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Prolog

Ein Bürojob. Wie langweilig.

Ihr Opfer saß in dem kahlem Zimmer in seinem leerem Hamburger Büro und hackte auf die Tastatur seines Computers ein. Ab und zu ging die Tür auf und jemand kam herein, gab etwas ab oder sprach mit dem Mann. Ernst Fass war im wahrsten Sinne des Wortes sehr ernst, in einer dunklen Stoffhose mit Krawatte und Jackett, und ein Fass war er obendrein. Er bewegte sich wirklich zu wenig, sein Job ließ ihm keine Zeit dafür.

Das war ihr Opfer.

Sie dagegen war weder so groß, noch so füllig und auffällig, oder etwa unbescholten, wie er. Schlank und durchschnittlich groß, mit braunen Haaren und ebenso braunen Augen, jung, aber nicht zu jung, und sie wurde meist für eine Studentin gehalten. Zufrieden lehnte sie sich zurück. Nein, auf ihren – illegalen – Job würde niemand kommen, der sie so sah. Das Café war momentan eine gute Tarnung und zudem direkt vor dem Fenster ihres Zielobjekts. Sie ließ sich die Nachmittagssonne ins Gesicht scheinen. In einer guten Stunde würde Ernst Fass, wie jeden Freitag, seine Aktentasche nehmen, und über einen Waldweg nach Hause fahren. Sie bestellte einen neuen Kaffee.

 

Kapitel 1

Kurz darauf störte sie eine tiefe Stimme: „Darf ich mich zu Ihnen setzen?“

Sie blinzelte überrascht und sah den jungen Mann an. „Bitte.“

Der Mann hatte dichtes dunkles Haar, war sehr sportlich, mit blauen Augen und einem freundlichen Lächeln. Er stellte sich als Jerry Garden vor, Polizist mit englischen Wurzeln.

„Miriam Neuer. Ich arbeite in einer Kinderarztpraxis.“ Er war Polizist, sie musste vorsichtig sein. Natürlich hieß sie nicht wirklich so, aber das war ihre Deckidentität. Ihre heutige Deckidentität, eine von rund zwanzig weiteren. Ihr echter Name war Lilia Flake und sie war aus Tennessee eingewandert, sprach jedoch akzentfrei Deutsch. Ihre Mutter war Deutsche gewesen. Diesen Namen verriet sie niemandem, kein Killerkommando stellt sich vor, bevor sie losschießen, und ihre Chefin, die Auftragsmörderin Lilia schon gar nicht. Für ihre Untergebenen war sie einfach Essee Tenn. Essee Tenn, Tennessee. Und für die anderen Verbrecher war sie nur Lucy.

Sie plauderte ein wenig mit Garden, nur harmloser Smalltalk, bis ihr Opfer in seinem Büro den Computer herunterfuhr, seine Aktentasche packte und Anstalten machte zu gehen. Lilia bezahlte, entschuldigte sich bei Garden und folgte dem gewünschten Ziel des Auftraggebers. Gott, sie liebte ihren Job!


Ernst Fass stieg in seinen Firmenwagen und fuhr aus Hamburg hinaus. In ihrem Landrover folgte sie ihm einige Kilometer auf der Landstraße. Als er auf einen Waldweg abbog, um dem Stau auf der Autobahn zu entgehen, stellte sie ihren Wagen ab und lief in den Wald. Der Waldweg beschrieb einen großen Bogen, sie kürzte einfach durchs Unterholz zu dem Ende des Weges, wo er wieder auf eine neue Landstraße mündete, ab. Sie stellte sich hinter einen Baum, lud ihre Waffe und wartete.

Nach einer Weile kam das Auto in Sicht.

„Ernst, jetzt wird’s ernst“, dachte sie. Ihre SIG Sauer lag gut in der Hand, sie war nicht zu sehen, konnte in Ruhe zielen. Als das Auto nur noch wenige Meter von ihr entfernt war, gab sie einen Schuss ab. Die Kugel traf ein kleines Gasbehältnis, welches sie in der Nacht zuvor unter dem Scheinwerfer befestigt hatte. Das unauffällige Glasfläschchen explodierte und fing Feuer, als der Motor Funken sprühte. Fass verlor die Kontrolle über den Wagen. Es würde aussehen wie ein Unfall.

Lilia verschwand im Wald. Auftrag erledigt.


Sie konnte solche Aufträge problemlos ausführen, Gewissensbisse hatte sie nicht, keine unruhigen Nächte. Alles im grünen Bereich. Auch wenn sie sich so manche Nacht mit einem Auftrag um die Ohren schlug. Es war genug um davon zu leben, und es gab überraschend viele Menschen, die jemanden los werden wollten. Lästige Geschwister, die die Erbschaft anfochten, Schwiegermütter, Lehrer, Professoren oder Strafrichter, Polizisten oder Geschäftskonkurrenten. Nicht immer sollte sie töten. War der Auftraggeber zu rücksichtsvoll arrangierte sie einen leinen Unfall à la Axt im Arm oder rutschige Treppe, wodurch die Zielperson ein paar Tage bis Wochen oder Monate außer Gefecht oder eingeschränkt waren. Eigentlich fand sie diese Aufträge fast noch schlimmer. Nicht nur wegen den Schmerzen, die einige erleiden mussten, die interessierten sie kaum, nein, sie musste mehr zurücklassen, es gab mehr Indizien, manchmal bekam das Opfer etwas mit. Die Auftraggeber waren natürlich immer ein weiterer Schwachpunkt. Grund genug für ständig wechselnde Identitäten und Wohnorte. Keiner würde sie aufspüren können. Nicht das FBI, weder CIA noch Militär, Polizei und Interpol nicht.


Doch diese Regel hatte sich ein gewisser Jeremiah wohl nicht gemerkt. Denn er konnte es sehr gut.

Kapitel 2

Sie war noch vor Mitternacht zuhause, gut 200 Kilometer weiter weg, am Rand von Braunschweig, in Rautheim. Erleichtert stieg sie aus dem Rover, schloss ihn und die Garage ab. Ein kurzer Blick auf die Videoüberwachungsmonitore. Jemand wartete vor ihrer Haustür. Würde sie eine Waffe brauchen? Nein. Vielleicht ein betrunkener Teenie, der den Weg zum eigenen Haus nicht mehr fand, ein aufdringlicher Nachbar oder sonst etwas. Sie konnte genügend Kampfkünste, um ohne Waffe durchzukommen. Sie ging durch den dunklen Vorgarten.

„Ziemlich ungewöhnlich für eine Ärztin, einen Landrover zu fahren, nicht?“ Dieser Jerry aus dem Café lehnte neben dem Briefkasten, die Arme verschränkt.

Sie zuckte mit den Schultern. „Er ist sehr bequem.“ Wie hatte er sie gefunden, was wollte er? Shit, er war Polizist! Fliehen? Was wollte er?

Garden zog die Augenbrauen hoch. „Unterhalten wir uns darüber, warum Sie heute in Hamburg waren.“ War etwas durchgesickert? War sie zu unvorsichtig gewesen? Nein, ein Identitätswechsel nach dem letzten Auftrag, ein Umzug, wie immer.

„Ich hatte meinen freien Tag“, antwortete sie.

„Bitte, Frau Neuer. Lassen Sie uns ehrlich sein. Ihr „freier Tag“, wie Sie es nennen, hatte nicht zufällig etwas mit Ernst Fass zu tun? Fast 200 Kilometer für einen freien Tag?“ Er wartete ihre Reaktion ab. Seine Stimme klang bitter, prüfend.

„Ernst Fass? Der bekannte Ingenieur? Nein, wieso? Und ich stamme aus Hamburg, meine Eltern sind, als ich zehn war, mit mir umgezogen.“ Sie log. Der Polizist sah es ihr an. Sie würde besser lügen müssen. Auch wenn es eine glaubwürdige Geschichte war. Garden glaubte ihr nicht. Würden sie ihr Haus durchsuchen – was teilweise schon passiert war – würden sie keine Fotos, keine Erbstücke finden, keine alten Tagebücher, nicht einmal mehr als zwei Stühle waren vorhanden.

„Ich vermute eher, dass Sie aus Tennessee stammen, aber lassen wir das vorerst Beiseite. Darf ich mich erneut vorstellen? Jeremiah Garden, verdeckter Ermittler. Und Sie sind vermutlich Lilia Flake, eine in den USA gesuchte Auftragsmörderin, die auch in Deutschland und der Schweiz nicht ganz untätig war.“ Sie wäre jetzt wirklich gerne weggelaufen, aber vermutlich hätte er ihr all das nicht erzählt, wenn nicht mindestens ein Dutzend Waffen auf sie gerichtet waren. Es sei denn er war ein völliger Idiot, was unwahrscheinlich war. Man setzte keine völligen Idioten auf Lilia Flake an. Die besten Männer Amerikas hatten bereits nach ihr gesucht, kein Foto, keine Beschreibung, nichts war in ihren Händen. Es war ein Wunder, dass der Ermittler überhaupt von ihr – ihrer Existenz, ihren Taten – wusste. Ihre eigene Waffe war nutzlos an ihren Knöchel geschnallt und nicht geladen. Wie konnte sie die anderen nur auf dem Videoüberwachungssystem nur übersehen?

„Sie können jetzt weglaufen, aber dann sollten Sie mit einem plötzlichen stechendem Schmerz rechnen, da Sie dann von Kugeln durchsiebt werden. Wir haben Ihr VÜWsystem mit einer Schleife lahmgelegt“, fuhr er fort. Er selbst wusste, dass er nur bluffte, mit Kugeln waren die Waffen nicht geladen, aber mit Betäubungspfeilen, welche mit einem starken und schnell wirkenden Mittel gefüllt waren. Er wollte es sich nicht leisten, sie zu verlieren, sie war wichtig. Er hatte Wochen für die Bearbeitung des Falles „Lilia Flake” gebraucht, und es hatte ihm Spaß gemacht, auch wenn es ermüdend, anstrengend und teilweise langweilig gewesen war. Und es war zu riskant, sie bei einem Polizeieinsatz schwer zu verletzen oder zu töten, da die USA zweifellos großes Interesse an ihr haben würden.

„Also, kommen Sie mit?“ Er hielt ein Paar Handschellen hoch. Sie schluckte und schüttelte den Kopf. Sie musste verhandeln. Ein roter Laserpunkt erschien auf ihrem Knie und ein weiterer auf ihrer Schulter. Vermutlich waren auf ihrem Rücken noch mehr davon. Na toll, Waffen waren ein gutes Argument, sich nicht zu wehren.

„Wissen Sie, was das ist?“, fragte Garden. Sie nickte. „Dann heben Sie die Arme auf Schulterhöhe und drehen Sie sich langsam um.“ Seine Stimme war ruhig und gefährlich drohend. Lilia schluckte wieder, und tat, was er gesagt hatte.

Sie hörte seine Schritte, als er auf sie zuging. Er führte ihre Arme auf dem Rücken zusammen, lies die Handschellen zuschnappen und schloss sie ab. Er trat näher an sie heran und umfasste ihre Handgelenke mit den Händen, um sie besser festhalten zu können.

Auf einmal war auf dem abgelegenen Grundstück die Hölle los. Flutlicht ging an, welches alles taghell erleuchtete, Schützen kamen hinter Büschen und Bäumen hervor, Wagen mit abgedunkelten Fenstern fuhren vor. Jemand tastete sie ab, fand ihre Waffe, beschlagnahmte sie. Ihren Personalausweis nahm man ihr ebenfalls ab – beziehungsweise den gefälschten Perso. Garden hielt sie fest, während Polizisten das Gelände absicherten. Lilia ärgerte sich darüber, dass ihre Hände hinter dem Rücken gefesselt waren, bis auf gefährliche Verbrecher, die versuchten wegzulaufen, hatten alle immer die Hände vor dem Körper. Jerry merkte ihren Ärger darüber, aber bei Lilia Flake wollte er kein Risiko eingehen. Sie war zu wichtig für ihn. Daher stand er auch dicht hinter ihr, um die Oberhand zu behalten. Ganz recht war ihm das nicht, Himmel, sie hatte getötet. Töten war für Jerry kein Problem, wenn es um sein eigenes Leben ging, aber Auftragsmorde? Innerlich schüttelte es ihn. Statt ihr mehr Spielraum zu geben, überwand er sich und fasste energischer zu. Lilia war definitiv nicht zimperlich.

Schließlich kam das richtige Auto an. Panzerglas, kugelsicher – und ausbruchssicher. Er schob Lilia darauf zu, jemand öffnete die Tür, er ließ Lilia einsteigen und setzte sich daneben. Der riesige Mann auf der anderen Seite von Lilia war wieder eine von Jerry's Methoden, ihr ein wenig Angst einzujagen. Jerry zog ihren Gurt vor, reichte ihn dem Mann und er schob ihn in das Gurtschloss. Lilia saß still auf dem Sitz im Auto, ihre Hände drückten in ihrem Rücken, sie saß ziemlich eng zwischen dem Riesen auf der einen und Jerry auf der anderen Seite.

Etwa eine stille, sorgenvolle, langweilige und unruhige dreiviertel Stunde später hielt der Wagen vor einem hohen Tor. Der Fahrer fuhr das Fenster herunter und wechselte einige Worte mit jemandem, der draussen stand. Kurz darauf reichte er ein Tuch nach hinten und Garden versuchte Lilia die Augen zu verbinden. Sie zog den Kopf weg, doch der große Mann auf ihrer anderen Seite hielt sie fest und der Ermittler verknotete das Tuch fest auf ihrem Hinterkopf. Sie schüttelte den Kopf, doch es ging nicht ab.

„Ich bin mir ziemlich sicher, dass andere Gefangene nicht so behandelt werden!“, protestierte sie wütend.

Jerry lachte kurz. „Sie sollten besser kooperieren, dann würden Sie vielleicht auch besser behandelt.“ Er griff nach ihrer Schulter. ,,Flucht nützt auch nichts, wir setzen Ihnen einen Peilsender ein.“ Etwas stach in ihn ihren Rücken, kurz über dem Schulterblatt. Es schmerzte kurz und drückte dann unangenehm. Jetzt würde man sie überall aufspüren können. Was für Spielereien hatte der Typ noch in petto?

Lilia spürte wie das Auto wieder anfuhr. Zehn Minuten später ruckte das Gefährt ein letztes Mal, offensichtlich hielt es an. Jemand schnallte sie ab und Türen gingen auf und zu.

Jerry lächelte zufrieden. Er zog Lilia aus dem Auto und wartete. Er hielt sie fest, aber sie entwand ihre Hände aus seinem Griff. Sofort drehten sich etliche Wachen zu ihnen um, mache hatten ihre Dienstwaffe gezogen oder hatten die Hand am Griff.

„Alles in Ordnung“, murmelte er ihnen zu. „Wie war das mit dem Kooperieren?“, zischte er Lilia dann ins Ohr und verschränkte seine Arme so um ihre, dass sie auf gar keinen Fall weglaufen konnte. Bald darauf kam auch eine weitere Wache, die Lilia an einem Arm nahm, Jerry nahm sie an dem anderen und gemeinsam zogen sie Lilia auf den Haupteingang zu. Das Gebäude war groß und pompös, aus gelbem Sandstein und angeblich ein Forschungsinstitut für Heimatkunde, das sich am Fümmelsee stationiert hatte.

In Wirklichkeit war es die geheime Zentrale der geheimen Ermittler.

Sie führten Lilia die Stufen hoch und in das Innere des Gebäudes. Die riesigen Gänge hier drin waren wie ein Labyrinth. Jerry hatte schon immer Schwierigkeiten gehabt sich hier zurecht zu finden. Der Wachmann dagegen ging sicher durch die Gänge, bog mal rechts und mal links ab, mit dem Fahrstuhl einige Stockwerke unter die Erde und dort zu einem Zimmer. Oder eher Bunker. Die Wände waren kahl und weiß und es befanden sich nur zwei Stühle und ein Schreibtisch in dem Zimmer, sowie eine Kamera an der Decke. Die Tür war mit Zahlencode und Augenlaser gesichert. Das war Jerry's Arbeitsplatz für … naja, bis Lilia der Organisation half. Sehr einladend, dachte er sich.

Er drückte sie auf einen Stuhl und der Typ vom Wachdienst befestigte ihre Handschellen daran. Er nickte Jerry zu und stellte sich vor die Tür. Jerry nahm Lilia als erstes das Tuch von den Augen. Verwirrt blinzelte sie in das Neonlicht. Er ließ sich auf dem Stuhl hinter dem Schreibtisch nieder und betrachtete ihre Akte.


Name: Lilia Flake

Alter: vermutlich Mitte 20

Gesucht wegen: Auftragsmord in ca. 40 Fällen, davon etwa 30 in den USA, mindestens 5 in

Deutschland und der Schweiz

Staatsangehörigkeit: US Staatsbürgerin, nach Deutschland geflohen, Eingebürgert

Derzeitiger Wohnort: Braunschweig

Bekannte Decknamen: Miriam Neuer, Kinderärztin; Julia Schwarz, Studentin; Helen White,

Reisende;

Waffen: SIG Sauer; P99; Präzisionsschussgewehre; verschiedene Messer, darunter Jagdmesser; einige Gifte; Säure; Würgedraht; Fäuste;


„Ihre Charme fehlt. Und die bissigen Kommentare“, dachte Jerry, während er die Akte zum wiederholten Male studierte. Eigentlich kannte er sie auswendig, so oft hatte er bereits darüber gebrütet, doch er hatte gerne das Dokument vor sich, wenn er innerlich seine neuen Erfahrungen abglich. Außerdem würde es Lilia ein Gefühl der Überlegenheit bereiten, wenn sie dachte, er sähe ihre Akte zum ersten Mal.

Darunter lagen die Steckbriefe ihrer Opfer. Er blätterte sie ohne Hast durch, las manchmal einige Zeilen. Es war ein ziemlich großer Stapel. Wenigstens waren es meist Leute, die selbst häufig nicht ganz legal und fair gearbeitet hatten, wie sich im Nachhinein herausgestellt hatte. Und keine Kinder. Wenige Frauen, etwa zwei, keine Mütter mit unmündigen Kindern. Fast tröstete die Tatsache Jerry. Schließlich lehnte er sich zurück und beobachtete Lilia. Sie blickte zurück, beherrschte Wut lag in ihrem Blick, vielleicht Neugier, und … Angst? Auf jeden Fall noch etwas, etwas, was sie gefährlich machte, nicht nur für sein Leben. Die Angst war gut versteckt, aber Jerry nahm sie wahr.

„Gut, Lilia Flake. Sie werden in den USA und Deutschland auf Grund von Auftragsmord in rund 40 Fällen gesucht.“

Etwas huschte über ihr Gesicht, ein kleines Lächeln oder sogar Spott. Die Zahl war vermutlich falsch. Das war zu erwarten gewesen, und dennoch ärgerte er sich darüber. Er hatte so viel recherchiert, über 500 Morde und Todesfälle abgeglichen. Sie hatte keine Handschrift, schien nicht einmal eine besondere Route zu bereisen, schien eher spontan. Die Spur zog sich unregelmäßig durch die USA, mal in den Bergen ein verdächtiger Unfall, mal einer am Meer. Es verschaffte Lilia Genugtuung, dass er falsch lag, und auch, dass er scheinbar nichts von den Auftragsverletzungen wusste.

„Aha“, machte sie.

„Sie bestreiten es nicht. Das ist interessant.“ Er ließ sie nicht aus den Augen, und die Kamera über ihm fing ebenfalls jede von ihren Bewegungen ein. Nichts würde ihm entgehen. Ihr schauspielerisches Talent hatte sie noch nie im Stich gelassen, es würde auch jetzt nicht fehlschlagen. Hoffte sie. Unsicherheit machte sich in ihr breit. „In Amerika würde Ihnen für jeden Fall die Todesstrafe drohen. Von daher machen wir Ihnen ein Angebot.“ Sie sah ihn weiter an und er fuhr fort: „Sie helfen uns einen bestimmt Mann zu finden, und wenn Sie erfolgreich sind bekommen Sie eine Generalamnestie in den Fällen in den USA, der Schweiz und Deutschland, sowie eine neue Identität.“ Sie schüttelte den Kopf. Das war noch lange nicht genug. Wusste er nicht von dem Belgien-Fall? Großbritannien? Gerade Irland, dann Frankreich?

„Nicht? Sehen wir uns die Alternative an“, redete er weiter. „Sie werden in Deutschland zu einer „lebenslangen“ Haftstrafe verurteilt, sofern die amerikanische Botschaft keinen Widerspruch einlegt. Ich vermute aber sehr stark, dass die Botschaft genau das tun wird.“ Er sah sie finster, aber nicht ungeduldig an. „Sie haben rund 30 Morde auf amerikanischem Boden begangen, von daher dürften Sie sehr interessant für die USA sein. Sie werden ihren ehemaligen Landsleuten übergeben und nach einem – vermutlich nicht ganz fairen – Prozess zum Tode verurteilt. Fairness können Sie als Auftragsmörderin vom Gericht nicht erwarten.“

„Ihre Methoden sind ebenfalls nicht ganz fair“, entgegnete sie. Verhandeln. Schieb es auf ihn, betete sie innerlich vor sich her. Er kann dir nichts.

„Das hat niemand gesagt. Ist Mord nun fair oder nicht?“, konterte Jerry.

„Es ist mein Job“, argumentierte sie.

„Nun gut. Über Moral können wir später diskutieren. Nehmen sie an? Bedenkzeit ist Ihnen leider nicht gegeben“, drängte er.

Sie zögerte. „Kann ich mir dem Versprechen zur Generalamnestie sicher sein? Ganz Europa?“, wollte sie wissen.

Er legte den Kopf schief. „Sobald sie zugestimmt haben machen wir Sie da los und unterschreiben einen Vertrag mit Ihnen. Wir tun unser bestes um sie in der gesamten EU Straffrei für vergangene Taten zu halten. Für zukünftige garantieren wir nicht.“

Sie nickte. Gut. „Ich werde mehr Informationen brauchen.“ Und den Peilsender wollte sie los werden.

Jerry zog den Schlüssel für die Handschellen hervor und trat hinter sie. „Die werden Sie kriegen, verlassen Sie sich drauf.“ Etwas an seinem Gesichtsausdruck gefiel Lilia gar nicht, aber sie nahm den Stift, den er ihr hinhielt, las den Vertrag und setzte ihre Unterschrift darunter. Jerry tat es ihr gleich.


Kapitel 3

Der Vertrag beinhaltete Unterkunft und Verköstigung für die Dauer des Auftrags und Garden bedeutete ihr, ihm zu folgen. Das Türschloss war doppelt gesichert, stellte Lilia fest, und Jerry brauchte eine Weile, bis er die Tür öffnen konnte. Innerlich schnaubte Lilia. Sicherheitsfreaks. Selbst wenn, auch solche Hindernisse hatte sie in ihrem Job schon überwunden, wenn auch von draußen nach drinnen, nicht andersherum, wie sie es in diesem Fall hätte tun müssen.

Der Wachmann vor der Tür brachte die beiden zum Aufzug und schließlich durch die Gänge. Jerry war genauso verwirrt wie Lilia, als sie schließlich anhielten.

„Bitte, Frau Flake. Zimmer 1084. Frühstück ist um halb acht, jemand holt sie um viertel nach sieben ab. Herr Garden, sie sind im Zimmer nebenan, 1083.“ Schon verschwand die Wache wieder.

Jerry zwinkerte Lilia zu: „Gute Nacht.“ Er betrat sein Zimmer und sie ihres.

In seinem Zimmer ging er als erstes duschen. Es ging auf zwei Uhr morgens zu und er wollte noch etwas schlafen. Er war Lilia Flake seit Wochen auf der Spur, heute ein wenig den bösen Cop zu spielen war eine wunderbare Abwechslung gewesen, aber trotzdem anstrengend. Nachdem er sich abgetrocknet hatte fiel er nur in Shorts ins Bett und schlief sofort ein.


Obwohl er nur wenige Stunden geschlafen hatte war er am nächsten Morgen sofort hellwach, als der Wecker klingelte. Heute war der zweite Teil des Auftrags dran, das gab ihm einen Kick. Er war gespannt auf ihre Techniken, Theorien und Kenntnisse, wollte mehr über die Verbrecher unter sich erfahren. Jerry war im Grunde ein guter Mensch mit einem starken Gerechtigkeitssinn, der sich mit ganzem Herzen der Verbrecherjagd und Sonderfällen der Kriminalgeschichte widmete. Er lernte gerne von Menschen aller Art – und wenn sie im Knast saßen. Es gehörte zu seinen wöchentlichen Beschäftigungen, die Menschen der örtlichen Justizvollzugsanstalten zu besuchen, mit den Insassen und Wachmeistern zu reden und sich neues Wissen anzueignen. So war er schon weit gekommen, er bekam Insider-Informationen, Hinweise und manchmal auch Geistesblitze während der Gespräche. Einige der Gefangenen fürchteten den Ermittler, sie hatten Angst, er könnte ihnen noch mehr anhängen, andere waren fast mit ihm befreundet. Niemals würde Jerry irgendetwas, was er von ihnen erfuhr, gegen sie verwenden.

Er machte sich frisch und öffnete den Schrank. Wie erwartet hatte der Boss ihm zu dem Auftrag passende Kleidung bereitlegen lassen. Er schlüpfte in die Jeans und das weiße kurzärmelige Hemd. Zehn nach sieben. Er schlüpfte in seine Schuhe und trat vor die Tür.

Lilia wartete bereits. Sie trug dunkle Jeans und ein rotes Top, ihre Haare hingen ihr über die Schultern und glänzten im Sonnenlicht, das durch die Fenster hereinfiel.

„Guten Morgen“, begrüßte er sie.

„Hallo.“

„Gut geschlafen?“, wollte er wissen.

„Nicht wirklich“, antwortete sie.

Er lachte. „Gewissen oder Unwissen was los ist?“

„Ich habe kein Gewissen. Nicht in solchen Dingen. Kombiniere, Agent …“, entgegnete sie spitz. Er grinste nur.

Ein junger Wachmann zeigte ihnen den Weg über drei Flure und eine Treppe hinunter, zu einem großen Raum.

„Bitteschön“, sagte er und lief wieder zurück. Jerry legte die Hand auf die Türklinke und wollte die Tür öffnen, aber Lilia fragte:

„Herr Garden, warum ich?“

Garden zögerte. „Weil sie gut in der Szene sind, aber unauffällig und geschickt. Und, bitte nennen Sie mich Jerry. Wir sind jetzt sozusagen Kollegen.“ Sie lächelte und er lächelte zurück, ein echtes warmes Lächeln, die Kälte aus der Nacht zuvor war daraus verschwunden. „Ok. Ab zum Boss. Mr. Sasha nennen wir ihn.“ Und er öffnete die Tür.


Kapitel 4

Lilia folgte ihm in den riesigen Raum, in dem ein Konferenztisch stand, der zum Frühstück für drei Personen gedeckt war. Ein Mann mit schwarzen zurückgekämmten Haaren stand vor einem Bücherregal hinter dem Tisch und drehte sich um, als die Tür zufiel.

„Ah, Jerry. Und Lilia Flake, natürlich. Freut mich, Sie hier zu sehen!“ Er kam mit ausgebreiteten Armen auf sie zu und gab Jerry die Hand. „Wirklich schön, Sie persönlich kennen zu lernen“, wandte er sich an Lilia. „Die Akte konnte mir meine Fragen an Sie nicht ausreichend beantworten. Bitte setzen Sie sich, beide.“ Er nahm neben Lilia Platz. „Kaffee?“ Lilia nickte und er goss ihr ein. Jerry und er selbst tranken ebenfalls Kaffee. „Milch, Zucker?“, fragte Mr. Sasha und daraufhin schüttelte Lilia den Kopf.

„Schwarz, danke.“

Mr. Sasha goss etwas Milch in seinen Kaffee. „Jetzt gibt es auch noch zwei davon“, sagte er im Plauderton und Jerry bemerkte, dass er sich auf den Kaffee bezog. Schnell nahm er einen Schluck aus seiner Tasse. Sie frühstückten in Ruhe zu Ende, erst dann kam Jerry zu Wort:

„Mr. Sasha, wir brauchen noch die Befehle und Details zu dem Auftrag“, erklärte er.

„Natürlich, Jerry. Am besten besprechen wir das gleich. Hier ist die Akte des gesuchten Mannes, Peter Delack.“ Er reichte Jerry und Lilia je einen Aktenordner. Lilia blickte auf das beiliegende Foto.

„Ich kenne diesen Mann. Er ist in der Verbrecherszene als ,,Poison Guy“ bekannt. Manche behaupten er sei ein Psychopath, andere glauben er ist schizophren.“

Mr. Sasha nickte. „Er ist definitiv psychisch krank, schizophren und außerdem sadistisch. Das wurde bei einer Untersuchung vor einigen Jahren festgestellt, aber bisher konnten ihm keine Verbrechen nach gewiesen werden. Inzwischen haben wir Beweise für Brandstiftung in verschiedenen Fällen, Bombenzündung, Flugzeugentführung, Angriffe auf Politiker und weitere Taten. Darunter einige Amokläufe, Entführungen, Vergewaltigung und verschiedene andere Sachen, die Terroristen zugeschrieben wurden. Er agiert weltweit. Verstöße gegen diverse Betäubungs-mittelgesetze sind noch die harmlosesten Straftaten. Die Bomben explodierten in Restaurants und Hotels, wurden unter Autos und in Krankenhäusern gefunden, die Morde geschahen durch Ertränken, Erwürgen, Hiebe oder mit Stichwaffen, bis zum Erschießen. Er ist um einiges gefährlicher als Sie, Frau Flake, wenn ich das mal so sagen darf. Er hat seine Einzelopfer meist zuerst entführt, mehrfach vergewaltigt und gefoltert, bevor er sie Ritual-artig, ja, feierlich hingerichtet hat. Über 500 Tote hat er damit auf dem Gewissen.“

Lilia blickte auf die Akte. Poison hatte immer tief im Drogenhandel gesteckt und hatte erfolgreich geschmuggelt und Gifte gemischt, die einen betäubten oder sogar umbrachten. Die Gifte wirkten schnell und unmerklich oder langsam und schmerzhaft, je nach Bedarf. Sie selbst hatte mehr als einmal bei ihm ein Gift besorgt. Verlegen malte sie Muster auf den Tisch. Dass er mordete, hatte sie nicht gewusst. Und selbst wenn. Sie war eine Auftragsmörderin, es hätte ihr nichts ausgemacht, sie kaum interessiert.

„Und warum diese Vorgehensweise? Nicht einfach eine ganz normale Festnahme und ein Verhör?“

„Weil Sie, Frau Flake, in Verbrecherkreisen bekannt sind. Wenn sie uns nur die Informationen liefern und wir schmuggeln uns da rein, jemand der nicht in der nicht in der Szene bekannt ist, kriegt nie so viel mit wie die alten Hasen. Nein. Jemand halbwegs bekanntes, „vertrauensvolles“ musste her. Und wir hoffen, das Sie sich ändern, nachdem Sie uns geholfen haben“, antwortete Mr. Sasha.

„Und was, wenn nicht?“, fragte sie weiter.

„Wir werden Dich nach Deiner freundlichen Hilfe weiter überwachen, deshalb hast Du eigentlich keine andere Chance, als fair und legal zu bleiben“, erklärte Jerry.

„Das gefällt mir nicht“, sagte Lilia.

„Sehen sie's positiv. Neues Spiel, neues Glück“, meinte Mr. Sasha.

„Ihre Arbeitsweise gefällt mir wirklich nicht. Ich werde mich vermutlich nicht daran gewöhnen können“, zweifelte Lilia.

Mr. Sasha zuckte mit den Schultern. ,,Vorerst haben sie nur Befehle auszuführen: Spüren Sie unseren Mann auf und sorgen Sie dafür, dass Sie irgendwo draussen alleine mit ihm sind. Wenn das nicht funktioniert, folgen Sie ihm unauffällig. Ihre technische Ausrüstung ist in dem Koffer. Und diese hier werden sie gebrauchen.“ Er deutete erst auf einen silbernen Aluminiumkoffer neben der Tür und schob dann Lilia's SIG Sauer über den Tisch, sowie ihre P99 und ihr Lieblingsmesser.

„In Ihren Zimmern werden sie zudem noch schusssichere Westen finden, und den Schlüssel zu einem Landrover, der aussieht wie Ihrer, aber schusssicher und mit geheimen Waffenfächern ausgestattet ist.“ Mr. Sasha nickte ihnen zu und verließ den Raum. Jerry stand auf und schnappte sich den Koffer. Mit Lilia ging er zu einer Sitzecke am anderen Ende des Raumes.

„Mal sehen“, murmelte er und klappte den Koffer auf. „Munition, Seile, Kabel, verschiedene Sorten Klebeband, Draht, Betäubungsgewehr, Wanzen, Mikrofone und Richtmikrofone, unauffällige Ohrlautsprecher, Knopf- und Helmkameras, Foto Fallen, GPS Geräte, Peilsender, Wurf- und Stichmesser. Hier ist noch ein Farbspray, um etwas zu markieren, ein Klemmbrett zum Pläne zeichnen, Stifte, Papier. Handgranaten für den Notfall. Funkgeräte für den Kontakt über größere Strecken auf geheimen Kanälen, Telefone, Hilfesender und ein Verbandskasten.“

Lilia schluckte. Der Koffer musste sauschwer sein.

Er sah sie an. „Brauchst du noch etwas?“

„Nein“, entgegnete sie. „Aber wie sollen wir das alles mitschleppen?“

„Keine Ahnung“, gestand er. „Wir dürfen uns eben nicht zu weit vom Auto entfernen.“


Kapitel 5

Das Dark Death lag fast außerhalb von Braunschweig, gerade noch bei den letzten Häusern der Weststadt. Hier kam fast jeder Kriminelle her, in Verbrecherkreisen war der Pub unter der Erde legendär. Von aussen sah das DD aus, wie ein stinknormales Reihenhaus, etwas heruntergekommen vielleicht. Jerry stellte das Auto auf Lilia's Anweisung an den Rand der Sackgasse, an deren Ende das DD einsam lag, und an die offene Felder grenzten. Sie stiegen aus und verschlossen den Wagen, nur mit den Pistolen und Betäubungspfeilen bewaffnet. Den Plan hatten sie bereits besprochen, aber Jerry war nervös. Lilia merkte es.

„Ganz ruhig, und cool bleiben, du bist ebenfalls ein Verbrecher“, redete sie leise auf Jerry ein. Er nickte. „Und denk daran: Unter Verbrechern bin ich Lucy und du Andreas. Wir haben die Knopfkameras. Wir können uns hinterher alles nochmal ansehen.“ Er nickte wieder. Mehr brachte er nicht zustande. Dabei war er ein Agent, verdammt. Sie blickte ihn noch einige Sekunden an und ging dann auf das Haus zu. Durch eine Außentreppe seitlich am Haus gelangten sie in den Keller. Lilia ging auf den Barkeeper zu. „Hey, Dennis. Ist Poison da?“ Jerry hielt sich im Hintergrund und sah sich unauffällig um.

„Hallo Lucy! Lange nicht gesehen. Ja, Poison ist nebenan und verhandelt mit einem Kunden. Ich sage ihm Bescheid. Und heute in Begleitung, Lucy. Dass ich das noch erleben darf.“ Er ging aus dem kahlen Raum, in dem es gerammelt voll war, heraus, und Jerry folgte Lilia, die Dennis ohne zu zögern auf einen Flur folgte. Dennis klopfte an einer Tür. Es drangen gedämpfte Worte heraus, die Tür ging auf und eine zierliche Frau schlüpfte heraus.

,,Sind gerade fertig“, nuschelte sie und verschwand wieder im Barraum. Dennis bedeutete Jerry und Lilia einzutreten und schloss hinter ihnen die Tür. Jetzt waren sie alleine mit dem Mann in dem Zimmer. Er war vielleicht Mitte vierzig, seine kurzen hellen Haare lichteten sich bereits. Seine Augen waren wässerig blau und schienen alles zu durchdringen. Eigentlich wirkte er sehr sympathisch, aber Jerry versuchte hinter all das zu blicken und die Gefährlichkeit des Mannes zu erkennen. Lilia setzte sich ihm gegenüber und Jerry folgte ihr.

„Lucy. Lange her“, bemerkte Poison.

„Wohl wahr“, gab Lilia zurück. „Mein Partner und ich haben einen Auftrag. Wir brauchen ein ganz bestimmtes Mittelchen.“

Poison hatte schon mit vielen zusammengearbeitet und alle betrogen, außer seine zuverlässigen Kunden. Komplizen, die mit ihm Flugzeuge entführt hatten, waren mysteriös an Vergiftung gestorben, Leute die ihm Waffen beschafften, hatten sich scheinbar selbst umgebracht. Und so vermutete Poison, dass Lucy das gleiche mit ihrem Partner plante, wenn sie fertig war, mit was immer sie tun wollte. Selbstverständlich war Poison noch nicht mit allen seinen Leuten fertig, viele brauchte er noch für seine schmutzigen Vorhaben.

„Dein Partner. Soso. Was braucht ihr?“, wollte er wissen.

„Ein Schlafmittel. Schnell und zuverlässig, zum in-den-Kaffee-mischen“, warf Jerry ein.

„Und noch etwas, aber das würden wir lieber nicht hier besprechen. Dürfte ich Sie kurz hinaus bitten? Zum Auto?“, ergänzte Lilia.

„Tut mir Leid, aber ich erwarte jemanden“, lehnte Poison ab. „Hat es noch Zeit?“

„Ein wenig“, bestätigte Lilia. „Können wir uns morgen um sechs im Schloss bei Starbuck's treffen?“

„Ich werde da sein“, versprach Poison.


,,Toller Erfolg”, grinste Jerry. Sie saßen im Landrover und schalteten ihre Knopflochkameras ab.

,,Immerhin”, meinte Lilia.

,,Was jetzt?”, fragte er weiter.

,,Wir treffen ihn bei Starbuck's und er gibt uns das Mittel. Danach bitten wir ihn an irgendeinen anderen Ort. Dort betäuben wir ihn und packen ihn in den Kofferraum”, fasste Lilia zusammen.

,,Sehr schön. Nur fände ich es besser wenn einer ihn irgendwohin mitnimmt und der andere wartet dort mit einem Betäubungspfeil. Am besten holst du ihn und ich höre über Halsmikro mit, wohin ihr geht”, ergänzte Jerry.

,,Hm”, machte Lilia. ,,Kann Mr. Sasha uns noch mehr Leute schicken?”

,,Mit Sicherheit. Worauf willst du hinaus?”, wollte Jerry gerne wissen.

,,Poison wird schnell misstrauisch. Es wird ihm verdächtig vorkommen wenn ich dich als meinen Partner vorgestellt habe und wir das Mittel zusammen brauchen, aber nur einer bei Starbuck's auftaucht. Lieber wäre mir, wenn wir beide zu dem Treffen gehen und einige Schützen an dem Ort stationiert werden, wohin wir gehen. Was meinst du?”

Jerry nahm sein Diensthandy heraus. ,,Mal sehen, wen Mr. Sasha erübrigen kann.”


Kapitel 6

,,Ohrlautsprecher?”

,,Ja”

,,Waffe mit Pfeilen?”

,,Ja, Kontrollmeister.” Der junge Schütze verdrehte genervt die Augen. Jerry überprüfte trotzdem noch, ob er wirklich alles hatte. Dann begann er das gleiche bei Lilia zu tun:

,,Alles andere was du ausser der Ausrüstung noch brauchst?”

,,Jap. Aber du hast dein Mikro vergessen.”

,,Ups.” Jerry klebte sich das hautfarbene Mikro unter sein Hemd. ,,Bist du dir eigentlich sicher, dass es in den Schlossarkaden keine Sicherheitskontrollen gibt? Du hast keinen Agenten-Ausweis. Wenn ich kontrolliert werde und sie bei mir so was wie das Mikro, Funkgerät und Waffe finden, wird das Fiasko groß genug, und wir werden kaum unauffällig durchkommen. Aber dich würden sie vermutlich in U-Haft bringen, selbst wenn ich ein gutes Wort für dich einlege. Besonders höflich sind die meisten Kontrolleure auch nicht.”

,,Das haben wir ja gerade bei dir erfahren. Ich habe noch nie eine Sicherheitskontrolle im Schloss erlebt, und ich vermute, dass diese sehr selten sind. Wenn du es genau wissen willst, hast du bestimmt irgendwelche Sicherheitstfuzzys in deinem Telefonbuch, die dir sagen können, ob und wann kontrolliert wird.”

Jerry grinste. ,,Stimmt. Aber deine Erfahrung reicht mir, danke.”

,,Ich schlage vor, einige stationieren sich hier, am Feldlager. Dann einige in der Nähe vom Schloss, beim Parkhauseingang, einige bei meinem Haus. Vielleicht kommt er da mit hin”, fuhr Lilia fort und markierte die Orte auf einer Karte.

,,Gute Idee. Am besten wäre es, wenn wir Poison den nächsten unauffälligen Ort bestimmen lassen, wir kommen fast überall schneller hin als er und haben damit einen großen Vorteil”, folgerte Jerry.

,,Ausser er sucht etwas weiter Westliches aus“, fügte Lilia hinzu.

,,Bingo. Das Risiko gehen wir ein”, bestimmte Jerry. ,,Also los.”

,,Was, jetzt schon? Es ist nicht mal zwölf Uhr Mittag!”, stöhnte einer der Scharfschützen. ,,Und wir sind noch nicht eingeteilt!”

,,Er hat Recht”, warf Lilia ein. ,,Es ist besser, wenn wir zuerst planen.” Sie legte deutete auf die Karte. ,,Wir haben zehn Scharfschützen. Ich würde jeweils mindestens zwei stationieren. Ein Paar hier, am Haus in Rautheim. Möglichst vier hier im Feldlager im Mascherroder Holz. Zwei am Parkhaus, ein Pärchen in der Nähe vom Schloss an der Jasperallee, wo sie den Ring kreuzt, und ein Paar, das uns unauffällig zu Starbuck's folgt. Damit sind wir ausser nach Westen sehr gut abgesichert.”

,,Sehr schön”, feixte Jerry. ,,Jetzt müssen wir nur noch dementsprechend viele Autos besorgen, damit wir auch überall hinkommen.”

,,Einfach: meinen Landrover für die bei meinem Haus, die an der Jasperallee nehmen einen der Wagen, die sie dabei haben, zwei im Feldlager den anderen. Die beiden am Parkhaus leihen sich ein Auto am Bahnhof, die bei Starbuck's sorgen nur für Sicherheit während wir dort sind und zwei bleiben zur Sicherheit hier im Feldlager”, erklärte Lilia.

Jerry knurrte. ,,Ich weiß, warum wir dich so lange nicht gekriegt haben. Deine Organisation ist nicht schlecht. Und jetzt?”

,,Mittagessen”, legte Lilia nüchtern fest. Danach sehen wir uns alle Orte an wo wir Scharfschützen stationieren werden.” Die Schützen nickten zustimmend.


,,… und wenn ihr die Straße lang fahrt kommt ihr zum Schloss.” Lilia zeigte den beiden Agenten an der Jasperalle wie sie am schnellsten wohin kamen. ,,Ok, halb sechs. Lass uns ins Parkhaus fahren und zu Starbucks gehen.” Jerry nickte. Sie stiegen in den Wagen und winkten den Schützen zu, die ebenfalls in ein Auto stiegen und auf ihren Einsatz warteten. Lilia parkte im Parkhaus und pünktlich um zehn vor sechs betrat sie mit Jerry das Starbuck's Café. Poison saß in der Sitzecke, einen damfenden Kaffee vor sich. Sie winkten ihm grüßend zu und bestellten sich Kaffee. Dann gingen sie zu ihm und ließen sich ihm gegenüber nieder.

,,Hallo Poison!”, grüßte Lilia den Giftmischer, während sie sich setzte.

,,N'Abend die Herrschaften!”, antwortete Poison vergnügt.

,,Gute Geschäfte gemacht?”, fragte Lilia.

,,Oh ja. Sehr gute. Eure Bestellung …” Poison zog ein kleines Fläschchen aus der Tasche und schob es unauffällig zu Lilia rüber. Sie nickte dankend und steckte es schnell weg.

,,Was verlangen Sie dafür?”, erkundigte sich Jerry.

,,Erstmal nichts. Ich bin zu gespannt auf Euer … Geheimnis. Wo möchtet Ihr das besprechen?”

,,Egal. Suchen Sie sich irgendeinen ruhigen Ort aus”, schlug Lilia scheinbar gleichgültig vor, doch innerlich war sie zum Zerreißen gespannt.

,,Ok … ähm … wie wäre es hinter dem Richmond, im Park?”, schlug Poison vor. Das Richmond lag weiter süd-westlich, also eher ungünstig, aber Lilia zuckte mit den Schultern.

,,Warum nicht. Wie sind Sie hergekommen? Sollen wir Sie mitnehmen?”, plapperte Jerry.

,,Danke nein, ich bin mit dem Auto hier”, erwiderte Poison. Die drei tranken langsam ihren Kaffee aus. Poison ahnte nichts, aber über die Halsmikros hatten die Scharfschützen alles mitgekriegt und fuhren nun das Schloss Richmond an.


,,Gruppe zwei, Parkhaus, meldet an Feldlager: angekommen, versteckt und bereit. Ende.”

,,Gruppe drei, Jasperallee, meldet an Feldlager: einige Zivilisten verscheucht, angekommen, versteckt und bereit. Ende.”

,,Feldlager meldet an Gruppen zwei und drei: sehr gut. Halten Sie sich bereit und bleiben Sie auf Position, aber flexibel. Over.”


,,Jerry und Lilia melden: sind jetzt im Auto und kommen. Unser Mann fährt einen roten Peugeot mit dem Kennzeichen BS ** **. Seien Sie vorsichtig.”

,,Jerry und Lilia melden: soeben angekommen. Steigen jetzt aus, unser Mann ist bereits da. Schießen Sie von hinten.”


Kapitel 7

Jerry und Lilia stiegen aus dem Auto aus und gingen auf Poison zu, der bereits ungeduldig wartete. Hinter seinem Rücken zielte ein Schütze auf seinen Hals. Lilia blinzelte Jerry zu und sie bewegten sich unauffällig aus der Schusslinie. Poison wollte etwas sagen und drehte sich zu den beiden um, in diesem Moment schoss der Agent. Nur die Drehung verhinderte, dass der Pfeil wie geplant in Poisons Hals ging. Als er merkte, dass er unter Beschuss stand, rollte Poison Guy sich zur Seite und entging einem weiterem Pfeil. Lilia und Jerry waren wie erstarrt. Sie hatten zwei Möglichkeiten: so zu tun, als wüssten sie nichts von den Schützen, und Peter Delack fliehen lassen, oder auf ihn zu schießen, ihm ihre Absicht somit klar dar zu legen, aber die Chancen auf eine Flucht zu verringern.

Sie zogen ihre Waffen.

Delack starrte sie an, bevor er die Beine in die Hand nahm und rannte so schnell er konnte. Im Laufen zog er seine eigene Waffe und schoss immer wieder. Lilia entging einem Geschoss nur knapp und es blieb in einem Baum stecken. Sie schluckte. Er schoss mit scharfem Geschütz um sich.


Im Feldlager versuchten die anderen Agenten, ruhig zu bleiben. Sie waren mehrere Kilometer von der Schießerei entfernt, und hörten momentan nur Lilias und Jerrys Keuchen, als sie hinter Poison her stürmten.

,,Gruppe 1, Feldlager, meldet an Feldlager: wir konnten einen Peilsender an dem Wagen anbringen, bevor der Mann eingestiegen ist. Er fährt momentan auf der Wolfenbüttler Straße in Richtung Kreuz BS-Süd.”

,,Jerry und Lilia melden: sind hinter dem Typen her, schickt einen Krankenwagen, einer unserer Agenten ist am Arm angeschossen. Die Kugel hat ihn nur gestreift und war zum Glück nur Kleinkalibrig, sieht nach einer Derringer aus. Delack hat mehrere Objekte fallen lasse, schickt auch ein Ermittlungsteam und lasst die Region möglichst absperren, besonders die Autobahnen, speziell A 39 und 391, Zugänge 1, 12, 13, 14, 8, 7 und 6. Kontaktieren Sie dazu die Polizei, wir sind zu wenige. Bei einem größeren Aufgebot sollten Sie noch die Salzdahlumerstraße, Dreieck BS-Südwest, Theodor-Heuss- sowie die Frankfurterstraße sperren lassen”, gab Lilia über Funk durch.

,,Die Bahnhöfe und Flughäfen!”, erinnerte Jerry. Lilia gab auch das weiter.

,,Jerry, wir brauchen mehr Leute, die uns helfen alles zu durchkämmen. Er weiß nichts von dem Peilsender und ich vermute, dass er bald irgendwo anhält und sich einen Pass oder ähnliches zu besorgen und dann über die Grenzen flieht, vermutlich auf einer Luftlinie. Er darf nichts von den Flughafensperrungen mitkriegen”, meinte Lilia. Sie lag richtig. Delack fuhr ungehindert an der Weststadt ab, aber Jerry und Lilia gerieten in die Sperrung. Bis alles geklärt war, hatte Delack in einem Wohngebiet gehalten und fuhr über kleine Straßen in Richtung Autobahnauffahrt Lehndorf. Wenigstens hatte Jerry so Zeit gehabt, Kollegen von der Polizei zu Organisieren.

Gemeinsam fuhren sie zu dem Haus, an dem Delack gehalten hatte. Lilia musste im Auto warten, Jerry und seine Kollegen gingen in das Haus. Jerry ging voran, die Waffe mit Kugeln geladen und vor sich im Anschlag, vorsichtig betrat er jedes Zimmer. Im Wohnzimmer waren die Vorhänge zugezogen und auf dem Boden lag ein Mann. Vorsichtig näherte er sich dem Reglosen. Einer der Polizisten fühlte nach dem Puls.

,,Tot”, meinte er bedauernd. ,,Schusswunden in der Brust. Und seht mal, er hält mehrere Pässe in der Hand. Allesamt mit einem Foto von dem Gesuchten, auf verschiedene Namen und für verschiedene Länder ausgestellt. Vermutlich allesamt gefälscht.”


Kapitel 8

Im Auto wurde Lilia unruhig. Man hatte ihr befohlen, im Auto zu bleiben. Sie blickte auf die Karte, auf der ein kleiner roter Punkt Delack's Auto darstellte. Er stoppte. Sie atmete zischend aus. Ein Halt mitten in einem Waldgebiet bei Lehndorf? So wie sie Poison kannte, war das nicht nur eine Toilettenpause. Sie drückte sich einen Ohrlautsprecher rein und aktivierte ihr Mikro. Schnell schilderte sie Jerry, was passiert war. Zwei Minuten später startete sie den Moter des Landrovers. Auf den Rücksitzen hatten sich drei Polizisten verteilt, Jerry saß auf dem Beifahrersitz. Sie rasten in den Wald und hielten an dem Forstweg. Der rote Peugeot lag im Graben, Einschusslöcher zeugten von Delack's Wut.

,,Lilia, was würde er jetzt tun?”, fragte Jerry ernst.

,,Vermutlich ist er sauer und unkontrolliert, schießt um sich”, sie deutete auf Patronenhülsen und Einschusslöcher, ,,und sucht sich ein Opfer, an dem er seiner Wut Luft macht, bevor er flieht.”

,,Klasse”, seufzte Jerry. ,,Ein durchgedrehter um sich schießender Mörder.”

,,Irgendwann hat er keine Munition mehr”, prophezeite Lilia. ,,Dann kommt er zurück zum Wagen um mehr zu holen. Er sieht unseren, ein Schlüssel steckt, er schnappt sich das Auto und fährt ungehindert auf die Autobahn. Er kriegt Durst, findet eine Wasserflasche und trinkt daraus. Er merkt das Schlafmittel darin nicht …”

,,Nette Idee. War das ein Vorschlag?”, wollte Jerry überrascht wissen.

,,Allerdings.”

Nach kurzem Besprechen füllte Jerry das Schlafmittel in eine kleine Flasche Wasser und legte sie auf den Beifahrersitz. Er rief bei der Polizei an und sie stiegen aus. Den Wagenschlüssel ließ er im Schloss stecken. Vorsichtig lief er hinter Lilia her, die unbeirrt quer durch den Wald schlich. Sie drückte sich an einen Baum und bedeutete ihm, leise zu ihr zu kommen. Vorsichtig stellte Jerry sich neben sie und sah auf den Waldweg. Peter Delack prügelte auf eine Frau ein, die nach einer Weile auf dem Boden liegen blieb. Eine Kugel galt ihrem Hund, dann war Delack's Magazin leer. Fluchend lief er zurück.

Ein Motor startete. Offenbar hatte er den Köder geschluckt.

Die Agenten kamen hinter einem Felsbrocken, der auf dem Waldweg als Wegmarkierung diente, hervor. Sie sahen in die Richtung, in die Poison fortgefahren war, und gaben Funksprüche auf ihren Funkgeräten an die Polizei weiter, während Lilia sich um die Frau kümmerte. Jerry beobachtete sie.

,,Dafür, dass dein ,,Job” darin besteht, Menschen zu töten, hältst du sie aber ganz gut am Leben”, meinte er ernst.

,,Hör auf zu spotten, ruf einen Krankenwagen und hol erste-Hilfe Zeugs”, giftete Lilia.

,,Der Krankenwagen ist längst im Anmarsch.” Einer der Agenten reichte ihr einen erste-Hilfe Koffer.

,,Wie bist du zur Auftragsmörderin geworden Lilia, wieso hast du dir so einen schrecklichen und illegalen Beruf ausgesucht?”, fragte Jerry. Und merkwürdigerweise tat es ihm weh, dass sie ihn ignorierte.


Wenig später hievten Sanitäter die Frau in den Krankenwagen. Der nur angeschossene Hund leckte über die Hand seines Frauchens.

Als sie dem Krankenwagen hinterher blickten, der mit Blaulicht davonraste, klingelte Jerry's Handy. Er redete kurz mit dem Anrufer und meinte dann:

,,Delack hat anscheinend unter Einfluss des Betäubungsmittels einen Unfall gebaut, es aber geschafft von der Unfallstelle zu fliehen. Was meint ihr?”

,,Hinter her. Ich nehme an er ist in der Nähe von Riddagshausen?”, mutmaßte Lilia.

Jerry nickte. ,,Er wollte vermutlich zum Flughafen Braunschweig und ist in eine Bahnschranke gekracht, hat es aber geschafft noch etwas weiter zu fahren, man hat ihn zuletzt beim Kloster gesehen, bevor er durch den Klostergarten über Felder in den Wald getaumelt ist. Dort verlieren sich seine Fußspuren.”

,,Ich weiß, wo er ist.”

Jerry starrte Lilia an. ,,Okay, los geht's.”


Kapitel 9

Lilia nahm die Handschellen von Jerry entgegen.

,,Normalerweise ist es unzulässig, dass du Handschellen hast, aber in diesem Fall ist es okay, ich musste allerdings bestätigen, dass du sie nur für Delack benutzt. Du dürftest normalerweise ja auch keine Waffen tragen. Wenn wir ihn haben, muss ich, wie im Vertrag steht, alles tun, was ich für nötig halte, um dich zurück zu bringen. Das weißt du. Also würde ich mich an deiner Stelle benehmen.”

Lilia verdrehte die Augen, sie hatte das Gefühl, dass er nicht ihr Leben retten sollte, sondern ihre Flucht verhindern sollte. ,,Wenn du an meiner Stelle wärst, wäre ich an deiner und würde dich laufen lassen. Die einzige Frage ist: wenn ich von Agenten umzingelt bin, Waffen auf mich gerichtet sind, wieso sollte ich dann versuchen, wegzulaufen?” Sie hatte Recht, schon einmal war sie in einer solchen Situation gewesen, und hatte sich freiwillig ergeben.

Jerry zuckte mit den Schultern. ,,Nicht sehr kooperativ. Wieso solltest du Leute ermorden? Wie bist du dazu gekommen?”

Lilia grinste hinterhältig. ,,Das Geheimnis nehme ich mit ins Grab.”

,,Wie gesagt, nicht gerade sehr kooperativ.”

Vorsichtig schlich sie Wanderpfade entlang. Als sie eine Weile später hielt, deutete Lilia zwischen den Bäumen hindurch auf ein Baumhaus.

„Dort haben wir schon mehrere Male Mittel getauscht. Ich habe gesehen, wie er etwas hinterlegt hat. Es gibt nur eine Leiter hinauf, er kann sich dort gut schützen aber nicht gut fliehen.“ Zm springen war es offensichtlich zu hoch. „Er wird oben vermutlich rechts vom Ausgang stehen. Oder vorne.“

„Spitze, Lilia“, lobte Jerry. „Dann umstellt ihr das Baumhaus, passt vor allem an den Wegen auf und ich klettere hoch, Lilia ist hinter mir.“ Alle nickten und Adrenalin schoss in Lilia's Adern. Sie folgte Jerry die Leiter hinauf. Die Waffe vorsichtig vor sich gerichtet kletterte sie durch die Luke. Jerry sah sich um.

„Wo ist er?“, fragte sie.

Er zuckte mit den Schultern. „Vielleicht hast du dich geirrt.“ Es war eindeutig ein Vorwurf. Aber da war noch etwas in ihrem Gehirn, das ihr sagte, sie beginge einen großen Fehler.

Sie fuhr herum und duckte sich. Baumaßnahmen! Da war eine Bank über ihr. Delack's Faust verfehlte sie um wenige Zentimeter. Er stürzte und Lilia warf sich auf ihn. Es war kaum Zeit, nachzudenken. Sie drehte ihm die Arme auf de Rücken. Er wehrte sich kaum, war fast nicht bei Bewusstsein, als Jerry ihm die Handschellen anlegte. Zusammen mit Lilia hievte er Delack irgendwie nach unten, der mann lallte etwas, Jerry verstand es nicht. Ein Polizist übernahm Delack und schleifte ihn geradezu fort.

Jerry und Lilia standen umringt von Agenten im Wald. Erschöpft und erleichtert bat Jerry Lilia um ihre Handschellen. Sie streckte ihre Hand aus um sie ihm zu geben, und ehe sie sich versah, hatte Jerry sie herum gewirbelt, ihre Arme auf dem Rücken fixiert und mit den Handschellen fixiert.

„Du bist so was von berechenbar“, sagte sie vollkommen ruhig zu Jerry.

„Ich halte es für nötig, damit du nicht abhaust. Sehr kooperativ warst du noch nie“, antwortete Jerry mit einem fiesen Grinsen.

„Wenn ich von Agenten umzingelt bin und einen Peilsender in der Schulter habe. Ich hatte wirklich mehr Vertrauen in eure Fähigkeiten“, spottete sie.

Jerry zerrte sie z einem Polizeiwagen. „Sag mir, wie bist du zu einer Auftragsmörderin geworden, Lilia, sag es mir.“

„Das wirst du nie herausfinden“, gab sie zurück.

„Sag niemals nie. Letzte Chance?“, versuchte Jerry es wieder.

Lilia betrachtete das Blätterdach über ihr. „Never.“ Er drückte sie auf die Rückbank und sie lächelte. „Hast du vergessen, dass ich nicht mehr Lilia Flake bin? Ich habe eine neue Identität und bin eine legale Bürgerin. Ich habe nichts mit Auftragsmorden zu tun.“ Und seltsamerweise war sie froh darüber.

Impressum

Texte: Annisoli
Bildmaterialien: Cover: BAnnisoli mit Bildern von Stockphotosforfree.com
Lektorat: M.E.
Übersetzung: /
Tag der Veröffentlichung: 19.12.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Mom

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