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Prolog

Dollowford. Der runde weiße Wolfsmond schien auf ihn herab, als er den Hügel hinauf trottete und Dollowford betrachtete. Seit einigen Sommern nahm er an den Überfällen auf die Dörfer teil, bei denen Nahrung, Vieh und Frauen geraubt wurden. Keiner von ihnen raubte und mordete gerne, aber so war der Pakt, so standen sie für ihre Rechte ein. Jeden Mittsommermond wechselten die Dörfer, und jetzt, nach Foxden, Nyx und Shepsen war für fast zwölf Monde Dollowford dran. Danach kamen noch Dale, Hab, Wylands, Nievel, Bloombelt, Conte, Hrier, Rivervalley, Qwert und Kelpywoods dran, bevor das Spektakel von vorne los ging. Bald, zwischen zwei Monden, würde er sich als Händler in das Dorf vor wagen und sich umsehen. Er ließ sich auf sein zottiges Hinterteil fallen und leckte eine Pfote. Nebel schwappte um seine Pfoten wie das eisige Wasser eines Bergbachs und der Mond ließ die Nebelmasse geheimnisvoll silbern leuchten. Leise schlich er weiter.

Kapitel 1

,,Julien!'', Caira schüttelte in gespielter Empörung den Kopf und warf ein Stück Seife nach ihm. Er hatte sich aus den Büschen herangeschlichen und so getan als wolle er sie ins Wasser stoßen. Er lief weg, den Hügel hinunter und sie ließ ihren Eimer stehen und jagte ihrem besten Freund nach. Seit Jahren hatten sie hier nicht mehr so herum getollt, und sich anschließend ins Gras gedrückt, um, so wie jetzt, in den blauen Sommerhimmel zu starren. Schließlich rappelte Caira sich auf und fegte etwas Gras von ihrem Umhang.

,,Lass mich jetzt bitte alleine. Ich muss mich noch waschen, die Vorbereitungen für Lees und Days Hochzeit waren anstrengend.'' Julien nickte: ,,Aber komm nicht zu spät wieder. Heute ist Wolfsmond, denk dran.'' Caira stimmte zu und lief zum Fluss zurück. Obwohl seit Jahren keine der Bestien die Vieh und Leute verschleppten, töteten und das Dorf in Aufruhr und Unordnung versetzten, mehr gesehen worden war, blieb die Angst, die Geschichten und die Sicherheitsvorkehrungen. Man lebte in beständiger Angst vor den Tieren, in deren dickem Fell sich Pfeile verstrickten, und die Schwertern, Lanzen und Äxten auswichen, als währe es das einfachste auf der Welt. Niemand traute sich sie zu jagen, niemand hatte es geschafft ihnen zu folgen. Groß wie Esel waren sie, mit wildem Blick und scharfen Krallen und mächtigen Kiefern. Glücklicherweise kamen sie nur einmal im Mond, wenn Wolfsmond war und der Mond rund wie Wolfsaugen hoch am Himmel stand. Fertig mit dem Bad im Fluss, legte Caira ihren blattgrünen Umhang an und füllte noch ihren Eimer mit Wasser bevor sie sich in Richtung Dorf wendete. Dollowford stand auf dem Schild über dem Tor, und obwohl Caira, wie die meisten aus dem Dorf, nicht lesen und schreiben konnte, waren diese verschlungenen Zeichen ihr doch bekannt. Sie stellte den Wassereimer vor der Mühle ab und rannte noch einmal zum Marktplatz. Lee verließ gerade die Schmiede, von drinnen war eifriges Hämmern zu hören. ,,Lee hat so ein Glück mit Day.'', dachte Caira. Day sah gut aus, war stark, offen, jung und freundlich. ,,Wenn er nur mich gewählt hätte!'' Caira liebte Day zwar nicht, schwärmte auch nicht für ihn, aber er war einfach die beste Wahl. Caen, der alte Bauer, gab Caira ihren Hafer für den Esel. In Dollowford suchten die Männer sich die Frauen aus, und es kam selten vor, dass ein Mädchen ihren Verlobten schon von Anfang an liebte. Manche kannten ihre Männer nicht mal! Und nur der Vater des Mädchens konnte die Hochzeit ablehnen, niemand anders hatte ein Einspruchsrecht- schon gar nicht die Frauen. Viele andere Mädchen hatten für Day geschwärmt und waren enttäuscht über seine Wahl. Nicht, dass Lee es nicht verdient hatte. Ihr Vater war Wölfen zum Opfer gefallen, die Mutter Kiska war in derselben Nacht 

wahrscheinlich zu Frischfleisch geworden, Lee war Waise und wohnte bei einer entfernten Tante, die sie hart arbeiten lies. Day hatte lange um sie werben müssen, Lees Onkel hatte einfach Lee nicht als Arbeitskraft verlieren wollen. Der Wind zerrte an Cairas Rock, als sie den Hafer zu dem Wasser stellte, und als sie mit Brennholz wieder kam, zerstampfte ihre Mutter beides zu Brei für den alten zahnlosen Esel.

,,Caira!'', rief sie aus. ,,Schnell, ab ins Haus mit dir, zieh dich um, und richte deine Haare! Ein Bewerber ist da! Ich nehme an er bleibt zum Essen. Er ist mit Vater in der Mühle. Beeile dich, Kind!'' Caira schnappte nach Luft und verschwand im Haus neben dem Verschlag für den Esel. Sie warf ihr bestes Kleid über und wählte dazu einen mitternachtsblauen Umhang mit Bronze Schnallen. Sie zog einen Kamm ungeduldig durch ihre haselnussbraunen Haare, die sich sofort wellten und weich über ihre Schultern fielen. Ihre Mutter trat ein. ,,Wer ist es?'', verlangte Caira zu wissen. ,,Ich weiß es nicht.'', seufzte ihr Mutter und streute noch einige Kräuter in die Suppe über dem Feuer. Sie holte eine kleine Schatulle hervor, die in einer Ecke unter den Holzlatten steckte. Sie zog eine Kette an einem Lederband hervor.

,,Ich trug sie, als Zev mich das erste mal sah.'', erklärte sie und legte sie Caira um. Caira deckte gerade den Tisch, als ihr Vater eintrat. Matt Avla folgte ihm. Caira begrüßte ihn freundlich, doch innerlich zweifelte sie ein wenig. Matt war fast fünf Sommer älter als sie, und sie kannte ihn nur vom sehen und einigen großen Ernteaktionen oder Dorffesten. Aber er war sicher nicht das schlimmste, was ihr passieren konnte. Matt hatte die Viehzucht von seinem Vater aufgenommen und seine Kühe gaben viel Milch, die Schafe viel Wolle, die Schweine viel Fleisch, die Esel arbeiteten gut und die Pferde, so sagte man, waren schnell. Die älteren des Dorfes lobten seine Hilfsbereitschaft. Er sei sehr gut erzogen, und mache sich diese hervorragende Erziehung nicht nur selbst zum Nutzen, sondern Half, wo es ging und nutzte sein Wissen bei der Arbeit. Cairas Vater war Müller und konnte gerade genug Mehl eintauschen, dass es für alles nötige reichte. Sie musste zufrieden sein, mit so einem Mann, das erwartete ihr Vater ganz sicher.

,,Vielen Dank für die Einladung zum Essen, Zev.'', bedankte Matt sich höflich, und Caira forderte ihn auf, sich zu setzen und füllte seinen Teller mit Suppe.

 

 

Kapitel 2

In der Nacht schlief Caira unruhig und wälzte sich schlaflos hin und her. Matt war freundlich gewesen, hatte gelächelt, sich höflich bedankt. Caira konnte sich nur schwer ein Urteil über ihn bilden, obwohl ihr klar war, dass sie bei ihm gut aufgehoben war. Sie war sofort wach als die Alarmglocken schrillten. Das war bereit so lange nicht mehr vorgekommen, dass sie sich kaum mehr an diesen Ernstfall erinnerte, obwohl es regelmäßig Proben gab. Sie eilte die Leiter von ihrem Lager hinunter, nur mit einem Umhang bekleidet, als Matt ihr mit freiem Oberkörper entgegenkam. Es war abends spät geworden und er hatte sich ein paar Decken auf dem Küchenboden ausgebreitet, um dort zu nächtigen. Cairas Vater riss eine mächtige Axt aus der Halterung an der Tür und warf sie Matt zu, der sie geschickt fing.

Zev selbst wählte eine Lanze und war mit den Worten ,,Ihr Frauen bleibt hier.'', schon aus der Tür, Matt folgte ihm. Cairas Mutter Amelia verrammelte die Tür so fest wie möglich und ließ sich auf einen Stuhl sinken. Sie konnten nur noch warten. Caira legte Feuerholz nach und zog sich richtig an. Langsam döste sie an die Wand gelehnt ein, um bei jedem lauten Schrei, Wolfsgeheul oder kurz geschrienen Befehlen sofort aufschreckte. Immer saß ihre Mutter da, den Kopf in die Hände gestützt, besorgt auf den Tisch starrend. Sie wusste nicht, ob ihr Mann lebend aus diesem Kampf herauskam, ob er sich verletzte, verschwand. Caira erinnerte sich an einen frühen Angriff vor vielen Jahren. Ihr Vater hatte stumm in der Tür gestanden, blutend. Ihre Mutter schrie, als er ihr von den Kampferlebnissen berichtete. Sie tobte, stürmte in die Nacht. Die dreijährige Caira hatte der hübschen jungen Frau nachgesehen, deren Gesicht von Schmerz gezeichnet war. Auch Caira hatte angefangen 

zu weinen, aber nicht wegen ihrem Großvater, an dessen Sterbebett ihre Mutter gekniet hatte, nicht wegen dem Blut, nein, sie hatte geweint, weil ihre Mutter wochenlang unglücklich war. Dann hatte sie sich mit dem Nachbarjungen Julien angefreundet. Ihre Mutter war nicht dazu fähig gewesen, auf sie aufzupassen, ihr Vater musste arbeiten, und eine Mühle, in der schwere Mühlsteine einem kleinen Kind leicht einen Finger kosten konnten, war nicht der richtige Aufenthaltsort für sie gewesen. Zwei Jahre später, mit fünf, war sie glücklich mit Julien durch das Dorf getobt. Diese Zeit hatte sie geprägt und waren jetzt der Grund für all die Sorgen ihrer Mutter.

,,Ich brühe dir einen Tee auf.'', beschloss Caira, und Minuten später hatten beide einige Tassen des würzigen Kräutertees geleert.

 

Erst Stunden und etliche Teetassen später verstummten der Kampflärm und die aufgeregten Schreie und nächtliche Stille kehrte ein. Caira holte Tücher und Salbe zum Verbinden von Wunden, ihre Mutter nahm den Wassereimer mit, als Zev sie heraus rief. Ihr Verschlag war herunter gebrannt, der Esel fort. Matt machte sich bei weiteren brennenden Gebäuden nützlich, er hatte nur einige Kratzer im Gesicht, die Caira aus wusch und mit einer Schicht Salbe behandelte. Auf dem Dorfplatz verband sie noch eine Bisswunde, bevor sie zu den zwei schwerer Verletzen ging. An einer der Tragen weinte Lee, Caira hörte rasselnden Atem und sah Day, der schwer blutete. Erst Lees Eltern, jetzt das. Schnell wandte sie sich ab, Lee sollte noch einige Minuten mit Day verbringen. Mit zusammengebissenen Zähnen verarztete sie viele weitere Wunden im flackernden Licht von kleinen Feuern, bis die Sonne aufging. Für einige Minuten beobachtete sie nur, wie die Sonne höher kletterte, den Himmel erst in blutrote Farbe, und dann wie in Gold getaucht erscheinen ließ. Seufzend machte sie sich auf die Suche nach Matt, Julien und ihren Eltern, nach stundenlanger Arbeit war sie müde, hungrig und fror. Der Wind wehte das Klagen der Angehörigen von den Schwerverletzen herüber, doch die Vögel zwitscherten ungerührt weiter. Bei einem schwelenden Gebäude fand sie Julien und gab ihm einen Krug mit Wasser, den er durstig leerte.

,,Höllennacht.'', meinte er danach. ,,Zwei Mädchen fehlen.''

 

 

Kapitel 3

Tage vergingen. Day wurde begraben, Caira wagte sich nur noch mit Julien in den Wald, auch wenn es Matt verletzte. Ihr Vater hatte der Verlobung zugestimmt und Matt hatte ihr einen silbernen Ring angesteckt. Doch Caira liebte Matt nicht, obgleich sie ihn auch in letzter Zeit häufig gesehen hatte, er nett und um sie bemüht war.

Sie führte gerade einen neuen Esel- ein Geschenk von Matt- zur Mühle, als sie am Hauptplatz einen Fremden sah. Händler waren selten, und dieser war jung. Er reichte einer Frau einen Kräuterbeutel und bückte sich um eine kleine weiße Ziege hoch zu nehmen. Ein Anhänger rutschte ihm aus dem Wams und Caira schrie auf. Er war in Form eines heulenden Wolfs! Der Mann blickte sich um und ihre Blicke kreuzten sich. Seine dunklen Augen zeigten Stärke, Mut, Entschlossenheit, und etwas blitzte geheimnisvoll in ihnen auf, das Caira nicht zuordnen konnte. Er steckte seine Kette ruhig zurück und hob die Ziege mit seinen kräftigen braunen Armen einfach auf seine Schultern. Als er mit großen Schritten an Caira vorbeiging, senkte er den Kopf und drehte ihn seitlich weg, sodass sie sein Gesicht nicht noch einmal sehen konnte. Der Esel schüttelte ungeduldig seinen Kopf und Caira wurde an ihre Aufgabe erinnert. Zögernd führte sie ihn weiter, verwirrt über diese seltsame Begegnung. Sprich nicht mit Fremden hatte Amelia ihr schon früh beigebracht. Und nie hatte Caira auch nur das Bedürfnis gespürt. Doch bei diesem Fremden war das anders. Obwohl er mit seiner Größe, dem wilden Blick, seiner Kraft und den wirren Haaren gefährlich wirkte, würde sie ihn gerne nach dem Anhänger fragen. Der Esel trottete ihr gemächlich nach, senkte dann abrupt den Kopf und beknabberte jeden Grashalm, den er in seiner Reichweite fand, bevor er sich dazu einließ, weiter zu gehen.

Ungeduldig zerrte seine Herrin am Strick, zog ihn fast schon weiter.

,,Hilfe gefällig?'', ertönte auf einmal Juliens Stimme. Caira reichte ihm den Strick und der Esel folgte Julien lammfromm.

,,Warum mögen Tiere dich nur so?'', fragte Caira.

,,Tun sie gar nicht. Er hat nur gemerkt, dass du unkonzentriert warst. Esel sind klug.'', wehrte Julien ab. In dem Moment landete eine aufgeregt zwitschernde Dohle auf seinem Kopf. Er verscheuchte sie mit einer Handbewegung. ,,Worum ging es? Matt?'', erkundigte er sich.

,,Naja. Er hat mich zu einem Waldritt eingeladen. Und ich kann gar nicht mal so gut reiten. Er ist beleidigt, wenn er mich mit dir sieht.'', wich Caira aus.

,,Na und? Reite doch mit ihm.'', antwortete Julien Schulterzuckend. ,,Du wirst ihn heiraten, er liebt dich, ihr seid verlobt. Wenn du ihn erst geheiratet hast, musst du dauernd so was treiben. Er ist Viehzüchter, Cai, da hat er mehr als genug Verdienst zum Leben. Mir tut schon die Leid, um die ich werben werde.''

,,Klar.'', meinte Caira. ,,Du hast ja so niedere Arbeit und baust unsere Häuser. Das ist ja schlimmer als Ställe auszumisten. Wie läuft es eigentlich mit dem Haus, wo Matt und ich später.. du weißt schon..?''

,,Ganz gut. Übermorgen könnt ihr einziehen.'', erklärte Julien. ,,Deshalb wollte ich auch mit deinem Vater reden.''

,,Vater?'', rief Caira, als sie die Mühle betrat, in das Knirschen der Getriebe hinein. Mehlbestäubt kam der Müller ihr entgegen.

,,Ah, Julien. Das Haus?'', fragte der auch sofort.

,,Übermorgen können Caira und Matt einziehen.'', antwortete der Angesprochene.

,,Sehr schön. Die Hochzeit ist dann zwei Sonnenaufgänge vor Wolfsmond.'', entschied Zev und Caira zuckte zusammen. So früh! Ausserdem redete ihr Vater darüber wie über das Wetter. Zev entließ Julien mit einem Nicken und Caira versuchte vorsichtig ihren Vater von der frühen Heirat abzubringen: ,,Vater, meinst du nicht, dass es besser ist, wenn wir erst nach Wolfsmond heiraten?''

,,Nein.'', erklärte Zev. ,,Sonst ergeht es dir noch wie Lee.''

,,Und wenn ich verwitwe?'', argumentierte Caira, ,,Das wäre noch viel schlimmer.''

,,Du wünscht es dir wirklich?'', fragte Zev sie mit hochgezogenen Augenbrauen. ,,Na dann hast du mich wohl in einem nachgiebigem Augenblick erwischt. Aber unter diesen Bedingungen: Du gehst mit Matt reiten. Ihr zieht trotzdem in zwei Sonnenaufgängen zusammen. Du versuchst ihn besser kennen zu lernen und dich für ihn zu interessieren. '', lächelte Zev. Caira umarmte ihn.

,,Danke Vater! Ich werde mich bemühen!'' Gut gelaunt lief sie die Wege zu Matts Arbeitsplatz entlang, um ihm sein Mittagessen zu bringen. Matt begrüßte sie fröhlich. Er schien froh zu sein, dass sie von sich aus gekommen war und nicht eine der schüchternen Mädchen war, die sich bei Dorffesten in das nächste Versteck begaben und lieber nur zusahen.

,,Danke, liebste Caira. Das ist sehr aufmerksam von dir.'', freute er sich. Caira lächelte ihn nur an. Sollte er doch Süßholz raspeln, das war ihr egal. Allerdings schien er es ernst zu meinen. ,,Setz dich doch zu mir.'', schlug er vor, und Caira ließ sich neben ihm auf dem niedrigen Mäuerchen neben ihm nieder.

,,Wie laufen die Geschäfte?'', unterbrach sie nach einer Weile die Stille.

,,Gut.'', berichtete Matt. ,,Ich habe heute noch Zeit für den Ritt, weil ich etwas früher Schluss machen kann. Hast du Lust? Ich hätte eine liebe Stute für dich.'', schlug er vor.

,,Natürlich.'', flötete Caira. ,,Ich habe heute auch nichts mehr zu tun und werde gerne mit dir reiten.'', säuselte sie. ,,Mein Vater meint übrigens, die Hochzeit soll nach dem Wolfsmond stattfinden.''

,,Ob da nicht jemand nachgeholfen hat?'', schmunzelte Matt.

,,Es tut mir Leid, Matt. Aber ich brauche etwas mehr Zeit. Aber wenn du nicht möchtest...'', räumte Caira rasch schuldbewusst ein und errötete.

,,Doch, doch. Bitte mach dir keine Sorgen, Süße. Ich werde dir genügend Zeit geben. Auch zehn Monde, wenn du sie brauchst.'', rückte Matt die Sache gerade.

,,Danke. Das ist wirklich lieb von dir.'', erwiderte Caira.

 

Kapitel 4

Caira konnte den Ritt schon fast genießen, auf der hübschen Stute die Matt ihr gegeben hatte. Zufrieden ritt sie neben Matt auf dem breitet Waldweg entlang, und grüßte die Holzhacker, die immer noch ihre Äxte tief in die harten Stämme trieben und so für genug Feuerholz und Baustoff sorgten. Die schweren Gäule, die die zurecht geschnittenen Stücke aus dem Wald schafften, wieherten ihren Pferden noch hinterher, und Matt zeigte Caira ein Reh. Sie entdeckten noch zwei Kitze, jung und gefleckt, mit staksigen Beinen. Es lag die wunderbare Ruhe im Wald, die Caira an ihm so schätzte. Ein Specht klopfte mal hier, mal da, Vögel zwitscherten, eine Wildsau lief mit ihren Kleinen über den Weg. Ein stolzer Hirsch zeigte sein wachsendes Geweih, ein Dachs verzog sich, als er die Hufgeräusche kommen hörte. Die Sonne ging langsam unter, und Matt und Caira betrachteten sie, bevor sie zügig auf den willig galoppierenden Pferden Heim ritten.

In den nächsten Tagen organisierten sie Küchen- und Haushaltsgeräte für das neue Haus. Ein Besen stand in der Ecke des Hauses, tönerne Schüsseln und ein riesiger Kessel wurden angeschafft. Amelia formte einige Teller aus Lehm, ihr Vater schenkte ein paar Säcke mit Mehl.

,,Ihr könnt bei mir immer Nachschub holen.'', versprach er. Julien baute zwei wunderschöne Betten. Er hatte viele Schnörkel und Blätter in den Rand geschnitzt, und auch die Tür passend verziert. Das dunkle Holz schimmerte nach der Politur, und passte wunderbar in die Zimmer. Eine Bäuerin stopfte ein paar Decken mit Daunen, sodass sie es im Winter warm haben würden, und auch sonst gingen die Vorbereitungen für Einzug und Hochzeit hoch her. Amelia war ständig unterwegs, beauftragte jemanden für Blumenschmuck, ließ richtige Ringe schmieden. Einige Handwerker zimmerten Stühle, einen Tisch und Schränke, die sofort mit neu genähten Kleidern, Umhängen und Fellen gefüllt wurden. Der Maurer machte ihnen einen schönen Ofen mit einer guten Lüftung, und einen Kanal, der den Rauch aus dem Schornstein heraus führte. Der Kessel passte gut hinein und man konnte im Winter einheizen. Die Holzhacker stapelten bereits Holz für den Winter, mehr als genug zum Kochen und Heizen. Für Caira verflog die Zeit, und schon waren die Tage bis zu dem Einzug um, alles war bereit und sie betrat mit Matt gemeinsam das hübsch eingerichtete saubere Häuschen. Es lag am Dorfrand, gut geschützt vor Wind und Wetter, in einer kleinen Kuhle, umgeben von einem zusätzlichen Schutzzaun. Darin befand sich auch ein kleiner Stall, in dem, zu Cairas Freude, nicht nur Matts Pferd und der sture Esel, sondern auch die kleine braune Stute stand. Ein paar Gänse pickten friedlich nach Körnern und der Esel schrie aus seinem Aussichtspunkt im Stall fröhlich heraus. Bohnen waren ordentlich in einer Reihe gepflanzt, Gemüse spross aus der fruchtbaren Erde und einige alten Obstbäume wiegten sich im Wind. Der knorrige Apfelbaum trug schon kleine grüne Äpfel und die Schweine machten sich über die herab gefallenen her. Matt kam von hier aus bequem zu seinem Arbeitsplatz und konnte Caira Mittags sogar beim Essen Gesellschaft leisten.

,,Du kochst fantastisch!'', schwärmte er schon am ersten Tag. Caira errötete. Sie wusste genau, woran es lag. Die Kräuter, die etwas entfernt vom Dorf wuchsen, gaben jedem Gericht die richtige Note, und so zog sie auch die folgenden Tage mit ihrem sturem Esel dorthin. Er ging brav mit, tobte sich dann auf der Wiese aus und lies sich dann nach Hause ziehen. Auch Wasser holte Caira aus dem Fluss hier. Es war sauberer als das aus dem Dorfbrunnen oder aus dem See und Caira hatte sich an ihm schon seit sie denken konnte erfrischt. Heute hatte sie erst ihre Mutter kurz besucht und war dann Julien 

begegnet, der innerhalb der Dorfgrenzen Bretter für ein neues Haus zurecht schnitt, und er jammerte ihr vor, dass sie sich kaum mehr sahen. Aber dann lachten sie zusammen, vergaßen alles Trübsal, und sprachen über ihre Probleme. Als Caira sich später als beabsichtigt verabschiedete, riet Julien ihr noch, pünktlich im Dorf zu sein.

,,Heute ist Wolfsmond, denk dran. Du bist nur im Haus sicher.'' Caira hatte den Tag, wie neuerdings immer, zwischen Wiesenblumen, Kräutern und Bäumen verbracht, und schließlich den Esel beladen und den Rückweg angetreten. Die Bäume warfen lange Schatten und die Sonne sank tiefer, doch gerade heute wollte der Esel weiter fressen.

 

Als Caira das leere Dorf betrat, war es bereits dunkel. Sie schlich um die Ecken, erleichtert, dass sie fast da war, als die Alarmglocken aufgeregt klingelten. Die Wachen hatten Wölfe gesehen! Caira war nahe dran den Esel stehen zu lassen, doch sie dachte an Julien, der das niemals einem Tier angetan hätte.

,,Zu deiner eigenen Sicherheit, komm endlich mit!'', brüllte sie das graue Tier an, doch es war zu spät. Ein bedrohlicher Schatten verdeckte den weißen Wolfsmond und Caira fiel wimmern vor Angst in ihrer Ecke in sich zusammen. Sie spürte noch ein Brennen in der Hand, als der Esel ihr den Strick aus der Hand riss und sich ein paar Grashalmen zu wandte, die aus dem sandigen Weg hervor sprossen, dann war alle ihre Aufmerksamkeit auf den riesigen Wolf gelenkt, der vor ihr stand. Seine dunklen intelligenten Augen erfassten sie und der Wolf knurrte. Caira machte sich noch kleiner, drückte sich tief in die Ecke. Die riesige Wolfsschnauze senkte sich und der Wolf beschnüffelte Caira ausführlich. Vor Angst quietschend schoss sie hoch und der Wolf knurrte wieder.

,,Matt! Julien! Verdammt! Wo seid ihr? Sturer Esel!'', schluchzte sie, die Augen fest geschlossen. Etwas weiches feuchtes berührte Cairas Hand, schob sich hinein. Langsam blinzelte Caira. Der Wolf hatte seine Nase in ihre Hand geschoben, Wiedererkennen leuchtete in seinen Augen.

,,Nein!'', krächzte Caira. ,,Was willst du von mir?'' der Wolf leckte ihre Hand mit seiner warmen rauen Zunge ab. ,,Jetzt probiert er, wie ich schmecke.'', schoss es Caira durch den Kopf. ,,Nein, bitte nicht!'', piepste sie, als der Wolf seinen Kopf zwischen sie und die Hauswand schob und sie zu dem Esel drängte. Das Grautier stand mit erhobenem Kopf da, aufmerksam beobachtete es was hier passierte, es schnappte nur zwischendurch nach etwas Gras. Was wollte dieser Wolf von ihr?, fragte sich Caira, es wirkte fast, als wolle er, dass sie auf den Esel stieg. Zögernd schwang sie sich hinter die Packtaschen, wenn der Esel diesmal laufen würde, hatte auch sie eine Chance zu entkommen. Der Wolf bellte und sie zuckte zusammen. Der Esel machte einen Satz nach vorne und Caira klammerte sich ängstlich fest. Erstaunt beobachtete sie, wie der riesige Wolf den Strick am Halfter des Esels mit den Zähnen packte und daran zog. Fast noch erstaunter war sie, als dieser in einen flotten Trab fiel. Bei ihr hatte er sich nie zu mehr als zu einem schleichenden Schritt eingelassen. Das Gespann flog auf den hölzernen Schutzzaun zu, Caira blieb die Luft weg. So kamen die Wölfe also immer herein! Ihr Vater hatte nie ein Wort darüber verloren. Alle Frauen hatten gedacht, an den Löchern im Zaun seien Brände schuld. Caira blieb bei ihrer Vermutung richtig. Der Wolf sprang durch den Wall und riss ein großes Loch in die Holzlatten, der Esel trottete ihm ungerührt durch das Loch hinterher.

,,Caira!'', hörte sie noch aus dem Dorf. ,,Cai, warte! Nein, nein, nein!'' Als sie sich umdrehte, sah sie nur noch, wie Julien unter einer Fellmasse begraben wurde und auf den harten Weg fiel. Hinter und vor dem Esel liefen weitere Wölfe, eine einzige Fläche aus breiten, dick behaarten Tierrücken. Der Wolf, der Cairas Esel führte, hatte tintenschwarzes Fell und eine einzelne weiße Pfote, die aus sah wie in Mehl getaucht. Rabenschwarz sah Caira auch für ihr eigenes Leben, in diesem Wolfsrudel, und sie klammerte sich eng an den Esel. Angst erfüllt sah sie, wie ,,ihr'' Wolf langsamer wurde und schließlich zurück 

blieb. ,,Der will seine Beute wohl für sich!'', dachte Caira und sah in die nachtschwarzen Augen des Tieres. Sein Nackenfell sträubte sich, als er sie mit einem kurzem Blick bedachte und anschließend wieder los wetzte um die anderen einzuholen. Auch in einem großem See spiegelte sich sein Fell so tiefschwarz, dass Caira an ein Unglück bringendes Zeichen glaubte. Es ging weiter holprig bergab, und die Pfoten der Wölfe hinterließen keine Abdrücke in dem von der Sommerhitze ausgedörrtem Boden. Sie betrachtete die Handteller großen dunklen Pfoten der Wölfe. ,,Samtpfoten.'', dachte Caira. ,,Wie die Pfoten von Katzen. Wie können Tiere mit so schönen Pfoten nur böse sein? Sind Tiere überhaupt böse? Oder zählt für sie nur das Überleben?'', fragte sie sich. Sie dachte eine Weile darüber nach, und kam zu dem Schluss, dass Wölfe keine Moral hatten. Einmal dachte sie, sie hätte ein Dorf gesehen, doch weitere Wölfe in allen möglichen Farbschattierungen nahmen ihr die Sicht.

 

Kapitel 5

Die Wölfe wurden langsamer. Einer heulte, es gab einen kurzen Austausch von bellen, quietschen, schnüffeln und Blicken. Auch an ihr schnupperte ein brauner Wolf, dann ein grauer, ein rostroter, ein sandfarbener, immer mehr kamen und wollten an ihr schnüffeln, manche blieben Minutenlang, andere wandten sich gleich wieder ab. Schließlich verlief sich die Versammlung und die Wölfe verschwanden in den Höhlen die sich in riesigen Gesteins- und Felsformationen befanden. Abstrakt ragten diese hoch in den mit Sternen gesprenkelt Himmel. Auch Cairas Wolf ging auf einen Höhlenmund zu und trieb den Esel hinein. Er lies ihn in einer Ecke stehen und legte sich vor den Ausgang.

 

Was jetzt? Müde und ängstlich rutschte Caira langsam von dem Esel herunter und kauerte sich in eine Ecke. Es war dunkel hier drin, nur die Silhouette des Esels und der unheimliche Wolf vor dem großen runden Mond war zu sehen. Die Augen des riesigen Tieres waren weit geöffnet, er ließ sie nicht aus den Augen. Sie wollte warten, bis er einschlief. Warten, bis er von der nächtlichen Anstrengung geplagt die Augen schloss. Ein Käuzchen schrie. Es schrie immer wieder, zehn mal, hundert mal. Wie lange wartete Caira? Wie lange war der Morgen noch hin? Wie lange noch, bis der Wolf einschlief? Caira wusste es nicht. Der Esel döste. Der Wolf wachte.

,,Verdammt! Wie lange braucht dieses Biest denn noch um einzupennen?'', fluchte Caira innerlich. sollte sie etwa Schlaflieder singen, damit es schneller ging? Und wenn er schlief? Wie weit würde sie kommen, bevor der Wolf ihr nachjagte? In welche Richtung? Er war bestimmt schneller als sie. Lange hielt Caira nicht mehr durch. Ihre Augen klappten zu und der Schlaf nahm Besitz von ihr. Angst, Anspannung und Verzweiflung fielen von ihr ab und sie schlief friedlich. Der Wolf schien sich ebenfalls zu entspannen, legte sich flach auf den Boden und den Kopf auf seine Pfoten. Bis der Mond unterging war es nicht mehr weit, dann könnte er endlich, endlich alles erklären. Dann. Er leckte wieder seine Pfote und kratzte sich hinter einem Ohr, betrachtet Caira, den Esel, Caira.

,,Wie heißt sie?'', fragte er sich. ,,Wer sind die Leute, nach denen sie in ihrer Not rief? Ist sie verheiratet?'' Er wartete.

 

Kapitel 6

Caira wachte von einem leisen Plätschern auf. ,,Matt?'', murmelte sie verwirrt, rieb sich den steifen Nacken, blinzelte und sah sich um. Die Höhle wirkte durch das helle Tageslicht wie verwandelt. Alles war hell, ein Tisch und ein paar grob gezimmerte Stühle standen weiter hinten, ein junger Mann mit wirren Haaren wusch sich das Gesicht an einem Becken, das in den Stein geschlagen war. Er drehte sich um und lächelte. ,,Du bist wach.'' Caira erkannte ihn nicht sofort, doch ein Blick auf den Anhänger um seinen Hals reichte, und sie erinnerte sich. Es war der Händler. Seine dunkel-olivfarbenen Augen musterten sie neugierig. Er hatte dunkle Haare und seine bronzene Haut glänzte von dem Wasser. Seine Muskeln spielten, als er sich ein kurzärmeliges Wams überzog und zuband. Caira sah zum Ausgang der Höhle und zurück, ein kurzer Blick, doch der Mann bemerkte es.

,,Das geht leider nicht.'', seufzte er. ,,Ich werde dir alles erklären und alle deine Fragen beantworten, aber das geht nicht. Noch nicht.'' Er fuhr sich durch die dunklen Haare. ,,Ich bin Jaron.'', stellte er sich vor.

,,Caira.'', erwiderte Caira. ,,Und das ist- naja, eben ein Esel. Einen Richtigen Namen hat er nicht.'' Jaron grinste.

,,Hunger?'', fragte er. ,,Ich konnte dir gestern Abend schlecht noch etwas machen. Tut mir leid.'' Caira nickte. Sie spürte erst jetzt, wie ausgehungert sie war, die Nacht hatte sie ausgezehrt und erschöpft. Jaron deckte den Tisch mit etwas Brot, Käse, Fleisch, zwei Tellern, einem Krug Wasser, zwei Bechern und zwei Messern. ,,Setz dich.'', forderte er sie auf und zog einen Stuhl für sie zurück.

,,Du machst Frauenarbeit.'', merkte Caira an.

,,Ich lebe alleine, eine andere Wahl habe ich nicht. Nimm dir ruhig zu Essen. Wasser?'', erklärte Jaron. Caira schob ihm ihren Becher hin, und wartete, bis er davon getrunken hatte, sodass sie sicher sein konnte, dass es kein Gift enthielt. ,,Die Kräuter, die du in den Packtaschen hattest, wo kamen die her? Die sind ziemlich stark und gut in der Küche sowie beim Heilen von Verletzungen zu verwenden.''

,,Aus dem Wald, nahe bei meinem Dorf. Wir gebrauchen sie in der Küche und bei der Behandlung von verschiedenen Krankheiten und Fleischwunden, die unsere Männer bei Wolfsangriffen erleiden.'', eröffnete Caira ihm.

,,Wie viele Tote gibt es bei den Angriffen?'', fragte Jaron.

,,Ungefähr einen jedes mal, einige verschwinden Spurlos. Fast drei weitere erliegen meist später noch ihren Verletzungen. Man kann sie nicht schnell genug heilen.'', schätzte Caira.

,,Vier Tote jedes mal?! Dann sind eure Heilmethoden noch nicht so gut wie unsere. Aber das ist unfassbar!'', rief Jaron.

,,Ihr werdet auch angegriffen? Dabei wohnt ihr doch so weit von uns weg. Gestern hat mich eines der Biester hierher verschleppt, wir waren lange unterwegs.'', berichtete Caira.

,,Nein, nein. Du hast es echt noch nicht gemerkt?'', ereiferte sich ihr Gastgeber. ,,Wirklich nicht? Du, Caira, hör zu. Wir sind bei den Angriffen davon ausgegangen, dass ihr genauso gute Heiler habt wie wir. Dass ihr nicht in solchen Zahlen sterbt. Einer fällt schon mal unglücklich, die Frauen, klar, die verschleppen wir, aber an den Verletzungen sterben? Das wussten wir nicht.'' Es blieb einige Momente still.

,,Die Wölfe,'', zischte Caira. ,,ihr habt sie gezähmt? Ihr haltet sie, wie wir es mit Pferden tun? Ihr hetzt sie auf uns? Wieso?'', empörte sie sich leise.

,,Caira, bitte. Das tut mir Leid, es ist nicht meine Schuld. Es beruht auf dem Pakt, den ihr gebrochen habt. Aber nein, wir hetzen keine Tiere auf euch, nein. Caira.. ahm... Mann, das klingt für dich jetzt vielleicht unglaublich, du kennst mich auch überhaupt nicht und so, weißt nicht, ob du mir glauben kannst. Aber, äh.. oh Mann... wir sind die Wölfe, Caira. Alle Männer unseres Dorfes verwandeln sich schon seit ewigen Zeiten in Wölfe, sobald der 

Mond vollends rund ist. Aber nach einer Weile wurden uns keine Mädchen mehr geboren. Also müssen wir unsere Frauen woanders her holen, aus den umliegenden Dörfern. Vielleicht weißt du, dass in den Bergen um euch herum noch dreizehn weitere Dörfer sind. Vielleicht weißt du auch, dass die Berge ringförmig angeordnet sind und die Flüsse fast alle in einen großen See münden. Aber du weißt mit Sicherheit nicht, dass an dem See ein Dorf liegt, in dem wir wohnen, in alten Höhlen, die vor Urzeiten durch Wasser in das Gestein gespült wurden. Du weißt mit Sicherheit auch nicht, dass es noch ein zweites Dorf hier in der Nähe gibt. Wenn wir uns Frauen aus den umliegenden Dörfern holen- jeden Sommer wechseln wir das angegriffene Dorf-, dann meist, um den Fortbestand unserer Linie zu garantieren. Doch einige Frauen sind bereits verheiratet oder möchten nicht mit uns leben. Wir können sie aber auch nicht so einfach zurück schicken, damit sie unsere Geheimnisse verraten und uns verwundbar machen. Es gäbe Fragen im Dorf, und viele würden diesem Druck nicht standhalten. Nein. Also wohnen diese Frauen im ,Dorf der Ablehnenden', das so heißt, weil sie das Leben mit uns ablehnen. Wir versorgen sie, Wasser gibt es genug und das Problem ist gelöst. Aber ich verstehe deine Abneigung zu solchen Praktiken und Lösungen, die anscheinend nur für uns einfach sind.'', räumte er ein, als er Cairas Gesichtsausdruck sah. Caira überlegte, ob sie sich mit dieser Antwort zufrieden geben sollte. Es war offensichtlich, dass Jaron selbst geschockt war und nicht viel von toten Menschen hielt. Sie seufzte und versuchte ihre Wut zu kontrollieren. Sie knetete ihre Finger.

,,Ich bin bereits verlobt.'', gestand sie Jaron dann.

,,Matt? Oder Julien? Du hast ihre Namen gesagt, als ich gestern Nacht vor dir stand.'', triumphierte er. Caira nickte.

,,Es ist Matt. Ich kenne ihn nicht mal besonders gut. Wir sind vor wenigen Tagen zusammengezogen und sollten nach Wolfsmond heiraten. Aber die Verlobung gilt hier wohl nicht, oder?'', erkundigte sich Caira.

,,Wir verloben uns nicht auf die Weise wie ihr.'', schüttelte Jaron den Kopf. ,,Aber du kannst das Leben mit uns ablehnen. Ich kann dir auch das Dorf der Ablehnenden zeigen.'', bot er an. Caira nickte. Sie brauchte ihm ja nicht zu sagen, dass sie nicht sofort ablehnen würde, aber sie würde das Dorf trotzdem gerne sehen.

 

Etwas später nahm Jaron den Esel und die Waren, um sie mit anderen Wölfen zu tauschen. Caira sah dabei eine Menge von dem Dorf und seinen Bewohnern. Er herrschte reges Treiben zwischen den Felsen und bizarren Gesteinsformationen, die im Tageslicht schon nicht mehr so unheimlich und Geisterhaft wirkten. Sie sah hoch zu den Felsnasen, auf denen Vögel nisteten und sich immer wieder in die Tiefe stürzten, ihre Schwingen ausbreiteten und zum See flogen, oder sich um einen Fisch stritten. Die Sonne schien warm auf ihr Gesicht und ihr hellbraunes Haar leuchtete. Sie folgte Jaron, der zu dem großen Stein ging, auf dem sich viele Leute tummelten, Neuigkeiten austauschten und Waren tauschten. Jaron ging zielstrebig auf zwei andere Jungen zu, die beide ein freches Grinsen im Gesicht hatten, genauso muskulös wie er waren und sehr freundlich wirkten. Sie klopften sich gegenseitig auf die Schultern und Caira hielt sich schüchtern etwas abseits. Jaron winkte sie zu sich.

,,Das ist Caira. Sie kommt mit ihrem Esel aus Dollowford.'', stellte er sie vor.

,,Evan.'', nickte der mit den rötlichen Haaren ihr zu. ,,Du riechst gut. Für Wölfe zumindest. Ich hoffe wir haben dich gestern Abend nicht allzu sehr erschreckt. Wir sind leider ziemlich neugierig.'' Er grinste schief und Caira überlegte einen Moment. Mit einem Blick auf seine rostroten Haare meinte sie dann:

,,Du warst der rostrote Wolf.'' Er nickte und tippte einen kupfernen Wolfsanhänger um seinen Hals an. Er hatte den gleichen Farbton wie seine Haare- und sein Fell. Caira erinnerte sich, dass Jarons Anhänger nachtschwarz war, und der des zweiten Mannes, der 

sich als Djami vorstellte, war sandfarben. Schnell kamen die jungen Männer zum Geschäftlichen und Jaron tauschte Kräuter und Lederbeutel gegen ein Kleid und ein Wams mitsamt einer weißen Leinenhose. Während er mit einem Mann über den Preis für die Packtaschen verhandelte, unterhielt sich Caira mit Amatus, einem netten jungem Wolf, mit gewinnendem Lächeln und einer gehörigen Portion Humor. Sein silbergrauer Anhänger blitzte im Sonnenlicht auf und warf helle Flecken auf den Boden.

,,Hat dein Esel einen Namen?'', fragte er sie. Caira schüttelte den Kopf und warf einen Blick auf das Tier, das seinen Kopf gerade an deinem Vorderbein scheuerte. Das Langohr sah sie mit großen dunklen Augen an.

,,Nenn ihn doch Meo.'', schlug Amatus vor. ,,Das ist schön kurz und klangvoll.'' Caira nickte begeistert. Als Jaron zurück kam, schlug er vor zu dritt zum Dorf der Ablehnenden zu gehen. Amatus besaß noch zwei Esel und kam gerne mit, sodass Caira auf Meo, der auf einmal völlig brav das tat, was sie von ihm wollte, neben den beiden her ritt und bald im Dorf der Ablehnenden ankam. Hier standen richtig feste Lehmhütten. Frauen liefen auf breiten Wegen entlang und manche winkten ihnen zu. Auf einem Platz, der an Dollowfords Hauptplatz erinnerte, stiegen sie ab und banden ihre Esel an eine Holzstange ab. Amatus lud ein Nahrungspaket von seinem Reittier ab und begann es zu verteilen.

,,Du kannst jede fragen, ob es ihr hier gefällt, und wo sie herkommt, wie es ist hier zu wohnen und solches Zeugs eben.'', unterbrach Jaron ihre Gedankengänge. Doch dazu kam Caira nicht mehr.

,,Lia! Lia! Ameeelia!'', schrie eine der Frauen und eilte über den Platz. Sie bremste vor ihr und Jaron ab.

,,Doch nicht.'', sagte sie enttäuscht. ,,Du kennst eine Amelia?'', fragte Caira sie verdutzt. Die Frau nickte: ,,Sie sieht dir ähnlich, ist aber älter. Sie kommt aus Dollowford. Du könntest ihre Tochter sein.'', fügte die Frau hinzu.

,,Bist du neu? Ich bin Kiska, und hier, weil ich schon verheiratet war und eine Tochter habe. Lee. Aber dann kam ich nach Covey, in das Wolfsdorf. Ich wollte kein zweites mal heiraten.'', berichtete sie.

,,Kiska...Mutter von Lee, Frau von Damil, Freundin von Amelia. Ich bin auch aus Dollowford. Lee geht’s gut, dein Mann ist damals leider bei dem Angriff gestorben. Lees Verlobter Day leider auch, vor einem Mond.'', merkte Caira an, ,,Tut mir Leid.'' Kiska standen Tränen in den Augen.

,,Arme Lee, eine Weise.'', jammerte sie leise. Unglücklich sah sie Caira an. ,,Und du bist Caira, Tochter von Amelia und Zev?'', fragte sie dann neugierig. ,,Ich kannte dich als kleines Kind.'' Caira nickte. ,,Komm, ich zeige dir das Dorf.'', forderte sie Caira auf, die Jaron ansah und dann, als er ihr bedeutete, mit zu gehen, schnell Kiska folgte. ,,Dort wohnen alle aus Dollowford. Es heißt deshalb ,Dachs-Dollowford', da in seiner Nähe besonders viele Dachsbaue sind. Alle Dorfteile orientieren sich nach der Herkunft ihrer Bewohner. Aber wir verstehen uns gut und lernen viel von einander.'', erklärte sie. ,,Frisch-Foxden, Neu-Nyx, Shepsen am See, Dale der Dämmerung.'', zeigte sie auf die verschiedenen Wege. Die Frauen sahen überall etwas anders aus. Die Bewohner von Hab im Herzen hatten alle dunklere Haut als die anderen, Wolfs-Wylands Bewohner hatten alle helle Haare, die von Neu-Nievel alle grüne Augen. Baum-Bloombelt Frauen trugen zumeist Blumen durch die Gegend, die in den schönsten Farben leuchteten, und Blüten von vielen verschiedenen Obstbäumen, die hier anscheinend besonders häufig waren. In Conte der Kühe wurden eine Menge Kuhfladen als Brennmaterial getrocknet und Milchkannen umher getragen. In Helfendes-Hrier hatte sich auf Schmuckproduktion spezialisiert, die Bewohnerinnen von Richtiges-Rivervalley wuschen dazu sehr erfahren das Gold aus dem Flussschlamm. Die starken Frauen aus Quell-Qwert kannten sich dagegen gut im Bergbau aus. In Klein-Kelpywoods fischten die meisten Frauen.

,,Eigentlich kann jede machen, was ihr liegt.'', erzählte Kiska. ,,Wir habe so eine eigene 

Wirtschaft, die von den Wölfen unterstützt wird. Wir haben ein gutes Verhältnis mit ihnen, auch wenn wir ihr Leben ablehnen. Und? Wie findest du es?''

,,Ich finde es toll!'', meinte Caira begeistert, und sie meinte es ernst. ,,Doch ich weiß nicht, ob ich bleiben soll. Auf der einen Seite bin ich mit Matt, du weißt schon, dem Sohn unseres Viehzüchters, verlobt, andererseits weiß ich nicht, ob er noch lebt. Da könnte ich genauso gut mit den Wölfen leben. Sie sind schließlich alle sehr nett.'' Kiska nickte, sie wusste was Caira meinte.

,,Jaron hat ein Auge auf dich geworfen.'', verriet sie ihr. ,,Er mag dich sehr.'' Überrascht zog Caira die Augenbrauen hoch.

,,Wirklich?'' Kiska nickte. ,,Ich war neulich in Covey und habe eine alte Freundin besucht. Er sagte zu einem Freund, er habe ein Mädchen auf dem Hauptplatz gesehen, in das er sich verliebt habe. Sein Freund meinte, es währe Glück, wenn er sie erwischen würde. Anschließend beschrieb Jaron dich ziemlich genau- sogar deinen Esel. Und es kann auch jetzt jeder sehen, dass er sich total in dich verliebt hat. Du bist wirklich hübsch, Caira, dass musst du wissen. Du hast etwas von den Bewohnern von Dollowford und Hrier. Dein Vater kam als kleines Kind ins Dorf. Er wurde stark unterkühlt neben seiner Mutter gefunden. Sie war abgemagert und erfroren, es war tiefster Winter. Und sie kam über die Berge, ganz klar aus Hrier. Mit den Leuten dort hatten wir nie ein freundschaftliches Verhältnis, unsere Dörfer haben sich lange bekriegt. Eine alte Witwe zog Zev als ihr eigenes Kind auf, und obwohl es aussah, als währe ihre Zeit schon gekommen, starb sie nicht. Sie sagte immer, sie würde nur noch für Zev leben. Und sie starb wirklich nicht, bis er bereits ein Müller geworden und verlobt war. Du heißt nach ihr, Caira. Die alte Caira hatte viele kriegerische Auseinandersetzungen erlebt, und wollte Zev vor einem Schicksal als Geisel schützen. Zev hat sie geliebt, genauso abgöttisch wie dich, sobald du geboren warst, und wie Amelia. Er war traurig als die alte Dame starb, und gab dir diesen Namen in ihrer Gedenken. Deshalb hast du etwas von der großen, geraden Statur der Hrier. Es passt zu dir.'', schwärmte Kiska. Caira lächelte glücklich, und eine Weile lang betrachtete sie nur das bunte Leben hier im Dorf. In Dollowford waren die Männer wichtiger als die Frauen gewesen, hier waren alle gleichgestellt und hatten die gleichen Chancen und Möglichkeiten. Es war ein ruhiger Ort, obwohl viele die Straßen durchquerten und ihren Geschäften nachgingen. Kiska erzählte, sie arbeite bei den Weberinnen. Aus frisch gesponnener und gefärbter Schafs- und Ziegenwolle webte sie große Tücher, Schals, Kleidung und ähnliches. Die Arbeit mache ihr Spaß, fügte sie hinzu. Caira währe gerne noch geblieben, doch es ging auf den höchsten Sonnenstand zu und Jaron holte sie ab. Sie verabschiedeten sich von Kiska und ritten gemütlich zurück. Unterwegs begegneten sie einigen der Fischerinnen, manche lächelten sie fröhlich an, andere blickten sie finster an.

,,Klar'', dachte Caira. ,,Sie sind nur wegen den Wölfen hier und nicht in den Dörfern.'' Irgendwie verstand sie die Frauen, auch sie würde viel lieber mit Julien durch den Wald streifen, doch sie wusste, dass das ein für alle mal beendet war. Sie konnte nicht zurück, und wenn, müsste sie Matt heiraten und Julien arbeitete sowieso den ganzen Tag. Trotzdem war sie nicht bereit, alles so schnell aufzugeben.

 

Kapitel 7

,,Jaron?'', fragte Caira, als sie ihm, zurück in der Höhle, half, das Mittagsessen vorzubereiten. ,,Hm?'', machte er und blickte von dem Topf, in dem er rührte, auf. ,,Was genau war das für ein Pakt.. früher?'' Er ließ seine Suppe köcheln und setzte sich auf einen der grob gezimmerten Stühle an den Tisch.

,,Wir... unsere Vorfahren, hatten einen Handel abgeschlossen: solange uns die Menschen Nahrung und Ware verschafften, und wir ihre Frauen heiraten durften, würden wir sie in Ruhe lassen. Das endete teilweise in Freundschaft, was einige andere entzürnte. Sie überredeten unsere Freunde, nicht auf uns zu hören. Die Menschen vergaßen, wie gefährlich wir waren und nachdem sie den Pakt mehrere Jahre nicht eingehalten hatten, erklärten wir ihn für gebrochen. Ihr Menschen seid kurzlebig und unsere Fähigkeit, uns zu verwandeln, wurde bald vergessen. Ihr denkt einfach, Wölfe sind Tiere, wie Hühner oder Schweine, nur aggressiver.''

Caira runzelte die Stirn. ,,Warum erneuert ihr den Pakt nicht?''

Er schüttelte traurig den Kopf: ,,Wir sind zwar nicht nachtragend, aber wir fühlen uns betrogen und haben Angst, dass das gleiche wieder passiert. Wir haben in den Jahren versucht, uns selbst durchzubringen. Aber wir sind hoffnungslos im Anbau, obwohl wir von den Dorfbewohnern etwas gelernt haben. Wir haben dafür kein Händchen. Wir sind fast verhungert.'' Verlegen malte er ein Astloch auf der Tischplatte nach. ,,Handwerklich sind wir ganz gut, aber als Bauern? Nichts zu machen. Wir haben euch damals das Handwerk beigebracht und eure handwerklichen Fähigkeiten verbessert. Und euch zusätzlich noch Geholfen, die Dörfer aufzubauen, Tische und solche Sachen zu machen.''

Caira nickte. ,,Und was, wenn ihr es nochmal versucht? Die Menschen wissen jetzt, wie schrecklich die Angriffe sind.''

,,Wissen sie das in ein paar Sommern auch noch?'', fragte Jaron. ,,Du verstehst sicherlich: wir sind ein wenig in einer Zwickmühle.'' Caira nickte. Sie fügte heißem Wasser ein paar Kräuter hinzu um Tee zu machen.

,,Es tut mir sehr leid.'', platzte Jaron heraus. Sie sah auf, damit hatte sie nicht gerechnet. Und auf einmal wurde ihr klar, dass dies jetzt ihr Leben war. Dass sie nicht mehr in Dollowford leben könnte. Und ihre Eltern nie wieder sehen würde. Tränen schossen ihr in die Augen und sie schluchzte hemmungslos. Die Höhle verschwamm vor ihren Augen. Jaron stand ratlos da. Er war aufgesprungen, doch er wusste nicht, wie er sie trösten sollte. Sie schien so verzweifelt. ,,Nein, sie scheint nicht verzweifelt. Sie ist verzweifelt'', dachte er. Die Zeit verstrich. Langsam näherte er sich ihr und legte ihr eine Hand auf den Arm.

,,Caira.'', sagte er, mit einer ungewohnten Zärtlichkeit in der Stimme. Und er nahm sie in den Arm. Sie stand an ihn geschmiegt, und langsam versiegten ihre Tränen. ,,Komm.'' Er führte sie zu einem Stuhl und brachte ihr den Tee.

 

,,Ich habe dich traurig gemacht. Es tut mir leid.'', entschuldigte er sich. ,,Nein.. nein, ich muss mich damit einfach abfinden. Es ist halt mein Schicksal.'', erklärte Caira mit fester Stimme. Doch innerlich schmiedete sie einen Plan. ,,Brauchst du etwas aus dem Dorf? Irgendetwas bestimmtes? Ich hole es dir nächsten Mond.'', erklärte Jaron erleichtert.

,,Nicht viel.'', entgegnete Caira. ,,Nur vielleicht die Stute, die in unserem Stall steht.'' Sie erklärte Jaron den Weg genau. Mit der Stute konnte sie ihren kleinen Plan besser ausführen.

 

Kapitel 8

Und als Jaron zum nächsten Raubzug aufbrach, vom hellen Wolfsmond in einen pechschwarzen Wolf verwandelt, war ihr Plan fein ausgearbeitet und niemand wusste davon. Jaron ahnte auch diese Nacht, als er die Stute raubte, nicht wofür Caira sie brauchte. Und nicht, als seine großen Pfoten über den Waldboden trommelten, von dem schnellem Hufschlag des aufgeregten Pferdes gefolgt. Und als er zurückkehrte, und sie erst ihm, dann dem hübschem braunem Pferd über das gleichermaßen weiche Fell strich, ahnte er den Grund für ihre Zufriedenheit auch nicht. Und am nächsten Morgen, als er aufstand, deckte sie summend den Tisch. Und er dachte sie währe endlich glücklich hier im Wolfsdorf. Hinter die Wahrheit kam er nicht. Caira war nicht unglücklich, hier in Covey, doch sie plante nicht zu bleiben.

Kapitel 9: Einen Mond Später

Jaron legte sich vor den ,,Ausflügen'' immer noch eine Weile hin. Und genau das wollte Caira heute ausnutzen. Leise nahm sie die Stute am Zügel und führte sie in den Wald. Sie hatte beobachtet, in welche Richtung die Wölfe gelaufen waren, letzten Mond. Sie saß auf und trieb ihr Pferd an.

,,Komm. Schnell, Wolke.'', redete sie ihr zu. Sofort fiel das Pferd in einen Galopp und trug sie in Richtung Berge. Als Caira den Laubwald verließ, trieb sie das schnaufende Pferd noch mehr, hier hatte sie weniger Tarnung. Ihre Anspannung ließ erst ein wenig nach, als sie das Plätschern des Bachs in dem Mischwald, der nahe an Dollowford grenzte hörte und zwischen den Bäumen verschwand. Sie zügelte ihr Pferd zu einem ruhigem Schritt. Es keuchte immer noch. Oder? Nein. Das war nicht das Pferd, das keuchte.

,,Caira.'' Sie drehte sich um und sah Jaron finster in die Augen: ,,Du bist mir gefolgt.'', sagte sie sauer.

,,Du weißt das es nicht geht!''

,,Doch Jaron. Ich kann und werde es tun. Ich werde nicht ohne meine Familie leben. Ich weiß was ich tue.''

,,Das glaube ich nicht.'', entgegnete er ebenso wütend. Hinter ihm kamen keuchend noch ein paar andere Wolfsmenschen an. Sie wahren zu Fuß fast so schnell wie als Wölfe. Tuschelnd schlossen sie einen Kreis um sie herum.

,,Ich wollte den Dorfbewohnern einfach sagen, dass sie euch in Ruhe lassen sollen. Bis zum Sonnenaufgang. Dann können sie sehen, wie ihr euch verwandelt und ein neuer Pakt kann geschlossen werden.'' Jaron schüttelte den Kopf.

,,Ich dachte, du hättest verstanden, dass ein neuer Pakt unmöglich ist. Er würde auch nicht alle zufrieden stellen.''

,,Versucht es doch einfach!'', schrie Caira ihm ins Gesicht. ,,Ihr seid einfach feige, feige, feige! Das ist absolut erbärmlich, dass ihr es nicht versucht! Durch Rache und Gewalt kommt doch erst die Unzufriedenheit und das Leid!'' Mehrere der Wolfsmenschen schüttelten ratlos und nachdenklich die Köpfe.

,,Recht hat sie schon.'', meinte ein Mutiger laut. ,,Wir können uns ja friedlich auf den großen Platz legen. Sie sagt den Menschen, sie sollen uns nicht angreifen.'', fügte ein anderer hinzu. Die Idee fand langsam Anklang. Einige Ältere, mit weißen Bärten schlossen einen kleinen Kreis und berieten.

,,Das ist der Ältestenrat.'', flüsterte Jaron Caira zu. ,,Wenn du sie schon so weit hast, dass sie beraten, stehen deine Chancen gut.'' Caira nickte langsam.

,,Und du? Wie findest du die Idee?''

 

,,Ich habe noch nie gerne geraubt und gemordet.'', erklärte Jaron bedächtig. ,,Aber wie alle anderen, hatte auch ich die Fragen, die du mir gestellt hast gestellt, schon als kleines Kind. Und mir wurde beigebracht, dass man nichts anderes machen kann, als diese Raubzüge. Aber du hast mich zum Nachdenken gebracht. Warum eigentlich nicht? Ich unterstütze deine Idee von ganzem Herzen. Und ich hoffe bald kehrt der Frieden unter den Wolfsmond. Du hast es verdien. Du bist wirklich mutig.'' Er legte einen Arm um Caira und sie kuschelte sich an ihn. Der Herbst hatte sich bereits angeschlichen, und einige Blätter zeigten schon einen Hauch von rot und orange. Jaron wärmte wunderbar, als alle beklommen in die Stille lauschten. Niemand sagte ein Wort, nur der Rat flüsterte aufgeregt. Angetan nickten immer mehr der Ältesten, bis alle Blicke nur noch auf einen gerichtet waren. Langsam nickte auch er: ,,So sei es denn.'', sagte er langsam und bedächtig. Die Wölfe stießen die Fäuste in die Luft, hocherfreut über dieses Ratsergebnis. Einige machten Luftsprünge vor Freude. ,,Stooop!'', schrie einer der Ältesten. ,,Eurer Reaktion nach zu urteilen, seid ihr bereit, dafür viel aufzugeben. Doch euch muss bewusst sein, dass alles schief gehen kann. Es bleibt noch Zeit bis Sonnenuntergang. Wir können noch Kräuter sammeln. Den Plan besprechen.'' Einige liefen mit Caira los, um bei der Wiese, auf der die besten Kräuter der Gegend wuchsen, ihre Beutel zu füllen. Währenddessen machte der Älteste, der als letztes zugestimmt hatte, Kentaros, mit den anderen einen Plan. Er orientierte sich an Cairas Idee: ,,Wir verstecken uns hier im Wald. Bei Sonnenuntergang geht Caira in das Dorf, und erklärt den Wachen, dass die Wölfe kommen, aber friedlich sein werden, dass sie uns nicht bekämpfen sollen. Dann ruft sie und einer von uns geht friedlich vor raus, und legt sich neben sie auf den Hauptplatz. Bei einem weiterem Ruf folgt der Rest. Wer das Risiko nicht eingehen möchte, kann hier bleiben. Noch Fragen?'' Eine Stimme wurde laut:

,,Warum zeigen wir uns nicht, wenn wir uns gerade in Wölfe verwandeln?'' Einige andere murmelten zustimmen. Kentaros hob beschwichtigend die Hand. ,,Ihre Frauen und Kinder kommen erst am Morgen wieder raus, wenn wir uns zurückverwandeln. Die Geschichten, dass wir uns in Wölfe verwandelt haben, würden sie nicht glauben. Aber alle müssen das glauben, müssen sich sicher sein, dass es wirklich stimmt. Sonst kommt es früher oder später zu dem gleichem wie früher. Ausserdem werden alle Fremden kurz vor Sonnenuntergang aus dem Dorf herausgebracht. Und wenn wir in menschlicher Gestalt durch die Zäune eindringen, würden sie uns bekämpfen, als wären wir Dörfler aus einem feindlichen Dorf. Ihr wisst ja: alle Dörfer sind untereinander verfeindet. Caira hat den Plan gut durchdacht, das Risiko ist minimal, aber trotzdem ziemlich hoch. Höher als das maximale Risiko bei den Raubzügen, da wir angekündigt sind und auf dem Dorfplatz eine gute Zielscheibe ausmachen. Das minimale Maximum also. Weitere Fragen?'' Einige Wolfsmenschen legten die Stirn in Falten, angesichts Kentaros' verwirrender Rede. ,,Habe ich das richtig verstanden?'', fragte ein zweiter, ,,Wir verstecken uns im Wald? Hier? Und was ist wenn der erste in Schwierigkeiten steckt?'' Kentaros nickte. ,,Deshalb muss der erste bereit sein dieses Risiko auf sich zu nehmen. Vielleicht kommen wir zu spät. Wer von euch ist gewillt, dieses Risiko auf sich zu nehmen?'', fragte er mit feierlicher Stimme.

,,Ich!''. Jaron trat einen festen entschlossenen Schritt vor.

,,Nein! Jaron, nicht!'', Caira kam mit ihrem Trupp gerade zurück und stürzte bei Jarons Worten entsetzt auf ihn zu. ,,Das darfst du nicht! Du bringst dich nicht deshalb in Gefahr!'', bat sie ihn. Er schüttelte kaum merklich den Kopf.

,,Caira, bitte. Du... bringst mich in Verlegenheit. Ich mache das. Ich will dich vor den Wachen beschützen.'', zischte er.

,,Mich vor den Wachen? Wieso das? Du bist derjenige, der eher beschützt werden muss. Die Wachen kennen mich, sie werden mir nichts tun. Wieso sollten sie?'', gab Caira genauso leise zurück.

,,Wenn sie dich für einen Geist halten? Was dann? Ich will bei dir sein.'', erklärte Jaron. Caira seufzte. Sie tat sich wirklich schwer mit der Entscheidung. Jaron spürte es. Du kannst mich nicht davon abhalten., sagten seine Augen. Kentaros blickte zwischen ihnen hin und her.

,,Alles klar?'', fragte er. Jaron nickte.

,,Ich mach's.''

,,Gut.'', befand Kentaros.

,,Wir haben nicht mehr viel Zeit.'', erklärte Amatus mit einem Blick in den finsteren Himmel. Nur noch wenige Minuten.''

,,Ihr kommt von hier aus.'', ordnete Kentaros für Caira und Jaron an. Die anderen scheuchte er zur Hälfte nach links und zur Hälfte nach rechts. ,,Viel Glück im Namen aller Wölfe.'', wünschte er noch zum Abschluss, bevor auch er zwischen den schemenhaften Bäumen verschwand. Nur noch ein Ast knackte leise, dann war von keinem anderem der Wölfe mehr ein geringstes Lebenszeichen. Cairas Atem erschien ihr auf einmal schrecklich laut. Jaron blickte in die Richtung des Dorftores. Langsam drehte er sich um und kam vorsichtig auf Caira zu.

,,Caira..''

,,Was ist?'', wisperte sie.

,,Ich habe Angst.'' Die Stille, die auf diesen Satz folgte war unbeschreiblich. Sie war bedrückend, und doch angenehm, weil alles friedlich schien. 

,,Caira.'', sagte er wieder.

,,Was?'', fragte sie.

,,Es ist einfach schön deinen Namen zu sagen.'', erklärte Jaron. ,,Caira, Caira, Caira. Der Name passt zu dir.'' Wieder folgte Stille, doch diesmal brach Caira sie:

,,Danke Jaron. Aber dein Name ist auch schön.'' Er nickte dankbar.

,,Als ich sagte.., dass ich Angst habe.. das meinte ich nicht so... Also doch, natürlich, meinte ich es so, aber nicht so. Verstehst du? Nicht Angst um mich, sondern Angst um die Zukunft der Wölfe und Angst um.. dich.'' Caira sah ihn an. ,,Ich mag dich wirklich. Anders, als ich die anderen mag.''

,,Shh.'', Caira trat leise auf ihn zu und legte ihm leicht einen Finger auf den Mund. ,,Ich mag dich auch nicht.'', sagte sie. Nein, sie mochte ihn wirklich nicht. Da war dieses Gefühl, dass sie bis jetzt einfach verdrängt hatte, wegen ihrem Plan, wegen der Hoffnung, ihre Familie wieder zu sehen. ,,Ich liebe dich.'' Er nickte.

,,Ich dich auch.'', flüsterte er. Langsam kamen sie sich näher und Umarmten sich fest. Vorsichtig senkte er seinen Kopf zu ihr und in freudiger Erwartung stelle sie sich auf die Zehenspitzen. Vorsichtig küssten sie sich. Eng umschlungen vergaßen sie die Welt, die um sie herum langsam in Abendnebel gehüllt wurde.

,,Wenn all das hier vorbei ist, werde ich nur dich heiraten.'', versprach sie Jaron. ,,Ich schwöre dir,'', begann er, ,,dass ich alles tun werde, damit es schnell vorbei ist. Ich werde bei dir bleiben, egal was passiert.'' Sie nickte. Ein Wolkenfetzen driftete vorbei und gab die Sicht auf das letzte bisschen der untergehenden Sonne frei. Als sie vollständig unterging, setzte Caira sich für einen Moment zu dem schwarzem Wolf auf den Boden. Ein letztes Mal strich sie ihm noch über das tintenschwarze Fell, dann rappelte sie sich auf und trat zwischen den Bäumen hervor. Vor dem großem Tor hielt sie an. Sie atmete tief durch.

 

Kapitel 10

Bumm, bumm, bumm. Hallte es von den Häusern wieder, als Caira kräftig an das Tor klopfte. Auf den Wachmauern wurde Geschrei laut. Vorsichtig spähte eine Wache herunter.

,,Wer ist da?'', rief der junge Mann forsch herunter.

,,Ich bin es! Caira! Macht das Tor auf!'', rief Caira zurück. Der Kopf verschwand und kurz darauf schwang das große Tor einen kleinen Spalt auf und die Silhouette des Mannes mit gezücktem Schwert war zu sehen.

,,Ein Glück. Du bist es wirklich, Caira.'', sagte er erleichtert. ,,Komm rein, schnell. Jetzt beeil dich.'' Trotz des Drängens ließ Caira sich demonstrativ Zeit. Der Mann schloss hinter ihr eilig das Tor und verrammelte es fest. Seine Kapuze rutschte von seinem Kopf.

,,Julien!'', rief Caira voller Glück. ,,Du lebst!''

,,Gerade so.'', grinste er. Ein Verband lugte unter seinem Ärmel hervor. ,,Du auch. Aber sei leise. Es ist Wolfsmond.'' Caira lachte.

,,Keine Sorge. Die Wölfe werden heute nicht angreifen. Vertrau mir. Ruf die anderen Wachen. Wir haben nicht die ganze Nacht Zeit!'' Mit einigen zweifelnden Blicken entzündete er ein Leuchtfeuer. Kurz darauf versammelten sich alle Wachen um ihn herum. Julien hatte Caira seinen Umhang umgelegt und sie hatte die Kapuze tief in ihr Gesicht gezogen.

,,Vertraut ihr mir?'', fragte Julien. ,,Die Männer blickten schulterzuckend in die Runde. Sentimentale Fragen waren nicht ihr Ding.

,,Was ist los, Julien? Rück es raus! Wir müssen wieder auf die Posten.'', meinte einer der Holzhacker.

,,Nein.'', entgegnete Caira an Juliens Stelle. ,,Sonst wäre ich nicht hier.'' Sie zog die Kapuze vom Kopf.

,,Caira! Du bist doch tot!'', rief einer, andere stimmten aufgeregt zu.

,,Offensichtlich nicht. Weil die Wölfe nicht mit Absicht morden.'' ,,Woher willst du das wissen? Geh zurück zu den Frauen! Hier ist es zu gefährlich für ein Mädchen!'', empörten sich mehrere.

,,Nein.'', erwiderte Caira, und sie konnte einen spöttischen Unterton in ihrer Stimme nicht vermeiden, als sie fortfuhr: ,,Ich weiß im Gegensatz zu euch großartigen Kriegern nämlich, dass die Wölfe diesmal friedlich sein werden.'' Sie wurde ernst. ,,Ihr dürft sie unter keinen Umständen angreifen... oder abwehren, je nachdem. Sie werden sich friedlich verhalten, und unter sich bleiben. Wenn auch hier in Dollowford.'' Sie schluckte. ,,Sie werden auf den Dorfplatz kommen. Lasst die Waffen weg. Sie haben keine bösen Absichten. Das schwöre ich bei meinem Leben. Also versprecht mir, dass keiner von euch einen Pfeil abschießt, keiner angreift, Verteidigung wird nicht nötig sein. Sie bleiben nur bis zum Sonnenaufgang. Sobald der Morgen graut, wird euch alles klar sein. Bitte.'' Sie blickte die rauen, einfachen Männer der Reihe nach an. Und einer nach dem anderem gab sein Einverständnis.

,,Steckt die Waffen weg. Als erstes kommt nur einer. Dann kommt der Rest. Sie werden euch nichts tun. Und auch nicht eurem Vieh, euren Kindern oder Frauen. Heute sind alle friedlich.'', versicherte sie ihnen noch einmal, und schärfte ihnen nebenbei ein, dem Wolf viel Platz zu lassen.

,,Jaron!'' rief sie in die nebelverhangene Nacht heraus, nachdem sie das Tor geöffnet hatte. ,,Komm her! Sie tun dir nichts!''

 

 

Leise knirschte der Sand unter seinen Pfoten, als er auf die Tür zuschritt. Mit einem leisem Ton begrüßte er Caira und sah sich um. Er fühlte sich sichtlich unwohl. Caira strich über das gesträubte Nackenfell. Die Männer wichen vor der vermeintlichen Bestie zurück.

,,Schon in Ordnung.'', beschwichtigte Caira sie. ,,Er tut euch nichts.'' Ruhig lief sie neben Jaron her bis zum großen Platz. Sie setzte sich auf die kalten Steine und der Wolf schmiegte sich eng an sie. Zitternd umarmte sie ihn. Es wurde kälter, und der Wind wehte ihr einige Regentropfen ins Gesicht. Sie schmiegte sich eng an ihn. Zusammen gekuschelt harrten sie in dem eisigem Wind aus und warteten, dass die Männer ihre Scheu ablegten. Langsam setzte sich Julien auf den Boden, ausser Kampfbereitschaft. Als fast alle saßen, ging er leise weg, und kehrte kurz darauf mit einigen Decken wieder. Vorsichtig trat er immer näher an Caira und den Wolf heran, und behielt dabei das rabenschwarze Geschöpf gut im Auge. Er reichte Caira zwei Decken, die sie um sich und Jaron wickelte.

,,Er tut wirklich nichts.'', stellte er dann fest. ,,Nein. Er sitzt hier nur friedlich mit mir.'', sagte Caira unschuldig.

,,Darf ich..?''

,,Frag ihn selbst. Er wird dir schon zeigen, ob er das möchte.'', entgegnete Caira.

,,Hallo.'', begrüßte Julien den Wolf zuerst. Er sah den Wolf an. Jaron beäugte ihn seinerseits zuerst etwas misstrauisch. Doch dann gefiel beiden was sie sahen.

,,Ich bin Julien.''

,,Jaron.'', übernahm Caira kurz für den Wolf. Dieser neigte zustimmend den Kopf. Vorsichtig streckte Julien die Hand aus und hielt sie ruhig in einiger Entfernung. Jaron schnupperte. Und stupste die Hand mit seiner feuchten Wolfsnase an. Vorsichtig legte Julien ihm eine Hand auf den Rücken.

,,Weich wie Schafwolle.'', flüsterte er. Nach einer Weile stand er wieder auf.

,,Er ist harmlos'', erklärte er. Jaron schüttelte seinen fellbedeckten Kopf. ,,Nun, vielleicht nicht harmlos, aber er tut uns nichts.'', verbesserte Julien sich schnell. Caira grinste.

,,Ruf die anderen.'', sagte sie laut hörbar zu Jaron. Und der hob seine Nase zum Mond und ließ ein langgezogenes Wolfsheulen ertönen. Nach einer Weile näherten sich vorsichtig weitere Wölfe, groß und stark, und doch so unsicher und hier, zwischen den Dorfbewohnern so verletzlich. Vorsichtig, um ja keinen Kampf zu provozieren, schlichen sie unter den Blicken der Männer auf den großen Platz und legten sich zu Jaron und Caira. Julien setzte sich neben Caira, trat zu einer Nachtwache an, die anders als alle anderen Nachtwachen war, eine, die den Frieden festigen sollte.

,,Was gibt es sonst noch neues?'', erkundigte sich Caira.

,,Nicht viel. Ich habe eine Menge neue Hütten gebaut, seit du weg bist, aber zum Schnitzen hatte ich nie Lust. Die Wachen sind zudem verstärkt worden: jetzt muss nicht nur jeder vierte Mann wachen, sondern jeder zweite. Es ist niemand anderes mehr verschwunden.''

,,Wo ist eigentlich Matt?'', fragte Caira.

,,Er und dein Vater sind an deinem vermeintlichen Tod zerbrochen. Keiner hat sie geholt, als die Wölfe kamen. Wir haben ihnen eine Weile den Wachdienst erlassen. Matt möchte Rache nehmen.'', erklärte Julien ihr. Traurig sah Caira zu Boden.

,,Durch Rache und Gewalt kommt doch erst das Leid und das Unglück.'', sagte sie leise. Julien nickte.

,,Aber er hat dich geliebt. Es ist hart so jemanden, den man liebt, aufzugeben. Und er muss sich erst damit abfinden. Aber er denkt, er braucht Rache, damit er dir würdig ist.'' Caira verstand Matt auf eine Weise. Sie hatte heute schließlich auch nicht gewollt, dass Jaron sich freiwillig meldete, als Erster zu gehen. Eigentlich wollte er heute trotz allem auch Wache halten, aber er kommt später. Amelia hat ihm Kräuter gegeben, damit er zuerst ruhig schläft. Ihre Wirkung dürfte jetzt nachlassen.'' In dem Moment stürmte Matt auch schon schwer bewaffnet auf den Platz.

,,Warum schlägt kein Alarm? Wieso sind die Wölfe hier? Was macht ihr denn? Los, verteidigt Dollowford, nehmt Rache! Rache für alle!'' Die Männer sprangen auf und die Wölfe erhoben sich und wichen zurück. Matt schleuderte seinen Speer kraftvoll in die Richtung eines braunen Wolfes. Der sprang gerade noch rechtzeitig zur Seite und der Speer blieb zitternd dort im Boden stecken, wo das große Tier kurz zuvor noch gestanden hatte. Caira schloss die Augen. Hoffentlich endete das nicht in einer Katastrophe. Zwei Männer gingen nach kurzer Rücksprache entschlossen auf Matt zu, entwaffneten ihn und zogen ihn fort.

,,Bleib hier.'', flüsterte Julien Caira zu. ,,Wir sprechen kurz mit ihm. Und...Caira, es ist schön, dass du wieder hier bist.'' Caira lächelte ihm hinterher, als er hinter den anderen entlang stürmte und versuchte, sie einzuholen.

 

 

Kapitel 11

Es war schief gelaufen. Caira wusste, wie überzeugend Matt sein konnte, aber das hatte sie sich nicht ausmalen können. Julien war hastig zu ihr gelaufen und hatte sie gewarnt, dass Matt die anderen überzeugt hatte, dass die Wölfe trotz allen Versicherungen gefährlich waren. Kurz nach der Warnung, die Caira sofort als Begründung zum Rückzug angesehen hatte, waren die anderen Männer, allen voraus Matt schon auf den Platz gestürmt. Die Wölfe hatten es noch nicht geschafft, sich zurück zu ziehen. Und jetzt tobte um Caira ein Kampf. Dabei hatte alles so gut begonnen, die Wölfe hatten friedlich dagelegen und gewartet, dass sie wieder zu Menschen wurden. Einer der Wölfe hatte eine Wache, die Pfeile abgeschossen hatte, am Kragen gepackt und kräftig geschüttelt, bevor er ihn mitten in das Rudel geschleppt hatte. Da hatte es kein Halten mehr gegeben. Caira stand völlig durcheinander auf dem Platz und schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Alles war ihre Schuld, oder nicht? Sie sorgte sich um Jaron, den sie so liebte. Und einen Moment zu lange sah der Rabenschwarze Wolf zu ihr. Er war in einen Kampf mit einem Mann verwickelt, und dieser Moment brachte dem Mann, fast noch ein kleiner Junge, den entscheidenden Vorteil. Caira erwiderte Jarons Blick. Und sie schrie. Sie schrie, als er von dem Speer an der Seite getroffen wurde und zusammenbrach. Sie musste daran denken, wie sie sich geküsst hatten.

 

Dann wurde sie von hinten gepackt. ,,Caira! Wir dachten du währst tot!'', das war Matt. Schon wieder dieser Satz. Er trug Caira zu einem Haus, obwohl sie zappelte und sich wehrte.

,,Lass mich... Nein, ich muss erklären, Matt!'' Er ignorierte ihre eindinglichen Versuche ihn zurückzuhalten und setzte sie vor einer Hütte ab.

,,Rein mit dir. Sonst wirst du noch verletzt.'' Matt schob sie ins Haus, in dem schon, wie häufig in Wolfsmondnächten, viele Frauen versammelt waren, um gemeinsam ihre Angst um ihre Söhne, Männer und Väter auszustehen.

,,Nein!'', schrie sie, doch Matt war verschwunden und die Tür von aussen verrammelt.

,,Caira!'' Caira hatte alle Blicke auf sich gezogen, als sie in Tränen ausgebrochen war. Und ihre Mutter stürzte ihr entgegen und nahm sie in den Arm. ,,Wo kommst du her? Was ist los? Erzähl uns alles.'' Caira schätzte ihre Mutter, die so gut zuhören konnte, und alle anderen ebenfalls dazu brachte. Alle lauschten aufmerksam, bis sie geendet hatte, und so wussten schließlich alle, dass die Wölfe eigentlich Menschen waren. Kurzerhand öffnete Amelia ein Fenster. Sie war jetzt voller Tatendrang.

,,Auf geht’s, Frauen von Dollowford, rettet die Wölfe!'', rief sie kurz in die Runde und verschwand in die Nacht. Die Frauen strömte hinter ihr her und strömten aus der kleinen Hütte. Die Frauen fielen in das Dorf, füllten die Wege, bereit die Wölfe zu schützen. Doch zu spät. Alles war still. Die Wölfe hatten sich wie besprochen in den Wald zurückgezogen, bis sie wieder zu Menschen wurden. Nur einer lag blutend auf dem Hauptplatz, umgeben von Männern, die aufgeregt berieten.

,,Tötet ihn.'', schlug jemand vor.

,,Jagt ihn weg.'', ein anderer.

,,Wir sperren ihn ein. Als Trophäe.'', sagte Matt gerade, als Caira hinzustieß. Sie stürzte zu dem Wolf. Dunkles Fell. Schwarz, um genau zu sein. Sie nahm den Kopf des Wolfes in den Schoß und strich ihm über das Fell.

,,Nein,'',sagte sie bestimmt und sah Matt fest in die Augen. ,,Wir heilen ihn". Sie drückte einen Kuss in das Fell, das in der aufgehenden Sonne rötlich schimmerte und warf einen Blick auf den Mond. ,,Oh Jaron. Nicht mehr lange, dann ist alles gut.'' Der Wolf winselte. ,,Helft mir mal!'', forderte sie die Männer auf.

 

,,Caira, geh da weg das ist ein gefährliches, wildes Tier.'', sagte einer der Männer und warf den anderen zweifelnde Blicke zu.

,,Wir kriegen das auch so hin, Jaron.'', beruhigte Caira den Wolf gerade, als die Sonne vollständig aufging und ihre Tränen nicht mehr auf Wolfsfell sondern auf Jarons Menschlichen Körper tropfte. Er hustete.

,,Damien hat Kräuter und Tücher.'', flüsterte er heiser. Dafür ist es zu spät., dachte Caira traurig.

,,Caira? Caira!'' Ihre Mutter kam auf den Platz und blieb wie angewurzelt stehen, als sie den Jungen sah, der sich an Caira lehnte. ,,Oh. Jaron?'', Caira bejahte unter Tränen, sie fühlte mit Jaron, stand ihm bei seinen Schmerzen bei, litt an seiner Verletzung. ,,Ok. Das ist...'', Amelia verstummte.

,,Du, du und du!'', fiel sie in einen strengen Ton. ,,Sauberes Wasser holen. Aus dem Bach, nicht aus dem Brunnen.'' Eine Frau, wies sie an, ein Feuer zu machen um das kalte Wasser sofort erhitzen zu können. Caira warf ein, dass die Wölfe gute Kräuter hatten. ,,Zwei von euch holen ein Bett. Der Rest macht Platz, ein Paar holen die anderen Wölfe. Sie sollen die Kräuter mitbringen. Wir brauchen Stoffbahnen, um die Wunde zu verbinden. Na los!'', fuhr Amelia dann fort. Sie kniete sich neben Caira und Jaron und besah die tiefe Wunde an seiner Seite. ,,Sie blutet stark. Hoffentlich wird sie sich nicht infizieren. Aber wenn die Kräuter gut sind... Die Wunde ist unter dem Herz, gleich wirst du nicht sterben. Du bist ein starker Kerl.'' Sie tastete nach seinen Rippen und Jaron stöhnte. ,,Sauber zwischen den Rippen, im Körper ist sonst nichts verletzt. Eine hässliche tiefe Fleischwunde.'', fasste sie zusammen. ,,Wir brauchen Elain, die vollbringt wahre Wunder mit Verletzten. Jemand soll sie holen.'' Ein paar Jungen machten sich auf die Suche nach ihr, und Caira und Amelia konnten Jaron kurz darauf auf das Bett hieven, dass von ein paar Männern herbeigetragen wurde. Dann trafen die Männer mit dem Wasser ein und es wurde erhitzt, Leintücher darin abgekocht. Elain war den Wölfen über den Weg gelaufen und hatte bereits die Kräuter begutachtet. Vorsichtig wusch sie die Wunde aus, bestrich sie mit Salbe und legte Kräuter darauf und verband sie schließlich fest.

,,Verbluten wird er nicht, aber er braucht Kraft. Ich brühe ihm einen guten Tee auf und gebe ihm ein Schlafmittel.''

 

Caira wachte an Jarons Bett. Sie hatten ihn in eine Hütte getragen, Caira wie betäubt daneben laufend. Die Tür knarrte leise. Es war Matt. ,,Caira...'', flüsterte er. ,,Geh weg.'', murmelte sie. Ihres Protestes ungeachtet setzte sich Matt auf einen zweiten Stuhl neben sie.

,,Du solltest schlafen. Es ist schon Mittag, du bist seit Ewigkeiten wach. Sie schüttelte den Kopf.

,,Warum hast du sie aufgehetzt?'' Er starrte auf seine Hände.

,,Es tut mir Leid. Ich wusste es nicht. Ich... sie haben erst versucht zu widersprechen, es mir zu erklären. Ich habe nicht zugehört, an ihre Vernunft appelliert. An das, was sie schon immer geglaubt haben. Warum hast du nicht gesagt, dass es Menschen sind?''

,,Dir steht es nicht zu, mir Vorwürfe zu machen.'', antwortete Caira. ,,Und ihr hättet mich einfach ausgelacht.'' Matt nickte.

,,Wahrscheinlich. Aber richtige Menschen sind sie auch nicht, oder? Eher Wandelwesen.'' Caira nickte und es blieb eine Zeit lang still, in dem kleinem düsterem Raum. ,,Du... liebst ihn, oder?'' Caira senkte den Kopf noch tiefer und nickte nach einer Weile.

,,Tut mir Leid.'' Tränen nässten ihre Wangen. Matt hob ihr Kinn sanft ein wenig an und sah ihr ins Gesicht.

,,Tut es nicht.'' Sie sah weg und schniefte. ,,Das ist in Ordnung. Ich möchte, dass du glücklich bist.'' Sie sah ihn an.

,,Ich darf nicht so selbstsüchtig sein.''+

,,Doch.'', erwiderte er. ,,Du hast es allen Männern gezeigt, dass die Frauen auch stark und unabhängig sind - oder sein können. Das war sehr mutig'' Sie nickte dankbar, doch immer noch belastete ihre Entscheidung sie.

,,Bitte, lass das nicht dein Leben bestimmen. Ich wollte dich nie verletzen.'', flehte sie. Er nickte, ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen.

,,Nein.'', sagte er mit fester Stimme. ,,Aber wenn du Hilfe brauchst, kannst du immer zu mir kommen.'' Er war aufgestanden und beugte sich nun leicht vor, seine Lippen streiften ihre Wange nur leicht, bevor er sich umdrehte.

,,Warte.'' Sie wollte ihren Ring abstreifen, den Verlobungsring, doch er schüttelte den Kopf.

,,Bitte behalt ihn, damit du weißt, dass ich immer für dich da bin.'', lehnte er ab und ging leise aus der Hütte. Tränen standen ihm in den Augen, doch Caira musste nicht wissen, wie traurig er war und wie schwer es ihm ohne sie gefallen hatte, und wie schwer es noch für ihn sein würde. Verstohlen wischte er die kleinen perlenartigen Wassertropfen aus seinen Augenwinkeln, doch Caira hatte es gemerkt.

 

Einige Zeit später kamen Amelia und Zev. Zev hatte schlechte Laune, man sah es ihm an, aber wenigstens begann er nicht sofort Caira anzuschreien. Amelia hatte mit ihm geredet. Sie setzten sich zu Caira und betrachteten ungläubig Jaron's dunkle Haut und seine nachtschwarzen Haare. Das gab es in Dollowford nicht. Zev wollte anscheinend nach einer Weile anfangen doch noch zu schimpfen, aber Amelia's strenger Blick brachte ihn zum Verstummen. Schließlich sprach er einige Zeit später doch, aber anders, als er es jemals getan hatte. Zev war immer sehr verständnisvoll und liebenswürdig gewesen, hörte auf Ideen und Wünsche von seiner Frau und seiner Tochter und ging darauf ein. Die anderen Männer hatten das als Hrier'sche Schwäche ausgelegt, aber Amelia und Caira waren froh darüber.

,,Du liebst ihn.''

Caira senkte den Blick. ,,Ja.'' Zev schüttelte den Kopf und atmete tief durch.

,,Was sagt Matt dazu?''

,,Er hat die Verlobung aufgelöst.''

,,Ohne meine Zustimmung, hast du ihn die Verlobung auflösen lassen.''

Kleinlaut nickte Caira.

,,Naja. Meinetwegen.'' Bei diesen Worten sah Caira überrascht auf. ,,Natürlich nur, solange er... dein Jaron... Handwerklich nützlich ist. Die Wölfe haben das mit ihren Fähigkeiten zum Handwerken aber nicht zum Anbaue erklärt.''

,,Er ist stark. Und schnell, wie alle Wölfe.'', erklärte Caira. ,,Er kann einen ganzen Baumstamm alleine tragen, ich hab's gesehen. Und er ist noch geschickter als Julien, beim Schnitzen. Und Steine kann er auch behauen. Und er kann gut erfinden. Er hat eine Webmaschine erfunden.''

,,Dann ist ja gut.'', erwiderte Zev. ,,Du hast meinen Segen.''

,,Danke.'' Caira umarmte ihn, nur glücklich. Zev dachte aber an etwas ganz anderes. Er wollte sie nicht ziehen lassen, seine Tochter, die so standhaft wie seine Adoptivmutter war, genauso klug, und so hübsch wie ihre Mutter.

,,Wir haben eine Versammlung mit den Wölfen. Ich denke, ihr Frauen solltet mit dabei sein, mit einem vollem Stimmrecht, aber erst müssen wir ihn heilen. Die anderen denken jetzt genauso.''

In dem Moment öffnete Elain die Tür. ,,Ich hab noch mehr Kräuter, die Wölfe haben auch noch eine Salbe und heilendes Wasser aus ihrem Dorf geholt.'' Zev verabschiedete sich und Amelia legte vorsichtig die Wunde zwischen Jarons Rippen frei. Scharf atmete sie ein. Die Wunde sah aus, als wäre sie schon einige Wochen alt. Elain beugte sich darüber.

,,Die Wölfe haben davon erzählt. Sie sagten, dass alle ihre Wunden schnell heilen, ein normaler Schnitt sei innerhalb eines Tages wieder weg, aber auch bei so einer Wunde sollte es noch mehrere Monde dauern. Obwohl sie sagten, dass es Ausnahmen gebe. Bei manchen heile ein Schnitt innerhalb von Minuten, schlimmere Wunden bräuchten nur Tage. Das scheint genau so zu funktionieren wie bei ihrer Verwandlung.'' Man konnte fast zusehen, wie Jaron's Wunde verheilte, sich Schorf bildete und er abfiel, um helle Haut zu enthüllen. Die Wunde blutete nicht mehr, war aber dennoch ziemlich tief. Elain strich etwas Salbe auf die Wundränder und legte zerstoßene Kräuter in die Vertiefung. Sie schienen die Heilung noch zu beschleunigen. Sie wickelte wieder einige Tücher um die verletzte Stelle, um Schmutz fern zu halten.

,,In einigen Tagen kann er wieder aufstehen. Der Heilungsprozess scheint sich allmählich zu verlangsamen, so etwas ist sehr anstrengend für den Körper. Er braucht jetzt totale Ruhe, keiner sollte mehr hier bleiben.'' Es fiel Caira schwer, aber sie verließ dennoch die Hütte und ging nach draußen.

 

Kapitel 12

Es hatten sich kleine Grüppchen gebildet, viele sahen immer noch immer ein wenig misstrauisch zu den Wolfsmenschen herüber, als würden sie sich jeden Moment in Wölfe verwandeln und das Dorf unsicher machen. Caira stellte sich zu den anderen Wölfen.

,,Es lief nicht alles so, wie es hätte laufen sollen, aber wir kannten das Risiko. Ich denke, es hätte viel schlimmer ausgehen können. Gut gemacht, Caira, ehrlich. Aber es ist uns allen klar, dass wir den Pakt nun wirklich erneuern müssen. Noch wissen die Dorfbewohner zwar noch nicht, wo unser Dorf ist, aber das wird dennoch die beste Möglichkeit sein.'', meinte Kentaros gerade. Die meisten nickten zustimmend. Dank der schnellen Heilung wird Jaron in ein paar Tagen wieder auf Höhe sein, dann können wir das machen.''

,,Elain meint, er ist einer der Sonderfälle, die noch schneller als die anderen heilen. Er soll in ein paar Tagen wieder aufstehen können.'' Caira lief rot an, als sich alle Blicke auf sie richteten.

,,Deshalb hatte Jaron nie Schnitte, obwohl er so viel geschnitzt hat!'', rief Amatus. Die Brüder Evan und Djami nickten:

,,Und er hatte nie Verbrennungen, ob wohl er häufig in der Schmiede war. Sie sind einfach geheilt, bevor jemand etwas gesehen hatte. Wusste jemand davon?'' Alle schüttelten die Köpfe.

,,Naja, ihr wisst, dass die Salbe bei solchen Leuten am schnellsten und besten wirkt.'', sagte Kentaros. Er ist spätestens in drei Tagen wieder völlig fit.''

Die Tür der Krankenhütte schwang auf und Jaron kam heraus. Er war noch blass und schien durcheinander, aber er lief alleine. Langsam kam er auf die anderen Wolfsmenschen zu. Aufgeregt murmelnd machten sie Platz und er stellte sich zu Caira.

,,Warum hast du uns das nie erzählt?'', wollte Evan wissen.

,,Es ist selten und ziemlich unheimlich. Ausserdem könnte es einmal nützlich sein.'', antwortete Jaron. ,,Ich weiß auch nicht viel darüber.''

,,Wir hätten alle zusammen mehr darüber heraus finden können.'', widersprach Amatus. Jaron zuckte mit den Schultern:

,,Es ist sehr anstrengend, das zu Wissen hat mir genügt.'' Kentaros nickte.

,,Mir auch.'' Er hob seine Hand, er hatte sich an einem Stein geschnitten, die Wunde hätte bei allen anderen wohl einen Tag zum Verheilen gebraucht, doch sie war bereits nicht mehr zu sehen.

,,Schön, dass es noch mehr von der Sorte gibt, aber wir sollten jetzt vielleicht endlich mit den Dorfbewohnern sprechen. Ist jemand von ihnen verletzt?'', fragte ein Wolf mit braunem Anhänger.

,,Nein.'', antwortete Amatus. ,,Einige sind ein wenig geschockt, aber keine Verletzten.'' Julien und Matt kamen auf das Grüppchen der Wölfe zu. Matt sah sie ein wenig komisch an, Caira vermutete, dass er eifersüchtig war. Julien betrachtete sie eher mit unverhohlener Neugier.

,,Jaron geht es ja scheinbar wieder ganz gut.'', sagte Matt. Es klang wie ein Vorwurf.

,,Ja, danke der Nachfrage. Mein Heilungsprozess wurde durch die Salbe beschleunigt.'', antwortete Jaron freundlich. Er verstand Matt's Wut, dass sah man.

,,Wir haben beschlossen, so früh wie möglich mit euch über die Sache zu reden. Wann ist es euch Recht?'', fragte Julien.

,,Sofort.'', antwortete Evan. Die anderen nickten zustimmend.

 

Gemeinsam gingen die Dorfbewohner und die Wölfe, mitsamt allen Frauen und Caira, sogar mit einigen der älteren Kinder in die große Versammlungshütte. Der Dorfälteste Liwen eröffnete die Versammlung und erklärte allen, was passiert war. Schließlich sollten die Wölfe sprechen und von dem Pakt erzählen.

,,Vor ziemlich langer Zeit, Generationen vor uns,'', begann Kentaros, ,,gab es einen Pakt, der eine friedliche Zeit garantieren sollte: Es war vereinbart worden, dass die Dörfer sich untereinander nicht angreifen, und dass die Wölfe keins der Dörfer angreifen. Damals kamen oft Händler her, die Pferde wurden schneller, die Kühe gaben durch bessere Zucht mehr Milch, und die Schweine und Pflanzen wurden seltener krank. Die Ernten waren reichhaltig und allen ging es gut. Die meisten konnten sogar lesen. Doch irgendwann brachen die Menschen den Pakt. Erst waren es nur Hrier und Shepsen. Sie kämpften und auf einmal gab es kaum noch Männer in den Dörfern. So mussten auch junge Kinder in den Kampf ziehen. Beide holten sich Bündnispartner, Bündnisse zerbrachen und bildeten sich neu, am Ende bekämpfte jeder jeden. Wir hatten die Dörfer mehrmals gewarnt, doch sie wollten nicht hören. Wir versuchten zuerst uns von alleine zu ernähren. Doch bei uns gibt es keinen guten Boden, es wachsen nur Bäume und widerstandsfähige Gräser. Wir verhungerten fast. Als ein großer Kampf unter einem hellem Wolfsmond stattfand, trieben wir in unserer Wolfsgestalt die Kämpfenden auseinander. Wir sagten euren Vorfahren wieder und wieder, dass sie aufhören sollten zu kämpfen. Sie lachten. Und schließlich nahmen wir ein wenig Nahrung, einige Tiere. Damit konnten wir eine Weile tauschen, ihr habt in der Zeit vergessen, denn viele waren gestorben. In einem besonders langem und hartem Winter starben nun unsere Tiere in den kalten Höhlen, da wir keinen Platz für Ställe hatten. Da machten wir unsere Warnungen wahr. Die ersten Dörfer waren Hrier und Shepsen, schließlich kristallisierte sich eine Reihenfolge: Shepsen, Dollowford, Dale, Hab, Wylands, Nievel, Bloombelt, Conte, Hrier, Rivervalley, Qwert, Kelpywoods, Foxden und am Ende Nyx. Dörfer, die in zwei aufeinanderfolgenden Sommern angegriffen werden, liegen nie nebeneinander, in der Hoffnung, dass ihr nicht herausfindet wie der Ablauf ist, oder euch neu verbündet und größere Wehrmachten aufstellt. Jeden Sommer wechselt das Ziel der Angriffe, dann ist immer einen Mond Pause, in dem wir ein wenig Kundschaften und als Händler uns auch innerhalb des Dorfes umsehen. Wenn ein Dorf zu ärmlich ist, als dass man ihm noch etwas stehlen könnte, ohne dass die Menschen verhungern, greifen wir andere Dörfer an. Uns geht es nicht zu gut. Nur so gut, dass wir überlebe und stark genug für die Angriffe sind. Aber trotz des Risikos würden wir gerne den Pakt erneuern'', schloss er. Liwen nickte.

,,Danke ...''

,,Kentaros'', sprang Kentaros schnell ein.

,,Danke Kentaros'', wiederholte Liwen. ,,Ihr habt jetzt alle Kentaros Bericht gehört, die Angriffe erlebt, gesehen, wie Jaron sich verwandelt hat. Wer von euch hält es für möglich einen neuen Pakt zu schließen?'' Einige Hände hoben sich zögernd, Amelia streckte ihren Arm entschlossen in die Höhe und die meisten Frauen folgten ihrem Beispiel.

,,Momentmal.'', unterbrach Julien. ,,Ich bin durchaus für einen neuen Pakt, aber ich denke, dass wir so nicht gut urteilen können, und ich denke, dass wir den alten Pakt ein wenig überholen müssen. Schließlich können wir die anderen Dörfer nicht einfach zwingen, den Pakt zu schließen. Und wie weit geht das? Helfen die Wölfe im Gegenzug, bringen wir uns gegenseitig Dinge bei, oder haben wir nur einfach Abgaben zu bringen?'' Andere stimmten ein.

,,Nein. Keine Abgaben'', sagte Djami. ,,Eine Art Handel: wir helfen euch, ihr helft uns, Frieden. Wir bringen uns gegenseitig verschiedene Sachen bei. Versuchen, die anderen Dörfer gemeinsam friedlich den Pakt zu erklären, und sie bitten beizutreten.'' Jetzt nickten alle.

,,Einsprüche? Egal von welcher Seite?'', fragte Zev. Niemand meldete sich zu Wort. ,,Gut. Ich auch nicht.''

,,Dann stimmen wir erneut ab. Wer ist dafür?'', fragte der Dorfälteste. Nacheinander hoben sich die Hände, dunkle Wolfshände, kräftige Bauernhände, schlanke Frauenhände. Liwen sah in die Runde und hob seine Hand ebenfalls. ,,Sehr schön. Gegenstimmen?'' Niemand meldete sich zu Wort und die Wolf- und Dorfältesten schüttelten die Hände. Jaron und Caira umarmten sich.

,,Hiermit lasse ich auch Eheschließungen und Kinder zwischen den verschiedenen Dörfern und mit den Wölfen zu.'', verkündete Liwen mit einem Blick auf Caira und Jaron. ,,Jedenfalls meinerseits.'' Kentaros nickte.

,,Ich auch.'' Viele Jubelten und verließen die Versammlungshütte.

 

Draußen unterhielten sie sich, schlossen neue Freundschaften. Es war noch vor Mittag. Julien boxte Jaron erfreut in die Schulter und lachte ihn an. Jaron grinste zurück.

,,Schön, dass das so ausgegangen ist.'', meinte Julien. Jaron nickte und lachte.

,,Euer Dorf ist so friedlich und organisiert.'' Er sah einigen Kindern hinterher, die vielleicht vier bis sechs Sommer alt waren und Fangen spielten. Ein etwa Zehn-Jähriges Mädchen blieb stehen und sah ihn neugierig an. Seine Freundin stand leicht hinter ihm. Sie tuschelten und zeigten auf seinen Wolfsanhänger, den er um den Hals trug.

,,Kommt doch her.'', rief Julien. ,,Er tut euch nichts, genauso wenig wie ich.'' Langsam kamen die Mädchen näher, ein wenig schüchtern, doch die Neugier war stärker. Vorsichtig beäugten sie Jaron.

,,Bist du wirklich ein Wolf?'', fragte die Mutigere.

,,Ja, bin ich.'', antwortete Jaron und lächelte.

,,Tragen alle Wölfe so einen Anhänger?'', wollte nun auch die andere von ihm wissen.

,,Ja. Wenn wir ungefähr vierzehn Sommer alt sind verwandeln wir uns das erste Mal. Dann schmiedet sich jeder so einen Anhänger in seiner Haarfarbe, genau die gleiche Farbe wie die seines Fells.'', erzählte er.

 

 

Epilog

Caira sah sich glücklich um. Die Leute lachten und erzählten, schüttelten Hände und umarmten sich, und einige Mädchen betrachteten die jüngeren Wölfe vorsichtig mit einem abwesendem Ausdruck im Gesicht. Gegen Mittag brachen einige Dorfbewohner mit den älteren Wölfen auf, die Dörfler auf einem Pferd, die Wölfe zu Fuß, und am Abend kamen sie wieder, mit Tauschwaren der Wölfe, manche mit ihren Söhnen und Frauen auf Pferden oder auf ihrem Rücken, und dann kamen noch mehr. Viele Gesichter, die aussahen wie aus Dollowford, darunter Kiska's. Sie umarmte Amelia und Lee, freute sich wieder da zu sein und alte Bekannte wiederzusehen, und mit ihr viele andere Frauen, von denen man geglaubt hatte, sie seien tot. Die Wölfe errichteten ein vorläufiges Lager im Dorf, um den Frieden zu festigen, und in dieser Nacht schlief Caira glücklich in Jaron's Armen ein.

 

Ende

So geht es weiter ...

in Band zwei um den Wolfsmond:

,,Ich sehe dich kaum noch. Immer bist du unterwegs.'', beschwerte Caira sich. Jaron küsste sie.

,,Ich weiß. Ich möchte auch lieber mit dir zusammen sein. Aber dafür haben wir schon drei andere Dörfer mit in den Pakt eingebunden.'', antwortete er.

,,Darüber freue ich mich auch, nur möchte ich einfach nur noch Zeit mit dir Verbringen.''

,,Bald sind liegt Schnee, dann bin ich den ganzen Winter bei dir.'', tröstete Jaron sie. ,,Was ist los? Gibt es etwas, dass ich wissen müsste?'', besorgt strich er ihr das Haar aus der Stirn. Eilig schüttelte sie den Kopf.

,,Nein.'' Noch war sie nicht sicher, noch wollte sie Jaron nicht beunruhigen. Noch war Zeit, alles konnte sich noch ändern. Vielleicht hatte sie sich geirrt ...

Impressum

Texte: Annisoli
Bildmaterialien: Titelbild: Vielen dank an Novizin. (Jes) für dieses wundervolle Cover!!!
Lektorat: Lektorat: Novizin
Übersetzung: /
Tag der Veröffentlichung: 02.06.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für meine Familie

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