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Oh nein, ich habe eine
Leiche im Keller!


„Mama, was heißt „eine Leiche im Keller haben“?“ fragte ich und setzte mich an den Frühstückstisch. Noch ein wenig verschlafen rieb ich mir die Augen.
„Wie kommst du denn darauf mein Schatz?“ fragte sie und sah mich mit einem seltsamen Gesichtsausdruck und großen Augen an. Sie sah ein wenig überrascht aus, dass ich sowas fragte.
Ich nahm mir die Milch und goss ein wenig davon in meine Müslischale.
„Das habe ich mal gehört. Das hat Lauras Mum mal gesagt.“ sagte ich schulterzuckend. Dann begann ich hungrig zu essen und wartete immer noch auf die Antwort meiner Mum. Ich musste einfach immer alles wissen. Wenn ich etwas hörte, was ich nicht kannte, musste ich es genauer wissen. Meine Mum meinte, ich sei schon immer sehr wissbegierig gewesen.
„Nun, eine Leiche im Keller haben ist eine Redewendung und bedeutet, dass du ZB. ein Geheimnis hast oder...“ sie dachte kurz nach „...ein schlechtes Gewissen hast, weil du etwas Falsches getan hast. Es kann allerdings auch wörtlich gemeint sein.“
„Achso.“ sagte ich nachdenklich und war nun ein bisschen schlauer.
„Wieso fragst du sowas? Hast du etwa eine Leiche im Keller?“ fragte mein Bruder neckisch und schmunzelte angriffslustig. Wie ich diesen Gesichtsausdruck hasste. Ich verzog das Gesicht.
„Blödmann.“ murmelte ich vor mich hin.
„So, seid ihr fertig? Wir müssen los.“ drängelte Mum. Ich sprang von meinem Stuhl auf und stellte meine Müslischale in den Abwasch.

Draußen regnete es in Strömen und ich mochte gar nicht aus dem Fenster sehen. Ich schnappte mir meine Regenjacke und zog sie schnell über.
„Komm schon Lina, der Kindergarten wartet nicht.“ sagte meine Mum hastig.
Mein Bruder öffnete den Mund um etwas zu sagen, doch meine Mum durchschaute ihn und ließ ihn nicht aussprechen.
„Die Schule genauso wenig.“
Er senkte den Blick. Was für ein Jammer für ihn.
ein Bruder war fast drei Jahre älter als ich und ging schon in die Schule. Ich würde das nächste Jahr eingeschult werden. Meine Mum sagte, das ich sehr intelligent sei und mich in der Schule bestimmt gut machen würde. Ich konnte bereits jetzt schon einige Wörter lesen und schreiben und war damit weiter als andere.
Wir fuhren erst am Kindergarten vorbei, wo meine Mum mich raus ließ. Dann gings weiter zur Schule. Den ganzen Tag hatte ich keinen Spaß im Kindergarten. Mir war langweilig, und ich verbrachte den Tag damit Regentropfen zu zählen. Es sah so aus, als würden es immer mehr werden. Sie schlugen immer heftiger an die Fensterscheibe. Irgendwann, wenn ich mit den Zahlen nicht weiter kam fing ich wieder von neuem an. Leider half auch das kein bisschen gegen meine Langeweile.
Ich beschloss, mir etwas zu überlegen. Immer ärgerte mich mein Bruder und ich wollte endlich auch mal zurückschlagen können. Irgendein Streich musste mir einfallen, mit dem ich ihm eins rein würgen konnte.
Schließlich kam mir die zündende Idee.

Mein Bruder hasste Schnecken. Er hatte sogar panische Angst vor diesen glibschigen kleinen Tierchen.
Als ich am Nachmittag wieder zu Hause war, sammelte ich ganz viele Schnecken ein und platzierte sie alle samt vor unserer Haustür. Mein Bruder und meine Mum bekamen nichts mit. Sie waren im Haus. Bei dem Wetter traute sich ja niemand raus, wenn es nicht sein musste. Ich schlich ums Haus und suchte sie zusammen. Schließlich hatte ich ganze 25 Schnecken gesammelt. Alle hatten nun vor unserer Haustür Platz genommen. Wenn mein Bruder nun am späten Nachmittag aus dem Haus gehen würde, weil er zu seinem Fußballtraining musste, würde er eine ziemliche Überraschung erleben. Ich schmunzelte siegessicher. Endlich würde ich auch mal einen Treffer erzielen und ihn ärgern können. Er hatte es verdient, da ja sonst ich immer das Opfer war.

Ich wartete gespannt den Moment ab, in dem er das Haus verlassen würde. Ich versteckte mich hinter der Küchenwand und schielte immer wieder zur Tür. Ein Poltern sagte mir, das er endlich kam. Er ging in schnellem Schritt, mit seiner Sporttasche in der Hand, die Treppe hinunter und holte seine Jacke.
„Lauf aber nicht so schnell! Bei dem Regen kann man schnell mal ausrutschen.“ rief meine Mum ihm von oben zu.
„Ja, Mum.“ sagte er genervt und ich sah wie er die Augen verleierte.
„Und viel Spaß!“
„Ja, Mum.“ Jetzt war seine Stimme lauter und noch genervter.
Er ging auf die Tür zu. Der Moment war da. Gleich würde er sie öffnen. Ohne zu wissen, was ihn überraschte, öffnete er mit einem Ruck die Haustür. Alles ging sehr schnell. Ein lautes Schreien und schon lag er auf dem Boden. Vor Schreck war auf dem nassen, glitschigen Weg vor der Haustür ausgerutscht.
Mein siegessicheres Grinsen verschwand sofort, als ich bemerkte, was passiert war. Er lag noch immer auf dem Boden, Tränen im Gesicht und umklammerte sein Bein. Ich rief nach meiner Mum.

Schuldbewusst saß ich auf einem Stuhl neben ihm im Krankenhaus.
Er war so blöd gefallen, das er sich das Bein gebrochen hatte. Er schien sehr tapfer, als ihm der Gips angelegt wurde. Ich konnte ihn gar nicht ansehen und starrte stattdessen auf den Boden. Es war alles meine Schuld.
„Schwesterchen, Schwesterchen...jetzt hast du aber wirklich eine Leiche im Keller.“ sagte er und grinste mich an. Oh nein, das hatte ich tatsächlich.
Aber so schlecht konnte es ihm also nicht gehen, wenn er schon wieder Witze machte.
„Aber woher...“ begann ich.
„Lina, ich weiß, dass die Schnecken nicht von allein dahin gekommen sind. Und nur du weißt, dass ich Schnecken hasse.“ Mein Gesicht wurde rot und mein Blick wanderte wieder auf den Boden.
„Tut mir leid. Jetzt kannst du nicht mal Fußball spielen. Ich hätte die Schnecken nicht dorthin setzten sollen.“ murmelte ich und fühlte mich schuldig. Wenigstens wusste ich jetzt was „eine Leiche im Keller haben“ hieß.
Er lächelte mich besänftigend an und ich wusste, dass wir wohl ab jetzt uns nicht mehr ärgern würden.
Naja...so ganz in dem Glauben war ich noch nicht.
„Wie kannst du diese schleimigen Viecher eigentlich anfassen?“

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Texte: Copyright by Anika B.
Tag der Veröffentlichung: 14.08.2010

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