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Sieben Hühner

Auf dem Titelbild, das bin ich. Damals war ich vier Jahre alt und war gerade einen Monat bei meinen „Neuen Eltern“. Ja, ich vermisste meine Geschwister und dachte viel an Mama und Elisabeth, aber die waren beide tot.

Zwar hatte man mir gleich eine Puppe geschenkt, aber ich saß oft mit ihr auf der Bank und dachte an mein Zuhause. Hier fühlte ich mich so einsam, außer der neuen Mutti und dem Vati, war nur noch ein Schweinchen im Stall. Nicht einmal Hühner hatten wir jetzt und damit hatte ich daheim oft gespielt wenn die „Großen“ in der Schule waren.

Vati gab sich viel Mühe, mir etwas Abwechselung zu bieten. Er montiete mir eine Schaukel in den Kirschenbaum und ließ mir eine Fuhre Sand kommen. Nun spielte ich in dem Sandhaufen und backte Kuchen für Opa Baumeisters Hühner, die immer an den Zaun kamen.

Als Weihnachen vorbei war wollte Mutti für Silvester Heringssalat machen. 

Da hörte ich wie sie schimpfte: “Jetzt kann ich keinen Heringssalat machen, ich habe keine Eier!” “Dann mach ihn ohne Eier.”, schlug Vati vor. Ich hatte ja keine Ahnung was Heringssalat war, aber wenn das nun so wichtig war, dann könnte ich ja bei Opa Baumeister fragen, der hat Hühner und ist immer so freundlich zu mir. Die Idee fand Mutti nicht übel und ich ging ins Nachbarhaus. Der Opa hatte aber nur zwei Eier für mich. “Im Winter legen die Hühner nicht so viele Eier”, sagte er.

Mutti schaute die Eier an, und meinte: "Es wird schon gehen, wenn ich Eipulver dazu nehme." 

Mutti hatte mir immer verboten von “Zuhause” zu sprechen, aber jetzt rutschte es mir heraus: “Warum haben wir eigentlich keine Hühner? Wir hatten daheim sieben und immer Eier.” Ich wollte noch mehr erzählen, aber Mutti wurde rot im Gesicht und in den Augen hatte sie ein gefährliches Blitzen. Schnell versteckte ich mich hinter Vati, der mich schützend an die Hand nahm. “Sie hat Recht”, sagte er, “und wir haben doch einen leeren Stall da hat es Platz genug.”

In den nächsten Wochen machte Vati einen schönen Hühnerstall. Er fragte mich immer wie wir es denn zu hause hatten, und ob die Nester für die Eier unten oder oder etwas höher mussten. Vati wusste genau wie Hühnerstall auzusehen hatte, aber er gab mir das Gefühl es ganz nach meinem Wunsch zu machen. Zum Schluss streuten wir mit Stroh ein und polsterten die Nester mit Heu aus. Jetzt fehlten uns nur noch die Hühner.

Mutti hatte die Zeit genutzt und an ihre Schwestern geschrieben sie sollten ihr bitte, wenn sie zur goldenen Hochzeit der Großeltern kämen, jede ein Huhn mitbringen. Alle hatten große Bauernhöfe und konnten somit auch ein Huhn entbehren, denn kaufen konnte man ja nichts, es war immer noch Krieg. Vati hatte zwei Kusinen, die versprachen auch ein Huhn beizusteuern.

Dann kam der große Tag an dem sich die ganze Verwandtschaft traf um die goldene Hochzeit zu feiern. Mutti hatte außer ihrem Köfferchen, das sie immer bei ihren Eltern mit Lebensmitteln füllte, eine große Tasche mitgenommen, da hatte es Platz für die Hühner.

Wir waren alle enttäuscht, als zwei ihrer Schwestern ohne Huhn ankamen. Die Lieblingsschwester von Mutti, die im Sauerland wohnte, wollte das Huhn auf der langen Bahnfahrt nicht mitnehmen. Die Älteste, dagegen versprach ihr eines, wenn wir zu Besuch zu ihr kämen. So fuhren wir mit drei Hühnern heim. Als wir die Namen vergaben bekamen sie die Namen der Tanten von denen die Hühner waren: Anna, Minna und Lotte.

Am nächsten Tag kam eine Kusine von Vati, die hatte nicht richtig verstanden um was es ging, und brachte ein dickes, fettes, braunes Suppenhuhn. Mutti wollte gar keine braunen Hühner, sie wollte weiße, weil die angeblich fleißiger legen täten.

Da Mutti das Suppenhuhn nicht bezahlt hatte, dauerte es nicht lange, da kam die Tante wieder. Dieses Mal hatte sie zwei schöne, weiße Hühner dabei. Sie kam absichtlich etwas später, damit sie Vati antraf, denn dann war sie sicher, dass sie eine Kiste Zigarren dafür bekam und Zigarren waren zu der Zeit mehr Wert als Geld. Ein Huhn nannten wir Paula, und das andere Liese. Jetzt waren es fünf.

Bei Tante Luise holten wir die nächste Henne. Die Tante wohnte im Wiehengebirge und man musste lange durch den Wald. Sie hieß Glösemeier und wohnte in Glösinghausen. Ich habe immer überlegt, ob ihr das ganze Dorf gehörte?

Vatis zweite Kusine war mit einem Herrenschneider verheiratet. Bei ihm ließ er immer seine Anzüge maßschneidern. Von ihr bekamen wir das siebte Huhn. Da die Tante aber auch Lotte hieß und der Name schon vergeben war, nannten wir es nach langem Überlegen “Ilsabein”. Das Huhn war besonders schön und groß gewachsen es sollte später mein Lieblingshuhn werden.

Als unsere Hühner sich an den Stall gewöhnt hatten, sollten sie hinaus in den großen Garten. Da kam Mutti mit ihren Bedenken: "Ja aber die Nachbarn unten am Garten haben auch weiße Hühner und wenn da eines hinfliegt, behaupten sie das wäre ihres, wir müssen sie irgendwie kennzeichnen." Vati überlegte lange, dann ging er an seinen Schreibtisch und holte das Glas mit der Stempelfarbe. "Dann machen wir den Hühnern einen Punkt auf den Rücken, die Farbe geht nicht so schnell ab und wir erkennen sie immer." Mutti gefiel die Idee.

  Als es dunkel war, holten wir ein Huhn nach dem anderen von der Stange und Vati machte einen ganz kleinen Punkt oben auf den Rücken. Nun waren alle Hühner gekennzeichnet und gleich morgen könnten sie in den Garten. Vati war stolz auf seine Idee und Mutti war zufrieden.

Am nächsten Morgen konnte ich es kaum erwarten bis ich nach dem Frühstück die Hühner hinauslassen durfte. Ich rannte durch den Flur zum Stall und öffnete die Stalltür. Im ersten Augenblick bekam ich so einen Schreck, dass ich wie angewurzelt da stand und den Mund zwar zum Schreien geöffnet hatte, aber keinen Ton herausbrachte. Schließlich schrie ich: "Mutti komm schnell, das musst du sehen!" Mutti kam angelaufen und schaute in den Hühnerstall. Alle Hühner hatten einen schönen breiten lilafarbigen Kranz um den Hals. Je länger wir hinschauten desto besser gefiel es uns.

"Lass sie in den Garten, vielleicht regnet es und dann geht alles ab", meinte sie. Ich ließ die Hühner hinaus und blieb bei ihnen damit sie sich nicht verliefen. Es dauerte auch nicht lange, da kam die erste Nachbarin an den Zaun. "Sag mal, was ist denn das für eine seltene Hühnerrasse?", fragte sie mich. Ich überlegte nicht lange und sagte nur: "Da fragen Sie mal den Vati, ich weiß es nicht mehr."

Übrigens ging die Farbe auch bei Regen nicht ab, erst als die Hennen in die Mauser kamen wuchs ihnen wieder ein weißes Federkleid. 

 

 



Impressum

Bildmaterialien: Cover: eigenes Foto
Tag der Veröffentlichung: 06.08.2017

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