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„Das macht siebenunddreißig Euro sechzig.“ Die Apothekerin reicht Robert die Tüte über die Offizin und die antiquarische Ladenkasse rattert die Rechnung zusammen. Robert greift danach als wäre lebenswichtige Medizin darin und lässt die Rückgeldgroschen in seine Geldbörse gleiten. Sein Herz rast. Denn was er gerade gekauft hatte, war keine Medizin gegen Erkältung.

Andächtig hält er den Henkel der Tragetasche fest, während er sich mit der U-Bahn auf den Weg zu seiner Wohnung macht.

Zu Hause reiht er die Ware säuberlich auf dem Küchentisch auf und begutachtet seinen Einkauf. Daneben liegt ein Zettel. Robert beginnt nach Anweisung des Papiers Schritt für Schritt die Utensilien zu verarbeiten. Hier eine Kordel, dort ein Pülverchen… Akribisch misst er jede Zutat genau ab. Er wiegt und prüft. Er korrigiert, verwirft und beginnt neu. Unzählige Male. Er hat es zig Mal geübt. Er kann es eigentlich. Aber Robert ist aufgeregt. Nicht mehr lange. Immer wieder schaut er zur Uhr.
Immer wieder schweifen seine Gedanken ab. Er denkt an die vergangene Zeit. Die letzten Tage und Wochen tauchen als Bildschnipsel vor seinem inneren Auge auf. Momente, in denen er sich fühlte wie gejagte Beute. Begegnungen mit Menschen, die ihn mit prüfenden Blicken begutachtet haben. Begebenheiten, in denen er sich beweisen musste, in denen er gezeigt hat, dass er der Richtige war. Derjenige, den sie für diese Aufgabe brauchten. Er hatte Angst. Eine scheiß Angst. Angst vor dem was ihn erwartete, wenn er es nicht schaffte. Wenn er ihren Erwartungen nicht entsprach. Wenn er es versaute. Wie schon so oft. Doch er würde sich bewähren. Er würde es durchziehen. Sie würden ihn anerkennen, ihn bewundern und hochschätzen. Diesmal würde er nicht versagen. Robert fühlt, wie sich ein Gefühl der Trauer in seinem Innern wie eine Schlange bis in seinen Hals hinauf windet. Er spürt wie sich dieser Schmerz mit Wut mischt. Ein unerträglich schwerer Stein ruht in seiner Magengrube. Er wird ihn nicht los. Schon sein ganzes Leben schleppt er ihn mit sich herum. Sein ganzes verdammtes Leben. Seine Augen füllen sich mit Tränen. Er fischt mit der Zunge zwischen seinen Zähnen. Sie schmecken salzig. Sein Speichel fühlt sich an wie Gummi. Er versucht zu schlucken, aber die Rage sitzt ihm im Hals wie ein wulstiger Pfropf. „Hör auf zu flennen!“ zischt er sich selbst an und verpasst sich dabei eine Ohrfeige. Trotzig wischt er sich über die Augen und schnieft die Nase hoch. „Es gibt keinen Grund zu heulen, du alte Memme!“ schreit er sich an. „Du HATTEST Grund. Das ist lange her. Komm endlich drüber weg, du Weichei!“ Und dabei klatscht seine Hand wieder in sein Gesicht. Er würde es allen zeigen. Seinem Stiefvater, seiner Mutter, seinen Geschwistern, den Lehrern, den Mitschülern, einfach allen.
Im Hintergrund läuft der Fernseher. Schlagzeilen werden verkündet. Die Szenen tauchen sein Gesicht in buntes Geflimmer. Während er fast forensische Arbeit betreibt, blendet sein Gehör langsam die Meldungen des Nachrichtensenders ein. Unbeirrt fährt er mit seiner Arbeit fort, während der Nachrichtensprecher eine Kindesmisshandlung mit Todesfolge verkündet. Erst als gemeldet wird, dass die Eltern nicht belangt werden können mangels Beweisen hält er kurz inne. Sein Blick richtet sich zu den Bildern. Ein fünfjähriger Junge, grün und blau geschlagen, mit Hämatomen am ganzen Körper wird gezeigt. Das Gesicht wurde für die Kamera unkenntlich gemacht. Der tote Körper steht zur Schau. „Aarrrrgh, Verdammt!“ Ohne eine Miene zu verziehen, wälzt sich ein Schrei aus ihm heraus. Dabei schlägt er mit der flachen Hand fest auf den Tisch. Seine Innenfläche beginnt zu brennen. Ein paar Fläschchen halten der Wucht seines Schlages nicht stand. Eins rollt bis zur Kante. „Verdammte Bastarde!“ Er sieht sie vor sich als wäre keine Zeit vergangen. Die Visage seines Stiefvaters. Fünfundzwanzig Jahre haben seine Erinnerung keinen Deut verblassen lassen. Die weit geöffneten Augen. Der starre Blick, das leblose, fleischige Gesicht. Dieses riesige Gebiss das er entblößte wenn er ihn überlegen angrinste. Robert wusste genau was dann kam. Das erste Mal würde er niemals vergessen. Es war beim zweiten Besuch gewesen. Einen Blumenstock hatte er mitgebracht und in den Flur gestellt. Robert war einfach nur daran vorbeigelaufen. Vielleicht hatte er das Gewächs berührt, vielleicht war es nur der Luftstrom. Vielleicht war es aber auch einfach nur Zufall, dass sich dabei zwei Blätter lösten und hinter ihm zu Boden fielen. Keine zwei Sekunden später versperrte ihm ein Beinpaar den Weg. Der Mann packte das Kind am Oberarm und Robert spürte wie sich dicke, wurstige Finger in seine weiche Haut bis ins Fleisch bohrten. Es tat so sehr weh, dass er sich nicht einmal mehr rühren konnte. Er wurde zurückgezerrt. Zur Pflanze und den auf dem Boden liegenden Blättern. Dabei lockerte sich der Griff keinen Millimeter. Robert wusste nicht wie ihm geschah. Er konnte sich nicht losreißen, er war starr vor Angst. Seine Mutter kam zur Tür herein. „Ach Kurt. Lass doch den Jungen.“ Das war alles was sie dazu äußerte. Kurt beugte sich zum Ohr des Jungen herab und Robert spürte seinen heißen Atem. „Wenn du dich noch einmal an meiner Pflanze vergreifst, wirst du mich kennen lernen.“ Er spuckte beim Sprechen, doch es gab kein Entrinnen. So fing alles an. Tag für Tag regneten Schläge auf ihn ein. Dort ein Hieb, hier eine Strafe, absolutes Fernsehverbot, Hausarrest am laufenden Band. Es gab keine Regeln, die er hätte befolgen können, damit ihm nichts passierte. Der Stiefvater fand immer einen neuen Grund, ihn verprügeln zu können. Und keinen Zufluchtsort für einen kleinen fünfjährigen Jungen. Einen Schutzbefohlenen, der doch eigentlich Geborgenheit brauchte, und Sicherheit. Der lernen musste, sich vor denjenigen zu schützen, die dazu bestimmt waren ihn zu behüten … Deren Aufgabe es war, ihn zu lieben und wertzuschätzen. Ihn zu unterstützen und für ihn da zu sein. Allerdings... - all das hatte er in dieser Form nie kennen gelernt.

„Und nun, meine Damen und Herren, zu einer der spektakulärsten Rettungsaktionen in der Geschichte Frankreichs. Ein achtzehnjähriger Gymnasiast hat zwei Tage lang siebenunddreißig Mitschüler und einundzwanzig Lehrer in seine Gewalt gebracht…“
Der Nachrichtensprecher hat sich längst einem neuen Thema zugewandt. Jäh reißt die Meldung Robert aus seinen Gedanken. „…der Amokläufer galt als Außenseiter… Schon häufiger war er durch sein aufsässiges Verhalten aufgefallen. Olivier Duponts Mitschüler bestätigen dies…“ Der Sender zeigt ein Foto, das den achtzehnjährigen zeigt. „…bereits im Internet kündigte Olivier seine Bluttat Wochen zuvor an. Doch ernst genommen hat ihn keiner.“
Ha! Ernst genommen! Ja. Und jetzt? Jetzt plötzlich läuft er aus heiterem Himmel Amok? Ja genau. Und alle sind sich am Wundern. Na kein Wunder. Für einen Moment huscht ein Lächeln über Roberts Gesicht. Er bückt sich und hebt das Fläschchen, welches heruntergekullert war, vom Boden auf. Die Flüssigkeit ist bereits im Teppich versickert. „Verdammt noch mal!“ Er stellt das leere Gefäß auf den Tisch und wirft einen Blick auf den Zettel. Prüfend überfliegt er alle Flaschen und Gefäße, alle Tuben und Kästchen nach ihrem Inhalt. Und stellt fest: es fehlt was. Ts, fast vergessen. Er muss noch mal los.
Der Nachrichtensprecher verkündet geplante Anschläge auf Deutschland. In Terroristencamps ausgebildete Untergrundkämpfer würden in den nächsten Wochen neue Ziele anpeilen. Genaueres wisse man noch nicht. Robert schaltet den Fernseher aus. Schnell schlüpft er in seine Jacke und zieht sich seine dicke, schwarze Wollmütze über die Ohren. Er zieht die Tür ins Schloss und fliegt die Treppe hinunter. Zum Hochhausviertel. Dahin wo Leute dicht an dicht wohnen und einander doch nicht kennen. Es ist ein ganz bestimmter Briefkasten. Die Warensendung müsste eingegangen sein. Es ist wichtig, dass das Päckchen klein genug war um durch den Briefkastenschlitz zu passen. Wenn er es auf der Poststelle abholen würde, müsste er sich ausweisen. Und so könnte er es anonym in Empfang nehmen ohne dass jemals jemand herausbekommen würde, dass er eben nicht Heinz Piepenbrink aus der Hochstrasse ist. Schon nach kurzer Zeit verlässt jemand das Haus, und Robert huscht hinein. Schnell hat er den Briefkasten ausgemacht und fischt nach dem Päckchen. Da ist es. Er zieht es hervor. Das vor ein paar Tagen angeklebte Namensschild zieht er ab und verwischt mit seinem Ärmel eventuelle Spuren seiner Identität. Es war ganz einfach gewesen. Nachdem er einen namenlosen Briefkasten in einem anonymen Hochhaus ausgemacht hatte, beklebte er ihn mit einem nicht existenten Namen. In einem Internetcafé bestellte er was er brauchte auf den von ihm erfundenen Herrn Piepenbrink. Kein Mensch würde ihm auf die Schliche kommen. Nun musste er die Beute nur noch aus der Falle nehmen. Nicht einmal die Rechnung würde er so bezahlen müssen. Sie hatten ihm alles gezeigt. Ihm, dem Außenseiter. Ihm, den in der Schule alle ignoriert hatten. Ihm, dem Versager, wie sein Stiefvater ihn immer betitelte. Aus dem niemals was werden würde. Sie hatten ihn in ihre Gemeinschaft aufgenommen. Ohne Fragen zu stellen. Sie hatten ihn schon eine Weile beobachtet und ihn für überaus tauglich befunden. Er musste ihnen nichts beweisen. Er musste nur er sein. Er ist ein Teil der Gruppe. Er würde Großes bewirken. Sie vertrauen ihm. Sie hatten ihn ausgebildet. Sie hatten ihn stark gemacht. Zum ersten Mal in seinem Leben vertraut ihm jemand eine äußerst wichtige Aufgabe an. Robert ist stolz auf sich. Vergessen das Leid der Vergangenheit. Nicht mehr wichtig, die nie erfahrene Liebe. Hier verdient er Annerkennung. Ein absolutes Hochgefühl. Unbezahlbar für Robert.
Erhobenen Hauptes und mit Stolz geschwellter Brust verarbeitet er zu Hause den Inhalt des Päckchens. Er hält die Apparatur vor sich in die Höhe und begutachtet sie.
Es ist vollbracht.
Fertig.
Andächtig schnallt er sie sich um den Körper. Dabei murmelt er unverständliche Verse. Immer und immer noch einmal wiederholt er sie.
-In einer Tour.
Robert betet.
Er hat Angst.
Großes hat er vor. Etwas Bedeutendes. Er schaut auf die Uhr. Es ist fünfzehn Uhr. In zwei Stunden ist es soweit. Okay. Durchatmen. Er sieht sich im Zimmer um. Er würde nichts hinterlassen, was von Bedeutung für die Polizei wäre. Die Vorrichtung hatte er mit einer Zeitschaltuhr versehen. Aus Angst vor seiner eigenen Courage. Immer und immer wieder war er im Kopf den Ablauf durchgegangen. Er würde zum Domplatz gehen. Dort ist die U-Bahn-Station. Dort ist eine große Kreuzung. Ein weitläufiger, hoch frequentierter Platz. Ganz besonders um diese Uhrzeit. Er will nichts dem Zufall überlassen. Es würde viele Leute treffen. Um Siebzehn Uhr. Das hatten sie so vereinbart. Daran wird Robert sich halten. Koste es was es wolle. Er will es nicht versauen. Seine Angst wird ihm keinen Strich durch die Rechnung machen. Er wird die Zeitschaltuhr so einstellen, dass es kein Zurück gibt. Mit zitternden Fingern programmiert er den Auslöser. Sein Herz rast und schlägt ihm bis zum Hals. Nur noch ein Knopfdruck bis zum sicheren Tod in einer Stunde fünfundfünfzig.
Doch dann plötzlich… schießt es ihm durch den Kopf: „Was mach ich hier?“
Er hält inne. Sein Zeigefinger ruht noch auf der Taste. Sein Blick fällt auf den Tisch und die leeren Flaschen, die Tuben und restlichen Sachen. Eine Weile steht er so da.
Stille.
Roberts Atem ist schwer. Er atmet tief ein und aus. Immer und immer wieder…immer und immer schneller. Er schließt die Augen, legt den Kopf in den Nacken und…
Klick. Ein Piep und die Uhr beginnt zu ticken. -Er hat es getan!!!!
…Er hat es getan. Erschöpft sinkt er auf den Stuhl.

Er beginnt zu weinen. Hemmungslos. Erst leise, dann immer lauter bis er völlig außer sich ist. Bitterlich weint und weint er seine ganze Kraft heraus. Die Hände immer noch vors Gesicht geschlagen, hält er plötzlich inne. Er muss los. Er hat eine Mission. Robert steht auf, nimmt seine Jacke aus dem Schrank, zieht sie sich über. Ein paar Groschen braucht er noch. Für die Fahrt zum Domplatz. Die Wohnung verlässt er ohne aufzuräumen. In der Bahn nimmt er niemanden wahr. Als er ankommt, zeigt ihm die Uhr in der Station sechzehn Uhr an. Noch eine Stunde. Er muss jetzt nur noch warten. Um siebzehn Uhr wird er auf der Bank an der obersten Treppenstufe zur U-Bahnstation sitzen. Dort, so hatten sie ausgerechnet, würde er die größte Wirkung erzielen. Er läuft die Treppe hinauf. Die Sonne strahlt ihm so hell entgegen dass er die Augen zukneifen muss. Überall herrscht geschäftiges Treiben. Ein Würstchenverkäufer hat seinen fahrbaren Grill mitten auf dem Platz aufgebaut. Ein paar Leute stehen um ihn herum und essen. Eine Mutter füttert mit ihrer kleinen Tochter ein paar Tauben. Einige Meter weiter führt ein Künstler ein paar Jonglierkunststücke vor. Eine kleine Menschentraube hat sich um ihn herum versammelt. Robert beobachtet die Gesichter der Leute. In manchen spiegelt sich Faszination wider. Ein Pärchen, beide mit schwarzen, noblen Mänteln gekleidet, Arm in Arm, bestaunt das Schauspiel. Sie hat ihren Kopf an seine Schulter gelehnt. Er küsst ihre Stirn. Robert legt seinen Kopf zur Seite. Er mustert die beiden lange. Sehr lange. Die Kirchturmuhr macht zwei Schläge. Halb fünf. Robert zuckt zusammen. Langsam läuft er hinüber zum Dom. Er geht einige Stufen hinauf und setzt sich. So hat er den ganzen Platz im Blick. Ein paar Japaner stehen nicht weit entfernt von ihm und versuchen den Eingang der Kirche zu fotografieren. Endlos knipsen sie aus allen erdenklichen Perspektiven. Wenn sie jetzt noch die nächste Bahn nehmen, denkt sich Robert, dann schaffen sie es vielleicht noch. Dann waren sie es die das letzte Foto von ihm gemacht haben. Sie würden zurückfliegen nach Tokio oder wo auch immer sie herkommen und sie würden ihre Speicherkarten auslesen und die Fotos ausdrucken lassen. Sie würden sie ihren Freunden und Verwandten zeigen und ihnen auf Japanisch sagen, „Schau mal, hier waren wir, kurz bevor alles in die Luft geflogen ist.“ Und sie würden sich die Fotos anschauen, auf denen die Treppe zur Kirche zu sehen ist, mit ihm auf der fünften Stufe. Und sie würden nicht wissen, wen sie da fotografiert haben… Aber vielleicht halten sie sich auch noch ein paar Minuten hier auf. Vielleicht noch bis… Drei Schläge. Viertel vor Fünf. Ja. Jetzt müssten sie die nächste Bahn nehmen. Robert steht auf, geht die Stufen hinab, am Würstchenverkäufer vorbei, dem Jongleur und den Tauben. Von weitem sieht er schon die Bank. Er setzt sich. Es ist jetzt zehn vor fünf. Zwei Mädchen, etwa fünfzehn oder sechzehn Jahre alt, hetzen die Treppen hinunter zur U-Bahn-Haltestelle. „Schnell mach! Wir müssen die Bahn unbedingt kriegen. Schnell, Anna! Lauf!“ Die beiden hasten an ihm vorbei und verschwinden im Treppenschlund. Robert ist jetzt völlig ruhig. Seine Hände ruhen rechts und links von ihm auf der Lehne der Bank. Er hat seine Arme ausgebreitet und streckt sein Gesicht in Richtung Himmel. Ein paar Vögel jagen einander nach. Es riecht nach Würstchen und U-Bahn-Schacht. Er verharrt eine Weile so. Ein Blick auf die Uhr. Fünf vor Fünf. Einatmen. Zwischen den Leuten, geschätzte dreißig Meter entfernt, nimmt er eine einzelne Frau wahr. Sie läuft in seine Richtung. Du wirst es nicht mehr schaffen, denk Robert sich. Die Bahn in die Sicherheit ist schon weg. Hübsch ist sie mit ihren langen, schwarzen Haaren. Irgendwie kommt sie ihm bekannt vor. Er überlegt. Immer noch läuft sie auf ihn zu. Mandelförmige Augen wie kleine Knöpfe zieren ihr makelloses Gesicht. Robert kann gar nicht wegschauen. Ist wie paralysiert. Was für ein schönes Wesen… Wie schade drum… „Robert?“ –Was? „Hallo. Bist du nicht Robert?“ Robert erstarrt. Er reißt die Augen auf. Sie war vor ihm stehen geblieben. Ohne eine Antwort abzuwarten, setzt sie sich zu ihm. „Na klar bist du Robert. Du warst doch in meiner Klasse. Damals, in der Marienschule. Ich weiß genau. Der nie was gesprochen hat. Ich bin Ina Kapoor.“ Und sie lacht. Robert glotzt sie an. Was? Sie kennt ihn? „Äh, ja, ich…“ „Unglaublich, dass ich dich hier treffe. Fünfhundert Kilometer weiter. Unglaublich. Was machst du hier? Wie geht’s dir? Was ist aus dir geworden?“ Sie lacht so süß. Sie blickt auf ihre Uhr. Es ist fünf. „Sag mal, ich hab noch ein bisschen Zeit, sollen wir nicht einen Kaffee trinken? Da hinten hab ich ein schönes Café gesehen.“ Und dabei zeigt sie mit ihrem Finger in Richtung der Einkaufsmeile. Er blickt sie an, weidet sie ab, wie unschuldig sie vor ihm sitzt und ihn mit ihren Mandelaugen anschaut. Sie lächelt immer noch. Robert lächelt zurück. Da. Die Kirchturmuhr schlägt nun auch fünf Uhr. Robert fühlt die letzten Sekunden ticken. Er kann es nicht mehr rückgängig machen. Er will doch so gern mit ihr Kaffeetrinken gehen… Mit Ina aus seiner Klasse. Diese Frau, die wie ein Märchenwesen aussieht. Das passiert jetzt grad nicht. Was soll er jetzt nur tun? Tick-Tack-Tick-Tack macht es in seinem Kopf. Ina schaut ihn immer noch an. Die Sekunden verrinnen, Tick-Tack-Tick-Tack… Da! Dreimal kurzes Piepen, dann ein langes, dann nichts mehr… „Du kommst zu spät!“ sagt er noch und sieht ihr dabei in die Augen. Und dann…
Setzt sein Herz aus, dann Ina’s, dann das des Würstchenverkäufers und mit ihm alle anderen.
Und auch die Japaner haben es nicht mehr geschafft.

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Tag der Veröffentlichung: 14.12.2008

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