Grenzenlos wie
eine Flamme der Liebe
Das Licht war aus. Es war kalt. Mich zitterte es am ganzen Körper. Ich sah hinüber zum Fenster. Der Mond schien durch ein paar Wolken hindurch. Leise schneite es. Kleine weiße Schneeflocken fielen vom Himmel herab. Ein kleines Lächeln müsste nun über mein Gesicht huschen. Doch da war nichts. Ich setzte mich auf, da ich sowieso nicht schlafen konnte. Ich sollte es, aber meine Augen wollten nicht zufallen, sie waren nicht müde.
Leise, damit niemand wach wurde, stand ich auf und setzte mich auf das Fensterbrett. Die Arme um meine Beine geschlungen und immer noch ein wenig zitternd, sah ich in die Nacht hinaus. Bestaunen konnte ich sie immer wieder und wenn ich nicht schlafen konnte, sprach ich mit dem Mond. Er hörte mir als einziger immer zu.
Die dicken Schneewolken hingen sich vor ihn, so dass sein helles Licht mich nun nicht mehr blenden konnte.
Die Stadt leuchtete noch immer und jedes Haus schmückte ein Lichtlein. Mein Blick wanderte hinüber zu dem Haus der Nachbarn. Im Wohnzimmer, in das ich gut sehen konnte, weil die Vorhänge noch nicht zu gezogen waren, brannte eine kleine Kerze. Die Zeit der Weihnacht war nun langsam zu Ende. Wieder einmal unerfüllte Wünsche, die sich häuften. In meinem Herzen tat es jedes Mal weh. Die Sehnsucht nach einem Weihnachten in Familie wuchs jedes Jahr.
Ich strich meine Haare nach hinten und schaute auf die Uhr. Leise zählte ich in meinem Kopf rückwärts. Fünf, vier, drei, zwei...eins und...Raketen schossen in die Luft, es knallte. Der Himmel war ein einziges Lichtermeer. Guten Morgen neues Jahr. Hoffentlich wirst du besser als das letzte, sagte ich mir jedes Jahr immer wieder. Nur so richtig daran glauben konnte ich bald nicht mehr. Ein wenig Angst hatte ich, die Hoffnung zu verlieren. Meine Freundin sagte einmal, die Hoffnung sei grenzenlos. Wenn ich ein gutes Herz habe, kann ich sie nicht verlieren, denn wer die Hoffnung verliert, dem entschwindet auch die Liebe und der Glaube. Doch nicht umsonst sagt man, die Hoffnung stirbt zuletzt.
Mittlerweile waren die anderen Kinder wach gewurden. Sie standen hinter mir und starrten mit gebanntem Blick und leuchtenden Kinderaugen in den Himmel.
„Wundervoll.“ brachte eines hervor. Das Feuerwerk war großartig und riesig über der ganzen Stadt. Meine Freundin stand neben mir und lächelte mich an. Ich war nicht allein.
„Ein wundervolles neues Jahr wünsche ich dir.“ sagte sie zu mir. „Mit ganz viel Hoffnung und Liebe.“ Ich lächelte. Die Liebe im Herzen war das wichtigste, was ein Mensch besaß. Ich dachte meine Eltern würden mich lieben. Ich dachte, irgendwann kämen sie zurück, um mich abzuholen. Ich saß am Fenster, schaute in die Ferne und dachte, dass die Liebe grenzenlos sei. Liebe von Freunden, die Liebe zu einem Menschen, Liebe zu einer Leidenschaft, Dinge, die einem wichtig sind. Doch am wichtigsten schien mir die Liebe zur Familie zu sein, die Liebe von Eltern zu ihren Kindern und umgekehrt. Doch da hatte ich mich wohl geirrt, als ich eines Tages, kaum ein Jahr alt, hier landete, im Kinderheim, abgeschoben von meinen Eltern. War ich ihnen denn nicht mehr wichtig?
Manchmal malte ich mir aus, wie sie sein könnten. Ob ich die Augen meiner Mum hatte oder die Nase meines Dads. Unsere Betreuerin sagte oft, ich habe einen Dickkopf und die Hartnäckigkeit wie meine Mum. Sie kannte sie wohl. Doch sie sprach nie über sie. Ich konnte drängeln und sagen was ich wollte, aus ihr bekam ich nichts über meine Eltern heraus.
Dabei war es doch normal, dass ich mir Gedanken machte, wo ich herkam, warum ich so bin, wie ich bin. Und vor allem, warum ich hier bin. Ob sich diese Frage je beantworten würde, stand in den Sternen.
Ob ich nun hier war oder nicht, wer auch immer ich war und was ich machte, die Welt würde sich weiter drehen. Wieder ein Jahr würde vergehen. Vielleicht würde ich bald eine neue Familie haben, die mich liebte. Dann würde ich Weihnachten zusammen mit ihnen singen, um den Baum sitzen und lachen und nicht allein in ein neues Jahr rutschen.
Aber ich war ja nicht allein. Ich hatte eben meine Ersatzfamilie, meine Freunde. Es war nicht das gleiche, wie eine richtige Familie zu haben, aber es war das einzig mögliche für uns in dieser Lage.
Noch immer standen wir vor dem Fenster und erfreuten uns der wundervollen Lichter am Himmel. Ich schaute zu den Nachbarn. Die Kerze im Wohnzimmer war erloschen und nur der herunter gelaufene Wachs war übrig geblieben. Nicht alles war so vergänglich wie die Flamme einer Kerze. Grenzenlos und unendlich war die Hoffnung und die Liebe im eigenen Herzen, die ich schützen würde für alle Zeit. Ich war nicht allein.
Texte: Copyright by Anika B.
Tag der Veröffentlichung: 25.08.2010
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Meiner Familie, denn ich bin froh,
dass ich eine habe.