Es fällt mir richtig schwer, Dir zu schreiben.
Seit Du mit Deinen Eltern in das Haus Deiner Oma gezogen bist, habe ich Dich kaum noch gesehen. Da waren so viele Freundinnen immer bei Dir, und keine mochte mich leiden. Nein, sie weideten sich an dem Anblick, dass ich jetzt immer allein auf dem Schulhof war und niemanden mehr hatte, der mit mir spielen wollte. Nun war unsere Schule sehr groß und wir hatten vier Klassen in unserem Jahrgang mit jeweils über 50 Kindern, in jeder Klasse. Da war es nicht schwer mir aus dem Weg zu gehen.
Ja ich weiß, dass ich langweilig war. Ich hörte gern zu wenn Du erzähltest und redete selbst nicht viel. Aber ich konnte mich herzlich mit Dir freuen wenn es einen Grund dafür gab. Wenn Du krank warst, und das warst Du ja laufend, dann litt ich mit Dir.
Wenn ich von Mutti Schläge bekommen hatte, das war nicht selten, dann konntest Du mich trösten und wenn es ganz schlimm war, dann war Deine ganze Familie für mich da.
Als wir im Kindergarten waren, da habe ich Dich einmal in den Arm gebissen. Es tut mir heute noch leid. Eines Tages kam Dein Bruder und holte uns ab, weil Du ein Brüderchen bekommen hattest. Ach wie war ich so neidisch auf das kleine Kerlchen! Ich fand es ja so ungerecht, denn Du hattest ja schon einen Bruder und ich war immer allein.
Zu Weihnachten übten wir mit Tante Ida im Kindergarten Weihnachtslieder ein. Du durftest ein Schneeflöckchen sein mit einem herrlichen weißen Kleid mit Kränzchen und lauter kleinen Wattebäuschchen. Ihr musstet: „ Schneeflöckchen weiß Röckchen“ singen, das war so niedlich. Ich war in der Gruppe mit lauter Buben und musste einen Hut aus Pappe aufsetzen mit Glöckchen dran. Dann mussten wir: „Kling Glöckchen klingelingeling“ singen und dabei den Kopf schütteln damit es klingelte. Das fand ich richtig doof.
Als die Besatzung kam, sind wir voller Angst vor den Panzern davon gelaufen. Wir dachten, der Krieg sei zurückgekommen.
Wir machten Ausflüge mit den Puppenwägen ans Bergschlösschen und gingen zum großen Findling am Feldweg. Die „Else“ war unser Lieblingsplatz, dort saßen wir auf dem Elsedamm und baumelten mit den Beinen.
Auf "unserer" Bank versuchten wir das Rätsel über den Nikolaus und den Osterhasen zu lösen. Auch der Klapperstorch wurde von uns "auseinander genommen". Wir hatten unsere kleinen Geheimnisse die wir dort austauschten und dabei hatten wir immer die Kirchturmuhr fest im Auge. Ja, ich musste immer pünktlich zu Hause sein, bei Dir fragte niemand wie spät es ist.
Wir machten herrliche Ausflüge mit dem Fahrrad, die Zeit mit Dir war einfach unvergesslich. Wir gingen durch dick und dünn.
Dann hatte ich Geburtstag. Da Heidrun ein Jahr vorher an meinem Geburtstag ertrunken war, war an eine Feier nicht zu denken. Du kamst aber trotzdem zu mir und wir saßen auf der Bank im Garten. Ja, Du hattest sogar ein Geschenk für mich. Ich machte es auf und es war ein rotes Poesie-Album mit goldener Aufschrift. Du hattest ein paar Seiten frei gelassen und dann hinein geschrieben. Ich sehe es heute noch vor meinen Augen.
Auf die linke Seite hattest Du ein Rosenbildchen geklebt, ein Herz mit roten Rosen und einem Engel darin. Auf der rechten Seite stand der Spruch:
Wenn Du einst nach vielen Jahren
diese Zeilen wirst durchlesen
denk daran wie froh wir waren,
als wir Kinder noch gewesen
und mit frohem heitren Sinn
gingen zu der Schule hin.
Darunter stand: Zur steten Erinnerung an Deine Freundin Margot.
Ach Margot, als ich bei Mutti auszog, habe ich es vergessen. Das Album ist nicht mehr da, aber Du bist immer noch in meinem Herzen.
Wenige Tage darauf kam ein Möbelwagen und Du warst einfach nicht mehr da. Warum hast Du mir nicht erzählt, dass du wegziehen wolltest? Wusstest Du es auch nicht??
Zehn Jahre später wurde Vati beerdigt, und als ich an Vatis Grab stand, fiel mein Blick auf die Stelle wo einmal eine Bank stand. Die kleinen Gräber waren rund um einen großen Engel angelegt. Es waren wohl Urnengräber. Dein Name fiel mir sofort auf. Da stand ich dann und weinte, denn ich hatte nie wieder eine Freundin, die ich so geliebt habe wie Dich.
Als ich letzte Woche in unserer Elsestadt war, habe ich nun gehört, dass Du am Gehirntumor gestorben bist.
Glaub mir, ich habe Dich nie vergessen. Wenn ich allein bin und an Dich denke dann höre ich Deine helle Stimme im Hof „Miese“ rufen. Wie habe ich es gehasst wenn Du „Miese“ zu mir gesagt hast, und wie habe ich mir später gewünscht, Dich „Miese“ rufen zu hören.
Das Bild, auf dem wir zusammen im Sessel sitzen finde ich nicht mehr, das einzige Bild was ich noch von Dir habe, ist das vom Kindergeburtstag. Am 20. Juli hast Du ja Geburtstag, ich denke jedes Jahr daran.
Nun muss ich aufhören, denn immer wenn ich an Dich denke, dann muss ich weinen. Wenn das stimmt, was wir in der Schule gelernt haben, dann sehen wir uns irgendwann wieder. Ich hoffe, dass du mir dann entgegen kommst mit einer hellen Kerze, um mir den Weg zu zeigen, den Du schon vor 55 Jahren gegangen bist.
Bis wir uns wiedersehen, auf Wiedersehen,
Herzlichst Deine Miese.
( Das Cover zeigt uns an meinem Geburtstag im Obstgarten. Die Mädchen hinten sind die Kusinen aus Blasheim davor halten Margot und ich die kleine "Lilofee" an der Hand. Morgot ist blond, und ich dunkelhaarig.)
Tag der Veröffentlichung: 26.09.2014
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für Margot
Das Foto auf dem Cover ist auf meinem Kindergeburtstag entstanden es zeigt einige Kusinen von mir und meine Freundin Margot links vorn.