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Doc (Derek)




Als das Tor sich öffnete konnte ich vor lauter Sonne gar nichts mehr sehen. Das Gefängnis war immer kalt und dunkel – wenn wir nicht gerade Hofgang hatten. Daher fiel es meinen alten und müden Augen schwer, mich sofort an die grelle Wüstensonne zu gewöhnen. Halbblind wurde ich also von dem Wärter, dessen Name ich vergessen hatte, durch den langen Gang, der unter freiem Himmel lag und in die Freiheit führte. Das ist das letzte Mal, dass ich diese Meterhohen Zäune sehen würde. Ich hatte mir vorgenommen diesen Gang in die Freiheit zu genießen, jeden einzelnen Meter davon. Immerhin war ich jetzt schon fünfundvierzig Jahre hinter den Mauern des Gefängnisses verborgen gewesen.
Dennoch hing die neugewonnene Freiheit wie ein Schatten über mir. Ich bin nun schon zweiundachtzig Jahre alt, habe keine Familie mehr, die mich möglicherweise aufnehmen könnte, und auch kein Geld, um mir die letzten Jahre meines dahinscheidenden Lebens zu finanzieren. Lange und oft habe ich in meiner Zelle darüber nachgedacht, ob ich nicht etwas unternehmen sollte um meine Strafe, die ich absitzen musste, nicht noch zu verlängern. Im Gefängnis hatte ich wenigstens ein Dach über den Kopf und drei Mahlzeiten am Tag. Eine andere Möglichkeit wäre auch gewesen, meinem Leben gleich ein Ende zu bereiten. Aber das habe ich genauso wenig fertig gebracht, wie eine weitere Straftat. Also rolle ich jetzt in meinem Rollstuhl, denn ohne kann ich nicht mehr richtig laufen, in meine ungewisse und hoffnungslose Zukunft.
„Willkommen in der Freiheit, Doc.“, verkündete der Wärter als wir das letzte Tor des Ganges erreichten.
„Freiheit bedeutet mir schon lange nichts mehr.“, grunzte ich in mich hinein. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, was mit so einem alten Mann wie mir, in dieser Welt noch geschehen sollte. Ich wusste nicht einmal wohin ich jetzt sollte. „Alles was ich hatte, meine Familie, ist tot.“
„Tja, Doc, es hieß, hier draußen soll ein Wagen auf Sie warten.“, sagte der Jungspund von einem Wärter, als sich das letzte Tor des langen Zaunganges öffnete. Oft hatten sie mir erzählt, dass von irgendjemand Unbekannten ein Wagen arrangiert wurde, der mich bei meiner Entlassung abholen kommen sollte. Nie viel hatte ich auf diese Sprüche gegeben. Es war einfach zu unglaublich, dass sich ein mir vollkommen Unbekannter meiner Annehmen sollte. Außerdem wusste ich, was unter den Wärtern vorging. „Um ehrlich zu sein, unter den Wärtern herrschen schon lange Zeit Wetten darüber, ob dieser Wagen wirklich auftaucht.“
„Wer soll mich denn schon abholen kommen?“
Das Tor schloss sich hinter uns wieder, als wir uns vor dem Gefängnis in der brütenden Wüstensonne aufstellten und darauf warteten, dass der unbekannte Wagen auftauchen würde. Es machte schon Sinn ein Gefängnis in einer Wüste zu errichten. Die Fluchtgefahr wird dadurch bestimmt gemindert. Aber wenn man rechtmäßig auf freien Fuß war und dazu noch auf einen Wagen wartete, der womöglich auch gar nicht auftauchte, war es eine Qual. Nicht einmal einen schattigen Unterstand gab es. Doch das war dem Staat dann wohl doch zu teuer, Ex-Häftlingen eine etwas bequemere Wartezeit zu ermöglichen.
Nach Minuten in der sengenden Hitze vor dem Gemäuer des Gefängnisses, sagte der junge Wärter, „Also, wenn der Wagen nicht bald auftaucht, werd ich Sie wohl in den Bus setzen müssen.“
Wir warteten und warteten und der zugesagte Wagen kam immer noch nicht. So langsam fand ich mich damit ab mit dem Bus in die nächste Stadt zu fahren und dort wer weiß was zu tun. Dort würde ich nach einem Weg suchen meinem Leben noch ein Ende zu bereiten. Es hat ja doch keinen Sinn mehr. Was soll aus einem alten und gebrechlichen Mann nur werden, der kein Geld und keine Hilfe hatte?
Umso schöner wäre dann die Stille in meinen Gedanken, wenn ich einmal tot bin. Es kostete mich große Mühe, mich nicht mit meinen Taten der Vergangenheit in den Wahnsinn zu treiben. Meinen Geschwistern wollte ich das Leben retten. Und nun klebt ihr Blut doch an meinen Händen.
„Ah!“, gab der Wärter, der nun neben mir stand, von sich. „So wie es aussieht bekomme ich einen Anteil am Pot. Ich habe nämlich darauf gewettet, dass es diesen Wagen gibt.“
Tatsächlich. Am Horizont zu meiner Rechten, auf der endlos wirkenden Straße, war eine Staubwolke aufgetaucht. An der Spitze der Kühler eines schwarzen Wagens. War das meine Mitfahrgelegenheit? Und wo würde die Fahrt hingehen? Wer ist der unbekannte Gönner?
Einen Moment, kurz bevor der Wagen uns erreicht hatte, hatte ich schon befürchtet, dass er an uns vorbeifahren würde. Doch er wurde wirklich langsamer und lenkte sogar auf uns zu. Noch mehr Staub wurde aufgewirbelt als er auf das bepflasterte Gelände der Straßenbucht vor dem Gefängnis fuhr. Aus der Nähe konnte ich erkennen, dass es sich um eine luxuriöse Limousine handelte. Keiner dieser langen Stretch Limousinen, die Teenager zu ihren Schulbällen mieten. Sondern eine stilvolle mit der reiche Geschäftsmänner von Termin zu Termin durch die Stadt kutschiert werden.
Der Wagen kam vor uns zum Stillstand und sogleich öffnete sich die Fahrertür. Der Fahrer wirkte jung, hinter seiner großen, verspiegelten Sonnenbrille und der Fahrermütze auf seinen Kopf. Ich schätze, ich bin mittlerweile in diesem Alter, in dem alle Menschen im Vergleich zu mir jung wirken. Aber dieser Mann war wirklich ein junger Kerl. Trotz der Unkenntlichkeit seines Gesichts, schätzte ich ihn auf gute zwanzig Jahre. Einen Chauffeur stelle ich mir eigentlich viel älter vor.
„Sie können sich nun zurückziehen. Mit dem Gentleman werde ich schon alleine fertig.“, sagte der Fahrer zum Wärter, der genauso verdutzt darüber war, wie ich.
Der Wärter trat zurück, beobachtete uns aber weiter, während der Fahrer hinter mich ging und mich zum Wagen schob. Ich ließ ihn machen. Hauptsächlich, weil ich herausfinden wollte, wohin er mich bringen würde, und wer mir diesen Wagen geschickt hatte.
Geschickt und ohne sichtlich wahrzunehmende Mühe hob er mich auf die Rückbank der Limousine und sagte dabei, „Ich bin mächtig gespannt, ob dich das Gen in ein noch größeres Superhirn verwandelt als du ohnehin schon bist.“ Was?
Meinen Rollstuhl verfrachtete er in den Kofferraum, tauchte in null Komma nichts wieder im Fahrerplatz auf, startete den Wagen und setzte ihn in Bewegung. Als hätte er gerade nicht mit mir gesprochen, fuhren wir schweigend eine Weile durch die steppenartige Wüste, in der es nichts weiter gab, als vertrocknete Pflanzen und ein paar Felsen. Warum sprach er so vertraut mit mir? Ich kenne ihn nicht, soweit ich weiß. Immerhin war ich schon im Gefängnis, als er geboren worden sein musste. Besuch oder Post habe ich nie von niemand bekommen. Wer ist dieser Mann?
Und was hatte er von einem Gen geredet, das mich zu einem größeren Superhirn machen sollte, als ich ohnehin schon bin? Es stimmt schon, ich habe einen Intellekt, der weit über dem Durchschnitt lag. Das war auch einer der Gründe, warum ich überhaupt ins Gefängnis kam. Aber von welchem Gen sprach er da?
Eingängig beobachtete ich ihn in seinem Rückspiegel. Aber er hatte immer noch die Brille und die Mütze auf, sodass ich mir kein Bild von ihm und seiner Mimik machen konnte. Wusste er etwas? Er ist so jung, er kann nichts wissen. Meine Arbeit liegt nun schon so lange zurück und wurde vernichtet, bevor es vielleicht schon seine Eltern gab. Alle Daten darüber waren unter Verschluss. So gut wie niemand hatte Zugang dazu.
Und diese Stimme. Lange hatte ich keine so vertraut wirkende Stimme mehr gehört. Und das, obwohl ich Jahrelang den immer gleichen Menschen begegnet bin. Lag es an der Art, mit der er mit mir redete? Oder kannte ich seine Stimme wirklich?
„Kennen wir uns vielleicht von irgendwoher?“, fragte ich schließlich.
Ein Schmunzeln im Rückspiegel auf den Lippen des Fahrers. „Jetzt bin ich aber Enttäuscht, Derek. Du erkennst mich nicht?“, sagte er und wandte sich ab, um in den Seitenspiegel auf der Fahrerseite zu blicken. Ein Sportwagen überholte uns. Schließlich sah er mich wieder durch den Rückspiegel an. Er setzte die Mütze ab. Zum Vorschein kam ein eisblauer Haarschopf. Dieses blau… Dann zog er sich die Brille von der Nase und ich konnte seine Augen sehen, sein ganzes Gesicht. „Dabei war ich doch dein erster Anklagepunkt.“

Emerson


Patau… Patau… Patau… Die Geräusche des Basketballs wenn er auf dem Asphalt aufprallt füllt mein Trommelfell. Aber es ist nicht genug, ich spüre sie immer noch. Wie ihr Blick sich in meinen Hinterkopf hineinbohrt. Ich sehe sie geradezu vor meinem inneren Auge, wie sie oben in ihrem Zimmer am Fenster steht und zu mir heruntersieht. Warum macht sie das nur ständig? Kann sie mich denn nicht einfach in Ruhe lassen? Es ist ja nicht gerade so, dass ich sie ermutige sich mir zu nähern. Um ehrlich zu sein will ich gar nichts mit ihr zu tun haben. Auch wenn Derek meint, dass sie immer noch meine Schwester ist. Für mich ist sie es nicht mehr. Nike ist tot. Zusammen mit unseren Eltern ist sie vor fast einem Jahren bei diesem Flugzeugabsturz ist sie umgekommen. Und das, was da oben von diesem Fenster auf mich runterstarrt, ist nichts weiter als eine Kopie meiner Schwester.
Derek sagt, dass ich ihr helfen soll sich einzuleben. Völlig nutzlos, wenn man mich fragt. Aber das tut ja niemand. Diese Nike-Kopie benimmt sich komisch. Nicht nur, dass sie mich ständig schweigend anstarrt, sie ist einfach ganz anders als meine Nike. Sie war immer gut gelaunt, aufgeweckt und beliebt. Und dieses Ding spricht kein Wort, starrt nur Löcher in die Luft und tut immer das, was man von ihr verlangt. Nike hat sich nie etwas sagen lassen…
Doch ein Gutes hat dieses Ding da oben ja. Sie tut das, was man ihr sagt. Mittlerweile reicht von mir sogar schon ein einziger Blick aus, um sie zu verscheuchen. Vielleicht sieht sie so auch endlich ein, dass ich nichts mit ihr zu tun haben möchte.
Noch einmal prallt der orange Ball auf dem Asphalt ab und landet wieder in meinen Händen. Ich drehe mich ein Stück, sodass Nike mein Gesicht sehen kann. Dabei setze ich meinen furchteinflößendsten Blick aufzusetzen, von dem die alte Nike immer behauptet hat, dass ich damit töten könne. Die Wirkung verfehlte nicht ihr Ziel. Das Ding am Fenster, das so aussieht wie meine tote Schwester, zieht sich zurück ins Innere ihres Zimmers. Es bleibt nur zu hoffen, dass sie nicht plötzlich hier unten auftaucht. Denn das tut sie manchmal, obwohl ich ihr meinen Bösen-Blick zu spüren gegeben hatte.
Wie immer, wenn ich mich von der Nike-Kopie aus der Ruhe des für mich so entspannenden Spiels, das sich Basketball nennt, herausbringen lasse, habe ich nun auch keine Lust mehr weiter hier draußen Körbe zu werfen. Als Derek noch mit mir gespielt hat, nach dem Tod unserer Eltern und der echten Nike, gab ich nie so schnell auf. Da hatte ich wenigstens noch jemanden, mit dem ich mir ein paar Bälle zuwerfen konnte. Vor diesem Flugzeugabsturz war dafür mein Zwillingsbruder Nigel mein Ansprechpartner. Er war mein bester Freund. Aber seitdem hat sich eine Menge geändert. Derek versucht zwar immer noch unsere Familie wieder zusammen zu flicken, ist aber letztendlich doch nur ein Mensch – meiner Meinung nach kein normaler, aber was soll´s. Mein Superhirn von Halbbruder hat doch tatsächlich eine Arztstelle im städtischen Krankenhaus angenommen, obwohl für unseren Lebensunterhalt auch so gesorgt war.
Unser Vater – Dereks Stiefvater – hat uns nämlich seine Firma Bio-Tech hinterlassen. Zwar wird sie nicht von uns – oder besser gesagt Derek, da er der einzige Volljährige von uns ist – geleitet, sondern vom Vorstand der Firma. Wir bekommen nur das Geld, über viele Umwege. Denn niemand soll wissen wo wir jetzt leben.
Das ist die Schuld von Nike, weil sie ist was sie ist, und von Derek, der sie zu dem gemacht hat. Seit die Medizin solch enorme Fortschritte gemacht hat, dass wir heutzutage in der Lage sind Menschen zu so etwas wie Übermenschen zu machen – durch genetisch perfektionierte Implantate und Transplantationen – ist die Internationale Kommission für ethische Medizin (IKEM) sehr streng was Verbesserungen am Menschen angeht. Selbst für eine Lebensqualität verbessernde Operation wie zum Beispiel einem einfachen Herztransplantat, wird im Vorfeld der Vorliegende Fall erst einmal genauestens Diskutiert. Hin und wieder kann es dann schon mal vorkommen, dass es für den jeweiligen Patienten dann schon zu spät ist.
Doch das war bei Nike nicht der Fall, warum Derek so gehandelt hat, wie er es hat. Laut IKEM und allen Ärzten damals im Krankenhaus hätte Nike nicht überleben können – mit keinem der zugelassenen Implantaten und Transplantationen. Ich habe Bilder gesehen, die ich nicht hätte sehen dürfen. Ihr Körper war dermaßen verunstaltet und so gar nicht mehr sie, dass ich sie nicht mehr hätte erkennen können. Beim besten Willen nicht.
Also hat Derek gegen das Gesetz gehandelt – wie sich dann herausstellte nicht zum ersten Mal. Derek war schon immer ein Genie. Mit fünfzehn Jahren hatte er bereits seinen ersten Doktortitel in der Tasche. Genforschung, -manipulation und –erweiterung machte er zu seinem Spezialgebiet. Schon im zarten Alter von Zwanzig galt er schon als Kore Fähe auf diesem Gebiet. In der Firma unseres Vaters bekam er eine Leitende Position und führte seine eigenen Experimente und Forschungen durch. Dabei kam etwas zustande, das er das NanoGen nannte. Dieses Gen kann sich in die DNS eines Menschen einnisten, wenn man es ihm implantiert, und dafür sorgen, dass der Körper sich nach kurzer Dauer wieder selbst regeneriert.
Ich weiß nichts Genaueres über dieses Gen, dass er da entdeckt oder erfunden hat – will ich auch gar nicht. Ich weiß nur, dass er es der mit einem Bein im Grab stehenden Nike implantiert hat, obwohl es durch die IKEM noch gar nicht für den Menschen zugelassen war. Damit hat er Nike geheilt, sie aber auch zu einem illegalen Lebewesen gemacht. Derek hat den Tod betrogen und wir müssen es nun ausbaden.
Der Flugzeugabsturz hat natürlich große Aufmerksamkeit in den Medien erregt, weshalb es jetzt natürlich schwierig ist Nikes wundersame und schnelle Heilung zu erklären. Durch Dereks Beziehungen, die er über unseren Vater geknüpft hat, als dieser noch lebte, hat er erreicht, dass wir uns zurückziehen konnten. Offiziell pflegt er persönlich unsere Schwester rund um die Uhr in einem Haus, in dem er ein Zimmer zu einer richtigen Krankenhausintensivstation umbauen ließ. Das Zimmer gibt es wirklich in unserem neuen Haus. Nur dass es natürlich niemand benutzt. Die Einrichtung war lediglich eine Tarnung.
Wegen dieser ganzen Geschichte habe ich nicht nur meine Eltern und meine richtige Schwester verloren, sondern auch mein zu Hause in dem ich aufgewachsen bin und meine Freunde. Nicht einmal Nigel kann ich jetzt noch als Freund betrachten. Er lässt sich kaum noch blicken. Entweder er treibt sich irgendwo in der Nachbarschaft herum oder kommt gar nicht erst aus seinem Zimmer heraus.
Vielleicht ist es zu hart all meinen Frust darüber an Derek auszulassen. Immerhin versucht er sein bestes sich um uns zu kümmern. Aber ich kann ihm einfach nicht verzeihen, was er aus unserer Schwester gemacht hat.
„Wie oft noch…?“, fragte Derek, als ich durch die Hintertür in die Küche trat. „Der Ball bleibt vor der Tür.“ Er sieht mich nicht einmal an, wenn er mir seine Befehle gibt. Ständig sitzt er über irgendwelchen medizinischen Papieren, die außer ihm in diesem Haus sowieso niemand versteht.
Absichtlich ließ ich mit einer arroganten Handbewegung meinen Ball auf den Linoleumboden fallen. Er prallte dreimal auf, bevor er zu Dereks Füßen rollt. Das brachte Derek dann doch dazu von seinen Papieren aufzusehen. Er guckte unter den Tisch zu seinen Füßen und starrte mich dann an. Eine eisige Spannung herrscht zwischen uns. Bald hatte ich ihn soweit, dass er mal so richtig aus der Haut fahren würde.
„Ich hab jetzt wirklich keine Lust auf deine Kinderein, Emerson.“, sagte er unter Druck stehender, schwer kontrollierter Stimme. „Heb den Ball jetzt auf und räum in die Garage, wo er hingehört.“
Ich schnaubte nur und verließ den Raum. Zwar wollte ich gerne wissen, ob Dereks Gesicht eher entsetzt oder erzürnt war, drehte mich aber nicht mehr zu ihm um. Seiner Stimme nach zu urteilen, als er mir meinen Namen hinterherrief, war er mehr wütend als bestürzt. Aber er kam mir auch nicht hinterher um mich doch noch zu zwingen diesen verdammten Ball in die verdammte Garage zu räumen. So wichtig schien es ihm dann doch nicht zu sein. Oder seine Papiere fesselten ihn wieder mal viel zu sehr, sodass er seine Umwelt ganz vergisst.
Mein Freudentaumel, der von meinem Sieg über Dereks Autorität herrührte, ging aber jäh verloren, als ich ihr auf der Treppe begegnete. Dieselben blonden Haare, die sie als einzige von unserer Mutter geerbt hatte; dieselben blauen Augen, die mich immer an unseren Vater erinnerten, wenn ich sie früher ansah; dasselbe Gesicht und derselbe Körper wie meine Schwester. Aber das ist sie nicht und wird es auch nie wieder sein – für mich jedenfalls nicht. Denn für Derek scheint sie ganz die alte zu sein. Was Nigel angeht, weiß ich nicht, wie er über sie denkt. Er redet ja nicht einmal mehr als zwei Worte mit uns.
Sie starrt mich wieder wortlos mit ihrem leeren Blick an. Zwei Stufen unter ihr blieb ich stehen und starrte ihr entgegen. Wie ein Tor das ins Schloss gefallen war, versperrte sie mir den Weg, als sie dort oben so auf dem obersten Treppenabsatz steht. Als sie schließlich auch noch ihren Kopf, wie ein verblödeter Köter, zur Seite neigt, halte ich es nicht mehr aus ihrem hohlen Blick Stand zu halten. Hart schob ich sie an ihrer Schulter zur Seite und grunzte, „Aus dem Weg!“ Wie immer ließ sie es mit sich machen und gewahr mir freien Zutritt in das obere Stockwerk des Hauses.

Dillon


„Brauchst du irgendwas?“, fragte Onkel Gordon. Durch das Telefon konnte ich regelrecht hören, dass er nebenbei über seiner Arbeit sitzt oder sonst irgendetwas tut, was den Großteil seiner Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt. So wie immer.
„Nein.“, antwortete ich in dem Moment als es an der Tür klingelt. Ich schenke ihm genauso viel Aufmerksamkeit, wie er mir. Ich ging zur Tür und sah durch den Spion bevor ich sie aufschloss. Das Schloss hackt, weshalb ich Schwierigkeiten hatte es mit einer Hand aufzubekommen. Vielleicht sollte ich ihm sagen, dass ich einen Handwerker gebrauchen könnte. Aber ich wollte nicht mehr als sein Geld nehmen, wenn er mich nicht haben will.
„Du bekommst Besuch?“, fragte er, mit erhöhter Aufmerksamkeit mit gegenüber in seiner Stimme. Woher rührt das plötzlich Interesse an meinem Leben?
„Ja.“, sagte ich und ließ Rusty rein. „Meine Kumpels aus der Biker-Gang sind gerade mit ´nem Fass Bier aufgekreuzt.“, legte ich mit einem Schmunzeln auf den Lippen nach. Rusty war natürlich genauso wenig in einer Biker-Gang wie ich. Er war absoluter Durchschnitt in der Schule, nicht der hässlichste aber auch nicht der Schönste im Hahnenkorb und Freunde hatte kaum. Genau genommen bin ich sein einziger Freund. Er wiederrum ist mein einziger Freund. Dabei sind wir nicht mal richtige Freunde. Wir hingen lediglich ab und zu zusammen ab. Er, weil sonst niemand was mit ihm zu tun haben will. Und ich, weil ich mit sonst niemand zu tun haben will. Eine oberflächliche Freundschaft war das Beste, was ich mir erlauben konnte, ohne dass jemand merkt, was ich bin. „Komm rein.“, winkte ich Rusty rein.
„Spaß beiseite, Dillon.“, sagte Onkel Gordon am Telefon, jetzt mit voller Aufmerksamkeit auf mich. „Ich hoffe du lässt dich nicht mit irgendwelchen zwielichtigen Typen ein.“
Ich rollte nur mit den Augen, was er natürlich nicht sehen konnte, und legte auf. Rusty war bereits ins Wohnzimmer des Hauses gegangen, das ich ganz alleine bewohnte. Als ich ihm folgte hatte auch schon die Spielkonsole eingeschaltet und das Autorennspiel, das wir das letzte Mal angefangen hatten, gestartet. Bevor ich mich zu ihm setzen konnte klingelte das Telefon erneut. Ohne auf die Rufanzeige zu achten, weil ich mich ohnehin nur ein Mensch auf der Welt anrief – nämlich mein Onkel – schaltete ich das Telefon ab.
„Dein Onkel schon wieder?“, fragte Rusty unbeteiligt.
„Ist das wichtig?“, antwortete ich mit einer Gegenfrage. Rusty versuchte zwar hin und wieder unsere Freundschaft auf eine andere, tiefere Ebene zu heben. Aber ich schlug jeden seiner Versuche zurück. Eine enge Freundschaft konnte ich einfach nicht gebrauchen.
„Ich schätze nicht.“, sagte er und gab damit schon auf. Würde ihm mehr daran liegen, würde er sich auch mehr anstrengen. Demnach tue ich damit uns beiden einen Gefallen. „Hey, weißt du was?“, sagte er nachdem unsere aufgemotzten Wagen in der Rennsimulation, die sich vor uns in meinem überteurem Großbildfernseher abspielte, gestartet sind. „Ich hab heute zum ersten Mal einen deiner neuen Nachbarn gesehen.“
„Und?“
„Ein Mädchen – so dreizehn oder vierzehn Jahre alt. Die hat verdammt gute Dunkings drauf.“
Mit rasantem Tempo, das von den Spieleentwicklern durch einen leichten Schweif an meinem roten Rennwagen, wie bei einer Sternschnuppe, in Szene gesetzt wurde, zog ich an Rustys grüner Schüssel – ein Witz von einem Vehikel – vorbei.
„Seit wann bist du denn ein Basketball Crack?“, fragte ich, als ich meinen Vorsprung vor Rusyts Rennwagen ausbaute.
Es brachte ihn kurz aus der Fassung, weshalb ich ihn nun vollkommen in der Rennsimulation zurückließ, fing sich dann aber wieder. „Na jedenfalls, hat sie diesen total fiesen Blick aufgesetzt. Zuerst dachte ich, dass sie mich so finster ansieht. Aber dann sah ich, dass sie zum Fenster im ersten Stock hochsah, wo ein anderes Mädchen stand.“
„Stehst du neuerdings auf Kinder?“, ärgerte ich ihn mit einem Lächeln auf den Lippen.
„Nein!“, protestierte er gleich. „Das Mädchen im Fenster war in unserem Alter. Kennst du sie?“
„Nein.“
Wir ließen die Simulierte Stadt, durch die sich unser Rennen zog, hinter uns – oder besser gesagt ich, hinter mir. Denn Rusty hatte Mühe mit meinem Wagen Schritt zu halten. Er dümpelte noch immer irgendwo hinter mir herum.
Rusty stöhnte genervt. „Kennst du überhaupt irgendjemanden aus deiner Nachbarschaft?“
„Wozu?“ Normalerweise lümmelte ich mich immer wie ein Sack Mehl auf der Couch herum wenn wir spielten. Aber jetzt richtete ich mich auf. Rusty hatte ein Talent dafür auf Themen herumzureiten, denen ich lieber aus dem Weg gehen würde.
Er hatte keine Ahnung, dass ich den Nachbarn und den Leuten aus der Schule absichtlich aus dem Weg gehe, weil ich mir keine engen Beziehungen erlauben durfte. Er war wohl der Meinung, dass ich mich für zu cool für diese Welt hielt.
„Wozu? Was weiß ich. Vielleicht lädt man dich mal zu ´nem Barbecue ein.“
„Ich hasse Barbecue.“
„Wer hasst denn Barbecue? Du bist schon ein merkwürdiger Kerl.“, meinte Rusty kopfschüttelnd.
Nachdem wir unser übliches Rennen abgeschlossen haben – und ich gewonnen habe – zappten wir durch das Fernsehprogramm, in dem um diese Uhrzeit natürlich nichts Gutes lief. Der Nachmittag zog sich dahin, ohne dass wir etwas Sinnvolles oder Konstruktives mit unserer Zeit anstellten. Eigentlich wie immer, wenn wir Zeit miteinander verbrachten.
Schließlich fing Rusty wieder mit meinen neusten Nachbarn an. Für mich waren sie ja nicht neu, immerhin wohnten sie schon seit mindestens einem halben Jahr hier. Und obwohl ich noch keinen von ihnen gesehen habe, glaube ich, dass das Mädchen mit dem Basketball, von dem Rusty gesprochen hatte, auf unsere Schule geht.
Die ganze Zeit über löchert er mich mit Fragen wie: Denkst du, dass das Mädchen vom Fenster bald in unsere Schule kommt? Geht sie vielleicht auf eine andere Schule? Fragen, zu denen ich keine Antwort wusste. Nicht, dass sie mich überhaupt interessierten. Auf neue Bekanntschaften konnte ich gut und gerne verzichten. Aber wie mir schien hat sich Rusty in die Unbekannte Schöne ernsthaft verguckt, womit er mir mächtig auf die Nerven ging. Ich zählte schon die Minuten, bis er endlich wieder verschwindet.
Glücklicherweise verstand er meine stummen Andeutungen und machte sich bald auf den Heimweg. Vermutlich würde er wieder ganz langsam am Haus meiner Nachbarn vorbei gehen, um möglichweise einen weiteren Blick auf dieses Mädchen zu werfen. Dabei konnte ich nur mit den Augen rollen und meine Zeit besser nutzen.
Zunächst räumte ich den Müll weg, den wir diesen Nachmittag fabriziert hatten. Leere Chips Tüten und Cola Dosen. Für die Krümel auf der Couch und drum herum holte ich den Staubsauger zur Hilfe. Danach ging ich ins Badezimmer. Dort im Schrank kramte ich nach einer Packung des Haarfärbemittels, das ich wöchentlich benutzte.
Es war nicht so, dass ich mir Sorgen um graue Haare machte, sondern eher um unnatürlich aussehende grüne Haare. Auch meine Augen hatten diesen unnatürlichen Schein eines Smaragdes, der gegen eine Lichtquelle gehalten wird.

Skyler


Ich stülpte das Gummiband über meinen Arm und zog es mit den Zähnen fest. Es war schon immer so, dass ich mir nicht gerne Spritzen geben oder Blut abnehmen ließ. Nadeln hasste ich einfach wie die Pest. Bisher hatte es nur Derek geschafft mit die Angst davor zu nehmen. Doch seit er nicht mehr hier arbeitet, mache ich es lieber selber, ehe ich jemand aus meinem Kollegium an meine Adern ranlasse.
Die Kanüle stach ich mir gezielt in den Arm und verband sie mit dem Schlauch, der in den Blutbeutel lief. Das Blut lief gut aber langsam in den Beutel. Es würde also eine Weile dauern, bis ich genug gesammelt habe. Also hieß die Devise: Warten.
Meinen Berechnungen nach dürfte es etwas unter dreißig Minuten dauern bis der Beutel voll ist. Solange werde ich mir die Zeit vertreiben indem ich ein wenig in den alten Aufzeichnungen von Derek herumstöbere. Niemand sonst hat Zugang zu seinen Daten, nur mir hat er seine Passwörter verraten. Nachdem seine Arbeit mir mein Leben zurückgegeben hat, waren wir füreinander die engsten Vertrauten. Doch dann passierte dieser Unfall mit seinen Eltern und seiner Schwester und er hat sich zurückgezogen um seine Schwester zu pflegen. Die wenigsten wissen, was das wirklich heißt.
Insgeheim wünschte ich mir immer, dass er mich mitgenommen hätte. Aber das war wohl nicht möglich. Immerhin bin ich so zu sagen das Eigentum der Firma, die mich gerettet und für die ich jetzt arbeite. Und Derek konnte sich mit seiner Schwester keine ungewollte Aufmerksamkeit leisten.
„Das reicht doch schon, Skyler.“, sagte eine Stimme hinter mir. „Wir brauchen doch nur ein paar Tropfen, keinen ganzen Liter.“ Es ist Olaf, der in mein Labor gekommen ist, obwohl ich ausdrücklich gesagt hatte, dass ich niemanden hier drinnen haben wollte. Aber bisher hatte ohnehin noch niemand etwas auf meine Anweisungen gegeben. Wenn ich einen Beitrag zu unserem Projekt leiste, bin ich immer der geschätzte Kollege. Will ich aber mal für mich sein, bin nicht mehr wert als eine Laborrate.
„Für meine Zwecke brauche ich so viel.“, sagte ich. Nur mit Mühe konnte ich meinen Zorn über sein Verhalten vor ihm verbergen. Weil ich hier rund um die Uhr war, da ich sonst nirgends hin konnte, wollte ich kein böses Blut riskieren. Und mancher der Wissenschaftler sind wirklich Mimosen, wenn man sie mit dem Konfrontiert, was einem nicht passt. „Ich bring dir später deine paar Tropfen, die du brauchst.“
Nach einer langen Pause, die mich fast dazu brachte mich zu ihm umzusehen, sagte er, „Na schön. Morgen reicht auch, ich mach dann für heute Schluss.“ Ohne große Worte des Abschieds verließ Olaf wieder mein Labor und schloss die Tür hinter sich.
Er würde jetzt zurück nach Hause fahren, zu seiner Frau und seinen zwei Kindern. Eigentlich hat er ja drei Kinder, aber sein ältester Sohn ist schon von zu Hause ausgezogen. Olaf erzählt allen, dass er in Haven studiert. Aber das stimmt nicht. Der Junge arbeitet in einem Discounter an der Kasse. Olaf schämt sich für ihn.
Ich verließ nie die Mauern des Hauptlabors. Wenn ich mal Sonne brauche gehe ich für ein zwei Stunden in den Cafeteria Hof. Sonst esse, schlafe und arbeite ich hier unten, abgeschnitten von der Außenwelt.
Doch bevor ich noch ganz melancholisch werde und in Selbstmitleid versinke, beschloss ich mich besser wieder Dereks Daten am Computer zu widmen. Ich scanne die Erstellungsdaten, nicht auf der Suche nach etwas bestimmten. Das letzte Mal, als ich mich hier in der Datenbank umgesehen hatte, war ich kurz vor meinem Eintritt in das Projekt stehen geblieben – kurz bevor seine Arbeit illegal wurde.
Hm. Etwas machte mich stutzig. Die Daten, die nach meinem Eintritt in das Projekt hinzugefügt wurden, fehlten. Waren sie womöglich doch in einer anderen Datei gespeichert? Hatte ich mich geirrt? Sie waren doch das letzte Mal noch da, oder? Wann war es, das ich das letzte Mal nachgesehen hatte? Vor einer Woche, als ich mir das letzte Mal Blut abgenommen hatte? Ja. Und da waren sie noch in diesem Dateiordner. Da bin ich mir sicher.
Aber wo sind die Daten jetzt? Ich bin doch der einzige, der Zugang dazu hat. Mal abgesehen von Derek. Der aber, wird wohl kaum in einer Nacht und Nebel Aktion hier ins Labor eingestiegen sein, um seine illegalen Daten zu löschen. Das sähe ihm nicht ähnlich. Vor allem, weil er keine Zusammenhänge mehr mit Bio-Tech riskieren wollte. Weder vor Bio-Tech, noch vor der Polizei. Es reicht ja schon, dass ich ihm Geld über einige Umwege zukommen lasse.
Nach den Verschwundenen Daten suche ich im gesamten System unserer Laborgruppe, bevor ich irgendjemanden verdächtige die Daten gelöscht zu haben. Doch die Suche ergab keine Ergebnisse. Also suchte ich nach Zugängen in das Datensystem, das nur für Derek offen sein sollte. Eine Liste meiner Zugänge der letzten drei Monate tauchte auf meinem Bildschirm auf. Nur ein Zugang war nicht von mir getätigt worden. Aber es musste ein Computer im Hause sein, soviel steht fest.
Plötzlich entwich mir ein unfreiwilliges „Hm?“ bevor ich überhaupt wusste was los war. Doch dann kam es mir. Ein Geräusch. Ich habe ganz eindeutig ein Geräusch in einem der Labors gehört. Als wäre jemand gegen einen Stuhl gelaufen. Dabei dachte ich, Olaf hätte das Labor schon längst verlassen. Ich war mir sicher, dass wir die letzten beiden hier waren. Vermutlich ist er mal wieder über einer Akte hängen geblieben. Vor zwei Tagen wollte er früher gehen, weil seine jüngste Tochter Geburtstag hatte und blieb dann doch bis tief in die Nacht, weil einer der Kollegen ihn auf ein Problem in einer der Probandenakten aufmerksam machte. Soweit ich gestern mitbekommen habe, war seine Tochter wohl sehr enttäuscht, dass er ihre Geburtstagsparty verpasst hat.
Ich verschloss den Blutbeutel, den ich für meine weiteren Untersuchungen brauchte, zapfte mir über die Kanüle noch ein paar Tropfen Blut für Olafs Gebrauch ab und zog auch die Kanüle raus. Nachdem ich die Einstichstelle gepflastert hatte, beschriftete ich den Beutel und das Röhrchen für Olaf und machte mich auf es ihm in sein Labor zu bringen. Vielleicht würde ich ihm doch noch antreffen. Und ich wette, wenn es so ist, wird er bestimmt noch für seine geplanten Untersuchungen bleiben. So ist Olaf, auch wenn er mich mit seinem Verhalten oft nervt.
Den meisten meiner Kollegen bereitet das künstliche Licht hier unten große Schwierigkeiten. Nach nur ein paar Stunden Arbeit werden sie schon müde. Mir machte dieses Licht aber nichts aus. Womöglich lag das sogar auch an meiner DNS. Soweit waren wir noch nicht mit unseren Untersuchungen an mir und dem was ich bin.
Schritte. Ich blieb stehen um zu lauschen, woher sie kamen oder wohin sie gingen. Es würde jeden Augenblick jemand den Gang kreuzen, in dem ich mich befand.
„Schon fertig?“ Es war Olaf, fertig in den Feierabend zu gehen.
„Ja. Hast du dich gestoßen?“
„Hm? Oh, ja. Das dämliche Licht ging plötzlich aus und ich bin gegen einen Stuhl gelaufen. Ich rede morgen mal mit dem Hausmeister. Ach, und leg mir deine Blutprobe einfach in den Kühlschrank in meinem Labor. Ich kümmere mich morgen darum.“
„Okay, bis dann.“ Es war schon spät. Nicht mehr lange bis Mitternacht. Seine Familie wird sauer auf ihn sein, dass er schon wieder so spät nach Hause kommt. Deshalb wollte ich ihn jetzt auch nicht weiter aufhalten.
Ich muss schon zugeben, dass ich für einen Moment, als ich das Rumpeln des Stuhls aus einem der anderen Labors hörte, daran dachte, dass irgendwelche Unbefugten hier eingedrungen waren. Obwohl unsere Arbeit in diesen Teilen der Labors teilweise immer noch illegal ist, ist es nicht die IKEM, die uns sorgen bereitet. Sondern viel mehr die Konkurrenzfirmen, die heutzutage vor nichts mehr zurückschrecken. Und gerade weil wir hier illegale Forschung betreiben, könnten wir nicht einmal zur Polizei gehen, wenn hier eingebrochen wird. Eine Konsequenz, die wir in Kauf nehmen müssen.
Zum Glück aber hatte sich mein Verdacht als lächerlich paranoide Gedanken erwiesen. Um diese Zeit dürfte ich nun wirklich der Letzte in den Labors sein – zusammen mit einigen privaten Sicherheitsleuten. Da kann man schon mal in solche Gedanken Abtriften.
Olafs Labor war dem meinem gleich, weshalb ich nicht das Licht noch einmal wieder anknipsen musste um seinen Kühlschrank zu finden. Er stand an derselben Stelle wie meiner. Was sich aber von meinem Kühlschrank unterschied war, dass er verschiedene Joghurt und Pudding Becher darin aufbewahrte. Und das neben Blut- und Gewebeproben. Nicht unbedingt das, was ich appetitlich nennen würde.
Das Licht des Kühlschranks war schon erloschen, als ich die Person hinter mir bemerkte. Ich brauchte mich gar nicht umzudrehen, um ihn – ich glaube es ist ein Mann – zu spüren. Seine Atmung verriet ihn. Aber er wusste nicht, dass ich ihn bemerkt hatte. So war das Überraschungsmoment auf meiner Seite, als ich mich plötzlich umdrehte und meine Faust in sein Gesicht rieb.
Erst als ich das Schliddern hörte, erkannte ich, dass der Eindringling eine Waffe in der Hand hatte. Ich wäre womöglich beinahe erschossen worden! Kein Ende, das ich mir für mich gewünscht hätte.
Ein Schuss! Und ein beißender Schmerz in meinem Bein. Ich hechtete ohne nachzudenken hinter einem der Arbeitstische in Olafs Büro. War Olaf vielleicht sogar noch hier? Er war kaum Gegangen als ich auch schon angegriffen wurde. Hat er den Schuss gerade womöglich gehört?
Der Mann, den ich niedergeschlagen hatte, lag neben mir – bewusstlos – während ich hörte wie die andere Person näher kam. Die Schritte waren leichter, womöglich von einer Frau. Aber das war es nicht was mich verwunderte. Der Mann am Boden hatte eine Uniform des privaten Sicherheitsdienstes von Bio-Tech an. Ich hab einen Wachmann der Firma niedergeschlagen. Waren zwei der Wachleute gerade auf einem Kontrollgang? Bevor ich mich dazu für eine Antwort entscheiden konnte, erhob ich mich aus meinem Versteck und stellte mich der Person, die auf mich geschossen hatte.
„Nicht schießen! Okay?“, rief ich. „Ich arbeite hier!“
„Ja, ich weiß.“, sagte eine eindeutig weibliche Stimme und das letzte was ich sah, bevor ich wieder abtauchte, war der Lauf der Waffe, der sich wieder auf mich richtete.
Oh, scheiße! Was geht hier vor? Warum ist mir nicht vorher eingefallen, dass wir hier in einem gesperrten Bereich sind. Hier kommen keine Wachleute auf ihren Kontrollgängen runter. Sind das Einbrecher?
Die Waffe! Sie liegt genau zu meinen Füßen. Ich müsste nur zurück in mein Labor und mich dort verbarrikadieren. Dann könnte ich von meinem Computer Hilfe rufen und die Einbrecher hier einsperren bis die Hilfe eintrudelt.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 18.05.2011

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