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Prolog

 

Helles Sonnenlicht. Es schimmert auf ihrem Fell, lässt es golden leuchten, wie normalerweise ihre Haare. Ihre Schnurrhaare zucken, sie schnuppert kurz, kauert sich hinter dem Baum zusammen. Ein Satz reicht ihr, sie hat das nichts ahnende Reh gerissen. Wenige Augenblicke später springt ein Puma von einem Felsbrocken herab. Er drückt sich an sie, beide schnurren, reiben für einen Moment ihre Nasen aneinander. Nebeneinander hocken sie sich hin, beginnen, ohne ein Wort zu tauschen, mit ihrer Mahlzeit. Erst als nur noch wenig von dem einst majestätischen Tier übrig ist erheben sie sich. Der Puma leckt ihr über den Kopf.

„Nicht – ich muss los, Phil.“

„Ich weiß“, ernst sieht der Schwarze sie an. „Wir sehen uns, kleine Löwenfreundin.“

Sie seufzt, hört den Wolf heulen, sie muss los. Sie wirft ihm einen bedauernden Blick zu, doch er leidet deutlich mehr unter der Trennung. Ein Sprung, über die Felsspalte, jetzt trennt der Riss im Gestein sie. Bald wird es noch mehr sein, nicht nur viele Kilometer. Sie ahnt nichts, aber bald werden ihre unterschiedlichen Denkweisen sie weiter trennen, als irgendetwas anderes es könnte.

Kapitel 1


Apollo's Sicht

Ich sitze auf meinem gewöhnlichem Platz und höre meinem Kumpel Josh neben mir nur halb zu, als sie hereinkommt. Sie hält sich schüchtern hinter unserem Lehrer Mr. Dig und ihre hellblonden Haare fallen ihr ins Gesicht. Sie sind fast weiß, und könnte ich nicht so gut sehen, hätte ich nicht erkannt, dass ihre Augen blau sind. Es ist Donnerstag und mitten im Schuljahr.

„Hey, Leute, setzt euch bitte. Und Ruhe!“, versucht Mr. Dig die Klasse zu bändigen. Allmählich wird es still.

„Das ist Salyx, eure neue Mitschülerin. Sie hat mit einigen von euch noch weitere Kurse gemeinsam. Bitte erzähl' uns noch etwas über dich, Salyx“, fordert er sie auf. Zum ersten Mal hebt sie den Kopf.

„Hi, ich bin Salyx Abbey, ich bin 16 Jahre alt und komme von einer anderen Schule in Florida. Wir sind umgezogen“, stellt sie sich kurz vor. Sie lächelt kaum, und sie ist auf jeden Fall schüchtern. Nicht, dass ich das schlecht finde. Einige andere Mädchen hier sind einfach so aufdringlich und nuttig angezogen. Sie dagegen ist nicht so groß mit langen Beinen, die durch Highheels noch hervor gehoben werden, nein, sie trägt auch keinen Minirock und zu viel Ausschnitt ist auch nicht zu verzeichnen. Sie sieht sportlich aus und trägt keinen Schmuck, bis auf ein schmales hellbraunes Lederarmband. Das Hemd, das an unserer Schule verpflichtend ist, ist ordentlich zugeknöpft und wirkt fast Sackartig, doch ich vermute, dass die anderen Mädchen ihre auch umnähen lassen, um mehr Ausschnitt und mehr Figur in das steife weiße Hemd zu bringen.Viel mehr aber interessiert mich ihr Gesicht. Ihre hellen Augenbrauen sitzen hoch und ihre Augen schauen aufmerksam zwischen nicht besonders viel getuschten Wimpern hervor. Ihre Nase hat definitiv noch keine Schönheits-OP hinter sich, und ihre Lippen sind nicht aufgespritzt, wie bei den ganzen Tussen hier an der Waterfall-High. Ich mag natürliche Frauen, aber die Tussen und Bitches sind immer hinter mir her, und sie wollen natürlich nur eins: Sex. Als ob das ihr Niveau heben würde.

Mr. Dig bittet Salyx, sich neben Jana zu setzen. Glück gehabt, denn das ist eine Reihe vor mir, und ich kann sie so gut abchecken. Sie ist wirklich klein. Jana ist ebenfalls nicht zu Schlampen-mässig drauf, hat aber einen festen Freund. Vermutlich wird sie sich schnell mit Salyx anfreunden. Samantha jedoch, die normalerweise neben Jana sitzt und eine der miesesten Schlampen ist, die die Schule zu bieten hat, wird einen riesigen Aufstand machen, wenn sie erfährt, dass die „Neue“ auf ihrem Platz sitzt, und sie mich nicht mehr nerven kann. Und mit Blicken vergewaltigen. Oh Mann, bin ich froh, dass Samantha nicht da ist. Wahrscheinlich hat sie über das Wochenende wieder einen neuen „festen Freund“ gefunden, was sowieso nur für ein paar Tage hält, und vögelt jetzt pausenlos mit ihm.

Mr. Dig beginnt mit dem Unterricht, und ich bin froh, weil er mich damit von den Gedanken an Samantha wegreißt. Ich weiß nicht, wie ich an so eine schreckliche Person denken kann, wenn doch ein kleines süßes Mädchen direkt vor mir sitzt! Mr. Dig ist wie meistens gut drauf und reißt Witze, während er uns effektiv den Mathe-Stoff verklickert. Nett, wie er ist, lässt er uns nach der Doppelstunde auch fünf Minuten eher raus. Jetzt ist Kunst dran.

Eigentlich kann ich nicht malen, aber das hat sich geändert. Es hat sich überhaupt viel an mir geändert. Früher war ich ein kleiner blasser pummeliger Junge, der gemobbt wurde und keine Freunde hatte, dann habe ich angefangen zu trainieren, da ich mir nichts Derartiges mehr gefallen lassen wollte, und als ich dann die Schule wechselte, war mein Glück perfekt. Klischee. Bis auf die Tatsache, dass halb nackte verrückt kreischende Bitches überall hinter mir herrannten. Schicksal. Leider. Als ich mich dann zum ersten mal verwandelte … Nein, stopp. Schnitt. Ich beobachte Salyx, die glücklicherweise auch mit mir Kunst hat. Das heutige Thema ist „Romantik“ und wir sollen ein romantisches Bild malen. Ich bin schon fast fertig mit meinem Bild, auf dem ein Junge und ein Mädchen gemeinsam auf einem weißem Pferd durch ein Kornfeld reiten. Das Mädchen sieht Salyx überraschend ähnlich. Kacke! Auf Josh's Bild sieht man überall säuberlich schattierte Kerzen, die kaum Licht auf die beiden Personen werfen, die sich in einem Bett aufeinander wälzen. Klar, dass Josh bei Romantik als erstes an den Akt denkt. Ich schaffe es, einen Blick auf Salyx' Bild zu werfen. Josh hat Kohle benutzt, ich Tusche, aber Salyx hat mit Buntstiften und farbiger Kreide ein wahres Kunstwerk geschaffen. Ein Junge, der ihr Bruder sein könnte, liegt neben einem Mädchen im Gras und über ihnen scheint der Sternenhimmel. Wow. Wie gerne ich Salyx mit zu so etwas nehmen würde. Moment, dass habe ich jetzt nicht wirklich gedacht, oder? Bitte, bitte. Josh erahnt meine Gedanken. Er hat eine Gabe dazu.

Ok, ich geb's zu. Ihr habt sicher gemerkt, dass ich nicht gerne drüber rede, aber ich bin ein Wechselwesen. Ein Gestaltenwandler. Ja, ich kann mich in ein Tier verwandeln, seit meinem 15. Geburtstag. Ich bin ein klassischer Löwe, auch wenn die immer seltener werden. Josh und der Rest meiner Gang sind auch Gestaltenwandler. Josh kann sich in eine Kobra verwandeln, sein Bruder Luca in einen Fuchs, Cedric in einen Waschbären und Harry … in ein Rebhuhn. Ja, richtig gehört. Wir sind nicht alle Marke Raubkatzen. Aber viele. Mein großer Bruder Felix ist ein weißer Tiger, mein anderer Bruder Jojo, der zwischen uns ist, ist ein Dachs. Und wenn ihr mal gesehen habt, was für ein Schaden ein ausgewachsener, durchtrainierter Koloss von Dachs an Schaden anrichten kann, wisst ihr, dass mit solchen nicht zu spaßen ist. Auch Rebhühner können Schaden anrichten. Schonmal Federbomben ins Gesicht gekriegt? Direkt nach 'ner Ladung Rebhuhn … „Kot“ …, die sich gewaschen hat? Ich schon, im Training, und das mehr als einmal. Das ist ECHT WIEDERLICH!!!

Ich schwör's.


Salyx' Sicht

Die Wälder in der Gegend sind wunderschön. Schade, dass meine Eltern nicht mitkommen konnten, aber der Clan wollte nicht alle vier aus unserer Familie verlieren. Das Robby und ich gehen ist für sie schlimm genug. Robby heißt eigentlich Robin und ist mein großer Bruder – und selbsternannter Bodyguard. Aber seit ich mich verwandele ist er nicht mehr ganz so präsent. Gestaltenwandler verletzen sich gegenseitig selten, eher machen sie Geiseln, klären mündlich die Territoriumsgrenzen neu und lassen die Geiseln wieder frei. Soundso heilen alle unsere Wunden extrem schnell, es sei denn sie sitzen an unserem persönlichen Schwachpunkt. Hey, nicht so neugierig, meinen Schwachpunkt verrate ich euch nicht, den weiß nicht mal Robby! Robby ist heute mit seiner Freundin schwimmen. Sie ist, wie er, ein Wolfswandler. Heute habe ich die beiden in Kunst gemalt. Natürlich in Menschengestalt. In der neuen Schule, der Waterfall-High, wird erwartet, dass man nach den zehn Schulstunden noch eine AG wählt. Ich habe mich noch nicht entschieden, aber Cheerleading wird es sicher nicht! Mal sehen vielleicht nehme ich Selbstverteidigung, das ist einer der coolsten Kurse und bringt mir sogar extra Training, obwohl ich die anderen im Kurs vermutlich ziemlich schnell auf die Matte legen würde. Ich bin nicht so schwach wie ich aussehe. Mir fehlt Phil … Ich knurre. Ich rieche Wild, und das will ich mir nicht entgehen lassen!


Apollo's Sicht

„Das Training war wieder cool“, denke ich, und beziehe mich auf unsere Football AG.

„Jo, Mann. Wie Harry Cedric einfach umgerannt hat“, höre ich Josh denken. Wir Gestaltenwandler können uns gedanklich gegenseitig hören, soweit wir aus dem gleichen Clan stammen oder eine Blutsbrüderschaft vorgenommen haben.

„Komm, wir besorgen der schlangenartigen Wäscheleine dahinten was zu futtern!“, fordert Felix mich auf. Wir sind jagen, alle zusammen, bis auf Josh's Bruder Luca, der lernt.

„Schlangen sind keine Wäscheleinen!“, beschwert Josh sich. Ja, so schön ist das unter uns. Jojo treibt aus der Gegend um den Olopo Bach ein Reh zu uns. Doch bevor Felix oder ich unsere Krallen in das vierbeinige Steak schlagen können, pralle ich gegen etwas felliges und das Reh entkommt. Ich komme fauchend auf meinen Pfoten zum stehen. Vor mir steht eine Löwin. Felix umkreist sie, Jojo kommt dazu und Josh schlängelt sich zischend und züngelnd auf meinen Rücken. Es gibt drei Möglichkeiten:

1. Die Löwin war aus dem Zoo ausgebrochen. Sehr unwahrscheinlich.

2. Die Löwin kam aus dem Gebirge. Passiert häufiger mal.

3. Das war eine Wandlerin. Ich fauche sie an. Sie faucht zurück. Gegen eine Übermacht. Nur echte Löwinnen könnten so doof sein, oder? Vielleicht ist sie nur mutig. Ich sehe eine kleine Wunde an ihrem Rücken, wo ich sie mit meinen Krallen anscheinend verletzt habe. Die Blutstropfen verschwinden bereits wieder. Also doch eine Wandlerin. Ich schüttele meine mächtige schwarze Mähne und teile es den anderen mit. Schnell teilen wir uns auf. Felix umkreist sie weiter in seiner Tigergestalt und wir anderen verschwinden hinter Bäumen um uns zurück zu verwandeln. Unser geliebtes Rebhühnchen Harry verteilte Kleidung. Schnell schlüpfe ich in meine Hose. Wenn wir auf die Jagd gehen heißt es: nur das nötigste. Keiner trägt dann mehr als Cargo-Shorts, alles andere wird zu schwer, selbst für ein durchtrainiertes Rebhuhn. Ich trete gemeinsam mit den anderen hervor. Die Löwin faucht noch mehr, als sie erkennt, was wir sind. Dabei musste sie es bereits erahnt haben. Wie oft, bitte schön, sah man denn eine Kobra, einen Dachs, einen Waschbären, ein Rebhuhn, einen weißen Tiger und einen Löwen auf einem Haufen? Richtig: fast nie. Felix sitzt mit einem Satz auf ihr und dreht sie auf den Rücken, sodass ihre Kehle und ihr empfindlicher Bauch frei liegen. Er knurrt und schnuppert an ihrer Kehle.

„Du hast die Wahl: entweder reißen wir dir jetzt die Kehle raus, wenn du nur einen Mucks machst, oder wir nehmen dich als Geisel, du kannst dich alternativ aber auch einfach zurückverwandeln und uns sagen, was du hier zu suchen hast. Dann sehen wir weiter“, gebe ich in einem bedrohlichen Ton von mir. Sie verdreht die Augen. Felix würde es vermutlich gefallen, wenn sie nackt unter ihm läge, aber ihr bestimmt nicht. Felix weiß was ich denke und zieht sich ein wenig zurück, steht aber immer noch vor ihr, um uns zu verteidigen falls nötig. Sie rollt sich herum und kommt auf die Pfoten. Unterwürfig senkt sie den Kopf ein wenig. Ich weiß, sie will sich nicht verwandeln, so wie sie von Männern umgeben ist, ist das verständlich. Aber ihr bleibt keine Wahl.

„Jetzt sofort!“, fauche ich, mit dem Tier in meiner Stimme. Moment … schnurrt sie? Entweder steht sie auf uns, oder sie findet etwas amüsant. Vermutlich die Tatsache, dass ich mich nicht vollständig unter Kontrolle habe, aber ich habe Hunger, verdammte Kacke!

„Wird's bald?“, hakt Josh mit verschränkten Armen nach. Sie schüttelt traurig den Kopf. Sie wirkt tapsig und klein, wie sie da steht, und mein Beschützerinstinkt wird sofort wieder geweckt.

„Wir gucken dir nichts weg“, versichert Harry ihr.

„Hast du etwa einen Freund?“, triezt Jojo sie.

„Oder kommst du etwa freiwillig mit?“, frage ich diesmal gefährlich ruhig. Sie wirft mir einen bedauernden Blick zu und faucht leise, bevor sie sich aus der Tiergestalt löst. Sie kauert auf dem Boden, nackt aber schön. Ihre hellblonden Haare fallen ihr über die Schultern und ins Gesicht, der Wind spielt mit einigen Strähnen und die Sonne lässt sie golden leuchten. Sie ist dünn, nicht knochig, schöne Kurven retten sie davor, aber ich sehe, dass man die Kraft in ihren Armen nicht unterschätzen sollte.

Shit, dass ist Salyx! Peinlich berührt hockt sie vor uns, aber Jojo hat kein Gefühl für die Situation, reißt sie sofort mit einem Ruck hoch und verdreht ihr die Arme so auf dem Rücken, dass sie die Oberweite provokativ in die Höhe strecken muss. Klein, aber oho, denke ich mir. Unter ihrem flachen Bauch zeichnen sich Muskeln ab, als sie ihn anspannt um sich nicht auf die schmerzhaft verdrehten Arme konzentrieren zu müssen. Ihr Gesicht ist vor Schmerz und Wut verzerrt.

„Wer bist du, wie alt und woher kommst du? Wo ist deine Familie?“, knurrt Jojo ihr ins Ohr. Sie stöhnt schmerzerfüllt auf, als sie nicht antwortet und er ihr die Arme noch mehr hochdrückt.

„Äh, Jojo, das ist erstmal nicht nötig, das ist Salyx, 16, aus Florida. Sie ist neu in unsere Klasse“, kläre ich meinen Bruder schnell auf und er lässt seinen Griff ein wenig lockerer.

„Familie?“, zischt er.

„Meine Eltern sind noch in Florida, mein Bruder ist bei seiner Freundin“, bringt sie hervor und ich merke, wie sie sich bemüht, nicht zu schreien. Jojo hatte schon immer einen harten Griff.

„Du lügst“, fährt er sie an. Ich weiß, dass alles wahr ist, aber es ist üblich, allen Gefangenen erst einmal gehörig Angst ein zu jagen.

„Nein“, wimmert sie, als er ihre Arme weiter verdreht. Ich lehne mich lässig gegen einen Baum.

„Chill, Jojo. Die Kleine kann nichts für deine schlechte Laune“, maßregele ich meinen großen Bruder, da ich es nicht mehr aushalte, sie mit einem so schmerzverzerrten Gesicht zu sehen. Ich bin kein Weichei, ehrlich nicht, aber Salyx rührt etwas in mir.

„Zirkel Südflorida?“, will Jojo dennoch wissen, und als sie nickt, stößt er sie fort. Sie stolpert und ich fange sie auf.

„Wir werden das überprüfen“, schärft Felix ihr ein, der gerade in Menschengestalt hinter einem Baum hervortritt. „Solange begleitest du uns.“ Sie kann nichts anderes erwartet haben, aber sie starrt ihn entsetzt an. Zögerlich stimmt sie schließlich zu:

„Bleibt mir wohl nichts anderes übrig, oder?“ Jojo nickt hämisch und packt sie wieder am Arm und zerrt sie mit. Josh feixt und hilft ihm, sie in Richtung Bach zu bugsieren. Wir hatten schon lang keine Gefangenen mehr, und eine Wandlerin sowieso noch nie, vor allem keine so schöne! Das macht unsere Truppe schon irgendwie stolz. Und Josh hat definitiv mehr im Sinn … dieser Frauenheld!

„Ich laufe voraus und besorge ihr was zum Anziehen“, rufe ich Harry zu, werfe meine Shorts hinterher und hetze durch den Wald. Ob er es nicht doch irgendwann leid wird, unser Hosenträger zu sein?


Kapitel 2


Apollo's Sicht

Meine Pfoten trommeln über den Waldboden auf unsere Siedlung zu. Schnell verschwinde ich in meiner Hütte und ziehe mir etwas vernünftiges an. Dann suche ich ein weißes Hemd und ein Paar khakifarbene Shorts von mir heraus, die mir nicht mehr passen, dafür aber klein genug für Salyx sein sollten. Mit den beiden Sachen in der Hand jogge ich auf das kleine Grüppchen um Salyx zu. Josh hat sie losgelassen, aber Jojo's Griff ist so fest wie eh und je. Ich reiche ihr das Hemd und sie streift es über, danach die Shorts. Sofort scheint sie ein wenig entspannter.

„Danke“, murmelt sie verlegen. Auf ihren Wangen sind rote Flecken, die wohl von der Verlegenheit herrühren.

„Gerne“, erwidere ich freundlich und lächele vorsichtig. Das Hemd ist ein wenig durchsichtig, aber es ist besser, als wenn sie nackt ist. Jojo schiebt sie in eine Hütte, die extra für Gefangene gebaut wurde. Zwischen den doppelwandigen Holzwänden sind massive Stahlgitter, ein Schloss gibt es nur von außen und die Innenausstattung beschränkt sich auf das nötigste: Bett, Klo, Waschbecken. Nicht mal eine Dusche gibt es. Ein wenig tut Salyx mir leid, ich bin mir sicher, sie wollte nichts böses, als sie in unser Territorium eindrang, zumal es nicht richtig markiert ist. Das ist bei den vielen verschiedenen Tierarten in unserem Clan schlicht unmöglich, immer die gleichen Duftmarken zu setzen.


Erst einige Stunden später erreicht Felix den Anführer aus Südflorida. Er kommt zu mir um mich auf den neusten Stand zu bringen.

„Salyx Abbey, 16 Jahre, geboren am 14. Juni, Löwin, reinrassig. Sie wohnt mit ihrem Bruder in der District Street 29, irgendein riesiges Haus muss das sein. Ihr Bruder und seine Freundin sind Wölfe, ihr Vater ein Tiger, ihre Mutter ein Fuchs. Ihre Eltern sind tatsächlich noch dort, ihr Bruder trifft heute seine Freundin, irgendwo hier in der Gegend. Wir sollen das mit ihr alleine regeln, wo sie jagen darf und das Zeug. Sie teilt es dann ihrem Bruder mit.“

Ich nicke ihm zu. „Saubere Arbeit.“

Er schüttelt den Kopf. „Ohne, dass ich weiß, wo ihre …“, setzt er an.

„Felix! So was darfst du nichtmal denken!“, unterbreche ich.

Er schüttelt traurig den Kopf, er ist unsicher, aber er will wissen, wo ihre Schwachstelle ist. Sie kennt uns kaum, so etwas sagt man nur den engsten Vertrauten. Entsetzt sehe ich Felix an, der auf die Hütte zugeht. Die anderen stehen davor, auch Luca ist inzwischen da. Die anderen haben ihm erzählt, was passiert ist. Kurz teilt Felix ihnen alles mit, dann betritt er die Hütte.


Salyx' Sicht

Sie kommen zu siebt. Zwei aus meinem Mathe- und Kunstkurs, die anderen sind vermutlich Freunde. Und allesamt Wandler. Stärker als ich, in der Überzahl, auf ihrem Territorium. Scheiße. Ich habe gesehen, wie durchtrainiert sie sind. Besonders der Typ, den Jana Apollo genannt hat. Muskelprotz. Sie sagte, er sei mit seinen Kumpels Josh, Cedric und Harry in dem Football Team, das unsere Schule bei den Spielen vertrat. Sie hat auch gesagt, dass Apollo Brüder hat, den Tiger und den Dachs, nehme ich an. Felix und Jo oder ähnlich. Der andere muss dementsprechend Josh's Bruder sein, Luca, sagte sie, glaube ich. Wenigstens sind alle in Menschengestalt.

Die beiden, die Harry und Cedric sein müssen, bleiben an der Tür. Klug von ihnen. Der Tiger fängt an zu reden.

„Salyx, wir sind hier im Olopo Gebiet. Dein Clanführer meinte, wir sollen das mit den Territorien unter uns regeln. Da du und dein Bruder, zeitweise mit seiner Freundin, nicht zu viel Nahrung brauchen, werden wir euch auf unserem Territorium jagen lassen. Unter einigen Bedingungen: Blutsbrüderschaft. Sonst vertreiben wir euch gleich – wir müssen ja wenigstens kommunizieren können.“ Ich nicke. Akzeptabel. Ich beiße mir in den Finger, die anderen tun es mir gleich und wir tauschen kurz Blut aus.

Einige beginnen zu grinsen. „He, Blutsschwester, ich bin Harry“, meint einer an der Tür mit hellbraunen Haaren und grünen Augen. Der andere ist Cedric, der daneben Josh aus meinem Kurs. Apollo, das wusste ich. Der Typ, der mir die Arme verdreht hat ist Jojo und der Redner Felix. Luca hält sich hinter mir.

„Zweite Forderung: wir wollen wissen, wo eure Schwachstellen sind“, fährt Felix fort. Ich atme scharf ein. Absolut inakzeptabel. Niemals würde ich einem Fremden so etwas mitteilen. Nie. Im Leben nicht. Nur über meine geheiligte verkohlte Leiche. Kann er sofort vergessen. Die Tür steht ein wenig offen. Ihr Fehler.

Ich bin schneller draussen, als sie den Mund auf machen können.

Leider hat Cedric es irgendwie geschafft mein Handgelenk zu packen: „Verdammt ist die Kleine schnell!“

„Und stark“, stöhnt Harry auf, als er meine Hand ins Gesicht kriegt, bevor er mich in den Schwitzkasten nimmt. Jojo übernimmt gleich darauf. Mann, der Typ steht vielleicht darauf, einem die Arme zu verdrehen!

„Und bockig“, fügt er hinzu, als ich um meine Freiheit kämpfe.

„Salyx“, sagt Felix in besänftigendem Ton, „wir wollen dir ja nichts tun, sondern es nur für den Notfall wissen.“

„Vergiss es“, brülle ich ihn an.

„Bitte“, versucht es auch Apollo. Der Muskelprotz kann mir gestohlen bleiben.

„Fick dich!“, gebe ich störrisch zurück.

„Hey, Kleine, dein Umgangston!“, erinnert Jojo und verdreht die Arme weiter. Gut fünf Minuten kämpfe ich mit ihm, mit den Tränen, um die Freiheit. Ich knurre und fauche, doch die einzige Reaktion ist nur ein raues Lachen von Jojo, und weitere Schmerzen, als er meine Arme in eine noch unbequemere Position drückt. Ich kann mich nicht verwandeln, ohne sie mir auszurenken oder zu brechen. Die anderen sehen schweigend zu, mit verschränkten Armen stehen sie um uns rum und warten ab.

„Verflucht!“, entschlüpfte es mir ungewollt. Mir ist leicht übel.

„Wo ist sie?“, fragt Felix hartnäckig. Jojo dreht weiter. Wieder vergehen zwei Minuten, in denen ich versuche, hier wegzukommen. Aber lange kann ich nicht mehr kämpfen, meine letzte Beute ist schon ein wenig her, und ich bin erschöpft vom Umzug und dem ersten Schultag. Ich hoffe, dass Felix noch einmal fragt, ich will nicht, dass es aussieht, als würde ich aufgeben. Aber irgendwann halte ich es nicht mehr aus.

„Müssen das alle wissen?“, hake ich nach. Felix schweigt und hält die Arme fordernd verschränkt.

„Innenseite linker Oberarm“, krächze ich. Sofort lässt Jojo locker und Luca nimmt meine Hand mit einem eisernen Griff. Er hebt meinen Arm an und rollt den Ärmel hoch. Wollen die mich töten? Ich wehre mich, aber Apollo steht hinter mir und umschlingt meinen Brustkorb mit seinen kräftigen Armen. Ich trete ihn ans Schienbein, aber er lacht nur kurz.

„Vertrau uns doch, dann könnten wir dir auch vertrauen“, flüstert er in mein Ohr. Schleimer! Nein. Das kann ich nicht. Ich kenne sie nicht und sie sind nicht aus meinem Zirkel. Sie haben mich entführt und mich gezwungen, ihnen meine geheime Schwachstelle preiszugeben. Irgendwie schafft Cedric es mit Harry, meine rechten Hand von meiner Schwachstelle wegzuziehen, die ich schützend darüber gelegt hatte. Josh drückt mich an Apollo und Felix fährt über meinen Arm. Unbehaglich bewege ich mich, ich weiß, dass er die ovale Stelle fühlt, die etwas wärmer ist als der Rest, etwas weicher und verletzlicher.

„Dauert nicht lange“, murmelt er und nimmt eine Nadel raus. Ich schreie auf und zappele. Ich schwöre, ich übertreibe nicht. Er will es überprüfen, mich vor allem mit seinem Wissen um diese verfickte Schwachstelle quälen. Er packt meinen Arm fester und sticht zu. Ich schreie auf. Ich bin dort empfindlich, und er sticht einfach zu!

„Bastard“, bringe ich hervor, als ich mich auf dem Boden krümme. Ja, es ist nur ein Nadelstich, aber an dieser Stelle sind meine Empfindungen vertausendfacht, und nichts heilt so schnell. Irgendwie schaffe ich es, die winzige silberne Metallstange aus meinem Arm zu ziehen. Die anderen schauen auf mich herab. Apollo sagt etwas zu Felix, aber ich kriege es nicht richtig mit. Dann, kurz bevor alles schwarz wird, hebt er mich hoch. Nein, ich darf nicht ohnmächtig werden, was sie dann alles mit mir tun könnten!


Kapitel 3


Apollo's Sicht

Ein einzelner Blutstropfen rinnt über ihren Arm, als sie die Nadel wegschleudert.

„Das war überhaupt nicht nötig!“, keife ich Felix wütend an. Warum muss er immer seine Macht demonstrieren, warum reicht es ihm nicht, die Stelle zu fühlen, so weich, verletzlich und warm wie sie ist. Nur einmal hat mich ein Stein an meiner geheimen Stelle aufgeratscht, aber ich bin sofort ohnmächtig geworden und war einige Zeit krank gewesen. Salyx konnte offensichtlich einiges ab, schon alleine wie lange sie gegen Jojo gekämpft hatte. Jojo hat ein mal mit mir geübt, und nach knapp dreißig Sekunden sind mir Tränen über das Gesicht gelaufen und ich habe ihn angefleht, aufzuhören. Ich bin nicht sonderlich stolz darauf, aber ich weiß, was Salyx ertragen hat. Mit einigen letzten bösen Blicken hebe ich Salyx hoch und trage sie in die Hütte. Vorsichtig lege ich sie auf das Bett und setze mich auf die Bettkante. In meiner Tasche habe ich Spezialsalbe, jeder aus meinem Clan trägt sie, die unser Arzt speziell entwickelt hat. Ich nehme sie heraus und trage etwas davon auf die Wunde auf. Sofort versiegt der Blutfluss und Schorf bildet sich. Trotzdem wird Salyx noch einige Tage etwas davon spüren. Ich streiche ihr die Haare aus dem kleinen Gesicht. Erst 16 ist sie, ein Jahr jünger als ich. Auch meine Verwandlung liegt nicht weit zurück, zwei Jahre ist es her, seit ich 15 wurde, zwei Jahre, seit dem ich mich nur von Wild ernähre und mehr Zeit im Wald als irgendwo anders verbringe.

Salyx zuckt und reißt mich aus den Gedanken. Ihre Augen öffnen sich. Verwirrt blinzelt sie mich an, dann erschrocken und sauer. Und vielleicht etwas ängstlich. Sie weckt Beschützerinstinkte bei mir. Ich sitze nur da und nach einer Weile entspannt sie sich.

„Ich gehe zu dir nach Hause, Kleidung holen und so. Gibt es irgendwas spezielles, was du brauchst?“, erkundige ich mich. Sie denkt kurz nach.

„Im Badezimmerschrank in der untersten Schublade ist eine Kulturtasche mit Toilettenartikeln“, sie errötet. Süß. „Da ist auch schon eine Zahnbürste dabei. Und auf meinem Bett, im ersten Stock, das Zimmer gleich links, liegt ein kleiner Lederbeutel. Wenn mein Bruder nicht da ist … der Schlüssel ist im Vogelhäuschen.“

Ich nicke. „Okay, bis gleich.“ Ich erhebe mich, doch aus irgend einem Grund drehe ich mich vor der Tür noch einmal kurz um. „Mein Schwachpunkt ist an meiner Leiste.“ Dann verschwinde ich. Irgendwie hatte ich das Gefühl, sie sollte es auch von mir wissen, ich hatte das Bedürfnis ihr Vertrauen zu erlangen. Kopfschüttelnd schließe ich die Tür hinter mir ab, wobei ich kurz zögere. Es würde doch niemand merken, wenn ich sie offen ließe. Aber meiner Pflicht bin ich mir bewusst, also drehe ich den Schlüssel herum und stecke ihn ein. Am Waldparkplatz springe ich in meinen Jeep und tuckere los.


Erst vor ihrem Haus halte ich wieder an. Haus … naja, Villa trifft es besser. Es ist niemand da, also fingere ich den Schlüssel aus dem Vogelhaus hervor und betrete kurz darauf das Haus. Eine breite Treppe führt nach oben. Wie sie es mir gesagt hat biege ich gleich links ab. Eine leere Reisetasche steht mitten im Zimmer, zwei leere Kartons daneben. Mit der Tasche wäre das Transportproblem schonmal gelöst. Ich sehe mich um. Nur ein breites Bett mit gusseisernem Rahmen, der mit Schnörkeln verziert ist. Es ist wirklich groß. Gegenüber steht ein Schreibtisch, dann noch ein Bücherregal, in dem sich säuberlich aufgereiht Lektüre neben Lektüre befindet. Ihr Kleiderschrank ist erstaunlich klein. Schnell nehme ich das nötigste an Kleidung mit und lege es in die Tasche. Im angrenzenden Bad finde ich auch sofort die Kulturtasche. Nur noch den Lederbeutel und vielleicht ein Buch. Ich gehe auf das Regal zu. „Schattenkämpferin“ ist sehr zerlesen, „Shantaram“ dagegen immer noch in Klarsichtfolie. Beides landet in der Tasche, den Lederbeutel lege ich vorsichtig darauf. Kurz will ich hinein sehen, unterdrücke meine Neugier dann aber schnell.


Zwanzig Minuten später schließe ich wieder die Tür zur Hütte auf. Salyx liegt auf dem Bett, als Löwin, die Nase hat sie unter den Pfoten versteckt. Ihre – beziehungsweise meine – Kleidung liegt sauber gefaltet auf dem Bett. Ich räuspere mich und sie wacht auf, schnurrt und streckt sich kurz. Also hat sie das mit meiner Schwachstelle vorhin gut aufgenommen. Ich stelle die Tasche ab. Wachsam beobachtet sie mich.

„Hast du Hunger?“, hake ich nach. Sie nickt. „Ich frage Felix, ob wir jagen gehen dürfen.“ Ich will schon aus der Tür treten, aber stoße mit Jojo zusammen. Sie faucht, als er sie böse an sieht.

„Ich wollte nur mal mitteilen, dass ihr mit uns jagen gehen dürft“, grummelt Jojo. Das passt. Ich nicke ihr zu und sie schießt aus der Tür. Jojo sieht mich vorwurfsvoll an, aber ich zucke nur mit den Schultern und wir lassen unsere Kleidung auf den Boden fallen um uns zu verwandeln.


Salyx' Sicht

Das Rudel ist ziemlich gut organisiert, dafür, dass es aus Löwe-Apollo, Kobra-Josh, Fuchs-Luca, Cedric-Waschbär, Harry-Rebhuhn, Jojo-Dachs und Tiger-Felix besteht. Tiger und Füchse sind mir ja durch meine Eltern nicht fremd, aber ich war der einzige Löwenwandler im Rudel. Ich wittere eine Wildsau mit ihren Jungen. Jojo taucht neben mir auf. Ich bin mir sicher, dass Felix den anderen befohlen hat, mich zu bewachen, denn Harry fliegt die ganze Zeit über mir, Josh will getragen werden und Felix geht mir immer voraus. Nur Apollo ist sorglos und blödelt mit Cedric herum, der es trotzdem schafft, mich immer im Auge zu behalten. Ich knurre leicht, als ein weiterer Duft in meine Nase steigt. Er ist mir bekannt, doch Felix gibt das Signal zum Umkreisen. Das sind definitiv Wandler, und ich soll zurückbleiben, da die anderen diese beiden Eindringlinge nicht kennen. Jojo bewacht mich und Felix gibt das Signal zum Angriff. Mein Körper hat schon längst kapiert, was hier vor geht, als ich fauchend vorspringe und mich vor die beiden Wölfe werfe.

„Zurück!“, knurre ich. „Das sind mein Bruder und seine Freundin!“

Mein Bruder vergräbt seine Nase beruhigend im Nackenfell seiner Freundin. Ich soll für die beiden Gruppen übermitteln: Felix will erstmal Blutsbrüderschaft und dann die Schwachstellen, Apollo ist der Meinung, mit der Schwachstelle hätte er es bereits bei mir übertrieben, und die anderen hängen dazwischen. Robby und Anna sind wenigstens mit dem Blutaustausch einverstanden. Weil die anderen sich zurückhalten, macht Robby, wie er eben ist, den ersten Schritt und gibt Felix seinen Nacken preis.

„Nicht, Robby!“, rufe ich, aber Felix hat schon getrunken. Vorsichtig trinkt auch Robby von Felix' Blut und Harry lässt Anna trinken. Josh leckt nur einen Rest ab, dann sind sie fertig, aber die Situation ist nicht entschärft.

Felix brüllt nach den Schwachpunkten, bis Jojo sich schließlich einmischt. Er wirft sich auf mich und ich jaule unter seinem Gewicht auf.

„Hör zu, Robin“, knurrt er gefährlich. „Wir haben deine Schwester und kennen ihren Schwachpunkt.“ Bedauernd sehe ich ihn an, als er mir einen entsetzten Blick zuwirft. „Du sagst uns am besten jetzt deinen eigenen, denn sonst stellen wir sie für eine Weile ruhig.“ Ich winde mich unter ihm. Danke, der Stich von der Nadel brennt immer noch, auch wenn er deutlich besser aussieht, als er es tun sollte.

„Tu's nicht!“, teile ich Robby mit, aber er senkt den Kopf.

„Nicht hier“, murmelt er. Von Felix und Luca eskortiert verschwindet er zwischen den Bäumen. In dem Moment weiß ich, wo seine Schwachstelle ist. Es ist sein Herz. Ich liebe ihn, aber ich konnte ihm nie so gerecht werden, wie er mich liebt. Er liebt bedingungslos, jeden, der es auch nur Ansatzweise verdient hat, auf irgendeine Art. Unsere Eltern, Anna, mich. Ich heule auf. Das muss seine Gabe sein. Scheiße! So mächtig, so schlimm ist diese Gabe auch, und diese Schwachstelle, denn er kann leichter verletzt werden als wir anderen.

Kurz darauf kommen die drei wieder. Felix und Luca wirken zufrieden, doch Robby sieht gedemütigt aus. Er hasst es, zu irgendetwas gezwungen zu werden. Wenigstens sehe ich kein Blut, sie haben es wohl nicht getestet. Zumindest nicht mit Nadeln. Ich weiß, dass sie ihn an seiner Schwachstelle erwischt haben, als Jojo sich auf mich geworfen hat. Jetzt lassen Felix und Luca Robby nicht wieder zu Anna. Sie wollen sie zwingen, ihren Schwachpunkt ebenfalls zu verraten. Ich merke, wie Anna und Robby Blicke tauschen. Natürlich weiß sie, wo sein Schwachpunkt ist, er liebt sie! Er weiß auch wo ihrer ist, aber ich merke, dass er es nicht gesagt hat. Das ginge gegen seinen eigenen Schwachpunkt. Felix faucht Anna an.

„Aber ein bisschen plötzlich, jetzt! Deiner auch!“

„Nein!“, keuchen Robby und ich gleichzeitig auf. Unglücklich sieht sie uns an. Luca knurrt. Robby knurrt zurück. Mir stockt der Atem. Das war nicht gerade das klügste was er hätte tun können.

„Ihr kennt doch Robby's und meinen, da könnt ihr Anna jederzeit in Schach halten“, versuche ich Felix zu beschwichtigen. Apollo stimmt zu und Felix atmet scharf ein.

„Gut. Aber bis morgen früh bleibt ihr bei uns! Und wenn auch nur einer von euch Ärger macht …“ Das ist ein Befehl, kein Platz für Argumente. Niedergeschlagen besorgen wir uns nur noch etwas Frischfleisch, bevor wir den Wandlern des Olopo-Zirkels zurück in die Siedlung folgen.

Jojo und Apollo ziehen sich kurz in der Hütte um und kommen mit meiner Tasche wieder heraus.

„Ihr schlaft dadrin“, bedeutet Jojo meinem Bruder und ich verabschiede mich noch kurz von Anna und Robby. Und ich? Apollo nimmt mich mit zu sich. Bei dem soll ich die Nacht verbringen? Na danke.


Phil


„Wie viel Kontakt?“, wiederholt der Boss. Phil senkt den Kopf. „Du weißt, ich muss los, Phil. Du solltest dich besser darum kümmern, die Abbeys müssen sich zu uns bekehren! Die Eltern sind nicht wichtig, die Kinder! Wenn sie in Carolina sind, warum bist du dann nicht dort? Stattdessen hängst du in Florida herum! So langsam frage ich mich, ob es gut war, sich mit dir einzulassen.“ Er bleckt seine weißen Vampirfänge. „Wenn du dir nicht mehr Mühe gibst, werde ich dich woanders einsetzen müssen. Ich habe gehört, Pumas seien unter den Gestaltenwandlern eine Delikatesse. Sie sollen süßes Blut haben“, flüstert der schwarzhaarige leise und schreitet um seinen ergebenen Diener herum. „Denkst du nicht auch, Phil?“, säuselt er bedrohlich in dessen Ohr.

Kapitel 4


Apollo's Sicht

Ich merke, dass es ihr missfällt, von ihrem Bruder und seiner Freundin getrennt zu sein, aber sie hält sich an Felix' „keinen-Ärger-machen-Regel“ und beschwert sich nicht. Ich tue auch so, als fände ich das nicht so toll, aber eigentlich bin ich nicht unglücklich mit den Übernachtungsverhältnissen. Ich zeige ihr das Bad. Sie duscht, ich danach. Es ist bereits neun, als ich ihr das Schlafzimmer zeige. Sie hebt kaum merklich eine Augenbraue ohne mich anzusehen. „Nur ein Bett?“, soll das wohl ausdrücken.

„Äh … ich nehme an wir können da beide drin schlafen. Es ist ja ziemlich groß“, stammele ich verlegen. Super, Apollo. Sie macht keinen Ärger. Natürlich nicht.


Als ich am nächsten Morgen aufwache ist mir warm. Ich schrecke hoch, als mir bewusst wird warum. Ich halte Salyx eng umschlungen und sie hat sich an mich gekuschelt. Oh Mann! Ich sehe auf meinen Wecker. Ich kann genauso gut jetzt aufstehen. Ich erhebe mich vorsichtig, darauf bedacht, sie nicht aufzuwecken. In der Küche koche ich erstmal einen Kaffee. Ja, ich esse nur Löwen-fraß, aber keine zehn Löwen kriegen mich von meinem Kaffee weg!

Kurz darauf kommt Salyx herunter. Sie ist bereits angezogen, im Gegensatz zu mir, ich trage nur eine Jogginghose und meine Haare sind noch völlig verwuschelt. Erschrocken sieht sie mich an. Ich ignoriere es.

„Kaffee?“, frage ich so ruhig und freundlich wie möglich.

„Schwarz, danke“, erwidert sie und nimmt die Tasse entgegen. Schwarzer Kaffe, eine Angewohnheit der meisten Gestaltenwandler. Ihr süßlicher Duft hat den Raum bereits durchtränkt, sie riecht angenehm nach Vanille und selbst der Kaffeeduft wird von dieser zarten Note überlagert. Ich versuche die Luft nicht überdeutlich einzusaugen, hoffentlich merkt sie nichts. Sie nimmt den Lederbeutel aus ihrer Tasche. Neugierig sehe ich sie an. Sie holt zwei manschettenartige Stahlkappen hervor. Eine schließt sie problemlos um ihren rechten Arm, aber als sie sich die andere anlegen will, zuckt sie vor Schmerzen zusammen.

„Das hätte ich fast vergessen“, ärgere ich mich und hole die Salbe hervor. Ich drehe den Deckel der Tube ab und drücke etwas auf meinen Finger. Dann zögere ich.

„Darf ich?“, erkundige ich mich vorsichtig. Etwas misstrauisch nickt sie, aber sie versucht zu vertrauen, das sieht man ihr an. Vertrauen ist in unserem Zirkel so wichtig. Sie zuckt nur kurz zusammen, als ich die Salbe vorsichtig auftrage, dann entspannt sie sich, als sie deren Wirkung erkennt. Nur noch ein winziger roter Punkt zeugt jetzt von dem Stich, aber er muss trotzdem noch wehtun. Ich mache ihr das Metallding um.

„Sind das Rüstungsteile?“, möchte ich wissen und sie nickt. Clever, sie sehen aus wie diese ägyptischen Armbänder, keiner würde merken, dass die in schlichtem schwarz gehaltenen Bänder etwas anderes als Schmuck sind, dabei könnten sie Salyx' Leben retten. Beziehungsweise der linke. Sie bindet sich noch das Lederarmband um.

Irgendwann machen wir uns für die Schule fertig.

Anna muss zurück nach Florida, ein trauriger Robin geht zur Arbeit, Salyx steigt zu mir in den Jeep. Ich fahre bei ihr Zuhause vorbei, damit sie ihre Schulsachen holen kann. Eigentlich wollte sie mit ihrem eigenen Auto zur Schule fahren, sie mag mich wohl nicht besonders, aber ich schaffe es, sie zu überreden, dass sie bei mir mitfährt. So wie sie sich heute morgen an mich gekuschelt hatte, sah das aber gar nicht nach „nicht-mögen“ aus, sondern eher nach dem, was ich da auch zwischen uns fühle.


Auf dem Parkplatz starren uns alle an. Kein Wunder, es ist schließlich das erste Mal, dass man mich in Begleitung eines Mädchens sieht. Ich steige aus und lege einen Arm um sie. Sie ist nervös, aber diese Geste scheint sie zu beruhigen. Wir geben den anderen frischen Gesprächsstoff für den ganzen Tag, als wir Arm in Arm zu Mathe gehen.


Salyx' Sicht

Alle tuscheln und starren uns an. Aber Apollo steht zu mir und hat sogar einen Arm um mich gelegt. Voll süß von ihm! Nein, das habe ich nicht gedacht. Ich ermahne mich, mich zusammenzureißen. Ich atme auf, als wir endlich im Matheraum ankommen. Ich lasse mich neben Jana fallen.

„Hi!“

„Hallo Salyx“, begrüßt sie mich. Sie plappert munter drauf los, und ich kann meinen Gedanken endlich in Ruhe nachhängen. Stimmt es, was ich geträumt habe? Das Apollo und ich eng umschlungen im gleichen Bett geschlafen haben, zusammen gekuschelt wie zwei Verliebte?

„Erde an Salyx! Ich habe dich etwas gefragt“, weckt Jana mich aus meiner Starre.

„Sorry, was war?“, hake ich verwirrt nach.

„Ob du mit Apollo zusammen bist. Alle reden über euch. Apollo ist sooo heiß und hatte hier noch nie was mit den Mädchen“, wiederholt sie aufgeregt.

Ich lache verlegen. „Nein, wir kennen uns nur schon etwas länger“, rede ich mich heraus.

Apollo hat es dank seiner Löwenohren mitgekriegt, und ich weiß, dass er sich ebenfalls an diese Story halten wird. Ich arbeite weiter an meinen Matheaufgaben, und melde mich, als ich fertig bin. Das war einfach. Tja, Wandler sind meist überdurchschnittlich intelligent. Eine reine Überlebensstrategie der Evolution, auch wenn ich eigentlich einen Dreck auf meine Noten gebe. Ab und zu ist es allerdings auch mal schön, zu sehen, dass man mit seinem Bruder und dessen Einser-schnitt verwandt ist.

Mr. Dig kontrolliert meine Lösung kurz, und bittet mich dann, meinen Lösungsweg an der Tafel zu erklären. Zufrieden gibt er mir eine Eins, als ich wieder auf meinen Platz zurückkehre. Er ist ein netter Kerl, und lässt uns, wie gestern, wieder fünf Minuten eher raus.

Ich schlendere zu Kunst, als mich jemand antippt. Apollo steht vor mir.

„Wir kennen uns also schon ziemlich lange“, grinst er.

„Genau, seitdem unsere Eltern uns innerhalb der gleichen Touristengruppe auf langweilige Sightseeingtouren geschleppt haben. So was schweißt zusammen“, erkläre ich unschuldig. Er lacht.

„Und dann haben wir öfters was zusammen unternommen. Unsere Brüder verstehen sich auch super untereinander. Ich werde dir auch Josh und den Rest der Gang vorstellen“, fabuliert er.

„Du hast es gecheckt“, flöte ich.

„Du findest uns heiß“, muss er dennoch provozieren.

„Wenn ihr heiß seid, kocht jeder Eisklotz“, gebe ich zurück.

Scherzend gehen wir zu Kunst. Überraschenderweise haben Apollo, Josh und ich die einzigen Einsen auf unsere gestrigen Bilder bekommen. Dabei ist das eine Kunstleistungsgruppe, und die Bilder der anderen waren weder von der Idee, noch vom Zeichnerischen her schlecht. Das nächste Thema ist Wasser. Angeregt diskutiert die Klasse über Lichtreflexe auf dem Wasser, und die Hausaufgabe ist klar: Wasser beobachten und Fotos davon machen. Jetzt hat Apollo noch Physik, während ich Englisch habe, bevor wir in der Cafeteria Mittagspause machen dürfen.

Die Sekunden verrinnen, werden quälend langsam zu Minuten, die Doppelstunde vergeht. Als es klingelt springe ich auf. Ich schiebe mich durch den Schülerstrom zu meinem Schließfach und tausche meine Bücher aus. Nebenher lese ich meine SMS. Robby, der besorgt wissen will, ob alles OK ist. Mum, die bald vorbeikommen will, um das neue Haus anzusehen. Eine SMS von Unbekannt.


Hey Salyx,

Isst du mit uns zu Mittag?

Bis dann in der Cafeteria.

Apollo


Ich grinse. Woher hat dieser Vollidiot meine Nummer? Ich hole mir mein Essenstablett bei der Essensausgabe und laufe auf den Tisch der Gestaltenwandler zu. Sie sitzen alleine und lassen die Mädchen abblitzen, die sich an sie heranmachen. Die meisten sind Cheerleaderinnen in zu knappen Röcken mit ihren albernen Puscheln in den Händen. Als ich auf sie zukomme, stieben sie in alle Richtungen davon, tuschelnd und kichernd streuen sie Gerüchte.

„Hi Salyx, setz dich!“, begrüßt Harry mich.

„Hallo“, erwidere ich und lasse mich auf dem freien Platz neben Apollo nieder.

„Apollo hat uns schon erzählt wie ihr euch kennengelernt habt“, plaudert Cedric ruhig.

„Oh ja, Sightseeing, wie langweilig“, stimmt Josh zu. Ich beiße mir auf die Lippe um nicht laut loszulachen. Die Jungs gehen völlig in ihrer Rolle auf.

„Woher hast du eigentlich meine Nummer?“, erkundige ich mich scheinheilig bei Apollo.

„Keine Ahnung, sie stand in meinem Telefonbuch“, antwortet er unschuldig.

„Stalker!“, jammere ich gespielt. Die anderen lachen.

„Kommst du nach der Schule mit zu uns?“, will Cedric neugierig wissen.

„Wozu?“
„Trainieren oder so. Luca, Jojo und Felix sind auch dabei“, schlug Harry vor.

„Aha. Wollt ihr mich fertig machen?“ Cedric senkte den Kopf und ich fragte weiter: „Wird Jojo mir wieder die Arme verdrehen? Und Felix auf mich losgehen?“, nachdenklich lege ich die Hände ineinander.

„Vermutlich, …“, setzt Josh an, aber Cedric rammt ihm den Ellenbogen in die Rippen. Josh keucht auf. Sieht so aus, als wüsste ich jetzt seine verletzliche Stelle. Fortschritt! Baam! Das ist reine Schadenfreude meinerseits. Man muss auch mal böse sein dürfen.

„Äh … nein, natürlich nicht“, verneint Josh schnell. Ich lächele in mich hinein. Ich habe schon längst beschlossen, mit ihnen zu gehen, mein soziales Umfeld braucht dringend ein bisschen mehr Pepp, aber das müssen die Jungs ja nicht wissen. Ich bin echt schlecht darin, Freunde zu finden, und Kontakt halten kann ich auch nicht gut.

„Du hast da was“, sagt Harry und legt kurz die Finger an meine Stirn. Mir wird leicht schwindelig. Irgendwie war es, glaube ich, eine gute Entscheidung, mit ihnen mitzugehen. Jetzt, wo mein Gesicht wieder krümelfrei ist, kann ich es ihnen ja mitteilen. Harry strahlt mich an. Da geht mir ein Licht auf. Ich lasse mir jedoch nichts anmerken und esse auf. Bevor ich gehe wende ich mich noch an Harry:

„Der Einsatz deiner – zugegeben, echt coolen – Gabe wäre nicht nötig gewesen. Und hätte ich mich davor bereits anders entschieden, hätte der Einsatz deiner Kräfte auch nichts gebracht.“ Ich rausche ab. Harry sieht mir mit offenem Mund hinterher. „Wir sehen uns nach der AG!“, bedeute ich ihnen noch, bevor ich mich zu meinem nächsten Kurs begebe. Er kann meinen Willen beeinflussen, und hat das auch getan. Cool, aber beängstigend. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund bin ich ihm nicht sauer, obwohl er das gestern genauso gut hätte probieren können, um mir einiges an Arme verdrehen zu ersparen.


Apollo's Sicht

„Was meinst du, was ihre Gabe ist? Schnellmerker? Hellseherin?“, erkundigt Harry sich bei mir während wir uns aufwärmen.

„Hm“, mache ich abwesend. „Vielleicht.“

„Mann Apollo, die Kleine hat's voll drauf. Wie locker die Jojo erträgt. Und du interessierst dich überhaupt nicht für sie.“ Egal was er sagt, das stimmt nicht. Ich kann nur daran denken, wie hübsch sie ist, wie natürlich, klein und süß. Ich will es mir nicht eingestehen, aber ich mag sie mehr, als die anderen wissen, und mehr, als mir lieb ist. Weil ich völlig abwesend bin, können die anderen beim Training nicht viel mit mir anfangen und ich werde häufig überrannt. Als wir schließlich auf dem Parkplatz eintreffen, wartet Salyx bereits. Sie hat Selbstverteidigung gewählt. Wir steigen in den Jeep und fahren zurück zur Olopo Siedlung.


Wir gehen Jagen, einige Tapire sind direkt vor uns. Ich beobachte Salyx, und stelle fest, dass ihre Hinterhand vom Springen stark bemuskelt ist. Nein, ich starre ihr nicht auf den Hintern, mir geht es um ihre HINTERHAND!!! Erde an Leser! Hinterhand, nicht Hintern. Salyx' Sprünge sind lang und gezielt kraftvoll, ihre Tritte leise. Alleine erlegt sie mehrere Beutetiere und ich denke, wir können von ihr noch einiges an Jagdtechnik lernen. Ich bin gespannt, wie sie kämpft.


Ich schalte das Licht an, als wir die unterirdische Trainingshalle betreten. Salyx nickt anerkennend, als sie die vielen Wurfmesser und Schlagringe sieht. Dabei ist das noch nicht alles, sondern nur das bisschen, was man leicht verstecken kann. Man muss ja die Möglichkeit haben sich zu verteidigen!

Sag mal, immer noch nicht begriffen? Also: Mal abgesehen von den Territoriumsstreitigkeiten gibt es noch ganz schöne Gemetzel mit Vampiren. Ja, die Blutsauger gibt es auch. Leider. Und sie sind uns ähnlicher, als uns lieb ist. Sie haben zumeist ebenfalls eine Gabe und eine Schwachstelle, nur ernähren sie sich nicht von Fleisch und Wild sondern von Blut. Meist macht das keine Probleme, wenn sie Tierblut trinken, aber es gibt auch die bösen Kerle, die dem Menschenblut verfallen sind und Menschen töten, um sie auszusaugen. Das müssen wir verhindern. So gesehen ist das natürlich gut, zwei Gestaltenwandler mehr in der Region zu haben, da die ja helfen können, die Gegend Vamp-frei zu halten. Man erkennt diese miesen Mörder ziemlich einfach, sie heben sich allein im Aussehen schon von den anderen ab.

Ich schleudere einen Wurfstern auf eine Strohpuppe und köpfe sie mit einem Messer. Tot. Die nächste fällt einem Messerstich zum Opfer, bevor ich die Klinge benutze um meinem nächsten Feind ordentlich Konter zu geben. Wieso ich Vampire töten kann, wo sie doch praktisch unverletzbar sind, bis auf an ihrer Schwachstelle? Wenn es schnell genug geht, kann jeder von uns sterben. Tragischer Weise – für sie – sterben Vampire auch durch Titan, auf welches sie allergisch reagieren, und das ist in alle unsere Klingen gemischt. Salyx sieht mir zu, scheinbar beeindruckt. Das stimmt mich glücklich.

„Zweikampf?“, schlage ich vor. Sie nickt und macht sich bereit. Nur Fäuste, keine Waffen. Ich will ihr einen Kinnhaken verpassen, aber sie ist schneller, taucht unter meinem Arm hinweg und ich kriege eine ordentliche Rückhand ins Gesicht. Ich stolpere und stelle ihr sofort ebenfalls ein Bein. Sie fällt, auf dem Boden rollt sie sich sofort ab und kommt wieder auf die Füße. Sie tritt mir ans Schienbein und boxt mir in den Magen. Sie ist nicht zimperlich. Okay, sie will es so, jetzt geht’s ab! Ich ziele auf ihre Schulter und sie springt schräg zurück, wobei sie aber ihre Verteidigung der rechten Seite aufgeben muss. Ich nutze es sofort, packe sie an der Schulter und breche ihr Gleichgewicht, sodass ich sie auf den Boden drücken kann. Unklug, merke ich, als ich ihren Ellenbogen ins Gesicht bekomme. Sofort rutscht sie unter mir weg. Irgendwie schlägt sie mir mit der Handkante auf den Rücken, noch bevor ich mich umdrehen kann, und ich bin weg.


„Was ist passiert?“, ächze ich, als ich aufwache.

„Die Kleine hat dich ausgeschaltet, Apollo. Was geht mit dir? Normalerweise hättest du jeden anderen einfach außer Gefecht gesetzt.“ Ich zucke mit den Schultern und setze mich neben Harry. Er reicht mir eine Flasche Wasser. Dankbar trinke ich.

Luca und Cedric prügeln sich in einer Hallenecke aufs heftigste, Josh und Jojo schleudern Messer aus einiger Entfernung auf Strohpuppen. Und Salyx? Obwohl sie es beim Mittagessen nicht wollte, kämpft sie mit Felix. Es sieht echt übel aus, und wüsste ich nicht, dass die Trainingsschwerter gepolstert sind, hätte ich echt Angst um die beiden. Salyx wirbelt ihr Schwert herum und dreht sich gleichzeitig um die eigene Achse. Perplex springt Felix zurück, bevor er die Waffe ins Gesicht kriegt. Er fasst sich schnell und trifft ihren Schwertknauf. Das Schwert fliegt ihr aus der Hand. Moment, falsch, es sieht nur so aus, Salyx hat es einfach von einer Hand in die andere geworfen und greift von hinten an. Sie hielt es vorher rechts, aber sie ist Linkshänderin, das weiß ich aus der Schule, jetzt kann sie richtig Feuer geben! Felix lässt sich zu Boden fallen, ihr Schwert zischt über ihn hinweg und er springt wieder hoch. Kurz treffen die Klingen aufeinander, es folgt ein Kräftemessen, dass Salyx mit einer geschickten Wendung beendet. Aber Felix steht ihr in nichts nach. Er hat sich den Schwertkampf zum Lebensziel gesetzt. Er versucht Salyx auszutanzen, aber ihre Beinarbeit ist ausgezeichnet. Er ändert die Taktik deutlich und bleibt wie ein Eisenklotz nur noch an einer Stelle, pariert jeden Angriff oder weicht ihm nur mit dem Oberkörper aus. Sie zielt auf seine Hüfte. Felix nutzt diese Chance, wer weiß wann die nächste kommt, schlägt ihr das Schwert aus der Hand und richtet seine Schwertspitze auf ihren Hals.

„Tot.“ Das ist eine schlichte Feststellung, es gibt nichts zu rütteln.

„Schätze mal schon“, stimmt Salyx zu und rührt sich nicht einen Millimeter, bis Felix das Schwert schließlich senkt. Jojo und Josh applaudieren stürmisch.

„Jetzt bin ich dran!“, fordert Jojo.

„Keine Chance“, jammert Salyx. „Das gestern war mir schon genug.“


Kapitel 5


Salyx' Sicht

Natürlich lässt Jojo nicht so einfach locker, und ich tue so, als gäbe ich mich geschlagen. Er will einen Faustkampf auf Gefangennahme. Das war mir klar. Sadist! In der Mitte des riesigen Kreises ist ein Kampfkreis, dort fangen wir an. Man muss versuchen, den Gegner zu einem ähnlichen Kreis am Ende der Halle hinter sich zu bringen. Jojo ist mir kräftemäßig überlegen, aber er spielt Football, während ich heute ein paar nette neue Techniken in Selbstverteidigung gelernt habe. Natürlich schafft Jojo es schnell, mich auf den Boden zu werfen und mich fest zu halten.

„Wirst du dich wehren, wenn ich dich jetzt in meinen Kreis schleppe?“, zischt er mir mit einem gemeinen Grinsen auf dem Gesicht ins Ohr. Seine Augen funkeln. Locker dreht er mir die Arme auf den Rücken und zwingt mich dazu, aufzustehen. Bevor er sich versieht bin ich mit mächtig Kraft hoch gesprungen, habe meine Arme gestreckt und ihn mit meiner gesamten Kraft zwei Meter weiter geschleudert. Ich renne auf meinen Kreis zu, dann muss ich ihn nicht so weit schleppen, wenn ich ihn nochmal hinschmeiße. Kurz bevor er mich erreicht hat, ducke ich mich, sodass ich wie eine Stolperfalle dastehe und er fällt tatsächlich über mich. Kurz darauf rangeln wir beide um die Oberhand, bevor er mich einfach über die Schulter wirft und zu seinem Kreis trägt. Die anderen lachen bei meinem verkniffenen Gesicht. Ich lache mit. Jojo setzt mich ab und beugt sich zu mir runter.

„Du hast verloren, Kleine“, stichelt er. Sein Gesicht ist nicht weit von meinem Gesicht weg, und ich merke, dass er ganz nett sein kann. Wie der Rest der Gang. Wie die meisten Gestaltenwandler, auch wenn sie noch so düster scheinen und finster und böse tun. Gestaltenwandler sind nicht die Typen für gemeine Machenschaften, sondern die, die eher für andere den Kopf hinhalten. Eigentlich ist er ein bisschen wie Robin für mich. Der Bruder, mit dem man sich zofft, aber der eigentlich immer für einen da ist und mit dem man Spaß haben kann.


Josh, Apollo und ich ziehen durch den Wald, mit Kameras bewaffnet. Irgendwo hier soll ein Wasserfall sein, den wir für Kunst fotografieren wollen. Die beiden finden ihn problemlos, kein Wunder, denn das Rauschen kann man schon von weitem hören. Die Sonne strahlt wunderbar auf die Kaskaden und spritzenden Wassertropfen herab, sodass unser Fotos wahnsinnig gut werden, obwohl die gute Stimmung aus irgendeinem Grund verflogen ist. Apollo ist mürrisch, abweisend und sehr still. Am Ende laufe ich für die Nacht nach Hause.

Robin ist schon zurück, er hat gejagt und ist rundum zufrieden. Als ich ihm mitteile, wie es mit den anderen war, und dass wir täglich mit ihnen trainieren dürfen, würde er, glaube ich, am liebsten jubelnd verrückte Sachen machen. Er hatte befürchtet, dass es hier kein gutes Fitnessstudio für ihn gibt, aber er war überglücklich, als er sich im Keller sogar einen eigenen Fitnessraum einrichten konnte. Schließlich setzte ich mich an die Hausaufgaben.


„Salyx?“

„Mm... Was?“ Ich schrecke hoch, ich bin über meinem Englischaufsatz eingeschlafen.

„Mum ist am Telefon.“ Robby reicht mir das Telefon und lässt mich wieder alleine.

„Hi Mum!“

„Hallo Salyx. Wie geht es dir?“

„Mir geht’s gut, und dir?“

„Mir auch. Dad ist sehr besorgt wegen den Olopos.“

„Sag ihm, er soll sich keine Sorgen machen. Die sind alle nett und lassen uns bei ihnen jagen. Ich habe mit einigen von ihnen Mathe und Kunst. Sie nehmen mich sehr freundlich auf und ich darf Nachmittags mit ihnen trainieren.“

„Okay …“, sagt meine Mutter unbestimmt. „Sei einfach vorsichtig. Was ich über deren Kampftechniken gehört habe …“

„Ja, die sind ziemlich ausgereift. Aber dadurch ist die Gegend ja auch ziemlich Vampir-frei“, belehre ich sie.

„Das ist auch schön, nur … sei einfach vorsichtig“, bittet sie. „Irgendwas war an der Gegend Vampir-mäßig schon immer sehr komisch. Die Blutsauger tauchen jedes halbe Jahrhundert da auf, und das müsste demnächst sein.“

„Ich bin vorsichtig“, verspreche ich.


Apollo's Sicht

Am nächsten Tag kann ich in Mathe beobachten, wie sie schamlos mit Josh flirtet. Beinahe schnaube ich abfällig. Sie hat mir nicht nur den Kopf verdreht, das ausgenutzt um mich im Training fertig zu machen, nein, sie flirtet auch noch mit meinem besten Freund! Und ich dachte, sie wäre nicht der Typ für so etwas … Tja. Klein und blond eben. Dieses Flittchen!

In Kunst hat sie einige der besten Wasserfallfotos ausgesucht und ausgedruckt, und natürlich sucht sie sich Ölfarben und Leinwand aus um das zu malen! Ich dagegen bin unentschlossen, wähle aber dann zähneknirschend die gleichen Materialien wie Salyx. Auf meinem Foto sieht man etwas Moos in einer Makroaufnahme. Es ist mit Wasser durchtränkt und über die Steine, an denen es gewachsen ist, laufen Wasserfäden. Das Licht kommt von links und das nasse Moos leuchtet gerade zu. Ich fange an und trage die erste Schicht Farbe auf. Während sie trocknet sehe ich mich um. Einige haben Wasserhähne, Duschen oder Pools gemalt, Josh zeichnet mit seiner geliebten Kohle eine Seitansicht des Wasserfalls. Ich zwinge mich, nicht auf Salyx zu achten.

Als ich schließlich abgeschafft aus Physik komme, will Cedric, mit dem ich Physik habe, unbedingt Salyx von Englisch abholen, um mit ihr zur Mensa zu gehen. Allerdings warten auch Josh und Harry schon auf sie. Mann, was die alle für Interesse an Salyx zeigen!

In den letzten beiden Stunden entschuldige ich mich und fahre nach Hause. So fertig wie Salyx hat mich noch keiner gemacht, nicht mal Jojo und Felix zusammen, obwohl ich nur an sie denke. Trotzdem ärgere ich mich über sie. Meine Zeit alleine nutze ich, um in der Halle einigen Strohpuppen ordentlich den Garaus zu machen. Ich zerhacke sie und schleudere Schwerter auf sie, zerschnipsele sie und lasse meine Wut richtig raus. Die Wut hat sich gestaut und ich weiß nicht warum. Keiner hat mir was getan, aber ich ärgere mich tierisch über Salyx! Als die anderen ankommen ist die ganze Halle mit Stroh bedeckt. Harry pfeift missbilligend durch die Zähne bevor er sich einen Besen schnappt und alles ein wenig auf einen Haufen zusammenschiebt. Ausgepowert lasse ich mich auf den Boden fallen und lehne mich an die Wand. Salyx und Josh, Salyx und Felix, Salyx und Cedric, Salyx und Harry.

Ich weiß nicht, welche Waffe Salyx bevorzugt, aber ich habe sie ringen, boxen, fechten, mit Schwertern, mit Lanzen und Messern gesehen. Speere schleudern, Wurfsterne werfen, Morgensterne, Bogen, Armbrust, Dreizack. Sie beherrscht alles ziemlich gut. Auch mit einem Blasrohr und Schleudern kann sie gut umgehen, die Ausbildung in Südflorida muss sehr solide und das Training anspruchsvoll sein. Harry lässt sie eine Waffe wählen. Sie nimmt Kampfstäbe, die einzige Waffe, die sie hier noch nicht benutzt hat.

Locker steht sie Harry gegenüber, den Stab in einer Hand. Jeder Profi würde den Zweimeterstab fest in beide Hände nehmen, wie Harry. Jetzt kann sie ordentlich was erleben! Wie durch Zufall schafft sie es, den ersten Angriff zu parieren. Dem zweiten weicht sie aus. Sie hält den Stab wie eine Lanze vor sich und schlägt unbeholfen von oben zu. Harry zügelt seine Angriffe. Es ist klar, dass sie nicht mit dieser Waffe umgehen kann. Halbherzig lässt Harry den Stock quer auf sie zurasen. Doch in letzter Sekunde packt sie ihren eigenen mit beiden Händen, vorbildlich schulterbreit auseinander, und die Stöcke treffen aufeinander. Harry stolpert kurz rückwärts, Salyx' Schwerpunkt ist weit genug vorne, dass sie ohne Pause gleich einen Angriff starten kann. Sie wirbelt den Stock herum und lässt ihn in verschiedenen Positionen immer wieder auf Harry zu sausen. Blitzschnell trennen die beiden sich immer wieder, nur um im nächsten Augenblick die dicken Stäbe aufeinander zu knallen. Salyx' hervorragende Technik macht den Kraftunterschied wett. Also hat sie vorhin nur geschauspielert. Blitzschnell hebt sie ein Bein, als Harry's Stab darunter hinweggleitet. Sie nutzt das gehobene Bein um sofort einen Ausfallschritt zu machen und sich unter Harry's Angriff hinweg zu ducken. Dabei hat sie eine Hand vom Stab gelöst, ihn hinter Harry's Beine geschoben und wieder angefasst. Bevor er etwas tun kann reißt sie kräftig daran, und als sie Harry's Gleichgewicht bricht und er nach vorne fällt, rollt sie sich geschickt ab und tritt ihm seine Waffe aus der Hand. Harry kniet vor ihr, bedröppelt und leicht angeschlagen … und fängt an zu lachen!

„Wir haben uns schon gefragt, welches deine Lieblingswaffe ist“, lacht er. „Sieht so aus, als hätten wir es herausgefunden.“

„Zu deinem Pech! Aber das nächste Mal fragt mich einfach!“, verlangt sie grinsend. Jojo klatscht in die Hände.

„Wenn Apollo nicht will, bin ich jetzt dran.“ Er sieht mich an, ich schüttele den Kopf. „Okay, Trauerklöschen hat keinen Bock. Aber bei mir kommst du nicht so leicht davon!“, spottet er. Sie nickt entschlossen.

„Wie gestern?“ Er stimmt zu und sie machen sich bereit. Vorsichtig umkreisen sie sich, aber keiner will seine Position zu einfach aufgeben. Jojo schnappt sie in Sekundenschnelle und wirft sie wie gestern über die Schulter. Doch sie ist vorbereitet, er kriegt erst eins ihrer Knie in den Magen, dann einen ordentlichen Schlag in den Nacken. Kurz hustet er und sie nutzt es aus, um sich an seinem Arm herunter zu rollen, und in die Kniekehlen zu treten. Er fällt hin. Ein Tritt in die Kniekehlen ist schon mies, wenn das nicht die eigene Schwachstelle ist. Aber das ist nur Pech für Jojo, dass sie es weiß, aber auch irgendwie gerecht. Jetzt sind sie fast ebenbürtig, sie kennen die Schwachstellen, aber Jojo ist viel größer, schwerer und stärker. Aber er weiß nichts von ihren Rüstungsteilen, die man unter ihrem T-Shirt nicht erkennt. Geschickt nutzt Salyx eine Art Katz-und-Maus-Spiel, um ihn in die Nähe ihres Kreises zu kriegen. Dort schafft sie es, ihm ein Bein zu stellen und sich auf seinen Rücken zu setzen. Sie hat gewonnen. Wow.

Ich bin zwar schwer beeindruckt, aber bevor ich zum Zweikampf aufgefordert werden kann renne ich aus der Halle. Mein Löwe will rennen, und das tut er. Bevor ich mich versehe, ist eine Stunde vorbei, und die Sonne geht langsam unter. Ich bin einmal um unser gesamtes Territorium gelaufen. Ich höre etwas, an der Grenze können das Feinde sein. Ich entspanne mich, als ich sehe, dass es nur Drew ist, ein alter Gestaltenwandler der Clanlos als Einsiedler lebt. Er ist eine Krähe und ein Blutsbruder. Daher höre ich, als er denkt:

„Hallo Apollo. Du bist größer geworden. Wie geht es eurer Olopo Meute?“

„Hallo“, erwidere ich höflich. „Gut, und dir? Du siehst sehr … zerrupft aus.“

Er nickt: „Hier kamen ein paar Vampire vorbei. Drei Stück. Sie hatten einen altmodischen Jagdfalken dabei. Hätte mich fast umgebracht, das Vieh. Naja, ich wollte euch warnen, sie wollen scheinbar in der Gegend bleiben und im Grand Merry übernachten.“

„Danke dass du uns warnst. Ach ja, wir haben ein paar neue, zwei Wölfe, von denen das Weibchen nur zeitweise hier ist, und eine Löwin. Die dürfen auch in der Gegend jagen, kennen aber die Grenzen nicht genau. Du musst ihnen also nicht die Augen aushacken“, bringe ich ihn auf den neusten Stand was unsere Mitglieder betrifft.

„Meinst du das Löwenmädchen, das hinter dir steht?“ Belustigt krächzend flattert er davon und ich fahre herum. Salyx steht dort, als eine so wunderschöne Löwin, ihr goldenes Fell wird von den letzten Sonnenstrahlen beleuchtet.

„Alles okay?“, erkundigt sie sich vorsichtig. „Die anderen machen sich Sorgen, ich bin deinen Spuren gefolgt.“ Ihre Haltung drückt Verlegenheit aus, der Kopf ist leicht gesenkt. Es schreit geradezu „Löwenjunges!“ und „Beschützen!“

„Alles bestens. Nur ein paar Blutsauger“, antworte ich sarkastisch. Sie kommt näher und schnurrt.

„Wenn's nicht mehr ist.“ Ich reibe meine Nase an ihrer Flanke.

„Danke, dass du mich gesucht hast.“

„Kein Problem.“ Unsere Nasen berühren sich und ich spüre ihren warmen Atem. Unwillkürlich lecke ich ihr über die feuchte schwarze Nase. Sie schmeckt gut! Ich schnurre ebenfalls. Sie streckt vorsichtig ebenfalls die Zunge heraus und es wird zu einem richtigen Löwenkuss. Wir lassen uns auf dem Boden nieder und kuscheln, unsere warmen Körper im Gegensatz zu der kalten Luft.

Erst nach fünf Minuten wird mir klar, was da mit uns passiert. Entsetzt springe ich auf. Das wollte ich nicht, niemals. Schnell rassele ich alles herunter, was ich von Drew weiß, dann verschwinde ich mit großen Sätzen im nebelverhangenen Wald.


Salyx' Sicht

Er ist weg. Hinter der dichten weißen Nebelwand verschwunden. Nachdenklich lasse ich mich auf mein felliges Hinterteil fallen. Was ist nur in ihn gefahren? Es hat keinen Zweck ihn jetzt zu suchen, er kann auf sich selber aufpassen und die anderen sollen erfahren, was er mir gerade eben gesagt hat. Mit einem Knurren und einem großen Satz springe ich auf und laufe zu unserem Haus, wo die anderen auf mich warten.


Kapitel 6


Salyx' Sicht

Leicht hysterisch erzähle ich den anderen, was passiert ist. Ich bin nur nach Hause gelaufen, habe mich in die nächste Decke gewickelt und mich zurückverwandelt. Die anderen bleiben eher ruhig, als ich ihnen von den Vampiren und Apollo allein im Wald erzähle.

„Salyx, es ist nicht das erste Mal, dass Apollo alleine im Wald ist, oder dass Vampire in der Gegend sind“, versucht Felix mich zu beruhigen.

„Der kommt schon klar“, fügt Josh hinzu. Aber ich werde nicht ruhiger, sondern steigere mich eher in meine Angst herein.

„Und was wenn nicht?“

„Das wird nicht passieren. Himmel, er ist ein Gestaltenwandler!“, probiert auch Robby mich zu besänftigen. Hilflos starre ich ihn an. Warum habe ich Angst um Apollo?

„Du solltest ein wenig schlafen, und wir alle auch“, legt Cedric fest. „Morgen sieht das alles ganz anders aus, vermutlich schleift Apollo dann drei Vampirleichen an, die wir beseitigen müssen.“

„Oder drei Vampire schleifen Apollo an!“, kreische ich.

„Salyx, schlaf. Morgen sehen wir weiter“, meint auch Robby.

„Nein, wir müssen jetzt was unternehmen!“, bestehe ich.

„Ja klar, Kleine. So müde und ausgepowert wie wir sind“, knurrt Jojo plötzlich, schnappt mich und drückt mich aufs Sofa. „Harry?“ Harry knackt mit den Fingerknöcheln und legt mir die Hände an den Kopf.

„Idioten“, empöre ich mich noch bevor ich einschlafe.


Ich glaube ich träume. Josh kommt auf mich zu und küsst mich, kurz flackert seine Gestalt und er wird zu Jojo, dann ist es wieder Josh, der mich verführt, der große, starke Josh mit seinen blonden Haaren und blauen Augen, der Typ zum verlieben.

Ich schrecke hoch. Jojo sitzt neben mir auf dem Sofa, Josh mit grimmiger Miene daneben. Wie kann ich mich nur im Traum in ihn verlieben? Josh schnappt nach Luft, als wüsste er, was ich denke. Moment mal, gar nicht so abwegig … Er nickt.

„Tut mir Leid, aber ich kann Gedanken tatsächlich erahnen. Aber leider nicht vollständig lesen“, entschuldigt er sich bedrückt.

„Also weißt du von meinem Traum?“

„'türlich“, knurrt Jojo. Fragend sehe ich ihn an. „Ich habe die Gabe, Träume zu beeinflussen. Josh wollte, dass du genau das träumst, er hat damit gedroht zu Felix zu rennen und ihm zu sagen, dass meine Gedanken nicht loyal sind.“ Ich starre Josh an.

„Sorry. War mies von mir, ich weiß. Sorry Jojo.“ Gnädig nickt Jojo. „Bitte, ich entschuldige mich doch, du musst mir keine Albträume bereiten“, bettelt Josh. Jojo scheint kurz nachzudenken und verlässt den Raum mit einem mysteriös grimmig verzogenem Mund.

„Mann, ich hab echt Scheiße gebaut. Aber ich konnte echt nicht anders, Sorry“, seufzt er, lässt seinen Blick noch einmal verlangend über mich gleiten und läuft Jojo hinterher. Erst jetzt merke ich, dass die Decke runtergerutscht ist und den Blick auf eine meiner Brüste freigibt. Müde stolpere ich in mein Zimmer um mir etwas zum anziehen zu besorgen, wer weiß was dieser eigentlich megaheiße Perversling sonst noch anstellt. Ja, heiß ist er, und die Mädchen laufen ihm scharenweise hinterher, und anders als Apollo scheint er ihnen nicht ganz abgeneigt. Ich höre Jojo und Josh in der Küche streiten.

„Mann, die Kleine ist süß, klar, aber sie soll selbst aussuchen. Wenn du nicht anders kannst, dann geh dir einen runterholen!“, schnaubt Jojo.

„Gute Idee“, antwortet Josh niedergeschlagen und die Haustür schließt sich hinter ihm. Anscheinend findet er Jojo's Idee wirklich nicht schlecht. Und wie war das mit „sie soll selbst aussuchen“? Habe ich etwa einen Konkurrenzkampf ausgelöst? Wo sind denn die Olopo-Frauen? Bis jetzt habe ich nur Felix, Jojo, Josh, Luca, Harry, Cedric und natürlich Apollo kennengelernt. Der Zirkel muss definitiv größer sein! Ich spähe von der Treppe in die Küche. Jojo macht sich ein Glas Wasser und trinkt es in einem Zug aus. Ich geselle mich zu ihm.

„Müssten wir nicht alle vor dem Hotel stehen und den Vamps Feuer unterm Hintern machen?“

„Nee“, meint er lässig. „Der Rest des Clans wollte sich drum kümmern.“ Er lehnt sich gegen die Anrichte und sieht mich an.

„Du verwirrst Apollo.“

„Ich werde auch nicht schlau aus ihm“, lege ich meinen Standpunkt dar.


Apollo's Sicht

Irgendwann fange ich mich, weil meine Muskeln von dem ganzen Gerenne anfangen höllisch zu brennen. Salyx ist mir anscheinend nicht gefolgt. Klug von ihr. Ich strecke mich und begebe mich zu ihrem Haus. Es dämmert bereits, als ich ankomme. Vor der Haustür liegt eine Kobra.

„Josh?“, frage ich und er schreckt hoch. „Was machst du auf Salyx' Türschwelle?“

„Ach … ich hab Mist gebaut und hab mir dann einen runtergeholt. Als ich wieder zurück war wollte ich nicht alle wecken indem ich klingele, hier aber auch nicht als Mensch hocken“, denkt er zurück. Er deutet mit der Schwanzspitze auf seinen Kleiderhaufen, auf dem er liegt.

„Ach so … im Vogelhäuschen ist ein Schlüssel.“

„Sag das doch gleich“, seufzt er als er sich zurückverwandelt und sich anzieht. Als er aufgeschlossen hat treten wir ein. Aus der Küche sind bereits leise Stimmen zu hören und Felix kommt gähnend die Treppe herunter. Wortlos wirft er mir eine Hose zu und deutet auf das Bad. Ich verwandele mich und ziehe mich an. Bedrückt gehe ich in die Küche. Jojo, Josh, Felix und Salyx starren mich an. Moment … das heißt, bevor wir gekommen sind waren Jojo und Salyx alleine. Ich kann mir einen Macho wie Jojo einfach nicht mit Salyx vorstellen. Bäh! Salyx fängt sich als erstes und umarmt mich stürmisch. Überrascht drücke ich ihr einen Kuss in die Haare. Josh sieht mich vorwurfsvoll an und ich zucke kaum merklich mit den Schultern. Robin kommt herein und pfeift anerkennend.

„Hey Romeo! Du bist ihr erster“, kommentiert er unser Verhältnis. Interessant. Vorwurfsvoll sieht sie ihn an und will sich von mir lösen, aber ich schnappe mir einen Stuhl, lasse mich darauf nieder und ziehe sie auf meinen Schoß. Verlegen lehnt sie sich an mich.

„Okay, ich mach mal weiter“, setzt Felix irgendeine Erklärung fort. „Himalios hat die Vampire vom Clan beseitigen lassen. Er ist ein wenig beunruhigt, weil sie schon ziemlich alt waren.“ Je älter ein Vampir, desto mächtiger und willensstärker, das wissen wir alle. Und wenn selbst unser Clanführer Himalios beunruhigt ist …

„Wir sollen also wachsam sein“, schließt Felix. Alle nicken.

„Ich mach mal was zu essen“, gähnt Robin und beginnt Pfannkuchen zu machen. Ja, ich habe seit zwei Jahren kein Menschenessen mehr gegessen, aber einige Gestaltenwandler tun das recht regelmäßig. Auch ich schiebe mir einige Stücke von den warmen Fladen in den Mund, aber nur um Robin nicht zu verletzen. Ich bin still, die anderen scherzen. Salyx ist richtig aufgetaut und lacht auch über Josh's dreckige Witze. Ein bisschen eifersüchtig bin ich schon, aber ich könnte mich ja auch am Gespräch beteiligen. Sie sprechen über verschiedene Gaben. Salyx kennt ihre noch nicht, Felix gesteht, dass er Auren erkennen kann. Harry erzählt, wie lange er schon mit seiner Gabe übt. Neugierig sehe ich Robin an.

„Und du?“

Er zuckt mit den Schultern. „Ich schätze etwas in Richtung der emotionalen Gaben. Bei uns treten Gaben erst sehr spät auf. Dafür gibt es bei euch, wie ich gehört habe, ja keine weiblichen Wandler“, erläutert er. Wir nicken bedauernd.

„Für uns ist Salyx was besonderes“, verrät Cedric. Wir lachen als sie rot wird. Cedric sagt ihnen, er kennt seine Gabe noch nicht, aber er will sie nur nicht verraten. Ich weiß, dass sie sonst vielleicht Angst vor ihm hätten, so mächtig ist seine Gabe. Luca kann mentalen Gaben widerstehen, wenn er möchte.

Jetzt sehen alle mich an. Den Olopos ist klar, dass ich meine Gabe schon kenne, zumindest ansatzweise, aber sie wissen nicht was für eine es ist.

„Und?“, will Salyx wissen. „Wir wollen dich für den Einsatz einteilen.“ Ich schüttele den Kopf.

„Sorry.“ Kurz spüre ich ein ziehen, als Cedric versucht, mir meine Gabe zu entziehen, um sie anzuwenden. Aber ich weiß, wie ich ihm das Leben schwer machen kann und zwinge ihn in die Knie. Meine Gabe … Für die anderen sieht es aus, als würde Cedric vor Anstrengung so keuchen, aber er kämpft gegen meinen Willen. Als ich aufhöre und er sich gefangenen hat, wendet Salyx ihre Aufmerksamkeit wieder mir zu.

„Ist deine Gabe so schwach, dass du dich nicht traust, sie uns zu sagen?“ Ich gebe ein wütendes Grollen von mir. Sie küsst mich vorsichtig. Überrascht schmecke ich sie. Hm. So gut …

Jojo's Handy klingelt.

„Hm? … Klar. … Super, wir gehen sofort los. … Ja haben wir. Mhm. … Logisch. Chiao!“ Er grinst in die Runde. „Wir haben 'nen Kampfeinsatz am Bach.“

„Wie viele?“, fragt jemand.

„Für jeden von uns zwei bis drei“, grinst Jojo. Mann, dann kann ich Salyx nicht richtig beschützen!

Felix verteilt Waffen und Aufgaben.

„Cedric- kümmere du dich um ihre Gaben. Josh, analysiere ihren Angriffsplan. Harry- gib ihnen ordentlich Federbomben! Wenn wir sie nur betäubt haben, schickst du sie ins Land der Albträume, Jojo. Wir brauchen einen um ihn ein bisschen auszuquetschen. Robin, rechte Flanke verteidigen, Salyx die linke. Apollo an der Front, ich sehe nach wo noch welche sind und erteile noch Anweisungen.“ Wir alle kennen die alte Sprache der Gestaltenwandler, die laut gesprochen, aber von Vampiren nicht verstanden wird. Wir werden, bis auf Harry, vermutlich alle als Menschen kämpfen. Wir bewaffnen uns und ziehen los. Jeder von uns trägt Nahkampfwaffen.

Am Bach bleibt Felix stehen. Er tut so, als würde er mit uns scherzen, aber in der alten Sprache teilt er uns mit, wo sich Vampire versteckt halten:

„Apollo, hinter deinem Rücken zwei. Die übernimmst du. Einer zu deiner Rechten, Salyx, Robin: drei auf acht Uhr. Cedric, der da mit Feuer spielt, du weißt schon, die Gabe. Josh, da hinten steht der Anführer, der wird alles wissen. Jojo, da döst einer im Buschwerk. Harry, umkreis das Gebiet. Hier sind noch mehr, vor allem im Südwesten im Umkreis von … ca. 100m.“ Es ist unglaublich, was Felix aus Auren lesen kann. Ob jemand eine Gabe hat. Ob er gesund ist. Seinen Status in der Gruppe, und noch eine ganze Menge mehr. Felix senkt den Arm, das Zeichen für den Angriff.

Bevor der eine Vamp sich versieht, kann er nur noch auf das Schwert in seiner Brust starren. Er löst sich zu einem Sandhaufen auf, in dem ein kleines verkohltes Holzkreuz liegt. Der nächste meint, er müsste mich bekämpfen. Tja, ich bringe ihn mit meiner Gabe dazu, nieder zu knien und mähe ihm den Kopf ab. Auf Salyx haben sich inzwischen fünf von diesen Bastarden gestürzt. Drei zwinge ich in eine demütige Gebetshaltung, einer kriegt Salyx' angespitzten Kampfstab ins Auge. Jojo ersticht den einzigen aktiven von hinten.

„Was haben die denn genommen?“, will er wissen und deutet auf die betenden und zitternden Blutsauger. Lachend stürzt er sich zurück in den Kampf mit einigen besonders blutrünstigen Monstern. Bis auf die kann ich auch keine anderen mehr sehen, überall um mich liegen Sandhäufchen, fein säuberlich mit Kohlekreuzen dekoriert. Bevor einer Harry erschießen kann werfe ich mein Schwert nach ihm. Der wird zukünftig auch keine Rebhühner mehr essen … äh aussaugen.

„Hinter dir!“ Salyx schubst mich zur Seite und liefert sich einen ordentlichen Zweikampf mit zwei anderen Vampiren. Müssen wohl die letzten sein. Einer ist bald nur noch Sand, aber der andere wehrt sich verbissen. Blut spritzt. Riecht nach Löwe. Eine Ladung Rebhuhn-scheiße verdeckt dem Vampir jetzt die Sicht und ich kann mich genügend konzentrieren um ihn wieder in eine Demutshaltung zu zwingen. Ein Messer von Cedric genügt und er ist Sand.

„Dankeschön, dass waren alle!“, schreit Felix herüber als der Wind die Haufen zerstreut.

Hustend fällt Salyx auf den Boden. Ich laufe zu ihr. Ihre Wunde ist leicht grünlich verfärbt und beginnt nicht zu heilen. Gift gegen Gestaltenwandler.

„Der Arzt unseres Zirkels ist unterwegs“, verkündet … Josh? Jojo? Cedric? Harry? Felix? Ich sehe nur Salyx, ihr Blut.


Dexter kommt bald. Er ist einer der ältesten Gestaltenwandler in unserem Clan, was ihn aber nicht davon abhält, als Springbock zu Verletzten zu rasen. Kaum ist er angekommen schnappt er sich seine Tasche und besieht Salyx, die hustend und keuchend am Boden liegt. Warum gerade sie? Ich kenne einige, die an solchen Giften gestorben sind!

„Normales, Heilung verhinderndes Gift. Wird nicht tödlich sein, weil ich sie rechtzeitig behandeln kann, ihr aber extreme Schmerzen bereiten.

Salyx windet sich in der Tat schmerzerfüllt. Dexter will ihr zuerst eine Gegengiftmischung verabreichen, aber sie hält nicht still. Ihr Bruder drückt sie auf den Boden und Felix hält ihren Arm eisern fest, sodass er ihr die Flüssigkeit direkt in die Vene spritzen kann.

„Wascht die Wunde im Bach aus und bringt sie dann in mein Haus. Da mache ich die Salbe bereit.“ Er verschwindet. Vorsichtig tragen wir Salyx zum Bach. Die Wunde verläuft quer über ihren Bauch und blutet stark. Ich kann nicht hinsehen, und halte ihren Kopf, während Robin versucht, die Wunde zu säubern, ohne ihr wehzutun. Vorsichtig streiche ich ihr die hellblonden Haare aus dem Gesicht und rede beruhigend auf sie ein. Sie döst ein, während wir sie zu Dexter schaffen.


Als sie aufwacht, darf sie auch wieder nach Hause. Dexter hat alles mögliche für sie getan, sie dankt ihm und wir fahren sie nach Hause. Sie schläft wieder ein. Das Gegengift macht sehr schläfrig, hat Dexter erklärt, also ist es kein Wunder, dass ich sie in ihr Bett tragen muss.

Zwei Tage später läuft sie herum, als wäre nichts passiert, und Robby muss sie praktisch festhalten, damit sie nicht zur Schule fährt. Ich bin jeden Nachmittag bei ihr.


Heute sitzt sie bereits in der Küche als ich komme. Sie ist vollständig gesund, hat aber offiziell hohes Fieber. Nicht mal eine Narbe ist zurück geblieben, obwohl das bei Giften gelegentlich passiert. Sie liest und lässt Jojo's und Felix' Kommentare über sich ergehen. Als ich komme schmusen und quatschen wir beide, bis auch Harry ankommt und uns anstarrt.

„Ihr habt es irgendwie momentan so mit dem kuscheln, oder?“, will er neugierig wissen. Salyx streckt ihm die Zunge raus und ich zeige ihm den Mittelfinger. Ich weiß, worauf er anspielt, aber zu mehr als knutschen und kuscheln ist es noch nicht gekommen. Dabei macht sie mich dauern total heiß. Auch jetzt erröte ich bei ihren Küssen. Sie macht einen albernen Scherz darüber und ich nehme ihr Gesicht in meine Hände.

„Und du schreist jedes mal, wenn du neben mir aufwachst. Dabei schläfst du jeden Abend in meinen Armen ein!“, grinse ich provokativ.

„Ja, weil du so … langweilig bist“, springt sie drauf an. Aber wir beide wissen, was sie eigentlich bissig entgegnen wollte. Ich werfe sie über eine Schulter und sie schreit auf und schlägt mit ihren Fäusten auf meinen Rücken. Das gäbe jetzt blaue Flecken, aber leider sind die ja schon geheilt, bevor man sie sieht. Ich winke den anderen schelmisch zu und laufe die Treppe rauf zu Salyx Zimmer. Ich höre, wie die anderen aus der Haustür gehen, dann schließe ich ihre Zimmertür von innen ab und lege den Schlüssel ausserhalb von ihrer Reichweite auf ihr Regal. Nein, ich bin nur etwa 1,90 m, sie ist halt klein. Ich werfe sie aufs Bett und küsse sie.

„Was wird das, hm?“, fragt sie herausfordernd.

„Immer heiß machen und dann nur blöde Sprüche lassen geht nicht, Süße. Zieh dein Zeug aus“, erkläre ich mit meinem schönsten Bad-Boy-Grinsen, als ich mir mein T-Shirt über den Kopf ziehe.

„Nur zu gerne“, knurrt sie und ihre Löwengestalt zerstört ihre Kleidung.

„Wir können es auch gerne als Löwen machen“, antworte ich böse und beuge mich über sie.


Salyx' Sicht

Er beugt sich über mich und ich stemme meine Pfoten gegen seine Brust. Kurz reißen meine Krallen seine Haut auf, dann leckt er mir über die feuchte Löwennase. Ein wenig Fell durchbricht seine Haut als er meinen Bauch krault. Ich schnurre. Er ist so zärtlich, dass ich kaum widerstehen kann.

„Vertrau mir doch einfach“, bittet er und blickt mich aus seinen wunderschönen laubgrünen Augen flehend an. Das gibt mir den Rest, ich kann die Löwengestalt nicht länger beibehalten. Er streicht mir über meine Brüste. Ich öffne seinen Gürtel und lasse seine Hose zu Boden fallen.

„Geht doch“, murmelt er selbstzufrieden und ein wenig arrogant, bevor er mich weiter küsst. Ich drehe den Kopf genießerisch zur Seite. Vorsichtig legt er sich neben mich und umarmt mich von hinten, fährt meine Kurven nach und streift meinen Schritt. Dann dreht er mich herum.

„Ich vertraue dir“, versichere ich mit einem leichtem Zittern in der Stimme, das mehr von Erregung als von Angst herrührt.

„Gut“, schnurrt er. Ich streiche mit einem Finger über seine Brustmuskeln und über seine Schwachstelle an der Hüfte. Er zuckt nicht einmal. Weiter als bis zum Bund seiner Boxershorts traue ich mich dann doch nicht. Er dagegen macht keinen Halt als er mit seinen Küssen meine Brust erreicht. Sanft leckt er darüber und verwöhnt meinen Körper mit sanfter Zuwendung. Auch seine Hand wandert tiefer und streicht sanft über meine intimste Stelle, dringt kurz in mich ein. Ich keuche auf. Schneller als ich mich versehen kann, liegt seine Boxershorts auf dem Boden und er auf mir. Ich spüre seine Erektion, und ich glaube nicht, dass wir anatomisch größenmäßig zusammen passen. Als er mich wieder unten streichelt stöhne ich erneut.

„Apollo...“

„Einfach vertrauen, Süße“, empfiehlt er. Er wartet auf mich, bis ich bereit bin. Ich spüre seine Eichel an meiner Pforte und kurz darauf schiebt er sich in mich. Ein kurzes Brennen löst mich aus meiner Starre. Er verharrt kurz, damit ich mich mich an seine Größe gewöhnen kann, bevor er mich ganz ausfüllt. Er stöhnt ebenfalls, als ich ein Stück hochrutsche, und beginnt über mir zu kreisen. Als ich, sehnsüchtig nach mehr, meine Hüfte hebe, nimmt er sie und stößt in mich herein. Himmel. Ja, ich bin im Himmel. Ich schließe die Augen. Er ist so groß in mir, ich liebe dieses Gefühl.



Kapitel 7


Salyx' Sicht

Als ich aufwache schläft er noch und hält mich in einer festen Umklammerung. Ich kuschele mich wieder an ihn. Wir hatten Sex! Jetzt fehlt nur noch das magische Zeichen, dann sind wir ewig aufeinander geprägt.

Als Apollo aufwacht, bleiben wir nebeneinander liegen. Mit einem Mal werden unsere ineinander verschränkten Hände warm. Ein Lichtstrahl hat sich spiralförmig darum gewickelt und verbindet uns. Allmählich kristallisiert sich an meinem Ende eine Blume heraus. Dünne graue Linien, die momentan noch leuchten, bilden die Blütenblätter, die an den Spitzen von blauen Edelsteinen besetzt wirken. An Apollos Unterarm dagegen entsteht ein Schwert, bläulich und stark. Es ist unser magisches Zeichen, wir gehören auf ewig zusammen.


Nach einer Weile gehen wir in die Küche. „Hunger?“, hake ich nach. Er schüttelt den Kopf. Und ich setze mich zu ihm. Ein Schlüssel klackt im Schloss und die anderen kommen lachend rein. Salyx wird rot. Ausnahmsweise machen meine Clanbrüder keinen blöden Kommentar und Felix meint nur: „Himalios will sich mit Jaspis und Tinan treffen.“ Oh. Na wenn er schon so weit geht.

„Wer ist das?“, möchte Salyx wissen.

„Blutsauger“, gebe ich verächtlich zurück. „Die gute Sorte. Glücklicherweise – für sie. Aber nur ein Blutsauger aus Asche und Kreuz ist ein guter Blutsauger.“ Sie schnaubt belustigt.

„Wir müssen nach New York“, erklärt Jojo, „hierher werden sie jedenfalls nicht kommen.“



Kapitel 8


Apollo's Sicht

Ab und zu wechseln wir uns mit dem Fahren ab. Wir müssen mit zwei Autos fahren, um zu neunt nach New York zu kommen. Pah. Nur weil diese Blutsauger zu faul sind. Wenn man schon mal Hilfe braucht … wetten, eigentlich wollen die uns nur von unserem Territorium weglocken, um ihren Brüdern das Angriffsziel schön schutzlos auszuliefern? Wir brauchen über zehn Stunden und fahren etwa 680 Meilen, viele Straßen sind gebührenpflichtig. Wir fahren ein Stück durch Tennessee, Virginia, vorbei an Washington und rüber nach Maryland. Durch New Jersey ist es dann eher ein kurzes Stück. Bis Nach NYC. Über den Hudson River kommen wir durch den Holland Tunnel. Jetzt ist es nicht mehr weit, über den East River nach Brooklyn, bis zu einer einsameren Gegend. Willkommen auf Barren Island. Wir halten vor einem großen Haus. Josh stellt den Motor des Jeeps ab und auch Felix hält hinter uns den Mercedes an. Wir steigen aus. Felix klingelt an der Tür und hält respektvoll Abstand vom Eingang. Ein Mädchen öffnet die Tür. Vamp. Definitiv. Sie hat lange dunkle Haare und grüne Augen, ist ein wenig mager und entgegen allen Erwartungen nicht einmal Blutverschmiert. Und hat keine Reißzähne.

„Hi“, begrüßt sie uns, „Seid ihr die Olopos und die beiden aus Südflorida?“

„Ja, die sind wir“, antwortet Jojo perplex. „Wo sind Jaspis und Tinan?“

Tinan kommt die Treppe herunter. Ich habe ihn schon einmal gesehen, auf einem Foto, welches wir uns angesehen haben, um zu wissen, wie unsere Verbündeten aussehen. Er hat schwarze Haare und gruselige, fast schwarze Augen und ist riesengroß. Bestimmt zwei Meter, auf jeden Fall noch größer als ich, breitschultrig und bemuskelt.

„Ich bin hier“, antwortet er. „Darf ich vorstellen? Meine Freundin, Lia. Kommt rein.“ Zögernd betreten wir das große leere Haus. Lia mustert uns neugierig. Jungvampirin, schätze ich, die noch nie etwas von Gestaltenwandlern gehört hat. Tinan geht in ein Zimmer. Ein schwarzes Ledersofa und Sessel stehen um einen Tisch.

„Setzt euch. Ihr beiden müsst dann Salyx und Robin aus Südflorida sein?“

„Stimmt genau“, bestätigt Robin.

„Schön, euch kennen zu lernen. Lia, das sind dann also Salyx, Robin, Felix, Jojo, Apollo, Luca, Josh, Cedric und Harry. Allesamt Gestaltenwandler.“ Sie nickt.

„Was für Tiere seid ihr denn?“, möchte sie neugierig wissen. Wir nennen ihr kurz unsere Zweitgestalten.

„Ach so … ich dachte jeder Clan oder Zirkel hätte ein eigenes Tier“, meint sie.

Ich schüttele den Kopf. „Nein, es gibt immer Veranlagungen, wenn beide Eltern Raubkatzen waren, ist es sehr wahrscheinlich, dass man auch zu einer wird, aber da kann man auch völlig aus der Reihe springen. Felix', Jojo's und meine Eltern – wir sind ja Geschwister – sind ein Jaguar und ein Mensch, trotzdem ist Jojo ein Dachs. In den Clans werden andere Veranlagungen gehalten, bei uns Olopos gibt es zum Beispiel nie weibliche Wandler, bei denen aus Südflorida tauchen die Gaben sehr spät auf.“ Sie sieht uns groß an, fragt aber nicht weiter.

„Ich habe gehört, bei euch gibt es Probleme? Himalios hat angerufen“, setzt Tinan das Gespräch fort.

„Es sind unnatürlich viele Vampire in der Gegend. Himalios hat eine Truppe los geschickt, die einen Haufen getötet hat und wir haben dem nächsten Schub den Garaus gemacht.“

„Vielleicht wollten sie nichts böses?“, fragt Lia.

Ich verdrehe die Augen. „Wir kennen die handvoll gute Vampire. Alle, die uns von denen nicht vorgestellt werden, stehen auf der Abschussliste. Die bösen rekrutieren sie in den ersten Tagen ihres neuen Daseins für sich, gut organisiert.“ Tinan scheint nachzudenken. Er wiegt den Kopf.

„Hatten sie ein Wappen?“

„Ein Wappen?“, fragt Jojo erstaunt.

„Ja, ein Abzeichen auf der Kleidung.“

„Da war etwas … grün gelbes. Und ein weißer Zahn oder so“, wirft Salyx ein.

„Und der Anführer. Irgendetwas vom Rachezahn, und einem Plan, Vampire zu schaffen hatte er mitgeteilt gekriegt. Er sollte mit seiner Gruppe bei uns anfangen, weil irgendein … Fluch oder so in der Gegend ist. Wir hätten ja einen ausgequetscht, aber Salyx war verletzt“, meint Josh.

„Zeig mir das Wappen.“ Unbemerkt ist ein weiterer Vamp aufgetaucht, und aus den Schatten kristallisiert sich ein weiterer.

„Finley und Damien. Sie wohnen hier ebenfalls“, stellt Tinan kurz vor.

„Wie zeigen?“, möchte Salyx wissen.

„Er kann … adressierte Gedanken … sehen. Und weiter schicken“, stellt Josh fest.

„Ganz genau. Denk daran, wie du mir das Wappen gedanklich schickst. Auch wenn du die Gedanken an jemanden anders adressierst, sehe ich sie.“

„So?“ Er nickt. Salyx hat ihm scheinbar das Bild, das sie im Kopf hat geschickt. Kurz darauf taucht in meinem Kopf ein Bild von einem der knienden Vamps auf. Auf seiner Brust ist tatsächlich ein Wappen aufgestickt. Vermutlich hat Finley es den anderen auch geschickt.

Tinan nickt. „Das Wappen der Nordtruppen. Der Rachezahn auf dem kalten Feuer. Die Nordtruppen verkrümeln sich immer im Norden – logisch. Ursprünglich kommen sie wohl allerdings aus North Carolina, was ihre Ansprüche auf das Gebiet erklärt“, bestätigt er. „Sie sind schlimmer als die Südtruppen, die sich in den Anden verbergen, da sie ihr Gebiet ständig ausweiten wollen und wir zu wenige sind, um sie in Schach zu halten. Sie achten Menschen nicht, morden, trinken keine Konserven wie wir. Sie passen sich nicht an, wollen nur nicht auffallen. In den nächsten Monaten hätte es von Vermisstenanzeigen in eurer Region nur so gewimmelt, hättet ihr sie nicht kalt gemacht.“

„Sie werden mehr schicken“, kündigt Felix an, „deshalb brauchen wir Unterstützung.“

„Ich glaube nicht, dass sie wieder angreifen werden“, findet Tinan.

„Warte, eins habe ich euch vorenthalten: sie wollen in zwei Wochen mit einer Armee einmarschieren“, die Blutsauger starren Josh an.

„Und wo ist eigentlich Jaspis?“, möchte Felix wissen.

Damien legt Tinan eine Hand auf die Schulter, als der zu Boden blickt.

„Tot.“

»Seid ihr das nicht alle?«, denke ich. Leicht nickt Finley mir zu. Blöde Gedankenleser.

„Tut mir leid“, bringt Felix hervor und wir nicken alle.

„Schon okay. Es ist schon länger her. Vor zwei Jahren hatten wir bei einem Polizei Einsatz eine Gruppe Vampire gestellt. Mordlustige Nordtrüppler, die sich selbstständig gemacht hatten. Sie hatten eine Waffe dabei. Ich verstehe eure Lage. Wir werden kommen. Gebt uns eine Woche. Wir werden so viele Verbündete versammeln wie möglich“, wechselt Tinan das Thema, „und das gleiche solltet ihr auch tun. Ich kann mir denken, dass Südflorida hilft, fragt California an, die haben so wenige Vamps, dass sie darauf brennen, welche um die Ecke zu bringen, ihr solltet sie auf uns vorbereiten. Arizona, Colorado. Nichts was nördlicher ist als Wyoming, da haben sie selbst zu viel zu tun. Alarmiert die aus Kentucky und Virginia, damit sie eine Art Schutzwall bilden, vielleicht noch Tennessee.“

„Wo ist der Olopo Clan eigentlich?“, möchte Lia wissen.

„Am South Mountain in North Carolina. Ein Absoluter Witz“, stöhnt Cedric.

„Zumal wir mit denen aus South Carolina eher auf dem Kriegsfuß stehen. Sie sind uns verpflichtet, aber wollen lieber völlig unabhängig sein. Jeder Clan ist irgendeinem anderen verpflichtet. Sie müssen uns helfen, wenn sie nicht selbst eine Not- oder Feindlage haben, wir sind den Virginias auf die gleiche Weise verpflichtet“, ergänzt Luca.

„Und das stört sie?“

„Keine Ahnung. Die haben echt einen Knall voll weg“, meint Harry. „Das sind auch sehr seltsame Tiere, irgendeine Entenart, Ochsenfrösche und Grillen.“

„Quak“, gibt Finley zurück. Lia lacht.


Kapitel 9

Salyx' Sicht

„Wir sind zehn Stunden gefahren, um eine kleine Unterhaltung zu führen?“, hakt Robby ungläubig nach.

„Sieht so aus“, meint Felix. Robby stöhnt, und ich ahne, dass er sich weitere Kommentare verkneift.

„Wir könnten von hier aus gleich in die verschiedenen Staaten los“, schlägt Jojo vor.

„Ich rufe Himalios an“, erklärt Felix und zückt sein Handy. Kurz entfernt er sich von uns, kehrt aber wieder zurück, nachdem er das Telefonat beendet hat:

„Wir teilen uns auf. Es ist alles durchgesprochen, so und auf keinem anderen Weg machen wir es. Befehl von Himalios.“ Himalios kann Robby und mir zwar nichts befehlen, aber ohne uns wird das vermutlich nicht funktionieren. „Ich fahre zurück und nehme Harry mit – wir machen verschärfte Grenzkontrolle und unterwegs fahren wir bei denen aus Virginia und Kentucky vorbei, wenn wir es schaffen noch in Tennessee, die sind glücklicherweise gut von Kentucky aus erreichbar.

Robin und Salyx – wir geben euch Apollo mit und ihr fliegt nach Florida. Direkt vom Kennedy Airport, heute noch. Die Tickets bucht Himalios grade. Und ihr Turteltauben könntet euch eh nicht trennen, oder?“

Ich blicke Apollo an, er reicht mir die Hand, Arm nach oben gedreht. Das Mal leuchtet auf. Robby grinst bloß. Ok, mit seiner Gabe hat er es eventuell schon geahnt. Die anderen schmunzeln. Was wir gemacht haben war den anderen sowieso klar.

„Ja, gut … ähm, Josh und Luca, ihr fliegt in den Sunshine State. Himalios bucht ebenso Tickets vom Kennedy Airport in die Nähe des California Clans.“ Luca summt die Melodie von „I'm walking on sunshine“.

„Cedric und Jojo, ihr fliegt ebenfalls, und zwar nach Denver, Colorado, und später nach Phönix in Arizona, um die Clans dort in der Nähe um Hilfe zu bitten. Ein paar andere schickt Himalios nach Texas, wo mehrere Clans sind, und nach Ohio, Iowa und Kansas“, fährt Felix fort. Sein Handy klingelt und er geht ran. Es muss Himalios sein.

Dann scheucht er uns in die Autos. Zwischenstopp: Kennedy. Robby freut sich schon darauf, Anna wieder zu sehen, aber ich bin unentschlossen. Einerseits … ich werde meine Eltern wieder sehen. Andrerseits … Phil werde ich auch wieder sehen.

Eine Frau in einem ultraknappen Minirock und viel zu engem Top (unter dem sie nicht mal ein BH trägt, einfach billig!) überreicht uns unsere Flugtickets. Nebenbei präsentiert sie sich … äh … sagen wir mal auf aufdringliche, peinliche Weise. Selbst Josh ignoriert ihre Versuche und wir verschwinden nach einem kurzen Abschied von Felix und Harry im Gebäude. Cedric und Jojo müssen sofort los. Sie checken eilig ein und verschwinden in Richtung Gate. Wir lassen uns mehr Zeit. Koffer haben wir nicht, jeder hat seinen Rucksack. Wir gehen normal durch die Sicherheitskontrolle, trotzdem ziehen wir alle Blicke auf uns. Josh macht Witze über grüne Punkte in meinem Gesicht und ich bin froh, dass Jojo weg ist, sonst hätte ich wohl auch noch blaue Punkte. Luca und Robby unterhalten sich über Autos und ich setze mich im Wartebereich dann auf Apollos Schoß. Kuschelnd vergeht die Zeit schneller, und selbst Josh gibt Ruhe. Nur kurz fragt er, wie unser Zirkel eigentlich heißt. Die Zirkel und Clan haben alle Namen, auch wenn man sie meist nach den Orten oder Staaten benennt, wo sie liegen. Der Clan in Südflorida, aus dem wir stammen heißt Diomedes Levi, was ungewollt zu vielen Gestaltenwandlern mit dem Namen Levi führt. In unserer Gegend, versteht sich. Den anderen dreien geht der Gesprächsstoff scheinbar nicht aus und Apollo und ich werden des kuscheln nicht müde, sind sogar eher genervt, als die anderen Hunger kriegen. Arm in Arm folgen wir ihnen zu einer BistroBar. Wir teilen uns eine Pizza und trinken einen Kaffee, bis wir los müssen sind wir längst fertig und haben uns zum Gate aufgemacht. Luca und Josh müssen noch eine halbe Stunde auf ihren verspäteten Flieger warten.


Wir warten ewig darauf, dass die Startbahn freigegeben wird. Die Klimaanlage ist an und ich friere ganz schön. Ich sitze am Fenster, neben Apollo, Robby sitzt auf der anderen Seite des Ganges. Sobald wir in der Luft sind und die „Sitzgurt“-Zeichen aus sind, schnallt Apollo sich ab und klappt die Armstütze zwischen uns hoch.

„Komm her“, fordert er mich auf. Ich kuschele mich an ihn und bin innerhalb von Sekunden eingeschlafen.


Apollo's Sicht

So süß. Sie liegt in meinem Schoß und ich streiche über ihre weißblonden Haare. Sie hat eine Gänsehaut. Eine Stewardess kommt in allen Reihen vorbei und fragt, ob sie behilflich sein kann. Ich bitte sie um eine Decke. Die Brünette reicht sie mir und strahlt, als ich sie vorsichtig über Salyx ausbreite. Robby verabschiedet sich nach einer Weile zu den Waschräumen.

Mit steinerner Mine kommt er zurück. Er kramt ein Blatt Papier hervor, kritzelt etwas darauf. Unauffällig reicht er es mir über den Gang.

„Letzten beiden Reihen, Mitte. Sechs Blutsauger.“

Shit! Ein Wunder, dass sie noch nicht die Menschen um sie herum attackiert haben. „Was jetzt?“, schreibe ich zurück.

„Ohne Grund werden sie wohl nicht hier sein, aber hier können weder wir noch sie angreifen. Wenn sie sich bis jetzt friedlich verhalten haben kann es gut sein, dass sie etwas zivilisierter sind. Allerdings hat einer einen Rachezahn tätowiert. Und ich schätze, sie sind nicht ohne Grund hier. Die wissen von uns.“ Ich schicke den anderen Warn-SMS. Ich weiß, im Flugzeug verboten, aber das ist wichtig. Wir haben alle verabredet, unsere Handys an zu lassen.

„Wir müssen wachsam sein“, schreibe ich an Robby zurück. „Und unauffällig. Nicht mehr dort vorbei gehen, leise sein, aus dem Fenster sehen, uns nicht zu erkennen geben.“ Er nickt und ich wecke Salyx.

„Was gibt’s?“, murmelt sie verschlafen. Ich zeige ihr den Zettel mit dem Schreibgespräch. Sofort ist sie hellwach. Am liebsten würde sie wohl sofort dort auf Besichtigung gehen, aber das weiß ich zu verhindern! Und in meinen Armen halte ich sie sowieso gerne. Weil sie hier keinen Aufstand machen will, gibt sie sich geschlagen. Starr sitzen wir auf unseren Plätzen und warten. Salyx angelt nach ihrem Rucksack und zieht ihren Taschenspiegel heraus. Ich hätte nicht gedacht, dass sie so etwas besitzt. Robby grinst mich an.

„Familienerbstück“, erklärt er. Der Spiegel ist mit einem verschlungenen Muster verziert und Robby zieht eine Taschenuhr im gleichen Stil heraus. „Jeder Abbey der etwas auf sich hält besitzt etwas in dieser Art.“ Doch das ist unwichtig. Während Salyx sich vermeintlich mit dem Spiegel etwas frisch macht, kann erst Robby, dann ich beobachten, was die Vamps treiben. Sie sitzen ebenso starr da wie wir, nur dass es bei ihnen noch einen etwas …. toteren Faktor gibt, sie wirken fast wie Statuen, und es würde mich nicht wundern, wenn sie tatsächlich versteinern würden.

Es geht auf die Landung zu uns Salyx muss ihren Spiegel wieder einstecken. Stattdessen greift sie ihren Lippenstift. Blasrohr, hat sie mir vor dem Flug erklärt, aber darauf würde nun wirklich keiner kommen. Ungeduldig warten wir ab, bis das Flugzeug geparkt ist und wir schnappen unsere Rucksäcke und stürmen die Treppe herunter.

„Los, zum Ausgang!“, brülle ich, die Vamps sind dicht hinter uns.

„Dafür ist keine Zeit“, schreit Salyx zurück und rennt über den Platz. Robby folgt ihr, mir bleibt wohl nichts anderes übrig. Verdammt, ich war nicht auf ein Blutbad vorbereitet. Ich schaffe es gerade noch unter einem Jet hindurch und werde von dem Luftzug von den Füßen gewirbelt. Meine Knie bluten, aber ich rappele mich auf und renne weiter. Ich spüre bereits den Heilungsprozess. Salyx wartet am Zaun, hat die Hände verschränkt und ihren Rucksack darüber geschmissen. Die Vamps können hier nicht mit ihrer vollen Geschwindigkeit rennen, aber doch sind sie unnatürlich schnell. Ich keuche. Robby macht einen großen Satz auf Salyx' Hände und sie schleudert ihn über den Zaun, wartet auf mich. Ich will ihr bedeuten, rüberzuklettern, aber sie schüttelt trotzig den Kopf und wartet. Ich springe auf ihre Hände und spüre den Schub, den sie mir mitgibt. Sofort beginnt sie zu klettern. Robby hat sich den Rucksack geschnappt und ihn in die Büsche gezerrt, dann ist er als Wolf weggesprungen. Meine Klamotten reißen mit einem unangenehmen Geräusch, als ich mich verwandele. Salyx ist oben auf dem Zaun. Sie ist zu langsam. Einer der Vamps springt bereits an den Zaun, will ebenfalls darüber klettern. Ich sehe wie ein Blutstropfen auf die Erde fällt. Er muss von Salyx' Händen kommen, die sie sich an dem Stacheldraht aufgerissen hat. Nein! Die Vamps werden wild. Vielleicht ist das unser Glück. Sie denken nicht mehr daran, über den Zaun zu klettern, lecken das Blut von dem Draht, werfen den Zaun fast um. Salyx rennt weiter, zieht den Lippenstift aus ihrer Tasche. Warum verwandelt sie sich nicht? Ihre Hände, schießt es mir durch den Kopf. Sie kann auf verletzten Pfoten nicht laufen. Sie will sich opfern, um zu verhindern, dass ich mich opfere. Doch scheinbar wird es gut gehen. Ein Pfeil sirrt durch die Luft, neben mir fällt ein Vamp zu einem Häufchen Asche zusammen und ich falle den Vamp neben ihr an. Ohne Kopf wird er keinen Schaden mehr anrichten. Zwei ausser Gefecht. Meine Knie schmerzen. Salyx' Hände müssen schrecklich brennen. Zwei weitere werden zu Kreuz und Asche, doch einer weicht ihrem Pfeil aus. Mehr Munition hat sie nicht. Ich sehe die Blutstropfen auf der Erde, während sie sich verwandelt. Die Verwandlung beschleunigt den Stoffwechsel, ihre Pfoten dürften fast okay sein, aber häufig brennt ein kleiner Kratzer ja besonders fies.

„Wir teilen uns auf“, denkt sie.

„Nein!“, antworte ich entschlossen. Sie blutet. Die Vamps würden sie verfolgen, sie als Opfer, ich kann sie nicht beschützen.

„Ich kenne mich hier aus, ich kann sie abhängen. Bieg ab!“ Ich schieße nach rechts und bin alleine auf einer Lichtung. Die Vamps verfolgen Salyx.

„Sieh mal einer an. Ein Löwe. Verfolgt?“ Ein Mann ist auf die Lichtung getreten. Er lächelt freundlich. Misstrauisch nicke ich. „Keine Kampfklauen?“ Er wirft mir eine Art Handschuhe – oder eher Pfotenschuhe – zu, die Krallen aus Titan. Bevor ich reagieren kann hat er mir geholfen, sie anzulegen und mein Blut an seiner Hand. Ich nicke und er leckt es auf, gibt mir aus einem Kratzer von seiner Hand. Dann verwandelt er sich mit einem wütendem Knurren in einen mächtigen Tiger. Felix ist schon eine mächtige Erscheinung, aber dieser hier ist mächtig und orange, die Muskeln spielen unter dem Fell und er macht einen Satz über die Klippe. Verwirrt folge ich ihm.

„Niemand greift meine Tochter an!“, zischt er gedanklich. Oh. Jetzt erst fällt mir die Ähnlichkeit seines Gesichtes zu Robin und Salyx auf. Und auch die Tiergestalt: die gleiche bemuskelte Hinterhand, den gleichen konzentrierten kampflustigen Blick. Über den sandigen Boden kommt er mit großen Sprüngen und Salyx schlittert zwischen seinen Pfoten hindurch während er mit einem Vamp zusammenstößt und ihn zerfleischt. Mit einem Kreuz im Maul stößt Robby wieder zu uns, als ich mich auch dem letzten widme.

„Teamwork geht doch über alles“, gähnt Salyx' Vater. „Ich bin Jenson.“

„Dad, warum läufst du mit Kampfkrallen bewaffnet herum?“, will Salyx leicht verwundert wissen.

„Die Vampire haben ungewöhnlich oft angegriffen, aber vor zwei Tagen sind sie plötzlich verschwunden. Keine Angriffe, keine Spur. Phil hat versucht sie aufzuspüren, rein gar nichts. Die sind wie vom Erdboden verschluckt“, erklärt Jenson und leckt Salyx liebevoll über den Kopf. „Ich nehme an, ihr seid nicht ohne Grund hier. Wir gehen zum Lager und ich rufe eine Versammlung ein.“

„Ich hole das Gepäck. Ihr seid verletzt“, wirft Robin ein, als Salyx und ich widersprechen wollen. Murrend folgt Salyx ihrem Vater. Vor einer Hütte kommt er zum stehen. Sie ist gut in einem Wäldchen versteckt. Er verschwindet durch eine Art Katzenklappe. Salyx lässt sich auf den Boden fallen und leckt ihre Pfoten.

„Lass mich sehen!“, fordere ich sie auf. Vom laufen sind einige der Wunden noch nicht wieder geschlossen, die Pfoten sind ein wenig rissig und blutverkrustet. Es sieht schlimm aus, sind jedoch nur Kratzer in den Pfoten, die wohl schmerzen, aber nicht gefährlich sind.

Als Mensch öffnet Jenson die Tür. Er hat Kleidung für uns bereit gelegt und verlässt den Raum, als wir uns verwandeln. Salyx zieht sich an. Leider. Ihr Körper ist Dreckverschmiert, mit einigen Schürfwunden, ebenso wie meiner, und dennoch denke ich bei ihrem nackten Körper an ganz anderes. Ich dagegen kämpfe mit der Kleidung. Es ist eine Art Toga aus einem leichten rauen Stoff von einem beigen Farbton. Salyx hilft mir, spöttisch grinsend.

„Wir tragen die alle. Günstig, einfach, unauffällige Farbe, Einheitsgröße. Praktisch und bequem.“ Die Toga wird an der Hüfte mit einem Gürtel gebunden. Salyx' ist rot, meins blau. „Die Farbe des Quio gibt den Rang an. Schwarz ist der Anführer und sein Partner, Rot ein Nachfolger in der Rangordnung. Blau ist ein Gast, alles andere ist die Hackordnung unter Kriegern. Grün sind Krieger, Weiß sind Heiler. Braun sind Schüler und Beige sind Kundschafter, Späher und ähnliche.“ Mir wird mit einem Mal klar, dass ihr Vater Anführer sein muss.

Impressum

Texte: Annisoli
Bildmaterialien: Cover: Seliiia. Danke :*!
Lektorat: /
Übersetzung: /
Tag der Veröffentlichung: 21.02.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für meine Li

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