Cover




I.




(2036 bis 2040 – Patrik)


„Ich bin sowohl Mensch als auch Brut.

„Ich bin Zerberus, der letzte meiner Familie.

„Und meine Geschichte beginnt vor etwa 1000 Erdenjahren.“


– Zerberus; ca. um 3023


4


Das hin und her Schaukeln der Fähre machte mich ganz seekrank. Ich hatte die Hoffnung, dass es unter Deck in meiner Kajüte, die ich für die Überfahrt zur Forschungs- und Entwicklungseinrichtung von N-Corp., die auf einer Insel vor der Küste von Mexico lag, bezogen hatte. Aber weit gefehlt. Nur weil ich die Wellen der stürmischen See nicht mehr sah, hieß das offenbar noch lange nicht, dass mir auch nicht mehr übel wurde. Ich war sogar schon beim Schiffsarzt, der mir Tabletten gegen Seekrankheit gegeben hat. Aber die schienen rein gar nichts zu nützen. Jedenfalls jetzt noch nicht. Meine Hoffnung war, dass es nur einen Moment dauern würde, bis sie endlich anschlugen und mir meine Übelkeit nahmen. Bis dahin blieb ich ganz einfach auf meinem Bett in meiner Kajüte regungslos liegen.
Die Kajüte teilte ich mir mit drei weiteren Männern, die aber allesamt ausgeflogen waren. Sie hatten sich nicht einmal die Mühe gemacht mich zu grüßen, als sie hier rein kamen um ihr Gepäck abzuladen. Offenbar waren sie auf dem Weg zum Oberdeck, wo wohl die meisten der N-Corp. Angestellten, die sich auch auf der Überfahrt auf dieselbe Insel befanden, ihre Zeit totschlugen. War ich denn wirklich der einzige, dem das Schaukeln die Galle im Magen zum Brodeln brachte? Ein Wunder, dass ich mich noch nicht übergeben habe.
Plötzlich öffnete sich die Tür mit einem lauten Quietschen. Man sollte mal die Scharniere ölen, dachte ich. Das Geräusch war Ohrenbetäubend.
„Na, liegst du immer noch flach?“, fragte mich der Eindringling. Es war einer der Männer, mit dem ich mir die Kajüte teilte. „Bist wohl Seekrank, was?“
Er trug bereits die schwarze Uniform der Sicherheitskräfte von N-Corp. Doch etwas an seiner Uniform war anders. Derselbe Unterschied, den auch meine Uniform, die noch immer in meinem Seesack verstaut ruhte, von denen der anderen unterschied. Auf dem Rücken seiner Uniform prangten dieselben schwarzen erhobenen Buchstaben, die von einem leuchtenden weißen Rand markiert wurden, wie auf meiner: BSE – Black Sky Einheit.
Oh ja, ich gehörte ab sofort zu einer von N-Corp.‘s Hauseigenen Eliteeinheit. Meine Kameraden auf der Akademie waren alle tierisch neidisch, weil es bisher noch kein Neuling in eine solche Einheit geschafft hatte. Ich bin der erste. Und das, obwohl ich zugeben musste, dass es durchaus Kameraden während meiner Ausbildung in der Akademie gab, die vermutlich besser in so eine Eliteeinheit passten als ich. Ja, ich war nicht schlecht. Meine Ausbilder hatten immer ein Lob für mich übrig. Aber das lag nur daran, dass ich immer hart an mir arbeitete. Anderen fielen die Seminare da schon leichter. Aber vielleicht war es genau das, was mich von ihnen abhob, dass ich so hart an mir arbeitete, auch wenn es mal nicht gleich klappen sollte. … Oder es lag einfach daran, dass ich Beziehungen hatte. Ich werde nämlich genau in die Einheit versetzt, die mein Onkel leitet.
Irgendwann hat Jo aufgegeben mich von meinen Plänen abzubringen – das war irgendwann im zweiten Semester an der Akademie. Aber unterstützt hat er mich auch nicht. Bis es schließlich irgendwann hieß, dass ich für eine Sky Eliteeinheit vorgeschlagen werden sollte. Damals hatte ich erwartet, dass Jo sich einschaltete, um das zu verhindern, aber er hat nur dafür gesorgt, dass ich in seine Einheit kam.
„Komm mit, du solltest was in den Magen bekommen.“, meinte mein künftiger Kollege, der irgendetwas in seinem Seesack gesucht hatte.
„Was denn, damit es gleich wieder auskotzen kann? Nein, danke.“ Es wäre eigentlich von Vorteil mir schon mal auf dem Schiff Anhang an meine künftige Einheit zu finden, indem ich mich ein wenig mit meinen Kollegen anfreunde. Vor allem, wenn erst einmal rauskommt, dass unser 1.CC (1. Captain in Command) mein Onkel ist und der Grund dafür, dass ich als Neuling in eine Eliteeinheit kam. Aber ich konnte mich einfach nicht aufrappeln. Ich hatte das Gefühl, sobald ich aufstehe, müsse ich mich übergeben.
„Du warst doch bestimmt schon beim Doc, nicht wahr? Und er hat dir bestimmt diese grünen Pillen gegeben.“, sagte mein Kollege, dessen Name ich noch gar nicht weiß. Ich sollte danach fragen, wenn ich schon nicht mit ihm mitgehe. „Die Pillen helfen erst richtig, wenn du was isst. Glaub mir, ich mach jedes Mal dasselbe durch, wenn ich zwischen Festland und Anlage hin und her schippere. Der Karn hier ist auch nicht mehr auf dem technischen Neu Stand, weshalb man das Schaukel auch so krass spürt.“
Na ja, wenn er dasselbe durchmacht wie ich, dann wird er ja wohl wissen wovon er redet. Vielleicht hilft es mir ja wirklich, wenn ich etwas in den Magen bekomme. Ich frage mich nur, warum der Doc nicht gesagt hatte, dass ich etwas essen soll. Wahrscheinlich hielt er mich schon für einen alten Hasen, dem man nicht erst alles erklären muss. Denn als wir an Bord gingen, bemerkte ich, dass ich bestimmt der jüngste hier war. Alle schienen zumindest ein paar Jahre älter zu sein als ich. Der Doc hatte bestimmt nicht oft mit Neulingen zu tun. Ich hatte nämlich gehört, dass diese Forschungs- und Entwicklungseinrichtung eine der wichtigsten des ganzen Konzerns war, weshalb man hauptsächlich nur die erfahrensten und die besten Leute hier her schickte.
„Ich nehme an du gehörst zum Sicherheitspersonal.“, sagte mein Kollege. „Du solltest deine Uniform schon mal anziehen. Die meisten Forscher und Entwickler sehen es nicht gerne, wenn das Sicherheitsteam ungekennzeichnet herumläuft. Die beschweren sich dann nur wieder.“
Also zog ich mich um. Als ich meine Uniform aus meinem Seesack wühlte – ich hatte den Fehler gemacht sie ziemlich weit unten zu verstauen, sodass ich das meiste meiner Sachen erst wieder auspacken musste um ran zu kommen – bemerkte mein Kollege das Emblem auf dem Rücken der Jacke meiner Uniform.
„Black Sky, huh?“, fragte er. „Ich schätze dann sind wir Kollegen.“ Er drehte sich um und zeigte auf sein Emblem, was ich allerdings schon kannte. „Ich bin übrigens Leo, Leo Candal.“, stellte er sich vor und streckte mir seine Hand entgegen.
„Patrick … O’Hara.“ Ich zögerte meinen Nachnamen zu sagen, da ihn der verraten würde, dass ich mit unserem 1.CC verwandt bin. Trotzdem erwähnte ich ihn und schüttelte die Hand von Leo, der sich versteifte.
„O’Hara, huh?“, fragte er und starrte mich mit diesem geringschätzigen Blick an. Es schien, als wäre er sich noch nicht sicher, wie er mich in Zukunft behandeln wolle. Soll er mir das Leben zur Hölle machen, weil ich wegen meiner Verwandtschaft zu unserem 1.CC womöglich bevorzugt behandelt werden könnte? Oder soll er sich bei mir einschleimen, weil ich ihn als Neffe unseres 1.CC ein paar ungeahnte Türen öffnen könnte? Ich war froh, dass er sich noch nicht entschieden hatte und hoffte, dass nicht jeder in unserer Einheit sich so etwas durch den Kopf gehen ließ.
„Dann sind die Gerüchte also wahr? Der Neffe vom CC kommt in unsere Einheit.“, sagte Leo abschätzend. „Interessant.“
„Tja.“, sagte ich im ersten Moment nur. „Aber nur damit du es weißt, ich lege keinen Wert auf eine Sonderbehandlung, was ich auch meinem Onkel gesagt hab. Aber er hatte sowieso nicht vor mich irgendwie zu schonen.“ Ich zog mir schnell meine schwarze Uniformhose, mein Shirt und die Jacke an und beeilte mich meine Stiefel zuzuschnüren, damit er kein schlechtes Bild von mir bekam. Ich hatte keine Lust auf die Schwarze Liste eines Elitesöldners zu kommen, mit dem ich wer weiß wie lange zusammenarbeiten musste.
„Hm.“, überlegte Leo. „Man erzählt sich, dass er nicht besonders begeistert davon war, dass sein Neffe überhaupt zur Akademie geht. Du musst Eier in der Hose haben, dass du es trotzdem soweit geschafft hast. Und dann auch noch als Neuling in eine Eliteeinheit…? Ich werd‘ dich beobachten Rek. O’Hara.“, sagte er und verließ die Kajüte, gab mir aber zu verstehen ich sei immer noch eingeladen ihm zu folgen. Diese Beziehung wird noch interessant, dachte ich und schluckte meine Übelkeit runter.
Rek. Das war die umgangssprachliche Abkürzung meines Rangs in der N-Corp. Sicherheitsabteilung. Es stand schlicht und ergreifend für Rekrut, was mit nichts anderem gleichzusetzen war als Neuling. Onkel Jo hatte mich schon gewarnt, dass ich von den wenigsten Respekt zu erwarten hatte. Die meisten, die meinen Rang kennen, werden mich wohl nur mit Neuling anreden. Niemand wird sich die Mühe machen sich meinen Namen zu merken. Es sei denn, dass ich irgendetwas Spektakuläres leiste, wozu ich aber nicht besonders oft die Gelegenheit bekommen werde, meinte Jo. Auch Leo bestätigte das, als er mich durch das Innenleben der Fähre in Richtung Oberdeck führte.
„Also, ehrlich gesagt beneide ich dich nicht unbedingt, dass du sofort nach deiner Ausbildung in ein Eliteteam kommst.“, meinte er beiläufig. Allerdings hatte ich den Eindruck, dass dahinter durchaus ein wenig Neid steckte. „Beim normalen Sicherheitspersonal in einem normalen N-Corp. Gebäude verdient man recht gutes Geld und muss dafür nur seinen üblichen Rundgang machen und die allgemein üblichen Sicherheitschecks durchführen. Außerdem lebt man in einer normalen Stadt, in der man sein Privatleben noch so gestalten kann wie man will. Hier ist das anders. Das ist der Nachteil, wenn man auf einer Insel arbeitet, die weitab vom Festland liegt und auf der es eigentlich nur N-Corp. gibt. Allerdings verdient man in einem Eliteteam wesentlich besser. Wobei die Arbeit auch genauso wesentlich langweiliger ist. Täglich drei Trainingseinheiten und wir können sonst nur darauf warten, bis endlich mal ein Notfall eintrifft, um den wir uns kümmern können. Die meiste Zeit ist hier aber einfach tote Hose…“
Leo erzählte weiter vom öden Leben, abgegrenzt von der Außenwelt. Dennoch hatte ich den Eindruck, dass es ihm gefiel was er machte. Er schien sich gut zu fühlen sagen zu können, dass er in einem Eliteteam von Söldner ist, dass die Sicherheit in einer der wichtigsten Forschungs- und Entwicklungsanlagen gewährleistete.
Obwohl er damit recht hatte, dass wir nicht viel zu tun haben werden. Laut Jo gab es auch normales Sicherheitspersonal in der Anlage, das sich um das alltägliche Sicherheitsgeschäft kümmerte. Die Sky Eliteeinheiten, von denen es vier verschiedene auf dieser Insel gab, sind nur dazu da sich für den Ernstfall zu rüsten, trainieren und wappnen. Was so ein Ernstfall aber war, hatte mir gegenüber noch niemand verlauten lassen. Und als ich Leo so zu hörte, erschien es mir, als ob er es auch nicht wüsste. Ich malte mir aus, dass die Anlage womöglich von Konkurrenzfirmen angegriffen werden könnte, die ihre eigenen privaten Söldner losschickte, die die Betriebsgeheimnisse ausspionieren sollen. Und dass wir dazu da wären, diese Söldner abzuwehren und die Geheimnisse zu beschützen. Aber irgendwie hört sich das wie eine ausgeschmückte Story an, die aus der fantasiereichen Feder eines Hollywoods Drehbuchautoren stammte. Ob ich wohl irgendwann so einen Ernstfall miterleben werde?
Sollte ich mir überhaupt so etwas wünschen? Wer weiß denn schon, was dann auch mich zukommt. Denn nicht einmal Jo hat mir jemals von so einem Ernstfall berichtet, nicht einmal, als klar war, dass ich in seine Einheit versetzt werden soll. Deshalb vermutete ich, dass er selbst nicht einmal wusste, was so ein Ernstfall überhaupt war. Oder er wusste es, und das war der Grund, dass er mich Anfangs immer davon abhalten wollte nach meiner Ausbildung weiterhin bei N-Corp. zu bleiben. Vielleicht kann ich mal mit ihm über all das sprechen, wenn ich ihn endlich wieder persönlich sehe.
Auf dem Oberdeck gab es einen Aufenthaltsraum, der wohl auch teilweise als Kantine diente. Hier wurde sogar Billard gespielt. Es wunderte mich, dass es möglich war auf dieser schwankenden Fähre ein faires Spiel durchzuziehen. Aber den Typen, die gerade ein Spielchen wagten, schien das gar nichts auszumachen. Sie hatten ihren Spaß dabei, dass das Unwetter, das die Fähre so durchschüttelte, einen zusätzlichen Schwierigkeitsgrad darstellte.
„Hey, Toby! Gib unserem neuen Kollegen ein paar von deinen Pancakes!“, rief Leo über einer Theke gelehnt in die Küche des Aufenthaltsraums.
„Ein Katarfrühstück?“, fragte ich. Eigentlich war es schon spät am Nachmittag. Nicht unbedingt die Zeit, in der ich Pfannenkuchen esse.
„Vertrau mir, die wirken Wunder.“, klopfte Leo mir auf die Schulter. Mit seiner anderen Hand griff er hinter die Theke und holte eine kleine Karaffe mit einer klaren roten, dickflüssig wirkenden Flüssigkeit hervor. „Besonders in Kombination mit Erdbeersirup.“
„Erdbeersirup?“, fragte ich verwundert. Ich hatte noch nie Erdbeersirup gegessen. Normalerweise aß ich, wie jeder andere wohl auch, meine Pancakes mit Ahornsirup. Und schön zerlassener Butter… und vielleicht noch ein bisschen Sahne oben drauf. MMMH.
„Eine Spezialkreation von unserem Fährenkoch Toby.“, erklärte Leo.
Ich beobachtete die anderen Anwesenden, die sich hier die Zeit totschlugen, während ich auf meine Pancakes wartete. Die Billard Spieler lachten sich halbtot über ihre missglückenden Stöße mit dem Ques. Eine Gruppe stand auf der anderen Seite des Raumes um einige dieser Retrospielautomaten herum, die jetzt wieder voll im Kommen sind.
Eine Frau, die vielleicht Ende zwanzig war, saß alleine am Tresen der Bar und grübelte über einigen Papieren. Sie war durchaus attraktiv, mit ihrem ernsten Blick und ihrer starken Erscheinung, aber ich schätze etwas zu alt für mich. Ich fragte mich, ob es auf der Insel auch ein paar Frauen gab, bei denen ich mein Glück versuchen konnte. Während meiner Zeit auf der Akademie hatte ich zwei ernsthaft zu bezeichnende Beziehungen. Die erste war mit einer High Scholl Schülerin aus der dortigen Stadt. Sie war ziemlich wild und ungestüm. Oft hat sie mich sogar dazu überredet mich unerlaubt vom Gelände zu schleichen und bei ihr nachts heimlich durchs Fenster zu steigen. Ich konnte von Glück reden, dass ich nie erwischt wurde. Im Nachhinein konnte ich nur noch den Kopf darüber schütteln, dass ich wegen eines Mädchens solche Dummheiten gemacht habe. Aber während meiner eigenen High School Zeit hatte ich eben einen Durchhänger, der mich ein wenig in Sachen Frauen zurück geworfen hat.
Die zweite Frau war auch Kadett auf der Akademie. Sie war sehr ehrgeizig und setzte alles daran ihre Ausbilder mit ihr zufrieden zu stellen. Das hab ich immer an ihr bewundert. Aber irgendwann wurde das zur Belastung unserer Beziehung, weshalb wir uns einfach trennten, als wir erfuhren, dass ich auf eine Insel bei Mexico versetzt werde und sie in irgendein Kaff in Georgia. Gegen Ende hatte ich sogar den Eindruck, dass sie neidisch war. Oder spielte mir mein Ego dabei einen Streich?
„Sie ist heiß, hab ich Recht?“, flüsterte mir Leo fast ins Ohr.
„Äh, na ja, nicht übel.“, sagte ich überrascht darüber, dass er mich erwischt hatte, wie ich die einsame Frau am Tresen immer noch ansah. „Aber…“
„… zu alt für dich?“, fragte Leo. „Ach was, das ist doch nicht so wild. Sieh sie dir doch an. Kannst du dir vorstellen was für einen straffen und heißen Körper sie da unter der Uniform versteckt?“ Die Frau hatte auch eine Sicherheitspersonaluniform an.
Plötzlich griff sie nach dem Glas, das vor ihr stand und blickte dabei auf, sodass sie bemerkte, wie Leo und ich zu ihr rüber sahen. Doch bevor ich ihre Reaktion darauf wahrnehmen konnte drehte ich meinen Kopf so schnell wie möglich in die andere Richtung (Leo’s Richtung) und bemerkte, dass Leo sie gar nicht angesehen hatte, sondern nur dämlich vor sich hin grinste.
„Wer kriegt die Pancakes?“, fragte ein Mann, der in weißer Küchenmontur gekleidet durch die Schwingtür der Küche kam. Leo zeigte auf mich und hielt schon den Erdbeersirup bereit, den er, sobald der Teller mit den dampfenden Pfannenkuchen vor mir stand, darüber ergoss.
„Lass es dir schmecken, mein Freund.“, sagte Leo und wandte sich dann an den Küchenmann. „Das ist Patrick O’Hara. Der Neue in unserer Einheit, von dem ich dir erzählt habe.“
„Ach, der Neffe von deinem 1.CC?“, fragte der Küchenmann. Die Art, wie er es sagte, machte mich etwas stutzig. Aber ich konnte nicht genau meinen Finger darauf legen, was mir an ihm so merkwürdig vorkam. Seine Pancakes waren jedenfalls einsame Spitze. Und obwohl ich wegen des Erdbeersirups ein wenig unsicher war, schmeckte auch der hervorragend.
„Jup.“, nickte Leo. „Patrick, das ist übrigens Toby.“
„Hi.“, grüßte ich ihn mit einem Mund voller Pancakes.
„Er gehört zu Staggert’s Fanclub.“, erzählte Leo Toby, als ich schon fast fertig war mit essen.
„Ach so.“, meinte Toby. „Und? Versuchst du dein Glück? Du musst nämlich wissen, sie steht auf jüngere Kerle.“
„Ich weiß nicht.“, sagte ich unsicher. Bisher habe ich noch nie eine besonders viel ältere Frau angebaggert. Ich hielt mich immer in meinem Alter – aufwärts vielleicht plus ein oder zwei Jahre. Und die Frau an der Theke war Ende zwanzig. Wobei ich schon zugeben muss, dass sie ziemlich … na ja, scharf ist. Ich glaube es ist die Ausstrahlung von Autorität, die sie so unwiderstehlich machte. Wenn ich mir vorstelle mit ihr … hm, das könnte interessant werden.
„Ach komm schon. Was kann denn schon schlimmes passieren, außer dass sie nein sagt?“, meinte Leo.
„Genau.“, stimmte Toby ihm zu. „Fragen kostet doch nichts.“
Mit ein wenig mehr Nachdruck haben es die beiden doch noch geschafft mich dazu zu überreden mein Glück bei dieser Nora Staggert zu versuchen. Also ging ich in einem lässigen und coolen Gang zu ihr rüber, obwohl das gar nicht nötig war, weil sie ohnehin nicht mehr von ihren ach so wichtigen Papieren aufsah.
„Ist da noch frei?“, fragte ich sie ganz cool und deutete auf den Barhocker neben ihr.
Sie seufzte. „Das ist ein freies Land.“ Die zeigt ja nicht gerade viel Interesse an mir, dachte ich. Dabei steht sie doch angeblich auf jüngere Männer. Und ich bin hier ja wohl das jüngste, dass sie auf dieser Insel, die wir ansteuerten, bekommen konnte.
„Ich bin übrigens Patrick.“, stellte ich mich vor. Beim Erwähnen meines Namens glaubte ich eine Regung an ihr zu erkennen. „Und du bist Nora, richtig?“
Endlich habe ich es geschafft, dass sie mich ansieht. Ich hab sie wohl damit beeindruckt, dass ich ihren Namen bereits kenne. Jedenfalls begutachtete sie mich von oben bis unten.
„Ja.“, antwortete sie schließlich, klang dabei aber noch irgendwie abschätzend, wie Leo, als ich ihm gesagt hatte, wer ich war. Wusste sie etwa schon beim bloßen nennen meines Vornamen, wer ich war? Wusste sie, dass Jo mein Onkel ist?
„Was hast du denn da für wichtige Papiere, dass du hier so alleine herum sitzt?“, fragte ich sie und versuchte einen Blick auf die Akte zu werfen, die sich ansah. Aber leider klappte sie sie im selben Moment zu.
„Hm, nicht so wichtig.“, sagte sie. Langsam kam sie in Flirtlaune. Sie beugte sich mir sogar etwas entgegen. „Du bist neu hier, hab ich Recht?“
„Ja.“, antwortete ich. „Bin gerade erst auf die Insel versetzt worden.“
„Hm.“, überlegte sie und begutachtete mich ein weiteres Mal. „Wie alt bist du eigentlich?“
„Äh, zwanzig.“, sagte ich ein wenig überrascht. War ich ihr etwa zu jung? „Aber ich steh auf ältere Frauen.“
„Ja, den Eindruck hab ich auch.“, sagte sie.
Plötzlich fühlte ich mich irgendwie komisch. Nach den Pancakes ging es mir eigentlich besser. Die Seekrankheit war wie weggeblasen. Aber jetzt, ein paar Minuten später… Urgh.
„Darf ich dir einen Tipp geben, Patrick?“, fragte Nora und beugte sich noch ein Stück weiter zu mir.
„Hm?“ Ich nahm sie gar nicht mehr so richtig wahr, weil sich in meinem Magen irgendetwas tat, dessen Auswirkungen sich wohl meiner Kontrolle jeden Augenblick entziehen wird.
„Hör nicht auf diesen Candal.“, sagte sie. „Und glaub ihm kein Wort.“
„Was?“ Ich hatte sie kaum verstanden, weil ich nur noch versuchte meinen Mageninhalt unten zu behalten. Aber dann war es zu spät. Am liebsten wäre ich im Boden versunken, nachdem ich meinen sauren Mageninhalt genau über Nora ausleerte, die angeekelt aufsprang. Der Raum erfüllte sich mit Gelächter.
„Candal, nicht schon wieder!“, hörte ich Nora aufgebracht wie eine Furie schreien, während ich mich gar nicht mehr traute über dem Boden gekrümmt aufzutauchen. „Zweimal an einem Tag! Mir reicht es jetzt wirklich! Du hast wohl vergessen wie man sich einem Vorgesetzten gegenüber verhält!“
„Reg dich ab.“, versuchte Leo sie zu beruhigen. Er war lachend näher an uns getreten. „Das war doch nur ein Scherz.
„Ach, du findest es also lustig zweimal an einem Tag angekotzt zu werden!?“, brüllte sie ihn an. „Dann warte nur und wir sehen wie lustig du es findest auf der Insel ein wenig härter als die anderen an dir zu arbeiten!“
Plötzlich erschien es mir so, dass die Lacher nicht mehr nur mir galten. Leo versuchte sie weiterhin zu beschwichtigen, aber der Erfolg blieb aus, sie schickte ihn zum Teufel.
„Komm schon hoch.“, forderte sie mich dann auf. „Ich bring dich in deine Kajüte. Toby!“, rief sie dann. „Gib mir den verdammten Sirup! Und keine Panecakes mehr, ist das klar?! Du und Leo wischt die Sauerei jetzt gefälligst auf!“
Die Frau hatte wirklich einen autoritären Ton drauf. Da gefror mir ja glatt das Blut in den Adern. Und ich Idiot hatte mich auch noch über sie übergeben, nachdem ich sie so blöd und hölzern angebaggert habe. Bei meinem Glück stellt sich wahrscheinlich auch noch raus, dass sie in meiner Einheit war, sodass ich tag täglich mit ihr zusammenarbeiten musste. Na das kann ja heiter werden.
„Ich schätze, ich kam mit meiner Warnung zu spät, huh?“, sagte sie, als sie mich wieder unter Deck führte. Sie zog mich an mit einem festen Griff um meinen Oberarm durch das Innenleben des Schiffs neben sich her. „Der Kerl kann es einfach nicht lassen. Irgendwann versaut er sich damit noch die Karriere...“
Ich schwieg. Mir war es einfach zu peinlich, dass ich ihr meinen Mageninhalt vor die Füße gelegt hatte. Am liebsten wäre es mir, wenn sie mich gleich von Bord schubsen würde.
„Einem Neuen einen kleinen Streich zu spielen ist ja noch in Ordnung. Das gehört einfach dazu. Aber dann auch noch dem Neffen vom CC…? Der Kerl hat sie ja nicht alle.“
„Du weißt, wer ich bin?“, fragte ich dann doch.
Mit einer Hand klappte sie die Akte, die sie oben gelesen und mitgenommen hatte, gekonnt auf und zeigte sie mir. „Das ist deine Akte.“
Mit einem einfachen „Oh.“ Nach ich das zur Kenntnis. „Ich lehne aber jegliche Form der Sonderbehandlung ab.“, fügte ich hinzu. Ich hatte das Gefühl, dass ich noch oft den Drang dazu hatte diesen kleinen Zusatz zu erwähnen. Niemand sollte denken, dass ich nur in diese Eliteeinheit kam, weil der CC zufällig mein Onkel ist. Ich will genauso hart an mir arbeiten wie der Rest der Truppe.
„Freut mich zu hören.“, sagte sie und lächelte mich sogar ein wenig an. Ihren Griff lockerte sie aber nicht, bis wir vor der Tür zu meiner Kajüte standen. „Dusch dich erst mal. Ich werd‘ das Gleiche tun – schon wieder.“ Dann sah sie plötzlich an mir vorbei. „Hah, da ist ja das erste Opfer.“
Ich drehte mich um und erkannte, dass noch jemand in der Kajüte war, der gerade aus dem minimal ausfallenden Badezimmer kam, dessen Dusche direkt über dem Klo hing. Es war einer der Typen, die sich mit mir die Kajüte teilten. Er hatte wohl gerade geduscht.
„Äh, hallo…“, sagte er verlegen. „Nochmals, tut mir leid wegen…“
„Schon gut.“ Nora erhob eine Hand um ihn zum Schweigen zu bringen. „Es war nicht eure Schuld. Candal ist einfach ein Vollidiot, der sein Fett schon noch wegkriegt – dafür sorge ich schon.“
Nora verabschiedete sich hastig und ging fluchend und angeekelt den Flur entlang.
„Hat er dich auch dran gekriegt?“, fragte mich der Mann.
Ich schätze er wollte damit sagen, dass Leo dasselbe Spiel mit ihm auch durchgezogen hat. Also nickte ich und schälte mich aus meiner Uniform, die zwar nur ein paar Spritzer abgekriegt hat, aber trotzdem höllisch stank.
„Damit hat er zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen.“, sagte er vor sich hin. „Ich bin übrigens Manny.“
„Patrick.“, stellte ich mich zum dritten Mal in kürzester Zeit vor. „Was meinst du mit zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen?“
„Na ja, er hat die beiden Neuen seiner Einheit aufs Korn genommen und seine neue zweite Vorgesetzte.“
„Vorgesetzte?“, fragte ich, als ich meine Stiefel aufschnürte.
„Ja, sie hat mir erzählt, dass sie vor drei Wochen befördert wurde und gleich in Urlaub ging.“, erzählte mir Manny. „Offenbar kommt dieser Leo mit der Beförderung nicht so ganz klar. Wahrscheinlich ist er einer dieser Chauvies, die es nicht ertragen, dass eine Frau über ihnen steht. Allerdings hat er da bei N-Corp. schlechte Karten. Immerhin ist die Präsidenten auch eine Frau.“
Ich ging unter die Dusche, was gar nicht so einfach war, wenn das Klo direkt darunter stand, und dachte nach. Augenscheinlich hatte sich Leo entschieden mir das Leben schwer zu machen, weil ich der Neffen unseres CC bin. Trotzdem behielt ich die Hoffnung, dass es nur eine einmalige Sache blieb. Nora sagte ja, dass es einfach dazu gehörte einen Neuen Kameraden einen Streich zu spielen. Und ich war ja auch nicht der einzige, den er erwischt hat, was nicht nur mich zu beruhigen schien. Manny wirkte auch erleichtert, dass es mich auch erwischt hat. Vielleicht kann ich mich ja mit ihm anfreunden, wo ich mich doch laut Nora am besten von Leo fern halten sollte. Ich bin gespannt, wie die anderen Mitglieder der Einheit sind. Hoffentlich nicht solche Idioten wie Leo. Und hoffentlich blieben mir weitere Streiche erspart.
Nach der Dusche blieb ich wie Manny in unserer Kajüte um mir die Peinlichkeit zu ersparen mich den Blicken der anderen auszusetzen. Wir spielten ein paar Runden Karten und unterhielten und gut. Er erzählte mir, dass er Rangmäßig über mir war, weil er bereits seine Prüfung zum Spec. Off. (Special Officer) gemacht hat. Sein Spezialgebiet war alles, was einen Motor hatte. Autos, Helikopter, Flugzeug und sogar viele Arten von Booten oder Schiffen. Sogar diese Fähre könnte er steuern, sagte er. Aber dazu bräuchte er etwas Hilfe, weil die Fähre ziemlich aufwendig war. Ich versuchte ihm zu folgen, als er über die Maschinerie des Schiffes erzählte, war aber beim besten Willen nicht im Stande alles zu behalten, was er erzählte. Maschinen und Motoren waren auch nicht mein Spezialgebiet. Grundlagen beherrschte ich, aber nur was die üblichsten Fortbewegungsmittel betraf, die mir während meiner Arbeit unterkommen könnten. Ich konnte mich während meiner Karriere entscheiden, ob ich irgendwann eine Ausbildung zum Spec. Off. machen wollte, oder lieber zum Off. (ein normaler Officer). Der Spec. Off. wird nur als Officer anerkannt, weil er wichtige Spezialfähigkeiten hatte. Wohingegen ein normaler Officer, der höher eingestuft wird als ein Spec. Off., keine speziellen Fähigkeiten in einem Fachgebiet aufweist, sondern Grundausbildung in allen Fachgebieten erhält und dazu noch die Möglichkeit hat irgendwann noch weiter zu CC aufzusteigen. Das war für einen Spec. Off. zwar nicht unmöglich, aber die wenigsten wollen nicht noch eine zusätzliche Ausbildung zum Off. machen. Obwohl man dann mehr Geld verdient. Aber es heißt, dass diese Ausbildung erheblich anspruchsvoller ist, als die zum Spec. Off. Ich hatte aber noch eine Menge Zeit, bevor ich mich entscheiden müsse. Erst einmal musste ich jeden davon überzeugen, dass ich dem Eintritt in einer Eliteeinheit durchaus gewachsen bin. Und meinen Eltern und Onkel Jo musste ich beweisen, dass jetzt erwachsen bin und auf mich selbst aufpassen kann.

„Echt? Du holst deinen Neffen von der Fähre ab?“, fragte mich Zack. Wir standen im strömenden Regen und sahen seiner Truppe zu, wie sie die nördliche Hindernisstrecke, die zu Red Sky gehörte, versuchten in Rekordzeit zu überwinden. „Meinst du nicht, dass das der Gruppendynamik schadet, wenn du für ihn eine Ausnahme machst?“
„Soll es doch.“, sagte ich gleichgültig. „Vielleicht geht er dann endlich freiwillig. Seine Versetzung in ein normales Team kann ich ja nicht beantragen – Befehl von oben.“
„Hm.“, grunzte Zack und schrie dann seine Leute an, „Zackig, Zackig! Ein bisschen Bewegung Leute! Ist doch kein Trauerzug!“
„Außerdem nehm ich die anderen ja auch mit.“, gab ich schließlich zu.
Zack schnaubte. „Du alter Softy. Du willst den Jungen ja doch nicht unbeliebt machen.“
„Was soll ich machen? Ich hab meinem Bruder versprochen, dass ich ein Auge auf ihn haben werde.“, sagte ich. „Aber du hingegen bist absolut kein Softy, was? Das Wetter ist nicht unbedingt zu so einem Spaziergang geeignet.“
„Ach jetzt red‘ nicht. Hast du schon vergessen wer wir sind?“, fragte Zack neckisch. „Wir sind Red Sky. Wir haben einen Ruf zu verlieren. Kann ja nicht jeder so eine Luschentruppe herumkommandieren wie du.“
Ich schnaubte nur. Idiot, dachte ich grinsend, sprach es aber nicht aus. Zack ließ nie eine Gelegenheit aus mir unter die Nase zu reiben, dass er das am höchsten eingestufte Eliteteam leitet, das N-Corp. zu bieten hat. Der Kerl ist ein alter Angeber. Außerdem ließ er mich auch nie vergessen, dass er so weit gekommen ist, obwohl er auch noch jünger ist als ich. Eigentlich waren es nur fast drei Jahre, aber spielte sich immer so auf, als seien es tatsächlich zehn.
Überrascht war ich schon, dass ich ihn hier auf der Insel antraf, als ich vor etwa vier Jahren hier her versetzt wurde. Ich kannte ihn noch von der Akademie, was aber schon lange her ist. Damals hatte er gerade angefangen, als ich im dritten Semester der Ausbildung war. Üblicherweise begannen die meisten ihre Ausbildung an der Akademie gleich nach der High School. Aber ich ging noch ein Jahr aufs College, bevor ich mich dazu entschied mich an der Akademie zu bewerben. Und hätte ich das nicht so getan, wäre mein Leben wohl anders verlaufen. Ich hätte nie Maggie kennengelernt – oder erst vor ein paar Jahren, weil sie seit einer Weil sogar auch auf dieser Insel arbeitet – hätte sie nicht geheiratet und wir hätten niemals Dennis bekommen, den wir dann auch nicht wieder verloren hätten. Ich weiß nicht, was ich tun würde, wenn ich alles noch einmal erleben dürfe. Wahrscheinlich aber, würde ich mein Leben noch mal so leben. Es ist besser geliebt zu haben und diese Liebe zu verlieren, als niemals geliebt zu haben. Und das bezog sich sowohl auf Dennis, als auch auf seine Mutter.
Jedenfalls war Zack der typische Anfänger an der Akademie. Ihm wollte Anfangs so gar nichts gelingen. Es wurde nur mäßig besser im Laufe des ersten Jahres. Und als ich schließlich mit der Akademie fertig war und zu meinem ersten Job versetzt wurde, mauserte sich Zack offenbar zu einem richtigen Elitesöldner, was auch der Grund dafür war, dass er schon mit zweiundzwanzig in eine Eliteeinheit kam, kurz darauf gleich zu Red Sky weiter geschoben wurde und schließlich schon im Alter von sechsundzwanzig 1.CC von Red Sky war. Seine Karriere war wirklich ein Musterbeispiel an harter Arbeit.
Sollte sich Patrick wohl auch zu so etwas gemausert haben? Immerhin ist er der erste in der Geschichte des Eliteeinheitsprogramms von N-Corp. der gleich als Neuling hier startet. Zwanzig Jahre… Unglaublich. Er erzählte nicht viel davon wie seine Ausbildung lief, wahrscheinlich war er immer noch etwas angesäuert, dass ich so lange versucht habe ihn von diesem Weg abzubringen. Seine Ausbilder waren auch so im Stress, dass ihre Rückantworten auf meine Anfragen wie er sich so macht, nur spärlich und unzufrieden stellend ausfielen. Weshalb ich nun gespannt war, wie er sich in mein Team so eingliedert. Immerhin muss es ja einen Grund dafür geben, dass er unbedingt sofort in ein Eliteteam soll. Denn, dass er der Testläufer eines neuen Programms sein soll, klang für mich eher nach einer fadenscheinigen Ausrede. Vor allem seit Maggie bei mir war. Irgendwas weiß sie, da bin ich sicher. Aber was? Sie ist Ärztin, was kann sie schon wissen, was die Sicherheitsabteilung der Firma angeht? Es sei denn, dass sie nur zufällig etwas von Theo Geldof erfahren hat. Theo und ich hatten uns irgendwann vor einer Weile unterhalten und da hat er mich doch tatsächlich gefragt, ob ich etwas dagegen hätte, wenn er mit Maggie ausginge. Ich sagte ihm, dass es mich nichts anginge, immerhin waren wir schon seit vier Jahren geschieden. Außerdem ist er mein Boss. Dem hätte ich doch nicht sagen können, dass er gefälligst die Finger von meiner Frau lassen soll. Es ging mich wirklich nichts an. Aber trotzdem wüsste ich gerne, ob da nun etwas lief oder nicht – natürlich nur um herauszufinden, was Maggie über Patricks Versetzung wissen könnte. Denn sagen tut sie es mir nicht. Seit sie bei mir war habe ich schon oft versucht sie abzufangen oder in ihrem Büro aufzusuchen, aber ständig lungert sie in Bereichen herum, zu denen ich keinen Zutritt habe. … Ich wette Theo kann sie jederzeit besuchen.
Ich musste mich ablenken.
„Also dieser Tanner ist gar nicht mal so schlecht.“, sagte ich über den Jungen, der die Gruppe des abgehetzten Trupps von Zack locker anführte. „Irgendwie erinnert er mich an dich.“
„Na klar.“, sagte Zack selbstzufrieden. „Alle hier müssen dich an mich erinnern. Immerhin sind wir das Beste was N-Corp. zu bieten hat.“
„Natürlich.“, rollte ich mit den Augen.
„Ist so.“, sagte er mit zufriedenem Nachdruck. „Du solltest stolz sein, dass dein Neffe beinahe einer von uns geworden wäre.“
„Klar.“, sagte ich nachdenklich. Warum wollte man Patrick nur so früh schon in ein Eliteteam stecken? Was war so besonders an ihm?
„Aber vielleicht ist es besser so, wie es ist.“, meinte Zack. „Die anderen hätten ihn nur zerfleischt. Weil die alle eine zu große Klappe haben und von Testosteron schon überlaufen!“ Den letzten Teil rief er seiner Einheit zu. „Soll das etwa schon alles gewesen sein?! Ein bisschen mehr Anstrengung, wenn ich Bitten darf! Wir wollen doch einen guten Eindruck bei unserem Besucher hinterlassen! Black Sky soll sehen, was sie nie erreichen!“ Das spornte seine Einheit noch einmal richtig an alles zu geben. Ich konnte darüber nur den Kopf schütteln. Muss er meine Einheit denn unbedingt so in den Dreck ziehen, wenn ich doch direkt neben ihm stehe? Aber vielleicht sollte ich mir daran ein Beispiel nehmen. Meine Truppe wäre bestimmt auch viel angespornter, wenn ich sie mit Red Sky vergleiche. Geistige Notiz: Zack seinen Motivation Trick klauen. Wenn Patrick wirklich so gut und fit ist, wie es den Anschein hat, kann ich meine Leute vielleicht so weit nach oben Puschen, dass nicht mehr Red Sky die am höchsten eingestufte Eliteeinheit von N-Corp. ist. Jetzt hat mich doch tatsächlich der Ehrgeiz gepackt.
„Ist dein Team eigentlich morgen wieder komplett?“, fragte Zack mich.
„Ja.“, sagte ich. „Candal ist wieder fit, Staggert kommt aus dem Urlaub zurück und wir bekommen endlich einen neuen Spec. Off. für den ganzen Motoren Scheiß.“
„Hat ja auch lange genug gedauert.“, meinte Zack. Und da hatte er vollkommen Recht. Mein letzter Spec. Off. hatte vor zwei Monaten einen Unfall, als er etwas an unserem Helikopter repariert hatte. Offenbar hatte er geschlampt, weshalb er schließlich beim Probeflug abgestürzt ist. Off. Candal war mit im Helikopter, obwohl er eigentlich hätte auf dem Trainingsgelände unserer Einheit sein sollen. Allerdings muss man dazu sagen, dass wenn er nicht gewesen wäre der Spec. Off. wohl gestorben wäre. Und das ist der einzige Grund, warum er nicht in das hinterletzte Kaff versetzt wurde, weil er sich einem direkten Befehl wiedersetzt hatte. Wie dem auch sei. Der Spec. Off. war dennoch schwer verletzt, hatte schwere Verbrennungen erlitten, weshalb er noch immer in der Reha ist. Candal wurde auch verletzt, brauchte aber nur eine Weile Heimaturlaub um seine Verbrennungen auszukurieren.
Nach dem Unfall kam dann auch noch dazu, dass mein 2.CC mich im Stich gelassen hat. Er hat aus irgendeinem Grund Panik geschoben und deshalb den Dienst quittiert. Schon lange hatte ich den Eindruck, dass etwas mit ihm nicht stimmte. Aber dass es so schlimm war…
So kam es dazu, dass ich Nora Staggert beförderte und ihr gleich noch ein paar Wochen Urlaub gewährte, den sie sich redlich verdient hatte. Schon lange hatte ich darüber nachgedacht, dass sie eine Beförderung verdient hatte. Ich überlegte sogar schon, ob sie nicht in eine andere Einheit wechseln sollte, wo sie dann gleich zum 2.CC werden könnte. Aber so wie es jetzt war gefiel es mir doch am besten. Es ist gut, dass ihr Vorgänger aufgegeben hat. Lange hätte ich mir das nicht mehr mitansehen dürfen. Er war ja nur noch ein nervliches Wrack.

Heute ist das Wetter ziemlich grau. Als ich heute Morgen aufgewacht bin hat es noch geregnet. Zum Glück hat es zu den Mittagsstunden aufgehört, sonst hätte ich meinen Jeep nicht benutzen können um Patrick und die anderen abzuholen, weil im Dach ein riesiges Loch klafft. Der Humvee war noch immer vollbeladen mit der Ausrüstung vom letzten Trainingseinsatz. Ich hab das Aufräumen extra für Candal aufgehoben. Er sollte darauf vorbereitet sein, dass nach seiner dummen Aktion eine schwere Zeit hier bevorsteht.
Ich donnerte über die Straße zum Hafen. Die Reifen preschten durch Unebenheiten der nicht geteerten Straße und ließen die Pfützen und den Schlamm weit aufspritzen. Es wird Zeit, dass sie die Straße hier mal endlich vernünftig teeren. So viel wird doch wohl noch im Etat für die Forschungseinrichtung drin sein, oder? Jedenfalls war ich es leid auf meinen Fahrten zum Hafen jedes Mal so durchgeschüttelt zu werden. Ich bin doch kein Martini. Wenn sich da nicht bald etwas tut, muss ich wohl extra einen Antrag stellen. Und ob der dann so schnell bearbeitet wird, steht in den Sternen. Aber so oft fahr ich ja nun auch wieder nicht zum Hafen. Mein Revier ist nun mal das Hauptquartier der Black Sky Einheit und das Sicherheitshaus der Anlage, das im Herzen der Insel lag. Demnach könnte es mir eigentlich egal sein, ob sie die Straße hier ausbessern oder nicht, aber jedes Mal wenn ich doch hier lang muss, denke ich darüber nach. Ich kann es einfach nicht lassen.
Die Fähre war bereits angekommen und von den wenigen Passagieren, die sie vom Festland aus mitgenommen hatte, stiegen gerade die letzten aus. Arbeiter beluden die Fähre bereits mit den Containern, die monatlich die Insel verließen, nachdem sie die Container an Bord bereits entladen haben. Ich parkte den Wagen in der Nähe des Ausgangs der Passagierzone und begab mich auf die Suche nach meinen Leuten. Wie gesagt, es waren nicht viele Passagiere, dennoch fand ich meine Leute nicht gleich. Nur zufällig stolperte ich über Patrick und den neuen Spec. Off. – sein Name war Morales glaube ich. Sie saßen auf ihrem Gepäck und bewachten offenbar das Gepäck von Candal und Staggert. Als ich näher trat erkannte ich, dass Patrick in einer Akte las. Eine Akte, die nicht gerade für ihn bestimmt war, obwohl sie sein Gesamtprofil enthielt. Ich hatte Staggert gebeten bei der Akademie vorbei zu schauen und ihre Beziehungen dort spielen zu lassen, damit ich eine Kopie von Patricks Gesamtprofilakte bekam, die normalerweise für meine Sicherheitsstufe unter Verschluss sind.
Morales entdeckte mich gleich, aber ich bedeutete ihm mit einem Finger auf den Lippen mich nicht zu verraten, als ich mich an Patrick von hinten heranschlich. Er war noch auf der ersten Seite der Akte, auf der nur irgendwelche Daten standen, Gewicht, Größe Geburtsdatum, Bildungsinformationen, so etwas eben. Das konnte ich sehen, als ich mich etwas über ihn beugte, aber nicht soweit, dass er meinen Schatten bemerkte. Denn obwohl das Wetter eher grau war, war es noch hell genug für den Wurf eines Schattens.
„Was da alles über mich drin steht…“, sagte Patrick verdutzt. „Unglaublich.“
„Ja, unglaublich…“, sagte ich und Patrick zuckte erschrocken zusammen und klappte sogleich die Akte wieder zu. „…unglaublich, dass du etwas liest, dass nicht für deine Augen bestimmt ist.“
Er drehte sich zu mir um. Tatsächlich sah ich ihn in diesem Augenblick zum ersten Mal seit gut eineinhalb Jahren, in denen ich die Insel gar nicht mehr verlassen habe. Es war schön ihn mal wieder zu sehen, denn erst jetzt merkte ich wirklich, wie sehr ich ihn vermisst hatte. Auch den Rest der Familie. Kommendes Weihnachten sollte ich ihre Einladung die Feiertage bei ihnen zu verbringen unbedingt wieder annehmen.
„Da geht es ja wohl um mich.“, protestierte Patrick und stand auf. Er baute sich richtig vor mir auf – ist er größer geworden? Geht das in seinem Alter überhaupt noch? Er dürfte jetzt sogar größer als Dennis in dem Alter sein. „Und dann soll das nicht für meine Augen bestimmt sein?“
„Manche Dinge gehen dich einfach nichts an. Klar?“, sagte ich. „Und jetzt komm her.“ Ohne Vorwarnung nahm ich ihn zur Begrüßung erst einmal in den Arm. Er zögerte und versteifte sich unter mir. Wahrscheinlich hielt er es für keine gute Idee, dass wir uns umarmen, jetzt wo ich sein Vorgesetzter bin. Und normalerweise tue ich das auch nicht mit meinen Leuten – das wäre schon mehr als merkwürdig. Aber, Herr Gott, das ist mein Neffe. Wenn wir für eine Minute mal nur Neffe und Onkel sind, kann sich doch niemand auf den Schlips getreten fühlen. Es ist ja nicht so, dass ich ihm eine Sonderbehandlung zukommen lasse. Um ehrlich zu sein denke ich, werde ich sogar etwas mehr von ihm verlangen als von den anderen in meiner Einheit. Ob das nun daran lag, dass er mein Neffe ist, oder daran, dass er als Neuling gleich in eine Eliteeinheit versetzt wurde, spielt dabei auch gar keine Rolle.
„Und, wie geht es dir?“, fragte ich, als ich ihn endlich losließ – zu seiner Beruhigung. „Wie war die Überfahrt? Du siehst blass aus.“ Das tat er wirklich. Gehörte er zu denjenigen, die unter Seekrankheit leiden? Ich war auch einer von ihnen, musste ich zugeben. Das ist nämlich mit ein Grund, warum ich Insel schon so lange nicht mehr verlassen habe.
„Mir geht’s gut.“, sagte er, sah mir aber nicht ins Gesicht.
„Candal hat sich an ihren Neffen vergriffen, Sir.“, sagte Staggert, die plötzlich aus dem Nichts auftauchte. „An den beiden Neuen.“
„Alte Petze.“, murmelte Candal, so dass ich es aber noch hören konnte. Er hat es nicht besonders gut aufgenommen, dass ich Staggert zum 2.CC befördert habe, was meines Erachtens aber nicht daran lag, dass er sich schon in dem Posten gesehen hat. Es musste also irgendeinen anderen Grund geben.
Es war nicht leicht, aber wir schafften es uns alle fünf in meinen beschränkten Jeep zu quetschen und trotzdem auch die Seesäcke der vier zu verstauen. Auf der Fahrt erklärte mir Staggert den Streich, den Candal unseren beiden neuen Mitgliedern als eine Art Initiationsritus gespielt hat. Ich muss schon sagen, ich war froh, dass er es auf der Fähre gemacht hat und nicht hier auf der Insel, wo ich ihn dafür hätte bestrafen sollen. Im Allgemeinen hat man nichts gegen solche Streiche, die man den Neuen spielt, aber das ging dann doch etwas zu weit. Nicht nur, dass er die Neuen veräppelt hat, sondern auch noch seine Vorgesetzte. Auf Staggerts Bitte hin überließ ich es ihr ihn sich dafür zur Brust zu nehmen. So zu sagen als erste Amtshandlung als 2.CC, da sie direkt nach ihrer Beförderung in Urlaub gegangen ist. Ich mag es nicht meine Leute zu strafen. Natürlich tat ich es, wenn es nötig war, manchmal sogar bei Kinkerlitzchen – immerhin sind wir eine Truppe von ernstzunehmenden Söldnern, da ist Disziplin gefragt. Aber ich tat es ungern. Es passt mir einfach nicht, dass sie überhaupt etwas tun, wofür sie bestraft gehören. Hin und wieder fühle ich mich wie der Babysitter von Halbwüchsigen. Ist das bei anderen Teamleadern auch so, frag ich mich kopfschüttelnd.
Als wir schon fast an unserem Hauptquartier angekommen waren, fing es wieder an leicht zu regnen, weshalb ich umso mehr auf das Gaspedal trat. Immerhin wollte ich mir nicht den Innenraum meines Jeeps versauen. Das erste, was Morales machen kann, nachdem er sich eingerichtet hat, ist sich um meinen Wagen zu kümmern. Es kann so einfach nicht mehr weiter gehen, dass ich meinen Jeep nur bei gutem Wetter benutzen kann. Sonst hab ich ihn mir ja ganz umsonst herbringen lassen.
Die anderen Mitglieder meiner Einheit, Knight, Dowson, Haggert und Lennard, habe ich heute Vormittag zu einem Lauf um die Insel geschickt. Ich fragte mich, ob sie wohl schon wieder zurück waren, als ich den Jeep in die Garage hinter unserem Hauptquartier fuhr. Die Insel ist ziemlich groß, weshalb es schon eine Weile dauern kann, wenn man eine Runde rundherum joggte. Ich wäre nicht überrascht, wenn sie erst am Nachmittag zurückkommen. Es sei denn, sie machen wieder einen Wettlauf daraus. Ich ermutige meine Leute gerne dazu sich selbst beim Training als Konkurrenz zu sehen, solange sie es nicht übertreiben.

Onkel Jo – äh, CC O’Hara, wie ich ihn wohl jetzt nennen sollte, zeigte Manny und mir das Hauptquartier der Black Sky Einheit, das ein einstöckiger und fast schon Labyrinth artiger Komplex war. Wobei ich vermute, dass das eher unter den Aufgabenbereich des 2.CC fällt, der das vermutlich auch eher weiterdelegieren würde. Aber er ließ es sich nicht nehmen und schickte Nora – äh, 2.CC Staggert nach der langen Reise, die sie hinter sich hatte, zum Auspacken und Ausruhen, damit sie morgen beim ersten Training fit ist.
Zuerst zeigte er uns unsere Schlafquartiere. Manny’s Zimmer lag direkt meinem gegenüber. Während das Fenster meines kleinen Zimmers nach außen in einen dichten dschungelähnlichen Wald hineinzeigte, führte sein Fenster in den Innenhof des Gebäudes, der wahlweise als Exerzierplatz diente. In einer Ecke davon konnte man sogar Basketball spielen. Das Badezimmer wurde sich mit allen geteilt. Nur die Duschen waren zwischen Männer und Frauen getrennt. Und die beiden CC’s hatten natürlich jeweils ihr eigenes Badezimmer. Es gab eine Küche, in der man sich mit Kochen abwechselte. Aber nur zum Abendessen wurde hier gekocht. Die übrigen Mahlzeiten waren je nach Wahl in einer der Kantinen der Anlage einzunehmen oder selbst zuzubereiten. In einem Gemeinschaftsraum waren ein schicker Fernseher, zwei Computer, ein Kicker und ein Billardtisch. Ich glaube hier lässt es sich ganz gut aushalten.
Neben dem Wohnbereich gab es auch einen Trainingsbereich. Ein Fitnessraum, ein Kampf-Dojo und sogar eine eigene Schießanlage, die allerdings nur drei Schießstände hat. Sogar im Freien gab es einen Schießstand, damit wir uns auf alle auf uns zukommenden Witterungsbedingungen vorbereiten können. Ein Schwimmbad, auch mit Außenpool, stand auch zur Verfügung, den sich aber alle Einheiten auf der Insel teilen mussten. Aber der war nicht zum Vergnügen da. Es wurde nämlich auch von uns verlangt auf Wassergefechte vorbereitet zu sein. Das alles klang sehr interessant und ich freute mich schon sehr auf mein erstes Training morgen.
Ich begleitete dann noch CC O’Hara und Manny aus Neugier heraus, als er ihm die Garage zeigte. Hier standen drei Humvee’s und Jo’s Jeep herum. Außerdem jede Menge Werkzeug an den Wänden. Hinter dem Quartier befand sich sogar ein Helikopter auf seinem eigenen Landeplatz. Und ein Bootshaus, in dem wahrscheinlich auch ein Boot hauste. Das Quartier lag nämlich direkt am Rand der Insel. Leider hatten wir hier keinen Sandstrand sondern nur Steine. Aber ich schätze, mit faul in der Sonne herumliegen war hier sowieso nichts.
„Puh, ich … hab’s geschafft … und … lebe noch.“, stöhnte einer völlig außer Atem, als wir wieder zurück ins Haus kamen. Der Mann keuchte vor Atemlosigkeit und schwankte auf die Couch im Gemeinschaftsraum.
„Haggert.“, grüßte Jo ihn. „Schon wieder da? Wo haben sie denn die anderen gelassen?“
„Weit hinter mir, …Sir.“, brachte er schwer atmend hervor. „Huch, ich fall gleich in Ohnmacht.“
„Zeigen sie mal her.“, sagte Jo und trat auf Haggert zu, der ihm jetzt seine linke Hand entgegen streckte. Jo nahm sie und begutachtete eine Art Schweißband, das aussah, als habe es einen Minicomputer integriert. Ich erinnerte mich daran, dass wir dieses Ding mal in der Akademie kurz durchgenommen hatten. Es war eine neue technische Errungenschaft von N-Corp. das alle medizinischen Daten des Trägers beinhaltet, neue speichert und sofort eine Auswertung ausspuckt. Es befand sich noch im Beta-Test, weshalb nur Angestellte von N-Corp. so ein Ding haben. Noch ist es nämlich nicht auf dem Markt. Aber das lässt sicher nicht mehr lange auf sich warten.
„Nicht schlecht.“, urteilte Jo und ließ Haggerts Hand fallen, als sei er tot. Tatsächlich ließ sich der erschöpfte Mann gleich komplett auf die Couch sacken. „Es fehlt nicht mehr viel und Sie haben den Rekord von Applebaum geknackt. Aber Vorsicht, mittlerweile gibt es scharfe Konkurrenz. Bei Tanner von Red Sky dauert es bestimmt auch nicht mehr lange.“
„Ach kommen sie schon.“, jammerte Haggert. „Der ist ja auch viel jünger als ich.“
„Drei oder vier Jahre, wenn ich mich nicht irre.“, meinte Jo. „Ach übrigens, das sind ihre neuen Kollegen.“ Haggert quälte sich stöhnend hoch und drehte sich zu uns um. „Spec. Off. Manny Morales“, er deutete auf Manny und dann auch mich, „und Rek. Patrick O’Hara.“
„Tz.“, machte Haggert und schüttelte amüsiert den Kopf. „Ein Rek. auf der Insel. Dass ich das noch erlebe. Freut mich Jungs. Wenn ihr mich aber jetzt entschuldigt…“, sagte er und erhob sich ächzend, „…ich brauch Wasser und leg mich dann hin zum Sterben.“
„Aber dusch vorher.“, rief ihm Leo hinterher, als er aus der Küche kam, die am Gemeinschaftsraum angrenzte. „Du stinkst nämlich.“
„Sei du lieber ruhig, du faule Ratte.“, hörten wir Haggert zurückgeben.
„Candal, wir reden in einer Stunde in meinem Büro. Klar?“, sagte Jo zu Leo, der sich gerade vor den Fernseher setzte.
„Ja, Sir.“, sagte er und klang dabei nicht besonders zufrieden. Bekommt er etwa ärger? Ich hatte nämlich auf der Fähre mitbekommen, dass er wegen eines dummen Unfalls eine Weile Dienstunfähig war. Innerlich würde ich lachen, wenn er Ärger bekäme, nachdem, was er Manny und mir angetan hat.
„Vorher will ich mit Ihnen reden, O’Hara.“, meinte Jo. Im ersten Augenblick hatte ich mich gar nicht angesprochen gefühlt, weil er mich siezte. Aber dann fügte er an mich gewandt hinzu, „In Ihrem Quartier?“. Da hab ich es dann kapiert, dass ich gemeint war. Ich schätze ich muss mich erst noch daran gewöhnen, dass er mich fortan nicht mehr mit Vornamen anspricht. „Sie sind vor dem Abendessen dran, Morales.“, sagte er noch zu Manny, als ich ihm in Richtung meines Zimmers folgte. „Bis dahin sind Sie freigestellt.“
„Ja, Sir.“, erwiderte Manny.

Sein Zimmer war kleiner als meines, viel kleiner. Ich konnte mich noch gut daran erinnern, als ich meine Zeit in einer urbanen Eliteeinheit fristete. Urban deshalb, weil ich Familie hatte, die ich nicht so einfach auf eine der abgegrenzten Anlagen von N-Corp. mitschleppen konnte. Zum einen, weil Maggie damals noch eine normale Ärztin war und nicht für N-Corp. arbeiten wollte, und zum anderen, weil wir immerhin einen Sohn hatten, der in die Schule musste. Schon oft wurde mir eine Beförderung angeboten, die ich eigentlich hätte annehmen können, als Dennis aufs College ging. Meine Ehe mit Maggie war ohnehin damals schon eine Fars. Wir verstanden uns schon lange nicht mehr. Trotzdem habe ich aber auch dann nicht die Gelegenheiten angenommen. Ich weiß nicht genau warum nicht. Vielleicht hatte ich Angst mich damals von Maggie zu trennen, oder dass sie nicht mitkommen würde, wenn ich sie darum bat. Das war kompliziert und ich denke nicht gerne darüber nach.
Jedenfalls vermisse ich diese kleinen Zimmer nicht. Denn obwohl ich schon damals ein Haus mit meiner Familie bewohnte, musste ich oft auch auf meinem Posten bleiben, weshalb ein Zimmer direkt vor Ort nötig war. Als Dennis aufs College ging, blieb ich dann öfter als notwendig auf meinem Posten. Das war wohl schon der Anfang unserer Trennung … aber egal.
Ich forderte Patrick auf auszupacken, während ich die eher spärlich ausfallende Aussicht aus seinem Fenster genoss. Man musste sich schon weit recken, wenn man etwas außer Wald sehen wollte. Und selbst dann sah man nur auf eine leere Straße und noch mehr Wald. Aber eigentlich war es schön ruhig hier draußen. Manchmal sogar etwas zu ruhig.
„Ich weiß, die Situation ist nicht ganz einfach.“, sagte ich gedankenverloren.
„Was meinen Sie, Sir?“, fragte Patrick. Überrascht sah ich ihn an und musste lachen.
„Du musst mich nicht siezen, wenn wir alleine sind.“, versicherte ich ihm. Wir sind immer noch eine Familie.
„Sie sind meine Vorgesetzte.“, erwiderte Patrick stur.
„Patrick.“, ermahnte ich ihn sanftmütig.
Patrick schmiss die Hosen, die er gerade in seinen Schrank packen wollte, auf sein Bett und fuhr mich an, „Dann hättest du mich nicht in deine Einheit holen sollen!“ Mit wütendem Blick starrte er mich nieder. Ich hatte seine Stimmung falsch interpretiert. War er schon am Hafen wütend gewesen?
„Was ist los?“, fragte ich ihn so ruhig wie möglich.
„Was los ist? Das sollte ich wohl eher dich fragen!“, schrie er mich an. „Warum hast du verhindert, dass in die Red Sky Einheit komme?!“
„Also darum geht es.“, sagte ich. „Ich nehme an, du hast es in deiner Akte gelesen.“
Vielleicht hatte ich unbewusst mehr Autorität in meine Stimme gelegt als ich eigentlich vorhatte, aber Patrick wirkte jetzt eingeschüchtert, als er sagte, „Ist doch egal woher ich es weißt. Sag mir einfach warum du mir so eine Chance vermasselst.“
Ich seufzte. Kann ich ihm die Wahrheit sagen? Oder würde sie ihn verletzen? „Ich hielt es einfach für zu früh.“
„Zu früh? Meine Ausbilder in der Akademie hielten es für eine gute Idee. Sonst hätten sie mich wohl kaum vorgeschlagen.“, beharrte Patrick eisern … und eingeschnappt. Dass er eingeschnappt war, bekräftigte mich in meinem Urteil, dass es für ihn zu früh war in die Red Sky Einheit zu kommen.
„Die kennen dich eben nicht so gut wie ich.“, sagte ich.
„Genau, du warst ja auch jeden Tag der letzten vier Jahre an meiner Seite.“, sagte Patrick kampflos und sammelte seine Hosen wieder ein. War er denn immer noch sauer, dass…? Hab ich ihm etwa so viel bedeutet, dass er es mir heute noch nachträgt, dass ich ihn damals wieder zu seinen Eltern geschickt habe? „Hältst du mich für einen Loser? Ist es das? Oder für psychisch nicht ganz fit?“, fragte Patrick wieder herausfordernd.
„Das hat rein gar nichts damit zu tun.“, sagte ich mit Autorität. „Es ist allgemein zu früh für einen Neuling in eine Eliteeinheit zu kommen. Egal wie gut er sich in der Ausbildung macht. Es fehlt ihm einfach an Erfahrung.“ An dieser Stelle hielt ich es für besser zu gehen, obwohl ich eigentlich nicht mit ihm darüber gesprochen hatte, worüber ich mit ihm sprechen wollte. Aber es war ja nichts Wichtiges. Eigentlich nur Geplänkel zwischen Onkel und Neffe.
„Ich werd‘ euch schon allen zeigen, dass ich niemanden brauche, der auf mich aufpasst.“, sagte Patrick, als ich gerade die Tür hinter mir zu ziehen wollte.
Ich stand einen Moment vor der geschlossenen Tür und dachte, da bin ich gespannt, bis die nächsten von ihrem Jogging um die Insel zurückkamen.


5.


Es hatte fast etwas von einem Fest, das Abendessen. Wir grillten im Exerzierhof und durften ausnahmsweise auch Bier trinken, was hier sonst eigentlich verboten ist. Aber es schien etwas Besonderes für die Einheit zu sein, dass sie endlich wieder komplett war, nachdem eine im Urlaub, einer Dienstunfähig und zwei neu waren.
Außerdem war es eine gute Gelegenheit die anderen besser kennen zu lernen. Die Truppe bestand jetzt aus sieben Männern (Manny, Jo, Leo und mich miteingeschlossen) und zwei Frauen (Nora Staggert miteingeschlossen).
Haggert hieß mit Vornamen Daniel, was eigentlich nicht weiter von Belang ist, weil sich hier ohnehin alle nur mit Nachnamen anreden. Er war achtundzwanzig und seit drei Jahren in der Einheit. Davor war er in einer Urbanen Eliteeinheit, wie Jo früher auch. Haggert war der mit Abstand sportlichste in der Truppe und ich erfuhr, dass er eigentlich ein Footballstipendium für die Uni hatte, das er aber aufgab um so bald wie möglich gutes Geld zu verdienen, weil er seine damalige High School Freundin geschwängert hatte, die er jetzt unterstützte, obwohl sie schon lange nicht mehr zusammen waren. Mit seinen Eltern hatte er ein Deal. Sie würden sich um das finanzielle kümmern, bis er mit der zwei jährigen Ausbildung an der Akademie fertig war und das selbst übernehmen könne. Heute ist seine Tochter elf Jahre alt und er spricht mit ihr täglich per Internetbildtelefon. Er zeigte mir sogar ein Bild von ihr, das er in einem Medalion immer um den Hals trug. Sie war wirklich niedlich.
Neben Leo und Haggert gab es noch einen weiteren „normalen“ Off. Sein Name ist Luis Lennard. Er ist ein Jahr älter als Haggert und schon seit sechs Jahren in der Einheit. Also noch länger als Jo hier überhaupt herkam. Lennard war vorher als einfacher Wachdiensthabender in einer N-Corp. Niederlassung in Miami stationiert. Dort bewachte er mit seinem Bruder ein Entwicklungsbüro, in dem N-Corp. Mitarbeiter neue Autos entwickeln. Er hielt diese Arbeit für ziemlich langweilig und ermüdend, weil er oft Nachtdienst hatte.
Dann gab es da noch die beiden Spec. Off.‘s neben Manny. Einer davon war Max Dawson, sechsundzwanzig. Sein Fachgebiet sind Computer und ähnliches. Man kann ihn auch als Navigator einsetzen. Dawson wurde sogar für die N-Corp. Akademie angeworben. Damals war er erst sechzehn und hatte die Aufmerksamkeit der Sicherheitsleute auf sich gezogen, als er einen Hackversuch in einen von N-Corp.‘s Servern fast geschafft hatte. Eigentlich wollte man ihn dann quasi zum Schutz der Server ausbilden lassen. Doch während seiner Ausbildung zeigte er die Ambitionen zu einem Mitglied einer Eliteeinheit zu werden. Trotzdem musste er zuvor noch zwei Jahre in der Serversicherheit arbeiten, bevor er hier her kommen konnte. Er gab mir gegenüber zu, dass er ein wenig eifersüchtig ist, dass ich sofort in eine Eliteeinheit kommen durfte. Und er war gespannt, wie alle anderen, wie ich mich machen werde. So langsam spürte ich eine ziemlich starke Last auf meinen Schultern ruhen. Ich war ziemlich unter Druck gute Leistungen an den Tag zu legen, sonst würden mich die anderen wohl in Zukunft aufziehen und nicht gut in die Gruppe aufnehmen, weil sie nicht verstehen, warum ausgerechnet ich als Neuling diesen Testlauf machen sollte. Nur weil ich der Neffe meines Onkels bin?
Als ich mich aber dann mit Keira unterhielt, ließ der Druck etwas nach. Oder ich verspürte ihn wenigstens nicht mehr so stark.
„Keira Knight?“, fragte ich, als sie sich mir vorstellte. „Du meinst, wie die Schauspielerin?“
„Urgh, nein!“, würgte sie aus. „Die Frau heißt doch Knightley. Außerdem ist die mehr als doppelt so alt wie ich.“
„Spieglein, Spieglein an der Wand…“, fing Leo an, der neben Keira saß.
„…wer ist die schönste im ganzen Land.“, vollendete Haggert scherzend den Satz.
„Knight ist ein wenig oberflächlich.“, meinte Leo lachend, als Erklärung für sein Zitat aus einem Kindermärchen, das ganz zufällig immer mein Lieblingsmärchen war. Doch heute weiß ich gar nicht mehr so recht warum das eigentlich so war. „Sie mag es nicht mit alten Schachteln verglichen zu werden.“
„Ach sei doch ruhig, du Idiot.“, sagte sie und schlug ihn auf den Hinterkopf, lachte dabei aber auch.
Ich mochte Keira. Sie schien unkompliziert zu sein. Außerdem hatte sie etwas an sich, was ich besonders … interessant fand. Sie ist auch ein Spec. Off. und ihr Fachgebiet ist der Nahkampf mit und ohne Waffen. Ich musste zugeben, dass das meine Fantasie schon ein wenig in Wallungen brachte, vor allem, weil sie nicht gerade hässlich war. Ganz im Gegenteil, sie war sogar sehr attraktiv. Und wie mir schien war ich nicht der Einzige in der Runde, der dieser Meinung war. Genau wie Staggert war Keira sehr stark, was sie wohl auch sein musste, wenn sie ein Spezialist in Sachen Kampf ist. Aber von ihrem äußerlichen Erscheinungsbild wirkte sie auf dem ersten Blick … na ja, schwach und zerbrechlich. In einem Kampf war dies bestimmt ein Vorteil für sie, da man sie leicht unterschätzen konnte. Keira erzählte mir, dass sie schon seit ihrer Kindheit immer wieder verschiedene Kampfsportarten ausprobiert. Momentan war sie ganz begeistert von Caboirera, der brasilianischen Tanzkampfkunstart. Leider fand sie nur keinen Kampfpartner, mit dem sie sich damit richtig austoben könnte. Nach ein paar Bierchen sagte ich zu, dass ich es versuchen würde, wodurch ich sofort von Leo durch den Kakao gezogen wurde. Aber ich ließ mich nicht unterkriegen und flirtete weiter mit Keira. Natürlich behielt ich dabei im Hinterkopf, dass eine Beziehung oder auch nur ein One-Night-Stand mit einer Frau aus derselben Einheit bestimmt keine gute Idee war. Aber ein wenig Spaß beim Flirten konnte ich mir ja wohl erlauben, oder?
Feuchtfröhlich ging der Abend weiter und zog sich in die Länge, bis wir schließlich von Jo, der den ganzen Abend etwas abseits von uns saß und in einer Akte las – wahrscheinlich meine Akte, die ich nicht lesen durfte – ins Bettchen geschickt wurden, weil wir morgen Früh das erste gemeinsame Training haben. Ich muss schon sagen, ich war sehr überrascht, dass das Bett so bequem war. Die Betten, die man uns in der Akademie zumutete waren ein Witz und kaum als Bett zu bezeichnen, so hart und durchgelegen waren die. Nein, am Bett lag es bestimmt nicht, dass ich so schlecht geschlafen habe. Immer wieder wachte ich aus dem Halbschlaf auf, beinahe im halbstündigen Rhythmus. Normalerweise erging es mir nur so, wenn ich besonders nervös war. Aber ich konnte ehrlich behaupten, dass ich keine besonders große Nervosität verspürte. Und das obwohl ich unter ziemlichen Leistungsdruck stand, was das erste Training morgen anging.
Lag es dann vielleicht an der neuen Umgebung? Oder eventuell an dem Traum, den ich trotz meines ständigen Erwachens die ganze Nacht hindurch zu träumen schien? Ich hatte absolut keine Ahnung. Nur komisch fand ich, dass ich mich am nächsten Morgen nicht an den Traum erinnern konnte. Ich wusste, dass ich geträumt hatte, nur nicht was ich geträumt hatte.
So stieg ich also morgens übermüdet aus dem Bett. Ich stand früher auf als die anderen, weil ich mir dachte, dass ich sowieso nicht mehr weiter schlafen konnte. Also ging ich lieber gleich duschen und trank einen Kaffee, um mich halbwegs munter für den Tag zu machen. Hoffentlich schlafe ich während des Trainings nicht ein.

Es weckte mich mitten in der Nacht. Die Digitaluhr auf meinem Nachttisch sagte mir, dass es erst ein paar Minuten nach Mitternacht sei. Ich war schon seit über drei Stunden im Bett, als mich dieses Gefühl weckte. Es war nicht ungewöhnlich für mich, dass ich die Träume anderer träumte. Besonders nicht, wenn sie in meiner Nähe schliefen und träumten. Aber sonst war ich immer wach. Es beunruhigte mich fast, dass ich diesmal durch den Traum eines anderen aufgeweckt wurde.
Sollten die Ärzte etwa Recht behalten? Wurde ich wirklich stärker? Entwickeln sich meine besonderen Fähigkeiten, wie sie sie immer nannten, wirklich weiter? Ich bin nicht dumm und auch längst nicht so kindisch wie sie denken, aber ich ließ sie gerne in dem Glauben, dass ich so wäre. Trotzdem hatte ich nie darüber nachgedacht, was passieren würde, wenn sich meine Fähigkeiten wirklich ausbauten. Eine kleine Stimme tief in mir drinnen fragte sich, wozu ich eigentlich noch fähig sein würde. Und würde ich womöglich genauso begabt werden wie Caya, wenn ich erst einmal so alt bin wie sie? Die Ärzte denken das jedenfalls.
Ich weiß gar nicht ob ich das überhaupt will, so begabt sein wie Caya. Ich will nicht auch irgendwann in so einem durchsichtigen Kasten landen wie sie nur weil die Ärzte vor mir Angst haben. Denn ich weiß, dass der Kasten nicht ausschließlich wegen ihrer Gesundheit da ist. Er soll sie am Leben erhalten, denken die Ärzte immer. Aber nur wenige von ihnen wissen, dass dieser Kasten sie auch unter Kontrolle halten soll. Ich finde es merkwürdig, dass sie nicht genau wissen, ob sie wegen ihres Zustandes außer Kontrolle gerät, aber auch nicht weiter in diese Richtung forschen. Denn ich weiß auch, dass der leitende Arzt keine besonders große Angst vor Caya hat. Er hat eher Angst, dass seiner Arbeit etwas passiert, als dass sie ihm wehtun könnte. Bin ich wirklich der einzige der weiß, dass sie das wirklich kann?
Ich schlug die Bettdecke auf und kroch aus dem viel zu großen Bett. Die Bettwäsche die sie mir immer geben kann ich nicht ausstehen. Irgendwelche Comicfiguren waren darauf gedruckt. Aber ich mache mir absolut nichts aus solchem Zeug. Warum also wollen sie mich unbedingt dazu bringen es zu mögen? Ich sehe keinen Sinn dahinter. Und der Sinn, den die dahinter sehen, war auch schwachsinnig. Die Leute haben doch viele Jahre studiert und müssten eigentlich sehr klug sein, wenn sie Ärzte sind. Wie ist dann nur möglich, dass ich sie für irgendwie dumm hielt?
Hm, vielleicht liegt es einfach daran, dass ich anders bin.
Die Kamera machte wie immer ein surrendes Geräusch als sie mir durch den dunklen Raum folgte. Früher hat mich das rote und immerzu leuchtende Lämpchen daran gestört, sodass ich als kleines Kind nicht einmal einschlafen wollte. Aber mittlerweile hatte ich mich daran gewöhnt. Auch an das surren. Ich glaube im Leben kann man sich an alles gewöhnen, wenn es nur lange genug da war. Und das Lämpchen und das Surren begleiteten mich schon seit ich sechs Jahre alt war, was jetzt schon vier Jahre her ist. Ich hatte mich auch an meinen strengen Tagesablauf gewöhnt. Die vielen Untersuchungen, die begrenzte Zeit, in der ich mal ein normales Kind sein durfte, und das Lernen. Ich wünschte nur, ich könnte vergessen, dass ich Eltern habe – oder hatte, die mich hier her gebracht haben. Aber weil ich bin, was ich bin, kann ich nicht vergessen. Ich erinnere mich sogar noch ganz klar an meine eigene Geburt, an die sich kein normaler Mensch erinnern dürfte.
Ich klappte den Klodeckel in meinem kleinen Badezimmer hoch, zog meine Hose runter und ließ laufen. Als ich das Klo hier das erste Mal benutzt hatte, hab ich noch daneben gezielt, was das Putzpersonal ekelte. Heute schaffe ich es ohne Spritzer. Aber manchmal zielte ich absichtlich daneben um sie zu ärgern.
Hier im Badezimmer war auch eine Kamera, mit der sie mich beobachten. Mir machte es nichts aus, dass sie mich sogar nackig beim Duschen aufzeichneten. Ich kannte die Überwachungsleute mittlerweile ganz gut, obwohl ich ihnen noch nie persönlich begegnet war. Und deshalb wusste ich, dass sie mir nicht absichtlich zuschauten, wenn ich in meinem Zimmer oder Badezimmer nackig war. Oft sahen sie sogar auf einen anderen Bildschirm, wenn sie merkten, dass ich mich auszog um zu duschen oder aufs Klo zu gehen.
Dennoch machte es ein paar Ärzte nervös, dass die Wachleute mich in jeder Lebenslage beobachteten. Im Allgemeinen dachten so die nettesten Ärzte, die ich am meisten mag. Wie zum Beispiel Dr. Raquel, Dr. Rashid und Dr. Maggie. Die anderen waren nicht so nett. Sie sehen mich nur als ein Objekt, an dem sie ihre Untersuchungen durchführen müssen. Die meisten von ihnen reden nicht mal direkt mit mir. Mein drei Lieblingsärzte schon. Zum Beispiel hat mir Dr. Maggie von ihrem Sohn erzählt, der vor vier Jahren gestorben ist. Sie sagt immer, dass ich sie irgendwie an ihn erinnere und das macht sie dann immer traurig. Wenn sie traurig ist, bin ich es meistens auch. Aber dann denke ich daran, dass sie gar nicht weiß, dass Dr. Raquel mal mit ihrem Sohn zur Schule gegangen ist. Ich finde es witzig, dass sie keine Ahnung hat. Obwohl sie es wohl gerne wissen würde. Aber ich kann es ihr nicht sagen, weil ich Dr. Raquel versprochen habe es für mich zu behalten. Und ich halte meine Versprechen.
Als ich mir schließlich unbekümmert ein Glas Wasser aus dem Wasserhahn im Badezimmer einschenkte – das Händewaschen hatte ich bewusst unterlassen, um den Wachleuten etwas zum Reden zu geben – wusste ich, was das für ein Traum war, der mich aufweckte, und woher er kam. Es war das erste Mal, dass sie ein Lebenszeichen von sich gab. Die Ärzte glaubten, dass sie in ihrem Bewusstsein erstarrt ist, aber jetzt glaube ich das nicht mehr. Mit Caya stimmt etwas nicht. Hat sie irgendwas erschreckt? Ich konnte jetzt deutlich fühlen, wie aufgeregt sie war, obwohl sie in einem ganz anderen Teil des Labors ist. Für einen normalen Menschen war sie nicht besonders aufgeregt, nur für ihre eigenen Verhältnisse. Zum Beispiel waren die Snyders viel aufgeregter, als sie merkten, dass sie ineinander verliebt waren. Vor zwei Jahren haben sie geheiratet, sind aber immer noch sehr aufgeregt, wenn sie zusammen sind. Und auch Dr. Maggie ist aufgeregt, wenn sie an ihre zerbröckelte Familie dachte, nur irgendwie auf eine andere Art.
Soll ich es jemanden sagen, dass Caya etwas zu stören scheint? Sie würden es von mir erwarten. Aber was würde Caya wollen? Warum hatte ich den Eindruck, dass sie nicht will, dass ich es jemanden wissen lasse? Fühlt sie sich nicht auch so eingesperrt wie ich?

Gerade, nach abnorm vielen Überstunden, die ich mir heute bis tief in die Nacht – tief in den nächsten Morgen hinein zugemutet hatte, und ich mich wohlverdient ins Bett legen wollte, klingelte das verdammte Telefon. Vor Wut darüber, dass man mir nicht meine dringend benötigte Ruhe gönnte, stöhnte ich, streckte mich aber nach dem Hörer des Telefons neben meinem Bett. Ich rieb mir die übermüdeten Augen und fragte wer mich störte.
„Dr. Cummings, entschuldigen sie die, äh, frühe Störung“, meldete sich eine Stimme am anderen Ende der Leitung, die mir nur entfernt bekannt vorkam. „aber sie müssen so schnell wie möglich ins Labor kommen.“
„Was um alles in der Welt sollte es denn so wichtiges-“, schimpfte ich, wurde aber unterbrochen.
„Es ist da etwas, äh, mit Proband Delta passiert.“, sagte die Stimme nervös. Mit Caya?! Nun, das ist wichtig.
„Ich komme sofort.“, sagte ich und legte auf, ohne überhaupt zu fragen, was passiert sei. Es war schon erstaunlich genug für mich, dass überhaupt etwas bei ihr passierte. Seit neun Jahren, also seit sie bei uns ist, ist bei ihr nichts passiert. Wir haben immer wieder versucht sie aufzuwecken. Aber bei jedem Versuch ist etwas anderes schiefgegangen, weshalb wir es nicht riskieren konnten, dass sie uns außer Kontrolle gerät, solange wir nicht einen Weg mithilfe der anderen und kooperativeren Probanden finden, der Caya ungefährlich machte, aber trotzdem wertvoll für unser Projekt und die Forschungen. Als wir sie das letzte Mal aufgeweckt haben, weil wir dachten Ethan wäre endlich soweit, dass er sie in Schach halten könne, starb ein Kollege unerwartet. Wir hatten keine Beweise, nicht einmal in den Daten ihrer Werte, dass sie etwas damit zu tun hatte, aber dem war ich mir absolut sicher.
Rasch zog ich mich wieder an, angelte mir meine Schlüssel und verließ meine Wohnung. Mein Wohnhaus lag ganz in der Nähe des Laboreingangs, weshalb ich nur wenige Schritte tun musste um zur ersten Sicherheitskontrolle zu gelangen. Unaufgefordert hielt ich meine ID-Card, die an meinem Schlüsselbund hing, damit ich sie immer Griffbereit hatte, an den Scanner der aus Sicherheitsglas bestehenden Tür, die sich sogleich mit einem surrenden Geräusch öffnete. Die drei diensthabenden Wachleute grüßten mich überrascht, aber ich ignorierte sie. Vor nicht einmal zwei Stunden hatte ich das Gebäude erst verlassen und war jetzt nicht zu unnützen Höflichkeiten aufgelegt. Vor allem wenn etwas mit meinem wichtigsten Forschungsobjekt passierte und ich noch nicht wusste was es war oder ob es wichtig war.
Die beiden nächsten Sicherheitskontrollen, die rein mechanisch abliefen, überwand ich auch schnell, sodass ich bald in Ebene vier bin, in der das Mädchen lag.
„Was ist mit ihr?“, fragte ich sobald ich die Tür zum Überwachungsraum von Cayas Quartier öffnete.
„Dr., ihre Werte.“, sagte Cox, der die heutige Nachtschicht übernommen hatte. Es war seine Stimme, die ich mich am Telefon über Caya informiert hatte. „Sie sagten, Sie wollten sofort unterrichtet werden, wenn sich an ihren Werten auch nur eine geringfügige Änderung bemerkbar macht.“
„Ich weiß selber was ich gesagt habe.“, sagte ich ihm ungeduldig. „Was ist denn nun mit ihren Werten?“ Ich scheuchte ihn von seinem Platz um mir den Überwachungsbildschirm der Cayas Werte aufzeigte genauer ansehen zu können.
Ich hatte beinahe erwartet, dass sie von ganz alleine aufgewacht sei. Aber ihre Werte zeigten nur eine geringe Veränderung, was auf eine niedrige Aktivität ihres Bewusstseins schließen ließ. Noch weiß ich nicht was das zu bedeuten hat, aber ich hoffte inständig, dass sie nicht aufwacht, da ich nicht wüsste, was uns dann blühen würde. Caya kann gefährlich werden – besonders für sich selbst. Und ich kann keinesfalls riskieren, dass meinem wertvollsten Forschungsobjekt etwas passiert. Schon in ihrem komatösen Zustand, in den wir sie hielten, hat sie uns jede Menge nützlicher Daten ihrer Gehirnströme und –aktivitäten übermittelt. Wenn wir dann auch noch schaffen könnten sie im bewussten Zustand unter Kontrolle zu halten, sodass sie sich nicht selbst verletzte… Nicht auszudenken wie weit das unsere Forschungen voran bringen wird.
Ihre Gehirnströme machten mich stutzig. Wodurch wurde das nur ausgelöst?

Keira und Manny waren nach mir die ersten, die aufwachten. Einen Weckruf für alle gab es nicht, da man erwartete, dass jeder zum Morgentraining, das um zehn Uhr morgens anstand, selber wach werden konnte. In der Akademie fing mein Tag immer viel früher an, weshalb das eine willkommene Abwechslung war. Aber dafür ging der Tag auch länger, da das Abendtraining erst bei Einbruch der Dunkelheit stattfand, was in den Sommermonaten ziemlich spät werden konnte. Da kann es schon mal passieren, dass wir bis nach Mitternacht trainieren. Und weil man so aufgeheizt, wie man dann ist, nicht unbedingt gleich schlafen kann, wurde es eigentlich noch später, bis man ins Bett kommt.
Ohne auf die anderen zu warten, nahm Keira Manny und mich in die nächste Kantine zum Frühstücken mit. Wir fuhren mit einem der Humvee’s über eine ungeteerte Straße, dieselbe Straße, die uns vom Hafen bis hier her geführt hatte und noch weiter ging. Unser Weg führte in die entgegensetzte Richtung des Hafens, weshalb wir die weiterführende Straße erkunden konnten. Hier war der Wegrand auch von lauter Bäumen gesäumt. Irgendwann auf halben Weg zwischen Hafen und Black Sky Quartier hatte der dichte Dschungel angefangen und ließ absolut nichts durch sich hindurch blicken. Es gab nicht einmal einen Anhaltspunkt darauf, ob sich auf dieser Insel noch mehr Zivilisation befand oder nicht. Als ich hier her unterwegs war, hatte ich zumindest ein paar hohe Schornsteine erwartet, die aus dem dichten Dschungelgewirr heraus ragten. Aber Fehlanzeige. Andererseits war das hier auch keine Produktionsstätte. Die befanden sich nämlich auf dem Festland, wo das ausliefern die Firma wesentlich billiger kam, als ständig mit einer oder mehrerer Fähren hin und her zu schippern.
Irgendwann öffnete sich schließlich der Wald vor uns und eine Ansammlung von Gebäuden tat sich dort auf. Sie waren alle nicht sehr hoch, weshalb es auch nicht unbedingt möglich war sie über den Baumwipfeln auszumachen. Das höchste war drei Etagen hoch und war, laut Keira, eines der Wohngebäude, in denen die Angestellten der Insel wohnten. Sie erzählte auch, dass viele der Angestellten, die Familie hatten, ihre Dienste so legten, dass sie drei Wochen ohne freien Tag arbeiteten, damit sie dann fast eine ganze Woche bei ihrer Familie auf dem Festland verbringen konnten. Es muss hart sein so lange von seiner Familie so weit entfernt zu leben. Aber ich schätze das Geld, das man hier verdienen konnte, macht alles wieder wett. So hat man die Möglichkeit seiner Familie ein schönes Leben zu finanzieren. Und wenn man regelmäßig mit ihnen Videotelefoniert bis man sich wiedersieht, ist die Entfernung auch nicht mehr ganz so schlimm. Allerdings spreche ich nicht aus Erfahrung, weshalb meine Meinung eigentlich auch nicht relevant ist.
Die beiden einstöckigen Häuser waren zum einen die Kantine, die Keira ansteuerte, und zum andern eine Art Supermarkt. In diesem Supermarkt konnte man vom Festland bestellen, was man wollte. Kleidung, Lebensmittel, Unterhaltungsgegenstände und vieles mehr. Dort waren digitale Kataloge, die so gut wie jede Ware, die man auf dem Festland – natürlich nur legal – erwerben konnte, aufgeführt. Außerdem holt man sich die Sachen dort auch ab, genau wie seine Post, die man dort auch aufgeben konnte.
Die Kantine war nicht einfach nur eine Kantine. Sie war in verschiedene Bereiche geteilt. Da gab es ganz klar den Speisenbereich, in dem Frühstück, Mittag- und Abendessen serviert wurde. Auch Snacks konnte man sich dort spontan besorgen. Gebäck, ein Sandwich für zwischendurch, Süßigkeiten oder Knabberei. Und ganz wichtig, Zigaretten. Viele bestellen sich ihre Zigaretten zwar im Supermarkt, aber wenn dann doch mal der eigene Vorrat aufgebraucht ist geht das große Tauschen los. Und um einen Schwarzmarkthandel klein zu halten, bot man hier auch einzelne Zigarettenschachtel billiger an, als man sie sonst bekam. Mich beschäftigte dieses Problem aber nicht. Ich war Nichtraucher. Auf der Akademie war Rauchen auch verboten, sodass ich gar nicht angefangen – oder zumindest wieder aufgehört – hätte. Auch später, wenn man die Akademie hinter sich ließ und anfing für N-Corp. zu arbeiten, war Rauchen verboten. Immerhin hatte die Firma viel Geld in unsere Ausbildung gesteckt und wollte nicht zusehen, wie wir unsere Lungen kaputt pafften. Sollte man doch anfangen zu rauchen, wurde einem die Pension gekürzt, die einem nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses erwartete.
Hinter dem Speisenbereich der Kantine erstreckte sich eine Bar, die räumlich abgegrenzt war und nur alle zwei Tage geöffnet war. An der Seite des Gebäudes tat sich noch ein weiterer Raum auf, der nur aus Glaswänden und einem Glasdach bestand. Auf dem ersten Blick sah es aus wie ein Wintergarten. Es war aber ein Aufenthaltsraum, wie der den wir im Quartier hatten nur etwas größer. Es gab Computer, Fernseher, diese Retro Spielautomaten und Flipper, Billard, Kicker, Airhocky und eine kleine Bibliothek, bestehend aus Büchern aller Art, wie zum Beispiel Sachbücher, Romane, Biographien und Zeitschriften. Ich bin keine besonders große Leseratte, das traf eher auf meinen Bruder Phil zu. Allerdings war ich begeistert davon zu erfahren, dass sich im Keller der Kantine eine Bowlingbahn befand. Früher bin ich immer gerne zum Bowling mit meinen Freunden gegangen. Das musste ich hier auch unbedingt mal ausprobieren.
Leider konnte ich mir nicht genau auswählen, was ich zum Frühstück haben wollte, wie die normalen Angestellten, was ich aber schon von der Akademie her gewöhnt war. Dort wurden alle Kadetten auf spezieller Diät gesetzt, die sich jetzt, wo ich zu einer Eliteeinheit gehöre weiterführt. Das normale Wachpersonal hingegen konnte essen was es wollte. Ungerecht, aber notwendig. Wir wären keine Elite, wenn wir nicht alles tun würden um bei Kräften und Gesundheit zu sein. Nur ab und zu gab es mal eine erlaubte Ausnahme.
Doch heute hieß es für mich, wie auch für die beiden anderen, meine Wahl zwischen Haferbrei oder Haferflocken mit Milch oder mit Joghurt zu treffen. Da ich nie ein besonderer Fan von Haferbrei war, den meine Mutter immer machte, wenn ich krank war, was oft schon verhinderte, dass ich überhaupt krank wurde, weil er so eklig war, entschied ich mich für die Haferflocken mit Joghurt. Dazu gab es dann noch eine Schale mit frischem Obst, aus der ich mir jedes Stück Kiwi herauspickte, weil ich die nicht mochte, und dann auch gleich jede Erdbeere, weil ich erst einmal genug davon hatte. Manny ließ die Erdbeeren auch weg, worüber sich Keria sehr freute, weil sie sich unserer Reste gerne annahm.
Nach und nach trudelten auch die anderen unserer Einheit ein und setzten sich zu uns an den Tisch. Weil Leo noch mitbekommen hatte, wie Manny und ich unsere Erdbeeren an Keira abtraten, machte er sich wegen seines Streiches vorgestern auf der Fähre über uns lustig. Eigentlich hatte ich gehofft nach gestern Abend, wo er den anderen davon erzählt hatte, hätte ich endlich meine Ruhe davor. Aber dem war leider nicht so, weshalb ich ernsthaft überlegte mich dafür bei ihm zu revanchieren. Wie, wusste ich nur noch nicht.
Jo ließ sich nicht zum Frühstück bei uns blicken. Es hieß, dass er mit jemanden zum Frühstück verabredet sei, mit dem er noch einige Angelegenheiten zu klären hätte. Offenbar ging es dabei um Manny und mich, weil wir neu auf der Insel waren und noch einige Utensilien brauchten, die uns eigentlich schon längst hätten erreichen sollen. Speziell ich brauchte noch so einiges. Das einzige, das ich vor Dienstantritt bekommen hatte, war meine Uniform. Mir fehlten also noch meine Waffen mit Zubehör, in deren Umgang ich auf der Akademie geschult worden war, mein Wertemesser, den Jo gestern bei Haggert inspizierte, und solche Ausrüstungsgegenstände wie Nachtsichtgerät und ID-Card. Ohne eine ID-Card war es für mich nämlich unmöglich mich auf dieser Insel frei zu bewegen. Würde mich eine mobile Wachpatrouillier ohne ID-Card aufgreifen, würde ich erst einmal im Inseleigenen Gefängnis landen. Und das bedeutete dann jede Menge Papierkram für die Wachleute, für mich und für Jo.
Wir trafen Jo erst wieder im Hauptquartier als wir uns für das Training vorbereiteten. Dort gab er mir meine fehlende Ausrüstung, die er gleich nach seiner Frühstücksverabredung abgeholt hatte. Damit solle ich mich aber erst später vertraut machen, meinte er, erst stand das Training an. Nur den Wertemesser erklärte er mit und auch Manny, der zuvor auch noch nicht so ein Ding benutzt hatte. Man legt das schweißbandähnliche Teil an und verteilt hauchdünne Sensoren an den wichtigsten Stellen des Körpers, die sich über die Haut legen wie eine zweite Hautschicht. Diese Sensoren, die man alle drei Monate auswechseln musste, wurden auf der Brust und am Rücken über dem Herzen angelegt, an der Puls- und Halsschlagader, im Nacken und an der Wade. Ich konnte mir nicht wirklich erklären, was die Dinger am Nacken oder der Wade messen sollten oder konnten. Vielleicht das Gehirn und die Muskeln? Keine Ahnung. Jedenfalls klebte ich das Zeug auf die vorgeschriebenen Stellen. Meine vorhandenen Daten, die noch von der Akademie stammten, waren offenbar schon überschrieben worden. Aber im Laufe der Woche musste ich noch einige Arztbesuche machen, um aktuellere Ausgangsdaten abzuliefern. Und ich dachte, nach den Aufnahmeuntersuchungen und –tests für die Akademie hatte ich das hinter mir. Was soll’s.
Nachdem Nora, Leo, Manny und ich erst seit gestern auf der Insel sind, sollten wir es am Anfang etwas langsamer angehen lassen als die anderen, die gleich einen Hürdenlauf antreten mussten. Wir anderen taten dasselbe wie sie gestern, einmal um die Insel joggen. Da bot sich gleich eine Gelegenheit das Ausmaß der Insel kennenzulernen, da ich noch überhaupt keine Vorstellung davon hatte.
Wir starteten vom Hauptquartier aus in dieselbe Richtung in der die Kantine lag, wo wir gefrühstückt hatten. Es gab eine extra strecke direkt am Rand der Insel, die für das Lauftraining gedacht war. Aber diese stellte eine größere Herausforderung dar, da sie uneben und voller Stolpersteine war. Für den Anfang sollten wir uns erst einmal mit der Fahrstrecke um die Insel vertraut machen bevor wir uns mit der anderen Strecke auseinander setzen.
In der Akademie war meine Fitness einer meiner Stärken, weshalb ich kein Problem mit dem von Nora, die unsere Laufgruppe anführte, vorgegebenen Tempo hatte. Mein persönliches Tempo war sogar etwas zügiger. Und ich konnte es den anderen ansehen – auch Nora – dass das längst nicht alles war, zu dem sie fähig waren.
„Das ist doch langweilig!“, rief Leo jammernd nach einigen hundert Metern. „Wollen wir das Ganze nicht ein wenig interessanter gestalten?“
„Interessanter?“, rief Nora zurück. „Du meinst ein Wettrennen?“
„Na klar.“, rief Leo. „Gib zu, du willst auch sehen, was der Neuling so drauf hat, dass sie ihn uns gleich aufhalsen.“ Er warf mir einen arroganten Blick zu. Das war ganz klar eine Herausforderung an mich.
Nora schwieg für einen Moment in dem sie wohl überlegte, ob sie ein kleines Wettrennen verantworten könne, nur um meine Leistung zu sehen. „Startpunkt ist der Beginn vom Red Sky Gelände.“, rief sie dann. „Ende ist am Beginn vom White Sky Gelände. Klar? Nicht weiter, Candal!“
„Ja, ja.“, meinte Leo sichtlich zufrieden mit seinem Erfolg.
„Wir sammeln uns dann da wieder, falls jemand unterwegs schlappmacht.“, rief Nora weiter. „Und übertreib es nicht, Candal!“ Er ignorierte sie.
Ich hatte zwar keine Ahnung wo das Red Sky Gelände begann und wo das White Sky Gelände, aber ich war mir sicher, dass ich schon merken würde, wann das Rennen losging, wenn die anderen schneller werden. Allzu viel Vorsprung, den ich nicht mehr aufholen könnte, würden sie bestimmt nicht ausbauen können, bevor ich zur Höchstform auflaufe.
Es dauerte noch eine ganze Weile bis wir den Startpunkt endlich erreichten. Doch schon von einigen Metern Entfernung sah ich ein Schild, dass das beginnende Red Sky Gelände auswies. Hatten wir auch so ein Schild? War mir gar nicht aufgefallen.
Weil wir einen fliegenden Start unterwegs ausgemacht hatten, fielen wir nun alle vier in eine Linie, damit niemand einen unfairen Vorsprung von ein paar Metern hatte. Dann ging es los. Sofort kämpften Leo und Nora um die Spitze, dicht dahinter Manny und ich machte das Schlusslicht. Zunächst das Schlusslicht zu sein, war aber volle Absicht von mir. Normalerweise würde ich mich ja als sehr umgänglichen Menschen beschreiben. Aber wenn es um einen Wettkampf ging, konnte ich schon mal ziemlich arrogant werden – so arrogant, dass es mich manchmal sogar den Sieg kostete. Doch jemanden in einem Wettkampf zu demütigen, war ein herrliches Gefühl. Also wollte ich mich ein wenig zurückfallen lassen, um mir die Spitze von ganz hinten in einem Zug zu erkämpfen.
Manny, abgesehen von mir, das Schlusslicht, war etwa zweihundert Meter vor mir, als ich angriff. Ich drehte in wenigen Schritten zum Höchsttempo auf, warf ein Bein nach dem anderen nach vorne, schob mich dann damit voran und zog in dieser Manier bald an Manny vorbei. Ich hatte ihn schon lange hinter mir gelassen, als ich endlich Nora sah. Von ihr aus war es dann auch nicht mehr weit zu Leo, der unsere Gruppe anführte. Ich überholte beide mit – na ja, mit Leichtigkeit wäre jetzt übertrieben, aber ich zog an ihnen vorbei und brachte immer stetig weitere Meter zwischen uns.
Irgendwann sah ich mich zu ihnen um, und sie waren verschwunden. Jetzt hatte ich sie völlig abgehängt, sodass sie mich wohl nicht mehr einholen würden, vorausgesetzt ich behalte mein Tempo bei, was ich auch tat. Denn ich wollte nicht riskieren mir wieder einen arroganten Blick von Leo einzufangen, nur weil ich meiner Sache zu sicher war.
Plötzlich schlidderte ich zu einem abrupten Stopp. Was war das? Hab ich mir das nur eingebildet, oder ist da gerade wirklich etwas über den Weg vor mir gehuscht? Nein, warte, ermahnte ich mich selbst, da ist ein Rascheln im Gebüsch. Ein Tier? Laufen hier Tiere überhaupt rum? Haustiere sind verboten, aber was ist mit wilden Tieren? Gibt es welche auf der Insel?
Wieder etwas! Hinter mir, diesmal. Irgendwie fühle ich mich an einen Horrorfilm erinnert. Fangen die nicht immer so in etwa an. Ein unschuldiger Jogger wird im Wald von einer blutrünstigen Bestie angefallen und bis zur Unkenntlichkeit zerfleischt. Obwohl ich solche Filme zur Genüge kenne und wusste, wie sie endeten, war es nicht die Angst, die mich übermannte. Angst brauchte ich keine zu haben – jedenfalls brauchte ich nicht starr vor Angst zu sein – ich konnte mich verteidigen, auch ohne große Waffen. Es war eher die Neugier, die mich fesselte und erstarren ließ, damit ich meine Gesellschaft irgendwo ausmachen konnte, indem ich sie hörte oder sah.
Noch ein Rascheln! Wieder hinter mir! Ich wirbelte herum … und diesmal erstarrte ich vor Überraschung. Ein Kind? Was macht denn ein halbwüchsiger Junge hier auf der Insel? Ich dachte nur Arbeiter seien hier erlaubt.
„Hab ich dich erschreckt?“, fragte der Junge hochnäsig.
„Nein.“, sagte ich und schüttelte zusätzlich den Kopf.
Der Junge schnaubte und setzte sein arrogantes Grinsen auf, zu dem ein Kind in diesem Alter nicht fähig sein sollte. Er war doch höchstens zehn. „Lüg nicht!“
Plötzlich fiel mir ein anderer Film ein, in dem es um die Missetaten eines teuflischen Kindes ging, vor dem alle Angst hatten.
Der Junge lachte. Aber jäh verlor sich die gute Laune in seinem Gesicht wieder. Er neigte den Kopf zur Seite und seine Augen tanzten konzentriert und zugleich unkontrolliert in seinen Augenhöhlen hin und her, auf und ab. Als würde er etwas hören, dachte ich. Schließlich zuckte sein Kopf und er sah hinter sich. Ich konnte da bei weitem Nichts erkennen, aber der Junge rannte an mir vorbei, als sei der Teufel höchstpersönlich hinter ihm her. „Ich muss los!“, rief er aber heiter klingend und verschwand im Dickicht.
Verdutzt blieb ich zurück, bis ich endlich die Stimmen hörte. Ist der Junge vor ihnen davongelaufen? Wie hat er sie denn überhaupt hören können? Hat er etwa das Gehör eines Raubtiers, oder was?
„Ethan!“, schrien die Stimmen. Immer wieder „Ethan!“. War das sein Name? Ethan? Wer war er, und was macht er hier?
„Hände hoch!“, schrie mich plötzlich jemand an. „Und keine Bewegung!“ Ich tat, wie mir geheißen, denn ich konnte die Waffen hinter mir hören, wie sie entsichert wurden.
„Wer bist du?“, fragte mich eine andere Stimme – beide männlich. „Und was machst du hier?“
„Ich mach einen Trainingslauf.“, antwortete ich.
„Wo ist deine ID-Card? – Wenn du so etwas überhaupt hast!“, sagte er erste. Verdächtigen die mich wegen irgendwas?
Der zweite kam zu mir und ging um mich herum, bis er mir ins Gesicht sehen konnte. Er war ein Mann mittleren Alters mit Aschblonden Haaren. Irgendwie stand ihm das nicht so richtig. Mit seiner braungebrannten Lederhaut im Gesicht, sah er aus wie ein typischer Surfer Boy, der nur leider in die Jahre kommt.
„Um den Hals, unter meinem Shirt.“, antwortete ich auf die Frage, wo ich meine ID-Card hatte, als der, der bei mir Stand mich grob anpackte, um mich zu Boden zu zwingen.
Auf der ID-Card, die mir Jo heute Morgen auch mitgebracht hatte, stand nichts weiter drauf. Es war lediglich ein schwarzes Plastikding, das halb so groß war wie eine Kreditkarte. Ein dünner Computerchip war darin eingelassen – den man aber weder sehen, noch erfühlen konnte – auf dem alle Daten gespeichert waren, die man brauchen würde, um mich zu identifizieren.
Als der Wachmann, der bei mir stand, nach meiner ID-Card fummelte, nachdem er mich doch dazu gekriegt hat, dass ich vor ihm mit erhobenen Händen auf die Knie ging, tauchte eine weitere Stimme auf. Eine Stimme, die mir sehr bekannt vorkam, die ich aber schon lange nicht mehr gehört hatte.
„Was ist hier los?“, wollte sie wissen. „Habt ihr ihn gefunden?“
„Maggie?“, fragte ich, um Gewissheit zu haben.
„Patrick.“, sagte sie überrascht. Sie war es wirklich. Ich hatte ja keine Ahnung, dass sie auch auf der Insel arbeitet. Seit der Beerdigung von Dennis habe ich sie nicht mehr gesehen und es wurde zu Hause auch nicht besonders viel über sie gesprochen, nach der Scheidung von ihr und Jo. Seit wann war sie hier? Und hatte das womöglich sogar etwas mit Jo zu tun? „Ich dachte nicht, dass wir uns schon so früh hier begegnen.“, sagte sie und kam zu mir rüber. Zu den Wachen sagte sie, „Lasst ihn in Ruhe, er arbeitet seit gestern hier. Sucht lieber nach Ethan!“
„Jawohl!“, sagten beide Wachmänner im Chor und rannten davon.
Ich klopfte mir den Dreck von den Knien, als ich wieder gefahrenlos aufstand.
„Ich wusste gar nicht, dass du hier auch arbeitest.“, sagte ich. „Jo hat nie was erwähnt. Weiß er überhaupt, dass du hier bist?“
„Es ist nicht so, dass ich ihn um Erlaubnis gebeten habe, aber ja, er weiß dass ich hier bin.“, sagte Maggie. Ich hatte den Eindruck, dass sie sich von mir angegriffen fühlte, hatte aber keine Gelegenheit klar zu stellen, dass das nicht meine Absicht war. „Was tust du hier in diesem Teil der Insel?“
„Ich, äh, war eigentlich auf einem Trainingslauf um die Insel herum.“, antwortete ich.
„Da hast du wohl irgendwann die falsche Abzweigung genommen.“, sagte Maggie. „In die Richtung“, sie zeigte hinter sich, „geht es mitten durch die Insel. Die Strecke nimmt normalerweise niemand zum Laufen.“
„Oh, dann hab ich mich wohl verlaufen.“, musste ich zugeben, fragte aber dann, bevor ich keine Gelegenheit mehr dazu hatte, „Wer war der Junge?“
„Junge?“, fragte sie, war aber nicht im Mindesten darüber überrascht, dass sich hier wohl ein Junge herumtrieb, sondern eher darüber, dass ich ihm begegnet war. „Welcher Junge?“
„Da ist ein Junge aus dem Gebüsch gesprungen auch wieder darin verschwunden.“, sagte ich. „Habt ihr ihn denn nicht verfolgt? Ich dachte Kinder sind hier nicht erwünscht.“
„Ach so, du meinst Ethan.“, sagte sie. Wenig begeistert darüber, dass sei es zugeben muss? „Er ist, äh, der Sohn eines hochrangigen Mitarbeiters, der ab und zu mal zu Besuch kommen darf. Und uns immer wieder in den Wahnsinn treibt.“ Den letzten Teil sagte sie mehr zu sich selbst als zu mir.
„Ach so.“, sagte ich. „Dann hätte ich ihn wohl besser festhalten sollen, oder?“
„Schon gut, wir finden ihn schon. Von der Insel kommt er ja nicht.“
Wir verabschiedeten uns dann und Maggie bat mich aus reiner Höflichkeit heraus, Jo einen schönen Gruß auszurichten. Sie ging zurück in die Richtung, aus der sie gekommen ist. Als sie außer Sicht war folgte ich ihrem Weg. Mir war egal, wohin sie ging, ich wollte ihr ja nicht nachspionieren. Ich dachte mir nur, dass wenn dieser Weg mitten durch die Insel geht, kann ich meinen verlorenen Vorsprung den andern gegenüber wieder ausbauen, wenn ich sie auf der anderen Seite treffe, wo der Hafen liegen müsste, wenn mich mein Orientierungssinn jetzt nicht im Stich ließ. Ich hoffe nur, dass sie am Treffpunkt nicht auf mich warten. Andererseits hatten sie gar keinen Grund dazu, immerhin sollten sie weiterhin davon ausgehen, dass ich vor ihnen war, da sie mich ja nie überholt hatten. Ich joggte also gemütlich auf die andere Seite der Insel und begegnete immer wieder mal ein paar Gebäuden. Ich schätze dort wurde entwickelt und erfunden, was auch immer hier entwickelt und erfunden wurde. Als ich mich dann dem Hafen näherte nahm ich wieder die richtige Strecke zum Hauptquartier auf und legte ein wenig an Tempo zu.
Im Hauptquartier war niemand, aber ich hörte, wie die anderen sich noch immer draußen am Hindernisparcours zu schaffen machten. Ohne mich zurückzumelden ging ich rein und entledigte mich erst einmal meiner durchgeschwitzten Klamotten, bevor ich dann duschen ging. Meinen Berechnungen nach zu urteilen würde es noch eine Weile dauern, bis meine Laufgruppe hier endlich ankommt. Ich freue mich schon auf Leos Gesicht, wenn er hier völlig außer Atem ankommt und sieht, dass ich schon geduscht und ausgeruht bin. Das wird lustig.
„Erst war ich überrascht, dass du schon wieder zurück bist.“, sagte Jo, als ich zurück in mein Zimmer kam. „Dann hab ich aber den Grund dafür hierin gefunden.“ Er hielt meinen Wertemesser in der Hand.
„Häh?“, fragte ich verwirrt. Wie will er aus meinen Werten ersehen können, dass ich nicht die ganze Insel umrundet habe?
„Darin ist ein Tracker eingebaut, der deine Route auf zehn Meter genau aufzeigt.“, erklärte er mir, als könne er meine Gedanken lesen.
„Ich hab mich verlaufen. Okay?“, sagte ich. „Trotzdem hab ich mein Training durchgezogen.“
„Hast du nicht, deine Strecke war viel kürzer.“, sagte Jo.
„Wenn du willst, dass ich nochmal laufe, mach ich es. Du musst es nur sagen.“
„Nein, darum geht es mir nicht. Komm her.“, winkte er mich zu sich auf mein Bett, auf dem er saß. „Mich würde interessieren, was hier passiert ist.“ Auf dem Minidisplay erschien eine Grafik meiner Werte, aus denen zwei hervorgehoben waren. Die eine Linie, die nach oben ging, zeigte meinen Puls an. Die andere Linie, die auf einer Ebene in der Mitte lag, kennzeichnete meine Muskelaktivität. „Du bist offenbar stehengeblieben, aber dein Puls stieg weiter an. Was war los?“
„Da war so ein Kind, das aus dem Gebüsch gesprungen ist.“, erklärte ich ihm.
„Ein Kind?“, fragte er ungläubig. Er kannte den Jungen offensichtlich nicht so wie Maggie.
„Maggie meinte, dass er der Sohn eines hochrangigen Mitarbeiters ist, der ab und zu, zu Besuch kommt.“, erklärte ich weiter. „Ach ja, warum hast du nie erwähnt, dass Maggie auch auf der Insel arbeitet?“
„Du hast sie getroffen?“
„Ja, sie ist mir begegnet, als sie den Jungen gesucht hat.“
„Hm. Ich dachte nicht, dass dich das interessiert.“, meinte er nur.
„Na ja, tut es auch nicht wirklich, aber du hättest doch mal erwähnen können, dass deine Ex-Frau auch hier ist.“
„Schon gut, fürs nächste Mal merk ich es mir.“, sagte er und verließ mein Zimmer. Was ist plötzlich los mit ihm?

Mir wurde gesagt, dass sie ihn endlich gefunden haben. Und als ich die Tür öffnete wartete Ethan schon in meinem Behandlungszimmer. Er saß auf der Patientenliege und seine Beine baumelten herunter. Wenn er so weiter wuchs, konnte er bald den Boden berühren.
Ich seufzte, als ich seine Kopfwunde sah. Das Blut, das an seinem Gesicht heruntergeflossen war und bereits getrocknet war, ließ die Wunde aber schlimmer aussehen als sie ist. Der Junge verletzt sich oft, wenn er aus lauter Spaß an der Freude davonläuft und sich ein Katz und Maus Spiel mit den Wachen liefert. Einfangen lässt er sich nur immer dann, wenn er sich wehtat. Denn obwohl er noch so jung war – gerade mal zehn Jahre alt geworden – war er den Wachen und auch uns Ärzten weit überlegen. Vor allem geistig und vom Intellekt her. Jeder der telepathische Fähigkeiten in sich vereint, zeichnet sich über einen weit überdurchschnittlichen Intellekt aus. Somit ist dieser zehnjährige auf meiner Patientenlieg sogar viel klüger als ich, die ihr Medizinstudium mit Bestnoten abgeschlossen hat. Bisher wissen wir aber nicht, ob dieser außergewöhnliche Intellekt bedingt durch die Telepathie war, oder umgekehrt. Dr. Cummings erhofft sich die Antwort auf diese Frage mithilfe von Caya und Ethan herauszufinden.

Impressum

Texte: Das Copyright zum Bild zwisen Kapitel 3 und 4 liegt bei mir.
Tag der Veröffentlichung: 17.05.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für alle, die die Welt als verloren ansehen :P

Nächste Seite
Seite 1 /