Ein Kuss für die Ewigkeit
15. August 1945
Die Sonne stach vom Himmel herab und es war noch sehr warm. Angenehme Luft drang mir entgegen, als ich das Fenster öffnete. Ich atmete sie ein und schloss für einen kurzen Moment die Augen. Meine Gedanken ließ ich fliegen und spürte die warmen Sonnenstrahlen in meinem Gesicht.
Es war ein wundervoller Sommertag, der noch dazu ein ganz besonderer werden sollte und das nicht nur für mich.
„Mrs. Shain, kommen sie bitte?“ rief einer der Ärzte mir zu und riss mich damit aus meinen Gedanken. Es schien dringend zu sein, was ich an seiner Stimme erkannte. Ich nickte und tat wie mir geheißen.
Mein Name war Edith Shain. Ich war eine junge auszubildende Krankenschwester in einem Krankenhaus von New York. Mein Leben war nicht sonderlich interessant. Ich machte meine Arbeit gut und sie erfreute mich jeden Tag aufs neue. Menschen zu helfen war mein Traum, vor allem jetzt im Krieg.
Seitdem der zweite Weltkrieg ausgebrochen war, schienen alle Menschen in Angst und Schrecken zu leben. Viele verloren ihre geliebten Männer, Väter und Freunde...
Ich bekam nicht viel davon mit, da ich Tag ein Tag aus im Krankenhaus war und nur wenig raus kam. Mich erschütterten jedoch immer wieder die Geschichten und Erlebnisse anderer. Oft hatte ich Patienten, die davon erzählten, die deswegen weinten, die davor Angst hatten.
Ich war dann diejenige, die sie beruhigen musste. Doch was sollte ich sagen? Es wird alles wieder gut? Das wusste ich genauso wenig wie jeder andere. Ich wusste nicht einmal, ob es das je wieder sein würde. Der Frieden hatte uns verlassen.
Der Krieg war eine grausame Sache und ich verfluchte denjenigen, der ihn erfunden hatte. Wie ein Schatten verfolgte er die Menschen und viele verloren durch ihn ihr Leben. Der schreckliche Schmerz dessen schien unbeschreibbar zu sein. Durch so etwas Sinnloses, in meinen Augen, mussten so viele ihr junges Leben lassen. Wofür war das denn gut?
Manchmal versuchte ich einfach alles zu verdrängen, um einmal ein normales Leben, wie ich es mir wünschte, zu führen. Wenige Momente klappte es, doch es dauerte meist nicht lange und die Realität holte mich wieder ein. Es gab einfach kein Entfliehen vor der Wahrheit.
„Mrs. Shain, ich habe ihnen eine wichtige Mitteilung zu machen.“ begann der Arzt, der mich eben zu sich gerufen hatte. Ich strich meinen weißen Krankenschwesterkittel zurecht, während ich ihm aufmerksam zuhörte.
Manche der jungen Männer, die ich behandelte, sagten, ich sei ihr Engel. Ganz in weiß, ich konnte nur einer sein. Ich glaube, meistens hatten sie sich den Kopf ein wenig angestoßen, wenn sie so etwas sagten. Aber ich musste jedes Mal schmunzeln. Männer waren sowieso etwas seltsam. Immer einen auf großen Macker machen und dann bei der kleinsten Spritze losheulen.
Der Arzt erzählte immer noch. Ich konnte nicht glauben, was er mir mitzuteilen versuchte. Seine Worte waren hastig und flossen so schnell aus seinem Munde, dass ich ihm kaum folgen konnte.
Japan hatte sich ergeben, sagte er. Die Nachricht von der Kapitulation Japans hatte sich rasant verbreitet, doch keiner konnte dies zuerst glauben.
Der Krieg sollte zu Ende sein? Ich bekam meinen Mund nicht mehr zu. Es war einfach nicht zu glauben.
„Kommen sie mit!“ rief der Arzt. „Nun, kommen sie schon!“
„Wohin?“
„Zum Times Square!“
Er zog mich am Arm mit sich und ich folgte ihm schließlich. Wir liefen, wie viele andere der Menschen zum Times Square, stürzten uns in die Straßen New Yorks. Wir wollten mitfeiern und jubeln, dass alles zu Ende war und wohin sollte man als New Yorker sonst gehen?
Die Freude der Menschen war unbeschreiblich. Alle rannten sie auf die Straßen. Das Lachen in ihren Gesichtern schien so erleichtert und unendlich froh über diese Erlösung zu sein.
Die Sonne über uns brannte noch immer heiß und ich kam aus meiner Fassungslosigkeit nicht mehr heraus. Gerade eben machte ich mir noch Gedanken, ob das Grauen des Kriegen je ein Ende haben würde und nun stehe ich zwischen so vielen, vor Freunde lachenden Menschen und konnte dieses Glück immer noch kaum glauben.
Die Leute fielen sich gegenseitig in die Arme und jubelten. Ein unglaublicher Tag.
Meine Augen leuchteten und ich bestaunte die fröhlichen Menschen vor mir. Ein Bild, das man ja nicht alle Tage zu sehen bekam...
Plötzlich zog mich ein wildfremder junger Mann an sich heran. Ich kannte ihn nicht und war so überrascht von seiner Tat. Er hatte eine Uniform an und ich wusste nicht, ob er ein Marinesoldat oder ein Seemann war.
Rasch nahm er mich in seiner Begeisterung, dass der Krieg ein Ende gefunden hatte, in den Arm und küsste mich spontan. Er presste seine Lippen auf die meinen. Es war ein langer wundervoller Kuss eines jungen Mannes, den ich noch nie zu vor in meinem Leben gesehen hatte. Ich spürte ganze deutlich seine Euphorie.
Ich bemerkte, wie wir fotografiert wurden. Es musste wohl ein tolles Bild gewesen sein, ein junger Mann und eine junge Frau, bei Kriegsende, küssend auf dem Times Square.
Der Kuss war schlichtweg einfach perfekt und musste für die Ewigkeit festgehalten werden.
Kurz darauf ließ er mich wieder los und wir lösten uns von einander.
Ich sah noch, dass seine Augen blau waren. Er verwand zugleich in der Menschenmenge und wir gingen jeder unserer Wege. Ich wusste nicht einmal seinen Namen und habe ihn nie wieder gesehen.
Es war trotzdem ein unvergesslicher Moment, der die Hoffnung, Liebe, Frieden – und die Aussicht auf einen Morgen, widerspiegeln sollte.
Texte: Copyright by Anika B.
Tag der Veröffentlichung: 16.08.2010
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