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Als sie aufwachte, wusste sie bereits, dass es ein beschissener Tag werden würde. Auf der einen Seite lag das an dem Fremden, der wie auch in den letzten Tagen auf der anderen Straßenseite stand und zu ihrem Fenster hoch starrte. Und sie hatte wieder einmal diesen Traum gehabt:
Ein junger, gut aussehender Mann kam auf sie zu, mit ausgebreiteten Armen, ein freches Grinsen im Gesicht, unglaubliche blaue Augen, die leuchteten, als würde man eine Taschenlampe dahinter halten. Eine sehr starke Taschenlampe. Die markanten, hübschen Gesichtszüge. Dann diese Stimme, die ihrer eigenen so nahe kam, die voller Freude einen Namen sagte: „Seen.“
Dann wachte sie auf. Immer das gleiche, seit mehreren Jahren. Nie hatte sie darüber geklagt, niemandem hatte sie es erzählt. Der Fremde war ihr unheimlich, er weckte irgendetwas in ihr, genau wie der Traum. Cailín sprang auf und zog ein Sweatshirt aus dem Schrank und begann sich anzuziehen. Zwei Minuten später schlich sie leise nach unten, um ihre Mutter nicht zu wecken. Ihre Mutter zog Cailín alleine auf, ihr Vater war bei einem Attentat in einem Kaufhaus ums Leben gekommen. Cailín hatte ihn nicht einmal gekannt, und ihre Mutter sprach nie über ihn. Es gab auch kein Foto, sie wusste nicht, wie er aussah, oder hieß. Keine Großeltern, keine Geschwister. Seitdem arbeitete ihre Mutter lange, um sich und Cailín gut durchzubringen.
Cailín machte sich einen Kaffee und frühstückte in Ruhe, bevor sie ihre Schultasche schnappte und zum Bus ging. Natürlich nieselte es. Der Sommer war dieses Jahr wirklich nicht warm und sonnig, wie man es sich im Sommer wünschte. Sie erwischte den frühen Bus und ließ sich ganz hinten auf einen leeren Platz fallen. Während der Fahrt sah sie aus dem Fenster und beobachtete wie die vertrauten Bäume, Häuser und Wege an ihr vorbei zogen. Ja, sie waren ihr vertraut, doch der Mann in ihrem Traum schien ihr noch viel vertrauter, als würde sie ihn schon immer kennen. Sie sah ihr Spiegelbild in der Scheibe. Grüne Augen, die heute etwas traurig aussahen, braune gewellte Haare, eine kleine Narbe zwischen den Haaren auf ihrer Stirn, hohe Wangenknochen. Sie sah aus wie ihr Vater, hübsch und athletisch, nur die Haare hatte sie von ihrer Mutter. Wenigstens das hatte ihre Mutter ihr in einem schwachen Moment verraten. Der Bus hielt und eine Horde Schulkinder stürmte herein, die versuchten, einen Sitzplatz zu bekommen. Ganz hinten kam noch jemand. Er zahlte und ging langsam durch den Bus, um sich einen Platz zu suchen. Neben Cailín hielt er an und deutete auf den leeren Platz neben ihr. Es war vermutlich der einzige nicht-besetzte Platz im ganzen Bus.
„Darf ich mich setzen?“, fragte er höflich. Cailín sah auf und schluckte. Es war der Fremde, der immer vor ihrem Haus herumlungerte. Sie nickte hastig und bemühte sich, ihn nicht zu sehr anzustarren. Er hatte einfache kurze braune fingerlange Haare, ebenso braune Augen, Haut mit einem etwas dunklerem Ton, als normal. Milchkaffe-braun. Alles an ihm währe braun gewesen, hätte er nicht dieses T-Shirt getragen, weiss, dass ihm unverschämt gut stand und seine muskulösen Oberarme betonte. Cailín schätzte ihn auf etwa achzehn, kaum älter als sie selbst. Sie betrachtete seine Spiegelung unauffällig in der Fensterscheibe und tat dabei, als interessierte sie die Straße draußen. Er sah sympathisch aus, wie jemand, dem man vertrauen würde. Wie der Freund deiner älteren Schwester, mit dem man gut scherzen konnte, jemand der studierte, später Berufliche Karriere machte. Nicht wie jemand, der einfach Bus fuhr, sondern wie jemand, der sein eigenes Auto hatte. Der Bus hielt an Cailín's Haltestelle und er stieg aus, inmitten einer Traube von Schulkindern. Cailín schlenderte hinterher. Sie musste nicht so früh da sein wie die Kinder aus der benachbarten Schule. Auch der Fremde ging langsam, sah sich auf dem angrenzenden Marktplatz um, immer in Cailín's Sichtweite.
„Wollen wir mal sehen“, murmelte sie und ging auf den Wald zu, quer durchs Unterholz. Er folgte ihr. Nach dem kleinen Bach hängte sie ihn mühelos ab und ging an der Straße zurück zur Schule. Der nächste Bus hielt dort bereits und Cailín konnte ihre beste Freundin Mai aussteigen sehen. Schnell lief sie zu ihr und begrüßte sie. Gemeinsam und laut redend gingen sie zu ihrem Klassenzimmer.
Als Cailín am Mittag wieder in den Bus stieg, war sie erleichtert den Fremden nirgends zu sehen. Das merkte er. Er war zu weit gegangen, sie hatte es offensichtlich bemerkt, dass er ihr Haus beobachtet hatte, aber ihn nicht erkannt. Er wusste nicht, ob er deshalb traurig sein sollte, oder fröhlich, weil sie fürs erste sicher war.
In Bearbeitung
Texte: Annisoli
Bildmaterialien: Cover: Bookrix
Lektorat: nicht Vorhanden
Übersetzung: nicht Vorhanden
Tag der Veröffentlichung: 12.08.2012
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für mein kleine Li