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Die Heuernte

Wie jedes Jahr hatte Oma ihre Enkel eingeladen, die Ferien bei ihr zu verbringen. Vor allem die, die in den Städten aufwuchsen, denn nach Meinung unserer Oma brauchten wir frische Landluft und mal ein paar Tage was gutes zum Essen.

Da kamen eigentlich nur Klaus und ich in Frage, denn alle anderen wuchsen auf ihren eigenen Höfen auf. So trafen wir uns immer wieder bei Oma. 

Unsere Oma war eine alte Bäuerin, die immer eine westfälische Tracht trug. Eine war nur für Sonntags und aus Seide, die anderen waren ihre Werktagskleider und die waren aus Kattun. Die Kleider hatten einen leichten Glanz und ich traute mich nie sie anzufassen. Sie saß immer in einem Ohrensessel neben dem großen Herd und beobachtete uns. Ihr entging nichts.

Klaus war ein  Jahr älter als ich und meine Mutter konnte ihn nicht leiden. Er sei viel zu lebhaft und seine Fantasie war grenzenlos. "Der Junge ist doch im Kopf nicht ganz normal", sagte sie einmal zu Oma. Die aber schüttelte den Kopf und sagte: "Kinder mit Fantasie sind kluge Kinder, er wird sicher mal Lehrer oder Pastor." (Er ist später Pastor geworden und war sehr beliebt.)

 

Nun waren Pfingstferien und ich ging inzwischen schon zur Schule. Tante Lilo empfing mich und zeigte mir das Zimmer in dem ich schlafen sollte. Die letzte Knechtskammer war frei und da standen zwei Betten. "Such dir ein Bett aus", sagte sie, "in dem anderen wird Klaus schlafen. Ich hoffe ihr vertragt euch."  "Auch das noch", dachte ich, "Ferien mit dem Spinner in einem Raum."

Klaus kam bald darauf, warf seine Sachen auf das freie Bett und murmelte etwas vor sich hin, was sich wie "Weiberplage" anhörte. 

Er schlüpfte wieder in die Rolle des Königs, nahm seinen Reisigbesen, den er immer als Pferd benutzte und jagte durch die Ställe um seien "Untertanen" zu begrüßen. Alle Hühner und Enten flüchteten als er "angeritten" kam, nur die Truthähne und Gänse jagten ihn in die Flucht. Zu dumm von ihm er hatte ein feuerrotes Hemd an. Erst in der Küche war er in Sicherheit. 

Hilde, die Haushaltshilfe fragte: "Na ist der König wieder im Lande?"

Nach dem Abendessen brachte uns Hilde ins Bett. Wir hätten das allein gekonnt, aber Hilde kannte die schönsten Märchen. Während sie erzählte schliefen wir ein.

Als Tante Lilo uns morgens weckte, hatte ich nicht ausgeschlafen. Wir mussten uns an der Pumpe waschen, einer pumpte der andere wusch sich. Danach waren wir beide wach und stürmten in die Küche zum Frühstück.

"Heute werden wir Mähen", berichtete Onkel Willy, "und wenn wir Glück haben können wir bis Samstag das Heu einfahren."

 Die beiden Knechte mussten mit Sensen die "nassen Wiesen" mähen. Onkel Willy spannte seine Pferde ein und holte den Mähbalken und den Heuwender. Lisa, die Tochter von Tante Lilo, verteilte an uns die kleinsten Heugabeln. Wir zogen Holzschuhe an, die wir Klotschen nannten und maschierten los zu den Wiesen. Ich war enttäuscht, weil wir nicht mit den Pferden mitdurften.

Kurz vor den Wiesen hatte Onkel Willy uns eingeholt. Er stellte den Heuwender ab und hängte den Mähbalken an. Die Pferde wussten genau was sie machen mussten, geduldig trabten sie die Wiese auf und ab. Liesa zeigte uns wie wir das Gras, was außerhalb der Wiesen lag mit der Heugabel aufheben und auf die Wiese werfen sollten. Wir trennten uns, Liesa ging links um die Wiese und wir, Klaus und ich rechts rum. "Dann müssen wir alle nur um die halbe Wiese und sind am Schluss nicht so müde", erklärte sie uns. Wir trafen uns wieder am Ende und ich fand, dass ich noch nicht müde war. 

Jetzt, gab uns Liesa Tee aus der Kanne, und meinte: "Trinkt auch was, danach machen wir weiter.." Onkel Willy war schon an der nächsten Wiese am mähen. "Oh je", dachte ich, "das werden anstrengende Ferien."

Wir schafften noch 2 Wiesen, von denen mir die eine riesig vorkam, dann war Mittagspause. Onkel Willy ließ das Werkzeug stehen und spannte die Pferde ab. Gemeinsam kamen wir auf dem Hof an. In der Küche duftete es nach Eintopf. Mir war es egal was in dem Topf war, ich hatte Hunger.

Beim Essen erfuhren wir dann, dass Klaus und ich nachmittags frei hatten. Liesa durfte auch daheim bleiben wenn sie wollte. Sie wollte nicht, ich glaube sie mochte uns nicht.

Als wir vom Tisch aufstehen durften, steuerte ich direkt mein Bett an, ich wollte mich ausruhen. "Ach komm", bettelte Klaus, "spiel doch mit mir, dann mache ich dich auch zu  meiner Königin." 

"Gut" sagte ich, "aber erst ruhen wir uns ein wenig aus." Er willigte ein und kaum lagen wir in den Betten, da waren wir schon eingeschlafen.

Tante Lilo weckte uns, indem sie laut in die Hände klatschte: "Kommt zum Kaffee, ihr Schlafmützen, Hilde hat Waffeln gebacken." Wie gestochen sprangen wir aus dem Bett. Kurz musste ich mich noch einmal setzen, denn mein Kreislauf war damals schon nicht sehr zuverlässig. Klaus wartete bis ich mich erholt hatte und wir kamen in die Küche. Oma, Tante Lina warteten auf uns und Hilde kam hinzu mit der Kanne voll "Muckefuck", so nannten wir den Kaffee-Ersatz. 

"Wo sind denn die anderen alle?" Die Frage konnte ich mir nicht verkneifen und dachte: "Wenn wir allein sind, gehören alle Waffeln uns." Oma, die mich nicht so mochte wie Klaus schaute mich an: "Dumme Frage die sind bei den Wiesen und kommen erst am Abend."

Wir durften so viele Waffeln essen wie  wir mochten. Lante Lilo forderte uns auf: "Nehmt ruhig noch eine, die sind mit richtiger Sahne. Ich weiß, in der Stadt könnt ihr ja keine Sahne kaufen." Das stimmte allerdings, denn wenn meine Mutter Sahne  zum Obstkuhen wollte, dann machte sie die aus Eiweiß und Zucker und etwas Obstsaft. Die schmeckte auch gut, aber es dauerter Stunden, bis sie die richtig steif gechlagen hatte. 

Als dann beim besten Willen keine Waffel mehr in unsere Mägen passte, erlaubte Oma uns vom Tisch aufzustehen. Jetzt durften wir spielen.

Klaus zeigte mir sein Reich. Von Kuhhausen führte er mich nach Schweinstetten, (Kuh- und Schweinestall) nach Schafsfeld und Ziegenstadt bis zum großen Federreich. Er vergaß in der Eile den Mühlenteich auf dem viele Enten schwammen. 

Da er nun kein rotes Hemd trug, meinten es die Truthähne gut mit ihm und begrüßten ihn mit Gurren wobei sie sich ständig mit dem Köpfen verneigten. Danach fragte er mich höflich ob ich seine Königin werden will. Als ich einwilligte bekam ich auch einen Reisigbesen, damit ich ihn auf seinen Ritten durch das Reich begleiten konnte. 

Auf den Wiesen wendete Onkel Willy den ganzen Nachmittag das Gras und die Knechte und Mägde mussten alles was noch aneinander oder auf dem Boden klebte, mit den Heugabeln auseinander schütteln. Am Abend zogen die Pferde alles mit einer riesigen Harke in Reihen, die dann von den Männern zu großen Haufen zusammen geschoben wurden. 

Nach dem Abendessen waren Klaus und ich die Ersten die in der Kammer verschwanden. Ich war schon fast eingeschlafen, als Klaus im Halbschlaf murmelte: "Der König gedenkt zu ruhen, sein Volk möge eine gute Nacht haben." Mein letzter Gedanke war: "Der spinnt wirklich."

Am nächsten Morgen, gleich nach dem Frühstück, schickte mein Onkel die 2 Knechte und die 2 Mägde auf die Wiesen. Sie sollten die Heuhaufen wieder auseinander schütteln. Danach hatten die dann frei bis zum Kaffee. Wir Kinder wurden nicht gebraucht wir durften spielen, sollten aber nicht den ganzen Hof abbrechen.

Wieder wendete Onkel Willy mit den Pferden das schon leicht angetrocknete Gras. Wenn er alle Wiesen gewendet hatte, fing er bei der Ersten wieder an. Oma schickte uns mittags los, dem Onkel das Essen zu bringen, denn er wollte das schöne Wetter ausnutzen und durcharbeiten. Stolz zeigte uns Onkel Willy wie trocken das Gras nun war. "Jetzt ist es kein Gras mehr, jetzt ist es Heu. Nehmt der Oma eine Handvoll mit, damit sie es begutachten kann." Wir nahmen jeder eine Handvoll und das war gut, denn das Heu wurde unterwegs immer weniger. Die Reste, die es bis auf den Hof geschafft hatten, gaben wir unserer Oma. Sie roch daran und hielt es an die Wange, rieb es zwischen den Fingern und meinte: "Wenn das Wetter nicht dazwischen funkt, könnt ihr morgen einfahren." Oma sprach nur plattdeutsch, ich glaube sie konnte gar kein Hochdeutsch. Ich verstand das schon, konnte es aber nicht sprechen, was sie mir wohl auch übel nahm. Klaus dagegen konnte Plattdeutsch, sprach es aber nur mit Oma.

Zum Kaffee war auch Onkel Willy wieder da. Oma lobte das Heu und er war sichtlich zufrieden. Jetzt mussten die Knechte wieder los, um Heuhaufen zu machen. Oma und Hilde berieten sich, was es morgen zum Essen geben sollte. Kartoffelsalat und Bratwürstchen fand Hilde passend. Wir freuten uns auf das Essen, denn Hildes Kartoffelsalat war immer richtig gut.

Am Abend ritten Klaus und ich noch einmal durch sein Reich und wurden von den Mägden, die gerade am Füttern waren wirsch angebrüllt. "Jetzt nix mehr Krawalle, Hühner schlafen!" Wir flüchteten zu Oma aber die war schon auf dem Weg in ihr Schlafzimmer. Tante Lilo war noch in der Milchküche, es blieb uns nur Hilde, die dabei war das Geschirr abzuspülen. Sie drückte uns ein Geschirrtuch in die Hand und fragte: "Wie wärs mit Abtrocknen?" Ich fragte: "Warum sind die Mägde denn so böse?" Hilde erklärte, dass die Mädchen nicht böse sind. "Sie sind aus Polen und Kriegsgefangene und können deshalb nicht so gut deutsch. Wenn unsere Kriegsgefangenen wieder nach Deutschland kommen, dann dürfen die auch wieder zurück nach Polen.

Das nennt man dann Gefangenen-Austausch."

Ich glaube ich habe das nicht gleich begriffen, denn so wie die sich hier frei bewegen konnten, sahen die nicht aus wie Gefangene. Hilde begann mit "Rapunzel" das Märchen kannte ich gut aber Klaus nicht. Als das Geschirr wieder alles sauber im Schrank stand, brachte Hilde uns in unsere Kammer. Dort erzählte sie das Märchen bis zu Ende, dann löschte sie das Licht und verschwand mit den Worten: "Schlaft gut, morgen Mittag werdet ihr wieder gebraucht."

Ausnahmsweise wurden wir morgens von selbst wach. Das muss an dem Mittagsschlaf gelegen haben, den wir gemacht hatten. Wir gingen uns waschen und waren fast die ersten, die in der Küche auftauchten. Nur Hilde und Oma waren schon da. Kaum hatten wir unsere Plätze eingenommen, da erschien einer nach dem anderen und bald waren alle auf ihren Plätzen. Der Tisch war gut gedeckt und jeder nahm, was ihm schmeckte. Ich glaube ich habe jeden Morgen Stutenbrot mit Butter gegessen, das war hier so lecker. 

 Die beiden Knechte mussten wieder die Heuhaufen auseinander streuen. Alle anderen sollten nach dem Mittagessen eine Stunde ruhen, danach sollten wir uns auf der Dehle versammeln um auf dem großen Leiterwagen mitzufahren. Onkel Willy spannte die Pferde vor einen Leiterwagen, hängte den Heuwender hinten an und fuhr los. 

Klaus und ich nutzten die Zeit, durch unser Reich zu reiten. Die Hühner waren mit Eierlegen beschäftigt und die Truthähne waren auf dem Hof und fraßen Brennesseln. Alles war friedlich. Als wir uns überzeugt hatten, dass auch keine Feinde unser Reich bedrohten, ritten wir wieder zurück und schauten Hilde zu, die gerade die Kartoffeln gekocht hatte. Sie gab uns jedem ein kleines Messer und meinte, dass wir alt genug wären um Kartoffeln zu pellen. Nebenbei erzählte sie bereitwillig ein Märchen. ich will nicht behaupten, dass wir eine große Hilfe waren, aber wir bemühten uns redlich. 

 Als der Salat fertig war, brachte sie ihn in die Speisekammer, das war ein Raum neben der Küche ganz ohne Fenster. Dort war es  immer kühl.

Wir freuten uns schon auf die Fahrt mit dem Leiterwagen und schauten laufend auf die Küchenuhr. Hilde fiel immer wieder etwas ein womit sie uns beschäftigte. Sie gab uns einen Korb und schickte uns in den Hühnerstall die Eier aus den Nestern zu holen. Wir brachten den Korb halb voll in die Küche und sahen die große Pfanne auf dem Herd, in der die Bratwürstchen brutzelten. Jetzt konnte es nicht mehr lange dauern, denn Hilde deckte den Tisch ein. Um 12 Uhr saßen alle um den Tisch herum. Onkel Willy kam als Letzter, er hatte die Pferde noch gefüttert und getränkt. Bis um 14.°° Uhr war Mittagsruhe. Wir gingen auch in unsere Kammer aber wir wollten nicht schlafen. So erzählten wir von der Schule und von zu Hause und Klaus erzählte mir, dass er manchmal mit seinem Vater auf den Fußballplatz geht. Dabei kam er so ins Schwärmen und wir vergaßen beinahe die Zeit. Wir hörten Onkel Willy wie er die Pferde anspannte und beeilten uns nichts zu verpassen. Schnell stellten wir uns zu den anderen und als es hieß: "Einsteigen", da waren wir die ersten die hinauf kletterten.  Die Fahrt hatte ich mir angenehmer vorgestellt. Die vielen Schlaglöcher auf den Wegen taten meinem Hintern nicht gut und ich muss wohl auch gejammert haben, denn Onkel Willy lachte und rief: "Lieber schlecht gefahren, als gut gelaufen." Wir kamen aber alle an den Wiesen an und unser Onkel rief: "Die Kinder bleiben auf dem Wagen alle anderen steigen bitte ab." Liesa war auch mit auf dem Wagen und die sollte uns zeigen was wir tun müssten. Schließlich kam Irmgard noch zu uns, sie ist die ältere Schwester von Liesa. Nun ging es zügig von Heuhaufen zu Heuhaufen. Das Heu wurde auf den Wagen geworfen und wir mussten es festtrampeln. Die Ladung wurde immer höher. Irmgard achtete darauf, dass alles gut aufgepackt wurde. Zum Schluss brachten die Männer den großem Heubaum, der wurde oben auf dem Heu mit Seilen befestigt. Mir war ganz übel, ich konnte nicht hinunter gucken. Onkel Willy fuhr jetzt mit der ersten Fuhre heim und wir durften oben sitzen bleiben. Ich hatte Angst und hielt mich krampfhaft an dem Heubaum fest. Daheim stellte man uns eine Leiter hin und wir konnten absteigen. Nun nahm Onkel Willy den großen Mühlenwagen mit auf die Wiesen, darin war weitaus besser fahren, der hatte Gummireifen. Wir beluden einen Wagen nach dem anderen und daheim waren der junge Müller und der Lehrjunge die machten die Wägen wieder leer. Alles kam auf den Heuboden, wo Tante Lilo und Hilde das Heu schichteten. Bis am Abend waren alle Wiesen abgeräumt, nur drei volle Ladewägen standen noch auf der Dehle. 

Für heute war Feierabend, alle gingen zum Abendessen. Oma lobte alle, die geholfen hatten, so viele Fuhren an einem Tag einzubringen. "Wenn alles Heu versorgt, und die Dehle wieder sauber ist, könnt ihr Freunde einladen und einen Tanzabend machen." Oma war immer noch die Chefin auf dem Hof, und was sie sagte das galt. 

Wir waren fast zu müde zum essen und als wir im Bett lagen sagte Klaus: "Ich bin tot wie tausend Mann."

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Bildmaterialien: Bilder: J.H. Grüneberger/moz.de
Tag der Veröffentlichung: 14.09.2019

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