Die Quelle im Finsterbach-Wald
Wenn Siggi und Anne-Katrin abends von ihren Streifzügen heim kamen, hatten sie immer viel zu erzählen.
Eines Tages kamen sie ganz aufgeregt zur Tür herein gestürmt: "Mama, wir haben heute was ganz Tolles entdeckt, eine Quelle mitten im Wald mit Pflanzen -, riesengroß!" "Ja, ein richtiges Riff", fügte Anne-Katrin hinzu.
"Ein Riff?", fragte ich nachdenklich, "das kann fast nicht sein, denn sowas gibt es auf Hoher See, daran ist schon manches Schiff zerschellt."
Anne-Katrin bemühte sich jetzt mir das Riff genau zu erklären: "Also das Riff ist natürlich nicht so groß wie im Meer, aber etwas Meer haben wir da auch, nur alles in Kleinformat."
"Na gut", lenkte ich ein, "und was ist mit den Pflanzen, sind die nun riesengroß oder auch doch etwas kleiner?"
"Nein, die sind echt enorm!", versicherte Siggi. "Am besten gehen wir am Sonntag alle dahin," schlugen die zwei Mädchen vor.
Der Vater von Anne-Katrin war immer für Abenteuer bereit, mein Mann hingegen hatte schon wieder Sonntagsdienst. Nach dem Essen zogen wir los: Die Eltern von Anne Katrin, ihr jüngerer Bruder, Siggi und ich.
Das Wetter war gerade richtig für einen Waldspaziergang. Auf den alten Trimm-Dich-Pfad, er wurde kaum noch genutzt, gingen wir zunächst Richtung "Ententümpel". Da kannten die beiden Freundinnen schon jeden Winkel. Jörg, der kleine Bruder von Anne-Katrin wollte gern auf den im Wasser liegenden Baum klettern. Aber das war seiner Mutter gar nicht recht, denn die Mädchen hatten den schon vor einigen Tagen beklettert und waren am Ende im Sumpf gelandet. "Heute ist Sonntag, da macht man sich nicht schmutzig!", bestimmte sie.
Am Ende des Teiches standen zwei Bänke inmitten von weißen Waldblumen und blauen Veilchen. Die Vögel zwitscherten und die Frösche quakten. Wir ließen uns ein wenig Zeit bevor wir weiter wanderten. Jetzt mussten wir den Weg verlassen und es ging auf einem Trampelpfad weiter. Nach wenigen Metern wurde der so schmal, so dass wir nur noch im Gänsemarsch vorwärts kamen. Alle waren gut gelaunt und da wir immer tiefer in den Wald kamen stimmten die Kinder ein Lied an. Gemeinsam sangen wir aus vollem Hals: "Wir wollen zu Land ausfahren."
Ein Rudel Rehe flüchtete über einen Hügel. Siggi fragte: "Haben wir die jetzt erschreckt?" "Ich glaube nicht," bemerkte ich schelmisch, "die sind bei Verwandten zum Kaffee eingeladen." Die Mädchen, die voraus gingen wurden immer schneller, während ich schon fast schlapp machen wollte. Plötzlich erkannte ich den Grund der Eile, das Ziel lag vor uns. In einer Senke ragte ein Findlind aus dem Waldboden heraus.
"Ist das nun euer Riff?", erkundigte ich mich vorsichtig. "Ja schon, aber wir müssen zuerst den Hügel hinunter dieses hier ist nur die Rückseite, das Riff ist viel größer." erklärte Anne-Katrin. Ihr Vater wagte einen Blick nach unten und staunte: "Oh ja!"
Alle waren schnell unten aber wir Frauen ließen uns Zeit, denn keine von uns wollte auf dem Hinterteil landen.
Als wir endlich bei dem Findling um die Ecke bogen, verschlug es uns dann aber doch die Sprache. Der Felsen war mindestens fünf Meter hoch, auf der einen Seite schroff, wie abgehackt, auf der anderen erstreckte er sich über mehrere Meter bis er am Schluss im Waldboden versank. Das Ganze sah einer Gebirgskette gleich. Daneben waren noch mehrere kleinere Felsbrocken zu sehen, wo sich die Quelle vom Finsterbach den Weg gebahnt hatte. Eiskaltes Wasser fiel plätschernd auf allerlei Geröll.
Die Sonne schien durch ein paar lichte Bäume und gab dem Wasser einen Schimmer von Gold und Silber. Das klare Quellwasser sammelte sich in einem kleinen Teich, der durch das herabstürzende Wasser immer in Bewegung war. Hin und wieder klatschte eine kleine Welle an die Felswand. Rund um das Wasser säumten gigantische Pflanzen das Ufer. Voller Bewunderung betrachteten wir die Gewächse und stellten fest, dass es keine Wald-Blumen waren sondern, solchen wie die Gartenbesitzer sie an ihren Gartenteichen anpflanzen.
Anne-Katrins Mutter, die von Beruf Lehrerin war, erklärte den Kindern, dass die Vögel den Samen hierher gebracht haben. Sie picken die Samenkörner in den nahen Vorgärten und kommen hierher zum Trinken, weil das Wasser immer frisch und sauber ist. Besonders Vögel mögen stets sauberes Wasser. Auch die Rehe kommen hierher zum Trinken, daher der schmale Trampelpfad.
Abschließen entdeckten wir die Stelle zwischen den Pflanzen, wo ein Rinnsal sich den Weg durch den Wald bahnt um als kleiner Bach durch die Felder und Wiesen zu fließen.
"Gefällt Euch unser Riff?" Siggi und und ihre Freundin waren sichtlich stolz auf ihre Entdeckung.
"Und wie es uns gefällt, der Ausflug hat sich wirklich gelohnt.", gab ich zu. Ich hatte allerdings Bedenken die Tiere die hier zum Trinken herkamen könnten sich gestört fühlen, wenn laufend Kinder hier auftauchten. Deshalb bat ich die Mädchen nicht öfters als zwei mal im Jahr hierher zu kommen. Wir schlugen vor: Ostern und einmal in den Sommerferien. Die Kinder waren einverstanden.
Einmal schauten wir noch auf das "Riff", dann traten wir den Heimweg an. Unterwegs stellten wir fest: Wie gut, dass der nächste Waldweg so weit entfernt ist, sonst kämen ganze Scharen von Menschen hierher, an diese so wunderschöne Stelle.
Cover: Bild Cover: Manuela Schauten
Tag der Veröffentlichung: 26.04.2018
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