.
„Ja. Das war wirklich nicht schwer.“ antwortete Sasuke Augenblicklich wirkte er wieder angeberisch. War er so ein typisch gutaussehendes Genie? In der nächsten Pause tauchte Ino natürlich auf. Mich ignorierte sie völlig, aber stattdessen zickte sie Sakura an. „Hast du Sasuke immer noch nicht bekommen?“ fragte Ino herausfordernd, „oder hast du etwa aufgegeben?“ „Ino, ich bin längst über Sasuke hinweg. Wir sind nur gute Freunde.“ sagte Sakura sehr bestimmt und legte den Arm um Narutos Schultern. Stimmt, du hast dir ja den Knallkopf Naruto geangelt. Der stand doch schon ewig lange auf dich, Sakura Riesenstirn!“ Ino rief das letzte Wort über den ganzen Flur. Und Sakura rastete aus! „NIMM DAS ZURÜCK, MARZIPANSCHWEIN! ICH MAG NARUTO NUNMAL, ER IST NETT UND WITZIG UND AUSSERDEM TOTAL SÜSS!“ schrie sie. Es schien ihr total egal zu sein, wer alles zuhörte. „Vergiss es, Ino. Ich bin für keine zu haben, jedenfalls nicht für so ein blasses Huhn wie dich. Und hör auf, Naruto und Sakura zu nerven.“ sagte Sasuke. Er kam eben aus der Klasse. Hinter ihm tauchte Naruto auf, die Nase über einem Flyer der Schulcafeteria. „Sasuke! Da bist du ja!“ Ino schwebte förmlich auf ihn zu, „weißt du, wie ich dich vermisst hab´?“ sie versuchte, ihn zu umarmen, aber er schob sie beiseite. „Ich hab´s dir schon gesagt: Vergiss es!“ plötzlich klang seine Stimme eiskalt. Ino schauderte sichtbar und stolzierte dann an uns vorbei zu ihrer eigenen Klasse. „Merkt sie denn nicht, dass das nur Zeitverschwendung ist?“ sagte Sasuke, „ich würde mich niemals in so eine verlieben. So eine klasse Freundin wie Itachi hat, das wäre schon eher was. Konan hat wirklich Tiefe, aber Ino ist einfach nur so eine dumme Schönheit.“ Sasukes Stimme war das reinste Aprilgewitter: Bei Inos Erwähnung gleichgültig und genervt, aber sobald er seinen Bruder erwähnte, wurde sie wärmer, geradezu ehrfurchtsvoll. „Eeeeey, das ist ja supercool! Hier gibt's Nudelsuppe! Sakura, Sasuke, hier gibt's echte Nuuudeeelsuuuuppeeee!“ schrie Naruto plötzlich begeistert, „das ist sowas von der totale Oberhammer! Nudelsuppe! Sogar die mit Bambus, die hab ich schon ewig nicht mehr gegessen!“ „Hat der ´nen Knall?“ fragte Masao, der gerade an uns vorbeikam. Ich warf einen Blick in die Klasse. Gaara und Temari waren mal wieder nirgends zu sehen. Wo die zwei sich genau rumtrieben, wusste ich nicht, aber ich ging davon aus, dass Gaara die Pausen nutzte, um mit Temari und Kankuro über seine Gefühle für mich zu sprechen. Er hatte mir gesagt, dass er mit Temari über alles reden konnte, also auch über mich. „Los geht's! Hey, Nudelsuppe, ich komme! Naruto Uzumaki ist hier und keine superleckere Suppe ist sicher vor ihm!“ Naruto nahm Sakura an der Hand und rannte mit ihr in Richtung der Cafeteria. Sasuke folgte den beiden etwas langsamer. Als Masao Naruto wie einen Verrückten anstarrte, warf Sasuke Masao einen eiskalten Blick zu und zischte etwas, das wie „Hör auf, oder du bereust es!“ klang. „He, Hanne. Komm, wir gehen auch essen. Die Suppe ist echt gut.“ sagte eine freundliche Stimme hinter mir. Es war Konan. „Ich hab noch nie welche gegessen.“ gab ich ehrlich zu. „Dann solltest du es echt mal probieren. Und du solltest mal sehen, wie Naruto seine geliebte Nudelsuppe isst. Vielleicht bricht er heute wieder seinen Rekord.“ Konan lächelte. Sie war wirklich eine sehr schöne junge Frau. Als wir auf dem Weg zur Mensa waren, fragte ich sie: „Warum trägst du eigentlich dieselbe Kleidung wie Sasori? Ist das so eine Art Uniform?“ „Hat Sasori dir gegenüber die Akatsuki-Organisation erwähnt?“ „Nein. Was ist das?“ „Das war eine Geheimorganisation abtrünniger Ninjas, die sich ursprünglich unter einem Mann namens Madara zusammengeschlossen hatten, um die Weltherrschaft und eine Umkehr der Weltordnung anzustreben. Ich bin für einen alten Freund namens Nagato, der sich damals Pain nannte, in diese Gruppe geraten und war fünfzehn Jahre lang ein festes Mitglied. Sasori war auch dabei, schon länger als ich und Itachi ist da auch rein geraten, wollte aber nicht wirklich. Aber er sollte dir diese Geschichte besser selbst erzählen. Na ja, jedenfalls gab es bei Akatsuki eine Uniform, die jedes Mitglied tragen musst und die ich selbst entworfen habe.“ Konan zeigte auf eine der roten Wolken auf ihrem Mantel und den breiten, weißen Ring an ihrem rechten Ringfinger, „Akatsuki wurde dann vor einiger Zeit von der Drachen-Geheim-wache aufgelöst, die meisten Mitglieder sind ins Gefängnis gekommen. Von damals zehn Mitgliedern sind sieben im Gefängnis und draußen nur die, die beweisen konnten, dass sie nicht in das Kernvorhaben verstrickt waren. Das sind Itachi, Sasori und ich. Sasori ist kurz vor der Auflösung der Ausstieg gelungen, ich war zu der Zeit schon im Exil.“ Konan sah mich an, mit einem Blick, als befürchte sie, mich mit ihrer dunklen Geschichte zu nerven. „Erzähl weiter. Warum tragt ihr immer noch die Uniform, obwohl es die Organisation nicht mehr gibt?“ fragte ich. „Diese Kleidung ist für Sasori, Itachi und mich zu einem Symbol des Zusammenhaltes gegen die anderen und alle Widrigkeiten unserer Welt geworden. Schließlich hab ich sie erfunden.“ antwortete Konan. „Und wie lange bist du jetzt schon mit Itachi zusammen?“ „Seit ungefähr elf oder zwölf Jahren, also seit er Mitglied bei Akatsuki war. Er ist meine ganz große Liebe, ich denke, das kann ich schon so sagen. Wir und Sasori waren sozusagen die Gutem im Geheimen, keiner durfte herausfinden, dass wir eigentlich auf der Seite von Konoha Gakure und Suna Gakure standen.“ sagte Konan, „ich habe meine ganze Kraft darauf verwendet, für Itachi da zu sein. Er ist hochsensibel, es hat ihn ziemlich mitgenommen.“ ihre Stimme wurde ganz sanft, als sie über Itachi sprach. Ich war wirklich gespannt darauf, ihn kennenzulernen. Wenn ich den Tonfall in Konans und Sasukes Stimmen, sobald sie über Itachi sprachen, bedachte, musste er wirklich eine ganz besondere Persönlichkeit sein, einer, den viele Leute mochten. „Du bist doch mit Gaara zusammen. Da kannst du heute mal zu ihm nach Hause kommen, wir treffen uns oft dort. Ich will dir Itachi vorstellen.“ sagte Konan. Wir waren inzwischen an der Cafeteria angelangt. „Hey, Konan, Hanna, hier sind wir!“ rief Naruto, „ich hab schon eine Nudelsuppe leer! Sakura, holst du bitte neue? Das wäre eeecht so was von süüüß von dir!“ Sakura stand auf, nahm ein Tablett und ging zur Essensausgabe. Konan und ich setzten uns zu Naruto und Sasuke an den Tisch. Als Sakura mit dem Tablett zurückkam, war es mit sechs Schalen in der Größe von großen Müsli schalen zugestellt, aus denen es verlockend dampfte. „Nudelsuppe für alle! Sasuke, du kriegst die mit Chili, Naruto, du hast die drei mit Bambussprossen und Schweinefleisch, ich nehme die Vegetarische und Hanne und Konan, ihr mögt doch die mit Reis am liebsten, oder?“ sagte Sakura, „ich krieg drei Fische von dir, Naruto.“ „Sakura, woher wusstest du, dass ich die mit Reis am liebsten mag?“ wollte ich wissen.
„Das hat mir Oma Chiyo verraten. Du hast doch schon mal bei ihr zu Mittag gegessen.“ Sakura lächelte. Naruto zog einen Geldbeutel hervor. Es war ein ziemlich kindischer, grüner Geldbeutel in Form eines Frosches, dessen Maul der Verschluss war. Er nahm zwei große, goldglänzende Münzen heraus, auf deren Rückseite ein Fisch abgebildet war. „Da fehlt noch was. Ich hab gesagt, drei Karpador, nicht zwei. Da fehlt noch eins.“ sagte Sakura. „Ich hab nicht mehr! Das ist alles!“ protestierte Naruto. Sasuke hielt ihm die offene Hand hin. Zwei kupferfarbene Münzen mit dem Bild eines Wasserdrachen langen auf seiner Handfläche. „Kannst du behalten. Bei mir brauchst du keine Schulden zu machen, Kumpel.“ sagte er. „Aber…“ begann Naruto ungläubig. „Meine Familie ist reich, ich hab genug Geld. Deine Nudelsuppe bedeutet dir so viel, du brauchst das Geld mehr als ich.“ Sasuke drückte Naruto die Münzen in die Hand, „sieh es einfach als Freundschaftsgeschenk.“
„Eeey, so arm bin ich nicht! Aber als Freundschaftsgeschenk von dir… okaaay… da nehm ich´s an.“ sagte Naruto und grinste. Ich verstand zwar nicht so genau, was da zwischen den beiden anging, aber das würde ich sicher noch erfahren. Die Geschwindigkeit, mit der Naruto daraufhin seine Nudelsuppe in sich hineinschlürfte, war wirklich beeindruckend. Er schlang sie über die Stäbchen in sich hinein, als wäre er bei einem Schnellesswettbewerb. Ich gab mir Mühe mit den Stäbchen, aber dann musste ich doch einen Löffel nehmen. Doch niemand schien mir das übelzunehmen. Als wir in den Klassenraum zurückkehrten, und uns auf unsere Plätze setzten, war Konan wieder verschwunden. „Wo warst du?“ fragte Gaara mich. „Ich war mit den anderen in der Cafeteria.“ antwortete ich, „und wo warst du?“ das wollte ich jetzt wirklich mal wissen. „Ich war mit Temari in Schulgarten.“ sagte er, „sie mag Blumen, das weißt du sicher schon.“ Mrs. Yoshikawa betrat den Raum. Sie war die Politiklehrerin. Die Stunde wurde genau wie die letzte: Gaara war so begeistert am Unterricht beteiligt wie sonst nie. Naruto versuchte, mit Gaara mitzuhalten, aber er bekam ziemlich viele Korrekturen und schien dann jedes Mal ziemlich traurig darüber zu sein. „Wie soll ich das denn jemals schaffen, wenn ich ein super Ninja bin, aber diese bescheuerte Theorie nicht drauf habe?“ motzte er lautstark. „Was will er denn schaffen?“ fragte ich leise. „Naruto will, schon seit er zwölf war, Hokage von Konoha Gakure werden. Der Hokage ist der ranghöchste Ninja in Konoha.“ erklärte Gaara. Er hatte wieder so einen seltsamen Tonfall, als ob er schon wieder etwas vor mir geheim hielt. Was er mir aber bestimmt gleich gestehen würde, so wie all die anderen Sachen auch. Aber ich wollte, dass er von selbst drauf kam, dass er mir alles Wichtige sagen musste. Also stellte ich zuerst eine weitere Frage zu Naruto: „Er sieht gar nicht aus wie jemand, der so hoch hinaus will.“ „Oma Chiyo sagt, dass Naruto ein Hokage wird, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat.“ antwortete Gaara und ich sah ihm diesmal deutlich an, dass er etwas Wichtiges wegließ. Jetzt reichte es mir aber! Warum sagte er mir viele Sachen nicht, die ganz offensichtlich wichtig waren, aber las ständig meine Gedanken und wusste so immer, was ich ihm verschwieg?
„Warum bist du eigentlich so gut in Politik? Das fällt total auf.“ fragte ich mit einer etwas herausfordernden Stimme. „Wirklich? Ist das so auffällig?“ er blickte mal wieder auf die Tischplatte: ein sicheres Zeichen, dass ich ihn erwischt hatte. „Ja, das ist es allerdings. Und jetzt rück endlich raus, was du mir dazu sagen willst!“ forderte ich. Gaara's Geheimniskrämerei ging mir langsam auf die Nerven. Konnte der nicht mal einfach alles auspacken, was ich wissen musste? War das denn so schwer? Er konnte mir doch vertrauen, wir waren jetzt fest zusammen und das musste er langsam mal kapiert haben. Ich wusste immernoch nicht so ganz, was hinter dem roten Zeichen auf seiner Stirn eigentlich abging. „Ich sag es dir nach der Stunde.“ erwiderte er auf meine Gedanken. Als es endlich klingelte, hielt ich Gaara am Ärmel fest. Nicht, dass er die Aussprach in Sachen Geheimnistuerei schon wieder hinausschob. Aber er schien das endlich kapiert zu haben und ging mit mir zu der Bank im Schulgarten, wo er mir das mit Ichii gestanden hatte. „Also, warum bist du so ein Ass in Politik und warum ist das so ein riesiges Geheimnis?“ fragte ich, „die anderen in der Klasse fragen sich das sicher auch schon.“ „Ja, das tun sie. Ich höre diese Frage jedes Mal in ihren Gedanken, wenn wir Politik haben. Aber sie dürfen es nicht erfahren.“ sagte Gaara, „sie dürfen nicht wissen, warum das so ist.“ „Das war ja klar. Dass die anderen das nicht wissen dürften, verstand sich bei Gaara eigentlich von selbst. Niemand durfte erfahren, wie er wirklich war und woher er kam. „Aber mir kannst du es doch sagen!“ rief ich und senkte dann die Stimme zu einem Flüstern, „du hast mir doch auch gesagt, dass du ein, na ja, eben ein du-weißt-schon-was bist und woher du kommst.“ „Okay. Aber bekomme bitte keinen Schreck.“ sagte er. „Ich bekomme doch keinen Schreck! Nicht mehr, seit ich weiß, was du bist.“ ich wollte ihn eigentlich nicht immerzu daran erinnern, dass er eine Jinchu-Kraft war und ich darüber Bescheid wusste, aber es erschien mir als das beste Beispiel, um ihm zu beweisen, dass ich keinen riesigen Schreck mehr darüber bekam, was noch so an ihm völlig anders als an anderen war. Gaara atmete tief durch, bevor er zu einem weiteren Geständnis in Sachen seines Andersseins ansetzte: „Ich bin der Kazekage von Suna Gakure. Das bedeutet, ich bin der stärkste Ninja in meinem Dorf. Ich habe durch Ichii die Macht über den gesamten Sand in der näheren Umgebung unseres Dorfes und den Wind in der Wüste.“
„Wow…“ das war das einzige, was ich in dem Moment sagen konnte. „Deshalb bin ich so gut in Politik. Ein Kazekage ist nicht nur der stärkste Ninja im Dorf, er ist auch der Anführer der Truppen und des Dorfrates.“ „Aber… du bist doch erst neunzehn. Ist das nicht ein wenig zu jung für so eine riesige Verantwortung?“ „Ja, diese Meinung vertreten auch einige in Suna. Sie glaubten, dass das zu viel für mich wäre, dass ich das nicht schaffen würde und mich nicht gut genug unter Kontrolle habe. Aber seit Shukaku sich zu Ichii weiterentwickelt hat, ist es viel einfacher. Leider gibt es immer noch einige Leute, die sagen, dass ich nicht als Kazekage geeignet bin und mir nicht vertrauen, aber die meisten stehen inzwischen hinter mir.“ „Ich dachte nur, na ja, bei uns geht man erst mit dreißig oder so in die Politik.“ ich wollte nicht, dass er jetzt dachte, ich würde ihm das nicht zutrauen oder so! „Das Alter spielt bei der Auswahl des Kazekage kaum eine Rolle. Ich bin mit sechzehn Kazekage geworden.“ Wow. Gaara war nicht einfach nur jemand Besonderes, er war jemand ganz besonders Besonderes: Ninja, Besitzer eines Ichibinai und der stärkste Kämpfer seines Dorfes! Ich hatte mir einen absoluten Traumtypen geangelt!„Weißt du was? Du bist das beste, was mir je passiert ist!“ ich fiel ihm um den Hals und hauchte einen Kuss auf seine sandigen Lippen.
Kapitel 15
„Wie läuft es mit deinem komischen Asiaten?“ fragte mich Nami beim Mittagessen und schob mir ihre Ravioli zu. Sie mochte die Füllung nicht. Mom und Dad waren mal wieder nicht da, irgendein Geschäftsessen in einem der teureren Restaurants der Stadt oder so war mal wieder angesetzt worden. Früher hatten mich dieses Geschäftsgerede und Wörter wie „Meeting“ oder „Konferenz in Gastronomie-Location“ immer genervt, aber im Moment war ich ganz froh, dass sie mich allein ließen. Die ständigen Fragen über Gaara wusste ich bald nicht mehr glaubwürdig zu beantworten.
Und seit Oma Chiyo mich so bereitwillig in die Familie aufgenommen hatte, spürte ich, wie ich mich innerlich immer mehr von meinen Eltern mit ihrem ausgeprägten Sinn für Normalität distanzierte. Sie erschien mir nur noch spießig und langweilig, mit der Offenheit und außergewöhnlichkeit von Gaaras Familie und seinen Freunden konnten sie nicht mehr mithalten. Und Nami traute ich nach der Spionageaktion nicht mehr richtig über den Weg. „Der geht dich gar nichts an!“ antwortete ich auf ihre Frage und schob die Ravioli wieder zurück. Nami war immerhin elf, sie konnte ihr Essen ja wohl alleine essen. Und wenn es ihr nicht schmeckte, dann sollte sie halt zu Amy gehen und da essen. Ich hatte ihr großzügig eine Dose Ravioli mitgekocht, aber sie motzte nur rum. Das nächste Mal würde ich nur für mich alleine kochen. „Wo gehst du hin?“ fragte sie, als ich aufstand und meine Schuhe anzog. Es war warm, aber ich zog die Sandalen trotzdem über einer hellbraunen Feinstrumpfhose. Das sah zum kurzen, blauen Rock meiner Schulkleidung besser aus als nackte Füße. Und für Kniestrümpfe war es wiederum zu warm. „Ins Japan-Viertel.“ antwortete ich, „komm ja nicht drauf, mir schon wieder hinterher zu spionieren, kapiert?“ „Zu diesem, wie heißt der noch mal?“ „Er heißt Gaara.“ erwiderte ich scharf und lief die Treppe hinunter. Sobald ich das Haus in Richtung Japan-Viertel verließ, dachte ich nur noch daran, dass wieder ein Nachmittag mit Gaara's Welt auf mich wartete. Ich bog in die Hauptstraße des Viertels ein, in der das Haus meiner neuen, zweiten Familie stand. Der gelbbraune Kies, der auf dem hellen Boden verstreut war, knirschte unter den Sohlen meiner Schuluniform-Schuhe und obwohl ich die Einzige in der Klasse war, die eine Schuluniform wie aus einem Mädchen-Manga trug, fühlte ich mich sehr hübsch darin. Ich betrachtete zum ersten Mal die Läden und traditionellen Wohnhäuser, aus denen das Viertel bestand. Es waren in erster Linie spezialisierte Nahrungsmittelgeschäfte und kleine, hübsche Klamottenläden, die Kimonos und Tai-Chi-Kleidung verkauften. Es sah alles ein bisschen aus wie die Altstadt von Kyoto, die ich mal in einer Fernsehreportage gesehen hatte. Die meisten Leute trugen europäische Kleidung, aber es war auch der eine oder andere Kimono zu sehen. Gerade kamen mir ein paar Mädchen in kurzen Schuluniformen entgegen, die jedoch alle unterschiedlich aussahen. Ich hatte meine in verschiedenen Läden in Hamburg zusammengesucht, aber die hier kamen wahrscheinlich aus so einem Cosplay-Shop im Internet. Eines der Mädchen grinste mich an und sagte zu einer anderen: „Die da vorn geht auf die Nomura-Schule. Oh, man, da wäre ich auch so gern! Hat die vielleicht ein Glück!“ Ich lächelte verlegen und beeilte mich, zu Gaara's Haus zu kommen. Die Mädchen sahen mich an wie eine, die ebenfalls Cosplay machte, aber ich trug diese Nachahmung einer Schuluniform doch nur, um mich ein bisschen japanisch zu fühlen. Als ich kurz vor dem Haus angekommen war, wurde die Tür aufgeschoben. Da ich auf den Boden sah und feststellte, dass mein Schatten mit dem kurzen Faltenrock und der feinen Strumpfhose wirklich japanisch aussah, achtete ich nicht darauf, wo ich genau hinlief. Ich wusste ja, dass ich das Haus fast erreicht hatte. Jemand schob die Tür mit einem leisen Knall wieder zu und ein Schatten fiel vor mir auf die sonnenbeschienene Straße. Zu spät bemerkte ich, das der, zu dem der Schatten gehörte, auf mich zu lief. Ausweichen konnte ich nicht, dafür war es wie gesagt zu spät. Ich stieß mit ihm zusammen, hob noch reflexartig die Hände und berührte ihn kurz. Meine Handflächen registrierten glatte Seide und vor meinen Augen tauchten ein senkrechter, roter Streifen und viel schwarz auf. Erschrocken wich ich zurück, verlor die Balance, taumelte an ihm vorbei und knallte mit den Knien auf die Straße. Ein leises Ratschen und ich wusste, dass meine Strumpfhose am Knie aufgerissen war. Sie war nicht teuer oder so, aber etwas ärgerlich war das schon. Schließlich würde ich den Rest des Tages jetzt mit einer gerissenen Strumpfhose herumlaufen müssen. Aber es blutete nicht mal und ich war ja nicht besonders eitel oder so. „Hast du dich verletzt? Tut mir wirklich leid, ich habe dich irgendwie zu spät gesehen. Eigentlich passiert mir so etwas nicht. Bist du in Ordnung?“ fragte eine ruhige, tiefe und ehrlich besorgte Stimme freundlich. Ein Schatten fiel auf mich und der, zu dem die Stimme gehörte, streckte mir seine Hand entgegen. Sie sah stark und sanft zugleich aus und die kurzen Fingernägel waren dunkellila lackiert. Am rechten Ringfinger blitzten zwei Ringe: ein schmaler silberner und ein breiter weißer mit einem roten Schriftzeichen. Die beiden Ringe kannte ich doch! Und lackierte Fingernägel… Ich nahm die Hand, er zog mich hoch, so dass ich ihm in die Augen sehen musste: Seine Iris waren tiefrot, mit einem seltsamen, schwarzen Muster, das wie ein schönes Mandala um die Pupille herum lag. Es bestand aus drei tropfenförmigen Elementen und einem gestrichelten Kreis, auf dem die hübschen, tropfenförmigen Muster in gleichmäßigen Abständen lagen. Es sah wunderschön aus. Zum Glück war mein Normalitätssinn längst in dem virtuellen Papierkorb gewandert. Sonst hätte ich mich sicher vor diesen Augen erschrocken. „Das tut mir wirklich leid.“ sagte er noch einmal und sah mich besorgt an. Ich konnte nur auf seine Augen achten, das Einzige, was ich in diesem Moment sonst noch sah, waren seine langen, schwarzen Wimpern. Er wirkte wirklich betroffen, das konnte ich aus seiner warmen, tiefen Stimme heraushören. „Ich hab mich nicht verletzt. Alles okay.“ erwiderte ich schnell. Sein besorgter Blick hellte sich etwas auf. Ich trat einen Schritt zurück, um ihm nicht weiter wie hypnotisiert in die Augen starren zu müssen. Jetzt erst sah ich ihn richtig vor mir. Mein Kopf schwirrte noch ein bisschen von der Wirkung seiner wunderschönen Augen, die es an beeindruckender Aura fast mit Gaara's aufnehmen konnten. Dieser Typ gehörte zu Gaara's Welt, das merkte ich sofort, auch, wenn ich immer noch nicht wusste, woran ich das eigentlich erkannte. Und er trug dieselben Sachen wie Sasori. Und wie Konan. Sein Haar war schwarz und ziemlich lang, es hing ihm vorn in zwei breiten Strähnen etwa bis zum Kinn, vielleicht auch etwas länger. Augenblicklich musste ich an Sasuke denken, dessen Gesicht ebenfalls von zwei solchen Strähnen gerahmt wurde. Er trug ein Stirnband mit demselben Zeichen, das auch auf Naruto's Stirnband zu sehen war. Der einzige Unterschied war: Das Zeichen auf dem Stirnband dieses Mannes hatte bis zur Mitte der Spirale einen eingeritzten Querbalken, der das Zeichen halb halbierte, wie ein einzelner Uhrzeiger, der drei Uhr oder viertel nach drei anzeigte. Plötzlich fiel mir ein, warum mir die Ringe an seinem rechten Ringfinger so bekannt vorkamen: bis auf die Diamanten, die Konan's hellsilbernen Verlobungsring zierten, war der silberne Ring dieses Mannes genau derselbe! Und der weiße Ring war bis auf das schwarze Zeichen komplett identisch! Ich sah wieder in seine Augen und eine seltsame Atmosphäre traf mich. In diesen dunkelrot-schwarzen Augen waren so viele unterschiedliche Gefühle zu erkennen, dass mir ganz schwindlig wurde. Wie ging das, so viel Gefühl in die Augen zu legen? So was hatte ich noch nie gesehen. Besorgnis, eine unübersehbare Spur von (mir unerklärlicher) Traurigkeit, ein freundliches Lächeln und eine engelsgleiche Güte sprachen unerklärlich gleichzeitig aus seinen tiefroten Augen. Seine langen, schwarzen Wimpern verstärkten das noch und verliehen diesen unglaublichen Augen so etwas wie Schönheit und Eleganz. Dieser tiefgründige Ausdruck wurde von zwei auffälligen Kanten verstärkt, die von seiner Nasenwurzel jeweils über seine Wangen verliefen und zusammen mit seinem spitzen Kinn und den einzelnen seidenschwarzen Haarsträhnen, die über seine Augen fielen, seinem schönen Gesicht eine traurige Wirkung verliehen. „Hanna Jones?“ fragte er und plötzlich wusste ich, wer er war. Konan's Erzählung schoss mir blitzschnell durch den Kopf. Ich sah auf seine rechte Hand, an der die beiden Ringe blitzten und auf das rote, weiß umrandete Wolkenmuster auf seinem langen, schwarzen Mantel. „Itachi Uchiha.“ flüsterte ich, von seinem Blick total verwirrt. Konan hatte definitiv Recht: Itachi war eine beeindruckende Persönlichkeit mit einer wundervollen Ausstrahlung. Jetzt verstand ich wohl ansatzweise, warum Konan ihn so liebte. „Konan hat dir schon von mir erzählt?“ fragte er und lächelte. Sein schönes, ausdrucksvolles, traurig wirkendes Gesicht schien aufzuleuchten. Es war, als würde die Sonne durch dicke Wolken blicken und einen Moment lang ihre volle Schönheit zeigen. Doch selbst, wenn er traurig aussah, strahlte Itachi eine unglaubliche Güte aus, die mich total beeindruckte. „Woher weißt du, wer ich bin?“ fragte ich. Als Konan mir heute Morgen von Itachi erzählt hatte, war ich darauf gespannt gewesen, ihn kennenzulernen, aber ich hatte nicht mit jemandem mit einer solchen Ausstrahlung gerechnet. Einfach, weil ich so etwas noch nie vorher erlebt hatte. „He, tomodachi-san, was ist jetzt? Du wolltest mir doch eine Packung Zigaretten holen!“ rief Sasori. Er stand in der Tür des Hauses. Itachi drehte sich zu ihm um. „Vergiss es, Sasori. Ich werde bestimmt nicht dazu beitragen, dass du deine Gesundheit noch mehr ruinierst.“ sagte er. „Du bist doch sonst so nett, Itachi.“ widersprach Sasori. „Nicht, wenn sich meine Freunde durch so etwas wie Rauchen in Gefahr bringen. Das muss doch nun wirklich nicht sein, oder?“ sagte Itachi. „Du hast doch auch geraucht, als es dir schlecht ging.“ bemerkte Sasori. „Ja, aber ich habe wieder damit aufgehört. Es war ein Fehler, überhaupt damit anzufangen.“ „Kommt rein!“ rief Chiyo von drinnen, „ist Hanna schon da?“ „Ja, Oma. Sie ist mit Itachi zusammengestoßen und er hat sie gleich mit seinem Lächeln verzaubert.“ antwortete Sasori mit leicht ironischem Tonfall und sah ausnahmsweise mal nicht so gleichgültig aus wie sonst. Es sah eher danach aus, als würde er sich wirklich für Itachi freuen. Konan hatte ja heute Morgen schon angedeutet, dass es Itachi mal nicht so gut gegangen war. Und irgendwie sah man ihm das auch an. Seine Erscheinung hatte eine ungeheure Tiefe, als ob er in seinem Leben schon sehr viel erlebt hatte. Wir betraten das Haus, das mir schon etwas vertraut war. Es war fast schon ein Gefühl, als würde ich nach Hause kommen oder zumindest ähnlich wie wenn ich das Haus meiner Oma Yukino betrat. In der hölzernen Diele stand wieder dieser niedrige, lange, schwarz lackierte Tisch mit den ebenfalls schwarzen Sitzkissen darum. Gaara's Familie war (bis auf seinen kranken Vater, der ja im Krankenhaus lag) komplett anwesend. Naruto, Sakura und Sasuke auch. Außerdem war Konan da und neben ihr saß eine sehr alte Frau, die einen prächtig geblümten Kimono trug. Obwohl diese Frau bestimmt älter als Oma Chiyo war, strahlte sie eine ebenso gesunde, autoritäre Ausstrahlung. Ihre Augen waren schwarz, jedoch mit einem hintergründigen roten Schimmer. Sie lächelte freundlich. Ich kniete mich auf das freie Kissen neben Gaara und wollte ihn gerade fragen, wer diese sehr alte und vornehme Frau war, als Chiyo aufstand und ziemlich feierlich zu reden begann: „Hanna-chan, du bist die Erste aus dieser Welt, die wir in unserer Mitte aufnehmen. Du weißt Bescheid und du kennst die Regeln, die jetzt für dich gelten.“ Ich wurde ein wenig rot, senkte den Kopf und verbeugte mich höflich. Chiyo holte ein Buch unter dem Tisch hervor. Es sah ein wenig aus wie ein Schulbuch für den Biologieunterricht, aber auf dem Deckel stand: „Drachen aller Welten“. „Es ist nur ein langweiliges Buch, bitte sehr, Hanna-chan.“ sagte Chiyo in einer bescheidenen, japanischen Redeweise. „Danke, es gefällt mir sehr.“ antwortete ich mit demselben, japanischen Tonfall, den ich nur aus einem Film kannte, in dem es um eine Geisha vor zweihundert Jahren gegangen war. „Wir wollen dir Oma Yoneko Uchiha-sama vorstellen.“ sagte Temari. „Lasst doch diese albernen Zusätze!“ rief Kankuro, „die benutzen wir doch eigentlich eh nicht.“ „Macht bitte kein großes Aufhebens.“ sagte die alte Dame neben Konan und stand auf: „Ich heiße Yoneko Uchiha. Und die beiden hier sind meine süßen Urenkel.“ sie zeigte auf Itachi, der mit dem Rücken an der Wand neben der Tür saß und auf Sasuke, der neben Naruto kniete. Meine Güte, wie alt war Yoneko? Itachi war doch bestimmt Mitte zwanzig und Sasuke war achtzehn. Wenn sie die Uroma der beiden war, musste sei ja über hundert sein. „Sasuke!“ wisperte ich über den Tisch, „wie alt ist dein Bruder?“ „Achtundzwanzig.“ antwortete Sasuke, „und Oma Yoneko ist hundertfünf Jahre alt.“ Wow! In eurem Alter noch eine Uroma zu haben, ist ja echt Glück!“ staunte ich. „Ja.“ sagte Itachi, der mich gehört hatte, „ da ist es.“ Yoneko, deren weißgraue Haare ein hübsches Vogelnest auf ihrem Kopf bildeten, strahlte ihn an. Irgendwie wirkte diese Oma gar nicht so alt. Sie war genau wie Oma Chiyo geistig wie körperlich fit und hatte eine Autorität, die schon etwas ungewöhnlich wirkte. Aber vielleicht war das der Respekt, den man älteren Menschen in Japan traditionell zugesteht. Man sah Chiyos und Yonekos Haltung an, dass sie keinesfalls zum alten Eisen gehörten, sondern noch eine Menge mitzureden hatten. „Itachi, wann erzählst du Hanna die … Geschichte…“ fragte Yoneko. „Heute nicht. Ich bin noch lange nicht ganz darüber hinweg. Ich werde ihr später davon erzählen.“ sagte Itachi. In seinen Augen schimmerte etwas, das wie Tränen aussah. „Heeey, warum sitzen wir eigentlich hier drinnen rum! Das Wetter ist super, wir sollten schwimmen gehen oder so!“ rief Naruto plötzlich, wie um das Thema abzulenken. Ich musste ihm Recht geben: das Wetter war wirklich klasse. Perfekt zum Schwimmen gehen. Aber ich hatte keine Schwimmsachen dabei. „Zum Glück ist Sai nicht hier.“ sagte Sakura, „sonst geht Naruto nicht ins Wasser. Besonders nicht, wenn das Wasser warm ist.“ Naruto stieß sie an. „Heeey, red´ jetzt bloß nicht von dem!“ Ich fragte mich, wer dieser Sai war. Naruto konnte ihn wohl nicht besonders gut leiden.
Kapitel 16
Ich hatte keine Lust, nach Hause zu laufen und meine Schwimmsachen zu holen. Deshalb beschloss ich, einfach nur mitzugehen und vielleicht meine Füße ins Wasser zu halten. Das Freibad in Yamakuchi bestand aus einem Nichtschwimmerbecken, einem zwei Meter tiefen Schwimmerbecken und einer grünen Liegewiese, die an ein Waldstück grenzte. Wir breiteten unsere Decken im Schatten einer uralten Eiche aus und Kankuro teilte gleich zu Anfang mit, dass er nicht ins Wasser gehen wollte. Ganz im Gegensatz zu Naruto, der nicht mehr zu halten war, sich blitzschnell umzog und ins Wasser rannte. Ohne das Stirnband und die leuchtend orangen Klamotten sah er älter aus, nicht wie sechzehn, sondern wie achtzehn. Na ja, er war ja schon achtzehn, aber sonst merkte man ihm das nicht so an. „Heeey, Sakura, Sasuke! Wollt ihr da auf der Wiese Wurzeln schlagen?“ rief er. „Wir kommen ja schon.“ sagte Sasuke. Seine Sachen lagen ordentlich gefaltet neben Naruto's unordentlichem Kleiderhaufen. Der Unterschied zwischen den Beiden war nicht zu übersehen: Sasuke war ruhig und ordentlich, Naruto ein bisschen chaotisch und sehr lebhaft. Ich zog meine Schuhe und die kaputte Strumpfhose aus und wollte mich auf dem Beckenrand setzen. Da fiel mein Blick auf Gaara, der immer noch auf der Decke saß und keine Anstalten machte, sich umzuziehen. „He, willst du nicht mitkommen?“ fragte ich. „Ichii ist wasserscheu.“ antwortete er und wich meinem Blick aus. Ich wusste, dass er wieder etwas vor mir verbarg. „Aber Ichii ist doch… na ja… in dir drin… das wird doch gar nicht nass, oder?“ fragte ich vorsichtig. Ich war immer darauf bedacht, ihn nicht zu verletzen. „Nein, aber…“ begann er und starrte auf das Gras. „Du kannst es ihr doch sagen. Sie mag dich, sie versteht das.“ ermutigte Sakura ihn. „Es ist so, Hanna: Lach mich bitte nicht aus, aber ich kann nicht schwimmen. Ich hab´s nie versucht und in Suna Gakure gibt es kaum Wasser.“ gestand Gaara. Ich glaubte, auf seinem Gesicht so etwas wie Röte zu erkennen, aber das konnte auch ein Schatten seines roten Haars sein. „Das ist doch nicht so schlimm! Ich geh auch nicht ins Wasser.“ sagte ich. „Temari kann schwimmen.“ bemerkte Gaara, „sie ist die Einzige in unserer Familie, die das kann.“ „Sie ist ziemlich ungewöhnlich für ein Mädchen aus der Wüste, oder?“„Ja. Sie mag Schnee, Blumen und Wasser. Alles, was es in Suna Gakure nicht gibt.“ „Setzen wir uns auf dem Beckenrand?“ fragte ich. Gaara stand langsam auf und ich sah, dass er wirklich ein bisschen rot geworden war und auch, dass er das wohl von sich selbst kaum kannte. Naruto, Sakura und Sasuke waren schon im Wasser, Temari kam gerade dazu. „Wo sind denn mein Bruder und seine Verlobte hin?“ fragte Sasuke, „habt ihr sie gesehen?“ „Die sind irgendwo auf der Wiese und sahen ein bisschen so aus, als ob sie allein sein wollten.“ antwortete Temari. „Es würde mich gar nicht wundern, wenn die zwei demnächst einfach heiraten.“ sagte Sasuke. Und etwas leiser, wie ausgesprochene Gedanken, fügte er hinzu: „Das ist wirklich schön für Itachi, ich freue mich ehrlich für ihn.“ „Huch! Aaah!“ schrie Sakura und tauchte ab. Kurz darauf kam sie mit Naruto zusammen wieder hoch. Der war eben abgetaucht, hatte Sakura wohl an den Beinen gezogen und kriegte sich jetzt vor Lachen gar nicht mehr ein. „Naruto, du durchgeknallter Spaßfuchs, das kriegst du wieder!“ kreischte Sakura und stürzte sich auf Naruto.
„Hahahahaha! Du fandest es doch auch toll, Sakura, gib´s schon zu!“ lachte Naruto, aber dann drückte Sakura ihn unter Wasser. „Turtelpinguine.“ kommentierte Sasuke knapp. Er wollte noch etwas sagen, aber dann wurde er ebenfalls unter Wasser gezogen. Nach Luft schnappend und mit klatschnassen Haaren tauchten alle drei wenig später wieder auf. „Was sollte das denn, du Spinner?“ fragte Sasuke und versuchte sichtbar, sauer zu wirken. Aber es war ihm ebenso deutlich anzusehen, dass er sich echt zusammenreißen musste, um nicht laut loszulachen. „Entspann dich mal, Sasuke!“ Naruto lachte lauthals und sein Gesicht mit den großen, blauen Augen und der leicht stupsigen Nase strahlte. Er war das Bilderbuchbeispiel für einen fröhlichen, süßen Jungen. Seine leuchtende Haarfarbe tat ihr übriges. Sasuke lächelte und sein schönes Gesicht wirkte noch perfekter als sonst. Sakura schüttelte ihre rosa Haare, Tropfen flogen in alle Richtungen. „Iiiiihhh!“ quietschte Temari und spritzte mit den Händen noch mehr Wasser auf Sakura. Das Löste eine umfassende Wasserschlacht aus. Gaara und ich kehrten zur Decke zurück, auf der Itachi und Konan lagen und sich schon wer weiß wie lange verliebt in den Armen lagen. Sie wirkten wie ein perfektes Paar aus einem schönen Liebesroman, was wahrscheinlich auch auf sie zutraf. Ich legte mich auf das trockene, sonnengewärmte Handtuch, das Temari mir zum Liegen geliehen hatte. Gaara schob seinen linken Arm unter meinen Rücken und ihm war deutlich anzumerken, dass diese Nähe für ihn immernoch ungewohnt war. In der Schule war er wirklich ein Außenseiter, ich vermutete, dass es daran lag, dass er wegen seiner wahren Identität als Jinchu-Kraft und Kazekage niemanden allzu nahe an sich heranließ. Ob die anderen in der Klasse genauso erschrocken wie ich reagiert hatten, als sie zum ersten Mal in seine schönen Augen sahen? Seine Hand war heute nicht so sandig wie sonst, dass da Sand war, ließ sich nur erahnen, wenn man es wusste. Ich sah ihn an, seine hellgrünen Augen waren auf das dunkelgrüne Blätterdach über uns und den blauen Himmel gerichtet. Der leichte Sommerwind bewegte sein rotes Haar, es kitzelte an meiner Wange, als ich näher an ihn heran rutschte. Ich hätte eigentlich verliebt „schweben“ müssen in so einem Moment, aber ich spürte nichts dergleichen. Trotz des romantischen Sommerwetters und der Tatsachen, dass Gaara mich umarmte, blieb das verliebte Träumen aus. Es war nur am Rand da, wenn ich ganz genau nachspürte, würde ich es sicher finden, aber auch nur ein bisschen. Ich fragte mich, woran das lag. Als ich Gaara wieder ansah, wusste ich, was es war: Sein Gesicht war nicht richtig entspannt, es lag immer noch eine deutliche Spur seiner unnahbaren, undurchschaubaren Ausstrahlung darauf. Er war immer noch derselbe Junge, der mich an meinem ersten Tag zwei Schulstunden lang vollkommen ignorant behandelt und noch nicht einmal richtig angesehen hatte.
Egal. Ich liebte Gaara trotzdem. Und er liebte mich, obwohl er das wohl noch nicht so gut zeigen konnte. Ausgerechnet in diesem Augenblick betrat eine Gruppe Kinder das bis jetzt ziemlich leere Schwimmbad. Trotz des schönen Wetters waren wir bisher unter uns gewesen. Bis jetzt. „Hey, die da ist doch deine große Schwester, oder, Nami?“ schrie jemand. Ich sah genauer hin, der Name Nami hatte meine Ohren aufgeschreckt. Mit einem mittelgroßen Schrecken erkannte ich, dass es sich um elfjährige Kinder aus Nami's Hauptschulklasse handelte, die gerade laut lärmend das Schwimmbad enterten! Amy hatte mich bemerkt und machte jetzt Nami auf meine und Gaara's Anwesenheit aufmerksam. Ich hatte eigentlich keine Lust, aufzustehen und die anderen vor Nami's Terrorzwergen-Clique zu warnen. Und die beiden Mädels hatten mich zwar gesehen, schienen aber erst einmal mit ihrem eigenen Spaß beschäftigt zu sein. Es war alles okay, solange, bis sie entdecken würden, dass ich gerade ein prima Opfer für Zwergenterror war. Die Kids hatten alle ihr Badesachen unter und sprangen bald ins Nichtschwimmerbecken, woraufhin Naruto, Sakura, Sasuke und Temari zu uns flüchteten und sich von Oma Yoneko Handtücher geben ließen. Ich setzte mich auf und wartete darauf, dass Nami bemerkte, mit wem ich hier war. Es war geradezu unvermeidlich und das wusste ich nur zu gut. Und ich behielt Recht. „Haaannaaa! Bist du wieder mit deinem komischen Freund unterwegs? Das sag ich Mama!“ schrie Nami und rannte, nachdem sie sich ordentlich nass gespritzt hatte, aus dem Wasser auf mich zu. Ihr blick wanderte über Itachi und Konan und blieb an Kankuro hängen, der wieder sein Gesicht mit der lila Kriegsbemalung „geschmückt“. „Was hast du denn für seltsame Leute dabei?“ fragte sie, „die sehen ja geradezu gefährlich aus.“ „Meine Freunde gehen dich nichts an.“ zischte ich. „Das wird Mam und Daddy interessieren.“ quietschte Nami schadenfroh. „Hanna, Mama hat doch gesagt, bevor du auf die Japan-Schule gegangen bist, dass du dir anständige Freunde suchen sollst. Du darfst dich gar nicht mit so Typen wie dem da“ sie zeigte auf Itachi, „abgeben. Das sieht doch jeder, dass“ da brach sie ab. Sasuke hatte ihr einen dermaßen eiskalten Blick zugeworfen, dass sie eine eindeutige Gänsehaut bekam. „Sei nett zu meinem großen Bruder.“ zischte Sasuke leise, aber bedrohlich, „sonst…“ er sprach seine Drohung nicht zu ende, aber Nami sah schon genug eingeschüchtert aus. „Na ja, Mam sagt das, also, dass du aufpassen sollst…“ stotterte sie verlegen. „Hanna ist bei uns in Sicherheit.“ sagte Gaara mit einem drohenden Unterton, „du musst dir keine Sorgen machen.“ für einen Moment wirkte er fast bedrohlicher als Sasuke eben. So hatte ich ihn zuletzt erlebt, als er auf Masao losgegangen war. Und ich war fast so genervt wie er. Warum mussten die Kleinen sich denn überhaupt so einmischen? Hatten sie nichts Besseres zu tun? Amy starrte Itachi an. Sie gab sich dabei offensichtlich Mühe, ihm nicht in die Augen zu sehen und musterte stattdessen seine Kleidung mit einem ziemlich abschätzigen Blick, mit dem reiche, oberflächliche Zicken die Kleider ärmerer Leute ansahen. „Komm, Amy, wir gehen. Die sind mir zu unheimlich.“ zischte Nami ihr ins Ohr. Ich sah etwas in Gaara's Augen, etwas, das mir ein bisschen Angst machte. Er wirkte nicht bedrohlich, sondern so, als hätte Nami etwas gesagt oder gedacht, das ihn tief verletzte. Wahrscheinlich, weil sie ihn als unheimlich bezeichnet hatte. Ich wusste ja ungefähr, warum ihm solche Bemerkungen etwas ausmachten. Nami und Amy verschwanden zum Glück gleich wieder. Naruto setzte sich breit grinsend neben Sasuke und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Ich saß direkt daneben und konnte hören, was er sagte: „Dein Bruder sieht wieder so traurig aus. Fällt dir was ein, wie wir ihn aufheitern können?“ Er hatte Recht: Itachi sah wirklich traurig aus. „Ja.“ flüsterte Sasuke zurück, „aber ich weiß auch nicht, was wir da machen können. Oma sagt, Itachi's Herz ist verletzt und bis es heilt, dauert das noch eine Weile.“ Plötzlich wurde Naruto's Grinsen noch breiter: „Ich hab´s! Ist er kitzlig?“ „Du willst doch nicht….“ „Doch. Er lacht doch eh nicht über Witze und so was. Da müssen wir uns was Besseres ausdenken. Also, ist er nun kitzlig oder nicht?“ Sasuke nickte. „Okay! Start der Naruto und Sasuke Spezialmission! Wir bringen Itachi zum Lachen, damit er mal fröhlicher wird!“ mit diesen Worten stürzte Naruto sich auf Itachi und kniff ihm in die Seite. Itachi keuchte, strahlte, sein Lächeln wurde offener und schließlich begann er tatsächlich, laut zu lachen. Augenblicklich legte seine Aura an Intensität zu und er schien richtig zu leuchten. „Naruto, hey, hör ah… ah… auf damit! Wa…ah…was soll das?“ er konnte vor Lachen kaum sprechen und Naruto machte immer weiter. „Damit du mal lachst!“ rief Naruto grinsend, „ich hab dich seit zehn Jahren nicht mehr lachen sehen!“ er ließ von Itachi ab, allerdings nur, um Sasuke abzuklatschen, „Mission erfolgreich, Sasuke!“ Itachis Aura schien die Sonne, vor die sich gerade eine Wolke geschoben hatte, wieder stärker strahlen zu lassen. Ich hatte so was noch nie erlebt. Konan sah vollständig glücklich und zufrieden aus. Wenn Itachi glücklich war, war sie es auch. „Siehst du, Bruder, Lachen ist doch gar nicht so schwer.“ sagte Sasuke. „Ich glaub, ich hab es fast verlernt. In den letzten Jahren konnte ich das einfach nicht.“ in Itachi's warmherziger Stimme klang das Glück mit. Ich vermutete, dass Sasukes Worte über Itachis Herz und das, was Itachi gerade gesagt hatte, mit dem zusammenhing, was er mir noch nicht erzählen wollte, als Oma Yoneko ihn vorhin gefragt hatte. Ausgerechnet jetzt meldete sich mein Handy. Einen kurzen Moment wollte ich es ins Wasser schmeißen. Warum rief immer dann jemand an, wenn ich es am allerwenigsten gebrauchen konnte? Und dann stand auch noch „Mom“ auf dem Display! Ich ging widerwillig ran. „Hanna, wir gehen heute Abend auf ein Konzert in der Kirche. Mach dir selbst Essen und geh zeitig ins Bett. Nami ist mit ihren Freunden unterwegs.“ sagte Mom. „Weiß ich. Ich bin nämlich im Schwimmbad und die sind auch hier. Nami wird euch ´ne Menge Mist erzählen, denke ich. Glaubt ihr kein Wort, sie will mich ärgern.“ „Geh jetzt nach Hause, räum noch die Spülmaschine aus und lass Nami rein, wenn sie zurückkommt.“ befahl Mom. Ich hatte echt keine Lust auf Streit, deshalb gab ich nach: „Ja, Mom, ist gut, mach ich.“ obwohl ich noch weniger Lust hatte, nach Hause zu gehen. „Meine Mom will, dass ich sofort nach Hause komme.“ sagte ich zu den anderen.„Wir sehen uns morgen in der Schule.“ Gaara stand auf und gab mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Den ganzen Heimweg über spürte ich diesen Kuss immer noch und als ich über die Stelle strich, blieben ein paar Sandkörner auf meinen Fingerspitzen zurück. Körner von Gaaras Sand… Als ich zu Hause ankam, waren Mom und Dad schon weg. Ich machte mir selbst Abendessen, räumte die Spülmaschine aus, packte meine Schulsachen und die Sporttasche, denn Miss Tanaka hatte angekündigt, die ausgefallene Sportstunde bei der nächstbesten Gelegenheit nachzuholen. Später sah ich noch meine Mails nach und fand zwischen Werbeangeboten und Bestellungsrückmeldungen eine Mail mit Absender Ino Yamanaka: „Hanna, ich hab gehört, dass du jetzt zu uns gehörst. Tut mir leid, dass ich so ein Biest war. Aber ich hab da noch eine Frage: Was findest du an Gaara so toll? Ich versteh das nicht so ganz. Und da ist noch was: die Mädchen aus Suna Gakure mögen dich wohl nicht so besonders. Die sind alle hoffnungslos in Gaara verliebt und wahrscheinlich ein bisschen eifersüchtig, weil du jetzt mit ihm zusammen bist. Sie sagen, dass du ihnen „ihren“ Kazekage ausgespannt hast. Ich nenn dir mal einen Namen: Matsuri. Sie war Gaaras Schülerin, bis er hier her gekommen ist und jedes Mal, wenn er sie anlächelt, wird sie knallrot. Aber sie ist ziemlich schüchtern und eigentlich ein liebes Mädchen. Ich glaub nicht, dass sie dich anzickt.
Bis Morgen, dann. ^_^ Ino“
Ich wusste nicht so genau, was ich davon halten sollte. Warum war Ino auf einmal so nett zu mir? Und musste ich mir wegen dieser Matsuri Sorgen machen?
Kapitel 17
Der nächste Tag, ein Mittwoch, begann ruhig. Ich konnte fast nicht glauben, dass gestern so viel passiert war: ich hatte Naruto, Sakura und Sasuke kennen gelernt, Konan und Itachi. Innerhalb eines Tages war ich vollständig in Gaara's Welt eingeweiht worden und das gestern war bestimmt noch nicht alles. So, wie ich Gaara inzwischen kannte, wusste ich noch längst nicht alles von ihm. Der Stress mit Mom und Dad, den Nami mit einhundertprozentiger Sicherheit auslösen würde, kam wohl heute Nachmittag auf mich zu. Ich überlegte schon mal, was ich ihnen sagen würde, wenn sie mich auf die Sache im Schwimmbad ansprachen. Als ich in die Klasse kam, stand etwas in Deutsch und Japanisch an der Tafel: „Heute 1. - 2. Stunde Sport, westl. Halle. T. S.“ „Wer ist denn T. S.?“ wollte Midori wissen. „Ist Yamamoto krank? Das ist vielleicht ihre Vertretung.“ sagte ich. „Sag mal, Hanna, redest du nicht mehr mit mir?“ fragte Midori, „du hast mich gestern in der Schule kaum angeguckt. Was ist los?“ sie sah mich direkt an, wirkte beleidigt. Oh! Ich hatte sie wegen Gaara und Naruto fast vergessen! „Tut mir leid, Midori. Es war so viel los mit Naruto und so…“ „Ist schon gut. Du bist jetzt mit Gaara richtig zusammen, oder?“ „Ja, ich glaube, das kann man jetzt so sagen.“ das klang ziemlich ungenau, aber ich wollte nicht, dass Midori wieder so laut wurde und Masao wieder seine bescheuerten Kommentare dazu gab. „Also jetzt echt? Du und Gaara?“ flüsterte sie gerührt. Ich nickte. Aber ich wusste nicht, wie viel Midori über Gaaras Geheimnisse wissen durfte. Temari und Kankuro hatten mir eindeutig klargemacht, dass ich vorsichtig sein musste mit dem, was ich sagte. Zwar war ich sicher, dass Midori absolut vertrauenswürdig war, aber ich wollte vorsichtshalber zuerst Temari's Einverständnis haben. „Sag mal, Hanna, wie ist er denn so, wenn du mit ihm allein bist?“ fragte Midori, immer noch flüsternd. „Anders als hier. Nicht so verspannt. Er kann wirklich süß sein.“ antwortete ich. „Wow! Große Liebe und so?“ „Nein, so würde ich das nicht sagen. Er ist irgendwie ganz anders, was so was angeht. Ich mag ihn einfach und er scheint schon richtig Gefühle für mich zu haben. Er ist nur, na ja, ein bisschen schüchtern vielleicht.“ sagte ich. Obwohl ich mir ziemlich sicher war, dass das keine Schüchternheit, sondern Selbstkontrolle war.
Da niemand von meinen neuen Leuten in der Klasse war, gingen Midori und ich schon mal zu Sport. Ich hoffte, dass es heute nicht schon wieder so eine Katastrophe wie letztes Mal gab. Vor der zweiten, im westlichen Stil gebauten Turnhalle wartete Ino auf uns. Sie trug ein knappes, lilafarbenes Kampfoutfit. „Wo sind die anderen?“ fragte ich, „und kommst du jetzt in unsere Klasse?“ Ino nickte. Ich fragte mich, ob Sakura schon davon wusste und wie sie darauf reagiert hatte. Schließlich konnte sie Ino nicht ausstehen. „Bei der neuen Sportlehrerin. Matsuri ist auch da. Sie kommt auch in unsere Klasse.“ sagte Ino, „und wegen der Mail, Hanna: mein Streit mit Sakura betrifft dich ja nicht. Tut mir wirklich leid, dass ich dich so angezickt habe.“ Ihre Reue wirkte echt und ich hatte keine Lust, nachtragend zu sein. „Ist schon gut. So schlimm war´s ja nicht.“ sagte ich.
„Einen wunderschönen guten Morgen, Leute! Ab in die Halle!“ rief eine blonde, hübsche Frau hinter uns. Sie trug eine knöchellange, dunkelblaue Hose aus einfachem Stoff, eine grüne Kimono-Jacke und eine tief ausgeschnittene, hellgraue Kimono-Bluse, das den Blick automatisch auf ihre große Oberweite lenkte. Ino starrte sie entgeistert an: „Du! Du bist die neue Sportlehrerin! Wie geht denn das?“ „Es geht eben.“ sagte die Frau, „oder hast du was dagegen, Ino?“ sie sah Ino streng an. Dann lief sie an uns vorbei in die West-Turnhalle. Ihre langen, offenen Zöpfe wehten an mir vorbei und ich bemerkte ein rot eingekreistes japanisches Schriftzeichen auf ihrem Rücken. Wir folgten ihr und ich warf im Vorbeigehen einen Blick auf die Baustelle daneben, wo die japanische Sporthalle nach Gaaras Unfall wieder repariert wurde. Gerade setzten japanische Bauarbeiter neue Schiebetüren ein. „Los jetzt! Umziehen in zehn Minuten!“ kommandierte die neue Lehrerin und stampfte mit ihren schwarzen High-Heels auf den Boden. In den Absätzen steckten spitze Nieten und Metallsplitter, was sie ein bisschen wie Punksandalen aussehen ließ oder wie als Schuhe getarnte Waffen. „Das kann ja lustig werden!“ flüsterte Midori, „ist die vom Militär?“ „Nein, sie ist der Hokage.“ sagte Sakura, die an der Tür zur Mädchenumkleide stand, „also behandelt sie mit dem gebührenden Respekt!“ „Du bist ja auch ihre Lieblingsschülerin.“ bemerkte Ino sarkastisch. Sakura reagierte jedoch nicht besonders darauf. Sie wollte sich von Ino wohl nicht weiter provozieren lassen. Wir zogen uns um, allerdings etwas langsamer als die neue Lehrerin gefordert hatte. Ich war ein bisschen ängstlich wegen Sport, weil ich nämlich nicht besonders sportlich war, besonders, wenn es um Ballsportarten und Ausdauer ging. Dazu fehlten mir Kraft und Kondition. Im Hamburg hatte ich nie was Besseres als eine Vier in Sport gehabt und die auch nur, weil wir ein paar Monate Yoga gemacht hatten. Als die Klasse sich in der Turnhalle versammelt hatte, war die Lagerspaltung, die mir schon gestern aufgefallen war, unübersehbar: Das eine Lager bestand aus Masao und seiner Clique sowie den ewig unentschlossenen Mitläufern, kurz denjenigen, die was an Gaara auszusetzen hatten. Die anderen Gruppe, das waren Gaara, Temari, Naruto, Sakura, Sasuke, Ino, Midori und ich. Akiko saß genau dazwischen, schien aber zu unserer Gruppe zu tendieren. Und die neue Lehrerin stand ebenfalls klar auf unserer Seite. Natürlich. Sakura hatte gesagt, dass diese Frau der Hokage war. „Was machen wir?“ fragte Sagiri, „Völkerball oder sowas?“ „Das könnt ihr vergessen.“ antwortete die Lehrerin. „Wie sollen wir dich eigentlich nennen?“ fragte Ino. „In Sport nennt ihr mich einfach Tsunade. Und in den anderen Fächern bin ich für euch Miss Senju.“ Ein seltsames Raunen ging durch das Lager der Masao-Anhänger. Es klang, als würde ihnen der Name Tsunade Senju bekannt vorkommen. Ich sah Gaara an. Er hatte einen seltsamen Ausdruck in den Augen, als ob er fürchtete, bei irgendwas ertappt zu werden. Ich konnte mir wie so oft keinen rechten Reim auf sein Verhalten machen. „Was lernen wir denn bei Ihnen, Tsunade?“ fragte Masao und betonte den Namen der neuen Lehrerin seltsam. „Ich denke, wir fangen mit ein bisschen Judo an. Für den ganz besonderen Teil dieser Klasse“ sie sah Naruto an, „habe ich zuerst nur die Aufgabe, auf die anderen zu achten und euch klarzumachen, dass es auch Leute gibt, die weniger drauf haben.“ jetzt warf sie Sasuke einen mahnenden Blick zu. „Was soll das denn heißen?“ fragte der herausfordernd. „Das heißt, dass du dein Schwert aus einem sehr guten Grund zu Hause gelassen hast. Ich habe mit deiner Mutter darüber gesprochen.“ sagte Tsunade. „Oma Tsunade!“ schrie Naruto. „Du bist ganz still, kapiert?“ fuhr sie ihn an. „Das ist doch Zeitverschwendung.“ sagte Sasuke, „ich geh nach Hause.“ „Und du bleibst schön hier, Sasuke Uchiha. Oder muss ich erst auch noch mit deinem älteren Bruder über deine Einstellung hier reden?“ Wieder ging ein seltsames Raunen durch Masaos Gefolge. Aber Sasuke warf denen einen dermaßen finsteren Blick zu, dass sie verstummten. „Und ihr alle baut einen Kreis aus flachen Matten auf, aber schnell, wenn ich bitten darf!“ rief Tsunade laut. Sofort stürzten sich ein paar Jungs auf den Mattenwagen. „Hanna, Oma Chiyo hat mir erzählt, dass unsere Tarnung bei dir kaum Wirkung zeigt. Das bedeutet wahrscheinlich, dass du ein bisschen Talent für unsere Art besonderer Fähigkeiten hast. Willst du das ausbauen?“ Tsunade sah auf mich herunter und ich wusste zuerst nicht, was ich sagen sollte.
„Das kann nicht sein.“ antwortete ich, als ich meine Sprache wiedergefunden hatte, „ich bin ziemlich unsportlich. Ich hatte noch nie was Besseres als eine Vier in Sport.“ „Wir können es versuchen. Mach erst mal bei den Konzentrationsübungen mit, dann sehen wir weiter.“ Ein lautes „Jaaahhhaaaahh!“ unterbrach sie und sie drehte sich um. Ein paar von Masaos Freunden hatten sich den halbleeren Mattenwagen geschnappt, sich draufgesetzt und Masao schob den metallenen Wagen in einem Heidentempo durch die Halle. Sie rasten auf einen doppelt dicken Weichboden zu, der mit einem breiten Nylonband an der Wand der Halle befestigt war. Als der Wagen mit den kreischenden Jungs in den Weichboden krachte, schrie Tsunade los: „HABT IHR SIE NOCH ALLE? WISST IHR EIGENTLICH, WIE TEUER DIE SACHEN HIER SIND?“ „Nein, Ma´am.“ sagte Masao. „DANN LASST DEN QUATSCH GEFÄLLIGST SEIN! KÖNNT IHR EUCH NICHT EINMAL WIE ZIVILISIERTE MENSCHEN BENEHMEN?“ brüllte Tsunade, „jetzt fahrt den Wagen in den Geräteraum und überlegt, was ihr dem Rektor dazu sagen wollt. Da geht ihr nämlich nach der Stunde hin.“ „Ähm, hai, ja, sensei, sumimasen…“ stotterte einer der Chaoten. „Das will ich doch hoffen.“ zischte Tsunade und ließ ihre gespickten Absätze vielsagend im Sonnenlicht blitzen. Ein ziemlich kleines Mädchen betrat schüchtern die Halle. Sie sah sich vorsichtig um, als suche sie jemanden, bei dem sie sich nicht sicher war, ob sie ihn überhaupt sehen wollte. „Matsuri, du bist zu spät.“ bemerkte Tsunade. Das war also das Mädchen, von dem Ino geschrieben hatte „Entschuldigen Sie, Prinzessin Tsunade. Ich… ich hab mich ein bisschen verlaufen.“ stotterte Matsuri verlegen. Sie sah nicht aus wie eine, die mir wegen meiner Beziehung zu Gaara das Leben schwer machen konnte, aber sie musterte mich schüchtern. Als sie sah, dass ich sie bemerkt hatte, senkte sie scheu den Blick. Dann lief sie plötzlich schnell auf mich zu. „Du bist Hanna Jones, oder? ich heiße Matsuri, ich bin sechzehn und ich… es ist… also, wenn er dich gern hat… es ist… na ja, eben …so, er hat so schöne Augen und ich….“ stotterte sie und ihr Gesicht nahm sie Farbe einer reifen Tomate an. Mir war klar, dass sie von Gaara sprach. Was seine Augen betraf, musste ich ihr Recht geben. Matsuri holte tief Luft und fing dann in einem rasend schnellen Wortschwall wieder an zu reden: „Was ich dir sagen wollte, Hanna, ich hab überhaupt kein Problem mit dir. Wenn Meister Gaara sich für dich entschieden hat, kann ich daran nichts ändern. Es ist nur so, also, jedes Mal, wenn er mich anlächelt, wird ich knallrot und dann fall ich um.“ sie taumelte und wenn Tsunade sie nicht aufgefangen hätte, wäre sie auf den Hallenboden gefallen. „Das passiert immer, wenn sie mich sieht.“ sagte Gaara. Er stand hinter mir und ich hatte ihn nicht mal bemerkt. Er wusste wahrscheinlich über Matsuris emotionale Lage Bescheid. „Es ist nicht zu übersehen. Aber ich kann leider nichts daran ändern, dass ihre Gefühle nicht auf Gegenseitigkeit beruhen.“ antwortete er auf meine Gedanken. ICHII! „Und was sagst du zu ihr, wenn sie dich drauf anspricht?“ wollte ich wissen. „Dass sie ein nettes Mädchen ist, ich aber nicht so zu ihr stehe, wie sie sich erträumt. Und dass ich sie auf keinen Fall verletzen will.“ sagte Gaara. Matsuri kam langsam wieder zu sich. „Tu mir bitte den Gefallen und fall nicht immer gleich um, wenn du mich siehst.“ Gaaras Gesicht war auf einmal so undurchschaubar wie an dem Tag, als ich ihn kennengelernt hatte. Wahrscheinlich wollte er vermeiden, dass Matsuri schon wieder umfiel, weil sie ihn lächeln sah. Matsuri stand auf, stotterte: „Natürlich. Was du willst, Gaara.“ und rannte dann aus der Halle. Die anderen hatten sich schon auf die Matten gesetzt. Tsunade begann mit den Übungen und zu Anfang ging auch alles gut. Und das, was dann kam, lag bestimmt nicht an uns: mit lautem Krachen und einem hässlichen Knirschen zerbrach ein Fenster und ein blauweiß schimmernder Drache von der Größe eines kleinen Hauses steckte seinen diamantenen glitzernden Kopf durch das Loch, das von den Scherben, die noch im Fensterrahmen steckten, umrandet wurde.
Das Masao-Lager brach in lautes Kreischen aus, meine Gruppe blieb weitgehend ruhig. „Dialga!“ schrie Tsunade, „was hast du hier zu suchen?“ „Niiiiiieeeeeraaaaaauuuuiiiii!“ kreischte der Drache. Seine orangeroten Augen blitzen uns an. Ich hatte ein Bild dieses Drachens in Temaris Zimmer gesehen, er war das blaue Wesen neben dem rosaweißen gewesen. Und er hieß wohl Dialga, jedenfalls hatte Tsunade ihn so genannt. Ein schöner Name für einen Drachen, fand ich. Die halbe Klasse war durch das plötzliche Auftauchen eines waschechten Drachen in Panik geraten und weggerannt. Die Gruppe um mich, Midori (die ziemlich unerschrocken war) und die Ninjas war weit weniger verschreckt. Gaara schien den Drachen zu kennen. Ich war mir relativ sicher, dass von diesem Drachen keine Gefahr ausging. Er sah eigentlich fast niedlich aus, wie ein Pokémon oder so. Ich kannte mich nicht wirklich mit Pokémon aus, aber dieser Drache war irgendwas in der Richtung. Gab´s nicht auch noch Digimon oder wie die alle hießen? Eigentlich waren diese Serien eine ziemliche Jungsdomäne, aber man bekommt ja so einiges mit, wenn man an einem langweiligen Nachmittag durchs Fernsehprogramm zappt. „Das tut mir wirklich leid!“ rief ein Mädchen, das im allgemeinen, drachenbedingten Durcheinander in die Halle gekommen war. Sie hatte dunkelrosa Haar und große, braune Augen und trug ein auffälliges, rotweißes Kleid, das einer japanischen Schuluniform entfernt ähnlich sah. Irgendwie sah sie anders aus als wir, aber auch nicht wie Sakura oder Temari. Sie schien von einer weiteren, fremden Welt zu kommen. „Habt ihr vielleicht Palkia oder meinen Rosendrachen gesehen?“ fragte sie. es waren also noch mehr Drachen unterwegs. „Du bist ja eine ganz tolle Drachenhüterin, Aki.“ bemerkte Sasuke, „die laufen dir weg und auch noch in einer Welt wie dieser hier?“ „Na ja, sie gehören mir nicht, deshalb tun sie, was sie wollen.“ verteidigte sich das Mädchen. „Akiza Izinai, erklär mir das mal bitte! Was haben diese Drachen in meinem Unterricht zu suchen?“ forderte Tsunade. Und während Akiza Tsunade erklärte, warum plötzlich ein paar Drachen vor der Turnhalle standen, fiel mir der Absatz in dem Buch aus der Schulbibliothek wieder ein: „In einer fast vergessenen Legende heißt es, dass sich Bijuu-Geister unter bestimmten Umständen, z.B. beim Kontakt mit echten Drachen oder wenn man sie alle zehn zusammenfügt, in Ichibinai verwandeln.“ Waren es diese Drachen gewesen, die Shukaku in Mardi verwandelt hatten? Und waren sie die Drachen-Geheimpolizei, von der Konan gesprochen hatte? Auf jeden Fall gefielen sie mir, zumindest Dialga, denn von den anderen Drachen waren nur laute, schrill kreischende Schreie zu hören. Neben Dialgas Kopf tauchte eine schwarze, mit Dornen besetzte Ranke auf. Daneben erschien ein schmaler, schwarzer Kopf mit schmal mandelförmigen, gelben Augen: Ein weiterer Drache. „Röschen!“ rief Akiza. Der Drache streckte die Ranke aus, plusterte sein Gefieder aus riesigen, dunkelroten Rosenblättern auf und Akiza ließ sich elegant von ihm hochheben. „Darf ich vorstellen: mein süßer Schwarzer Rosendrache!“ sagte sie, „und jetzt, meine liebe Rose, sagst du mir bitte, wo Palkia und der Sternenstaubdrache sind, ja?“ Tsunade verlor sichtlich die Geduld. Noch machte sie nur ein genervtes Gesicht, aber bald würde sie platzen, da war ich mir ziemlich sicher. Der Rosendrache quietschte ebenso schrill wie Dialga. Es klang wie eine lebende, durchgeknallte Kreissäge. „Röschen, jetzt sag mir doch bitte mal, wo die anderen zwei Drachen hin sind!“ bat Akiza mit Säuselstimme. „Palkia kommt!“ quietschte Kyu auf einmal aus Naruto heraus, „Jack hat den Sternenstaub mitgenommen. Schon wieder! Aber nicht geklaut!“
„Dankeschön, Kyu.“ sagte Akiza. „Hat Jack sich mal wieder den Sternenstaubdrachen ausgeliehen?“ fragte Sasuke, „er hat doch einen eigenen.“ „Miss Izinai, wären sie bitte so freundlich, meinen Unterricht nicht weiter zu stören und mit der Drachenschar den Rückzug anzutreten?“ säuselte Tsunade ironisch und sah dabei aus wie eine Dampfwalze, die gleich loslegen würde. Wenn Akiza klug war, würde sie samt Drachen schnellstmöglich verschwinden. Das tat sie dann auch. Midori steckte den Kopf aus dem Fenster des Geräteraumes, in dem sie sich dann doch versteckt hatte. „Nur die Schwarze Rose und der Drachenclub.“ antwortete Sasuke gleichgültig. Naruto prustete, als wollte er sich ein Lachen verkneifen. „Können wir mit dem Training weitermachen?“ fragte Temari ungeduldig. Doch daran war nicht mehr zu denken. Von den „normalen“ Leuten war keiner mehr in der Turnhalle. Midori und Akiko kamen mit ein paar anderen aus dem Geräteraum. Der Rest der Klasse war irgendwo in den Fluren zwischen Halle und Umkleideräumen. Tsunade stöckelte aus der Halle und jeder in der Halle konnte hören, wie sie die anderen lautstark aufforderte, sofort zurückzukommen. Während die anderen in der Halle dann das Konzentrationstraining fortsetzten, nahm Tsunade mich beiseite und sagte: „Ich hab dir das vorhin schon einmal gesagt, Hanna. Du hast offensichtlich eine Begabung. Das ist bei Leuten von deiner Welt sehr selten und ich bin mir auch nicht sicher, wie sich das Ganze bei dir zeigt, aber unsere Tarnung schlägt bei dir nicht richtig an. Du bemerkst sofort, wenn jemand von einer anderen Welt ist. Das ist ein Zeichen für irgendein Talent, zum Beispiel in Sachen Ninja-Fähigkeiten. Willst du diese Begabung trainieren?“ „Ich weiß nicht.“ antwortete ich und ich wusste es wirklich nicht, „ich muss mich erst etwas daran gewöhnen. Ich habe noch nie vorher mit solchen Sachen zu tun gehabt.“
„Temari hilft dir bestimmt gerne. Aber wenn du noch nicht so genau weißt, ob du das willst, warten wir erstmal ab. Zuerst sollten wir herausfinden, wie du auf Chakra reagierst. So, wie ich deine Fähigkeiten einschätze, bist du geeignet.“ sagte Tsunade. „Geeignet wofür?“ fragte ich, obwohl ich bereits ahnet, was sie meinte. „Dafür, eine Kunoichi, also ein weiblicher Ninja, zu werden.“ antwortete Tsunade, „wir können versuchen, dir eine Probedosis Chakra zu geben, dann sehen wir, ob dein Körper darauf reagiert und selbst welches aufbaut. Wenn dem nicht so ist, dann hat es keinerlei Wirkung, aber wenn du begabt bist, kannst du es trainieren, wenn sich dein Chakranetz aufgebaut hat.“ „Ist es gefährlich?“ wollte ich wissen, denn die Erfahrungen, die ich bisher mit Chakra gemacht hatte, waren ja ziemlich bedenklich. „Dein Körper braucht natürlich eine Weile, bis er sich daran gewöhnt hat, aber ansonsten ist es nicht von Natur aus gefährlich. Ein Kampf hat natürlich seine Gefahren, aber darum geht es ja noch gar nicht.“ sagte Sakura, die dazugekommen war. „Ich mach es.“ die Worte waren schneller herausgekommen, als ich denken konnte. Und deshalb war meine Entscheidung klar. Mein Unterbewusstsein hatte entschieden und mein Normalitätssinn wanderte endgültig in den Mülleimer. Ich wollte zumindest ein bisschen so werden wie die Leute, mit denen ich jetzt einen großen Teil meines Alltags (der kaum mehr alltäglich war) verbrachte. „Sakura, du machst das.“ sagte Tsunade, „du bist inzwischen gut genug.“ „Okay.“ erwiderte Sakura. Sie baute auf dem Boden der Turnhalle ein Minilabor aus ihrem Medizinkoffer auf. Tsunade war eindeutig so was wie ihre Privatlehrerin in Sachen Medizin. „Damit wirst du ein Teil unserer Welt, Hanna.“ sagte sie und holte eine Spritze hervor, die mit einer hellblauen, energiegeladen rauschenden Substanz gefüllt war. Ich brauchte die Nadel gar nicht anzusehen, damit mir schwindlig wurde. Es reichte, dass ich wusste, dass da eine Spitze war. Ich konnte Injektionsnadeln nicht ab (wie Bella Swan). Also kniff ich die Augen zu und versuchte, mich abzulenken. „So.“ sagte Sakura und zog hörbar die Hülle von der Nadel. Mir wurde noch schwindliger und als die Spitze meine Armbeuge berührte, fiel ich Ohnmacht. Als ich wieder zu mir kam, sah ich in Gaaras besorgten, helltürkisgrünen Augen. Mein Kopf tat weh, ich war wohl auf den Hallenboden gefallen. „Was ist denn passiert?“ fragte Gaara, „bist du okay?“ er gab mir einen sanften Kuss aufs Haar, genau da, wo es wehtat und es wurde augenblicklich besser. „Ich mag keine Spritzen.“ sagte ich, „wenn ich schon weiß, dass da ´ne hohle Nadel ist, wird mir schwindlig.“ Sasuke, der neben Sakura saß und die Spritzen wieder in ihre Tasche packte, sagte: „Das Problem hat Itachi auch.“ wieder klang die Liebe zu seinem älteren Bruder in seiner sonst irgendwie harten Stimme mit. „Wenn ich zum Arzt gehe, fällt dem das Chakra dann auf?“ fragte ich. „Nein. Es ist mit den in dieser Welt verwendeten Geräten nicht messbar.“ antwortete Sakura, „fang am besten so in drei Wochen mit dem Training an. Dann hat es sich ausgebildet und eingependelt.“ In dem Moment kam Ino in die Halle gestürmt. „Juhuu, wir haben heute den ganzen Tag Tsunade! Die Tanaka ist nicht da!“ sie rannte auf Sasuke zu, wollte ihn wohl umarmen, aber er trat im letzten Moment einen Schritt zur Seite und Ino rannte gegen einen der Weichböden an der Wand. Sasuke grinste leicht.
„Hey, das war gemein von dir, Sasuke!“ rief Naruto. Aber Sasuke zuckte nur gleichgültig mit den Schultern. „Wieso machst du das?“ schrie Ino ihn an und rannte aus der Halle. „Weil ich nicht wie Itachi bin.“ sagte Sasuke leise.
Kapitel 18
Durch die chaotische Sportstunde war die Pause ausgefallen. Und weil Miss Tanaka nicht da war, würden wir wohl die letzten beiden Doppelstunden bei Miss Senju haben. „Können Sie uns bitte mal erklären, was in der Stunde eben los war?“ fragte Masao fordernd. „Habt ihr das nicht gesehen? Das waren Drachen.“ sagte Miss Senju. Ich nannte sie in Gedanken immer noch Tsunade. „Drachen? Aber das gibt´s nicht! Waren das Hologramme oder haben wir halluziniert?“ fragte Sagiri, Masaos feste Freundin und das Glamourgirl der Klasse. Sie warf mir, seit ich offiziell mit Gaara zusammen war, verächtliche Blicke zu. „Natürlich gibt´s Drachen, du hast sie doch gesehen!“ schrie Naruto. Und Kyu ließ einen lauten Protestschrei hören. „Was soll das denn sonst gewesen sein?“ fragte Sasuke sarkastisch. „RUHE!“ rief Tsunade. Sie pinnte vier laminierte Bilder an die Tafel. Sie zeigten Dialga, den Rosendrachen, und zwei andere Drachenwesen. „Das sind Palkia und Giratina. Sie gehören zu den legendären Echten Drachen.“ Den rosaweißen Drachen hatte ich schon bei Temari im Zimmer gesehen. Der Name des Drachen war laut Tsunade Palkia und der Drache daneben, ein gelbgrauschwarzer Drache mit denselben Augen wie Dialga und Palkia, war Giratina. Die Drachen sahen beeindruckend und stark aus. Mir gefiel besonders Dialga, das aussah, als würde es aus blauen Diamanten bestehen. „Und warum zeigen Sie uns das?“ fragte Akiko. „Weil ihr keine Ahnung habt, was in Sport abgelaufen ist und was allgemein los ist, werde ich euch ab jetzt Stunde für Stunde darüber aufklären.“ sagte Tsunade. Sie zeigte auf einen Karton neben dem Lehrertisch, in dem Bücher steckten. Auf dem obersten Exemplar war der Titel zu lesen: „Drache aller Welten.“ Es war das gleiche Buch, das ich gestern von Oma Chiyo bekommen hatte. „Einer von euch teilt bitte die Bücher aus. Ihr schlagt sie in Folie ein und schreibt euren Namen auf den Stempel. Und wenn ich eine einzige dumme Bemerkung höre, fliegt derjenige für zwei Tage von der Schule, habt ihr das kapiert?“ kommandierte Tsunade, „Sakura, du rufst Akiza an und sagst ihr, sie soll zurückkommen und ihren Rosendrachen mitbringen.“ Zehn Minuten später war Akiza da und über den Schulhof vor dem Fenster wehte eine Welle aus großen, roten Rosenblättern, was sehr hübsch aussah. „Wir gehen jetzt alle raus und Akiza zeigt uns den Rosendrachen. Ihr findet ihn im Buch auf Seite einhundertundzwanzig.“ Tsunade schrieb die Seitenzahl zweisprachig an die Tafel. „Miss Senju? Was soll das eigentlich? Da ist doch was komisch!“ sagte Masao. „Soll das eine dumme Frage sein?“ fuhr Tsunade ihn an. „Es ist doch ein bisschen komisch, oder? Ich meine, in dem Buch geht es um Pokémon. Auf jeder Seite steht was über Pokémon und so einen Kinderkram. Und dieser Rosendrache…“ sagte Sagiri. „Das ist eine dumme Frage.“ bemerkte Tsunade und ihr Ton ließ keinen weiteren Widerspruch zu, „ich habe sehr gute Gründe, dumme Fragen zu verbieten. und jetzt gehen wir auf den Schulhof, um uns einen Drachen anzusehen.“ Wir verließen den Raum und liefen in Richtung Schulhof. Auf einmal war Gaara verschwunden. Eben hatte er noch meine Hand gehalten und jetzt konnte ich ihn nirgends sehen. Er war mal wieder einfach verschwunden. Ich verstand ihn immer noch nicht so ganz und fragte mich langsam, ob sich das noch mal ändern würde. Er schien mich jedoch bereits in- und auswendig zu kennen, was wohl mit seiner Gedankenleserei zusammenhing. Auch, wenn ich hinter seine Identität und seine Herkunft gekommen war, war mir sein Inneres immer noch ein einziges, undurchschaubares Rätsel. Gaara brauchte wahrscheinlich einfach noch Zeit, dann würde er sich mir noch weiter öffnen. Wir gingen raus auf den Schulhof, wo der Rosendrache in seiner ganzen Eleganz und Schönheit mitten auf dem Sportplatz stand, von einer Welle aus Rosenblättern umgeben. „Das ist mein Schwarzer Rosendrache.“ rief Akiza stolz. Der Drache schlug rauschend mit den Flügeln und eine weitere Welle roter Blütenblätter wehte über den Hof. Dann sah ich Gaara. Er stand an die Wand der Turnhalle gelehnt und fing mit einer eleganten Bewegung seiner Hand eines der roten Blütenblätter aus der Luft. Es sah wirklich wunderschön aus, wie er in seiner roten Kleidung und mit seinen, vom Wind bewegten, roten Haaren zwischen den roten Rosenblättern stand, die um ihn herum schwebten und ohne mich zu bemerken, auf die Weite des großen Sportplatzes hinaus blickte. „Gaara ist ein echter Traumtyp!“ dachte ich, „der süßeste Junge, dem ich jemals begegnet bin!“ Ich hatte noch nie zuvor etwas so Schönes und Romantisches gesehen! Der feine Wüstensand, der aus seiner Richtung auf mich zu geweht wurde, erinnerte mich wiedermal an den Strand, wo ich meine Sommerferien verbracht hatte. Meine nächsten Ferien wollte ich mit Gaara verbringen. Der Rosendrache kreischte und ich drehte mich um. Die anderen hatten sich näher an ihn herangetraut und der Drache ließ sich sogar streicheln. Auf einmal stand Gaara direkt hinter mir. „Gefallen die die Drachen?“ fragte er.
„Hat einen von denen Ichii verwandelt?“ „Nein. Das war das Drachenjutsu der Akatsuki.“ „Die Akatsuki?“ fragte ich. „Sie haben mich entführt, um Shukaku zu bekommen. Dabei hat es sich in Ichii verwandelt.“ „Entführt?“ wiederholte ich erschrocken. „Deshalb passen Temari und Kankuro so auf mich auf.“ sagte er, „den Leuten hier in der Schule hat Temari erzählt, mich hätte mal jemand angegriffen. Das ist der unverfängliche Teil der Wahrheit. Akatsuki hat mich mitten in Suna Gakure angegriffen und entführt. Der Typ, den sie losgeschickt haben, heißt Deidara. Sein Name ist für Temari und Kankuro so was wie ein Schimpfwort.“ Das erklärte Temari's aggressives Verhalten vom Anfang. Sie wollte Gaara einfach nur beschützen. „Ichiii!“ quietschte Ichii. Als wir wenig später ins Klassenzimmer zurückkehrten, drückte Gaara mir das Rosenblatt in die Hand. Er hatte mit einem schwarzen Filzstift etwas darauf geschrieben: „Kommst du heute Abend zu mir?“ Wie süß war das denn! So etwas hatte ich Gaara nicht zugetraut! Eine Einladung auf einem roten Rosenblatt, das auch noch von einem Drachen stammte! Ich war mal wieder hin und weg von ihm.
„Vier Uhr?“ fragte ich, als ich mich neben ihn setzte. „Ja.“ war seine knappe Antwort. „Hoffentlich lassen meine Eltern überhaupt noch aus dem Haus. Sie sind gerade ein bisschen hysterisch, weil ich mittlerweile siebzehn bin und sie das noch nicht so ganz kapiert haben, obwohl ich schon demnächst achtzehn werde.“ sagte ich. „Liegt es an mir?“ fragte Gaara. „Nein. Die Tatsache, dass ich einen festen Freund habe, reicht völlig aus, um meine Eltern in Panik zu versetzen. Dass du so bist, wie du bist, ist nur ein weiterer Grund für sie, mich wie einen verrückten Teenager zu behandeln, der angeblich falsche Freunde hat und nun mal leider erwachsen wird.“ Gaara schien sich Moms und Dads bescheuerte Ablehnung viel zu sehr zu Herzen zu nehmen. „Baut eure Mappe so auf wie die Kapitel im Lehrbuch!“ rief Miss Senju vorne und unterbrach uns. Ich zog „Drachen aller Welten“ aus der Schultasche und blätterte flüchtig darin herum. Auf den Seiten waren verschiedenste Drachen abgebildet, aber in einer Sache waren sie alle gleich. Ich konnte nur beim besten Willen nicht herausfinden, was es war, dass sie sich ähneln ließ. Was meine Eltern wohl davon hielten, dass ich jetzt in der Schule etwas über Drachen lernte? So, wie ich sie kannte, hielt ich es besser so lange wie möglich geheim vor ihnen. Sie hatten ja schon ein Problem mit Gaara und der Tatsache, dass ich keine zehn mehr war. Dass ich mit Leuten wie Sasuke, Konan und Itachi befreundet war, würde ihnen sicher auch nicht passen. Nami petzte ohnehin alles, was sie mitbekam. Ich war eigentlich immer gut mit ihr klargekommen, aber seit ich auf dieser Schule war, spielte sie ungefragt meine Aufpasserin und ging mir so auf die Nerven, dass ich sie manchmal zum Mond wünschte. Miss Senju (ich nannte sie in Gedanken weiterhin Tsunade) schrieb einige Aufgaben an die Tafel. Wir sollten die Drachen, die in Sport da gewesen waren, aus dem Lehrbuch raussuchen und die wichtigsten Daten herausschreiben. Es war eigentlich wie Biologie, nur dass es statt um Tiere um Drachen ging. Und Drachen waren viel interessanter. „Gleich haben wir Mathe. Hilfst du mir?“ fragte Gaara, als wir beide mit den Aufgaben fertig waren. „Natürlich. Wozu bin ich denn so gut in Mathe?“ ich lächelte ihn an. Dann warf ich einen kurzen Blick nach hinten. Temaris Platz war leer, sie war nirgends zu sehen. „Wo ist Temari?“ fragte ich Gaara. „Sie ist mit Sasori zu einem Vorstellungsgespräch für seine neue Arbeit. Es ist das achte Mal, dass Sasori seine Arbeit verliert und sich neu bewerben muss.“ antwortete er. „Warum denn?“ „Wegen der Akatsuki. Sasori bekommt in Suna Gakure keine Arbeit, deshalb hat er sich zuerst in Konoha und dann in ein paar Städten in anderen Welten beworben. Aber er hält es höchstens ein bis zwei Monate bei einer Arbeit aus. Dann kommt meistens raus, dass er keine richtigen Papiere hat und er hat keine Lust mehr. Oma Chiyo regt sich deswegen immer ziemlich auf.“ „Warum hat er denn keine Papiere?“ fragte ich. „Weil er nicht so jung ist, wie er aussieht. Er ist viel älter. Mit siebzehn hat er Suna verlassen und ist zur Akatsuki gegangen. Das war vor über zwanzig Jahren. Und dann hat Oma Chiyo ihn vor einem Jahr wiedergesehen und er ist überhaupt nicht gealtert. Er ist achtunddreißig und sieht immer noch aus wie siebzehn.“ antwortete Gaara. „Und warum?“ fragte ich. Jetzt war ich doch etwas schockiert, obwohl mein Sinn für Normalität längst weg war. Sasori war mir sowieso etwas unheimlich. „Er hat sich in eine Marionette verwandelt, um sein jugendliches Aussehen zu erhalten. Marionetten sind eine Handwerkskunst, die in Suna Gakure entwickelt wurde. Oma Chiyo und Kankuro beherrschen sie auch, aber Sasori hat sie zur Perfektion getrieben. Er wurde inzwischen von Oma Chiyo zurückverwandelt, aber er hat so lange als Menschenmarionette gelebt, dass er auch jetzt nicht mehr altert.“ „M-hm.“ war alles, was ich sagen konnte. Das war mir irgendwie doch etwas zu unheimlich. Rote Augen waren okay, Ichiibinai auch, aber ein Mensch, der sich selbst in eine Marionette aus Holz verwandeln konnte, war etwas zu viel für mich, wo ich doch gerade erst dazugekommen war. Ich würde mich irgendwann an solche Sachen gewöhnen, das war mir klar. Aber jetzt war es einfach noch zu ungewohnt für mich. Es klingelte zur Pause. „Das hat dich schockiert.“ sagte Gaara. „Nein, mir geht´s gut.“ erwiderte ich, völlig vergessend, was für eine miserable Lügnerin ich war. „Es hat dich erschreckt. Dass Sasori eine Menschenmarionette war, das hat dir einen Schreck versetzt. Ichii hat es gehört.“ Wie konnte ich das nur immer wieder vergessen! Durch Ichii's Fähigkeit, meine Gedanken zu hören, war es mir ja unmöglich, etwas vor Gaara zu verbergen. Ich sollte damit aufhören, zu versuchen, ihn anzulügen. „Musst du mich immer so ertappen?“ fragte ich. „Du musst mir eben nichts vormachen.“ antwortete er. „Sag mir vorher Bescheid, wenn du meine Gedanken hörst. Dann kann ich mich drauf einstellen.“ „Und du sagst mir, wenn irgendwas an mir oder an meiner Welt dich erschreckt.“ sagte er. „In Ordnung.“ ich strich über seine Hand, die auf der Tischplatte lag und spürte die winzigen Sandkörner unter seiner Haut. Seine Haut war warm. „Du magst das?“ fragte er. „Es ist anders als alles, was ich bisher kannte. Und es fühlt sich schön an. Ich glaube, nur du hast so sandige Haut.“ antwortete ich und starrte auf meine Knie. Gaara erinnerte mich an Edward aus „Bis(s)“. Der hatte auch eine außergewöhnliche Haut. Allerdings war sie wie kalter Stein, während Gaaras Haut warm, weich und sandig war.
Kapitel 19
Die Mathestunde fing einigermaßen gut an. Ich war schnell mit den Aufgaben fertig und konnte danach Gaara helfen. Langsam verstand ich, wo sein Problem lag: Er schien überhaupt keinen Verständnissinn für Mathematik zu haben. Besonders bei Formeln schien ihm der Zusammenhang zu fehlen. Bei normalen Menschen nannte man das wohl Dyskalkulie, aber was bei Gaara die Ursache war, wusste er wohl selbst nicht. Immerhin schien er langsam ein Verständnis für abstrakte Mengenangaben zu entwickeln, aber mir fiel immer wieder auf, dass er oft wie ein Grundschüler leise abzählte, um sicherzugehen, dass er richtig gerechnet hatte. War er nicht sicher, ließ er die Aufgabe aus und versuchte eine andere. Er machte kaum Fehler, nämlich im Zweifelsfall einfach nichts. Das war wohl wieder sein Stolz. Nur keine Fehler machen und schon gar nicht jemanden diesen Fehler sehen lassen! Ich war anscheinend die Einzige, die seine Fehler sehen durfte. Tsunade bemerkte zwar irgendwann, wer die Aufgaben in Gaaras Matheheft wirklich löste, aber sie schien von seinem Problem zu wissen, denn sie tat so, als ob sie nichts davon sah. Gegen Ende der ersten Doppelstunde kam sie an unseren Tisch. „Es ist gut, dass du ihm hilfst. Und er ist wohl mit deiner Hilfe einverstanden. Ich sage gar nichts dagegen.“ flüsterte sie mir zu. Gaara blickte auf und Tsunade warf ihm einen ermutigenden Blick zu. In der kurzen Zwischenpause tauchte Itachi auf.„Was machst du hier, Bruder?“ fragte Sasuke. „Konan ist bei Chiyo und mir fällt zu Hause die Decke auf den Kopf. Ich hab ein bisschen mit der Renovierung weitergemacht, aber da hab ich ein paar …alte Sachen… gefunden. In den alten Kisten herum zuräumen, würde mich jetzt noch trauriger machen.“ sagte Itachi. Ich fragte mich langsam wirklich, was er damit meinte. „Ist ja schon gut. Aber der Unterricht hier ist tot langweilig, sag ich dir. Die Alte quatscht nur Kinderkram.“ erwiderte Sasuke. Aber Tsunade hatte es gehört. „Welche Alte?“ fragte sie in einem gefährlich ruhigen Ton, „du meinst doch nicht etwa mich, Sasuke?“ sie stand auf und kam auf ihn zu. Ich befürchtete einen Wutanfall wie vorhin, als sie Naruto angeschrien hatte. Sasuke sah sie mit einem ziemlich arroganten Blick an. Hoffentlich ließ er die Bemerkung, die er offensichtlich vorhatte, stecken! „Ja, Oma Tsunade, du bist halt viel älter, als du aussiehst, aber ich weiß zufällig genau, wie alt du wirklich bist.“ sagte er. „Das wagst du nicht, Sasuke Uchiha!“ zischte Tsunade, „du hältst einfach deine Klappe!“ „Nun krieg dich mal wieder ein! Jeder, der halbwegs rechnen kann, weiß doch, dass du mindestens…“ weiter kam Sasuke nicht, denn Sakura hielt ihm den Mund zu. Tsunade war mal wieder auf hundertachtzig. „Ich bring ihn um! Ich dreh dieser widerlichen Schlange den hässlichen Hals um, bis er für immer sein mieses Schandmaul hält!“ knurrte sie.
„Beruhige dich, Tsunade. Sasuke hat es nicht so gemeint. Er ist so geworden, weil…“ sagte Itachi und in seinen Augen stand ein unausgesprochener Vorwurf, der eindeutig dem galt, dem Tsunade gerade die Pest an den Hals gewünscht hatte. „Du hast ja Recht. Wie immer.“ Tsunade klang schon gleich etwas ruhiger. Itachi verbeugte sich leicht vor ihr. Das war wohl, weil sie der Hokage war.
„Ich entschuldige mich für Sasuke. Selbstverständlich trage ich die Verantwortung für sein Verhalten.“ sagte Itachi. „Nein, die Verantwortung für so eine Bemerkung trägt ein anderer. Ich denke, du weißt, wen ich meine, Itachi.“ Tsunade bedeutete ihm mit einer Handbewegung, sich nicht länger vor ihr zu verbeugen, „du kannst gern hierbleiben, wenn du möchtest. Ich kann ein bisschen Unterstützung gebrauchen.“ „Danke.“ Itachi setzte sich in die letzte Reihe, neben Temari. Sie sah ihn freundlich an und er erwiderte das mit einem wundervollen Sonne-blickt-durch-die-Wolken-Lächeln. Es war dasselbe Lächeln, mit dem er jeden bedachte, der ihn freundlich anlächelte. Itachi kam mir vor wie die Verkörperung des Sprichwortes „Lächle ins Leben und es lächelt zurück. “Die zweite Hälfte der Mathestunde glich dem Unterricht an einer Schule für Hochbegabte. Es galt, Aufgaben an der Tafel zu lösen und Sasuke spielte wie immer den Alleskönner. Meine Vermutung, dass er ein gutaussehendes Genie war, bestätigte sich. Aber dann kam etwas, das Sasukes überirdisches Können in den Schatten stellte: ein langer Vortrag über unterschiedliche Möglichkeiten, eine Aufgabe zu lösen. Und der, der diesen Vortrag hielt, war kein geringerer als Itachi. War er etwa auch so ein Supergenie? Er hatte geradezu schüchtern die Hand gehoben, gerade so hoch, dass es als unaufdringliche Wortmeldung zu erkennen war, und so begonnen: „Wenn du erlaubst, Tsunade, dann würde ich das gern noch einmal erklären. Man könnte das auch so sehen…“ darauf war etwas gefolgt, was man nur als perfekt bezeichnen konnte: eine Fülle mehr oder weniger komplizierter Wege, eine Aufgabe zu lösen, in höflicher, verständlicher Sprache vorgetragen und das von Itachi, der ja eine sehr warme, freundliche Stimme hatte. Die Gesichter der anderen (insbesondere Naruto) waren ein einziger Raum voller Fragezeichen und staunender Augen. Itachi war einfach zu gut, das haute sie alle aus den Latschen. Sie hatten das, was er gesagt hatte, zwar vielleicht verstanden, aber sie verstanden nicht, wie das angehen konnte, dass jemand dermaßen begabt und dann auch noch freundlich wie ein Engel war. Gaara hörte schon seit geraumer Zeit nicht mehr zu, das war ihm deutlich anzumerken. Er sah unbeteiligt und mit ausdruckslosem Gesicht aus dem Fenster. Selbst Itachis Talent als Zusatzlehrer hatte ihm wohl nicht helfen können, Mathe zu verstehen. Als es klingelte, rannte die ganze Klasse hinaus. Ich verstand mich eigentlich nicht besonders mit Sasuke, dafür war er mir zu eingebildet, aber jetzt musste ich ihn etwas fragen: „Du bist ja richtig gut. Bist du hochbegabt oder so? Du sagst ja immer, dass du wenig übst.“ „Ich übe auch nicht viel für die Schule. Ich kann es einfach. Aber Itachi ist viel besser als ich.“ sagte Sasuke. „Ja, er ist wirklich… intelligent.“ ich wusste nicht, wie ich Itachis engelsgleichen Fähigkeiten beschreiben sollte. „Er hat in seinem Leben noch nie was Schlechteres als eine Zwei geschrieben. Und er ist auch als Ninja so: einer der talentiertesten und stärksten Ninjas überhaupt.“ Sasuke wich meinem Blick aus und ich hatte wieder das Gefühl, dass er an eine ganz bestimmte Sache dachte, so, wie wenn Itachi etwas sagte und plötzlich abbrach. „Wow.“ das war alles, was ich sagen konnte. „Itachi ist in allem gut. Er hat mit sieben den ersten Schulabschluss, den die meisten Kinder mit zwölf machen, mit zehn wurde er Chunin und mit sechzehn war er einer der stärksten in Konoha. Er hat zum engsten Kreis um den Hokage herum gehört. Wenn es eine wichtige Aufgabe gab, hat der damalige Hokage Sarutobi immer einen Boten zu uns nach Hause geschickt und der hat Itachi's Vorschläge zur Lösung aufgeschrieben und an den Hokage weitergegeben. Diese Lösungen waren immer friedlich und wenn es um einen Kampfeinsatz ging, hat Itachi immer abgelehnt. Er hasst es, andere zu verletzen. Deshalb ist er auch Vegetarier und deshalb auch hat Tsunade ihn vor einiger Zeit, kurz nach seiner Rückkehr ins Dorf, als Verteidigungsberater eingestellt. Er nutzt seine Fähigkeiten jetzt, um Kriege zu verhindern. Das war schon immer sein Traum. Früher gab es sogar mal Überlegungen, ihn zum Hokage zu ernennen. Da war er siebzehn.“ das war die längste Rede, die ich bisher aus Sasukes Mund gehört hatte. „Und dann ist er auch noch so… nett und freundlich.“ sagte ich. „Nett“ war maßlos untertrieben. „Er ist Pazifist und versucht, immer nur Gutes zu tun. Dabei passiert es sogar, dass er sich selbst vergisst und nur dafür lebt, dass es den anderen gut geht. Außerdem hasst er Lügen. Es ist fast so, als ob er davon leben würde, zu helfen und für Frieden zu sorgen. Er hat ein Jutsu, das seine Lebensenergie so beschränkt, dass er nur dann stark ist, wenn er es für andere ist. Er wird krank, wenn es mir oder Konan schlecht geht. Obwohl ihm sein eigenes Leben und seine Gesundheit wenig bedeuten, wenn er damit niemandem helfen kann. Sein Talent ist im dann genauso egal.“ Ich sah Sasuke ungläubig an. So hatte ich ihn noch nie reden hören. Aus seiner Stimme klangen Respekt und Bewunderung für Itachi, die den harten Unterton in seiner sonst so arroganten Stimme milderten. „Das hätte Itachi dir so wohl nicht erzählt. Er gibt nicht sehr gern damit an, wie gut er ist.“ sagte Sasuke und ging einfach davon. Ich machte mich sofort auf dem Weg nach Hause. Gaara war nach Mathe sofort verschwunden. Es schien ihn jedes Mal unheimlich zu frustrieren, wenn er wiedermal merkte, dass er mit Mathe einfach nicht klarkam. Zu Hause wartete eine Standpauke auf mich. Mom fing mich gleich an der Tür ab und legte los: „Wer waren die Leute, mit denen Nami dich im Schwimmbad gesehen hat?“ „Was für Leute?“ ich stellte mich dummerweise dumm und folgte Mom ins Wohnzimmer, wo Dad schon wartete. „Nami hat dich in Begleitung von schwarz gekleideten Leuten angetroffen, die viel älter waren als du.“ sagte Dad. „Ach so, die Leute meint ihr! Das sind Freunde von Gaara. Sie sind okay, da braucht ihr euch gar nicht erst für zu interessieren.“ löste ich meine gespielte Dummheit auf. „Hanna, wir machen uns wirklich Sorgen um deinen Umgang. Warum kannst du dir denn keine normalen Freunde suchen, die nicht so seltsam sind? Nami hat doch auch ganz normale Freunde.“ fragte Mom. Es klingelte an der Haustür. Mom ging runter, um zu öffnen. „Hanna! Kannst du mir bitte mal sagen, woher deine Freunde unsere Adresse haben?“ rief sie von unten. Ich hasste diesen spießigen, idiotischen Tonfall! Um zu verhindern, dass Mom absichtlich nicht öffnete, rannte ich die Treppe hinunter. Durch das ungleichmäßige Designerglas sah ich Itachi auf der Vortreppe stehen. „Wer ist das?“ fragte Mom. „Einer von Gaara's Freunden und jetzt auch einer von meinen.“ antwortete ich knapp und schloss die Haustür auf. „Hanna, du hast das Drachenbuch in der Schule vergessen. Ich wollte es dir bringen und fragen, ob ich dir bei den Aufgaben helfen soll.“ sagte Itachi. Mom musterte ihn von oben bis unten, ihr Blick blieb an seinen dunkelroten Augen hängen. „Sie müssen Hanna´s Mutter sein.“ Itachi sah Mom mit seinen schönen, ausstrahlungsvollen Augen freundlich an und ignorierte ihr dummes Anstarren einfach. Von seinem Blick offensichtlich verwirrt, lief sie die Treppe hinauf. „Komm einfach mit in mein Zimmer.“ sagte ich. Die Frage, ob der Blick eben eine absichtliche Verwirrungsmaßname gewesen war, verkniff ich mir. Denn das, was Sasuke mir vorhin erzählt hatte, ließ darauf schließen, dass solche blick zu Itachis alltäglichem, freundlichen Verhalten gehörten. Für Itachi schien ein freundliches Lächeln einfach eine Selbstverständlichkeit seinen Mitmenschen gegenüber zu sein. „Danke, dass du mein Buch vorbeigebracht hast.“ „Das ist doch selbstverständlich.“ Wir setzten uns auf den Boden in meinem Zimmer. Ich hatte eine Frage: „Was ist das in deinen Augen eigentlich? Ich meine, das schwarze Muster und diese Ausstrahlung?“ „Das ist das Sharingan und mein Shiawase-no-Jutsu. Das Sharingan wird in meiner Familie mit der Blutgruppe weitervererbt. Sasuke hat es auch, aber er benutzt es nur, wenn er kämpft. Ich habe Probleme mit der Sehkraft meiner normalen Augen, deshalb benutze ich meine Sharingan oft, um besser sehen zu können.“ antwortete Itachi. „Und wie machst du das, diesen Blick, mit dem du meine Mom eben angesehen hast? Sie war ganz durcheinander.“ „Oh, das habe ich gar nicht bemerkt. Ich habe nur freundlich gelächelt, schließlich betrete ich ein fremdes Haus.“ „Du hast nicht mal bemerkt, dass du so eine Wirkung auf andere hast? Dass dein Lächeln jeden sofort zurückstrahlen lässt?“ fragte ich ungläubig. „Das sagen die Leute schon immer zu mir. Dass ich eine besondere Ausstrahlung habe. Aber ich merke selbst meist gar nicht, dass ich so eine Wirkung auf andere habe. Vielleicht liegt es an Shiawase-no-Jutsu.“ Ich hatte zwar keine Ahnung von Jutsus, aber dieses musste etwas ganz Besonderes sein, wenn es so einen Einfluss auf die Ausstrahlung hatte. „Es fällt besonders dann auf, wenn du lächelst.“ bemerkte ich. „Vielleicht, weil ich sehr lange Zeit nicht besonders glücklich war.“ Itachi senkte den Blick und sah auf den Boden. „Und warum?“ „Ich sollte es dir wirklich erzählen. Später, wenn du sowieso zu Oma Chiyos Haus kommst.“ sagte er. „Woher weißt du das?“ fragte ich verwundert. „Gaara hat mich um Rat gefragt. Eine Freundin zu haben, mit der er seine Gefühle teilen kann, ist ziemlich neu für ihn. So neu, dass er etwas unsicher ist.“ antwortete Itachi. „Ich hab mir da schon so was gedacht. Gaara hat ein paar Mal angedeutet, dass er früher viel allein war. Aber er hat nichts Genaues gesagt. Und ich hab nicht weiter nachgefragt. Ich will warten, bis er soweit ist, mir alles zu sagen.“ „Gaara sagt, dass du ihm guttust. Er liebt dich wirklich sehr.“ Itachi sah mich direkt an, lächelte und das ganze Strahlen seiner Aura leuchtete aus seinen rotschwarzen Augen. Ich hörte die aufgeregten Stimmen meiner Eltern im Wohnzimmer. Mom hatte Dad längst von Itachi's Blick erzählt. „Meine Eltern machen gerade ein ziemliches Theater. Sie haben was gegen alles, was nicht ihren Vorstellungen von Normalität entspricht. Ich muss es ihnen erklären, ohne etwas zu verraten, oder?“
Itachi nickte. „Temari und Kankuro haben dir die Regeln erklärt.“ sagte er. „Ich komme nachher ins Japanviertel. Wenn ich das Problem hier im Griff habe.“ erwiderte ich, „und mit den Hausaufgaben komme ich klar.“ „Dann bis später.“ sagte Itachi und war schon verschwunden. Ein Ninja wie er konnte natürlich teleportieren und ich wunderte mich nicht einmal mehr darüber. Ich ging ins Wohnzimmer, wo meine Eltern gespannt auf eine Erklärung von mir zum Besuch eines gutaussehenden Mannes mit roten Augen warteten. „Fragt gar nicht erst. Ihr habt wohl noch nie was von Kontaktlinsen gehört? Die sind doch nicht verboten.“ „Aber seltsam.“ beharrte Mom. „Ist doch auch egal. Er ist total nett. Genau wie alle anderen, mit denen ich meine freie Zeit verbringe. Hört doch einfach auf, euch in meine Sachen einzumischen.“ ich lief in mein Zimmer, sperrte die Tür ab und begann mit meinen Drachenkunde-Aufgaben.
Kapitel 20
Etwas später brachen meine Eltern zu einem Besprechungsspaziergang auf. Sie besprachen meine Erziehung immer gemeinsam und achteten darauf, dass ich nicht bemerkte, was sie über mich redeten. Schon deshalb hatte ich ihnen gegenüber ein gewisses Misstrauen. Nami war nicht da und ich hatte die Aufgaben schnell erledigt. Ich beschloss, jetzt schon loszugehen. Auf dem Weg ins Japanviertel kam ich an einem Manga-Laden vorbei. Im Fenster hingen Poster mit den Aufschriften „Dragonball Z“ und „Digimon DS“. Gerade, als ich an der Tür vorbeikam, schwang sie auf und ich sah unwillkürlich hin. Den blonden Jungen, der aus dem Laden kam, kannte ich. Er hieß Oliver und besuchte auch die Nomura-High, genauer gesagt war er in meiner Parallelklasse. Als er mich bemerkte, grinst er mich an. Ich spähte an ihm vorbei in den Laden und nahm eine mir irgendwie sehr bekannte Farbkombination wahr, die ich jedoch nicht eindeutig zuordnen konnte. Aber als die Tür hinter Oliver wieder zufiel, konnte ich nicht einmal mehr sagen, welche Farben das gewesen waren. Oliver sah mich etwas irritiert an, dann ging er davon. Eine kleine, silberne Kamera, die er an einem Band um den Hals trug, warf mir einen hell blitzenden Sonnenstrahl ins Auge. Es war so eine Blendung, wie wenn jemand in der Schule mit dem Geodreieck helle Sonnenstrahlen durch den Raum blitzen lässt und einen dabei blendet. Gaara's Haus lag ziemlich weit vorn im Viertel, ich musste nur die erste Straße halb entlanggehen und dann einmal abbiegen, dann stand ich auf der Straße vor dem Haus. So war es die letzten Mal gewesen, wenn ich hergekommen war Beim letzten Mal, gestern, war ich vor dem Haus mit Itachi zusammengestoßen. Heute schien die Sonne ziemlich hell und ich blickte auf den Boden. Er war weiß und ungepflastert, mit einigen kleineren Steinchen und kiesfarbenen Flecken, das fiel mir erst heute auf. Als ich die schnellen, gleichmäßigen Schritte auf mich zukommen hörte, hob ich den Kopf. Ein Mädchen, etwa in meinem Alter, mit langen, glänzend schwarzen Haaren kam mir entgegen. Wieder brauchte ich nur wenige Blicke, um sie eindeutig Gaaras Welt zuzuordnen und wieder wusste ich nicht, woran ich das eigentlich erkannte.
„Entschuldige bitte, aber kannst du mir bitte kurz helfen?“ fragte sie. Ihre Augen waren groß, helllilagrau und pupillenlos, was mich aber mittlerweile nicht mehr großartig wunderte. Sie hatte ein rundes Puppengesicht und ihre hohe, weiche Stimme passte dazu und ließ sie niedlich wirken. Sie blieb stehen. „Wie denn?“ fragte ich. „Schau mal nach, ob da was in meiner Kapuze ist.“ sagte sie, fasste ihr Haar zusammen und drehte sich so um, dass ich in die Kapuze ihrer lilagrauen Jacke sehen konnte. An dem Stoff hingen einige abgeworfene Insektenhäute. „Bist du gerade im Wald gewesen? Du hast Insektenhaut an den Sachen.“ bemerkte ich. „Iiiiihhh! Mach das bitte weg!“ kreischte das Mädchen. „Bleib ruhig stehen. Ich pflück die Insekten weg.“ sagte ich. Weil ich mir hundertprozentig sicher war, dass sie zur Ninjawelt gehörte, fragte ich sie einfach: „Kennst du Oma Chiyo?“ „Oma Chiyo aus Suna Gakure? Ja. Aber woher kennst du sie?“ gab das Mädchen die Frage zurück. „Ich gehe mit Gaara und Temari in dieselbe Klasse.“ antwortete ich. Dass ich mit Gaara zusammen war, ließ ich erstmal weg. „Ach so! Du bist Hanna, oder? Alle reden über dich, weil du mit Gaara zusammen bist!“ sagte das Mädchen, „ich bin Hinata Hyuga. Ich komme aus Konoha Gakure.“ In dem Augenblick blendete mich ein Sonnenstrahl von der anderen Straßenseite. So wie eben, als die silberne Verschalung von Olivers Kamera die Sonne gespiegelt hatte. Ich sah in die Richtung, aus der der Lichtblitz gekommen war, aber da stand nur ein Baum. Und ein chromblitzender Papierkorb. Wahrscheinlich hatte der die Blendung ausgelöst. Ich maß der Blendung keine weitere Bedeutung bei, obwohl ich mir sicher war, dass Oliver vorhin in diese Richtung gegangen war und ich mich irgendwie beobachtet fühlte. „Sag mal, Hinata, was ist denn das in deinen Augen? In meiner Welt sehen solche Augen blind aus.“ bemerkte ich, wobei mir einfiel, dass ich Gaara noch nie besonders nach seinen Augen und der Tatsache, dass er keine Pupillen hatte, gefragt hatte. Ich hatte ja mal Midori gefragt und sie hatte nicht wirklich geantwortet. „Das ist das Byakugan.“ antwortete Hinata, „es wird in meiner Familie weitervererbt.“
„So wie Sharingan? Itachi hat mir davon erzählt, also ein bisschen von dem Vererben und so.“ „Ja. Das Sharingan ist vor über hundert Jahren aus den Voranlagen des Byakugan entstanden. Es ist stärker, aber das Byakugan ist weniger gefährlich für die Gesundheit des Anwenders.“ erklärte Hinata, „ich weiß nicht so ganz genau Bescheid, wenn du mehr wissen willst, musst du Yoneko fragen.“ Am Kragen von Hinatas Jacke tauchte der grüne Kopf einer Heuschrecke auf. Und dieses Exemplar lebte noch, das war keine Insektenhaut. „Igitt! Noch so ein Krabbeltier!“ quietschte Hinata und schüttelte die Heuschrecke ab. „Was ist denn los, Hinata?“ fragte jemand vom Dach des Hauses neben uns. Ich hob den Kopf. Von dem Typen, der da auf der Dachrinne stand und ganz offensichtlich ein Ninja war, konnte man nicht allzu viel erkennen. Er trug eine lange, mattgrüne Regenjacke, eine rundum geschlossene Sonnenbrille, die an Bergsteigerbrillen erinnerte und eine schlichte, knöchellange Ninjahose, wie ich sie inzwischen unter anderem von Sasuke kannte. Obwohl die Sonne schien, hatte er die Kapuze auf und die untere Hälfte seines Gesichtes verschwand hinter einem weiten, grauen Kragen. „Shino! Die Heuschrecke gehört dir, oder? fragte Hinata. „Ja, aber ich habe keine Ahnung, wie sie in deine Sachen gekommen ist.“ antwortete Shino. Um ihn herum schwirrte ein auffälliger Schwarm kleiner, schwarzer Insekten. „Dann hat Neji sich wohl ein paar von deinen Insekten einfach genommen.“ vermutete Hinata, „das sähe ihm neuerdings mal wieder ähnlich.“ „Ich finde, dass das nicht zu Neji passt. Er ist doch überhaupt nicht der Typ für solchen Kinderkram.“ sagte Shino. „Du würdest dich wundern, wie er sich mir gegenüber wieder benimmt. Er ist total arrogant. Ich weiß nicht, warum, denn eigentlich hatten wir uns längst vertragen.“ „Wer ist denn die da eigentlich?“ fragte Shino und zeigte auf mich. „Das ist Hanna. Sie ist die aus Gaaras Klasse, du weißt schon, die, über die er ständig redet.“ stellte Hinata mich vor. Shino nickte und murmelte etwas in den Kragen seiner Regenjacke, das wie „Na so was! Gaara hat jetzt also eine Freundin.“ klang. Offenbar kannte mich inzwischen jeder und alle fanden es irgendwie seltsam, dass ich Gaaras Freundin war. Als ob mir etwas ganz Außergewöhnliches gelungen war. Ich verstand nicht ganz, warum das alle so in Erstaunen versetzte. Das würde er mir noch erklären müssen. Mich hatte die Verbindung zu Gaara das gute Verhältnis zu meinen Eltern gekostet, außerdem war meine sogenannte Normalität in hundert Stücken. Hoffentlich renkte sich das mit meinen Eltern wieder ein. Aber nur, wenn sie endlich kapierten, wie ich zu Gaara stand und dass ich kein kleines Kind mehr war. Ich war fast siebzehn. Bis zu meinem Geburtstag waren es weniger als zwei Wochen. Obwohl ich davon nicht so begeistert war. Plötzlich stand auf der Dachrinne neben Shino noch jemand anderes: Ein Junge in weißer Kleidung, der dieselben Augen wie Hinata hatte. Sein dunkelbraunes Haar war für einen Jungen wirklich außergewöhnlich lang, es fiel ihm in einem weit unten geschlossenen, offen fallenden Zopf den Rücken hinunter. „Immer wieder komisch, Cousinchen.“ sagte er, „du schreist herum wie ein kleines Mädchen.“ „Neji! Was sollte das?“ schrie Hinata und wurde knallrot. „Ja, das ist auch immer wieder niedlich, Na ja. Immer, wenn du dich aufregst wirst du rot wie eine Tomate.“ bemerkte Neji. Hinata wurde noch röter und kreischte: „WAS GEHT DICH DAS AN, OB ICH ROT WERDE? DU MACHST MICH ABSICHTLICH WÜTEND, ODER?“ sie holte tief Luft und schrie dann weiter, „MACH DAS NIE WIEDER, DU BLÖDMANN!!!“ „Reg dich ab. Sonst kriegst du noch einen Herzanfall. Und Naruto ist gerade nicht da, um dich aufzufangen.“ sagte Neji kalt. „Na…Naruto! Was meinst du damit?“ fragte Hinata mit zitternder Stimme. „Du stehst dich auf ihn.“ antwortete Neji, „aber er kapiert es nicht.“ Hinata holte tief Luft, wurde knallrot und wollte wohl wieder loskreischen, aber Shino unterbrach sie: „Hört doch endlich mal auf, euch wie Kleinkinder zu benehmen. Ich dachte, die alten Geschichten wären längst vergessen.“ „Was ist denn?“ fragte ich, weil ich so gut wie nichts verstand. „Normalerweise ist Hinata ein sehr schüchternes Mädchen, aber wenn es um Neji geht, verhält sie sich anders. Sie wird jedes Mal wütend, wenn er wieder einen von diesen kleinen Anschlägen auf sie macht. Eigentlich haben sie ihren Streit schon vor über vier Jahren beendet, aber aus irgendeinem Grund fängt Neji seit ein paar Monaten wieder damit an, Hinata das Leben schwer zu machen, obwohl er eigentlich gar nicht der Typ für solche Streiche ist. Er gehört zu einem benachteiligten Familienzweig des Hyuga-Clans und Hinata, die Tochter des Hauptfamilien-Vaters, ist für ihn eine verwöhnte Prinzessin auf der Erbse, die bei jeder Kleinigkeit einknickt.“ erklärte Shino. Auf den restlichen Weg zu Oma Chiyos Haus sprachen Hinata und Neji kein einziges Wort miteinander. Aber als wir an Haus ankamen und die kleine Vortreppe betraten, fing Neji wieder von Naruto an: „Du stehst doch schon seit dem Kindergarten auf ihn. Warum sagst du ihm das nicht. Hast du Angst vor Sakura?“
„NEIN! SEI STILL! DA IST NICHTS MIT NARUTO!“ schrie Hinata. Auf den Stufen der Vortreppe saßen Konan und Itachi. Konan kicherte verliebt, aber Itachi sah so traurig wie meistens aus. Was es wohl war, was ihn so niedergeschlagen machte? „Dann wird Naruto halt Sakura heiraten und aus deiner Traumhochzeit im weißen Kimono wird nichts!“ sagte Neji. „Halt die Klappe, Hyuga!“ fuhr Konan ihn an, „merkst du nicht, wie kindisch das ist, so auf Hinata herum zuhacken?“ „Hört doch einfach auf zu streiten. Es gibt doch gar keinen Grund.“ sagte Itachi. Er sah auf einmal so traurig aus, dass Hinata ganz betreten zu Boden schaute und ein leises „Entschuldige bitte.“ hören ließ. „Danke, Cousinchen.“ sagte Neji.
„Dich hab ich damit nicht gemeint. Ich habe mich bei Itachi entschuldigt. Es tut ihm sicher weh, wenn wir so streiten.“ „Okay, Cousinchen, tut mir Leid, dass du dich wegen mir so oft in eine wütende Tomate verwandeln musst.“ sagte Neji und verschwand mit einigen Sprüngen über die Dächer. Sah das denn niemand? Wieder war es so, als würde niemand die Ninja wirklich wahrnehmen. Bei Gaara war mir das schon so oft aufgefallen. Hoffentlich merkte weiterhin niemand auf der Straße, dass hier Typen auf Regenrinnen standen und über Dächer sprangen. Die Tür hinter uns wurde aufgeschoben. „Hanna, du bist bestimmt eine halbe Stunde zu früh da.“ sagte Gaara. Augenblicklich wünschte ich mir, seine Hand zu halten. Aber ich war immer noch etwas unsicher, wusste nicht, wie er auf Annäherung reagieren würde. Er wirkte manchmal so unnahbar und das, was Itachi vorhin über ihn gesagt hatte, bestätigte meinen Eindruck. Gaara betrat immer, wenn er mit mir zusammen war, für ihn unbekanntes Neuland. Und deshalb verriet er mir seine Geheimnisse nur Stück für Stück. Ich sah Gaara an, suchte ein Zeichen für seine Gefühle in seinen Augen, aber da war fast nichts, nur ein winziger Schimmer, den ich kaum erkennen konnte. Er lächelte so gut wie nie. Seine Augen waren nur helltürkisgrün, mit dem normalen Weiß darum und dem schwarzen Rand. „Ist irgendwas?“ fragte er. „Nein.“ antwortete ich schnell und wieder mal vergessend, dass es zwecklos war, einen Gedankenleser anzulügen. Aber er sagte nichts weiter dazu. Natürlich wusste er genau, wie undurchschaubar er war. Aus dem Augenwinkel nahm ich wieder diesen Lichtreflex wahr. Wo kam der heute immer her? das war nun schon das dritte Mal, dass ich von irgendwas geblendet wurde. Erst Olivers Kamera, dann der Papierkorb und was war es diesmal? Heute schien die Sonne wirklich viel, keine Wolke war am Himmel. Es war auch richtig warm. „Hey, Hinata, Shino!“ rief jemand aus der Richtung, aus der wir gerade gekommen waren. Ich drehte mich um. Ein Junge mit kurzen, dunkelbraunen Haaren, Konoha-Ninjastirnband und dreieckigen lilaroten Streifen, die mich an Reißzähne erinnerten, im Gesicht, kam auf uns zu gerannt. Neben ihm lief ein weißer Hund, der mindestens so groß wie ein kleines Pony war. Ich hatte noch nie so einen großen Hund gesehen! „Kiba!“ rief Hinata, „wo warst du vorhin?“ „Ich und Akamaru haben die Wälder hier in der Nähe erkundet. Hier gibt es eine Menge Schafe.“ antwortete der Junge, der wohl Kiba hieß. Der große weiße Hund Akamaru ließ ein bestätigendes „Wuff!“ hören. Trotz seiner unwirklichen Größe war er irgendwie niedlich. „Akamaru hat so ein paar Spaziergängern richtig Angst gemacht. Die haben wohl noch nie einen Ninjahund gesehen.“ Kiba lachte und streichelte seinem Hund den Kopf. Genau in dem Moment kam ein ziemlich seltsames Motorrad um die Ecke. Es war strahlend silbern und hatte nur ein einziges, riesiges Rad, in dessen Mitte der Fahrer saß, dessen Kleidung farblich zu seinem Vehikel passte. Das Japanviertel war ein reines Fußgängerviertel, die Straße wurde nur dann und wann von Fahrrädern benutzt, aber Autos gab es nicht. Das seltsame Fahrzeug drehte sich mehrmals um die eigene Achse, bevor es elegant und kiesaufspritzend mitten auf der Straße hielt. Wer immer es fuhr, war definitiv ein ziemlicher Angeber. Das silberweiß-blaue Metall glänzte in der Sonne. Dieses Teil war nicht von dieser Welt. Ich wusste immernoch nicht, woran ich das jedes Mal erkannte. Der Fahrer nahm den Helm ab. Er hatte kurze, blonde Haare und lilafarbene Augen. Irgendwas an ihm erinnerte mich an Akiza Izinai, aber ich kam einfach nicht drauf, was es war. Konan blickte auf und als sie den Typen auf dem Motorrad bemerkte, veränderten sich ihre sonst ockerbraunen Augen: sie wurden schmal und färbten sich silbern. „Jack! Du weiß ganz genau, dass du hier nichts zu suchen hast!“ fauchte sie. „Habt ihr eine Ahnung, wo Akiza ist?“ fragte Jack, „oder Carly?“ „Nein! Und es ist auch egal, weil du jetzt wieder abhauen wirst, du blöder Angeber!“ rief Konan. Ich hatte keine Ahnung, warum sie diesen Jack so dermaßen anfauchte. „Ich will nur meine Drachen wiederhaben. Also, wo ist Akiza?“ „Was weiß ich, wo sie sind?“ fauchte Konan. „Dann fahr ich sie eben weiter suchen.“ Jack stieg auf sein Motorrad und fuhr nach einer angeberischen Drehung davon. Es schien ihn nicht im Geringsten zu kümmern, dass er hier nicht fahren durfte. „Warum regst du dich wegen dem eigentlich so auf?“ fragte Kiba. „Er fährt mich ständig fast um und hat sich noch nicht ein einziges Mal dafür entschuldigt. Außerdem kann ich Angeber und Vollidioten nicht ausstehen.“ zischte Konan. „Beruhige dich.“ sagte Itachi und legte ihr seine Hand auf die Schulter. Konans Augen wurden wieder braun. Ganz offensichtlich war eine silberne Verfärbung ihrer Augen ein Zeichen dafür, dass sie wütend war. „Nur, weil er Jack Atlas heißt, hält er sich für den Mittelpunkt der Welt. Er trägt seine Anfangsbuchstaben sogar als Symbol auf seinem Gürtel und als Ohrringe! So viel Ego ist eindeutig zu viel.“ bemerkte Kiba. Im Haus klapperte etwas laut und als Hinata die Haustür aufschob, kam uns eine riesige Wolke aus Sand und Holzstaub entgegen.
Kapitel 21
„Was ist denn da drinnen los?“ fragte Konan. Sie blickte in die Staubwolke und warf Itachi einen Blick zu, den ich als einen Siehst-du-was-hab-ich-eben-gesagt-Blick deutete und rief plötzlich: „Sasori! Du hast es wieder mal verbockt, stimmt´s?“ Ich wedelte den Staub vor meinem Gesicht mit den Händen beiseite, was aber nicht wirklich was brachte. Sasori kam aus der Staubwolke, die sich auf seinen Mantel und sein hellrotes Haar gelegt hatte. „Hast du was damit zu tun, Sasori?“ fragte Konan mit warnendem Unterton in der Stimme. „Oma übertreibt einfach mal wieder.“ erwiderte Sasori und machte eine abwertende Handbewegung. Die Staubwolke verzog sich nach draußen auf die Straße und ich sah endlich, was drinnen los war: die Diele war staubbedeckt, alle Türen zugeschoben und im Boden war, direkt vor Temari's Zimmertür, eine Bodenklappe geöffnet, die mir bisher nicht aufgefallen war. Aus dieser Klappe kam die Staubwolke. Wir betraten das Haus und unsere Füße hinterließen glänzende Spuren auf den staubigen Holzboden. „Ist da unten jemand?“ rief Hinata in das dunkle Loch hinunter. „Hinata, bist du da oben? Schick mal Sasori runter Aber sag ihm, er soll ein bisschen aufpassen. Chiyo ist auf hundertachtzig.“ rief Kankuro von unten. Hinata sah Sasori mit einem Blick an, der dem, mit dem sie Neji vorhin angesehen hatte, gefährlich ähnlich sah. „Wie gesagt, Oma übertreibt.“ sagte Sasori gelassen. Dann stieg er die schmale Leiter in den Keller hinunter. „Was ist denn hier passiert?“ fragte Sakura, die gerade hinter uns die Diele betreten hatte. „Sasori hat wieder den Bogen überspannt.“ erklärte Itachi, „und Chiyo ist immer noch ziemlich streng mit ihm.“ „Das ist so typisch für ihn!“ Sakura verdrehte theatralisch die Augen. Unten putzte Chiyo Sasori lautstark runter: „WENN ICH DICH NOCHMAL MIT DEM EISERNEN SAND ERWISCHE, BEKOMMST DU DAS KELLERVERBOT DEINES LEBENS! HAST DU MICH VERSTANDEN, SASORI?“ kreischte sie. „Oma, das ist unfair!“ versuchte Sasori, sich zu verteidigen „SEI STILL! ALS ICH DICH NACH DEM ENDE VON AKATSUKI WIEDER BEI MIR AUFGENOMMEN HABE, WAR DIE EINZIGE BEDINGUNG, DASS DU DEN EISERNEN SAND AUFGIBST! DAS IST JETZT GAARA'S ANGELEGENHEIT!“ schrie Chiyo weiter. Durch die sich langsam lichtende Staubwolke sah ich, dass Temari und Kankuro unten versuchten, Chiyo zu beruhigen. Aber sie war so aufgebracht, dass sie sie kaum bremsen konnten. „UND RÄUM DAS HIER AUF! DU HAST GESAGT; DASS HIER UNTEN ALLES TIPPTOPP IST! UND WAS IST DANN DAS HIER BITTE!“ Ja, das hatte Sasori tatsächlich gesagt. Und ich hatte gesehen, dass er log. An dem Tag, als Gaara mir seine Familie vorgestellt hatte: Sasori hatte Chiyo absichtlich nicht angesehen, als er sagte, die Werkstatt sei aufgeräumt. Das war ein ziemlich sicheres Zeichen für eine Lüge gewesen und das hatte sich ja jetzt auch bestätigt. „Was ist das da unten eigentlich?“ fragte ich. „Das war eigentlich mal unser Vorratskeller. Aber Sasori hat Oma Chiyo so lange abgebettelt, bis er den Keller als Marionettenwerkstatt benutzen durfte.“ antwortete Gaara. „Aber wenn er so weitermacht, war es das bald mit seinen Marionetten. Chiyo macht das nicht mehr lange mit.“ sagte Itachi. Am Fuß der Leiter stand Temari mit zwei Beuteln, die sehr schwer aussahen. „Gaara, Itachi, könnt ihr mir bitte mal helfen? Der Eisensand ist extrem schwer.“ sie keuchte, als sie Itachi einen der Beutel überreichte. Gaara nahm den anderen Beutel und nach etwa fünfzehn Minuten waren etwa zehn weitere Beutel, gefüllt mit schwerem, grauschwarzem Zeug, in der Diele neben der Küchentür aufgestellt.
„Wieso hat das so viel Staub gemacht?“ fragte ich. Temari kletterte aus dem Keller und sagte: „Oma wollte kein Geld für ´ne neue Küchenschüssel ausgeben und weil da unten auch eine Drechselmaschine Steht, wollte sie eine Schüssel selbst machen. Unten hat sie dann entdeckt, dass nichts aufgeräumt und alles ein gestaubt war. Außerdem hatten ein paar Marionetten ein Jutsu zur Verwendung von Eisernem Sand drauf, das Oma vor vielen Jahren selbst verboten hatte. Also hat Oma jetzt die gesamte Werkstatt umgekrempelt und Sasori hat sich natürlich angestellt.“ Ich wischte zusammen mit Temari die Diele, bis sie wieder glänzte und dann machte Konan Tee in der Küche. Sie schien sich hier im Haus gut auszukennen.
Während wir teetrinkend in der Diele am Esstisch saßen, klapperte unten weiter Holz und Chiyo schimpfte immer noch mit Sasori. Als der dann schließlich aus dem Keller kam, war er völlig ein gestaubt und sein sonst leuchtend rotes Haar war blass braun rot. „Langsam müsstest du aber begriffen haben, dass solche Aktionen nichts bringen, Sasori. Du machst dir nur Ärger, sonst nichts.“ sagte Temari. „Warum regst du deine Großmutter immer so auf?“ fragte Itachi ziemlich verständnislos. „Ich gehe. Heute lasse ich mich hier nicht mehr blicken. Ist vielleicht besser.“ Sasori klopfte sich den Staub von den Kleidern, schüttelte sein Haar, das sofort wieder hellrot wurde und den Staub in alle Richtungen abgab und ging aus dem Haus. Im nächsten Augenblick tauchte Chiyo wieder auf. „Wo ist Sasori?“ fragte sie, keuchend vom Aufstieg auf der steilen Leiter. „Weg. Er hat gesagt, er lässt sich erst heute Abend wieder hier blicken, wenn du dich beruhigt hast.“ sagte Sakura. Chiyo nahm eine Flasche mit der mehrsprachigen Aufschrift „Sake“ aus einem Regal neben der Küchentür und füllte eine der Teetassen damit. „Ich kapier nicht, warum Sasori nicht dazulernt. Er kriegt ständig was auf den Deckel, weil er nur Mist baut, aber trotzdem macht er dieselben Fehler immer wieder. Ich glaube, seine Entwicklung ist stehengeblieben.“ bemerkte Temari.
Chiyo leerte die Tasse in einem Zug. „Oma! Trink nicht so viel!“ rief Kankuro, der gerade eben aus dem Keller kam. „ Sag mal, Itachi, war Sasori bei Akatsuki genauso?“ fragte Sakura. Itachi nickte. „Manchmal weiß er, was er tut, aber dann denkt er wieder nicht nach und macht sowas wie eben. Sein zweites Gesicht, Hiruko, das du zerschlagen hast, Sakura, war etwas anders, aber im Grunde war Sasori, so lange ich ihn kenne, immer so ungleichmäßig und unüberlegt.“ „Er war ja einige Jahre lang mein Mentor. Ich weiß, wie er tickt und wie man mit ihm umgeht, wenn er so überdreht ist, aber es nervt mich manchmal schon, dass er sich nicht wirklich zwischen Gut und Böse entscheiden kann.“ sagte Konan-
Und dann stellte Sakura diese Frage: „Itachi, willst du nicht endlich Hanna mal erzählen,… na du weißt schon, die Geschichte mit Sasuke und Akatsuki…?“ Itachi zuckte leicht zusammen, holte dann tief Luft und schloss die Augen. Als er sie wieder öffnete, schimmerten Tränen in ihnen, die einen merkwürdigen Rotstich hatten. Allein der Gedanke an diese Geschichte schien ihm unheimlich zuzusetzen. Das Rot in seinen Tränen kam nicht vom Sharingan, denn es ließ auch das Weiße in seinen Augen rötlich schimmern. Plötzlich kam es mir vor wie Blut. Am liebsten hätte ich Itachi gebeten, das, was er gerade erzählen wollte, nicht zu erzählen, weil es ihn so sehr mitnahm, aber er hatte sich jetzt schon darauf vorbereitet und das sollte ja nicht umsonst sein.
Kapitel 22
„Also gut. Ich kann es dir ja nicht ewig verschweigen, Hanna. Es ist zu wichtig.“ sagte Itachi. Er versuchte, die roten Tränen weg zublinzeln, was ihm allerdings nur teilweise gelang. Inzwischen war ich mir fast sicher, dass die rote Färbung von Blut stammte. Inzwischen wunderte mich bei ihm eigentlich gar nichts mehr. Dachte ich. „Das muss ja wirklich schlimm für dich gewesen sein, zehn Jahre lang mit dem Wissen, dass Sasuke dich… sagte Temari leise, „hasst…“ „Das war es. Wenn Konan nicht da gewesen wäre, hätte ich das nicht überlebt.“ Itachi sah Konan mit einem liebevollen Blick an, „und Sasori war ja auch da.“
„Und alles nur, weil diese fiese, eklige Schlange…“ zischte Konan. Ihre Augen wurden wieder ein bisschen silbern. „Ihr müsst Hanna aber schon sagen, wen ihr damit meint.“ sagte Kiba. „Also, eigentlich versuchen wir, diesen Namen zu vermeiden, aber du hast ihn ja noch nie gehört und da im Augenblick viel über ihn gesprochen wird, solltest du ihn kennen. Er sitzt im RZL, dem Gefängnis der Drachen-Geheimpolizei. Sein Name ist…“ Konan holte tief Luft und spie den Namen förmlich aus: „Orochimaru. „Der ist wirklich an allem schuld! Es gibt kaum eine traurige Geschichte, bei der Orochimaru seine ekligen Finger nicht im Spiel hatte!“ fauchte Sakura wütend. „Sag nicht seinen Namen!“ zischte Temari. „Wozu sollten wir Angst davor haben, seinen Namen auszusprechen? Das würde ihm gefallen, dass wir auch noch Angst vor ihm haben und zwar so sehr, dass wir seinen Namen nicht aussprechen.“
Alle sahen Itachi entgeistert an. „Ich habe keine Angst vor Orochimaru. Ich hasse ihn, wie ich in meinem Leben noch nie jemanden gehasst habe.“ sagte Itachi. Er klang zwar relativ ruhig, aber seine Augen schwammen immernoch in Tränen und über seiner Nasenwurzel stand eine wütende Zornfalte. Ich kannte ihn so noch gar nicht. Seine Ausstrahlung war nicht mehr lieb und schüchtern wie heute Morgen in der Schule, sondern blitzte einen Moment voller Kraft und, …tatsächlich Kampflust. „Wie…wieso?“ fragte ich vorsichtig.
„Orochimaru ist schuld daran, dass ich so tun musste, als hätte ich bis auf Sasuke meine gesamte Familie ermordet. Er hat mich vor zehn Jahren überfallen, verflucht und gedroht, Konoha zu überfallen, wenn ich ihm nicht meine Augen oder die Augen meiner gesamten Familie übergebe. Der einzige Weg, meine Familie zu retten, war, so zu tun, als hätte ich sie alle umgebracht, sie in einer anderen Welt zu verstecken dann das Dorf zu verlassen. Aber Sasuke konnte nicht mit meiner Mutter zusammen gehen. Er war acht Jahre alt und musste in den Glauben, ich hätte ihm die Familie genommen, zurückbleiben. Er hat mich die letzten zehn Jahre bis aufs Blut gehasst. Und dann hat Orochimaru ihn mit dem Versprechen, ihm genug Macht zu geben, damit er sich an mir rächen kann, an sich gebunden. Fast hätte er das nicht überlebt, genauso wenig wie ich.“ Itachi brach ab, wischte sich mit dem Ärmel seines Mantels über das tränen überströmte Gesicht. Seine rechte Hand zitterte so stark, dass er eine Teetasse umstieß und Tee auf den Tisch schwappte. Aber niemand wischte es auf, wahrscheinlich, um Itachi nicht das Gefühl zu geben, irgendwem zur Last zu fallen. Wenn er dabei war, gingen alle wie auf Eierschalen, um ihn auf keinen Fall zu verletzen. „Ich bin dann… zu Akatsuki …gegangen, weil …ich wusste, dass Konan da war… und ich hatte ja… niemanden mehr… ich hab …versucht, mich umzubringen, aber Konan hat mich immer aufgehalten und …ich war ja auch der Einzige, der wusste, wo… meine Familie war…“ Aber ich habe so oft versagt, wenn es darum ging, …Naruto vor der Akatsuki zu beschützen… und Sasuke…“ Itachis Augen fielen zu, er kippte nach vorn. Konan fing ihn auf und strich beruhigend mit ihrer schneeweißen Hand über seinen Rücken. „Jetzt ist alles wieder gut. Es ist alles gut, Itachi, du musst nicht mehr weinen. Sasuke hat dir alles verziehen, du brauchst nicht mehr traurig zu sein.“ sagte sei in einem liebevollen, fürsorglichen Ton, der wieder verdeutlichte, wie eng die Bindung zwischen ihr und Itachi war. Ich war ganz befangen. Immer, wenn ich jemanden weinen sah, tat derjenige mir furchtbar leid und bei Itachi war dieses Gefühl noch deutlicher. Er hatte, selbst wenn er weinte, oder auch gerade dann, eine Ausstrahlung von fast endloser Güte. Als Itachi sich langsam wieder beruhigte, fuhr er fort: „Ich hasse mich selbst dafür, dass ich Sasuke die Familie für so lange Zeit nehmen musste. Er war damals noch ein kleiner Junge. Aber wegen des Bijuu konnte er nicht mit meinen Eltern gehen. Die Tore in andere Welten lassen so mächtige Wesen nicht durch. Die Trennung von meiner Familie hat damals mein Herz zerrissen und es wächst jetzt erst sehr langsam wieder zusammen.“ „Aber jetzt kehrt die ganze Familie zurück, Orochimaru verrottet im Gefängnis und alles ist wieder gut.“ sagte Konan. Sie wischte Itachi die Tränen aus dem Gesicht und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. In Itachis Augen ging die Sonne auf. Besser war dieses wunderschöne Leuchten nicht zu beschreiben. Eben noch war er in Tränen aufgelöst und jetzt leuchteten seine roten Augen, er lächelte strahlend und sagte: „Ja, das stimmt. Jetzt ist wirklich alles gut. „Und das sollen alle wissen.“ Konan zog einen Stapel Blätter aus ihrer Umhängetasche, die farblich perfekt zu ihrem Mantel passte. Auf den Blättern war ein Foto und darunter stand ein längerer Text. Das Foto zeigte Sasuke und Itachi, beide glücklich lächelnd und daneben standen Yoneko und eine hübsche, etwa fünfzigjährige Frau mit langen, schwarzen Haaren und einem Lächeln, das sie Itachi unheimlich ähnlich sehen ließ. Sie war unverkennbar Sasukes und Itachis Mutter und der Bildunterschrift nach hieß sie Ikue.
„Es gibt da so einen Laden in der City. Der heißt Manganime und im Schaufenster hängen Dragonball-Poster.“ sagte Konan. „Und da wollt ihr diese Blätter hinbringen?“ fragte ich.
„In dem Laden gehen eine Menge Leute ein und aus, die ein Gefühl für gute Geschichten haben.“ antwortete Konan. Das war eine gute Idee. Itachis Geschichte würde den Stoff für einen erstklassigen Hollywoodfilm abgeben. Sie war traurig und romantisch, aber mit einem Happy End- und was für einem! So, wie Sasuke heute in der Schule über Itachi gesprochen hatte, voller Respekt und Achtung, die er ja sonst eher vermissen ließ, war der Hass auf seinen älteren Bruder vergangen. „Der Laden liegt doch auf deinem Heimweg, Hanna. Kannst du die Blätter da vorbeibringen?“ fragte Temari. Ich nickte. Auf einmal sah mich Gaara ganz seltsam an. So ähnlich hatte er ausgesehen, als er mir gesagt hatte, dass er eine Jinchu-Kraft war. War wieder irgendwas? Ich blickte nicht so ganz durch. Als ich mit den Blättern unter dem Arm das Haus verließ, kamen mit Naruto und Sasuke entgegen. „Hat Itachi dir alles erzählt?“ fragte Sasuke. „Ja.“ sagte ich, „wenn du das mit eurem Streit meinst.“ „Er hat geweint, oder?“ hakte Sasuke nach. Ich nickte. „Solange sein Herz noch nicht wieder ganz zusammengewachsen ist, fängt er leicht an zu weinen.“ eine hörbare Spur von Mitleid und Verständnis schwang in seiner Stimme mit. Naruto riss die Haustür auf. „Wir sind wieder da! Itachi, kannst du mir das mit diesem komischen Jutsu noch mal erklären?“ rief er und rannte hinein. Sasuke folgte ihm und bevor er die Tür zuschob, sah ich ihn in Itachis Richtung lächeln.
Kapitel 23
Es war der Laden, an dem ich vorhin auf dem Weg ins Japanviertel vorbeigekommen war. Hier hatte ich vorhin Oliver getroffen. Als ich den Laden betrat, sah ich Oliver wieder: er drückte jemandem seine Digitalkamera in die Hand. Aber dann lief er hinaus, allerdings warf er mir dabei einen seltsamen Blick zu. Der Laden war eine Mischung aus Café und Comicladen, japanische Animeposter hingen an den Wänden. Aber ich achtete nicht besonders darauf, sondern ging einfach zum Tresen und legte die Blätter dort ab. Eigentlich wäre ich gleich wieder draußen gewesen, aber in dem Moment sprach mich jemand an.
„Was sind denn das für Blätter?“
Im ersten Moment konnte ich unmöglich sagen, ob es sich bei der Person, die ein ziemliches Stück kleiner war als ich, um einen Jungen oder ein Mädchen handelte. Das Gesicht war irgendwie das eines Mädchens, mit braunen Augen und ziemlich rund, ohne jungenhafte Kanten. Die Kleidung – ein weites, mit Graffitimustern bedrucktes Shirt, eine tiefhängende Schlabberjeans und schmutzige, weiße Turnschuhe – war eindeutig die eines Jungen. Aber die hellbraunen Haare, die vom Hals ab zusammengebunden im Kragen des Shirts verschwanden, waren zu lang und zu gepflegt für einen Jungen. Was die Stimme betraf: sie klang wie die eines Mädchens, das sich den harten Klang eines Jungen angewöhnt hatte. Um den Hals der undefinierbaren Person hing an einem Trageband… Olivers Kamera! Daneben pinnte ein Namensschild, das Verkäufer in Läden tragen, damit man sie erkennen kann und das diese Person als ein Mädchen namens Laura Rink auswies. Jetzt konnte ich sie auch einordnen, denn in Hamburg gab es auch solche Leute: sie war eines von diesen Mädchen, die lieber Jungen sein wollten und sich deshalb besonders jungenhaft anzogen, ständig Skateboard fuhren und Computerspiele spielten. Seltsamerweise gab es unter ihnen auffällig viele Japan-Fans und vor meinem Umzug hatte mich die Tochter unserer Nachbarn, die ähnlich gestrickt war, neidisch gefragt, ob es in Rotbingen so ein Elektronikviertel wie in Tokyo gab.
„Wo hast du diese Blätter her?“ fragte Laura ungeduldig. Sie hatte sich eines genommen und sah es sich genau an. Zwischendurch sah sie immer wieder auf und musterte mich mit demselben seltsamen Blick, mit dem Oliver mich gerade auch angesehen hatte.
Auf einmal sah ich wieder diese, mir so bekannte Farbkombination: Orange, leuchtendes Himmelblau und Gelb. Dazu ein Hautfarbe-Ton, den man durchaus als sehr gesund aussehend bezeichnen konnte. Ich hob den Kopf in die Richtung, aus der die Farben in meine Augenwinkel fielen und… blickte direkt in Narutos grinsendes Gesicht! Die ganze Wand war mit Animepostern beklebt und von jedem zweiten grinste mich Naruto so motivierend und aufgeschlossen wie immer an! Was hatte ein Bild von ihm hier zu suchen und warum fiel er zwischen den Abbildungen von den verschiedensten Animecharakteren nicht auf! Ich blinzelte verwirrt, sah genauer hin und versuchte, ruhig nachzudenken. Eine Reihe von Bildern huschte durch meinen Kopf: Gaara's Reaktion, als Konan gesagt hatte, ich sollte zu diesem Laden gehen. Lauras Blick, als sie die Blätter las. Der Moment am ersten Schultag, als ich zum ersten Mal bemerkt hatte, dass Gaara grundlegend anders war als alle anderen.
Masaos Theater in der Drachenkunde-Stunde. Die seltsamen Blicke, die manche Jungs Gaara auf dem Flur zuwarfen. Das war es also! Jetzt bemerkte ich, was an den Leuten, die zu Gaaras Welt gehörten, so anders war. Warum sie nicht in diese Welt zu passen schienen. Was es war, das sie von allen anderen unterschied. Und warum Jack und Akiza den Ninjas ähnlich waren, aber irgendwie doch ganz anders aussahen. Worin diese Unterschiede bestanden.
Sie waren wie in die Landschaft gezeichnet, als hätte ein japanischer Zauberer seine Zeichnungen zum Leben erweckt, so, dass sie frei herumlaufen, leben und mit Menschen auf dieser Welt sprechen konnten. Doch gleichzeitig fühlten sie sich so echt an, weshalb man nicht auf die Idee kam, sie könnten Zeichnungen sein. Und das waren sie auch nicht.
Sie waren echte Menschen, fast so wie ich und alle anderen hier. Aber sie waren Berühmtheiten, Helden aus japanischen Manga-Geschichten. Während Laura mich ungeduldig und verständnislos anstarrte, versuchte ich, zu begreifen, was das bedeutete. Ich hatte mich nie wirklich mit Mangas beschäftigt, deshalb kannte ich mich damit nicht aus. Wahrscheinlich war es die Ninjatarnung, von der Gaara und Tsunade gesprochen hatten. Diese Tarnung wirkte irgendwie nicht auf mich und deshalb hatte ich bemerkt, dass die Ninjas nicht wie andere Menschen aussahen. Der Unterschied zwischen Akiza und den Ninjas bestand einfach darin, dass sie anders … gezeichnet… war. Irgendwie kam mir das Wort „gezeichnet“ abwertend vor, fast noch beleidigender und fieser als „Jinchu-Kraft“. Es waren Worte, mit denen Leute wie Masao, wenn sie es herausbekämen, Gaara's Existenz als Mensch in Frage stellen würden. Masao würde ihn zum Manga degradieren oder, noch schlimmer, zum nichtmenschlichen Wesen. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, wie sehr so etwas Gaara verletzen konnte. Aber warum hatte er mir das nicht gesagt? Er hatte mir gestanden, dass er ein Ninja war und eine Jinchu-Kraft. Es hatte ihn sichtlich Überwindung gekostet, aber er konnte sich doch wegen seiner Fähigkeit, Gedanken zu hören, sicher sein, dass ich zu ihm hielt. Er wusste doch, dass ich ihn liebte! Auf einmal war ich sauer auf ihn. Zum ersten Mal war ich wirklich nicht mit seinem Handeln einverstanden. Morgen in der Schule würde er mir das erklären müssen. Und dann kamen fiese Zweifel. Es war plötzlich, als ob der Junge, den ich liebte, gar nicht richtig existieren würde. Ich wusste ja, dass er da war und als ich ihn geküsst hatte, war mir nicht einen Moment der Gedanke gekommen, dass er irgendwie nicht wirklich da war, aber wenn ich das da schon gewusst hätte oder sogar gleich, am ersten Tag? Wäre ich ihm dann vielleicht nicht so nahe gekommen? Hätte ich mehr an ihm gezweifelt?
Nein. Egal, wer, wie oder was er war, das änderte nichts an meinen Gefühlen. Ich liebte seine grünen Augen, die anderen Angst zu machen schienen und weil er so anders war, mochte ich ihn sogar noch mehr. Und wenn er wirklich aus einer Welt kam, die Anime war, dann musste hinter der entsprechenden Serie ja einfach eine wahre Geschichte stehen. Eigentlich war es ganz einfach. Das, was ich für Gaara empfand, war genauso hundertprozentig echt wie er selbst. „Hallo! Ich rede mit dir!“ riss mich Laura aus meinen Gedanken, „bist du hypno oder so? Wie heißt du überhaupt?“ „Hanna Jones.“ antwortete ich knapp. Laura musterte mich abschätzig. Sie hielt mich wohl für verrückt, weil ich die ganze Zeit das Poster anstarrte und wahrscheinlich unverständlich vor mich hingemurmelt hatte. „Gehst du auf die Japanschule?“ fragte sie, „oder ist die Schuluniform ein Kostüm?“ „Das sind meine Schulsachen. Ich bin auf der Nomura-Schule, die meinst du wahrscheinlich.“ antwortete ich und fügte dann, was weiß ich, warum, leise hinzu, „zusammen mit dem süßesten, sandigsten Idioten, der im Moment auf dieser Welt lebt... “Laura hatte es wohl gehört, denn jetzt sah sie mich erst recht so an, als hätte ich nicht mehr alle Tassen im Schrank. Um ihrem abschätzigen Blick etwas auszuweichen, sah ich das Poster an, das über ihr an der Wand hing und schreckte schon wieder zusammen: Es war ein Bild von Itachi und einem hässlichen, blauhäutigen Typen, der stark nach einem Haifisch aussah. In der unteren Ecke stand in cool gemalten Buchstaben „Naruto Shippuden“. Genau wie auf allen anderen Bildern mit Leuten, die mit Naruto zu tun hatten. Ganz offensichtlich war Naruto die Hauptperson. Was aber in diesem Augenblick nicht das größte Problem war (Naruto hatte ja wohl eindeutig alles, was einen Helden ausmachte). Denn das in dunklen Farben gehaltene Poster hatte eine traurige Stimmung und Itachi sah ziemlich unglücklich aus. Seine dunkelroten Sharingan-Augen hatten fast dieselbe Ausstrahlung wie in echt! Ich musste sofort an Itachi's Zusammenbruch von eben denken, als seine Augen sich schimmernd mit Tränen füllten und die blutigen Tränen von seinen langen, dunklen Wimpern tropften… Ich hatte keine Ahnung, wie viel mein Gesicht preisgab. Aber da Laura mich schon verwirrt anstarrte und sichtlich an meiner Normalität zweifelte, weil sie ja nicht wissen konnte, dass ich keine Normalität mehr hatte, kniff ich einfach kurz die Augen zu und drehte mich um, obwohl das wahrscheinlich noch abgedrehter wirkte.
„Du bist irgendwie voll seltsam, weißt du das? Aber ich will erstmal wissen, wo du die Blätter her hast.“ forderte sie. Blitzschnell schaltete ich und kapierte die Tragweite meiner möglichen Antwort. Ich durfte ja nichts verraten! Und ich wollte auf keinen Fall etwas Falsches sagen, denn dann wären die Ninjas in dieser Welt nicht mehr sicher. Sie mussten so gut wie möglich unauffällig bleiben und die Tarnung halten! Ich dachte schnell und hektisch nach. Was sollte ich sagen? Die Antwort musste perfekt sein, sonst… daran wollte ich gar nicht denken. Die einzige Möglichkeit war eine glaubwürdige Lüge. „Ich habe die Blätter von jemandem bekommen. Er hat mich darum gebeten, sie hierher zu bringen. Aber ich hab keine Ahnung, wer das war. Schließlich bin ich erst vor kurzem hergezogen.“ antwortete ich schließlich.
„Hast du die Blätter gelesen?“ fragte Laura. Ich schüttelte wahrheitsgemäß den Kopf, denn gelesen hatte ich die Blätter ja wirklich nicht. Obwohl ich wusste, was auf ihnen stand. Es war aber wahrscheinlich ziemlich genau das, was Itachi mir erzählt hatte.
„Kennst du dich mit Manga und Anime aus, besonders mit Shonen-Anime?“ fragte Laura weiter. „Shonen-Anime?“ den Begriff hatte ich noch nie gehört. Manga für Jungs. Nicht so ein sentimentales Mädchenzeug, sondern was mit echten Helden.“ erklärte Laura, „halt so Serien wie Naruto oder Dragonball.“ Ich sah ihr an, dass sie mich mit meiner blauen Schulkleidung in die Rosa-Kleider-Mädchen-Ecke einsortierte. Womit sie ja auch irgendwie Recht hatte, weil ich mich eindeutig als typisches Mädchen bezeichnete. Aber ich hatte meine Beziehung zu Gaara immer mit „Bis(s)“ verglichen und deshalb gar keinen Bezug zu Mangas hergestellt. Obwohl ich ein geschnappt war, weil Gaara mir etwas so Wichtiges verschwiegen hatte, mochte ich ihn – so, wie er war. Du hast also keine Ahnung von Naruto und so?“ fragte Laura. „Nein. Nicht wirklich.“ log ich. Wenn sie wüsste, wie viel Ahnung ich davon tatsächlich hatte und wen ich kannte. „Das, was auf diesen Blättern steht, na ja, es stellt die ganze Naruto-Serie auf den Kopf. Dieser Typ hier“ sie zeigte auf das Bild und zwar genau auf Itachis Gesicht, „das ist ein abtrünniger Ninja, ein Familienmörder und Verräter. Und jetzt steht auf deinen komischen Blättern, dass das gar nicht stimmt. Diese Frau neben ihm, die sieht aus wie seine Mutter, nur älter. Na ja, also wahrscheinlich sähe sie heute so aus, wenn er sie nicht umgebracht hätte.“ Laura schien ein richtig großer Fan von Naruto zu sein und bildete sich offensichtlich eine Menge darauf ein, viel darüber zu wissen. Aber sie wusste nicht, dass Itachi das nicht getan hatte. Das, was er mir erzählt hatte, war wohl nie bei den Fans der Serie angekommen. Vielleicht stimmte die Serie nicht mehr mit der Realität überein? Aber ich konnte Laura jetzt einfach unmöglich sagen, was anders war. Temari und Kankuro hatten mir eindringlich klargemacht, dass ich niemandem etwas sagen durfte. Ich kam mir wirklich ein bisschen vor wie Bella Swan. Mein Nachname, die Tatsache, dass Mardi ja irgendwie doch eine Art Monster war, und Gaara, der mit Ichii seinen Körper teilte, mich damit an Edward Cullen erinnerte… das reichte, um mich vollständig daran zu erinnern, dass ich mich längst inmitten einer magischen, legenden geladenen Nebenwelt befand, die ich unbedingt vor Laura geheim halten musste. Dass diese andere Welt, die isch aus irgendeinem Grund (den Gaara mir ebenfalls bisher verschwiegen hatte) in meine normale – falls man das so nennen durfte – Welt vor gewagt hatte, eine Welt des Anime war, schien mir auf einmal eher unwichtig. „Wie sah der Typ aus, von dem du die Blätter hast?“ fragte Laura.
Blitzschnell legte ich mir eine weitere Lüge zurecht, wobei ich daran denken musste, was Sasuke nach der Schule gesagt hatte: Itachi hasst Lügen. Aber diese Lüge musste sein. Sie war nur dazu da, Laura davon abzuhalten, mich auszufragen. Und ich war wegen Gaaras Verschwiegenheit immer noch so ein geschnappt, dass ich Laura vermutlich viel zu viel erzählt hätte. „Der Typ trug ganz dunkle Sachen, Kapuze und Sonnenbrille. Er hat gesagt, ich soll ihm mal eben einen kleinen Gefallen tun und die Blätter hier in den Laden legen soll.“ log ich und hoffte inständig, glaubhaft zu klingen. „Wo stand er?“ wollte Laura wissen. Ich zeigte aus der fast vollständig mit Postern zugeklebten Ladentür. Gegenüber war die Sparkasse, ein hohes, hellgraues Gebäude mit einigen schlichten Säulen vor dem überdachten Eingang. „Er stand dort, hinter einer dieser Säulen.“ sagte ich. Laura schien mit meiner Antwort einigermaßen zufrieden zu sein. „Du kannst gehen.“ sie zeigte auf die Tür, „kamst mir nur so komisch vor.“ Ich verließ schnellstmöglich den Laden. Mit klopfendem Herzen hastete ich nach Hause und hoffte, dass Laura nicht nach Naruto suchen würde. In der Schule konnte sie ihm nicht begegnen, denn ich wusste von Midori, die übrigens nicht sehr viel von dieser Sorte Mädchen hielt, dass es außer Oliver und mir keine Deutschen auf der Nomura-Schule gab.
Ich traf Nami an der Haustür. Sie war aufgedonnert und kam wohl gerade von Amy. Ihr Aussehen war das einer Elfjährigen, die versuchte, cool auszusehen und dieser Versuch war sichtlich schief gegangen. „Hanna, sei bloß froh, dass du auf diese schicke Highschool gehst! Die Hauptschule ist bescheuert!“ jammerte sie. Vor ein paar Tagen hatte sie doch noch behauptet, dass sie ihre neue Schule ganz toll fand. Das war ja mal was ganz Neues: Als hätte ich heute, am wahrscheinlich ereignis reichsten Tag meines Lebens, nicht schon genug erlebt. Jetzt sprach Nami auch noch mit mir, als wäre ich eine ihrer Freundinnen und nicht die abgedrehte große Schwester. Ich war doch schon genug durcheinander! „Warum denn? Was ist an der Hauptschule so schlimm?“ fragte ich, obwohl das ja wohl klar war. Schließlich kannte ich diese Cliquen, die immer in der Innenstadt rumhingen, Ärger machten und meines Wissens nach alle auf dieselbe Schule gingen. „Diese eine Clique, die sind so doof!“ antwortete Nami, „Laura und so rauchen und blockieren die Flure!“ Moment! Hatte sie gerade „Laura“ gesagt? „Diese Laura, ist das so eine, die wie ein Junge aussieht?“ fragte ich, um sicherzugehen, dass Nami und ich dieselbe Person meinten. „Ja. Die ist ziemlich klein und aus der Ferne könnt man sie echt für ´nen Jungen halten.“ sagte Nami. Das war alles, was ich gerade wissen musste. Ich rannte rauf in mein Zimmer und drehte die Musik auf. Zum Glück waren Mom und Dad nicht da. Ich warf mich aufs Bett und schmiss meine Schultasche runter. Dann versuchte ich, nachzudenken: War Laura vielleicht ein Problem? Konnte sie Gaara gefährlich werden? Was, wenn sie nachforschte oder sein Haus fand? Oder jemanden aus seiner Familie auf der Straße sah? Während ich bei lauter Rockmusik aus Dads umfangreicher Sammlung versuchte, diese ganzen Fragen zu beantworten und die vielen Ereignisse des heutigen Tages von der Sportstunde mit Tsunade, den Drachen, der Information dass Sasori mal eine Marionette gewesen war und dem neuen Schulfach Drachenkunde bis zu Sasukes Erzählung, Hinata und dem Marionettenstreit von Sasori und Oma Chiyo ordnete und alles sorgfältig abspeicherte, wurde mir klar, dass ich noch nie zuvor in so kurzer Zeit (insgesamt waren es wohl zwei Wochen) dermaßen viel erlebt hatte. Nicht zu vergessen, dass mein Unterbewusstsein immer noch mit Itachis trauriger Geschichte beschäftigt war.
Irgendwann machte ich die Musik aus, zog mich um und ging schlafen. Erst jetzt merkte ich, wie müde ich war und schlief sofort ein. In meinem Traum fiepte der süße Marderhund mich mit großen Augen an und ich war sicher, dass Ichii genau so aussah, wie ich es mir vorstellte.
Tag der Veröffentlichung: 02.06.2013
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