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Die Radtour

Das erste Osterfest, an das ich mich erinnere, erlebte ich bei meinen „neuen Eltern“.

Wir wollten zu Oma und Opa fahren. Weil aber die Züge während des Krieges nicht immer zuverlässig fuhren und wenn sie fuhren, maßlos überfüllt waren, wollte Vati mit dem Fahrrad fahren. Mutti war nicht begeistert von der Idee, weil sie ja da keinen Hut aufsetzen konnte. Wenn sie das Haus verließ trug sie immer einen Hut.

Vati ging in den Keller und holte die Sonntags-Räder herauf. Für solche Anlässe hatte er vor dem Krieg neue Fahrräder gekauft die putze und ölte er ausgiebig für die Fahrt zu den Großeltern.

Mutti suchte nach passender Kleidung meistens trug sie Kostüme, maßgeschneidert mit engen Röcken, jetzt suchte sie nach einem passenden Kleid und da hatte sie nichts, was sie nicht schon jahrelang im Schrank hatte. Kurzum, ihre Laue war nicht die Beste.

Während Vati fröhlich pfeifend die Fahrräder polierte, bügelte Mutti für mich ein weißes Leinenkleid, bestickt mit Kornblumen, Klatschmohn und Vergissmeinnicht. Ich konnte weiße Kleider nicht leiden, man sah darauf jeden Fleck und die Flecken flogen immer direkt auf mein Kleid zu. Jetzt war meine Vorfreude auf Ostern auch getrübt.

Vati zeigte mir die schönen Gepäckträger an den Fahrrädern und versprach, dass ich da ganz gut drauf sitzen würde.  

Ich war schon ganz aufgeregt und konnte gar nicht einschlafen. Mit dem Fahrrad, und das hatte Gepäckträger, dachte ich, wird es sicher ganz lustig. Nach dem Frühstück versorgten wir noch schnell die Schweinchen und Mutti sagte, der Osterhase sei da gewesen.

An der Südseite vom Haus hatten wir einen Gartenweg. An der einen Seite war eine kleine Buchsbaum-Hecke. Zwischen Gartenzaun und der kleinen Hecke wuchsen Veilchen und lauter schöne Frühlingsblumen. In dem Blumenbeet hatte der Osterhase Eier versteckt. Die durfte ich jetzt einsammeln, und Mutti legte sie in einen Korb, den sie dann in die Küche brachte. Mit den Eiern musste ich vorsichtig umgehen, denn die waren nicht gekocht. Zwar waren sie bunt angemalt, aber Mutti dachte immer praktisch. Gekochte Eier mochte sie nicht und rohe Eier konnte sie zum Kuchenbacken nehmen.

Nun war es Zeit, meine Haare zu kämmen. Dann sollte ich das weiße Kleid anziehen. Vati wusste genau, dass ich das weiße Kleid nicht anziehen wollte und er sagte zu Mutti:

 „Die Räder sind frisch geölt - das geht nicht mehr raus aus dem Kleid.“ „Ja, aber sie hat doch nichts anderes", jammerte Mutti. Vati ging, um das karierte Seidenkleid zu holen.

Es war das Kleid von Elisabeth, das einzige was ich noch von Zuhause hatte, und sagte: „Zieh ihr das an, es passt so gut zu ihren Augen, und man sieht den Schmutz nicht so." Widerwillig zog sie mir das Kleid an. Ihre Wut ließ sie an meinen Haaren aus. Sie kämmte, zerrte und riss an meinen Haaren bis ich weinte. Mutti behauptete die Haare wären so zerzaust. Dann flocht sie mir eine Kranzfrisur und zog bei jeder Haarsträhne. Das war jetzt die Strafe dachte ich. Aber zum Trost hatte ich Lilibeths Kleid an. Im Herzen war ich ganz glücklich. Zum Schluss zog sie mir weiße, selbstgestrickte  Kniestrümpfe an, die waren zu klein. Sie zog solange bis sie passten.

Danach fuhren wir los. Wir mussten über das Wiehengebirge. Ich saß bei Vati auf dem Gepäckträger, darauf hatte Mutti ein Stuhlkissen geklemmt. Er wollte mich bergauf transportieren und Mutti hatte das Köfferchen. Auf dem Berg würde dann getauscht. Mutti beschwor mich, ja die Füße abzustrecken, damit sie nicht in die Speichen kämen. Wir fuhren durch die Stadt. Nachdem wir über die Bahnschienen gefahren waren, ging es  immer bergan. Beim Kino rief Mutti: „Ich steige jetzt ab, ich kann nicht mehr." Vati stieg auch ab und hob sein Bein ausnahmsweise vorne über die Stange. Sonst schwang er sein Bein immer nach hinten über den Sattel, aber er dachte daran, dass ich hinten saß. Er hob mich vom Rad herunter und wir gingen zu Fuß weiter.

Beide schoben ihre Fahrräder, bis wir an die Wilhelmshöhe kamen. Da war ein Gasthaus mit Tanzsaal und Vati erzählte mir: „Das Lokal gehört dem Neffen von Tante Alma." Das merkte ich mir, ich dachte: „Vielleicht gehe ich da mal hin, wenn ich groß bin.“ Danach ging es flach weiter bis zum Wald. Vati setzte mich wieder auf den Gepäckträger und es ging zügig voran. Während Mutti und Vati langsam in Fahrt kamen, schaute ich rechts und links auf die Wiesen in der Hoffnung, der Osterhase hätte vielleicht noch irgendwo ein Nest abgelegt. So kamen wir in den Wald. Wir stiegen wieder ab und liefen zu Fuß weiter. Rechts und links von der Straße schaute ich immer noch nach Osternestern. Vati und Mutti waren ziemlich genervt. Als wir dann endlich die höchste Stelle erreicht hatten wollte Vati, dass wir  „die Pferde satteln“.

Ich kam wieder auf Vatis Fahrrad. Er war noch gut gelaunt, während Mutti schon jammerte. Ab jetzt ging es nur noch bergab und wir hatten Tempo drauf. Da vergaß ich meine Füße und ließ sie baumeln. Plötzlich passierte es: Mein linker Fuß kam in das Hinterrad. Vati wäre um ein Haar gestürzt. Vor Schreck stieg er ab und schwang sein Bein nach hinten über den Sattel und fegte mich vom Gepäckträger. Das Fahrrad konnte er nicht mehr halten und es fiel auf mich. Vati konnte gerade noch das Gleichgewicht halten. Mutti schrie uns an: „Könnt ihr nicht aufpassen?" Sie kontrollierte die Strümpfe und die Schuhe - die waren heile geblieben. Das mein Fuß blutete war total Nebensache. Das Kleid war auch noch ganz, aber danach schaute sie nicht.

Vati überlegte kurz, und wir machten eine Rast. An dem Hinterrad seines Fahrrades waren fünf Speichen zu Bruch gegangen. Er konnte nicht weiterfahren. „Schieben wir jetzt gemeinsam, oder laufe ich in den nächsten Ort und suche eine Werkstatt?" fragte er. Mutti wusste mit Bestimmtheit, dass im nächsten Ort ein Fahrradhändler war, sie hatte als junges Mädchen da auch mal ein Fahrrad hingebracht. Also musste ich jetzt mit Mutti weiterfahren. Vati schob das Rad in den nächsten Ort.

Es war jetzt nicht mehr weit, und Mutti rief mindestens zwanzig Mal ich solle meine Füße abstrecken. So kamen wir bei Oma und Opa an. Tante Martha war sehr erstaunt, als wir ohne Vati ankamen. Mutti erzählte in der Küche allen was passiert war. Tante Martha war ganz liebevoll, sie zog mir den Schuh und den Strumpf aus und schaute sich meinen Fuß an, der aber schon aufgehört hatte zu bluten. Sie holte eine Flasche Jod und tupfte davon auf die Wunde, dann sollte ich ohne Strumpf bis nach dem Essen warten. Danach würde sie mir einen Verband machen. Schon der Anblick von Tante Martha tat mir gut. Ihre warmen Augen hatten etwas Beruhigendes, und ich vergaß den Schmerz von dem Jod.

Zwischen dem Haus und dem Mühlenteich hatte Tante Martha einen riesigen Steingarten. Linda und ich durften nach dem Essen in den Garten und Ostereier suchen. Wir fanden je fünf schöne bunte Eier und kamen erfreut wieder ins Haus. Mutti kassierte die Eier von mir und Linda ein, und wir gingen spielen. Wenn wir allein waren, konnten wir herrlich spielen.

Um die Kaffeezeit kam Vati mit dem Rad angefahren, es war wieder ganz. Wir blieben über Nacht und schliefen im Gästezimmer.

Als meine Eltern ins Bett kamen, schlief ich schon lange.

Nach dem Frühstück gingen wir mit Ingrid, der großen Schwester von Linda, Tante Liese besuchen. Ihr Bauernhof war genau auf der anderen Seite von dem Dorf. Er war viel kleiner, und sie musste jeden Tag Milch ausfahren. Sie hatte einen richtigen Milchwagen. Weil alles viel kleiner war, gefiel es mir. Es erinnerte mich an zu Hause. Jedoch hatte Tante Liese nur eine Wohnung und auf der anderen Seite waren die Kuhställe. Sie hatte ein Pferd, und auf der Dehle stand eine Kutsche. Mit der fuhr uns Tante Liese dann wieder zur Mühle. Für uns gab es gleich Kuchen und dann mussten wir wieder losfahren. Opa überredete Vati doch mit dem Güterzug heim zufahren dann konnten wir noch ein paar Stunden bleiben. Vati fand es auch gut nur, Mutti meinte, es sei erniedrigend in einem Viehwaggon einzusteigen. Ich denke, jetzt war sie froh, dass ich kein weißes Kleid anhatte.

Impressum

Bildmaterialien: Cover : Sieglinde Holewecky Tortenkreation. Ostertorte
Tag der Veröffentlichung: 04.04.2015

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