Als Kind hatte ich oft lange Weile, denn meine einzige Freundin Margot, war oft krank oder zur Kur. Dann musste ich mich allein beschäftigen.
Nun war unweit ein kleines Wäldchen, mit einem Schlösschen welches einen hohen Turm hatte. Ich fand es wunderschön. Die Leute nannten es das „Waldschlösschen“.
In diesem Schlösschen wohnte eine alte Frau und die Kinder erzählten sie sei eine Hexe. Deshalb gingen wir immer nur in kleinen Gruppen in das Wäldchen. Im Mai gab es dort Maikäfer und im Herbst sammelten wir Kastanien und Eicheln für den Förster, weil es in dem Wäldchen keine Tiere gab.
Nun hatten wir Sommerferien und meine Freundin war wieder mal zur Erholung so fasste ich den Entschluss allein zum Waldschlösschen zu gehen und dieses genau zu erforschen. Ich wollte heimlich um das Schlösschen schleichen.
„Darf ich zum Waldschlösschen?“ fragte ich meine Mutter. Weil die nichts dagegen hatte, machte ich mich auch gleich auf den Weg dahin.
Normal war der Weg nicht weit, aber er kam mir endlos vor. Es war ein heißer Tag und die Srommasten summten: „Pass auf, gleich kommt die Hexe.“ Das bildete ich mir zwar ein, aber mein Herz war der gleichen Meinung und klopfte im Galopp.
Endlich hatte ich die ersten Bäume erreicht und das Schlösschen lag direkt vor mir. Einen Augenblick dachte ich daran umzukehren, aber da wurde von innen die Tür geöffnet und eine alte Frau mit einem Krückstock kam heraus.
Ich war wie erstarrt, meine Knie zitterten und meine Haare sträubten sich. "Die Hexe", fuhr es mir durch den Kopf. Meine Füße waren wie Blei und mir lief es kalt über den Rücken.
"Komm doch näher, Anne", sagte sie freundlich. "Mein Gott", dachte ich, "sie kennt meinen Namen, sie hat auf mich gewartet!" Mein einziger Gedanke war: "Weglaufen", aber dann sah ich ihre freundlichen Augen und ging langsam auf sie zu.
Langsam stieg sie die Stufen herunter und setzte sich auf die Bank die vor ihrem Haus stand. "Setz dich zu mir", forderte sie mich auf, "ich werde dir ein Märchen erzählen, bevor du wieder nach Hause gehst."
Zögernd setze ich mich auf die Bank zu ihr und erzählte mir das Märchen von Mettwürstchen und Mäuschen. Aufmerksam hörte ich ihr zu und als sie zu Ende war, mit ihrer Erzählung begleitete sie mich bis zur Straße. „Du kannst mich jederzeit wieder besuchen“, lud sie mich ein und winkte mir nach.
Tatsächlich habe ich sie noch oft besucht und jedesmal erzähle sie mir ein anderes Märchen. Ich nannte sie Märchenfrau und sie lächelte darüber.
Ich wurde älter und eines Tages hatte ich den Eindruck, dass die Märchenfrau müde war. Sie sagte zu mir: „Du bist nun zu groß, dir Märchen erzählen zu lassen. Jetzt ist es an der Zeit, dass du die Geschichte weiter erzählst.“ Zum Abschied gab sie mir ein Kästchen. „Bewahre es gut auf, eines Tages wirst du es sicher brauchen.“
Wieder begleitete sie mich bis an die Straße und ich warf einen Blick in das Kästchen. „Eine rosarote Sonnenbrille und ein Fernglas? Was soll ich damit?“ Sie schaute mich an und meinte: „Mit einer rosaroten Brille ist alles viel freundlicher und mit diesem Fernglas sieht auch der hässlichste Vogel schön aus!“
Die Zeit verging, ich war längst umgezogen und hatte selber Kinder. Da kam ich zu Besuch wieder in die kleine Stadt. Mein erstes Ziel war das Waldschlösschen. Ich erzählte meinen Kindern auf dem Weg von der Märchenfrau. Aber das Schlösschen stand leer und verlassen im Wäldchen, Nur die Bank stand immer noch neben dem Haus. Wie im Traum steuerte ich darauf zu. „Kommt setzt euch zu mir“, forderte ich meine beiden Mädchen auf, „ich werde euch ein Märchen erzählen.“
Dann erzählte ich ihnen das Märchen von Mettwürstchen und Mäuschen.
Am Rande eines kleinen Dorfes, am Fuße des Teutoburger Waldes, stand ein kleines hübschen Häuschen. Hier wohnten Mettwürsten und Mäuschen die besten Freundinnen weit und breit.
Vor dem Haus hatten sie einen wunderschönen Blumengarten und hinter dem Haus da pflanzten sie die leckersten Gemüsesorten an. Mittelpunkt war aber der Grünkohl, den liebten die beiden Freundinnen so sehr, dass sie es jede Woche als Sonntagsessen kochten.
Wenn es dann Sonntag war, ging eine von ihnen in die Kirche, während die andere daheim blieb und den Grünkohl zubereitete.
In dieser Woche richtete sich das Mäuschen zum Kirchgang. Es stand vor dem Spiegel, setzte sich seinen grauen Hut auf, mit der Fasanenfeder daran, nahm seine Lodenjacke und das Täschchen mit dem Gesangbuch. Dann öffnete es einen Spalt die Küchentür, wo die Freundin gerade eine weiße Schürze umband, und rief: „Mettwürstchen, ich gehe jetzt!“ Mettwürstchen lief ans Küchenfenster und winkte dem Mäuschen nach.
Jetzt eilte Mettwürstchen mit einem Korb in den Garten und schnitt mit einem scharfen Messer den Grünkohl ab. Den wusch es fein säuberlich, schnitt ihn klein und setzte ihn in einem großen Topf auf den Herd zum Kochen.
Inzwischen machte es die Betten, fegte sie Küche, deckte den Tisch und als es 12 Uhr vom Kirchturm schlug, ging es ans Küchenfenster und hielt Ausschau nach dem Mäuschen. Und das kam gerade eben durchs Gartentürchen. Mettwürstchen füllte die Teller und Mäuschen erzählte was der Pfarrer in der Kirche gepredigt hatte.
„Hmm“, sagte das Mäuschen, „das schmeckt heute wieder köstlich, wie machst du es nur, dass dein Essen immer besser schmeckt wie das meine??“ „Das bildest du dir nur ein“, entgegnete das Mettwürstchen, „dein Essen schmeckt genau so gut.“
Das Mäuschen wurde ein wenig nachdenklich und kam dann zu dem Entschluss, für den kommenden Sonntag besonders gute Zutaten einzukaufen. Also ging es zum Kaufmann und kaufte eine große Portion Griebenschmalz ein. Fröhlich kam es wieder heim und war sich ganz sicher, dass sein Grünkohl nun genau so gut gelingen würde. Ja es konnte den Sonntag kaum erwarten.
Sorgfältig kleidete sich das Mettwürstchen für seinen Kirchgang ein und legte noch schnell ein großes buntes Tuch über seine Schultern. „Mäuschen, ich gehe jetzt, bis gleich!“ rief es und verschwand durchs Gartentürchen.
Dieses Mal war es Mäuschen das mit einem großen Korb den Grünkohl im Garten holte. Es wusch in sauber, schnitt ihn ganz sorgfältig und warf das Schmalz zusammen mit einer Zwiebel in den großen Topf. Ei wie das jetzt schon duftete.
Eilig machte es die Betten, kehrte die Stube und die Küche und überschlug sich schier vor lauter Vorfreude. Endlich war es zwölf Uhr und das Gartentürchen klapperte. Der Tisch war schon gedeckt und Mäuschen füllte die Teller.
Sorgfältig hing das Mettwürstchen seine Kleidung an den Haken und trat in die Stube. „Das duftet aber lecker!“, sagte es und setzte sich an den Tisch. Während Mettwürstchen mehrmals das Essen lobte, erzählte es was der Pastor gepredigt hatte. Das Mäuschen jedoch, war überhaupt nicht zufrieden, es schmeckte einfach nicht so gut wie bei seiner Freundin.
Die ganze Woche über grübelte das Mäuschen, was es wohl falsch machte und was an ihrem Kohl fehlen könnte. Es ging sogar soweit, dass Mettwürstchen sich große Sorgen um seine Freundin machte. „Du wirst doch nicht krank werden?“, fragte es besorgt. „Aber nein“, antwortete die Freundin, „ich denke nur ein wenig nach.“ Dann kam dem Mäuschen eine tolle Idee.
Wieder fieberte es dem Sonntag entgegen. Das Mäuschen kleidete sich wie immer für den Kirchgang an und rief durch die geöffnete Küchentür: „Mettwürstchen, ich gehe dann mal in die Kirche.“ Wieder winkte ihm seine Freundin nach, aber das Mettwürstchen ging nicht wie sonst zur Kirche, sondern versteckte sich hinter der Hecke.
Als das Mettwürstchen im Garten den Kohl holte, suchte es sich einen schönen Platz, von dem es ins Küchenfenster schauen konnte. Von da aus passte es nun genau auf, was die Freundin machte. Zuerst wusch es den Kohl und dann schnitt es ihn klein. Es setzte den Topf mit Schmalz und Kohl und Wasser auf den Herd, nicht anders wie es das Mäuschen auch zu tun pflegte. Dieses wartete geduldig am Küchenfenster. Als der Kohl vor sich hin kochte, ging Mettwürstchen Bettenmachen, beim Fegen summte es leise vor sich hin. „Am Summen kann es nicht liegen“, dachte das Mäuschen und harrte weiter auf der Fensterbank aus. Als alle Arbeiten erledigt waren, rührte das Mettwürstchen noch einmal den Kohl um. Dann machte es einen Satz und sprang in den Topf dort legte es sich einfach auf den Kohl.
Jetzt hatte Mäuschen genug gesehen, das Rätsel war gelöst. Schnell ging es Richtung Kirche, um sich dann unter die anderen Leute zu mischen.
Nie zuvor war dem Mäuschen die Woche so lang vorgekommen. Als es dann endlich Sonntag war, konnte es nicht erwarten, dass Mettwürstchen zur Kirche ging. Es winkte seiner Freundin fröhlich nach und ging sofort an die Arbeit. Es machte die Betten wie immer, fegte Küche und Stube und rührte fleißig den Kohl um. Mäuschen war so fröhlich, dass es sogar noch einen Blumenstrauß auf den gedeckten Tisch stellte.
Als es 12 Uhr läutete, schritt Mettwürstchen gerade durchs Gartentürchen. „Ich bin wieder da!“, rief es schon auf dem Flur. Dann machte es die Stubentür auf und weil das Mäuschen nicht in der Stube war, ging es ins Schlafzimmer. Dort sah es, dass die Betten schon gemacht waren. Also ging es in die Küche, da war das Mäuschen aber auch nicht. „Wo steckst du denn?“, rief das Mettwürstchen. Dann dachte es: „Ich werde mal schauen ob der Kohl schon fertig ist.“ Also hob es den Deckel vom Topf. Da lag seine beste Freundin auf dem Kohl und war tot.
Mettwürstchen musste sich zuerst hinsetzten. Dicke Tränen flossen ihm über die Wangen. In seinem Schmerz, stieg es die Treppe hinauf auf den Speicher und erhängte sich an einem Dachbalken.
Meine Mädchen hatten aufmerksam zugehört. Verstohlen wischten sie ein paar Tränen mit dem Taschentuch ab.
Gerade hörten wir die Turmuhr, es war 12 Uhr. „Schnell, Oma wartet mit dem Essen!“, rief Hanna.
Wir eilten zu Oma, die tatsächlich den Tisch schon gedeckt hatte. Hanna fragte: „Oma, gibt es heute Grünkohl?“ „Nein“, sagte sie lachend, „Schnippelbohnen.“ Fragend schaute sie zu mir: „Warst du mit den Kindern am Waldschlösschen?“
Der fliegende Schneider
In einer kleinen Stadt lebte einmal ein Schneider, der war so arm, dass er sich die meiste Zeit von Wasser und Brot ernähren musste. Ja, und von Wasser und Brot, da kann man nicht dick werden, deshalb war der Schneider so mager, man musste schon zweimal hinsehen, wenn man ihn erblicken wollte.
So saß der Schneider tagaus, tagein auf seinem Schneidertisch und flickte die Kleider und Hosen für den bärtigen Bäcker, den dicken Metzger und den polternden Müller.
„Ei“, dachte er, „ich bin für größeres geboren, ich habe bei einem guten Meister gelernt.“ Zu gerne wäre er auf Wanderschaft gegangen. Deshalb machte er weit sein Fenster auf und schaute auf die Felder, die Wiesen und die Wälder und träumte davon, Leibschneider bei einem König zu sein.
Unser Schneider war vertieft in seine Träume und hatte gar nicht mitbekommen, dass der Müller die Treppe herauf polterte. Der Müller stieß die Tür auf, und ein Luftzug fegte durch des Schneiders Kammer. Vor Schreck hatte der Schneider vergessen sich am Tisch festzuhalten und der Wind wehte ihn glatt zum Fenster hinaus. Soviel er auch mit den Füßen strampelte und mit den Armen fuchtelte, er konnte sich nirgends festhalten.
Verdutzt schaute der Müller hinter ihm her, dann nahm er seine geflickte Jacke, die der Schneider auf dem Tisch gelassen hatte und stieg die Treppe wieder hinab.
Unser Schneider indessen, flog hoch über die Felder und Wälder bis er ein kleines Königreich erreichte. Wild rudernd mit Armen und Beinen, gelang es ihm schließlich genau auf dem Marktplatz zu landen.
Da war reges Treiben und weil der Schneider gerade vom Himmel herunter kam verneigten sich alle vor ihm.
Zwei Hofdiener des Königs, saßen bei einem Humpen Bier und spielten Karten. Sie rissen ihre Augen weit auf, denn so etwas hatten sie noch nie gesehen. Schnell sprangen sie auf ihre Pferde, um dem König die Kunde zu überbringen.
Der König kam in seine goldene Kutsche, um den fliegenden Mann, vor dem sich sein Volk verneigte, auf sein Schloss zu holen. Freundlich lud er den Schneider ein, in sein königliches Gefährt zu steigen. Der fühlte sich sehr geehrt und ahnte nicht, dass ihm er König nicht gut gesonnen war.
Den Schneider hatte der lange Flug hungrig gemacht und sein Magen knurrte jämmerlich. Da trieb der Kutscher die Pferde an, weil er glaubte ein wildes Tier wäre hinter ihm her.
„Sachte“, befahl der König, „es ist kein wildes Tier, es ist der Magen von Ihm, der vom Himmel gefallen ist.“
Der Schneider indessen, begann seine Kleidung glatt zu streichen, denn er wollte gut aussehen, wenn er mit dem König aufs Schloss kam.
In einer Hand hielt er immer noch die goldene Nähnadel, mit der er des Müllers Jacke genäht hatte. Die goldene Nadel war ein Geschenk seines Lehrmeisters er hatte ihm geraten die Nadel nie aus der Hand zu geben, denn sie sollte ihm zu Wohlstand verhelfen. Flugs steckte er die Nadel unter den Kragen an seinem Wams. In der anderen Hand hatte er noch seine Elle. Der König fragte neugierig: „Was macht Er mit dem Stock?“
„Mit dem Stock, Eure Majestät, da messe ich die Entfernung, die ich in der Luft zurücklege“, flunkerte der Schneider und als der König die Schere sah, die an seinem Gürtel befestigt war, log der Schneider erneut: „Das ist mein Essgeschirr, damit schneide ich mein Brot und esse meine Suppe.“ Der König betrachtete das seltsame Ding und meinte dann: „Kein Wunder, ist Er so spindeldürr, da sind ja zwei Löcher in den Löffeln!“
Sie kamen an dem Schloss an. Der König schritt voraus und befahl dem Schneider ihm zu folgen. Sofort rief der König nach seinen Dienern, die sollten dem „vom Himmel gefallenen“ auftischen so viel er essen konnte.
Während der Schneider 2 Hühnchen, einen Schinken und einen Kuchen verspeiste, schickte der König nach seinen Hofmarschall, dem Kriegsminister und dem Hofnarr.
Die kamen eiligst und versammelten sich im großen Thronsaal. Der König lief unruhig hin und her und betonte zum wiederholten Mal: „Mein Volk hat sich vor dem Fliegengewicht verneigt!“
„Sehr übel, sehr übel, Majestät“, sagte der Hofmarschall und kratzte sich hinter dem Ohr.
„Das ist ein Angriff auf Eure Majestät!“, schrie der Kriegsminister. „Ich werde die Armee zusammen trommeln!“
„Wenn Er doch fliegen kann“, meldete sich der Hofnarr zu Wort, „dann soll Er doch wieder fortfliegen und für immer verschwinden.“ „Das ist ein guter Rat, Hofnarr“, lobte ihn der König und der Hofmarschall jubelte: „Und das kostet uns keinen Heller!“ Der Kriegsminister, allerdings gab zu bedenken: „Ja und was machen wir mit ihm, wenn er gar nicht fliegen kann?“ „Dann sperrt ihn 99 Tage ein in den Kerker und am 100. Tag soll es eine Gerichtsverhandlung geben“, schlug der Hofmarschall vor. Majestät war einverstanden und ließ den spindeldürren Grashüpfer rufen.
Der König setzte sich auf seinen goldenen Thron und rechts und links standen der Kriegsminister und der Hofmarschall. Die Diener brachten einen kleinen Tisch und einen Stuhl, da sollte der Gast, der vom Himmel gefallen war, Platz nehmen. Dann mussten die Diener den Saal verlassen, damit das Volk nicht erfahre, was der König mit dem Fremden vorhatte.
Der König hob das Zepter, und der Schneider trat ein.
„Nehme Er Platz“, gebot ihm der König. Unser Schneider wäre nicht Schneider gewesen, wenn er sich auf den Stuhl gesetzt hätte. Mit einem Sprung war er auf dem Tisch und setzte sich darauf. „Ich sehe, in dem Land, woher Er gekommen ist, hat man ganz eigene Sitten“, stellte der König fest, „aber mach Er es sich bequem!“ Der Schneider rückte unruhig hin und her, ihn drückte sein voller Bauch, er hatte noch nie so viel gegessen wie gerade zuvor.
Nun verkündete der Hofmarschall: „Majestät hat beschlossen, dass Er, da er ja scheinbar fliegen kann wie ein Vogel, sich sogleich in die Lüfte erhebe und davon fliege, weit über die Grenzen seines Reiches.“
Der Hofnarr klatschte dreimal in die Hände und rief: „Los, los.“
Der Schneider bemerkte jetzt sehr wohl, dass man ihm hier bei Hof nicht wohl gesonnen war und verlangte: „Wenn Seine Majestät die Fenster und die Türen weit öffnen lässt, damit der Wind durchzieht, dann will ich wohl aus Euerm Reich verschwinden.
Der König ließ Fenster und Türen öffnen, obwohl er Durchzug so gar nicht vertrug. Er fing auch gleich an zu niesen. „Hatschi“, verzweifelt suchte er nach einem Taschentuch. Da kam der Hofnarr mit einem Tüchlein und reichte es dem König. Das Schnupftuch jedoch flog mit dem Wind zum Fenster hinaus, nur unser Schneider nicht.
So sehr sich der Schneider drehte und wendete, der Wind ließ ihn auf dem Tisch sitzen. „Ei“, dachte der arme Wicht, „ich habe zu viel gegessen, nur ausgehungerte Schneider können auch fliegen.“ Auch wollte er keinesfalls die Schere, die goldene Nadel und die Elle zurücklassen.
So machte er ein jämmerliches Bild und der König flüsterte seinem Kriegsminister und seinen Hofmarschall etwas ins Ohr. Sofort wurde nach dem Kerkermeister gerufen der schubste den armen Schneider in den Kerker hier sollte er jetzt bei Wasser und Brot 99 Tage warten, bis er vor Gericht gestellt würde.
An diesem Tag würde es ein Volksfest geben. Das Volk sollte wählen, ob er nun gehängt, geköpft oder vom Pöbel, mit Mistgabeln aus dem Reich vertrieben werden sollte.
Nun hatte der Schneider viel Zeit zum Nachdenken und jede Nacht hatte er fürchterliche Träume.
In seinem Kerker war es muffig und dunkel und das trockne Brot, das ihm gereicht wurde war alt und schimmelig. So aß der Schneider vom Brot nur das Beste und trank das Wasser. Dann träumte er von Hühnerbeinchen und Wein und am Ende jeden Traumes wurde er hingerichtet. Die Tage schlichen dahin und der Termin für das Volksgericht rückte immer näher heran.
„Ach“, bedauerte er sich, „da habe ich eine Schneiderlehre gemacht für herrschaftliche Kleider, habe aber nur alte Fetzen geflickt.“ Vom Bäcker hatte er hin und wieder ein Brot bekommen, vom Metzger eine Wurst zum Fest und vom Müller nur Rügen, denn der war nie zufrieden. Schließlich kam er zu dem Schluss, dass es nun auch gleich wäre ob man ihn hinrichtet oder ob er es schaffte frei zu kommen.
„Aber wenn ich es schaffe aus diesem Königreich heile hinaus zu kommen, dann werde ich immer die Wahrheit sagen. Dann werde ich zeigen, für was man eine Schere benutzt und was man mit der Elle misst.“ Die Leute sollen wissen, dass er nur ein armer Schneider ist und nicht einer, der fliegen kann und vom Himmel kommt.
Von diesem Augenblick an war der arme Gefangene ruhiger geworden und die Träume waren freundlicher zu ihm.
Dann kam der gefürchtete Tag, an dem sein Schicksal besiegelt werden sollte. Der Kerkermeister legte ihm Ketten an und führte ihn vom Verließ aus in den Hof, wo das Volk schon auf ihn wartete.
Vom Hofstaat aufgehetzt schrie das Volk: „Köpft ihn, köpft ihn!“ Dem Schneider grauste und als er über einen Stein stolperte, verlor er die erste Fußfessel. „Oh“, dachte der bei sich, „es wird mir nicht schwer fallen aus den Eisen zu schlüpfen, denn ich bin magerer als je zuvor!“
Nun wurde er auf ein Podest geführt, hoch über den Köpfen der Leute, damit ihn jeder betrachten sollte. Der Schneider sah jedoch nur den Henker, der an der Hinrichtungsstätte auf ihn wartete. Der König befahl seinem Volk nun abzustimmen, welchen Tod der Gefangene erleiden sollte.
Es zog aber ein Gewitter auf und vor lauter Donnergrollen merkte niemand, dass dieser seine Fesseln abstreifte. Dann folgte ein greller Blitz, der fast den zitternden Schneider getroffen hätte. Mit dem darauf folgenden Donner setzte der Sturm ein. Unter dem Volk brach deine furchtbare Angst aus, manche flüchteten andere warfen sich auf den Boden und als der Sturm sich beruhigte, war der Schneider nicht mehr da. Nur eine Fußfessel und zwei Handschellen lagen einsam auf dem Podest.
Längst hatte er die Grenzen des Königreiches verlassen und er schwebte immer noch über Wälder und Wiesen, als ein Gänsepaar vorbeiflog. Sonderbar, er hörte wie sich die Gänse unterhielten: Hinter dem Berg ist das Königreich vom klugen und gerechten König „Siegesmund“, dort werden wir uns im Schlossgraben niederlassen.“
„Das hört sich gut an“, dachte der Schneider und fing an mit Händen und Füßen zu rudern, damit er nach einem Landeplatz Ausschau halten konnte.
Dieses Mal wollte der Schneider bei seiner Landung auf keinem Fall auffallen. Deshalb strebte er eine große Wiese an, wo weit und breit kein Mensch zu sehen war. Anschließend würde er in die Stadt gehen und sich dort als Schneider auf der Wanderschaft ausgeben. Ja so könnte ihm ein ehrenhafter Neuanfang gelingen.
Aber gerade in dem Moment als er sich auf die Landung vorbereitete, frischte der Wind auf und trug ihn über die Häuser der Stadt, geradewegs in den Garten neben dem Schloss. Hier landete auch soeben das Gänsepaar. „Wo das Gänsepaar sich nieder lässt, kann der Platz nicht verkehrt sein“, sagte der Schneider zu sich und landete sanft in des Königs Lustgarten, wo der gerade mit der Königin und der kleinen Prinzessin lustwandelte.
Der König entdeckte den bis auf die Knochen abgemagerten Schneider, und weil er immer gern mit seinen Untertanen redete, sprach er ihn an: „Ich sehe, Er ist fremd hier, in meinem Reich gibt es niemanden, der so ausgehungert ist, ich kenne jeden einzelnen, aber Ihn kenne ich nicht.“ Der Schneider verneigte sich artig und stellte sich vor: „Majestät, ich bin ein armer Schneider, man nennt mich auch „Habenichts“, bisher habe ich als Flickschneider gearbeitet.“
Der König musterte ihn und weil er gute Manieren hatte, fand er Gefallen an ihm. „Ich sehe, Er hat sein Handwerkszeug gleich mit gebracht, was kann Er denn schneidern?“
„Oh“, sagte der Fremdling voller Stolz, „ich habe die goldene Nähnadel als Auszeichnung von meinem Lehrmeister bekommen, ich kann herrschaftliche Kleider nähen.“
Das Herz der schönen Königin schlug höher, und sie bat den König ihn nicht ziehen zu lassen, da auf dem Schloss schon lange kein Schneider mehr lebte.
Der König sagte darauf: „Schneider, auf Wunsch meiner Königin, heiße ich Ihn herzlich willkommen!“
Da soeben die Köchin die Glocke läutete, durfte der ausgehungerte Gast an des Königs Tafel speisen. Während die Diener die Gemächer im Turm für den Neuankömmling einrichteten, musste der Schneider dem König von seiner wundersamen Reise erzählen. Der König und die Königin lachten herzlich über die Abenteuer des neuen Hofschneiders.
Die kleine Prinzessin konnte nicht begreifen wie es möglich war, dass der Schneider durch die Luft flog. So ging der kluge König mit der Prinzessin in den Garten, nahm ein trockenes Blatt vom Baum und hielt es in den Wind. Das Blatt flatterte mit dem Wind über die Schlossmauer. Danach holte der König einen Apfel vom Baum, der Wind ließ den Apfel liegen. So erklärte der König seiner kleinen Tochter, dass man wohlgenährt, nicht fliegen kann.
Für unseren Hofschneider war das jetzt auch kein Problem mehr, denn eine hübsche junge Köchin versorgte ihn sofort regelmäßig mit gutem Essen. Sonntags, wenn der Schneider frei hatte, führte er die schöne Köchin zum Tanz.
So fand der Schneider Habenichts eine neue Heimat und Lohn und Arbeit am Schloss des Königs, dazu eine wunderhübsche Köchin, die übers Jahr seine Frau wurde.
Die Spinne Frau Krabbelwitz
Frau Krabbelwitz, die Mutter von Tekla Krabbelwitz, arbeitet sich mühsam durch das Brombeergestrüpp. Mit einem ihrer acht Füße hält sie eine kleine wichtige Schriftrolle. Sie hat es eilig, denn sie muss zum Bürgermeisteramt.
Endlich sieht sie den großen Fliegenpilz, in dem sich die Verwaltung befindet, mitten im Dickicht hervorragen. Die Frau Bürgermeister ist eine kleine Elfe, die mit weisen Entschlüssen, das Zusammenleben, der Tiere in ihrem Wald regelt.
Der Pförtner, rennt und öffnet Frau Krabbbelwitz die Eingangstür. Die Spinnenmutter betritt keuchend die Eingangshalle.
„Wohin wollen Sie denn Frau Krabbelwitz?“, fragt freundlich der Pförtner.
„Ich habe ein Anmeldeformular für Tekla, meine Tochter. Sie will ihr erstes Netz bauen.“ Antwortet die Spinnenmutter, immer noch außer Atem von dem langen Fußmarsch.
Sie erkundigt sich: „Ist der Fahrstuhl endlich fertig?“
Herr Wurzelputz, der Pförtner, schüttelt den Kopf und bedauert: „Leider noch nicht, die Ameisen bauen noch daran, aber ich werde Ihnen den Antrag abnehmen und hinauftragen. Warten Sie hier, aber fangen Sie ja nicht an zu spinnen!“
Herr Wurzelputz, ein schneller Borkenkäfer, krabbelt blitzschnell die Treppe hinauf. Und klopft an die Tür von Frau Bürgermeister. „Herein“, ruft sie mit freundlicher Stimme. Herr Wurzelputz stößt mit seinen kräftigen Fühlern die Tür auf.
„Frau Krabbelwitz ist unten, sie hat den Antrag für ein Spinnennetz für Tekla Krabbelwitz, ein Erstlingswerk.“
Die liebliche Elfe nimmt dem Pförtner die Schriftrolle ab und prüft den Antrag.
„Nein, das geht so nicht!“ Die Elfe nimmt einen Rotstift zur Hand und streicht: Zwischen Tanne und Birke. „Der Platz ist ja sehr schön“, bemerkt sie, „aber die Tanne wird Weihnachten verkauft, und in der Birke wohnt eine Elster. Das ist viel zu gefährlich.“ Sie macht den Vorschlag: Zwischen Holunder und Haselnussbaum, und trägt es auch gleich auf dem Antrag ein. Dann unterschreibt sie schnell, und schickt den Pförtner mit dem Antrag zurück zu Frau Krabbelwitz.
Herr Wurzelputz rennt die Treppe hinunter und purzelt vor lauter Eile drei Stufen hinab. Hoffentlich hat Frau Krabbelwitz in der Zeit nicht gesponnen. Das wäre furchtbar! Die fleißige Ameisenkolonne würde am Ende an ihrem Faden hängen bleiben, oder er selbst, vielleicht, oder gar die Elfe!
Frau Krabbelwitz rutscht derweil unruhig auf ihrem Hinterteil hin und her. Ruhig sitzen bleiben ohne einen Faden zu spinnen, ist nicht einfach für die fleißige Spinnenmutter. Sie krabbelt durch die Eingangshalle und fragt besorgt: „Herr Wurzelputz, haben Sie sich was gebrochen?“
Der Pförtner ist noch dabei, seine zahlreichen Beine zu kontrollieren, „Alles in Ordnung“, verkündet er und krabbelt der Spinne entgegen.
Voller Freude nimmt Frau Krabbelwitz den unterschriebenen Antrag entgegen und sieht, dass die Elfe einen anderen Bauplatz bestimmt hat. Zuerst ist sie enttäuscht, aber als Herr Wurzelputz ihr erklärt, warum es nicht geht, da sieht sie es auch ein. „Wie soll ich das jetzt nur meiner Tochter erklären“, jammert sie, dreht sich auf dem linken Hinterbein um, und macht sich auf den Heimweg.
Die Sonne scheint nur noch schwach durch den Wald und bald wird es dunkel. Frau Krabbelwitz hat Angst nicht mehr nach Hause zu kommen. Bald wird es dunkel und dann kommen sie, die nachtaktiven Tiere. Vor dem Igel hat sie besonders Angst, der lauert im Schatten der Bäume und kann schnell laufen. Die Eule, sie ist blitzschnell, auch vor ihr muss sie sich in Acht nehmen.
Frau Krabbelwitz läuft so schnell sie kann, aber sie muss sich einen Unterschlupf suchen für die Nacht.
Da kommt sie an einen Holzhaufen. Hier, denkt die Spinne, werde ich die Nacht verbringen. Schnell spinnt sie sich eine Hängematte zwischen drei Holzklötzen. Das Netz ist ihr gut gelungen, wenn jemand das Netz berührt, wird sie sofort wach werden.
Tekla, die Spinnentochter, ist während dessen sehr beunruhigt, weil ihre Mutter nicht nach Hause gekommen ist. Weil sie aber noch kein Netz bauen darf, muss sie ihren Tatendrang bremsen, bis ihre Mutter mit der Erlaubnis zurück ist. Sie weiß, ohne Baugenehmigung von der Wald-Verwaltung, darf sie nicht beginnen.
Gegen Morgen hängen Tau-Tropfen an der Hängematte von Frau Krabbelwitz. Die funkeln in allen Farben wie Brillanten. Zwischen drin hängt eine Motte und eine Mücke. „Ei“, denkt die Spinnenmutter: „Frühstück ist angerichtet.“ Nicht jeden Morgen ist der Tisch so reich gedeckt.
Aufs Beste gestärkt, begibt sie sich auf den Heimweg. Da kommt sie an den Trimm-dich-Pfad, und da ist heute schon viel los. „Diese Turnschuhe, sind mein gefährlichster Feind“, denkt die Spinne und krabbelt auf den nächsten Baum. Hoch über dem Pfad seilt sich Frau Krabbelwitz Stück für Stück, auf der anderen Seite wieder ab. „Jetzt aber ganz schnell zu Tekla, die wartet schon.“
Mutig krabbelt die Spinnenmutter zu ihrem Wohnbaum. Unterwegs muss sie noch über einen schlafenden Igel laufen. Dann hat sie es geschafft.
Tekla kann ihr Glück nicht fassen, ihre Mutter kommt wohlbehalten zurück und hat die Baugenehmigung erhalten. Wenn auch nicht genau da, wo sie bauen wollte, aber gleich daneben ganz nah bei ihrer Mutter.
Frau Krabbelwitz kann nun zuschauen, wie ihre Tekla erwachsen wird. Sie wird sehen, wie ihre Tochter ein wunderschönes Netz webt, an dem morgens die Tau-Tropfen glitzern. Jeder Spaziergänger wird rufen: „Sieh mal, das schöne Spinnennetz!“ Und von ihrem Netz aus, kann sie dann auch im Herbst, ihre ersten Enkelkinder sehen. Sie werden mit dem Wind, an einem dünnen Faden, in alle Himmelsrichtungen fliegen. Bis auf eines. Eins wird Tekla auch zu Hause behalten, um für sie eine Spinnennetz-Baugenehmigung zu holen.
Bildmaterialien: Cover: Sweder v. Rencin
Tag der Veröffentlichung: 05.01.2015
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für meine Freunde, Kinder, Enkel und Urenkel.