Prolog
„Milla, es war deine Entscheidung allein, dem Meer und dem Mond die Schwanzflosse zu kehren!“, verkündete Valria, die Königin der Meerjungfrauen. „Du warst dir der Konsequenzen bewusst. Und jetzt verlangst du Hilfe deiner Schwestern, dies wieder rückgängig zu machen?!“ Mit einer dramatischen Pause verlieh sie der noch folgenden Demütigung noch mehr Ausdruck. „Meine Antwort lautet nein. Die Hilfe sei dir verwehrt. Wenn du es nicht alleine wieder schaffst, dass dich sowohl Mutter Mond als auch Mutter Meer wieder in sich aufnehmen, bist du keine mehr von uns.“
Die Demütigung war groß. In den letzten Monden ihres Menschendaseins hatte sie gelernt, dass es in deren Welt anders zuging, dass ihnen diese Antwort nicht wie eine aus ihrem Haar herausgerissene Perle vorkam – wie eine Ohrfeige vielleicht, aber nicht wie eine herausgerissene Perle. Sie würden sich ohnehin keinen Reim darauf machen können, was die Perlen der Meerjungfrauen für sie bedeuteten.
„Im Zuge dessen, und auch der Frivolität deines Ersuchens wegen, verbiete ich dir bis zu deiner rechtmäßigen Rückkehr in die Schwesternschaft uns weiter deine Schwestern zu nennen. Das ist mein letztes Wort.“
Das war es wahrlich. Valria zögerte keinen Moment sich dem Meer wieder hinzugeben. Sie tauchte hinab in die Tiefen des Vollmondsees, der weit weniger tief wirkte, als er tatsächlich war. Doch wenn man, wie Milla, außerhalb des heiligen Sees stand – auf zwei widerlichen Beinen – konnte man die Ausmaße der tiefen und verschlungenen Höhlen und Gänge unter Wasser. Hätte sie den See auch noch mit diesen beiden Stelzen betreten, wäre sie nicht nur mit einer Demütigung davongekommen. Im Brodeln ihrer Schwestern wäre sie umgekommen.
Geschlagen musste sie den Rückweg antreten. Unter den Blicken ihrer Schwestern, die sie gar nicht mehr so nennen durfte. Verachtung, Verständnislosigkeit und Vorfreude schlugen ihr gegen ihren Rücken, den sie ihnen vor Scharm zuwandte. Der einzige Lichtblick des heutigen Tages war, die Vorfreude gehörte nur zu Xiandre. Seit Milla sich für den Weg der menschlichen Beine und Gelüste entschied, war es nun Xiandre, die in der Gunst der Königin stand. Milla war ihr schon lange ein Dorn im Auge gewesen. Nun nicht mehr.
Der Dschungel war uneben, was ihr das Gehen, mit dem sie immer noch so ihre Schwierigkeiten hatte, erschwerte. Nicht einmal diese Schuhe, die die Menschen an ihren Füßen trugen, vermochten es ihr zu erleichtern über den verwitterten Dschungelboden hinweg zum Strand der Insel zurück zu gehen – wie sie diese Art der Fortbewegung hasste. Zu tiefst bereute sie ihre Entscheidung ihre wunderschöne Schwanzflosse gegen diese Dinger zu tauschen. Und zu tiefst hasste sie IHN dafür, dass sie es seinetwegen in Kauf genommen hatte so durch die Welt zu gehen.
Doch alleine würde sie es nicht schaffen sein Leben zu nehmen um ihre Perle, ihr zu Hause im Meer und ihre Jungfräulichkeit für den Mond zurück zu gewinnen. Sie brauchte Hilfe, weshalb es sie auch vor ihrer wiedererlangten Jungfräulichkeit auf die Insel der Sirenen einen Fuß zu setzen.
Seufzend hielt sie in ihren Schritten inne. Sie musste ihn finden. Koste es was es wolle. Milla setzte ihren Weg fort, nachdenklich. Koste es was es wolle, dachte sie verächtlich. Was wird es sie noch kosten, als es nicht schon hat? Sie wusste nicht weiter. Was sollte sie tun?
Wie zu Hause fühlte sie sich wenigstens noch, wenn sie dem Meer nahe war. Der salzige Geschmack begrüßte ihre Sinne. Die klaren, blauen Wellen und ihre weiße Gischt luden sie ein in ihnen zu schwimmen. Aber in ihrem menschlichen Dasein sah sie sich gezwungen diese Einladung auszuschlagen. Niemals würde sie es mit ihren kümmerlichen Muskeln in Armen und Beinen bis in den nächsten Hafen schaffen. Irgendwann würde sie müde werden und untergehen. Und weil ihr ihre Kiemen fehlten, würde sie schlichtweg ertrinken. Deshalb muss sie sich dieses Dingis befähigen.
„Du könntest Hilfe gebrauchen, habe ich das Gefühl.“, sagte eine erfreulich bekannte Stimme. Nicht die Stimme des Meeres, aber die von Jiltis. Ihr Körper ragte bis zu ihren Schultern aus der Heimat, dem Meer. Mit Leichtigkeit hielt sie sich ohne Mühen in perfektem Gleichgewicht. Samtene Strähnen schmeichelten ihrem Körper, hingen ihr wie ein nasser Vorhang vom Kopf. Freude machte sich auf ihrem Gesicht kund, widergespiegelt in Millas Ausdruck.
Dennoch. „Aber die Königin will nicht…“ Milla musste den Tatsachen ins Auge sehen.
„Die Königin darf nicht wollen, Milla.“, versicherte ihr Jiltis. „Aber du bist immer noch ihre Lieblingsschwester. Auch wenn sie es zum gegenwertigen Zeitpunkt nicht zu erkennen geben darf.“
„Dann hilfst du mir?“, fragte Milla, ihre Freude aber zurückhaltend.
Jiltis legte ihren Kopf abschätzend in ihre Schulter, mit einem positiven Lächeln. Jiltis streckte ihr ihre Hand in einer Einladung entgegen. Lange hatte sie diese Geste nicht mehr in Anspruch nehmen dürfen. Heute war es wieder soweit. Während ihre Freundin durch das Wasser in tiefere Gefilde schwebte, blieb Milla nichts anderes übrig als hindurch zu warten. Es machte ihrem menschlichen Körper das Vorankommen schwer, wollte ihn aus sich verdrängen, verscheuchen, verbannen. Aber Millas Wille war stark sich die Gunst des Meeres wieder zu verdienen, indem sie wieder jungfräulich wird.
Kapitel 1
Die Sonne brannte auf sie hernieder. Die Spiegelung durch das Meerwasser machte es gar noch schlimmer. Aber nichts anderes waren sie gewöhnt. Außerdem würde der brennende Ball bald hinter dem Horizont im Wasser versinken. Nicht mehr lange und die Nacht würde über sie hereinbrechen. Doch solange es nicht soweit war, mussten sie die Temperaturen aushalten, die sie wie eine warme, ja zu heiße Decke umhüllten.
Montgomery kühlte sich mit einer Handvoll Wasser ins Gesicht ab, wofür Anne kein Verständnis hatte. Augenrollend nahm sie jedoch hin. Sie war nicht der Captain, der diese Landratte zurechtweisen sollte. Doch der Captain ließ sich gar nicht erst dazu herunter. Alles was der Mann tat, den es für Anne um jeden Preis zu beschützen galt, war auf die andere Seite des weißen Strandes zu blicken. Sie alle taten es, aber er hatte für nichts anderes auch nur einen Funken Aufmerksamkeit zu vergeben. Mit ein Grund, warum er sie brauchte. Er achtete zu selten auf den Bereich hinter seinen Rücken. Schweigend nahm sie auch das hin. Denn, würde er sich ändern, gäbe es für sie ja keine Aufgabe mehr.
Das Schiff des Captains lag in der Bucht der Insel vor Anker. Die Bucht war über ein weites Areal hinweg ziemlich seicht, weshalb das Schiff, mit seinem auffallenden Tiefgang, weit draußen auf sie warten musste, bis sie mit dieser lästigen Pflichtveranstaltung fertig sind.
Seit einer gefühlten Ewigkeit warteten sie nun schon auf Captain Javier Thomas Cruz. Das Treffen war ursprünglich zur Mittagssonne ausgemacht. Und nun standen sie immer noch hier herum, wo es doch schon auf die Abendsonne zuging. Annes Geduldsfaden war kurz und strapaziert. Würde der Captain nicht so unermüdlich über den unberührten Strand blicken, hätte Anne schon längst wieder die Segel setzen lassen und den Befehl gegeben dem Horizont entgegen zu segeln. Das hieß, hätte jemand auf sie gehört. Denn sie war ja nur eine junge Frau – ein Mädchen um die Wahrheit zu sagen.
Die Crew war nicht glücklich darüber mit einer Frau an Board zu durch die sieben Weltmeere zu ziehen. Ist es doch in aller Munde, dass Frauen auf einem Schiff Unglück brächten. Der Captain war zu Anfang auch diese Meinung, als Anne in Kindesalter zu ihm kam. Doch sie schaffte es mit überzeugenden Argumenten, dass es ihm größeres Unglück brächte, würde er sie abweisen. Und bisher hatte sie niemanden Grund dazu gegeben, zu glauben, dass der Captain eine Fehlentscheidung getroffen hatte. Unzählige Male hatte sie nicht nur ihn, sondern auch der Crew aus aussichtslosen Situationen gerettet.
Doch aus dieser aussichtslosen Situation – auch wenn sie nicht gefährlich war – konnte sie sie nicht befreien. Dazu war nur ihr Captain in der Lage. Und dieser machte keine Anstalten sich vom Fleck zu bewegen. Er hatte ihnen nicht einmal anvertraut, weshalb sie sich mit Cruz trafen. Nicht einmal Anne hatte er einen Hinweis gegeben, was er von dem Spanier wollte. Eine Schatzkarte? Ein Tausch? Einen Anhaltspunkt? Anne wusste es nicht und konnte sich auch keinen Reim auf dieses Treffen machen.
Seufzend vertrat sie sich ein wenig die Beine. Es brachte ja nichts, dass sie sich hier die Beine in den Bauch stand, wie ihr Captain, solange sie ihn im Blick behielt. Nur ein paar Schritte unternahm sie durch den Sand, in dem sie bis zu ihren Knöcheln versank. Den Landgang hatte nie besonders gemocht. Es lag wohl daran, dass ihr Vater ein freiheitsliebender Pirat war, der immerzu durch die Meere dieser Welt zog, dass es auch Anne so erging. Während ihrer Kindheit, die sie bei ihrem Großvater verbracht hatte, war sie immerzu unglücklich. Immerzu wollte sie auf das weite Meer hinaus. Zu jeder Stunde eines jeden Tages wollte sie den salzigen Geruch in ihrer Nase haben, die kühle Gischt auf ihrer Haut fühlen, wie sie wie ein Sprühregen über die Rehling sprang, den Fahrtwind, der ihr durch die Haare bei voller Fahrt wehte.
Und dennoch war es ihre Pflicht stets an der Seite des Captains zu verweilen, um ihn vor denjenigen zu beschützen, die ihm nicht wohlgesinnt waren – und davon gab es weiß Gott nicht wenige. Der Captain hatte eine Angewohnheit sein Wort nicht zu halten und nebenbei betrog er seine „Geschäftspartner“ auch ganz gerne.
„Captain!“, rief eine Stimme. Doch woher? Aus der offenen See? Anne wandte sich zum Ursprung der Stimme und entdeckte zwei weitere Dingis, die auf den Strand zu ruderten. Die Insassen wedelten mit ihren Armen um die Aufmerksamkeit des Captains und seiner Kameraden auf Landgang. „Captain! Das Schiff! Cruz! Ein Hinterhalt!“
Tatsächlich … Anne traute ihren Augen nicht. Das Schiff, das vor wenigen Minuten noch sicher in der Bucht der Insel vor Anker lag, hatte kehrt gemacht und war gerade dabei sie zurück zu lassen. Auf einer Insel mitten im Nirgendwo.
„Captain?!“, ermahnte Montgomery den Captain, der immer noch auf demselben Fleck stand. Anne ging um ihn herum damit sie sein Gesicht begutachten konnte. Denn sonst gab ja nichts an seinem Auftreten Aufschluss darüber, was in ihm vorging.
„Was ist los?“, fragte sie ihn. „Habt ihr das mitbekommen? Das Schiff ist weg!“, schrie sie ihm entgegen, in der Hoffnung, dass ihn das aus seiner Trance holte. Es versetzte Anne einen Stich ins Herz, dass ihr Captain einen solchen Ausdruck des Niedergangs aufgesetzt hatte. Was stimmte nur nicht mit ihm?
Ohne noch weitere Worte an ihn zu verschwenden, nutzte sie eine ganz andere Methode. Mit schneller und harter Hand peitschte sie ihm eine Ohrfeige ins Gesicht. Doch kaum hatte sie nach dem Aufschlag den weiteren Schwung abgebremst, ergriff der Captain ihr Handgelenk und wirbelte sie daran herum. Nicht wissend, wie sie so unachtsam gewesen sein konnte, spürte sie die kalte Klinge eines Messers an ihrer Kehle. Sie hatte sich zu viel heraus genommen. Zwar konnte sie ihm offen sagen, was sie von ihm und seinen Taten hielt – egal ob positiv oder negativ – doch handanlegen durfte sie nicht an ihn. War es nicht sogar ihre Aufgabe ich zu beschützen?
Schubsend entließ er sie wieder aus seinem Griff. Unversehrt.
„Captain?“, fragte einer der Männer unsicher. „Was sollen wir tun? So ganz ohne Schiff?“
„Wie sollen wir jetzt, verdammt noch mal, von dieser Insel runter kommen?!“, rief einer der Männer, die mit den Dingis uns nachgekommen waren.
„Wie?!“, schrie Anne ihn an, sich wieder von ihrem Zusammenstoß mit dem Captain gefangen. „Das wollte ich auch gerade fragen!“ Mit tobender Wut, die womöglich auch von der Demütigung durch den Captain vor der Mannschaft herrührte, stampfte sie durch den treibenden Sand auf den zügellosen Nichtsnutz zu. „Wie ist es möglich, dass Cruz sich unser Schiff unter den Nagel reißen konnte, wo wir doch extra genug Männer zurückließen!? Das würde ich gerne mal erfahren!“
Doch bevor diese Auseinandersetzung zwischen Anne und dem Seemann weiter ausarten konnte – Anne hatte ihre immerzu geladene Pistole griffbereit – mischte sich endlich auch der Captain in das Geschehen ein.
„Ausreichend Männer haben wir wohl nicht zurückgelassen.“, urteilte er ohne den Hauch von Wut über unseren Verlust in seiner Stimme. „Sonst wäre es Cruz wohl nicht gelungen sich unseres Schiffes zu bemächtigen. Nicht wahr?“
„Ist das euer ernst, Captain?“, fragte einer der Crewmitglieder. Er war nicht der einzige, der über das eigenartige Verhalten des Captains verwundert war. „Es scheint euch gar nicht zu stören, dass wir jetzt ohne Schiff dastehen.“
„Tut es auch nicht.“, sagte der Captain sorglos. „Männer“, verkündete er, „und Frau“, fügte er an Anne gewandt hinzu, „hab ich euch schon jemals in ausweglose Schwierigkeiten geführt?“ Die Zustimmung der Crew hielt sich in Grenzen, was auch der Captain erkannte. „Na gut, na gut, schlecht gewählte Worte.“, entschuldigte er sich mit erhobenen Händen bei den skeptischen Mienen seiner Männer. „Aber bisher hat sich am Ende doch immer gelohnt mir zu vertrauen. Nicht wahr?“
Hier kam nun endlich die Zustimmung, die er sich wohl schon zuvor erhofft hatte. Auch Anne konnte nicht leugnen, dass er als Captain zwar einen Hang dazu hatte sich und seiner Crew Schwierigkeiten einzuhandeln. Dennoch standen sie niemals mit leeren Händen da. Den Seemännern selbst ist es zuzuschreiben, dass sie stets mit leeren Händen dastanden. Alkohol und Frauen, waren nun mal nicht immer billig.
„Also, vertraut eurem Captain wie ihr es immer tut, und am Ende steht ihr mit Händen voller Gold da.“
Mit keinerlei Worten der Erklärung wandte der Captain ihnen den Rücken zu und näherte sich durch den Sand stapfend dem Innern der Insel zu. Verdutzt bleiben seine Seemänner und Anne zurück. Schon immer hatte er gerne Geheimnisse um sein Wissen über Schätze und Beuten gemacht. So stellte er sicher, dass seine Crew ihn brauchte und nicht auf den Gedanken einer Meuterei kam. Doch sein Verhalten dieses Mal war gefährlich.
Mit nichts weiter als vier Dingis saßen sie nun auf einer Insel fest, die von den weiten des Meeres umzingelt war und kein Versprechen auf Rettung aufkommen ließ. Er spielte ein äußerst gefährliches Spiel. Und Anne wird wieder einmal diejenige sein müssen, die ihm seine selbst eingebrockte Suppe wieder auslöffelte. Schnaubend und mit den Augen rollend stapfte sie ihm hinterher, bevor die Crew von ihrer Verwirrung wieder zu sich kam und sich ihn schnappte.
Keineswegs zweifelte Anne ihn an. Mit Sicherheit sogar wusste er etwas über einen neuen, noch nicht geborgenen Schatz oder ähnliches. Aber wenn er nicht zumindest ein bisschen Information an die Crew weitergab, würde er garantiert mit einem Messer im Rücken enden. Wobei ihm, bei der Weitergabe von zu viel Information, das gleiche Schicksal ereilen könnte. So viel stand fest.
„Ihr schaufelt euch soeben euer eigenes Grab!“, rief Anne ihrem Captain hinterher, als sie den Dschungel der Insel betraten hatten. „Der Crew wird es nicht gefallen ohne Trinkwasser und Vorräte auf einer Insel gefangen zu sein. Da könnt ihr ihnen noch so viel Gold und Edelsteine versprechen!“
Keines ihrer Worte bewog ihn dazu stehen zu bleiben. Wahrscheinlich hörte er ihr nicht einmal zu. Schnellen Schrittes holte sie ihn ein und verwehrte ihm den Weg. Anne sah ihm tief in die Augen.
„Wo wollt ihr eigentlich hin? Und was soll das hier?“, fragte sie ihn, weil sie aus seinem Blick nicht schlau wurde.
„Wir werden einen Platz zum Lagern suchen. Trinkwasser wird es auf der Insel geben. Wir müssen es nur finden. Und Vorräte…“, er zückte das Messer, dass er Anne noch vor wenigen Augenblicken an die Kehle gehalten hatte, aus seinem Gürtel und warf es in die Luft. Einen Moment später landete eine tropische Frucht in seiner ausgebreiteten Handfläche. Mit breitem Grinsen und lautem Knacken versank er seine ungepflegten Zähne darin. „Noch Fragen?“, fragte er schmatzend mit vollem Mund. Er ging an ihr vorbei.
„Und dann?“, wollte Anne wissen. „Wir können doch nicht für den Rest unseres Lebens auf dieser Einöde verbringen. Wir brauchen ein Schiff. Mit den Dingis werden wir nicht weit kommen.“
Doch er wollte nicht auf sie hören, ließ einfach nicht mit sich reden. Ihre Hoffnung bestand nun darin, dass sich die Crew davon abhalten ließ den Captain zu lünchen.
Voller Misstrauen, das der Captain wohlwissend ignorierte, fügten sich die zwei Duzend Männer dem Befehl des Captains ohne Schiff. Sie murrten unter sich, bauten aber ein Lager auf. Holz für ein Lagerfeuer wurde gesammelt, Früchte für ein nicht zufriedenstellendes Abendmahl. Wasser, das zum Trinken zu verwenden war, wurde gefunden. Doch trotz der glücklichen Funde erhellte sich die Stimmung der Crew nicht. Verständlicher Weise verfinsterte sich die Stimmung Zusehens. Anne war darauf gefasst jeden einzelnen von ihnen zu töten. Doch so gut sie auch kämpfen mochte, waren zwei Duzend Gegner auf einem Schlag von so gut wie niemanden zu besiegen. Da brauchte man schon eine ordentliche Portion Glück zusammen mit allen vier Assen eines Kartenspiels in seinem Ärmel. Auf keines dieser beiden Dinge konnte sich Anne ruhigen Gewissens verlassen.
Das einzige worauf sie sich verlassen konnte waren ihre Fähigkeiten sowohl im Kampf, als auch in der Kunst des Redens. Bisher kam sie mit diesen beiden ihrer Vorzüge ganz gut aus. Das hieß, außer beim Captain. Er war wie immer eine Ausnahme. Doch wenn sie ehrlich zu sich selber war, musste sie sich fragen, ob sie ihm diese Ausnahme nicht auch selber zugestand.
Darüber weiter grübelnd legte sie sich fernab der ausschließlich männlichen Crew, um sich von den Strapazen des Tages zu erholen. Dennoch durfte sie sich nicht erlauben einzuschlafen. Wachsam musste sie die Crew, deren Stimmung dem Captain gegenüber noch nicht aufgehellt war, im Auge behalten, jedes Anzeichen einer Meuterei im Keim ersticken. Sie hatten nicht denselben Grund wie Anne ihrem Captain so blind zu vertrauen.
Er hat sie nicht nur beschützt, als sie noch diejenige war, die schutzbedürftig war. Er hat sie großgezogen und geschult. Zugeben würde er es wohl nicht, um ihre Person nicht zu schmälern, aber für Anne war es gar keine Frage, dass er der Grund dafür war, dass sie überhaupt so geschickt war eine Führungsebene zu bekleiden und ihren Standpunkt so klar zu machen, das ihre einstigen Gegner sich irgendwann auch auf ihre Seite schlagen.
Vor einigen Jahren, Anne war gerade vierzehn Jahre alt geworden, hatte der Captain sich schon einmal eine Meuterei eingebrockt. Angeführt wurde dieser Aufstand von einem Mann, der damals gerade erst auf dem Schiff angeheuert hatte. Die Crew hatte er schon fast soweit gehabt den Captain im Schlaf abzustechen. Hätte Anne nicht nur durch Zufall erfahren, was hinter vorgehaltener Hand unter den Männern auf dem Schiff vorging, sähe ihr Leben jetzt wohl ganz anders aus. Doch glücklicherweise zögerte sie damals keine Sekunde und tötete den Aufhetzer mit einem schnellen und gezielten Schuss in seinem Kopf. Da dies vor den Augen der gesamten Mannschaft geschehen war, hatten sie gelernt sie ernst zu nehmen und nicht herauszufordern. Schon erschreckend welch Feiglinge sie auf dem Schiff beschäftigten, dachte Anne, haben Angst vor einem kleinen Mädchen. Darüber konnte sie nur lachen.
„Anne? Anne?“, wiederholte eine Stimme in zischendem Flüsterton. Bis dahin hatte sie gar nicht bemerkt, dass sie doch eingenickt war. „Anne, wach auf.“
„Was ist los?“, fragte Anne die unbekannte Stimme, deren Besitzer ihr in diesem Zustand des Halbschlafs einfach nicht einfallen wollte. Als sie dann aber ihre Augen öffnete, erkannte sie Peter, einem jungen Kerl, kaum älter als sie selbst, der erst seit wenigen Monaten zur Crew gehörte. Zwar war es zu dunkel um ihm in sein Gesicht zu sehen, aber Peter wirkte nicht wie die anderen Männer der Crew – äußerlich und von der Statur her. Die Gesichter der anderen waren zerfurcht von tiefen Falten durch die Raue See. Peters Gesicht wies seit seiner Anheuerung auf dem Schiff lediglich eine dunklere Hautfarbe auf. Ein wenig älter wirkte er seit ihrer ersten Begegnung aber schon. Seine Statur wies aber noch keine ausgeprägten Muskeln auf. Breite Schultern hatte er nicht. Sein Körper war durchzogen von sehnigen Muskeln – jedenfalls hatte sie den Eindruck, dass sie irgendwie sehnig waren.
Sein Gesicht schwebte Dicht vor dem ihren und sie konnte seinen Körpergeruch wahrnehmen. Er roch nicht besser alle anderen der Mannschaft. Als sie noch bei ihrem Großvater gelebt hatte, umschwirrten sie größten Teils angenehme Gerüche. Der Duft von Blumen oder köstlichen Speisen, die Feuchtigkeit der Luft, wenn das Wetter auf Regen umschlug. Manchmal hatte sie sogar Parfüm verwenden dürfen. Diese künstlichen Gerüche konnte sie aber nie so wirklich ausstehen. Wobei es eine hundertprozentige Verbesserung zu ihrem Leben unter stinkenden Männern wäre. Die Freiheit, die ihr das Bereisen der Weltmeere bot, könnte sie aber niemals für eine Erleichterung ihrer Nase aufgeben.
„Die Crew…“, sagte Peter mit gedämpfter Stimme, „Es wird von Meuterei geredet.“
Das ließ sie nun vollkommen aus ihrer Schlaftrunkenheit erwachen. Darauf vorbereitet war sie ja gewesen, aber es jetzt auch aus erster Hand zu erfahren, bedeutete etwas. Zum einen, dass sie spätestens jetzt in Aktion treten musste.
„Ich dachte, dass du das wissen solltest.“, flüsterte Peter. Zum andern wusste sie, dass sie sich immer auf Peter verlassen konnte. „Dir liegt doch viel an seiner Sicherheit?“
Sie wich seiner Nähe aus und erhob sich erst einmal von ihrem improvisierten Schlafplatz. Suchend sah sie sich um. Den Captain konnte sie aber nicht entdecken. Nur einige vor sich hin schnarchende Männer, die um lodernde Lagerfeuer lagen. Alle waren an der Planung einer Meuterei also nicht beteiligt. Keinesfalls eine schlechte Neuigkeit. Aber nicht alle Crewmitglieder waren zu entdecken. Ihr Instinkt verriet Anne, dass sich die Unruhestifter irgendwo in der Nähe zurückgezogen haben um einen Plan auszutüfteln.
Oder waren sie bereits bei ihm? Eines war klar, sie sollte ihn so schnell wie möglich finden. Wo auch immer er war.
Sie verließ den Lagerplatz, der vom Schein des Feuers erfüllt war, um in die Dunkeheit des dichten Dschungels einzutauchen. Die überdimensionalen Blätter und Äste, die es wagten ihr den Weg zu verwehren, überlebten diese Frivolität nicht lange. Mit ihrem Schwert, das nie, nicht einmal während sie schlief, ablegte, durchtrennte sie das Unkraut ohne mit der Wimper zu zucken. Die scharfe Klinge schnitt selbst durch die dickeren Äste ohne Mühe, als wäre es so dünn wie Pergament. Viel Zeit verwendete sie oft darauf ihr Schwert und ihre Messer zu schärfen. Bei den Gefahren, aus denen sie den Captain herausholen musste, konnte sie es sich nicht leisten aufgrund eines stumpfen Schwertes höhere Kraftaufwendungen zu betreiben.
Nach nur wenigen Schritten ihres Weges viel ihr auch endlich auf, dass es furchtbar still hier war. Normalerweise sollte der Dschungel von Geräuschen der Nacht erfüllt sein. Tiere, die sich untereinander mit ihren Lauten unterhielte oder andere, kleinere Tiere zu jagen. Aber nichts als der Wind, der sich durch die Ritzen des dichten Dschungels schlängelte, war zu hören. War das ein schlechtes Omen? Aber wie sollte die erdrückende Stille des Dschungels ein Zeichen dafür sein, dass die Meute den Captain schon in ihre Finger bekommen hat? Das eine konnte nichts mit dem anderen nichts zu tun haben. Sie war einfach zu paranoid.
Kapitel 2
Fernab der ruhenden Crew stand er in einer Lichtung des Dschungels und starrte den Vollmond an. Er wartete. Darauf, dass sein Plan aufging, dass er seiner verstimmten Crew den Grund für seine Geheimnistuerei liefern konnte. Es war deutlich zu spüren. Sie redeten hinter seinem Rücken von Meuterei. Aber nur noch wenige Stunden mussten sie ausharren. Dann würde sich das versunkene Schiff zeigen, dass des toten Mannes Kiste seit Jahren verborgen hielt.
Doch da gab es auch etwas anderes, das ihn hier auf dieser Lichtung hielt. Der Mond, so groß, als würde er jeden Augenblick aus dem Himmel herausbrechen und auf ihn fallen. Der Wind, der Wolken von leichtem Nebel aus dem Nichts hervortrieb. Aber da war noch mehr als der Nebel in diesem Wind. Was es war, konnte er nur nicht ganz ausmachen.
„Bist du jetzt zufrieden?“, fragte ihn Anne, die sich ohne große Mühe an ihn heran geschlichen hatte. „Die Crew redet bereits von Meuterei. Meinst du nicht, du solltest wenigstens einen Teil deines Wissens offenlegen?“
Selten genug sprach sie ihn mit dem fehlenden Respekt, dem einem Captain gebührte, an. Da wusste er immer sofort, dass sie ernsthaft erbost über ihn war. Er seufzte nur und spitzte weiter seine Ohren um über ihre Stimme hinweg zu hören.
„Was ist? Legst du es tatsächlich auf eine Meuterei an?“, fragte Anne verdutzt. „Was willst du tun, wenn sie sich allesamt gegen dich stellen? Sie werden dich umbringen.“
„Um das zu verhindern, bist du doch hier.“, sagte er unerschrocken. Hundertprozentig konnte er sich auf sie verlassen. Und solange sie an seiner Seite blieb, hatte er die besten Chancen auch jedes Problem zu lösen – nur nicht das, das er nicht ausmachen konnte, was der Wind noch zu ihm trieb.
„Du vertraust mir soweit? Dass du denkst, dass dir nichts passieren kann?“, fragte sie. Er nickte nur im Mondschein umhüllt von einem dünnen Nebelschleier. „Aber um deine Geheimnisse zu teilen, vertraust du mir nicht genug? Wenn du schon verlangst, dass ich mich für dich ins Feuer werfe, habe ich dann nicht auch so viel vertrauen verdient?“
„Dasselbe gilt ja wohl für uns auch.“, rief eine männliche Stimme aus den Schatten des Dschungelgewächses heraus. „Meint ihr nicht … Captain.“ Abfälligkeit lag in seinem letzten Wort. Wie es schien war er der Anführer der geplanten Meuterei.
Spannung lag in der Luft. Was er nun unternahm, würde über seinen Tod oder sein Leben entscheiden. Überlegt musste er vorgehen um seine Position als Captain dieser Mannschaft nicht zu verlieren. Um klarer denken zu können, schob er die Frage nach dem Etwas im Wind in eine Ecke seiner Gedanken. Verrät er ihnen etwas? Wenn ja, wie viel darf er ihnen anvertrauen, sodass er sie von ihrem Plan der Meuterei abbringt, aber immer noch von so viel Nutzen ist, dass sie ihn nicht töten, wenn sie wissen, wo das Schiff mit dem Schatz zu finden war? Eine komplizierte Angelegenheit vor die er sich da wiederfand.
Doch entschlossen sagte er, „Ihr wollt wissen, worauf ich hier überhaupt aus bin? Na gut, ich werde es euch sagen. Euch sagt das alte Seemannslied über des toten Manns Kiste etwas?“ Er flanierte großspurig vor dem ihn beobachtenden Teil der Crew, der sich nach und nach aus dem Dickicht neugierig und zustimmend hervorwagte. „Der Name des Mannes ist unwichtig – ich zweifle gar, dass ihn überhaupt jemand kennt. Doch eines ist klar, in seiner Kiste ist etwas Wertvolles.“ Abschätzend wartete er nun auf die Reaktionen seiner Crew. Ob sie angebissen haben.
„Etwas Wertvolles?“, fragte einer der Männer. „Was?“
Angebissen. Seine übrigen Karten musste er aber nun geschickt ausspielen.
„Nun, das weiß ich auch nicht.“, gab der Captain selbstsicher zu.
„Und was macht euch dann so sicher, dass es sich lohnt diese Kiste überhaupt zu suchen? Captain.“ Wieder diese Abfälligkeit in dem Wort seines Titels. Sie waren durchaus gewillt ihn gewaltsam abzusetzen, erkannte er.
Vorsicht Gordon, ermahnte sich der Captain selbst, jedes falsche Wort, werden sie bis zu seinem eigenen Tode ausreizen, um es gegen dich zu verwenden.
„Naja“, sagte er herausfordernd, „warum glaubt ihr wohl, wird diese einfache Kiste“, er blickte jeden einzelnen der Runde an, „von fünfzehn toten Männern beschützt? Da muss doch etwas enthalten sein, dass es sich auch zu schützen lohnt.“ Selbstzufrieden nahm er wahr, dass ihm seine Männer – jetzt konnte er sie ja wieder ruhigen Gewissens seine Männer nennen – genauso dachten. Leicht zu beeinflussen waren sie allemal.
„Mich würde ja mal interessieren, ob es diese Kiste überhaupt gibt?“, fragte der vermeintliche Anführer der Meuterei. So einfach wollte er seinen Sieg nicht aufgeben, hatte der Captain den Eindruck.
„Jungchen“, sagte der Captain laut genug, dass alle ihn hören konnten, „ich denke ich fahre schon ein paar Jahre länger zur See als du. Ich bin damit aufgewachsen und weiß daher, dass jedes Seemannslied und jede Legende etwas Wahres in sich birgt.“
Abschätzend studierte der Anführer der Meuterei den Captain. Einige andere taten es ihm gleich. Aber niemand sonst hatte so einen Widerwillen in seinem Ausdruck die Worte des Captains als wahr anzuerkennen, wie dieser eine.
„Und wo ist dieses Schiff, auf dem die Kiste sein soll?“, wollte Anne wissen. Mit Sicherheit war dies ein taktischer Zug, der zum Ziel hatte, die nicht mehr ganz so stark drohende Meuterei weiter zu zerschlagen. Auch wenn sie ihn zu beschützen beabsichtigte, behielt sie vor den anderen immer noch den Anschein, als sei sie hundertprozentig ein Teil der Crew und nicht insgeheim der Spion des Captains in deren Reihen. Doch schon länger hatte er den Eindruck, dass sie ihr auch nicht mehr so ganz trauten.
„Vor der Küste dieser Insel.“, legte der Captain sein Wissen darüber offen, was wieder Verwirrung in der Crew auslöste.
Das Etwas, das der Wind zu ihm trieb, wurde deutlicher. Melodisch drang der Wind an sein Ohr. Ein Lied, gesummt von einer zarten Stimme, die dennoch stark genug war, dass er sie wahrnahm. War er der einzige, der dieses Lied wahrnahm?
„Und was tun wir dann noch hier? Gehen wir zum Schiff und holen uns diese Kiste!“, rief einer und sprach damit allen andern aus der Seele. Zustimmung wurde laut und brach durch die windige Nacht.
„Ja, gehen wir!“, rief der Captain seinen Männern zu, wenn auch etwas abgelenkt von diesem Lied, das ihn nicht mehr losließ. Doch wollte er auch nicht, dass es ihn losließ. „Dann werdet ihr auch gleich Zeuge davon, wie das Schiff um Mitternacht auftauchen wird.“
Ohne zu wissen wohin sie eigentlich zu gehen hatten, gingen die Männer voraus. Gordon sollte sie einholen, doch wurde ihm der Weg von Anne verwehrt. Den Weg wollte er ihnen aber auch gar nicht mehr zeigen. Sollen sie es doch alleine finden. Er hatte etwas anderes zu finden. Die Quelle dieser Stimme. Aber auch davon sollte Anne ihn abhalten. Normalerweise konnte man ihr die Erleichterung immer ansehen, wenn er es auch ohne ihre Hilfe schaffte seine Männer zu führen. Doch heute Nacht war es nicht so. Sie wartete bis die Männer außer Hörweite waren, bevor sie sprach.
„Du hast wirklich verdammtes Glück, dass nur denkfaule Idioten auf deinem Schiff angeheuert haben.“, sagte sie. „Aber glaub bloß nicht, dass ich mich so einfach mit der Aussicht auf einen Schatz abspeisen lasse. Ich will ein paar Erklärungen mehr.“, verlangte sie.
„Gut, was willst du wissen?“, fragte er unzufrieden. Wie schon erwähnt, konnte er ihr blind vertrauen. Aber die Macht der Gewohnheit machte ihn nicht unbedingt glücklich darüber ihr – oder auch sonst irgendjemand – seine Karten offen auf den Tisch legen zu müssen. Doch würde er dies jetzt nicht tun, riskierte er es womöglich sie zu verlieren.
„Cruz. Du hast dein Schiff an ihn verloren und überhaupt keine Regung darüber gezeigt.“
„Cruz.“, wiederholte Gordon abschätzend. „Cruz ist einfach zu durchschauen. Es ist ihm nichts lieber als mir den schwarzen Peter zuzuschieben, weshalb auch nur ein einfaches Gerücht reicht um ihn das tun zu lassen, was man von ihm will.“
„Das war geplant?“, fragte Anne. „Warum? Was bezweckst du damit, dass wir nun ohne Schiff dastehen?“
„Es erschien mir wesentlich vorteilhafter es mir von ihm stehlen zu lassen, als es selbst zu versenken.“ Anne´s Schock war ihr tief ins Gesicht gezeichnet. „Eines sollte ich wohl noch erwähnen: Das Schiff mit der Kiste erscheint nur für gestrandete.“
Sie fing an zu verstehen. „Dann können wir mit diesem Schiff von dieser Insel runter?“, fragte sie.
Gordon zuckte mit den Schultern in Unwissenheit. „Das wird sich erst noch zeigen.“
„Was?!“ Sie war nun wieder aufgebracht. „Dann stehen wir ja wieder am Anfang. Sie werden dich töten, wenn du ihnen keinen Weg zeigst von dieser Insel wieder runter zu kommen. Ist dir das denn immer noch nicht bewusst?“
„Anne, sei unbesorgt.“, sagte Gordon ungewohnt sanft – sogar für seine eigene Wahrnehmung. „Ich habe immer das eine oder andere Ass im Ärmel.“ Er legte ihr seinen Arm um die Schulter, um sie zum Weitergehen zu bewegen. Er wollte nicht weiter reden, lieber diesem unwirklichen Gesang nachgehen. Zum Glück ließ sich Anne leiten und ging nach wenigen Schritten schon voran, in den Spuren der Crew.
Sie war außer Sicht, als er es wagte sich zu bewegen, ihr den Rücken zu kehren und in die entgegengesetzte Richtung zu gehen. Ohne Schwert, ohne anderweitige Waffe kämpfte er sich mit bloßen Händen durch das dichte Gewächs des Dschungels. Je näher er dieser unbekannten aber unbeschreiblich schönen Melodie mit dieser zarten und zugleich starken Stimme dahinter kam, desto schneller wollte er sie erreichen, herausfinden, wem sie gehörte.
Trotz der Dunkelheit des Bodens des Dschungels, deren Bäume den Einfall des hellen Mondscheins verhinderten, setzte Gordon einen sicheren Fuß vor dem anderen. Ein Stolpern, konnte er nicht zulassen. Würde es ihn nur unnötig viel Zeit kosten bis er die Quelle der Melodie erreichte. Zielstrebig, gar panisch, setzte er seinen Weg unaufhaltsam fort. Quer durch die Insel, die nicht besonders groß war, weshalb er nach nicht einmal einer Stunde die andere Seite erreicht hatte. Er brach durch die letzte Linie des Dschungels in einen von Mondlicht eingetauchten Strand. Seine Füße setzte er auf unberührten Sand. Doch er war nicht der einzige hier.
Eine junge Frau stand mit dem Rücken zu ihm. Sie war nackt mit Haaren so lang, dass sie ihr über die Hüften fiel und noch viel länger. Für einen Moment dachte Gordon sogar es handle sich um Anne. Denn wie sollte eine Frau schon auf diese Insel, fernab von Handelswegen der East India Traiding Company, gelangen. Aber es war nicht Anne. Sie war die Quelle dieser wunderschönen Melodie, summte vor sich hin.
Nicht wagend mit seinen Fragen ihr melodisches Summen zu unterbrechen, schlich er wortlos auf sie zu. Näherte sich ihr mit Neugier, aber auch verlangen. Der Mond offenbarte ihre Perlenweiße und sanft wirkende Haut, die er sich mit seinen vom täglichen Einfluss der See, Sonne und Schiffseile rau gewordenen Händen gar nicht zu berühren wagte. Doch nichts sehnlicher wünschte er sich in diesem Augenblick.
Zum ersten Mal bewegte sich die junge Frau, als er nur noch wenige Schritte von ihr entfernt war. Zu seiner Enttäuschung aber entfernte sie sich von ihm. Schritt für Schritt näherte sie sich mit leichte Füßen und grazilen Schritten dem Meer. Gordon merkte gar nicht, wie sie ihn mit sich zog. Hypnotisiert von ihrer perfekten und vollkommenen Erscheinung folgte er ihr blind, stieg in das Wasser mit seinen Stiefeln.
Dann, er war schon bis zu seinen Hüften ins Wasser gewartet. Dann drehte sie sich endlich zu ihm um. Den dichten Vorhang ihrer glänzend braunen Haare schob sie sich hinter ihr Ohr und zum Vorschein kam ihr liebliches Gesicht. Verdutzt bemerkte er erst dann, dass sie ihre Lippen gar nicht bewegte, trotzdem aber gesungen wurde. Unschuldige Augen blickten ihn an, lächelten ihn an. Ihre Mundwinkel fanden ihren Weg auch aufwärts. Verdattert streckte er die Hand nach diesem lieblichen Geschöpf aus, wollte fühlen, dass ich wirklich real war und nicht nur ein schrecklicher, wunderbar süßer Traum.
Ihre Augen folgten der zögerlichen Bewegung seiner Hand, bis er sie schließlich wirklich anfasste. Seine Finger strich er mit etwas Luft zwischen ihrer beider Haut an ihrem Arm entlang und bemerkte dabei, dass sie seinen Blickkontakt suchte. Ihre Hand berührte die seine sanft und zärtlich, wild und grob. Vor Verwirrung über diese Handlung zuckte seine Stirn in Falten. Fragend sah er ihr in ihre tiefen Augen.
Urplötzlich spürte er Arme, die sich von hinten um seinen Körper, seine Gliedmaßen und seinen Hals. Der Arm um seinen Hals zog sich wie eine Schlinge zu. Seine Gliedmaßen wurden ihm schmerzhaft auseinander gezogen. Und aus lauter Überraschung vor der Schnelligkeit der Ereignisse konnte er sich nicht wehren, als sein Körper tiefer ins salzige Wasser gezerrt wurde. Sein Kopf wurde unter Wasser gedrückt, doch er kämpfte darum wieder an die Oberfläche zu kommen um wieder Luft zu holen.
Panisch versuchte er sich von den Armen die ihn ergriffen zu befreien, sich wie ein Aal aus ihren Griffen zu winden. Seine Ellbogen schlug er nach ihnen – wer auch immer ihn da angriff – aus und traf sogar jemanden. Blut, nicht seines, verdünnte sich im Meerwasser.
Nach Minuten des Kampfes hatte sich Gordon schon soweit befreit um wieder in Richtung Strand zurück zu warten. Doch sogleich peitschte etwas in sein Gesicht. Eine Flosse? Hatte er sich da auch nicht getäuscht? Was ging hier nur vor?
Weil ihn die Flosse nicht aufgehalten hatte, griffen seine Angreifer zu anderen Mitteln. Zwei hielten ihn unter Wasser an seinen Beinen fest, was ihm ein weiteres vorankommen unmöglich machte. Seine Arme waren aber noch frei, weshalb es ihm möglich war nach seinem Schwert zu greifen – die Pistole war nass, sie würde ihm nicht weiterhelfen.
Unter lautem Aufschrei spürte er, wie sich Zähne in den Arm bohrten, mit dem er das Schwert führte, was er natürlich sogleich wieder fallen ließ. Fluchend musste er miterleben, wie seine Angreifer wieder die Oberhand über ihn gewannen. Arme schlangen sich erneut um seinen Körper und zogen ihn zurück ins Meer. Viel Kraft konnte er nach den Strapazen nicht mehr aufbringen, sodass seine Angreifer es schließlich schafften ihn still hielten.
Die junge Frau, der er ins Meer, in sein Verderben gefolgt war, trat vor ihn und sah ihn studierend an. „Mein erster Mann, nachdem ich den Mond und das Meer verlassen habe.“, sagte sie, nahm sein Kinn in Zeigefinger und Daumen und hielt es in Position, ganz nach ihrem belieben. Einen Moment beobachtete sie ihn schweigend. „Zieht ihm das Hemd aus.“, befahl sie ihren Gefährten.
Und wie ihnen geheißen taten sie es sogleich. Sie zerrten an seinem Hemd und rissen es ihm vom Leib. Die junge Frau legte ihm ihre Hand auf die nackte Brust. Ihm blieb nichts anderes übrig als es mit sich machen zu lassen, denn aus dem stahlharten Griffen die ihn umschlungen hielten konnte er sich nicht befreien. Und so musste er das aufsteigende Brennen in seiner Brust an der Stelle, an der die Frau ihre Hand auferlegt hatte, einfach ertragen. Doch als es immer unerträglicher wurde musste er zumindest seinem Schmerz mit einem kontinuierlichen Schrei Ausdruck verleihen.
Etwas Körperfremdes schien aus seiner Haut auszubrechen. Klein aber schmerzhaft, bahnte es sich seinen Weg an die Freiheit. Vor Schmerz gaben seine Beine fast nach, worauf die Angreifer die diese festhielten nicht vorbereitet waren, weshalb er für einen Augenblick fast das Gleichgewicht verloren hätte. Doch was zunächst fatal wirkte, stellte sich dann als wahre Rettung heraus. Mit seinem Fuß hatte er sein Schwert wiedergefunden. Noch gab er nicht auf. Noch war es nicht vorbei. Zwar bestand keine Möglichkeit es auch wieder in die Finger zu bekommen, aber er schaffte es auch mit seinem Fuß soweit zu bewegen, dass es in Fleisch einschnitt – nicht in seines, sondern in das der Frau, die seine Hand immer noch auf seine Brust presste. Weitere Schmerzen verursachte ihm ihre Reaktion darauf. Irgendwas hatte sie ihm aus dem Leib gerissen als sie vor Schmerz zurückwich, stolperte und im Wasser landete.
Sofort stand sie aber wieder auf und bewegte sich humpelnd auf ihn zu. Ein Wutverzehrtes Gesicht verfluchte ihn. Sie zögerte keinen Augenblick mehr und presste ihm einen erzwungenen, aggressiven und wütenden Kuss auf seine Lippen. Von da an, sollte er nichts mehr mitbekommen, was um ihn herum geschah.
Kapitel 3
(...comming soon...)
Texte: Coverbild: Wolfgang Schmidetzki
Geschichte: von Mir
Tag der Veröffentlichung: 11.06.2011
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
für mich :P