13. Juni 2015 – 02:36 Uhr – Conrad North Haus, irgendwo in Alaska, USA – North
Es war spät – äh, früh – als ich auf die Uhr sah. Seit Wochen nun schon konnte ich nicht mehr richtig schlafen. Doch bisher hatte ich auch noch nichts dagegen unternommen. Stattdessen ließ ich mich zu etwas hinreisen, was ich besser nicht getan hätte.
Seit zwei Wochen nutzte ich die ungewöhnliche Freizeit, um zwei alten Freunden – wenn ich sie überhaupt jemals so bezeichnen konnte – nach zu spionieren. Ich tat es ungern. Zu sehr erinnerte es mich an Phillips, den fast schon grusseligen Kerl. Doch so unheimlich er mit seinem kleinen Hobby auch wirkte, so konnte ich doch, während meiner Zeit bei ihm, jede Menge von ihm lernen. Wenn ich so darüber nachdenke, lernte ich mehr von ihm, als mir eigentlich lieb war.
Nur dreiundzwanzig Minuten hatte es heute gedauert Charlie und Alice zu finden. Entweder fühlten sich die beiden in letzter Zeit etwas zu sicher in ihrer Umgebung oder es war ihnen egal, dass man sie ganz einfach beobachten konnte. Es sah ihnen eigentlich nicht ähnlich, dass sie so viel Zeit in der Öffentlichkeit verbrachten – und dann auch noch in Örtlichkeiten, die mit Überwachungskameras ausgestattet waren.
Im Moment waren die beiden in einer Boutique in Paris. Beinahe könnte man die beiden für ein normales Geschwisterpaar halten, wie sie sich so in dem Laden umsahen. Wieder einmal erwischte ich mich dabei, wie ich Alice ansah. Sie führte ihrem Bruder gerade ein Abendkleid vor. Es war am Rücken tief ausgeschnitten. Insgesamt erinnerte es mich an das Kleid, das sie vor fünf Jahren, auf Sergei Ollec´s Party getragen hatte.
Das Bild unseres ersten Kusses tauchte plötzlich wieder vor meinem inneren Auge auf. Und ihr Blick, als sie merkte, dass ich sie nur mit der Spritze, die ich ihr in ihren Hals rammte außer Gefecht setzen wollte. Diesen Blick sah eigentlich nur immer vor mir, als ich wieder einmal erkannte, dass sie mich wieder einmal verraten und belogen hatte.
Es war bedauerlich, dass die Boutique nicht verwanzt war. Zu gerne wüsste ich, worüber Charlie und Alice sich gerade unterhielten. Oft fragte ich mich, ob mein Name hin und wieder zwischen ihnen fiel. Dennoch war ich mir nicht sicher, ob es mit gefiel, wenn sie über mich redeten.
Ein leises Stöhnen ließ mich erschrocken auffahren. Geräuschlos richtete ich mich nur soweit auf, um über meinen Computerbildschirm blicken zu können. Mein Schreibtisch war so ausgerichtet, dass ich nur die Wand meines Zimmers im Rücken hatte und ganz einfach auf mein Bett sehen konnte.
Jenny, meine derzeitige Freundin, lag noch immer nackt im Bett. Schlafen tat sie aber nicht mehr – obwohl sie es mir versuchte vorzumachen. Ein plumper Versuch. Noch nie hatte ich ihr genug getraut, dass ich ihr so einfach abgekauft hatte, dass sie unschuldig schlief. Es wurde Zeit sie ein für alle mal los zu werden.
„Komm ins Bett.“, sagte sie zu meinem Erstaunen. Offenbar wurde ich langsam paranoid. „Ich bin hier so einsam.“
Sie räkelte sich verführerisch im Bett. Eigentlich hatte ich nicht vor sie so lange zu behalten. Aber wer konnte es mir verübeln meine Pläne zu ändern, wenn sie sich so bewegte. Immerhin war ich auch nur ein Mann. Wenn auch nicht ganz so dämlich, wie die meisten.
„Wie lange kennen wir uns jetzt schon?“, fragte ich sie schließlich. Ich wusste selbstverständlich wie lange wir uns kannten – so ungefähr jedenfalls. Es spielte auch gar keine Rolle. Im Grunde war es nur eine kleine Ablenkung, damit sie nicht hörte, wie ich die Waffe aus dem Versteck an meinem Schreibtisch holte.
Ein leichtes Zucken meinerseits konnte ich nicht verhindern, als sie plötzlich aufstand. So gut ich mittlerweile (durch Alice und Charlie´s Hilfe) auch war, damit, dass sie jetzt zu mir kam, hatte ich nicht gerechnet. Wie eine Raubkatze kam sie Schritt für Schritt auf mich zu geschlendert. Oft versuchte sie besonders angestrengt sexy zu wirken, sodass es mich fast schon amüsierte, dass sie glaubte, dass ich ihr das abkaufen würde. Mit einem Klick schloss ich die Datei, und sicherte den Zugang wieder so, dass nur ich ran kam.
„Acht unvergessliche Monate“, sagte sie, „und vier heiße Tage.“
Als sie sich auf meinen Schoß setzte und anfing meinen Nacken zu küssen, schaffte ich es die Waffe hinter ihren Rücken zu schmuggeln ohne, dass sie etwas merkte. Unglaublich, dass IUS dachte, dass so eine Deletantin mich übers Ohr hauen könnte. Damit beleidigen die meine Intelligenz. Jenny merkte ja noch nicht einmal, dass ich gleich nach unserem ersten Treffen, alles über sie wusste.
„So lange schon.“ Ich gab mir nicht besonders viel Mühe überzeugend zu klingen. Dann wurde ich ernst. „Es wundert mich, dass der IUS so geduldig mit dir ist.“
Ihr Schock hielt sich in Grenzen. Sie hörte zwar auf meinen Nacken zu küssen, blieb ihrer Rolle aber treu. „Wer oder was soll denn bitte der IUS sein?“, fragte sie fast schon authentisch und sah mir jetzt ins Gesicht.
Nun war der Einsatz der Waffe gefragt. Ich setzte den Lauf unter ihr Kinn und versuchte den plauderhaften Ton hinzukriegen, den ich mir von Alice abgeschaut hatte. „Sag doch bitte deinen Arbeitgebern, dass weder der Gute Charlie noch die liebliche Alice Kontakt mit mir aufnehmen werden. Die beiden halten mich nämlich für ein bisschen tot. Und ich bezweifle, dass die beiden der Typ für Seancen sind.“
Jenny rührte sich nicht. Ich konnte mir regelrecht vorstellen, wie sich die Zahnräder in ihrem Gehirn in Bewegung setzten, und nach einer Lösung für das auf der Hand liegende Problem suchten. Gespannt war ich, was sie wohl tun würde. Weiter leugnen und bestreiten, oder mit der Wahrheit rausrücken.
„Wie lange weißt du es schon?“, fragte sie kleinlaut – wirkte aber dennoch wütend.
Für die Wahrheit hatte sie sich letztendlich entschieden. Zur Abwechslung traf ich mal einen Menschen, der mir die Wahrheit sagte, wenn ich ihn dazu zwang. Fast schon wahnwitzig. Ich war es schon lange nicht mehr gewohnt Ehrlichkeit zu begegnen.
„Lass mich nachdenken…“, sagte ich, „…seit acht Monaten und dreieinhalb Tagen.“
Langsam stand sie von mir auf. Ihren Blick wendete sie nicht eine Sekunde von mir ab. Ich ließ sie Raum gewinnen. Solange sie nicht in die Nähe der Küche kam, wo ich die Waffe aus ihrer Handtasche versteckt hatte, bevor ich mich an den Computer gesetzt hatte, hatte ich nichts zu befürchten. Sowieso war es für mich vorteilhafter, wenn sie mir nicht zu Nahe kam. Ich nehme an, sie wäre im Nahkampf nicht leicht zu besiegen war.
Nach einem blitzschnellen Blick auf den Bildschirm meines Computers, wandte sie sich wieder mir zu. Am Bett angekommen bedeckte sie sich zunächst mit der Decke, bevor sie nach ihrer Handtasche fummelte, die sie gestern Abend neben dem Bett hat fallen lassen. Gefunden hat sie die Tasche, aber nicht das, was sie darin gesucht hatte. Stattdessen…
„Was ist das?“, fragte sie und zog das Flugticket heraus, das ich in ihre Tasche getan hatte.
„Ein Flugticket nach Melbourne.“, antwortete ich ihr. „Von dort aus kommst du wohl selbst zurecht.“
Das IUS Hauptquartier war im australischen Outback.
10. Februar 2010 – 13:55 Uhr – Besprechungsraum 2A, 2.Etage, Verwaltungsgebäude, Agency Inselstützpunkt, irgendwo im Atlantik – Charlie
Die Nervosität, die ich vor der Tür verspürt hatte, war nichts im Vergleich zu der Aufregung, die in mir aufstieg, als man das Wort an mich übergab. Eigentlich gab es keinen Grund nervös zu sein. Die Mission war erfolgreich und ohne große Probleme über die Bühne gegangen. Doch schon in der Schule fühlte ich mich nicht wohl vor Publikum zu sprechen.
North, mein Partner, war da auch keine große Hilfe. Er hatte zwar Recht, als der Agent von uns beiden, war ich zugleich auch der Anführer unseres kleinen Teams, doch das hieß nicht, dass er mir diese lästige Aufgabe nicht abnehmen konnte.
Mit leichtem Herzklopfen trat ich ans Podium, während North, mit Dauerlutscher im Mund, seine Präsentation an seinem Laptop startete. Es dauerte länger als sonst, bis North soweit war. Er bediente die Tastatur nur mit seiner linken Hand, da er sich seine rechte vor vier Tagen, bei unserer rasanten Verfolgungsjagd mit dem Kolumbianischen Generale Alejandro Fernandez, angeknackst hatte.
Als North schließlich soweit war, erschien eine Karte Kolumbiens auf der Leinwand hinter mir, die auf unseren Einsatzort nahe Buenaventura zoomte. Fünfzehn Meilen nordöstlich dieser Stadt, die an der pazifischen Küste des Landes lag, befand sich das Gebiet eines Drogenrings.
Zunächst begrüßte ich den Präsidenten der Agency und sein Gefolge, das gekommen war, um unsere Ergebnisse zu begutachten. Dann wiederholte ich noch einmal das Ziel, das uns die Agency vorgegeben hatte. Es galt, Beweismaterial zu sammeln, das eine Räumung der Drogenanlage berechtigte.
Mich dem Protokoll fügend, das vorgab wie so eine Nachbesprechung abzuwickeln war, begann ich schließlich von ganz vorne, als North und ich nach Buenaventura reisten und unseren Stützpunkt einrichteten. North zeigte die Position unseres Stützpunktes, der sich am Rande Buenaventuras befand.
Da wir nachts angekommen waren konnten wir erst am nächsten Tag so richtig mit unserer Operation beginnen. Unser Plan war es, uns zunächst langsam an die Anlag
Tag der Veröffentlichung: 20.05.2011
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