Ich bin ja nun schon fast 50 Jahren in Oberschwaben. Man sollte glauben, dass mich hier nichts mehr überraschen kann. Aber neulich hatte ich einen Prospekt im Briefkasten und mein innerer Schelm ging wieder mal mit mir durch.
„Ich gehe mal zum Briefkasten“, sagte ich zu meinem Mann und nahm den Schlüssel um hinüber ins Haupthaus zu gehen, in dem sich die Postfächer befinden. Nichts war dort, nur ein gelbes DIN A4 Blatt, welches zweimal gefaltet war. Also Werbung. Keine Zeitschrift, kein Wochenblatt nichts.
So kam ich zurück in die Stube, wo mein Mann schon seinen Sitzplatz gewechselt hatte, um über die Post herzufallen. Mit großem Bedauern gab ich ihm das einzelne Blatt. Sorgfältig faltete er es auseinander und las: „Edeka Markt“. Während ich das Essen zubereitete, las er mir nun Zeile für Zeile laut vor. Ich erfuhr, dass Kiwi 19 Cent kosteten und aus welchem Land sie kamen. Es war mir nicht wichtig, denn dieser Laden war nicht gerade mein Einkaufsziel, nicht mehr. Meine Gedanken gingen zurück, viele Jahre zurück. Vor 30 Jahren ungefähr kam ich an diesem Laden nicht vorbei. Er war damals noch übersichtlich und in der hauseigenen Bäckerei gab es Käswecken. Nicht etwa Brötchen mit Käse belegt, nein luftig lockere Brötchen in denen ein wenig Käse eingebacken war, ein Traum! Ich wäre 10 Kilometer gefahren für einen einzigen Wecken, so lecker waren die! Aber leider liegt die Betonung auf waren, so etwas Gutes gibt es schon lange nicht mehr.
Jetzt war mein Mann auf der unteren Seite der Broschüre angelangt und er las mir noch immer vor. Ganz in Gedanken versunken hörte ich: „Neu in unserem Angebot: Ärschle, 500 Gramm 1,75.“
Während des Mittagessens ging mir das „Ärschle“ nicht mehr aus dem Kopf. Ich musste unbedingt dorthin und mir die neue Brotsorte anbieten lassen. Haben wollte ich es ja nicht, aber ich musste sehen, wie die Verkäuferin ihr neues „Ärschle“ anpreist. Das Angebot würde ich dann mit einem passenden Spruch ausschlagen.
Schnell hatte ich Schuhe angezogen und eine Jacke, dann schob ich auch schon los. „Ich bin gleich wieder da, ich hole nur etwas zum Kaffee!“, rief ich meinem Mann zu. „Schon recht“, war seine einsilbige Antwort.
Die paar Stufen hatte ich schnell überwunden, dann ging es das kurze Gässele hinab zur Hauptstraße, wo schon auf der gegenüber liegenden Straßenseite der kleine Edeka Markt ist. Ich freute mich schon auf das Gesicht der Verkäuferin. Sie ist eine gebürtige Schwäbin, eine Eingeborene, wie ich sie in Gedanken bezeichne. Sie hält sich strikt an die oberschwäbischen Regeln: Immer freundlich alles ernst nehmen und notfalls zum Lachen in den Keller gehen, ja und niemals hochdeutsch sprechen. Ich habe ihr noch nie ein Lachen abringen können, obwohl ich jederzeit einen saublöden Spruch auf der Zunge habe.
Am Eingang waren gerade frische Blumen eingetroffen. Ich konnte nicht widerstehen und suchte einen bunten Frühlingsstrauß aus. Mit den Blumen im Korb trat ich bestens gelaunt an die Bäckertheke.
„Griaß Gott, was derfs denn heit sein?“, begrüßte sie mich lächelnd und natürlich auf schwäbisch. „Ja, die Erdbeertorte sieht ja toll aus, sind die Erdbeeren frisch?“, fragte ich. Ich erfuhr, dass sie aus Kalifornien kamen und natürlich täglich frisch geliefert wurden. „Gut, da nehme ich doch zwei Stückchen, bitte.“ Während sie die Stückchen einpackte, ließ ich meine Augen über das Regal mit dem Brot gleiten, was ihr nicht entging. „Jo hättens vielleicht no a Loible welle?“, fragte sie mich erwartungsvoll.( Also auf deutsch: Möchten Sie noch einen Laib Brot?-) Ich wollte eigentlich gar kein Brot, aber dann fiel mein Blick auf einen Teller mit Brotstückchen zum Probieren. Auch das entging ihr nicht. „Jo, do hätten mer ebbes ganz Nuies im Angebot `s Ärschle. Testen Sie amol!“, forderte sie mich auf, von der neuen Brotsorte zu probieren. Ich langte zu und aß ein Stückchen. Also ganz ehrlich gesagt fand ich keinen Unterschied zu den anderen Brotsorten, außer dass die Form des Brotes ein wenig unanständig war. Auf einem Werbeschildchen war zu lesen: "S´Ärschle", hergestellt aus Dinkel und Emmer.
Neugierig beobachtete sie mich, wie ich bedächtig das Stückchen Brot verzehrte. Dann kam was kommen musste: „Etzele?“ Das heißt also: Wie schmeckt es Ihnen?“ (Etzele oder jetzele kann man auslegen wie man will es passt halt immer.) Sie erwartete jetzt meine Meinung zu dem Brot und ich sagte: „Ja ganz gut, obwohl irgendwas fehlt daran, vielleicht etwas mehr Salz? Nein ich glaube eher etwas Kümmel. Jetzt hab ichs, Pfeffer ist es! Ein wenig Pfeffer ans Ärschle, das könnte nicht schaden!“ Nun, dachte ich, wird sie loslachen, aber nein! Emsig griff sie nach einem Block auf dem sie notierte: Kundin Frau Koch glaubt, das Ärschle sollte mit etwas Pfeffer gewürzt werden.
Dann lies sie den Block in der Schublade verschwinden und erkundigte sich: „Wellet se nun a Ärschle, heit zur Einführung nur 1,75?“
Fast hätte ich gesagt, dass ich Brot essen will und nicht einführen, aber dann kam eine neue Kundin an die Theke und ich sagte laut: „Nee, ich nehm ein „Genetztes“, geschnitten, das mit dem Ärschle muss ich mir noch durch den Kopf gehen lassen, ich war mit meinem alten immer zufrieden.“ Weil sie mich dabei so seltsam anschaute, fügte ich noch hinzu: „Mit der alten Brotsorte mit dem Genetzten.“ Ich täuschte mich nicht, als ich zahlte sah ich ein leichtes Zucken um die Mundwinkel.
(Ein Genetztes ist ein ganz normales rundes Brot, was nach dem Backen mit Wasser genetzt wird.)
Bildmaterialien: Bild Cover: eigenes Foto.
Tag der Veröffentlichung: 01.10.2019
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