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I´m the wild one




Inspiriert von Suzi Quatro´s "The Wilde One".



Zieht´s euch auf youtube doch mal rein: http://www.youtube.com/watch?v=tCDMgwdip6s&feature=related


Jackie und ich waren die besten Freundinnen. Schon seit der Vorschule haben wir alles zusammen gemacht. Unseren ersten gebrochenen Arm haben wir beim selben Unfall am selben Tag davongetragen; unseren ersten Kuss haben wir von demselben Jungen am selben Tag bekommen, wobei Jackie dem armen Kerl damals Prügel angedroht hatte, wenn er uns nicht beide küsste; unseren ersten Alkohol und die ersten Drogen haben wir gemeinsam genommen; und nun sollten wir am selben Abend unsere Unschuld verlieren – diesmal aber nicht am selben Jungen.
Simon und George haben beide gerade die Schule abgeschlossen. George hatte sich freiwillig zur Army gemeldet und würde bald verschwinden. Deshalb hatte Jackie sich ihn auch ausgesucht. Wir waren nun beide sechzehn und sie wollte ihr Erstes Mal nun endlich hinter sich bringen. Und da wir alles zusammen durchstanden, musste ich eben auch.
Mir gegenüber hatte Jackie zugegeben, dass sie ein wenig Angst davor hatte, weshalb es auch jemand sein sollte, dem sie bald nicht mehr begegnen würde. Sie war fest davon überzeugt, dass George nach seiner Army Ausbildung in irgendein Krisengebiet in Vietnam geschickt und nie wieder zurückkommen würde. Ich musste zugeben, es klang schon wahrscheinlich. Er war nicht der Typ für eine heldenhafte Rückkehr. Eher würde er blindlings in die feindlichen Reihen stürmen und so viele Vietkongs wie möglich mit sich in den Tod reißen.
Simon hingegen war mehr der Intellektuellere von beiden, weshalb Jackie mir ihn ausgesucht hatte. Nach diesem Sommer würde Simon die Stadt auch verlassen. Er hatte ein Studienplatz an der Columbia University in New York, wo er Literatur studieren wollte, hatte er mir erzählt. Ich hörte ihm gerne zu, wenn er über die großen Russen erzählte oder Shakespeares. Sonst war ich eigentlich nicht der Leser dieser Klassiker. Aber nach dem Gespräch mit Simon würde ich mich glatt mal darin versuchen.
Trotzdem wollte meine Nervosität vor dem großen Ersten Mal nicht ersterben. Jackie hatte vorgeschlagen, dass wir zum Berg hochfuhren, von dem aus man die ganze Stadt überblicken konnte. Zuvor hatte Jackie ihnen gegenüber mit keinem Wort erwähnt, was wir mit ihnen vorhatten, glaube ich. Doch spätestens nach ihrem Vorschlag, würden sie es sich denken können. Denn dieser Ausblick war für parkende Autos und beschlagenen Scheiben bekannt. Wüsste mein Vater, dass ich dort oben sei, würde er mit geladener Waffe auf den Berg marschieren. Aber was er nicht weiß, macht ihn nicht heiß.
Zu viert waren wir in Georges Wagen, einem alten Lincoln, unterwegs. Er liebte das Teil, weil er ihn selbst zusammen geschraubt hatte. Daher durfte auch niemand außer ihm ans Steuer. Nicht mal wenn er betrunken war, durfte man ihn damit nachhause kutschieren. Und im Augenblick war er durchaus schon ein wenig angetrunken. Bevor wir hier hinauf gefahren waren hatte er noch einige Einkäufe am Laden um die Ecke gemacht. Wobei sich seine Einkäufe auf Alkohol konzentrierten. Kondome hatte ich glaube ich auch gesehen. Also wussten sie wohl wirklich was ihnen blühte.
Auf dem Berg angekommen und geparkt, ließen wir das Radio laufen und machten es uns auf einer Decke neben dem Wagen gemütlich. Alkohol und Joints wurden weitergereicht. Und obwohl es eigentlich ganz lustig war, schafften es weder Alkohol noch Joint mich richtig aufzulockern. Als Simon, der hinter mir saß, meinen Hals immer wieder zu küssen begann, versteifte ich mich nur. Jedoch ließ ich ihn machen, weil mich Jackie mit einem einfachen Blick ermutigte. Sie gab mir immer weiter Alkohol, damit ich lockerer wurde. Womöglich schaffte sie es wirklich nicht, wenn ich nicht auch dasselbe durchmachte wie sie.
Doch die Stimmung änderte sich schlagartig, als der Radiomoderator Jackies Lieblingssong ankündigte. „The Wilde One“ von Suzi Quatro. „All my life I wanted to be somebody - and here I am“, war die Stimme der Rockröhre Suzi Quatro zu hören. Sofort sprang Jackie auf und drehte das Radio im Wagen auf maximale Lautstärke.
„Ich liebe diesen Song.“, sagte sie und griff sich eine der Wodkaflaschen währen Suzi sang, „I know what I've got and there ain't nobody…“ Bevor wir uns versahen sprang sie auf die Motorhaube von Georges Wagen und sang lauthals mit. Der arme George war sogleich auf seinen Beinen und versuchte sie von seinem Liebling herunter zu ziehen. Aber Jackie ließ sich das nicht gefallen, sie hüpfte auf das Dach und tanzte und sang. Die Wodkaflasche benutzte sie dabei teilweise als Mikrophon und sang ein Duette mit Suzi, „Gonna take it away from me! So let me tell you what I am!“
Das war Jackie wenn sie nervös war. Sie konzentrierte sich einfach auf Banalitäten und drehte komplett durch. Da war nicht einmal der Alkohol Schuld daran.
„I'm a red hot fox, I can take the knocks, I'm a hammer from hell, honey, can't you tell“, sang Jackie lauthals. George versuchte unterdessen immer noch meine wild gewordene Freundin von seinem Auto zu ziehen, bekam sie aber nicht zu fassen. Und auch auf sein Auto zu klettern kam ihm gar nicht erst in den Sinn. Er fürchtete noch mehr Dellen zu verursachen.
„I'm the wild one, yes, I'm the wild one. I'm a touched up freak, on a winning streak, I'm gonna own this town, you can't hold me down. I'm the wild one, yes I'm the wild one“, sang sie weiter und schüttelte dabei ihr langes braunes Haar. Kurz dachten wir, sie würde vom Auto stürzen, weil sie das Gleichgewicht dabei für einen Moment verlor. Aber Jackie fing sich wieder und sang wie gehabt weiter. „Well it ain't no use, turn me loose. More, more, I can't keep score.“
Schließlich torkelte Jackie nur noch auf dem Wagendach herum – ob vom Alkohol, den Drogen oder dem wilden Getanze, das ihren Kopf zu sehr durchgeschüttelt hatte – sie winkte mich zu sich. Besorgt, dass sie jeden Augenblick umfallen würde trat ich an das Auto heran, bereit sie aufzufangen. Aber stattdessen zog mich Jackie zu sich rauf um mit mir zu tanzen. George war dem Herzinfarkt nahe, sprangen doch jetzt zwei wild gewordene Mädchen auf seinem Auto herum.
„I've got my head screwed on and the days are gone. When you kept me down and you pushed me 'round…“, sang ich in Jackies Wodkaflasche bevor ich einen kräftigen Schluck daraus nahm. „I'm the wild one, yes I'm the wild one.“, schrien wir regelrecht in die Welt hinaus. „I'm a blue eyed bitch and I wanna get rich.“, schleuderten wir den Jungs entgegen, die uns verblüfft angafften. „Get out of my way, 'cause I'm here to stay. I'm the wild one, yes I'm the wild one.“ Schließlich sah George ein, dass er nichts gegen uns ausrichten konnte und beschloss stattdessen die Show, die wir ihnen boten zu genießen.
„Well it ain't no use, turn me loose. More, more, I can't keep score – yeaaaaahhh“, schrien wir und rieben uns dabei aneinander. Dabei vergaßen wir vollkommen die Anwesenheit der beiden Jungs.
Dann kam das melodisch Solo der Instrumente im Song und bevor ich mich versah spürte ich die warmen und weichen Lippen von Jackie auf meinen. Was der Alkohol und die Drogen nicht schafften, bewirkte dieser unvergleichliche Kuss, den ich niemals erwartet hätte. Ich wurde locker und gab mich dem Gefühl von tausend Raketen die zum 4. Juli explodierten hin. Es war ein unbeschreibliches Gefühl, dass ich bei meinen bisherigen Küssen immer vermisst hatte. Das gewisse Etwas hatte immer gefehlt. Und wer hätte gedacht, dass ich es ausgerechnet bei meiner besten Freundin auf der ganzen Welt erleben würde. Bei einem Mädchen.
Und sie ließ nicht von mir ab. Vielmehr ergriff sie meine Hüften und zog mich an sich heran. Was hatte das zu bedeuten? Warum tat sie das? Und warum wollte ich, dass dieser Kuss auf ewig anhielt? Wie ihre Lippen über die meinen Strichen und ihre Zunge sogar Einlass in meinen Mund verlangte, den ich ihr ohne darüber nachzudenken gewährte. Jetzt fühlte ich mich wirklich wie „The Wild One“, wie Suzi Quatro sang. Lebendig und vollkommen beglückt. Ich wollte mehr.
„Well it ain't no use, turn me loose.“ Aber mit dem Einsetzen des Gesangs brach Jackie auch den schönsten Kuss meines Lebens ab. „More, more, I can't keep score.“, sang sie mit und sprang vom Wagen wo sie dann von George aufgefangen wurde.
Mich ließ sie einfach in kalten Regen stehen. Natürlich regnete es nicht wirklich. Es war eine kühle aber immer noch warme Sommernacht, mit klarem Blick auf die Sternendecke über unseren Köpfen. Doch in diesem Moment fühlte ich mich wie ein begossener Pudel, der zuvor munter durch irgendwelche Seitenstraßen spaziert war und nun das Dreckwasser mit dem eine Wohnung geschrubbt worden war über den Kopf gegossen bekam. Ich beobachtete Jackie, wie von George tanzend durch die Gegend getragen wurde. Ihr Lachen schien echt zu sein. War der Kuss für sie denn nichts weiter als ein wenig Spaß um die beiden Kerle, von denen wir uns flachlegen wollten, zu beeindrucken?
„I'm a red hot fox, I can take the knocks. I'm a hammer from hell, honey, can't you tell. I'm the wild one, yes, I'm the wild one.“, tönte es weiter aus dem Radio. Und es war mir vollkommen egal. Alles woran ich denken konnte war, dass ich gerade den schönsten Kuss meines Lebens erlebt hatte und ich wohl nie wieder so ein Gefühl in mir aufflammen spüren würde. Der Verlust, der mir in diesem Augenblick bewusst wurde, bedeutete einen heftigen Stich in mein Herz. Aber warum nur?
Die Rocknummer im Hintergrund entsprach nun so gar nicht mehr meiner Stimmung. Vielmehr fühlte ich mich, als würde ich in ein schwarzes Loche gesogen werden, dass mich samt Haut und Haaren fressen würde. Nur eine Hand spürte ich an meiner festhalten.
Es war Simon, der mich langsam zu sich runterzog. Er würde mich nicht retten aus dem tiefen Abgrund in den ich gerade zu Boden fiel. Selbst wenn, ich wollte auch gar nicht von ihm gerettet werden. Meine einzige Heldin, von der ich mich aus dieser schwarzen Traurigkeit erretten lassen würde, machte gerade ganz im Sinne des Songs der im Hintergrund lief mit George rum.
„I'm a touched up freak, on a winning streak. I'm gonna own this town, you can't hold me down. I'm the wild one, yes I'm the wild one.“, feuerte Suzi Quatro Jackie und George auch noch an. Ich hasste diesen Song und seine Sängerin regelrecht dafür.
Als ich schließlich auf der Motorhaube von Georges Wagen saß und Simon an mir herumfummeln ließ, konnte ich nicht anders als Jackie und George weiter zu beobachten. Ich wünschte dabei ich könnte mit George den Platz tauschen. Dann würde Jackie auf mir sitzen, mein Gesicht in ihre zarten Hände nehmen und meine Lippen mit ihren spielerisch umgarnen. Unsere Leidenschaft für einander würde zu einem gewaltigen Kern verschmelzen, der uns, wenn er schließlich explodierte, mit einer wohligen Wärme umhüllte. Wie ein Kokon würde uns dieses Gefühl von den Einflüssen der Außenwelt schützen. Dann gäbe es nur noch uns beide.
Aber so war es nicht. Und so würde es niemals sein. Das wurde mir klar, als der Song sich mit dem immer wiederholenden „I´m the wild one, yes I´m the wild one“, dem Ende zuneigte und George sich auf Jackies zerbrechlichen Körper legte. – Doch was war das? Bildete ich mir das jetzt nur ein, oder sah mich Jackie jetzt an? Hatte ich mir diese Leidenschaft zwischen uns doch nicht nur eingebildet?
„I´m the wild one, yes, I´m the wild one“, trällerte Suzi Quatro die letzte Zeile des Songs und dann meldete sich der Radiomoderator wieder zu Wort.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 07.07.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für all die verwirrten Seelen da draußen.

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