Cover

Der gestrickte Badeanzug

 Der gestrickte Badeanzug

 

Ich war elf Jahre alt, als ich zum ersten Mal mit meiner Schulklasse ins Schullandheim auf die Insel Wangerooge durfte. „Vergesst eure Badesachen nicht“, ermahnte uns Fräulein Bockmann, „wir werden viele schöne Badetage haben!“

Mir verging augenblicklich die Vorfreude und ich muss wohl auch ganz blass geworden sein. „Was ist los Anne? Ist dir schlecht?“, fragte Lore, die sich gerade zu mir umdrehte. „Ich habe gar keinen Badeanzug.“, gestand ich. Mein Badeanzug war mir schon im letzten Jahr viel zu klein und er war altmodisch. „Ich verstehe dich nicht, geh zu deinem Onkel, der verkauft welche.“, flüsterte Lore.

Lores Eltern hatten ein großes Modehaus, sie bekam was sie wollte. Onkel Heini hatte einen kleinen Textilladen und würde von mir mindestens den Einkaufspreis verlangen. Auch meine Mutter müsste einverstanden sein und eben das konnte ich vergessen.
Zuhause ging meine Mutter die Liste durch mit den Dingen, die in den Koffer sollten. Sie legte die Liste beiseite und fragte: „Was ist mit dem grünen Badeanzug, der passt doch sicher noch?“ Ich holte das alte Kleidungstück aus meinem Schrank legte es unsanft auf den Tisch und maulte: „Der passt mir schon lange nicht mehr. Können wir nicht bei Onkel Heini einen neuen kaufen?“
„Nein, für so etwas haben wir kein Geld!“, sagte sie mit einem ganz energischen Ton. Mir war klar, sämtliche Versuche sie umzustimmen waren zwecklos. Sie ging an ihren Wäscheschrank und mit gezieltem Griff brachte sie ein blau weiß gestreiftes Etwas zum Vorschein. „Ich gebe es dir ja nur ungern, das habe ich getragen als ich auf Wangerooge war.“ Dabei hatte ihre Augen plötzlich ein Leuchten und sie fügte hinzu: „Ich hatte den schönsten Badeanzug und alle haben mir nachgeschaut.“
Ja gut, ich glaubte es ihr auch, aber das war dreißig Jahre her! Das wunderschöne Ungetüm, hatte sogar einen Matrosenkragen und kurze Ärmel. Ein gestreiftes Röckchen verdeckte eine „Liebestöterhose“, also das Höschen hatte „Beinchen“. Meine Mutter glaubte, dass ich vor Freude weinte, als mein Vater die Küche betrat.
Vati schmunzelte, als er das vorsintflutliche Badekostüm auf dem Tisch liegen sah. „Das kannst du Anne nicht in den Koffer packen, so etwas trägt man nicht mehr.“, klärte er meine Mutter auf. Die reagierte total entrüstet und stellte klar, dass man bei Kindern in meinem Alter nicht auf die Mode Rücksicht nehmen müsste.

Ich musste das Badekostüm anziehen. Da meine Mutter sehr klein war, passte es auch. Nur im Oberteil fehlte mir das nötige Material zum ausfüllen. Mein Vater mischte sich nur ungern ein aber er bestimmte: „Pack dein gutes Stück wieder in den Schrank, vielleicht wird es wieder modern, aber es kommt nicht in den Koffer!“
Ach wie liebte ich ihn!
Meine Mutter stellte fest, dass sie noch drei Tage Zeit hatte um mir nun einen neuen Badeanzug zu stricken.
Sie konnte fabelhaft stricken, kannte die schönsten Muster und sie begann auch gleich mit der Arbeit. In einer Schublade hatte sie Wollvorräte. Das Meiste war Schafwolle, von meinen Tanten handgesponnen. Mutter wählte eine dunkelgraue Wolle aus, die sie sonst zu nichts brauchen konnte, weil sie kratzte. Ich traute mich nicht zu bemerken, dass die mir gar nicht gefiel sondern war froh überhaupt einen Badeanzug zu bekommen. Sie gab sich Mühe, das Muster war schön, während die Form und die Farbe nicht gerade meinen Vorstellungen entsprachen. Einen Tag vor der Abreise war er fertig und ich machte die Anprobe. Ja er passte und das er kratzte war mir egal, im Wasser würde mich das sicher nicht stören.
Am nächsten Morgen saßen wir im Zug Richtung Nordsee. Die Sonne schien durch das Fenster in unserem Abteil und ich genoss ihre Strahlen, schloss die Augen und träumte von Sonne, Meer und weißem Sand. Ich sah mich in meinem neuen Badeanzug und war die Schönste am Strand. Mich störte nicht einmal die dunkelgraue Farbe. „Grau ist elegant“, hatte meine Mutter gesagt. Wie lange ich so vor mich hin döste weiß ich nicht. Fräulein Bockmann rüttelte mich am Arm: „Wir müssen den Zug jetzt verlassen, nimm deinen Koffer mit!“
Die Fähre brachte uns auf die Insel und als wir uns eingerichtet hatten erkundeten wir das Umfeld. Strand, unendlich groß und Wasser so weit das Auge blickte! Genau so hatte ich mir einen Sommerurlaub vorgestellt.

Mit einem Handtuch unter dem Arm, machte ich mich am nächsten Morgen auf, um in den Dünen ein ruhiges Plätzchen zu finden. Einfach vor mich hin träumen und mich von der Sonne verwöhnen lassen. Ich wollte braun werden, wie viele meiner Klassenkameradinnen. Schnell fand ich einen wunderbaren Platz, mit Blick aufs Meer und abseits der Trampelpfade. Dort zog ich mein Kleid aus und legte mich mit meinem neuen gestrickten Wollbadeanzug auf das ausgebreitete Handtuch.
Die Sonne wärmte mir meinen Rücken, es war eine Wohltat. Fasziniert schaute ich den heranbrausenden Wellen entgegen und die Sonne ließ das Wasser im schönsten Blau strahlen. Ja, ich sollte ein paar Verse reimen, denn das war mein heimliches Hobby. Heimlich, weil ich Angst hatte überall auf Unverständnis zu stoßen, denn übliche Hobbys sahen anders aus. Zum Beispiel Schwimmen, Handball oder was zu der Zeit auch nicht selten war, Handarbeiten.
So sehr ich mich auch bemühte, mir fielen keine Verse ein. Andauernd schwirrte mir der Spruch in meinem Kopf herum, den mein Vater beim Anblick von Wasser und Sonne preiszugeben pflegte:
Die Sonne sandte ihre Strahlenspitzen hinunter bis auf des Meeres Grund,
die Fische fangen an zu schwitzen, oh Sonne treib es nicht so bunt.
So in Gedanken versunken und von der Sonne hypnotisiert, dauerte es nur wenige Minuten bis ich eingeschlafen war. Gerade saß ich in einer Schaukel und flog so hoch, dass die Sonne zum Greifen nah war, da schreckte mich die Mittagsglocke auf. Eilends streifte ich mein Kleid über und rannte zum Speisesaal. Mein Rücken war heiß und brannte. Ich bat meine Tischnachbarin nachzusehen warum mein Rücken so schmerzte und warum meine Schultern wie Feuer brannten.
„Iiiihhh!“, schrie Christa, die neben mir saß, „das sieht ja ekelhaft aus, das fasse ich nicht an!“ Alle sprangen von ihren Plätzen auf um zu gucken. Warum war ich nicht in den Dünen geblieben? In meinem Koffer suchte ich nach der Nivea-Creme. Da kam Lore in den Saal. Sie war nicht meine Freundin, aber immer für jeden da. „Zeig mal“, forderte sie mich auf. „Mensch Anne, wo warst du denn, das ist ein Sonnenbrand!“ Sie hatte die passende Salbe in ihrem Koffer und rieb mich damit ein. Dann zog sie aus meinem Koffer ein Satinblüschen und zog es mir vorsichtig an. „So müsstest du es aushalten bis heute Abend und dann schmiere ich dich noch einmal ein.“ Ja wenn wir die Lore nicht hätten, die wusste alles und hatte immer und für jeden einen Rat.
Nach ein paar Tagen schälte sich die Haut und der Schmerz war fast vergessen. Natürlich saß ich wieder in den Dünen, zwar etwas vorsichtiger aber genau so verträumt wie zuvor.
Die Lehrer steckten gemeinsam mit dem Heimleiter am Strand den Badeteil ab und sicherten ihn mit einem Netz, welches die Quallen fernhalten sollte. Wenn jetzt die Flut kam, konnten wir baden. Ich freute mich riesig darauf. Im offenen Meer zu schwimmen soll angeblich etwas ganz Besonderes sein, hatte man mir erzählt.
Tatsächlich wurden wir nach dem Mittagessen aufgefordert unsere Badesachen mit an den Strand zu nehmen. Da ich keinen Bademantel hatte, nahm ich ein Handtuch und zog gleich meinen Badeanzug an. Darüber ein Kleid. Vor allen Anderen hätte ich mich niemals umgezogen. Ich glaube, ich genierte mich sogar vor meinem Spiegelbild.
Unsere Lehrerin ging nicht ins Wasser. Aber die von der anderen Klasse und die beiden jungen Lehrer, die stürmten alle gemeinsam mit uns ins Meer. Die Lehrerin Frau Roth, die zufällig meine Nachbarin war, trug einen Bikini, was derzeit völlig unüblich war. Es war nahezu anstößig. Zumal sie nicht einmal die dazugehörige Figur hatte. Das Oberteil des anstößigen Kleidungstückes hing an dünnen Trägern, und war sichtlich überfordert mit dem Gewicht was es tragen musste. Mann war mir das peinlich! Schließlich wohnte sie in unserer Straße. Ich schwamm in die andere Richtung damit sie mich nur nicht ansprach.
Es war schon ein Genuss in einem Meer zu schwimmen! Mit der Zeit wurde mein Badeanzug immer schwerer und zog mich unweigerlich nach unten. So kam es dann auch, dass ich ermüdete und langsam dem Ufer zu schwamm. Als ich wieder Boden unter den Füßen hatte, stellte ich fest, dass ich oben rum nackt war. Mein Badeanzug hing bis an den Knien, gehalten von einem dünnen Kördelchen. „Ach Gott was ist los?“, fragte ich mich. Niemals würde ich so aus dem Wasser kommen! Ich beschloss zu warten bis alle den Strand verlassen hatten.
Nun befürchtete ich, dass es auch schon sämtliche Schüler gesehen hatten, denn soeben brach ein furchtbares Gelächter aus. „Ja ich werde umkehren und weit hinausschwimmen wo mich kein Mensch mehr findet.“, beschloss ich und weinte leise vor mich hin. Da kam Lore auf mich zugelaufen. Sie reichte mir ihren Bademantel und nahm mich mit an ihren Platz.
Dabei sagte sie keinen Ton, und half mir schweigend aus dem Badeanzug. „Alle lachen mich aus!“, jammerte ich. „Stimmt doch gar nicht, keiner hat was gesehen, schau die haben was anderes zum Lachen.“ Lore zeigte dezent auf Frau Roth. Der war ein Träger von ihrem tollen Bikini gerissen und einer ihrer prallen Brüste wurde mit großem Jubel von den Schülern begrüßt.

Ich rang mir ein Lächeln ab.

 

 

 

 

Die Sonne in den Wechejahren

 

Die Sonne in den Wechseljahren.
Sie lässt jetzt öfters "Einen" fahren 
und kommt das an der Erde an,
dann gibt es dort einen Orkan

AK.

Impressum

Bildmaterialien: Cover: Kostenlose Bilder von Google, bearbeitet von Sweder v. Rencin
Tag der Veröffentlichung: 14.06.2016

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /