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Angel Eyes


Prolog

Das kleine Mädchen lächelte mich an und ich war froh, dass sie mich sehen konnte. Sie hieß Lisa und war eines meiner Schützlinge.
Ich war ein Schutzengel, und es war mein Job die Menschen zu beschützen und ihnen zu helfen. Manchmal auch einfach nur bei ihnen zu sein. Es war mein Schicksal und ich konnte nichts dagegen tun.
Ich saß oft neben ihrem Bett und sah zu, wie sie schlief. Ich tat das einfach um nachzudenken. Hier hatte ich Ruhe.
Doch heute wusste ich nicht, ob diese Ruhe überhaupt gut für mich war. Sie machte mir nur wieder mehr als deutlich, wie einsam ich war.
Statt zu schlafen, sah Lisa mich mit großen Augen an, als wüsste sie, dass ich traurig war. Sie lächelte besänftigend und ihr Lächeln war voller Liebe, die mir Energie gab. Vielleicht war ich deshalb so oft hier. Lisa war ein Mädchen, das nur durch einen Blick oder ein Lächeln mich wieder fröhlich stimmen konnte. Ein Lächeln voller kindlicher Liebe reichte sonst vollkommen aus, um ein Lachen auf meinen Mund zu zaubern. Doch an diesem Tag war es anders. Die Traurigkeit und Leere in meinem Herzen war einfach zu groß...

***



Alles begann damit, das ich auf die Erde zu den Menschen geschickt wurde, um sie besser kennen zu lernen und sie zu verstehen. Ich fand an meinem Job als Schutzengel keinen Gefallen mehr und musste mich nun mit dem Leben auf der Erde herumschlagen. Der Sinn der Sache war, dass ich die Freude an meiner Bestimmung wiederfinden sollte.
Kinder, wie Lisa, waren noch sehr offen und empfängnisreicher für uns. Sie konnten uns, im Gegensatz zu anderen Menschen, noch sehen, wenn wir bei ihnen waren. Leider änderte sich das, wenn sie heranwuchsen und so glaubten nur noch wenige Menschen an uns Engel. Es war einfach frustrierend für mich, dass sie unsere Hilfe einfach hinnahmen und trotzdem nicht einmal glaubten, dass wir wirklich existieren. Wieso glaubten die Menschen eigentlich immer nur das, was sie auch sehen konnten?

Die Welt der Menschen gefiel mir gar nicht. Sie war so anders. Anders als unsere. Es war laut und hektisch. Das gab es bei uns nicht. Es war einfach ungewohnt und ich konnte mir nie vorstellen mein Leben gegen so eines auf der Erde zu tauschen.
Ich wohnte bei Micheal einem gefallenen Engel. Er war nun ein Mensch und lebte schon viele Jahre auf der Erde. Er erzählte mir viel von seinem Leben und dass er seine Entscheidung nie bereut hatte. Er sprach auch sehr viel von seiner Frau, wegen der er nun überhaupt hier war, wegen der er sein Engelsleben aufgegeben hatte.
Die Liebe musste schon etwas ganz besonderes sein, um so etwas zu tun. Wie schade, dass wir Engel so etwas nicht erleben konnten. Es war uns einfach nicht bestimmt, obwohl wir aber auch die Wahl hatten zu fallen. Aber wie viele Engel verlieben sich schon in einen Menschen? Das kam nicht so oft vor, da es nicht in unserer Natur lag sich in die Menschen zu verlieben.
Und nur allein für die Liebe alles aufgeben und ein Mensch werden? Das konnte ich mir nun gar nicht vorstellen. Klar ist sie bestimmt toll, die Liebe. Aber man konnte doch auch ohne sie leben oder nicht?

***



Meine Frage sollte sich bald beantworten, als ich Julie kennen lernte. Sie war das wundervollste Mädchen, das ich je gesehen hatte.
Ich ging durch den Park. Es war kurz nach Mittag, die Sonne stand hoch und es war warm. Unter grünen Bäumen lief ich den Weg entlang. Alles blühte und stahlte und ich hatte einen Duft von Flieder in der Nase. Ich hatte vollkommen vergessen, dass die Welt der Menschen doch auch schöne Seiten hatte. Ich dachte schon, ich würde mich an den Lärm nie gewöhnen, doch hier war es richtig still.
Inmitten des Parks und unter den vielen Bäumen, die ein bisschen Schatten spendeten, ließ ich mich auf einer Bank nieder und beobachtete die Leute.
Ich sah zu, wie sie an mir vorbei gingen. Eine Mutter mit Zwillingen, dann ein älteres Ehepaar und ein scheinbar frischverliebtes Pärchen gingen hädchenhaltend an mir vorüber. Sie sahen so glücklich aus und ich wurde fast ein wenig neidisch.
Plötzlich kam ein Mädchen den Weg entlang. Sie fiel mir sofort ins Auge. Sie war so ein hübsches Mädchen mit braunen Locken und wundervollen blauen Augen. So ein Mädchen wie sie hatte ich noch nie gesehen. Sie hatte so eine positive Ausstrahlung und schien mich wie ein Magnet anzuziehen. Ihr Lächeln war göttlich, wie sie mich ansah und ihre Stimme so himmlisch, als sie mich fragte, ob sie sich neben mich setzen dürfte. Man könnte denken, sie sei ein Engel. Doch das war sie nicht. Sie war nicht wie ich. Sie war ein Mensch.
Ihr Name sei Julie sagte sie. Wir unterhielten uns eine ganze Weile und verstanden uns immer besser. Sie war einfach so wundervoll, so unbeschreiblich. Vielleicht gab es keine Worte dafür, was ich fühlte.
Ich war richtig aufgeregt, wenn ich sie sah und in meinen Bauch kribbelte es, meine Hände wurden schwitzig und mein Herz klopfte so laut, dass ich Angst hatte, es würde mir aus der Brust springen. Es war so neu für mich. So etwas hatte ich noch nie gefühlt und ich hatte natürlich auch nie damit gerechnet, es je zu erleben.
Doch ein einziges Wort gab es für meine Gefühle: Es war *Liebe*.

Ich lernte die Liebe kennen und fand heraus, dass sie nicht immer so schön war, wie jeder glaubte. Sie konnte schmerzhafter sein als alles andere.
Eine Zeitlang waren wir die glücklichsten Menschen der Welt. Obwohl das Wort Menschen in diesem Fall nicht ganz stimmte. Aber egal.
Beide hatten wir noch nie eine solche Liebe, ein solch starkes Gefühl empfunden. Obwohl ich hätte vernüftig sein sollen, konnte ich mich nicht gegen diese Gefühle wehren.
Auch wenn ich mit Julie sonst alle meine Geheimnisse teilte, das Geheimnis, dass ich ein Engel war, konnte ich ihr nicht verraten. Ich durfte ihr nicht sagen, dass ich kein Mensch war. Dass ich einfach nicht so war wie sie.
Julie war in irgendeiner Weise genau wie ich und doch waren wir von Grund auf verschieden. Es war also vorherbestimmt, dass das mit uns nichts werden würde.
Es tat mir so weh sie anlügen zu müssen, doch mir blieb keine Wahl.
Schon bald musste ich wieder die Erde verlassen und ich wusste nicht, wie ich es ihr beibringen sollte. Was sollte ich ihr sagen? Ich hätte überhaupt nichts mit ihr anfangen sollen und machte mir schreckliche Vorwürfe sie verletzten zu müssen. Aber was sollte ich tun?
Als ich ging, ließ ich einen einzigen Zettel mit wenigen Worten zurück.

Ich kann dir nicht sagen, wie leid es mir tut, dich verlassen zu müssen. Ich kann dir nicht sagen, warum ich gehen muss. Ich kann dir nicht sagen, wie weh es mir tut. Nur eines, was ich ganz sicher weiß, kann ich dir sagen: Ich liebe dich.
Dein Elias



***



Zurück in meiner Welt fühlte ich mich einsamer den je. Ich war nun Julies Schutzengel und konnte sie jeden Tag und jede Nacht sehen, wann immer ich wollte. Ich begleitete sie bei allem was sie tat. Ich war immer bei ihr, um sie zu beschützen und über sie zu wachen. Doch sie sah mich nicht. Wenn ich neben ihr saß, ging ihr Blick durch mich hindurch.
Ich musste mit ansehen, wie sie sich quälte, wie sie sich Nacht für Nacht in den Schlaf weinte und im Traum meinen Namen flüsterte. Mir kamen jedes Mal die Tränen, wenn ich sie so sah. Das schlimmste war, dass ich ihr nicht helfen konnte. Ich hatte Schuldgefühle und spürte ihre Trauer als meine eigene.
Wenn ich nur wüsste, was ich tun könnte. Wenn ich ihr nur helfen könnte. Ich würde alles für sie tun.
Nur fallen, das konnte ich nicht. So sehr ich sie auch liebte, ich konnte nicht fallen und ein Mensch werden. In ihrer Welt würde ich nicht glücklich werden und ich konnte auch nicht alle anderen Menschen, die meine Hilfe und meinen Schutz brauchten, einfach im Stich lassen.
Diese Entscheidung war sehr schwer, doch sie war richtig. Ich wünschte nur, sie könnte mich ein letztes Mal sehen, in meine Augen schauen und mir sagen, dass sie mich liebt.
Nie hätte ich gedacht, dass es mir so schwer fallen würde ohne die Liebe zu leben. Sie war mir vor Julie so gleichgültig gewesen. Doch das ist sie nicht und das wusste ich jetzt.


***



Sie sah auf das Wasser. Der Wind wehte kleine Wellen ans Ufer. Die Luft war kühl an diesem Tag.
Julie war ganz allein. Sie saß im Gras am Ufer des Wassers und starrte in die Ferne. Ich konnte es kaum ertragen in ihre Augen zu schauen. Ich hockte vor ihr und sah sie an. Ihr Gesicht war so traurig. Ich sah in ihre tiefblauen Augen und wünschte mir aus tiefsten Herzen heraus, sie würde diesen Blick erwidern können. Doch wie immer tat sie das natürlich nicht. Stattdessen starrte sie durch mich hindurch auf das Wasser. Ein leises Seufzen entwich ihrer Lippen. Ich schaute auf den Boden. Mir lief eine kleine Träne übers Gesicht und ich flüsterte
„Es tut mir so leid.“ in die Luft. Wie konnte ich nur zulassen, dass ich ihr so wehtat? Doch was geschehen war, konnte ich nicht mehr ändern.
Mein Blick wanderte wieder zu ihren Augen.
Einen kurzen Moment glaubte ich zu sehen wie unsere Blicke sich trafen. Ich sah sie weiter forschend an. Hatte sie mich gesehen? Das war unmöglich. Wahrscheinlich bildete ich mir das ein. Aber vielleicht spürte sie meine Anwesenheit. Oder ich klammerte mich einfach nur an jeden Strohhalm, der gar nicht existierte. Traurig wandte ich meinen Blick von ihr ab, als ich plötzlich meinen Namen aus ihrem Mund hörte.
Ich erstarrte und sah sofort wieder in ihr Gesicht. Ganz tief in ihre Augen blickte ich. Es war, als würden wir eine Verbindung mit diesem intensiven Blick aufbauen. Ich fühlte Wärme um mich herum und ich sah ganz viel Licht. Sie erwiderte meinen Blick, so intensiv, als sähe sie in meine Seele.
„Elias, bist du es wirklich?“ fragte sie.
„Ja.“ hauchte ich und konnte noch immer nicht fassen, was hier passierte. Wir schienen wie in einer eigenen Welt zu sein, die nur uns beiden gehörte.
„Wieso kannst du mich sehen? Das ist doch unmöglich.“ fragte ich Julie.
„Ich weiß es nicht.“ flüsterte sie mit dem Blick immer noch direkt in meine Augen.
„Es sind deine Engelsaugen, die dich verraten, die dich sichtbar machen, die uns verbinden.“ sagte sie leise und ich hatte keine Ahnung, woher sie davon wusste. Wahrscheinlich hatte sie aber recht. Ich wollte es auch nicht weiter hinterfragen.
„Sag mir, dass das kein Traum ist.“ sagte ich mit ein wenig Verzweiflung und Angst in meiner Stimme. Ich hatte Angst, es könnte alles nicht wirklich passieren. Dass meine Fantasie mit mir durchging, oder es alles nur Einbildung war.
Sie strich mir sanft übers Gesicht und küsste mich als Antwort.
„Endlich bist du bei mir. Ich liebe dich so sehr“ flüsterte sie über meine Schulter, als sie mich umarmte. Ich lächelte und hatte das Gefühl alles würde sich ändern.
Meine Liebe würde mit jeder Minute wachsen und ich würde Dinge tun, die ich niemals gewagt hätte, bevor ich Julie kannte.
Sie war ein Engel für mich und brachte Dinge in mir zum Vorschein, die ich nicht kannte. Nur durch sie lernte ich ein wundervolles Gefühl namens Liebe kennen.

Impressum

Texte: Copyright by Anika B.
Tag der Veröffentlichung: 03.08.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für meine Engel!

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