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Eine Kerze für Rainer

Ja, am 2. Weihnachtstag, passierte es. Nachdem wir bei Tina, unserer ältesten Tochter und ihrem Mann Rainer eine wunderschöne Familienfeier hatten. Alle Gäste waren gegangen, auch wir, mein Mann und ich waren wieder daheim. Rainer fiel einfach um und wurde ohnmächtig ins Krankenhaus gebracht. Am nächsten Tag erfuhren wir dann: Gehirntumor. Eine OP war nicht möglich.

Als er wieder nach Hause kam, besuchten wir ihn täglich. Wir gingen spazieren und beschäftigten uns mit ihm, bis Tina von der Arbeit heimkam. Der Tumor wuchs ständig an eine Chemotherapie war nicht zu denken. Nach und nach verlernte er das Sprechen. Er wusste alles, konnte sich aber nicht mehr ausdrücken.

Wir hatten in dem Jahr einige schöne Novembertage. Weil der bestellte Rollstuhl immer noch nicht da war, schoben mein Mann und ich ihn mit dem Nachtstuhl auf die Terrasse. Rainer liebte es, Späßchen zu machen. Wir lachten, bis er von mir wissen wollte, was für ein Tag denn sei. Er fand die Worte nicht und ich hatte keine Ahnung was er wollte.

 Tina kam  von der Arbeit. Ich fuhr nachdenklich heim und überlegte ständig, was er wohl wissen wollte. Inzwischen verschlechterte sich sein Zustand und er lag nur noch teilnahmslos im Bett. Als mir dann einfiel was er wissen wollte, brannte am Adventskranz die zweite Kerze. Er verstand mich nicht mehr.

Ich wollte ihm noch eine ganz besondere Freude machen, als ich das letzte Mal vor Weihnachten bei ihm war.  Gemeinsam mit der Pflegehilfe wuschen wir seine Haare, denn er mochte keine verschwitzten Haare. Danach lag er glücklich auf seinem Kissen, schaute mich dankbar an und erkannte mich. „Anne, komm her“ verstand ich ganz deutlich. Ich setzte mich zu ihm und er nahm mich in den Arm, es war wie Abschied.

Am nächsten Tag war Tina zu Hause, es war Samstag. Mein Mann stellte den Weihnachtsbaum auf und ich schmückte ihn lustlos. Die Kugeln wollte ich weglassen. Da klingelte das Telefon. Meine Tochter weinte: „Komm schnell, ich glaube jetzt geht es zu Ende.“

Verzweifelt suchte ich nach Jemand, der mir meinen Hund ein paar Stunden versorgte, aber wie es ist, wenn man sie braucht, hat man keine Freunde. Wir nahmen den Hund mit, und als wir ankamen, waren wir zu spät. Und wieder saßen wir um den Tisch. Letztes Jahr hatten wir gefeiert, jetzt weinten wir gemeinsam. Es läutete an der Haustür, ein Bote wollte den Rollstuhl abliefern.

Daheim entschied ich mich für silberne Kugeln am Weihnachtsbaum.

Wir denken jedes Jahr an Rainer,  und eine Kerze brennt immer ab Mitte November nur für ihn, bis einen Tag vor den Heiligen Abend.  

 

 

 

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Tag der Veröffentlichung: 09.12.2014

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