Cover

Das ist für mich Heimat

Mein Geburtsort liegt am Fuße des Herrmanns-Denkmal. Ein kleines Dorf war es damals noch, bevor die Industrie dort ansässig wurde.

Wir wohnten außerhalb der Ortschaft, in einem Fachwerkhaus mit einem großen Dehlentor. Rechts und links von der Dehle war je eine Wohnung mit 5 Zimmern. Wir wohnten auf der rechten Seite. Zuerst kam man in die Küche und von da aus ging es links in die Schlafzimmer, die alle hintereinander lagen. Das erste war das Elternschlafzimmer. Wer also in die dahinter liegenden Zimmer wollte, musste immer durch das Schlafzimmer der Eltern. Von der Küche aus konnte man in die Stube kommen, in der ich allerdings nur einmal war und das war Weihnachten. Das einzige Weihnachtsfest an das ich mich erinnere, solange ich in meiner Heimat war.

Ein Stück entfernt gab es noch ein Haus, da wohnte Tante Lore mit ihrem Mann. Sie war nicht unsere Tante, wir durften sie aber so nennen, denn sie mochte uns.

Lange Zeit hatte ich geglaubt, dass es außer diesen zwei Häusern weit und breit nichts mehr gab, außer einem Baggersee, an dem wir einmal zum Baden waren.

Vor unserem Haus verlief die Landstraße, die benutzten die größeren Geschwister von mir und die Kinder aus der Wohnung auf der anderen Seite, wenn sie in die Schule gingen. Was und wo das war, wollte ich gar nicht wissen. Jedenfalls war es so, wenn jemand auf der Landstraße war, dann war es jemand aus unserem Haus.

 Mein Vater war Soldat, er war selten zu Hause, aber unsere Mutter, sie war immer da und meistens in der Küche. Ich sehe sie noch heute, wie sie an ihrer Nähmaschine saß und unermüdlich nähte. Zwischendurch kochte sie oder hatte große Wäsche, denn 4 Kinder machten viel schmutzig besonders meine kleine Schwester und ich. Lena, meine kleine Schwester konnte gerade laufen, ich war ein Jahr älter und die anderen zwei gingen schon zur Schule.

Ja und dann hatten wir einen Hühnerstall und sieben Hühner. Ich glaube das war unser ganzer Reichtum. Wenn die großen in der Schule waren und meine Mutter nähte, kam es vor, dass sie mich in den Hühnerhof sperrte damit ich sie nicht immer bei der Arbeit störte. Ich fand es nicht komisch,  jagte die Hühner und hatte meine Freude daran. Der Erste der aus der Schule kam ließ mich dann wieder hinaus.

Bevor mein Vater in den Krieg musste, war er Kutscher. Er fuhr die Damen in die Stadt zum Einkaufen oder zum Kaffeeklatsch so wie es heute die Taxifahrer machen.

Wir hatten kein Radio und nichts außer 2 alte Fahrräder und einen alten Kinderwagen. Wenn ich darüber nachdenke stelle ich fest, dass wir wohl sehr arm waren. Vielleicht wohnten wir ja im Armenhaus, weil wir so weit von dem Ort entfernt waren. Das einzige was wir hatten waren immer schöne Kleider, dafür sorgte unsere Mutter. Die nähte sie aus Resten und ich fand sie jedenfalls schön.

Wir hatten den Tod meiner ältesten Schwester kaum überwunden, da nahm meine Mutter sich das Leben. Das war das endgültige Ende meiner schönen Kindheit. Wir wurden auseinander gerissen und zurück blieb die Erinnerung an unsere Heimat.

Später bin ich bei Schulausflügen durch den Ort gekommen, das Haus, was ich so liebte, stand fast verfallen am Straßenrand. Der Bus ratterte am Ortseingang über die die Gleise an denen meine Mutter den Tod fand. Ich weinte leise vor mich hin. Das "Warum" konnte mir niemand genau erklären. Diese Frage wird ewig offen bleiben.

Später viel später kam ich noch mehrmals durch den Ort, der inzwischen zu einer Stadt herangewachsen war. Mein Geburtshaus war längst nicht mehr da und viele Häuser säumten die Straße. Nein aussteigen wollte ich nicht, meine Heimat sollte in meiner Erinnerung so bleiben wie sie damals war.

Natürlich habe ich schon an mehreren Orten gewohnt, wo es schön war und ich mich heimisch gefühlt habe.  Heimat bleibt das armselige Geburtshaus, welches für mich wie ein kleines Märchenschloss in Erinnerung geblieben ist.

 

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 01.01.2015

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /