„Nina, schau, das sind die Farben der italienischen Fahne. Ihre Piloten sind die besten.“ Manni half seiner kleinen Schwester, sich auf die Fensterbank zu knien. „Wenn ich groß bin, werde ich auch Italiener!“
Von ihrem Hochhausfenster blickten sie ungehindert bis zum Luftwaffenstützpunkt, auf dem die Flugschau stattfand.
„Die malen ja den Himmel bunt!“ Nina klatschte begeistert in die Hände. „Oh wie schön. – Mammi, sieh doch nur!“
Laura ging zu ihren Kindern, die mit leuchtenden Augen die Manöver der Kunstflieger verfolgten. „Das ist die Staffel der Frecce Tricolore.“
Ein Flugzeug verließ die Formation, schraubte sich empor, wendete und flog den anderen in einer weiten Schleife entgegen. Plötzlich explodierte der Himmel in einem Feuerball, der die Sonne überstrahlte.
„Weg!“ Laura riss Nina von der Fensterbank.
Dann kollidierte der Solo-Pilot mit einem der entgegenkommenden Jäger; Metallbrocken flogen durch die Luft. Die Scheiben klirrten.
Laura stieß die Kinder zu Boden. Nina schrie auf.
Im nächsten Augenblick gerieten beide Maschinen in Brand. Brennende und qualmende Wrackteile stürzten vom Himmel.
„Nicht weinen, Schätzchen.“ Mechanisch wischte sie mit dem Ärmel ihres Pullovers Nina die Tränen ab.
Die Fenster waren unversehrt; langsam richtete sich Laura auf und lugte über den Sims. Dichter, schwarzer Rauch stieg draußen hoch.
Sie stürzte zum Telefon. „Laura Schreiner hier. Michael, eben ist ein Kunstflieger in der Luft explodiert. Mach eine Seite frei: In einer Stunde bin ich in der Redaktion.“
Die Kinder saßen auf dem Teppich; Manni schluckte heftig und umklammerte seine Schwester.
Einen Moment zögerte Laura; aber sie hatte keine Wahl. „Du passt gut auf Nina auf, ja? Ihr geht nicht aus dem Haus! Mammi muss kurz arbeiten gehen.“
Nina begann zu weinen. „Ich habe Angst.“
Laura kniete sich neben sie. „Ich hole Frau Breiner. Und Papa wird auch bald da sein.“ ‚Hoffentlich’, dachte sie, während sie nach ihrer Fotoausrüstung griff und die Treppen hinuntereilte. ‚Wer weiß, was da draußen los ist.’
***
Beißender Qualm wehte Laura entgegen. Sie musste bald das Auto stehen lassen. Es stank nach Verbranntem und sie bekam einen Hustenanfall. An brennenden Gebäuden vorbei, zwischen Feuerwehren und Ambulanzen hindurch, erreichte sie das Flugfeld. Soldaten hatten es bereits weiträumig abgesperrt. Sie hängte sich ihren Presseausweis um den Hals.
„Stop, Ma’am.“ Ein Militärpolizist hielt sie an.
Laura zeigte auf den Presseausweis. „Newspaper.“
Der Militärpolizist schüttelte den Kopf. „No media, Ma’am. Military area.”
Aus einer zerstörten Tribüne ragte das Heck eines Flugzeugs. Gegenüber lagen mehrere Verletzte am Boden. Der Rauch trieb Laura Tränen in die Augen. „I’m a journalist!“
„No media“, beharrte der Soldat.
Aus den Augenwinkeln sah sie, dass Militärpolizisten einen Notarztwagen anhielten. Darum beschloss sie nachzugeben und ging zur Ambulanz hinüber.
Bevor Laura sie erreichte, stiegen der Arzt und die Sanitäter aus, aber die Soldaten ließen sie nicht passieren. Der Notarzt schwang lauthals protestierend seinen Rettungskoffer und versuchte, sich an ihnen vorbeizuzwängen. Vergeblich; sie hielten ihn fest.
Ungläubig sah Laura einen Moment lang zu; dann blickte sie wieder zu den Verletzten auf dem Flugfeld: Nur hundert Meter entfernt und sie ließen den Arzt nicht zu ihnen. Sie wich ein paar Schritte zurück und begann zu fotografieren.
Bald darauf saß sie an ihrem Schreibtisch in der Redaktion und hämmerte in die Tasten. „MP blockiert Rettungsarbeiten.“
***
Lauras Mann kam erst am nächsten Morgen nach Hause. „So vielen konnten wir nicht mehr helfen. Ich habe bis eben im OP gestanden.“
Trotz seiner Erschöpfung hatte Wilfried daran gedacht, die Zeitungen vom Kiosk mitzubringen. Laura starrte auf „ihre“ Zeitung. „Katastrophe!“, stand in großen Lettern auf der Titelseite. „Drei italienische Kunstflieger abgestürzt.“ Darunter Bilder, die sie in dem zerstörten Stadtteil aufgenommen hatte. Aber keines ihrer Fotos vom Flugfeld, kein Wort über die Behinderungen der Rettungsarbeiten durch die Militärpolizei.
Zweimal blätterte sie alle Seiten durch; dann rief sie den Redakteur zu Hause an. „Michael, was habt ihr mit meinem Artikel gemacht? Wieso habt ihr nur Agenturmeldungen ins Blatt genommen?“
Michael räusperte sich, aber er sagte nichts.
„Was ist los? Was wird hier gespielt?“
Schließlich antwortete Michael. „Wir bekamen Besuch gestern Abend. Wie alle Zeitungen aus der Region. Man hat uns um Vertraulichkeit … naja … gebeten.“
„Vertraulichkeit?“ Laura explodierte. „Was ist vertraulich an einem Ereignis, bei dem es Dutzende Tote gegeben hat?“
Michael druckste immer noch herum. „Man möchte wohl vermeiden, dass es Spekulationen über die Absturzursache gibt.“
„Wer ist ‚man’? Von wem hattest du gestern Besuch?“
„Die beiden trugen Uniformen. Geheimdienst. Deinen Artikel haben sie gleich mitgenommen.“ Er seufzte vernehmlich.
„Schau an!“ In Laura stieg eine heiße Welle empor. Mit zusammengekniffenen Augen starrte sie auf den Telefonhörer, bevor sie antwortete. „Das ist ja sehr interessant! Dann muss ich wohl einen neuen schreiben.“
„Laura! Was hast du vor?“
„Ich werde ihnen helfen, Spekulationen zu vermeiden. Gelernt ist gelernt.“
Während die Kinder und Wilfried frühstückten, saß Laura vor ihrer vollen Kaffeetasse und malte Flugzeuge auf ihre Papierserviette.
„Warum sind sie abgestürzt?“, murmelte sie. „Ich habe gesehen, wie eines explodiert ist. Aber war es wirklich nur eines - oder sind sie vorher zusammengestoßen?“ Sie schloss die Augen, um sich das Bild zu vergegenwärtigen, doch es gelang ihr nicht. „Warum sonst wären sie explodiert?“
„Diese Flugschauen selber sind das Problem.“ Wilfried preste die Lippen zusammen und langte nach den Brötchen. „Früher oder später musste so etwas passieren.“
Laura schüttelte den Kopf. „Da steckt noch etwas anderes dahinter.“
Manni hob den Blick von seinem Marmeladenbrot. „Warum sind sie denn abgestürzt, Pappi?“
„Vielleicht ist etwas kaputtgegangen. Oder sie waren müde. Ein Unfall halt. Genau wie bei Autofahrern, nur viel schrecklicher.“
„Aber du sagst immer, nur Sonntagsfahrer machen Unfälle. Die Italiener sind keine Sonntagsflieger!“
„Noch weiß niemand, warum“, mischte Laura sich ein. „Aber ich werde es herausfinden.“
***
Laura fuhr in das Hotel, in dem die italienische Staffel wohnte.
Ein salopp gekleideter Mann diskutierte lautstark mit der Hotelsekretärin in der Portiersloge. Er war sehr bleich; an seiner Jeansjacke trug er einen Trauerflor. In sein Englisch flossen immer wieder italienische Satzbrocken ein; offensichtlich hatte er Schwierigkeiten, sich verständlich zu machen.
Laura schlenderte zum Kiosk neben dem Empfang. Im Vorbeigehen hörte sie, dass die Sekretärin ihn von einem der toten Piloten sprach. Aber während sie dann in den Zeitschriften blätterte, verstand sie nichts von dem Gespräch; sie war zu weit entfernt.
Schließlich verließ die Sekretärin die Rezeption und kam kurz darauf mit einem Koch zurück. Die beiden Männer begannen eine minutenlange Unterhaltung auf Italienisch, deren Ergebnis der Koch leise übersetzte.
Laura ging an die Bar und bestellte einen Rotwein. Sie setzte sich an die Ecke, sodass der Koch an ihr vorbeigehen musste, um in die Küche zurückzukehren. Als er dann kam, glitt sie mit dem Glas in der Hand schwungvoll vom Barhocker. Sie rempelte ihn an und der Wein ergoss sich auf ihr Kostüm.
Laura fluchte.
Der Koch starrte sie einen Moment an. „Scusi, Signora. Bitte, kommen Sie mit in die Küche; ich werde mich um den Fleck kümmern.“
Sie bemühte sich, zuerst deutlich verärgert auszusehen. Dann lächelte sie. „Danke. Versuchen wir es.“ Sie seufzte laut. „Ausgerechnet Rotwein.“
„Mit Salz geht der Fleck weg; Sie werden sehen.“
In der Küche ließ sie sich auf einem Klapphocker nieder. Der Koch kramte in einem Schrank und zog ein sauberes Geschirrtuch hervor.
„Ich heiße übrigens Laura Schreiner“, sagte sie, als er vor ihr in die Hocke ging. Da er sich daraufhin nicht gleichfalls vorstellte, fuhr sie fort: „Ich sah zufällig, wie Sie einem Landsmann als Übersetzer zu Hilfe kamen.“
Der Koch legte sich das Geschirrtuch auf die Knie. „Eigentlich kann die Sekretärin auch Italienisch, aber zurzeit ...“ Er blickte kurz auf, dann löffelte er Salz auf den Fleck.
Laura war gespannt, wie er auf ihre nächsten Worte reagieren würde. „Das Unglück gestern hat alle sehr mitgenommen.“
Er nickte. „Warum musste das ausgerechnet uns passieren!“
„Ja, warum?“, echote Laura. „Mein kleiner Sohn sagt, die italienischen Kunstflieger seien besser als alle anderen.“ Sie lächelte mütterlich-stolz. „Er kennt sich aus, wissen Sie, so klein, wie er ist.“
„Kinder sind klug; viel klüger als die Eltern.“ Ein Lächeln überzog sein rundes Gesicht. „Ich habe auch einen kleinen Jungen; er ist vier.“
„Meiner ist schon neun. Aber seine Schwester ist vier. Sie geht in den katholischen Kindergarten; vielleicht kennt sie Ihren Sohn?“
Der Koch rieb mit dem Geschirrtuch auf dem eingesalzenen Fleck herum. „Bestimmt. Übrigens, ich heiße Tarcisio.“
Laura wertete das als Signal, dass sie sein Vertrauen gewonnen hatte, und kam auf die Flieger zurück. „Der Gast an der Rezeption trug einen Trauerflor; ist er ein Verwandter der abgestürzten Piloten?“
Tarcisio nickte, während er das Salz von ihrem Rock streifte. „Sisi; und er ist sehr zornig, weil man ihm die Hinterlassenschaften verweigert hat. Man habe die Piloten zum Schweigen gebracht, sagt er.“
„Die Mafia wagt sich an die Luftwaffe? Und dann so? Das glaube ich nicht“, behauptete Laura.
„Nicht die Mafia; die Mafia ist ein kleines Licht gegen die.“
Sie ließ einen Augenblick verstreichen, bevor sie die nächste Frage stellte. „Aber wer war es dann?“
Der Koch erhob sich und stellte das Salzfass neben den Herd. Er kniff die Augen zusammen, als er sie wieder ansah. „Warum fragen Sie das eigentlich alles?“
Laura zögerte. Einen Moment zu lange wohl, denn der Koch runzelte die Stirn.
„Interessiert uns das nicht alle?“
„Warum, Signora?“ Der Koch kam einen Schritt näher und sah ihr eindringlich ins Gesicht.
„Sie haben mich neugierig gemacht“, wich sie erneut aus und lächelte.
„Sie lügen, Signora. Was machen Sie überhaupt hier im Hotel?“
Sie deutete auf ihren Rock. „Das haben Sie doch gesehen; ich wollte einen Wein trinken.“
Tarcisio brummte etwas Unverständliches und versenkte die Hände in den Schürzentaschen. „Dann tun Sie das jetzt; ich bin fertig. Der Rest wird in der Reinigung rausgehen.“
Laura erhob sich. „Ich bringen Ihnen heute Nachmittag die Rechnung.“
Der Barkeeper stellte ihr mit einem freundlichen „Auf Kosten des Hauses“ ein neues Glas Wein auf die Theke. Sie trank und überlegte, was sie als Nächstes tun sollte.
Dann tauchten zwei Männer auf; der ältere in einer Uniform, die sie nicht identifizieren konnte. Der andere trug den leuchtendblauen Overall, den sie von Mannis Fotosammlung kannte. Sie sah genauer hin und entdeckte über dem Offiziersabzeichen auf der linken Brustseite das Symbol der Frecce Tricolore. Dann sah sie am Ärmel des anderen auch die italienische Flagge.
Kurz darauf ging die Hotelsekretärin an ihr vorbei in die Küche und kam mit dem Koch zurück. Während Tarcisio mit den beiden Männern sprach, blickte er mehrmals Laura an. Plötzlich war sie sicher, dass sie über sie redeten.
Während sie darüber nachdachte, was sie nun tun sollte, merkte sie, dass der im Overall immer wieder zu ihr herüber sah. Sie lächelte ihn an. Als er ihren Blick mit hochgezogenen Augenbrauen erwiderte, stand sie auf und ging zu ihnen hinüber. „Kann ich Ihnen helfen?“
„Was suchen Sie hier? Stoff für einen Artikel?“, fragte der Uniformierte in fließendem Deutsch.
Laura zögerte perplex.
„Man vergisst Sie nicht so leicht, Signora. Ich habe gestern gesehen, wie Sie mit dem Militärpolizisten stritten.“
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Annemarie Nikolaus, gebürtige Hessin, hat zwanzig Jahre in Norditalien gelebt. 2010 ist sie mit ihrer Tochter in die Auvergne in Frankreich gezogen.
Sie hat Psychologie, Publizistik, Politik und Geschichte studiert und war u.a. als Psychotherapeutin, Erwachsenenbildnerin, Journalistin, Lektorin und Übersetzerin tätig.
Sie schreibt regelmäßig in der Zeitschrift „Kommune. Forum für Politik Ökonomie Kultur“ und der „akp - Alternative Kommunalpolitik“
Anfang 2001 hat sie mit dem literarischen Schreiben begonnen. Seit der Veröffentlichung der ersten Kurzgeschichten schreibt sie Romane, mit besonderer Vorliebe Historische.
2005 ist ein erster Roman erschienen, ein Gemeinschaftswerk mit zwei anderen Autorinnen: „Das Feuerpferd“.
Weitere Bücher von Annemarie Nikolaus finden Sie auf Smashwords hier: http://www.smashwords.com/profile/view/AnnemarieNikolaus
Mit ihr in Kontakt bleiben:
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Blogs. Werkstatt: http://annes-werke.blogspot.com/ und Fragmente: http://anne-nikolaus.blogspot.com/
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Annemarie Nikolaus schreibt auch in anderen Genres.
Leseprobe aus „Königliche Republik“
(...) Mirella ging zum Haus des Wirts und zog an der Glocke. Es war so still hier – ob alle auf die Piazza gegangen waren? Am Ende gab es dort Wichtigeres zu erfahren.
Schließlich wurde die Tür geöffnet. Eine Frau in einem verblichenen Kleid aus grobem Hanfleinen musterte sie mit griesgrämigem Gesicht. „Die Signorina will zu uns?“
„Mein Bruder hat gestern einen Brief abgeben lassen und ich soll fragen, ob es eine Antwort gibt.“
„Ich weiß von keinem Brief.“ Sie drehte sich um und rief in den Flur: „Giacomo! Giacomo, hast du gestern einen Brief bekommen?“
Irgendwo scharrte ein Möbelstück über Steinboden. Dann quietschte etwas und ein Vogel zeterte. Am Ende des Flurs trat ein Mann mit Bartstoppeln auf den Wangen und einem Ziegenbart unterm Kinn aus einer Tür.
Hier wimmelt es von Ziegen, kam Mirella in den Sinn. Sie hielt sich schnell die Hand vor den Mund, um ihr Lachen zu verbergen.
„Ich habe keinen Brief bekommen!“ Er gähnte ungeniert, während er den Flur entlangschlurfte. Seine Zähne waren von dunklen Flecken übersät; ein Eckzahn fehlte.
„Scandore. – Unser Kutscher hat hier gestern einen Brief ausgehändigt. Dem Edelmann, der bei Ihm zu Gast war.“
„Davon weiß ich nichts.“
Mirella versuchte, ihre Ungeduld mit einem verbindlichen Lächeln zu verbergen. „Ist er wieder da?“
„Wer?“
„Der Edelmann. Er ging kurz darauf weg.“
Der Wirt kam näher und schnürte sich im Gehen die Hose zu. „Wann soll das gewesen sein?“
„Am Nachmittag.“ Mirella trat von einem Fuß auf den anderen. War der Mann so dämlich oder wollte er nicht mit der Sprache herausrücken? „Bitte, es ist wichtig. Mein Bruder erwartet eine Antwort.“
„Am Nachmittag war ich in meinem Wirtshaus.“
„Eben.“ Sie holte tief Luft. „Und der Duca de Maddaloni war am Nachmittag bei Ihm.“
Er riss die Augen auf, als sie den Namen nannte. Aber nur eine Sekunde; dann wirkte er wieder so verschlafen wie zuvor. „Der Herzog hat meine bescheidene Trattoria beehrt wie immer, wenn er sich mit seinen Leuten trifft.“ Das klang schon freundlicher. „Aber von einem Brief weiß ich trotzdem nichts.“ Er zog die Hose ein Stück höher. „Ist Sie sicher, dass der Herzog den Brief in Empfang genommen hat?“
„Wer sonst, wenn nicht er?“
„Ich werde ihn fragen, wenn er wiederkommt.“ Wenigstens hatte er jetzt mit seinen Gegenfragen aufgehört; vielleicht würde er ihr doch etwas erzählen. Das, was Dario ihr verschwieg.
„Wann?“
Giacomo musterte sie von oben bis unten, während er nachdachte; so lange, bis seine Frau ihn in die Seite stieß. Hoffentlich hielt die Alte sie für ein harmloses Kind; sonst würde sie ihm nach ihrem Weggehen den Kopf waschen und es wäre vorbei mit seiner Hilfsbereitschaft. Solche Männer standen immer unter der Fuchtel; entweder ihrer Frauen selber oder der Schwiegermütter.
„Käme Sie morgen Abend wieder, dann könnte ich Ihr die Antwort des Herzogs geben. So er eine für Ihren Bruder hat.“ Er bohrte sich in der Nase und betrachtete dann den Popel zwischen seinen Fingern. „Aber ein junges Ding wie Sie sollte abends zu Hause bleiben. Warum kommt er nicht selber?“
Sie reckte den Kopf. „Er hielt es für zu verfänglich.“
Die Andeutung eines Lächelns ging über sein Gesicht. „Vorsichtiger Mann, Ihr Bruder.“ Er trat noch einen Schritt näher und blickte hinaus. „Aber dann sollte Sie auch vorsichtiger sein und nicht mit einer Kutsche kommen, die jemand wiedererkennen könnte.“
Mirella nickte. „Er hat wohl recht. Ich werde morgen Abend das letzte Stück zu Fuß kommen. In dieser Gasse wohnen gewiss nur ehrbare Leute.“ Wie Er, verkniff sie sich zuzufügen. (...)
"Königliche Republik"
. Historischer Roman. Als Taschenbuch und E-Book erhältlich
Neapel 1647: Die ehrgeizige Patriziertochter Mirella Scandore ist mit einem Granden Spaniens verlobt, als sich das Volk von Neapel gegen die spanische Herrschaft erhebt. Neapel erwählt sich den Herzog von Lothringen, Henri de Guise, zu seinem neuen Dogen. Mirella lernt ihn zu schätzen und verliebt sich in einen seiner Offiziere, Alexandre de Montmorency.
Ihr Bruder Dario dagegen bekämpft die junge Republik. Nach einem Anschlag auf das Tuchlager der Familie schließt er sich den feudalen Landbaronen an. Mirella deckt ihn schweren Herzens.
Doch dann plant er ein Attentat gegen den Dogen, bei dem unweigerlich auch Alexandre getötet würde.
***
Leseprobe „Magische Geschichten:
Tara lief mit dem Wind um die Wette. Sie flitzte den Hang hinauf und kletterte dann den ausgetrockneten Bachlauf empor. Erst als sie den Rand des Korkwalds erreicht hatte, blieb sie stehen und drehte sich um.
Nichts! Keine Bewegung, so weit ihr Blick reichte. Doch Zor würde kommen. Es konnte nur wenige Schattenlängen dauern, bis er mit seinen Holzfällern die Klamm durchquert hätte.
Sie reckte den Kopf. Der Dunst über dem Fluss verdichtete sich zu einer düsteren Nebelwand: Wenigstens diesen Zauber beherrschte sie noch. Tara setzte sich ins Gras und winkte dem Nebel mit den Vorderpfoten: In dichten Schwaden kroch er flussaufwärts zur Klamm hinüber; füllte sie bald völlig aus und verdeckte den schmalen Saumpfad. Ein Neigen der langen Ohren und auch das Tal war in undurchdringlichen Nebel gehüllt. Das sollte Zor eine Weile aufhalten.
Erleichtert wandte sie sich ab. Sie betete, er würde in irgendeine Schlucht stürzen. Aber sie wusste, er war zu vorsichtig. In diesem Nebel würde er nur so langsam weiterreiten, wie es der Instinkt seines Pferdes erlaubte.
Tara sprang in den Wald, zwischen wispernden Korkeichen hindurch. Sie liebte es, den Geschichten zu lauschen, die der Nachtwind ihnen zutrug. Aber jetzt durfte sie keine Zeit verlieren, sollte die Flucht vor den Holzfällern gelingen. Vielerorts schon hatte sie mit ansehen müssen, wie Waldbewohner von umstürzenden Bäumen erschlagen worden waren. Oder sich plötzlich gefangen sahen, weil schwere Stämme die Höhlenausgänge versperrten.
Als Tara durch ein Gestrüpp aus Myrten und Zistrosen sprang, stolperte sie plötzlich.
„Has', was schaust du in die Wolken?“, schnauzte Pikko sie an. Drohend hob er eine winzige Axt.
„Zwerg, was stehst du mir im Weg?“, fauchte Tara ihrerseits. „Ich bin in Eile. Holzfäller sind im Anmarsch.“
„Was schert mich das! Ich brauche keine Bäume.“
„Ach tatsächlich? Und wozu dann die Axt?“
„Für das Feuer in meiner Schmiede reichen ein paar Zweiglein. Die lassen sich immer finden.“
Tara wandte sich naserümpfend ab und flitzte weiter. ,Autark‘ nannten die Zwerge ihre Lebensweise; dabei war es nichts weiter als Ich-Sucht. Und Pikko übertraf alle. ...
„Magische Geschichten“
. Als Taschenbuch und als E-Book erhältlich.
Eine kleine Zauberin, ein magiebegabtes Häschen, ein Wassergeist und eine gute Hexe: Magie und Klugheit, Wirklichkeit und Legende verbinden sich in den vier Geschichten zum Schmunzeln und Nachdenken.
Eine Geschichte, in der es darauf ankommt, sich ganz genau zu überlegen, was man sich wünscht. - Zwei Geschichten, die von der Macht der Natur und der Gedankenlosigkeit der Menschen handeln. Und ein Weihnachtsmärchen von etwas anderer Art.
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Leseprobe „Das Feuerpferd“
(...) Im nächsten Augenblick stand Lybios inmitten eines grellen Lichtkegels im Stall von Silvana und Doriano. Nachdem sich seine Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, erblickte er die Geschwister. Sie lagen auf dem Boden und bedeckten ihre Gesichter mit den Händen. Das konnte Lybios nur recht sein. Es blieb wenig Zeit; bald würden sich die beiden von ihrem Schreck erholt haben.
Er stapfte zur Box des Fohlens, legte einen Arm um seinen Hals und blies ihm sanft ins Ohr. Ohne einen Laut erhob sich Feu aus dem Stroh und trabte hinter Lybios aus dem Stall. Sie schlugen den Weg zum Schattensee ein.
Der Waldboden war vom Unwetter aufgeweicht; Lybios kam schwer voran. Dennoch musste er immer wieder auf das Fohlen warten, das auf seinen wackeligen Beinen nicht Schritt halten konnte. In diesem Moment verfluchte er Moghora. Er hasste die Welt der Sterblichen und sie wusste es genau.
Endlich erreichten sie das Ufer des Sees. Lybios öffnete hastig den Lederbeutel. Gleichmäßig verteilte er die Steine zu einem Pentagramm. Er führte Feu hinein, schloss die Augen, umkreiste das Fohlen und begann, einen Zauber zu beschwören.
„Was tun Sie da?“
Lybios zuckte zusammen, als Silvana ihn ansprach. Er hatte nicht erwartet, dass die beiden ihn so schnell finden würden.
„Verschwindet, wenn euch euer Leben lieb ist!“ Doch hier in der Welt der Sterblichen konnten die Menschen ihn überhaupt nicht hören. So blieb die Drohung wirkungslos.
Schnell vollendete er den Kreis um das Fohlen, trat ein zurück und zückte seinen Zeremoniendolch.
„Nein!“ Silvana ging auf ihn zu; ihre Augen blitzten ihn zornig an. „Ich warne Sie, bleiben Sie von dem Pferd weg.“
Feu wieherte, sprang aus dem Kreis und galoppierte davon, als habe er einen Bann abgeschüttelt.
Lybios presste seine Hände auf die Ohren; er ertrug es nicht länger. Diese Sterblichen sprachen in einer Tonhöhe, die beinahe sein Trommelfell platzen ließ. Überhastet murmelte er den Rest der Formel, die den Sprung in seine Welt und zu Moghoras Turm ermöglichte. Eine Wolke aus grellem Licht nahm ihn auf.
***
Zwei kräftige Hände packten Lybios und hielten ihn brutal fest. In seinem Kopf drehte sich alles.
Dies war nicht Moghoras Turm, zu dem er sich zurückzaubern wollte. Beim Zauberspruch am Schattensee musste ihm ein Fehler unterlaufen sein.
Man band ihm die Hände auf dem Rücken zusammen. Geruch von verdorbenem Fleisch drang in seine Nase und ließ seinen Magen krampfen. ...
„Das Feuerpferd“
. Fantasy-Roman. Als Taschenbuch und als E-Book erhältlich.
In einem Gestüt am Schattensee wird in einer Gewitternacht ein weißes Fohlen geboren. Mit seiner Geburt in der Welt der Sterblichen entschwindet die Kraft des Feuers aus dem Schattenreich und der Insel Seoria droht der Untergang.
Der „alte Grint“ versucht, diesen Moment der Schwäche zu nutzen, um das ganze Schattenreich zu unterwerfen. Seorias Herrscherin, die Zauberfürstin Moghora, muss nun in beiden Welten um ihre Macht kämpfen.
Die Bewohner des Gestüts und eines benachbarten Weinguts sehen sich gezwungen, Partei zu ergreifen. Am Ende sind es Menschen, die den Ausgang des Kampfes zwischen Moghora und dem alten Grint entscheiden.
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Texte: Annemarie Nikolaus
Bildmaterialien: Design Annemarie Nikolaus, Foto N. Frank/pixelio.de
Tag der Veröffentlichung: 14.11.2011
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