Völlig aufgelöst, kam ich aus dem Tierheim zurück. Anstatt mir einen anderen Hund anzubieten, mit dem ich jetzt doch gerechnet hatte, wurde ich behandelt, wie jemand der aus einer Laune heraus, den Hund zurückbrachte. Gerade ich! Unter Tränen hatte ich mich von Alisha getrennt, trotz der Schmerzen die ich hatte, denn die Hand war immer noch nicht verheilt. Ach wie hatte ich Alisha liebgewonnen. Sie war immer so lustig. Wenn wir spazieren gehen wollten, sagte ich: „Alisha bring meine Schuhe, und sie brachte einen, aber immer nur einen, den anderen musste ich mir selbst holen. Dann sauste sie über die Wiesen und war sicherlich der schnellste Hund in unserem Ort. In jedes Wasser sprang sie und sie konnte schwimmen wie ein Weltmeister. Sie liebte es geduscht zu werden und ließ sich ausgiebig trockenen reiben. Wenn wir von unseren Ausflügen heimkamen, dann trug sie den Schlüsselbund bis in die Küche, wo ich ihn dann aufhängte.
Warum sie mich schon 2 mal gebissen hatte, war ein Rätsel. Hinterher tat es ihr jedesmal leid und sie leckte meine Hände und Füße, bis ich sie wieder streichelte. Mit der Zeit wäre ich schon darauf gekommen, was es war, dass sie dazu trieb zu beißen.
Ja, wenn sie das fremde Kind nicht gebissen hätte, dann hätte ich sie nie wieder weggebracht. Die Mutter drohte mit Anzeige und hatte die reinste Panik das Kind würde jetzt Tollwut bekommen. Obwohl der Hund geimpft war und keine Gefahr für eine Krankheit bestand.
Nein, das ging einfach nicht, ich hatte ein Geschäft und da kommen ständig Kinder in den Laden.
Es dauerte einige Tage, bis ich mich davon erholte. Es war nicht nur der Verlust von Alisha, nein es wurmte mich, dass ich im Tierheim keinen Ersatzhund bekommen hatte.
Tina und Helena schauten sich indessen nach einem passenden Hund für uns um. Sonntags kamen sie zum Kaffee zu uns und taten sehr geheimnisvoll.
„Wir haben genau den richtigen Hund für euch gefunden“, begann Tina nach dem Kaffee. Helena, die genau wusste, dass ich keinen Welpen wollte, fuhr fort: „Einen Golden Retriever wir fahren gleich mal, ihn anzuschauen. Es ist nicht weit von hier, gleich hinter dem Bahnhof.“
Helena brachte uns zu einem kleinen Pferdehof, wo uns eine junge Frau er wartete. Sie führte uns zu einer Pferdebox, in der in einem Nest aus Stroh, 7 kleine Welpen lagen. Die Hundemama legte sich dazu und säugte die Jungen. Süß diese kleinen Wollknäuel.
„Ich wollte doch gar keinen Welpen!“, unterbrach ich die Stille. Helena und Tina verstanden es mir klar zu machen, warum ich gerade einen Welpen brauchte. Jedenfalls suchte ich zusammen mit Helena ein niedliches Hundemädchen aus. „Wichtig ist, dass es ein schmales Mäulchen hat!“, wusste Helena. „Wieso, beißt er dann nicht?“, fragte ich erstaunt. Helena lachte und meinte: „Nein, die mit den schmalen Mäulchen sabbern nicht.“ Nachdem ich noch mehrmals beteuert hatte, dass ich keinen Welpen wollte, unterschrieb ich kurze Zeit später den Kaufvertrag.
Ich sollte den Namen angeben, den ich mir wünschte, er musste mit einem A anfangen. Da mischte mein Mann sich ein und schlug „Anja“ vor, der sei kurz und schön. 4 Wochen sollte der Hund noch bei seiner Mutter bleiben, bis dahin konnten wir ihn regelmäßig besuchen, damit er uns kennen lernte. Die junge Frau band dem kleinen Hündchen ein rotes Bändchen um den Hals, bis zum nächsten Besuch hatten wir Zeit ein kleines Halsband zu kaufen.
Der kleine Fratz hatte es geschafft Martin und mich in eine euphorische Vorfreude zu versetzen. Wir fuhren in die nächste Stadt, in der es einen Hundeshop gab und kauften unserem Hund eine Hunde-Baby-Erstausstattung. Ein kleines rotes Halsband, eine passende Lederleine zwei Fressnäpfe und ein paar Sachen zum Spielen. Dazu das Wichtigste: Einen Sack Welpenfutter. Mein Mann versprach, alle zwei Stunden mit dem Hündchen in den Garten zu gehen, da ich Angst hatte, dass er mir den Laden unter Wasser setzen könnte.
Für Alisha hatte ich einen Hundekorb gekauft, weil die nirgends anders schlief als im Korb. Den holte Martin vom Boden und wir richteten das für Anja. Wir waren uns sicher, dass es ihr gefallen würde.
Martin freute sich auf seine neue Aufgabe, denn er war ja jetzt Rentner und hatte Zeit. „Nur beißen darf er mich nicht!“, sagte er mit Nachdruck.
So kam der Tag, an dem wir den Hund abholen durften. Anja kannte uns nun schon und kam uns wedelnd entgegen. Die Besitzerin hatte schon alles bereit gelegt. Den Impfpass, die Abstammungspapiere und für den Übergang einen Beutel von ihrem Welpenfutter. Ein Blick auf die Urkunde verriet mir, dass sie die Tochter erfolgreicher Eltern war. Für meinen Mann ein Grund sie in einem Bilderrahmen zu verewigen.
Bevor wir uns mit Anja auf den Heimweg machten, nahm ich noch eine Handvoll von dem Stroh aus dem Nestle mit, damit sie bei uns auch noch ein wenig „Heimat“ schnuppern konnte.
In wenigen Minuten waren wir an unserem Haus angekommen. Anja durfte sich überall umschauen dabei fand sie dann in der Bastelstube meinen schönsten Läufer, den ich selbst geknüpft hatte. Ja, der gefiel ihr, sie schnupperte und legte sich auch gleich darauf. Doch bald entdeckte sie ihre Fressnäpfe, und fand Gefallen an dem Wassertopf. Anstatt zu trinken stieg sie mit den Vorderfüßen hinein und scharrte das Wasser hinaus. Sie war das reinste Energiebündel.
Wir trugen Anja die Treppe hinauf und zeigten ihr die Schlafzimmer. Martin setzte sie in den Hundekorb, da fing sie gleich an zu knabbern. „Das ist zum Schlafen und nicht zum Knabbern!“ zischte ich. Und legte ein paar Spielsachen in den Korb. Aber Spielzeug kannte sie nicht und so wie es aussah wollte sie das auch nicht. Ein kleines Entchen nahm sie ins Maul, und weil es quietschte, ließ sie es gleich wieder fallen.
Martin brachte ein Stück Holz, daran konnte sie nach Herzenslust nagen und es gefiel dem Hündchen. Dann bastelten wir aus einem Karton ein Hunde-Nest für die Nacht, das stellte ich neben mein Bett darin durfte sie schlafen. Unten hinein hatte ich in einem Kissenbezug das Stroh gelegt. Anja fühlte sich wohl und weil sie direkt neben mir lag, streichelte ich sie in den Schlaf.
Um Mitternacht wurde ich wach, sie wurde unruhig. Na dachte ich jetzt will sie sicher in den Garten. Um keine Zeit zu verlieren nahm ich die Kleine auf den Arm und ging mit ihr im Nachthemd in den Vorgarten. Zum Glück war es Sommer. Zurück im Haus, nahm ich mir eine Jacke mit ins Schlafzimmer. So gewöhnten wir uns an das Hündchen und das gewöhnte sich an uns.
Mein Mann führte ein Tagebuch, in das er jedes Mal eintrug, wenn der Hund draußen war und was er dort gemacht hatte. Täglich stieg er mit Anja auf die Waage und trug das Gewicht ein. Sie entwickelte sich prächtig. Bald hatte Anja gemerkt, dass es im Laden viel Abwechslung gab. Die Kunden und vor allem die Kinder streichelten gern den „neuen Hund“. Er war schon nicht mehr wegzudenken.
Nun gingen wir schon längst mit Anja regelmäßig Gassi, nur mittags, da ließen wir sie immer noch in den Garten. Daran hatte mein Nachbar den größten Spaß, denn ich führte sie mit der Leine in den Garten, da die Straße direkt vor unserem Haus verlief. Dort ließ ich sie dann allein springen. Nach einer schnellen Runde und einem Pippichen, kam sie zurück, nahm ihre Leine ins Maul und lief geradewegs ins Haus. Anja war einfach ein goldiges Hündchen. Sie wurde langsam unser ständiger Begleiter, wohin wir auch gingen oder fuhren, der Hund war immer dabei.
Dann kam der Tag, an dem Anja nicht mehr in den Garten wollte, nein jetzt wollte sie ihr Geschäftchen da machen wo es alle Hunde machten. Sie wurde langsam erwachsen. Da kam die Zeit, dass sie kastriert werden sollte. Ja, das war sehr wichtig, denn es gab so viele Hunde hier in der Gegend und alle machten unserer Anja den „Hof“. Nein, einen Wurf kleiner Hunde wollten wir nicht!
Ich brachte ihn zu dem Tierarzt, der auch Sat schon behandelt hatte. Was hatte er nur an sich? Auch Anja mochte ihn auf Anhieb.
Als ich Anja am Abend vom Tierarzt holte, war sie so schwach und auch noch nicht ganz munter. Sie war nicht zu bewegen mit ins Schlafzimmer zu kommen. So holte ich mir etwas zum Zudecken und schlief neben meinem Hund auf dem Fußboden, immer einen Arm um Anja gelegt. So überstanden wir beide die Nacht. Für den Notfall hatte ich einen „Kragen“ für den Hund mitbekommen, damit er seine Wunde nicht verletzte. Den habe ich nur einmal gebraucht und das in der ersten Nacht in der sie wieder allein schlief. Danach ging es schon ohne das unförmige Ding.
Bald war unsere Anja wieder ganz genesen und wir fuhren an die Donau. Sie schwamm im klaren Wasser des Flusses und kam einmal mit einem frisch erbeuteten Fisch an Land. Ich war so erschrocken, nahm den Fisch und warf in zurück in den Fluss. Das hätte ich vielleicht nicht machen sollen, dann hätte ich sicher noch oft frischen Fisch bekommen. Aber daraufhin unterließ unser Hund das Fischen.
Ja, Anja war stets bemüht nichts falsch zu machen.
Wenn wir am Essen waren, dann saß sie neben meinem Mann am Tisch und wartete bis sie den letzten Bissen bekam. Genau wie Sat. Wann immer sich die Gelegenheit bot, leckte sie hingebungsvoll meine Füße. Herrlich, wir konnten beide nicht genug davon bekommen. Auch lag Anja gern auf einem hellen Teppich und so blieb es nicht aus, dass ich ein paar Mal über sie flog. Einmal, als ich gerade wieder neben Anja auf dem Fußboden lag, kam Martin dazu und fragte: „Was machst du denn da unten?“ Schnell nahm ich Anja in den Arm und antwortete: „Mit dem Hund schmusen, das sieht man doch!“
2 Jahre später schloss ich mein Geschäft, ich war auch reif für den Ruhestand. Wir machten jetzt ein paar größere Reisen natürlich mit Hund. Mehrmals besuchten wir meine Schulfreundin, die ganz vernarrt war in Anja. Einmal fuhren wir sogar in Urlaub mit ihr nach Frankreich. Wohin es ging, oder wie weit es war, die Hauptsache für sie war, dass sie mitdurfte.
Oft fuhren wir ins Allgäu dahin, wo wir auch schon mit unserem Sat waren. Zwar stiegen wir nicht mehr oft zur Hütte auf, aber wir genossen die Berge von untern und gingen im Ried spazieren. An dem kleinen Wildbach machten wir jedes Mal Rast und Anja liebte das eiskalte klare Wasser.
Als mein Mann einen Schlaganfall erlitt, wurden unsere Reisen weniger und wir verkauften unser Haus.
Zuerst zogen wir zu Helena wo wir den unteren Stock bewohnten. Hier konnten wir Anja mit nehmen. Wir hatten nur noch 3 Zimmer und rückten näher zusammen. Was ich auch machte, sie war immer neben mir. Beim Kochen schaute sie immer gern zu, sie beobachtete jeden Handgriff von mir. Es ging nicht darum, dass sie vielleicht kochen lernen wollte, nein es ging darum, ob nicht vielleicht etwas Gutes auf den Fußboden fiel. Wenn ich Fleisch oder Wurst schnitt, ließ ich ab und zu absichtlich etwas auf den Boden fallen.
Für unsere täglichen Spaziergänge holte ich unser Auto und wir fuhren aus der Stadt hinaus. Dann parkten wir und gingen zwischen Feldern und Wiesen, wo der Hund nach Herzenslust springen konnte. Bei gutem Wetter bestaunten wir über uns die Gleitschirmflieger. Auch daran, dass da Menschen an bunten Schirmen herum flogen gewöhnte sich Anja. Nur eines mochte sie nicht, das waren Gewitter. Sobald es donnerte, kam sie nah zu mir und zitterte schneller als ich sie streicheln konnte.
Dann kam der Tag, an dem sie nach dem Gassi nicht wieder ins Auto steigen wollte. Sie schickte sich an, am Straßenrand heimzulaufen. Mit viel Mühe gelang es mir, den Hund zurück zum Auto zu bringen. Martin und ich hoben ihn zusammen ins Auto. Was auch immer mein Mann bastelte, um Anja den Einstieg zu erleichtern, nein sie stieg nicht mehr ein.
Wir suchten schon lange nach einer anderen Wohnung, denn irgendwie gefiel es uns dort gar nicht. Wir konnten Wohnungen bekommen im 2. Stock und hätten den Hund mitnehmen können, aber eine Wohnung im Erdgeschoss fanden wir nur ohne Hund.
Mein Mann konnte seit seinem Schlaganfall nicht mehr gut laufen und mir ging es wie dem Hund, ich hatte Arthrose, mir fiel das Treppensteigen auch schwer. Schließlich entschieden wir uns für eine Wohnung in der Nähe von Tina. Wir zogen dort ein und Anja zog zu Tina. Jeden Morgen fuhren wir nun zu Anja um mit ihr den Morgenspaziergang zu machen. Bald hatte sie gemerkt, dass sie immer bei Tina bleiben musste.
Martin und ich fanden uns auch mit der Tatsache ab, dass die schönste Zeit zusammen mit Anja um war.
3 Jahre lang fuhren wir täglich hin und her um unseren Hund zu sehen. Dann verfärbte sich ihr Auge, sie hatte einen Tumor genau dahinter. Ein halbes Jahr träufelten wir Tropfen in das Auge, die Knie und die Hüfte waren geschwollen und die Haare wurden langsam weiß.
Wieder einmal Zeit zum Abschied nehmen.
Tag der Veröffentlichung: 13.03.2015
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Zum Andenken an unsere Anja